Bundesliga
Dortmund zeigt Bayern die Grenzen auf
| Montag, 28. Februar 2011Während sich ganz Dortmund nach dem eindrucksvollen Sieg beim Rekordmeister aus München in den Armen liegt, regiert bei Eintracht Frankfurt pure Ohnmacht und Hilflosigkeit
Jürgen Schmieder (SZ) analysiert die Philosophie von Louis van Gaal: „War der Erfolg bei Inter Mailand der Kitt in der Beziehung zwischen Verein und Trainer Louis van Gaal, dann ist die Niederlage gegen Borussia Dortmund der Sprengstoff. Der eigenwillige Trainer hat dem Verein ein Konzept verpasst, das einen hohen Wiedererkennungswert vermittelt. In der Offensive beruht es auf Ballkontrolle, ansehnlichen Angriffen und zahlreichen Torraumszenen - ein Spektakel, das den Zuschauer mitreißt und selbst Fußballfans, die dem Verein eher abgeneigt sind, in Erstaunen versetzt. Auch defensiv hat der FC Bayern einen hohen Wiedererkennungswert. Die Strategie von Louis van Gaal beruht darauf, durch extremes Verschieben so schnell wie möglich den Ball zurückzuerobern, um sogleich das nächste Offensivspektakel zu inszenieren. Allerdings: Gelingt dieser Ballgewinn nicht, dann gibt es ansehnliche Angriffe und zahlreiche Torraumszenen - das Spektakel findet dann im eigenen Strafraum statt.“
Die anderen Vereine haben längst kapituliert
Sebastian Winter (Spiegel Online) warnt die Dortmunder vor sich selbst: „Dortmunds Trainer Jürgen Klopp sah aus wie ein Boxer nach einem seiner schwersten Kämpfe, als er nach dem 3:1-Erfolg seiner Mannschaft zur Pressekonferenz erschien. Nach der Partie gegen Bayern München hatte ihm sein Kapitän Nuri Sahin im Überschwang beim Jubel die Brille zerschlagen. Klopp trug einen Cut unter dem rechten Auge davon, den ein notdürftig angeklebtes Pflaster überdeckte. Irgendwie passt es zu diesen Dortmundern, dass sie sich, wenn überhaupt, in der laufenden Saison nur selbst Schaden zufügen können. Die anderen Bundesligisten haben längst vor ihrem Hurra-Fußball kapituliert. Dortmund ist das fußballerische Schwergewicht der Liga. Spätestens an diesem Abend ist das auch dem FC Bayern klar geworden.“
Patrick Strasser (stern.de) bewundert das Dortmunder Immunsystem: „Die Münchner hatten sich vorgenommen, ihr wahres Gesicht zu zeigen im Spiel der Spiele dieser Bundesliga-Saison. Frische Motivation hatten sie jenseits der Alpen getankt mit dem wirklich beeindruckenden 1:0 im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei Inter Mailand. Das verbale Getöse der Bayern, es war die ganz große Klaviatur, hervorgeholt aus einer Zeit, in der das noch funktionierte. Früher konnte man Kölner, Bremer oder Leverkusener mit diesen Attacken beeindrucken, die Dortmunder scheinen immun dagegen zu sein.“
Thomas Becker (taz) blickt auf die Statistiken: „Die Eindeutigkeit der Verhältnisse lässt sich mit ein paar banalen Zahlen veranschaulichen. Anzahl der gewonnenen Zweikämpfe der Innenverteidiger Holger Badstuber und Anatoli Timoschtschuk bis zur 35. Minute: 0. Torschüsse von Arjen Robben im gesamten Spiel: 0. Bayern-Torchancen in der zweiten Halbzeit bis zur 75. Minute: 0. Gehaltene Torschüsse des jungen australischen BVB-Torstehers Mitchell Langerak, der den Stammkeeper Weidenfeller ersetzen musste: 3. Und das bei einem Bayern-Ballbesitz von nahezu 70 Prozent.“
Die Vormachtstellung der Bayern ist gebrochen
Maik Rosner (Berliner Zeitung) hadert mit der Abwehr der Münchener: „Nach dem 1:3 gegen Dortmund mussten die Münchner jedoch erkennen, dass es in ihrer Mannschaft unverändert große Probleme in der Defensive gibt. Und vor allem: dass ihre Vormachtstellung in Deutschland sportlich tatsächlich gebrochen ist. Auch in Bestbesetzung waren sie nicht gut genug gegen Jürgen Klopps junge Mannschaft.“
Jörg Hanau (FR) bedankt sich beim BVB: „Der FC Bayern München hat in Borussia Dortmund seinen Meister gefunden. Ein Glück für die Bundesliga, eine Wohltat für Fußball-Deutschland: Die Gefahr ebenso dümmlicher wie überflüssiger Kommentare aus München ist vorerst gebannt. Die Bayern-Bosse gratulierten vielmehr artig zur Meisterschaft. Chapeau Dortmund. Gratulation Jürgen Klopp. Derart deftig wurden die Bayern in der eigenen Arena schon lange nicht mehr abgewatscht.“
Der Beginn einer neuen Ära in Schwaz-Gelb
Jörg Hahn (FAZ.net) prophezeit den Dortmundern eine rosige Zukunft: „Die Wahrheit lag mal wieder auf dem Platz: Das Selbstbewusstsein der Bayern dürfte angeknackst sein, das Selbstverständnis als ewiger Branchenprimus wackelt. Deshalb war es das besondere Spiel: Weil die Westfalen ein Zeichen der dauerhaften Stärke ausgesendet haben. Es könnte der Beginn einer neuen Ära in Schwarz-Gelb sein. Borussia Dortmund mit seiner jungen Nationalspielergarde macht Lust auf Fußball und packt damit auch Menschen emotional, denen das Ruhrgebiet sonst schnuppe ist. Viele gönnen und wünschen dem Klub, dessen Börsenkurs zwar noch im Keller, dessen Finanzen aber wieder gesund sind, den Titel.“
Elisabeth Schlammerl (FAZ.net) wünscht sich Bastian Schweinsteiger wieder zurück ins defensive Mittelfeld: „Der deutsche Nationalspieler wirkte im Mittelfeld der Bayern unkonzentriert, fahrig, manchmal unnötig aggressiv. Es unterliefen ihm viele Fehlpässe und auch am dritten Treffer der Dortmunder war er nicht ganz unbeteiligt. Vor einem Jahr noch hatte Schweinsteiger viel Lob eingeheimst, weil er die Rolle im defensiven Mittelfeld an der Seite von Mark van Bommel souverän spielte, weil er sich kaum Ballverluste leistete, weil er fast so gut wie Spaniens Weltmeister vom FC Barcelona, Xavi, wusste, das Spielgerät gegen Angriffe abzuschirmen. Aber diese Gabe ist ihm in den vergangenen Monaten abhanden gekommen. Die zwischenzeitliche Versetzung ins offensive Mittelfeld am Ende der Vorrunde brachte ihn offenbar aus dem Rhythmus.“
Klaus Hoeltzenbein (SZ) sorgt sich um die Zukunft von Louis van Gaal: „Um die Gefahr für den FC Bayern in Gänze zu begreifen, muss vieles einbezogen werden. Zum Beispiel, dass das Champions-League-Finale 2012 in München stattfindet. Sollten die Bayern, derzeit Vierter, jedoch auch am Samstag in Hannover, derzeit Dritter, verlieren, hätten sie bereits fünf Punkte Rückstand auf jenen Platz, der die Chance zur Champions-League-Qualifikation erhält.
Über eine verpasste Qualifikation könnte den Klub auch das Startrecht fürs DFB-Pokalfinale, kaum trösten; ebenso wenig wie der Vorstoß ins Champions-League-Viertelfinale 2011. Denn falls die Qualifikation für 2012 bedroht ist, hat Bayern-Präsident Uli Hoeneß unlängst erklärt, werde er nervös, weshalb an Jürgen Klinsmann, den van-Gaal-Vorvorgänger, erinnert werden muss, der in einer ähnlicher Gefahrenlage vorzeitig gehen musste.“
Im Grunde reichen der Eintracht drei Siege zum Klassenerhalt
Ingo Durstewitz und Thomas Kilchenstein (FR) bangen um die Eintracht: „Frankfurt hat am Limit spielen müssen, hat unheimlich viel investieren müssen, um eine Leistung wie die vom Sonntag abrufen zu können. Trotzdem hat es zu keinem Tor und keinem Punkt gereicht. Für Michael Skibbe, der angetreten ist mit dem Versprechen, die Heimspiele der Eintracht zum Erlebnis werden zu lassen, könnte das kommende Spiel gegen Kaiserslautern das Endspiel sein. Andererseits: Mit einem Sieg gegen die Pfälzer könnten die Frankfurter ihre Situation entscheidend verbessern. Im Grunde reichen der Eintracht drei Siege zum Klassenerhalt – nur müssen sie mit dem Gewinnen jetzt anfangen.“
Marc Heinrich (FAZ.net) vermisst Leitpersonal bei Frankfurt: „Die Eintracht, die aus Kostengründen im Januar vier Spieler abgab und auch deswegen von der Ersatzbank kaum Impulse setzen kann, taumelt auf dem Weg nach unten. Aktuell gehört sie zu den Teams in der schlechtesten Verfassung. Spätestens seit dem verletzungsbedingten Ausfall von Kapitän Chris fehlt es der Elf an erkennbarer Hierarchie. Während Vorstandschef Heribert Bruchhagen derzeit Trainer Michael Skibbe öffentlich den Rücken stärkt, gab er ihm intern deutlich zu verstehen, dass er die vorübergehende Ausbootung des streitbaren Fanlieblings Ioannis Amanatidis als Fehler betrachtete, der einen unnötigen Nebenkriegsschauplatz eröffnete – und den letztlich nachgiebigen Coach Autorität kostete.“
Kommentare
2 Kommentare zu “Dortmund zeigt Bayern die Grenzen auf”
Montag, 28. Februar 2011 um 14:12
Patrick Strasser (stern.de) bewundert das Dortmunder Immunsystem: „Die Münchner hatten sich vorgenommen, ihr wahres Gesicht zu zeigen im Spiel der Spiele dieser Bundesliga-Saison. Frische Motivation hatten sie jenseits der Alpen getankt mit dem wirklich beeindruckenden 1:0 im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei Inter Mailand. Das verbale Getöse der Bayern, es war die ganz große Klaviatur, hervorgeholt aus einer Zeit, in der das noch funktionierte. Früher konnte man Kölner, Bremer oder Leverkusener mit diesen Attacken beeindrucken, die Dortmunder scheinen immun dagegen zu sein.“
Genau, die Bremer haben sich 2004 in einer vergleichbaren Situation (Tabellenführung mit einigen Punkten Vorsprung) von den Worten von Uli Hoeness („Wir müssen sie wegfegen, niedermachen…, ein 1:0 reicht uns nicht…) enorm beeindrucken lassen.
Und dann haben die unheimlich beeindruckten Bremer mit einer Glanzvorstellung 3:1 in der Allianzarena (3:0 und damit die sichere Meisterschaft schon zur Pause) gewonnen und die Bayern noch deutlicher besiegt, als es Dortmund am Samstag gelungen ist.
Also Herr Strasser, das war mal ganz ganz schlecht recherchiert…
Montag, 28. Februar 2011 um 23:05
Schaut man sich die aktuelle Entwicklung des Fußballs mal generell an, so ist doch auffallend, dass es immer mehr junge Mannschaften sind, die erfolgreich und auch schön anzusehen kicken. Die Hochzeit der Erfahrung – und damit der etablierten Startruppen – scheint, zumindest momentan, nicht angesagt.
Positive Beispiele gibt es zuhauf: Barca, Arsenal, die deutsche und die spanische Nationalmannschaft, Dortmund, Leverkusen, Mainz, Schalke letzte Saison, usw. usf. Natürlich hat Inter mit seinem eben nicht jungen Team letzte Saison alles gewonnen, aber mit einem Trainer, der wohl wirklich unchlaublich ist. Der macht einfach sein eigenes Ding. Nicht immer schön, aber auch erfolgreich. Mourinho hat augenscheinlich die Gabe, seinen Leuten relativ schnell seine Auffassung vom Spiel einzuimpfen. Einfach nur genial.
Warum ist das aber mit dem vermeintlichen Jugendwahn so? Ein Gedanke: Im Fußball setzt sich immer mehr die Auffassung vom Spiel als Mannschaftssport durch. Dafür braucht es andere Typen als die sog. Superstars. Die sind natürlich nicht ganz unwichtig, aber sie bringen ihre wahre Klasse nur in einem möglichst gut verinnerlichten System zur Geltung. Bestes Beispiel ist Messi bei Barca und bei Argentinien.
Bei Bayern vs. BVB konnte man das mit dem Mannschaftsspiel auch gut erkennen. Die offensiven Flügelspieler der Bayern arbeiten zwar inzwischen auch mehr nach hinten, betrachten dies jedoch eher als lästige Pflicht. Das ist bei Dortmund ganz anders. Alle, wirklich alle schalten blitzschnell von offensiv auf defensiv um und umgekehrt. Das ist so vorgeben und wird dann halt entsprechend umgesetzt. Weil die Spieler jung und noch nicht so etabliert und damit lernbereiter sind. Bei den Bayern ist das nicht ganz so einfach zu implementieren, siehe Robbery. Die machen auch irgendwie mit, doch nicht mit derselben Verve wie ihre Pendants beim Gegner.
Van Gaal macht seinen Stiefel grundsätzlich schon sehr lang. Schon bei Ajax Anfang der 90er hat er demonstriert, wie das geht. Auch Ferguson, Wenger u.a. Größen der Trainerzunft setzen eher auf selbst ausgebildete Spieler denn auf Etablierte. Sie waren und sind damit nicht so unerfolgreich. Barca sowieso. Und wer hat dort damit angefangen? Richtig. Der Tulpen-General.
Alle bekamen sie Zeit. Auf jeden Fall mehr als die 1,5 Jahre, die van Gaal nun beim FCB tätig ist. Nur gibt es, nicht nur hier, eine lange Tradition der Ungeduld aufgrund permanenten Erfolgsdrucks. Aber in München ist das schon übersteigert ausgeprägt und kilometertief in allen Ebenen verwurzelt. Bloß keine Durststrecken. Wenn man verliert, sind das alles Ausreden. Erfolg muss in jedem Jahr her. Koste es, was es wolle, Mia hams ja, weil mia san mia. Wie lange darf Klopp jetzt schon an seiner Fußballidee rumbasteln? Und wie erfolgreich war er vor dieser Saison?
Der Holländer versucht einen wirklich fundamentalen Kulturwandel durchzuziehen, nicht mehr und nicht weniger. Klinsmann hatte dafür nicht die Statur, deshalb darf‘s der Louis jetzt versuchen. Denn das wollten doch immer alle bei den Bayern, Fans und Führungsriege. Gewinnen, aber schöner, als sonst immer.
In dieser Saison prallen nun die unterschiedlichen Lager, die früher-war-sowieso-alles-besser-und-das-Bier-war-noch-dunkel und die mal-alles-entstauben-aber-schon-sowas-von Typen aufeinander. War und ist übrigens nichts Neues. Das gibt’s und gab’s schon seit der Steinzeit (Faustkeil schön geformt vs. Faustkeil grob; da hat’s noch länger gedauert mit der Umstellung).
Es ist jedenfalls spannend zu sehen, wie es ausgeht. Fast wie Fußball 😉