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Bundesliga

In Frankfurt, Gladbach und Wolfsburg geht die Angst um – Wer folgt St. Pauli in die zweite Liga?

Kai Butterweck | Montag, 9. Mai 2011 1 Kommentar

Während der FC St. Pauli als erster Absteiger feststeht, kämpfen Frankfurt, Wolfsburg und Gladbach am letzten Spieltag um den Verbleib in der Bundesliga

Philipp Selldorf (SZ) beobachtet eine „seltsame“ Entwicklung: „Das Fußballstadion war schon immer ein Ort, den Männer und auch Frauen aufgesucht haben, um ungestört andere Leute zu beleidigen: Spieler, Trainer, Schiedsrichter, zur Not die Freundin des gegnerischen Mittelstürmers. Mittlerweile ist das Stadion aber auch ein Ort der moralischen Entrüstung. Niederlagen werden nicht mehr als Ergebnis des Sports debattiert, sondern vor dem Hintergrund der Vereinspolitik und eines gemeinsamen Beziehungsrahmens. Neue, teils seltsame Sitten haben Einzug  gehalten, fundamentalistische Ernsthaftigkeit und Humorlosigkeit sowie starke Über-Emotionalisierung haben Besitz ergriffen vom Gesellschaftsspiel.“

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Eine Beleidigung für alle friedlichen Eintracht-Fans

Roland Zorn (FAZ) blickt besorgt an den Main und fordert konsequentes Vorgehen gegen Randalierer: „Dass solche Typen, die ihr gelegentliches Ausrasten gern mit ihrer blinden Liebe zum Klub ihres Herzens erklären, nicht die Gewalt im Fußball übernehmen dürfen, waren die Signale, die von Frankfurt aus an die ganze Bundesliga gesendet wurden. Vereine und Verbände sind deshalb aufgerufen, in der kommenden Saison mehr Härte und Konsequenz bis hin zum vollständigen Ausschluss gewaltgeneigter Gruppierungen und Einzelpersonen vom Besuch der Bundesligaspiele walten zu lassen. Die jungen Leute, die in Frankfurt ihren Frust im Exzess abreagierten, waren eine Beleidigung für alle friedlichen Eintracht-Fans, die ihrem Verein seit Jahr und Tag die Treue halten und dafür zum Teil sehr viel Geld bezahlen. Ein solches Spektakel im Nachgang zu einer ruinösen sportlichen Vorstellung will niemand sehen – bis auf die Zündler und Aufheizer, die sich eine Bühne zu Eigen machten, die dem Sport und seinen Hauptdarstellern gehört.“

Moritz Kielbassa (SZ)verlegt die Eintracht auf die Intensivstation: „Der Zustand des Patienten Eintracht Frankfurt hat sich im vorletzten Spiel erheblich verschlimmert. Ein absurder Abstieg droht: In der Winterpause waren sie Siebter, jetzt sind sie Siebzehnter – nach einer Rückrunde mit nur sechs Toren, acht Punkten und anfänglich verharmlosten Prozessen der Zersetzung, die das nervlich ermattete Team offenbar nicht mehr stoppen kann. Daum, als Notarzt mit Blaulicht und Aplomb herbeigeeilt, fand auch im Kurztrainingslager in der Eifel keine Lösungen, er muss sich an tristen Fakten messen lassen: sechs Spiele, drei Punkte, kein Sieg.“

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Ist Christoph Daum noch zeitgemäß?

Uwe Marx (FAZ) verabschiedet sich von Christoph Daum: „Es sind nicht die Ergebnisse, die Fragen aufwerfen, es ist das Gesamtwerk Daum, offengelegt in nur fünf Wochen bei Eintracht Frankfurt: Ist er noch zeitgemäß? Und hat er in Deutschland überhaupt noch eine Zukunft als Trainer? Ein Mann für die höchsten Aufgaben, allem gewachsen, aber immer noch zu gering geschätzt – das ist Christoph Daums Selbstverständnis. Dabei ist unwahrscheinlich, dass er nach seiner Zeit in Frankfurt, die mit großer Sicherheit nach dieser Saison endet, noch einmal in der Bundesliga arbeiten darf. Zumal er hier nicht erfolgreich war. Auch unter ihm blieb die Frankfurter Mannschaft die mit Abstand schlechteste in der Rückrunde.“

Auch für Tobias Schächter (taz) hat sich das Thema Daum erledigt: „Frankfurts Trainer, erst vor sechs Wochen verpflichtet, ist gescheitert. Der Mann, der immer groß denkt, ist kleinlaut. Er hat keine Argumente mehr: Nur drei Punkte in sechs sieglosen Spielen sind zu wenig, um den Abwärtstrend aufzuhalten, der in der Rückrunde die Eintracht nach unten zieht, als sei er ein unaufhaltsames Naturereignis. Daum sah mit seinem Engagement in Frankfurt die Chance, sich noch einmal in der Bundesliga zu etablieren. Jetzt ist er endgültig ein Trainer von gestern. Seine kryptische  hat nichts gebracht, Daum erreichte die Köpfe der Spieler nicht. Hilflos sagt er, es müsse jetzt in Dortmund einfach einmal `klick` machen, um die Blockade zu lösen. Daum lieferte in Frankfurt mehr Steilvorlagen für Kabarettisten als Hilfestellungen für seine Spieler.“

Das hätte Bruchhagen wissen müssen

Till Schwertfeger (Welt Online)sieht nicht nur die Zukunft des Trainers in Gefahr: „Im Vergleich zur neuen Trainer-Generation um Jürgen Klopp, Thomas Tuchel oder Robin Dutt erscheint Christoph Daum als ein Mann von gestern, dessen Methoden vielleicht nicht völlig aus der Mode, aber zumindest nicht mehr sonderlich originell sind. Für eine Mittelklassemannschaft wie Frankfurt, zumal im Abstiegsstrudel und mit Verletzungspech, ist Daum eine Fehlbesetzung. Das hätte Bruchhagen wissen müssen, seit Daum vor zwei Jahren seinem Lieblingsklub 1. FC Köln schon vor Saisonstart aus Angst vor dem Mittelmaß den Rücken kehrte, um mal wieder bei einem türkischen Spitzenklub anzuheuern. Sollte Eintracht Frankfurt am nächsten Samstag absteigen, muss Vorstandschef Bruchhagen seinen Posten voraussichtlich räumen.“

Christoph Ruf (Spiegel Online) vermisst den unbedingten Willen bei der Eintracht: „Völlig ideenlos und ohne jede Körperspannung hatte der Gastgeber agiert und sein Publikum mit Ballgeschiebe und langen Pässen ins Nichts gequält. Im Zeitlupentempo näherte man sich dem gegnerischen Tor. Direktpassspiel oder gar Kombinationen? Nicht in diesem Spiel. Auch defensiv stimmte nicht viel, wenn die Kölner sich einmal in den Frankfurter Strafraum trauten. Daum hat es nicht geschafft, etwas zu bewirken. Selbst die optimistischsten Eintracht-Fans dürften am Samstag nicht eine Sekunde den Eindruck gehabt haben, dass sich da eine Mannschaft mit aller Konsequenz gegen ihr Schicksal wehrt.“

Gladbach mit kontinuierlich angehäuftem Selbstvertrauen

Daniel Theweleit (Spiegel Online) räumt den Gladbachern die größten Chancen ein: „Im Gegensatz zu Eintracht Frankfurt und dem VfL Wolfsburg, der punktgleich vor der Borussia auf dem 15. Platz liegt, hat die Mannschaft von Trainer Lucien Favre zuletzt kontinuierlich Selbstvertrauen angehäuft. Die Gladbacher wissen, dass ihre Art zu spielen und ihre Strategie funktionieren. Favre, der beschwingt durch die Gänge der Arena federte, hat dieses aus dem Gleichgewicht geratene Team seines Vorgängers Michael Frontzeck tatsächlich in eine flexible, variantenreich spielende Fußballmannschaft verwandelt. Seine Ideen sind klar erkennbar, er sucht permanent nach Möglichkeiten, das Spiel seiner Mannschaft zu modifizieren.“

Andreas Morbach (FR) zeigt sich beeindruckt von der jüngsten Entwicklung in Gladbach: „Mike Hanke kam daher wie der Animateur eines Ferienklubs. Das milde Klima am Niederrhein und die vielen Trainingseinheiten im Freien tun dem gebürtigen Westfalen offensichtlich gut. Das Gesicht tiefengebräunt, stand der strohblonde Angreifer nach dem 2:0 seiner Mönchengladbacher gegen Freiburg – bei Sonnenschein und knapp 30 Grad – lächelnd da und sprach über den anstehenden Schlussakkord im Abstiegskampf. In dem Wissen, dass die Borussia am nächsten Samstag mit dem mit Abstand besten Gefühl in den Showdown im Liga-Keller startet. Allein es überhaupt noch so weit gebracht zu haben, ist für das Team von Lucien Favre ein grandioser Zwischenerfolg.“

Nach Ansicht von Sebastian Gierke (sueddeutsche.de) bedarf es bei den Fohlen keiner Hilfe von oben: „Der Vize-Präsident, Rainer Bonhof wurde in der Woche vom Papst empfangen – und musste sich deshalb vor dem Spiel fragen lassen, ob er mit Benedikt XVI. über die ziemlich unheilige Situation in Gladbach gesprochen habe. Bonhof verzog keine Miene, als er die Frage verneinte. Scheinbar erschien sie ihm gar nicht so unsinnig. Gladbach, das ist für viele auch Religionsersatz, doch nach zwei Siegen gegen Hannover und Dortmund war auch ohne Beistand von oben die Zuversicht im Spiel deutlich zu spüren, die Gladbach einen 2:0 Sieg gegen Freiburg und den Sprung auf den Relegationsplatz bescherte.“

Die Verunsicherung war Wolfsburgs Torwart ins Gesicht geschrieben

Christian Otto (FAZ.net) nennt einen Eckpfeiler der Wolfsburger Unsicherheit beim Namen: „Während das Team aus Kaiserslautern das glückliche Ende seiner Dienstreise ausgiebig bejubelte, konnten die ratlosen und geschlagenen Profis des VfL Wolfsburg kaum fassen, welch prekäre Lage ihnen bis zum allerletzten Spieltag erhalten bleibt. Trainer Felix Magath sprach davon, einige seiner Spieler dächten `wohl eher an sich als an die Mannschaft und den Verein.` Die Verunsicherung, die Wolfsburg seit Wochen begleitet und lähmt, war vor allem Diego Benaglio ins Gesicht geschrieben. Wann immer der Schlussmann der Niedersachsen eingreifen sollte, leistete er sich eine Unsicherheit und sah sich hilflos nach seinen Mitspielern um.“

Peter Unfried (taz) zeigt mit dem Finger auf Dieter Hoeneß: „Hinterher ist man immer schlauer und kann analysieren, dass viel schief gelaufen ist in Wolfsburg seit dem Meistertitel von 2009, speziell aber vor und in dieser von Aktionismus und Fehlgriffen geprägten Saison. Der teure Umbau eines Teams ist jedenfalls gründlich misslungen, dem der frühere Manager Hoeneß mit Misimovic und Dzeko während der Saison die spielerische Klasse rausoperiert hatte. Weil er musste, sagte Hoeneß. Weil Diego Zusätzliches einbringen sollte. Diego ist nicht schlecht, er ist außergewöhnlich stark am Ball, aber er ist weit von Dzekos Extraklasse entfernt. Hoeneß‘ Wintereinkäufe? Wenn man etwa sieht, wie sich der erstaunlich schwerfällige Patrick Helmes über das Spielfeld schleppt, ist es schwer, in dem Mann den einstigen Nationalstürmer wiederzufinden. Von anderen erst gar nicht zu sprechen. Der zurückgekehrte Felix Magath hat am Sonntag in einer Fernsehsendung die Überarbeitung des – also seines – Kaders als einen Hauptgrund für die Misere angeprangert.“

Stanislawskis Abgang hat für entscheidende Unruhe im Klub gesorgt

Klaus Bellstedt (stern.de) beschäftigt sich mit vermeintlichen Gründen des Abstiegs der Kiez-Kicker: „ Entscheidend für die Krise waren neben den dramatischen Verletzungssorgen in der Defensive vor allem hausgemachte Probleme. Damit ist weniger die Bierbecherwurf-Affäre oder Gerald Asamoah gemeint, der nach einem Streit mit seiner Frau und zwei leichten Damen bei der Polizei aussagen musste. Es geht auch nicht um Fan-Probleme, die der Club mit der Ultra Gruppierung `USP` oder den `Sozialromantikern` immer mal wieder hat. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Personalie Holger Stanislawski. Nach 18 Jahren Clubzugehörigkeit verkündete der Mann seinen Abschied in Richtung Hoffenheim. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe hätte ungünstiger nicht sein können. St. Pauli war Mitte April Tabllen-17., drei Tage später stieg die wegweisende Partie beim VfL Wolfsburg. Natürlich hat Stanislawskis Abgang für Unruhe im Club gesorgt.“

Carsten Eberts (sueddeutsche.de) leidet mit Holger Stanislawski: „Alle zerrten an ihm, dabei ging es Holger Stanislawski schrecklich mies. Der Trainer des FC St. Pauli hatte beim 1:8 gegen den FC Bayern die schlimmste Demütigung seiner Laufbahn erfahren, musste zusehen, wie seine Mannschaft sich aufgab – ausgerechnet in seinem Abschiedsheimspiel. Es war der Moment, an dem andere Bundesligatrainer am liebsten die Mannschaftskabine demoliert hätten. Doch Stanislawski konnte das nicht. Er musste auf die Ehrenrunde. Da gab es nämlich noch die St. Pauli-Fans. Sie hatten die epochale Niederlage weit schneller verkraftet als ihr Trainer, sich mit dem direkten Wiederabstieg aus der Bundesliga schon abgefunden. Sie waren ohnehin hauptsächlich gekommen, um Stanislawski gebührend zu verabschieden – jenen Mann, der den Klub zunächst als Spieler, dann als Trainer 18 Jahre lang geprägt hatte. Also begab sich Stanislawski gequälten Blickes auf eine halbherzige Ehrenrunde, winkte kurz nach links und rechts, verschwand dann im Kabinentrakt.“

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Kommentare

1 Kommentar zu “In Frankfurt, Gladbach und Wolfsburg geht die Angst um – Wer folgt St. Pauli in die zweite Liga?”

  1. Ulfert
    Dienstag, 10. Mai 2011 um 11:29

    Eine sehr umfangreiche Sammlung und viele Meinungen, hab ich sehr gern gelesen.

    Der Titel ist mMn allerdings für Gladbach unzutreffend: Dort herrscht nicht die Angst, sondern eher die Lust, das Unmögliche zu schaffen. Man merkt den Spielern richtig an wie die voll mit Selbstvertrauen und Glaube sind, es noch schaffen zu können – Angst sieht anders aus (siehe Frankfurt, da ist es ja schon Panik). Das geht auch aus den Beiträgen oben hervor.

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