Am Grünen Tisch
Die Fifa-Farce
| Montag, 30. Mai 2011Beim Fußball-Weltverband überschlagen sich die Ereignisse. Mohamed bin Hammam zieht überraschend seine Präsidentschafts-Kandidatur zurück und wird wenig später von der Fifa suspendiert.
Roland Zorn (FAZ) wartet ungeduldig und voller Vorfreude auf Michel Platini: „Der Franzose ist weit und breit der einzige Fußballpolitiker, der mit der Uefa-Hoheit über die Champions League und die Europameisterschaft Geld und Moral zusammenzuführen versteht und keine salbungsvollen Sonntagsreden halten muss, um seinen ethischen Standards gerecht zu werden. Er hat zuletzt die Initiative Financial Fairplay auf den Weg gebracht, um die maßlos verschuldeten europäischen Spitzenklubs zur Umkehr zu zwingen. Platini ist eine Wohltat nach dem Selbstdarsteller Blatter, eine Führungspersönlichkeit ohne ein Übermaß an Eitelkeit. Längst ist der frühere Blatter-Zögling seinem Altmeister über den Kopf gewachsen, ohne den Walliser deshalb zu verraten. Platini wird Blatter früher oder später an der Fifa-Spitze beerben und dem Fußball zurückgeben, was er um seiner Einzigartigkeit willen – der FC Barcelona hat es eben erst eindrucksvoll demonstriert – dringend braucht: Vorrang vor allem anderen.“
Jérôme Valcke ist ein Wahrheitsallergiker
Jens Weinreich (Berliner Zeitung) nimmt sich Blatters treuen Helfer Jérôme Valcke zur Brust: „Er hatte sich mit einem dicken Aktenordner bewaffnet und zitierte mehrfach aus einem 200 Seiten starken Bericht des englischen Verbandes FA, der angeblichsämtliche Vorwürfe widerlegt, die kürzlich während einer parlamentarischen Anhörung in London vom ehemaligen FA-Präsidenten Lord David Triesman erhoben wurden. Notorische Fifa-Skandalnudeln wie Ricardo Teixeira (Brasilien), Nicolas Leoz (Paraguay) oder Worawi Makudi seien `absolut sauber`. Gerade im Falle Teixeira, dessen dreckigen Geschäfte vielfach dokumentiert sind und der als Organisationschef der WM 2014 in Brasilien Verträge mit sich selbst abschließt, die ihm Traumsummen garantieren, sind derlei Behauptungen skandalös. Valcke will es nicht besser wissen. Er ist ein Wahrheitsallergiker. Man tut gut daran, dem Fifa-General kein Wort zu glauben.“
Wolfgang Müller und Florian Lütticke (Financial Times Deutschland) schütteln gemeinsam den Kopf: „Mit den überraschenden Entwicklungen vom Wochenende verkommt die Wahl des Fifa-Präsidenten am Mittwoch in der Züricher Messehalle endgültig zur Farce. Blatter kann nun als einziger Kandidat sogar per Akklamation bestätigt werden und seine vierte und letzte Amtszeit anstreben – wenn nicht der von Warner angekündigte `Fußball-Tsunami` doch noch über Blatter und den Verband hinwegfegt. Die Welt müsse sich auf pikante Enthüllungen gefasst machen, prophezeite der mit Bestechungsvorwürfen beschuldigte Warner.“
Blatter gelingt es stets in letzter Sekunde seine Macht zu wahren
Jörg Winterfeldt (Berliner Zeitung) schaut zurück: „Unter Havelange stieg Blatter steil auf, 1981 zum Generalsekretär, 1998, protegiert von Havelange, wohl um gemeinsame Geheimnisse besser hüten zu können, in einer knapp gewonnen Wahl gegen den Schweden Lennart Johannson zum Nachfolger als Fifa-Chef. Seither kommen die Einschläge stetig näher, aber in letzter Sekunde gelang es Blatter stets auszuweichen und seine Macht zu wahren. Immer hilfreich an seiner Seite musste ein Heer an Anwälten Flankenschutz gewähren, um zumindest öffentlich Zweifel zu wecken, ob bestimmte Vorwürfe stimmen.“
Ralf Sotscheck (taz) richtet seinen Blick gen England: „In der FA geht allerdings offenbar auch nicht alles mit rechten Dingen zu. Im April ist herausgekommen, dass der Verband Agenten nach Zürich geschickt hat, die vor der WM-Vergabe die Konkurrenz ausspionieren sollten und sich im Hotel unter die Delegationen mischten. Der englische Staatsekretär für Sport, Hugh Robertson, ignorierte das geflissentlich und forderte eine Reform der Fifa, so wie auch das Internationale Olympische Komitee nach dem Bestechungsskandal um die Vergabe der Winterolympiade an Salt Lake City reformiert worden sei. Die Sun meldete sogar, dass Robertson angedroht habe, aus der Fifa auszutreten, falls das nicht geschehe. Sowohl Blatter als auch bin Hammam hatten Reformen zugesagt. Dem einen glauben die Engländer nicht, der andere tritt nun gar nicht erst an. England wird sich am Mittwoch der Stimme enthalten, falls der von Warner angekündigte `Tsunami` die Wahl nicht ohnehin wegfegt.“
Kommentare
3 Kommentare zu “Die Fifa-Farce”
Montag, 30. Mai 2011 um 15:17
FIFA hat sich selbst diskreditiert und jeglicher Glaubwürdigkeit entledigt. Blatter könnte sein Gesicht wahren, indem er die Wahlen verschiebt und selber nicht mehr antritt. Leider wird letzteres nicht eintreten.
Montag, 30. Mai 2011 um 16:12
[…] Presseschau für den kritischen Fußballfreundindirekter-freistoss.deDer englische Staatsekretär für Sport, Hugh Robertson, ignorierte das geflissentlich und forderte eine Reform der Fifa, so wie auch das Internationale Olympische Komitee nach dem Bestechungsskandal um die Vergabe der Winterolympiade an Salt Lake City …«Fußball-Tsunami» – FIFA-Wahl eine Farcesueddeutsche.deAlle 2.749 Artikel » […]
Montag, 30. Mai 2011 um 17:33
Ich wüsste gerne, wann die Sponsoren beginnen, einen eigenen Imageverlust durch die Korruption in der Fifa zu befürchten.
Das ist der einzige Punkt, an dem diese Organisation empfindlich ist. Aber ob die Korruption dann aufhört, bezweifel ich. Es wird wohl eher weniger dummdreist geschmiert um dem ganzen einen sauberen Anstrich zu geben.