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Hertha BSC ist wieder erstklassig
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| Mittwoch, 27. April 2011Bereits drei Spieltage vor Ende der laufenden Saison, steht der Wiederaufstieg von Hertha BSC in die Bundesliga fest. Die Presse gratuliert, hofft und vertraut
Stefan Hermanns (Tagesspiegel) applaudiert der alten Dame aus Berlin: „Ohne die traurige Vorgeschichte sind die Ereignisse dieser Saison gar nicht richtig einzuordnen. Hertha hat im Abstiegsjahr so ziemlich jeden Minusrekord der Bundesligageschichte gebrochen. Dass der Klub so souverän den Turnaround geschafft hat, ist unter diesen Voraussetzungen kaum hoch genug einzuschätzen. Aber so leicht, wie es die Zahlen vermuten lassen, ist der Aufstieg nicht gewesen. Angesichts von Herthas Möglichkeiten mag das viele irritiert haben, nur Trainer Markus Babbel hat mit unglaublicher Penetranz darauf verwiesen, dass in der Zweiten Liga weniger die Qualität zähle als die Mentalität. Genauso ist seine Mannschaft aufgetreten, vor allem in der Rückrunde. Vielleicht ist das Babbels größtes Verdienst: dass bei Hertha der Sinn für die Realität über den Größenwahn gesiegt hat. Genau das nämlich wird der Klub auch in der nächsten Saison brauchen.“
Trainer Babbel duldet keinen Schlendrian
Ulrich Hartmann (SZ) warnt die letzten drei Hertha-Gegner: „Die große Sause ist aufgespart. In dieser Woche wird nichts mehr passieren, weil Berlin am Freitag 1860 München erwartet und sich mit einem Sieg, über den Aufstieg hinaus, den Gewinn der Zweitliga-Meisterschaft sichern kann. Doch auch danach bleibt Herthas Stärke relevant. Die Berliner dürfen sich nicht vorwerfen lassen, durch allzu lässiges Spiel wichtige Entscheidungen beeinflusst zu haben. Und wer den Trainer Babbel kenne, sagen alle wichtigen Leute im Klub, der wisse auch, dass dieser keinen Schlendrian dulde.“
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Claudio Catuogno (SZ) adelt Manager Michael Preetz und Trainer Markus Babbel: „Mancher Traditionsverein hat sich schon verhoben an der Mission vom schnellen Wiederaufstieg. In Berlin haben Michael Preetz und Markus Babbel ihren Klub geschickt durch diese Saison der Ansprüche manövriert. Sie haben die Euphorie, zu der die Hauptstadt fähig ist, geschürt – und es verstanden, überzogene Erwartungen zu dämpfen. Diese Balance würde Hertha BSC jetzt auch in der ersten Liga gut zu Gesicht stehen.“
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Michael Jahn (FR) taucht ein in die Berliner Feierlichkeiten: „Trainer Babbel war nach dem Spiel von seinen Profis nicht geschont worden. Die ersten Bierflaschen, die Zeugwart Hendrik Herzog, einst selbst Profi bei Hertha BSC, in einer Metallkiste blitzschnell auf den Rasen getragen hatte, entleerten die ausgelassenen Spieler auf Babbels Kopf. Die mehr als 2500 Berliner Fans in der Stadionkurve Kurve jubelten frenetisch. Niemand aus dem Hertha-Tross blieb verschont. Nach Babbel wurden auch Manager Preetz, Finanzchef Ingo Schiller und Präsident Werner Gegenbauer, der sich schon in der Halbzeit genüsslich und siegessicher eine dicke Zigarre angezündet hatte, in die Gäste-Kabine gezerrt. Die Umkleide mutierte bei all dem Bier und Sekt schnell zu einer Nasszone, Herthas Führungsriege kam mit feuchten Haaren und klebrigen Anzügen wieder auf den Gang des Stadions und widmete sich unverdrossen einem Interview-Marathon.“
Die Neuentdeckung der Hertha durch ihre Fans
Michael Horeni (FAZ) hofft auf einen Fortbestand der Liebe zwischen Fans und Verein: „Vielleicht noch überraschender als der sportlich schnurgerade Weg zurück in die Bundesliga ist die Neuentdeckung der Hertha durch ihre Fans. Im Schnitt kamen über 45 000 Zuschauer zu den Heimspielen ins Olympiastadion, bei den beiden Aufstiegspartys gegen München 1860 und Augsburg werden es jeweils über 70 000 sein. Das sind ganz reale Sympathiewerte, die Hertha selbst in der ersten Liga kaum erreichte. Erst mit dem Abstieg haben die Berliner Fußballfans entdeckt, was die Hertha in der Hauptstadt bedeutet. Die in den Niederungen stetig gewachsene Verbindung zwischen der Hertha und Berlin ist dabei nicht die schlechteste Voraussetzung, um gemeinsam auch die nächste schwere Prüfung zu bestehen, die selbst einem Aufsteiger aus der Hauptstadt kaum erspart bleiben dürfte: der Abstiegskampf in der Bundesliga.“
Stefan Osterhaus (NZZ Online) geht nicht von einem erneuten Scheitern aus: „Nun wird das Spiel mit den hohen Erwartungen in Berlin neu eröffnet: Im Klub gibt man sich wohltuend bescheiden – der Klassen-Erhalt ist das offiziell verkündete Ziel, eines, das nicht unrealistisch erscheint, wenn man das Kader anschaut mit Professionals wie Adrian Ramos, Patrick Ebert, Peter Niemeyer und Christian Lell. Die Mannschaft soll zusammenbleiben. Und noch immer stellt man sich in dieser von eitlen Weltklasse-Ambitionen unentwegt getriebenen Stadt, die am liebsten New York, London und Paris in einem wäre, eine Frage: Warum ist es bisher nicht gelungen, in Berlin einen Spitzenklub zu etablieren? Gern wurde die mangelnde Wirtschaftskraft der Hauptstadt genannt. Doch das lässt außer Acht, dass in Dortmund ein Spitzenteam mit massvoller Planung und ohne finanziellen Exzess geformt wurde. Herthas Rückkehr ist indes mehr Chance als Wagnis. Denn Heldentaten werden vom Klub aus dem Westen gegenwärtig nicht erwartet.“
Markus Babbel wird für die nötige Erdung bei den Profis sorgen
Wolfgang Hettfleisch (FR) vertraut auf die Arbeit von Markus Babbel: „Der Aufstieg war ein Muss angesichts des mit Abstand größten Etats aller Zweitligisten. Die Aufgabe, die nun vor der Hertha liegt, ist nicht minder schwer. Sie muss in der Bundesliga rasch zu einem Selbstverständnis finden, das vom Augenmaß des Aufsteigers zeugt, ohne die an diesem Standort unvermeidlichen mittelfristigen Ambitionen zu leugnen. Im Umfeld der Hertha, im dem Grautöne traditionell wenig zählen, durfte man eine ganze Zweitliga-Saison lang lernen, dass der Pragmatismus von Cheftrainer Markus Babbel bei dieser Identitätssuche sehr hilfreich sein kann. Der auffällig uneitle Münchner ist für Visionen à la Dieter Hoeneß eher unempfänglich. Er wird für die nötige Erdung bei seinen Profis sorgen, falls sich halb Berlin, beschwipst von ein paar Siegen, schon wieder auf Augenhöhe mit dem FC Bayern wähnen sollte.“