Ball und Buchstabe
Philipp Lahm im Glück – Samtweicher Tadel von Löw
| Mittwoch, 31. August 2011Das Thema Philipp Lahm erreicht nun auch die Nationalmannschaft. Joachim Löws sanfte Ermahnung in Richtung seines Kapitäns erntet nicht überall Applaus
Michael Horeni (FAZ) traut dem Frieden nicht: „Vermutlich aber ist das letzte Kapitel um den deutschen Kapitän noch nicht geschrieben. Bei Löw und in der Nationalmannschaft herrscht weiterhin die Sorge, dass der Mitteilungs- und Selbstdarstellungsdrang des kleinen Mannes mit der Binde noch Folgen haben könnte, dass man später womöglich von einer Zäsur sprechen könnte, wenn die derzeit hervorragende Entwicklung der Nationalmannschaft ins Stocken geraten sollte und es mit dem großen Ziel bei der Europameisterschaft vielleicht nichts wird. Dann wird man sich an den feinen Unterschied erinnern. Jetzt aber herrscht bei Löw und Co. erst einmal der gemeinsame Wunsch nach Erfolg vor, der die Risse überdecken soll, die Lahms Buch verursacht hat. Am Freitag kann sich die Nationalelf gegen Österreich vorzeitig für die Europameisterschaft qualifizieren. Ihr Kapitän dagegen hat sich schon disqualifiziert.“
Gregor Derichs und Stefan Tabeling (Hamburger Abendblatt)zeigen sich enttäuscht von der Reaktion des Bundestrainers: „Der Bundestrainer, der es wenig schätzt, harte Konflikte auszutragen, wollte über Fußball reden, den nächsten Gegner Österreich, den bevorstehenden Einzug in die EM-Endrunde als beste Mannschaft Europas, den grandiosen Sieg gegen Brasilien vor drei Wochen. Aber der kleine Mann neben ihm hatte ihm diesen Auftritt gründlich verdorben, weil er es für nötig gehalten hatte, als Schriftsteller größten Wirbel im deutschen Fußball zu verursachen. Philipp Lahm durfte sich in diesem Moment fast als Gewinner fühlen. Löw, obwohl sichtlich verstimmt, hatte ihn seine Autorität als Bundestrainer nicht einmal andeutungsweise spüren lassen. Es war weniger als eine Verwarnung, mit der Löw in einer Weichspülaktion den Unruhestifter bedachte.“
Darüber könnte man mal in aller Ruhe reden
Rudi Völler erwies sich in den letzten Tagen als einer der lautstärksten Lahm-Kritiker. Philipp Selldorf (SZ) wünscht sich einen runden Tisch: „Völler hat nicht vergessen, dass Lahm bei der WM in Südafrika just an jenem Tag dauerhaft die Übernahme der Kapitänsbinde reklamierte, als deren – damals – rechtmäßiger Besitzer Michael Ballack geknickt das DFB-Camp verließ. Lahms Verhalten in Südafrika war nicht fein, es war taktlos und unfair und ließ ihn als gierig erscheinen, aber in der Sache hat sein Amtsanspruch keine Bedeutung gehabt, und schon gar nicht war er Teil einer Strategie und höheren Verschwörung. Darüber könnte man mal in aller Ruhe reden. Nachdem also jetzt die kriminologischen Studien des DFB und anderer Instanzen eindeutig ergeben haben, dass Lahms Memoiren die Aufregungen des Publikums gar nicht verdienen – wäre es nicht an der Zeit, noch einmal einen Tisch auf der Schlossterrasse zu reservieren? Bademäntel stellt das Hotel sicher bereit.“
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Stefan Osterhaus (NZZ Online) schüttelt verwundert den Kopf: „Lahm hat ein Buch geschrieben, das am Montag präsentiert wurde. Darin schrieb er auch über Trainer. Bei Jürgen Klinsmann sei beispielsweise schnell klar gewesen, dass es nicht funktionieren könne. Felix Magath attestiert er, mit Druck zu arbeiten. Und über die Atmosphäre in der deutschen Nationalmannschaft an der Euro 2008 lässt er verlauten, dass es Spannungen gegeben habe. Keine Details, nur Andeutungen. So weit, so banal. Und dennoch beträgt die Startauflage 100 000 Exemplare. Der Aufschrei in der Branche war groß. Lahm kroch zu Kreuze. Die Episode zeigt vor allem eines: Wie bigott es sich mit dem Fußball und seinen Protagonisten verhält. Mündig soll der Professional sein. Aber eine kritische Haltung ist unerwünscht. Fußball und Öffentlichkeit: ein eher eigentümliches Begriffspaar.“
Kommentare
15 Kommentare zu “Philipp Lahm im Glück – Samtweicher Tadel von Löw”
Mittwoch, 31. August 2011 um 10:18
Schon beeindruckend mit welcher Nibelungen-Treue die SZ zum „Mini-Siegfried“ Lahm hält. Sogar das (ungeschützt) Fremdgehen mit den Hunnen von der BILD kann den verliebten Blick von des geneigten Fussballfeuilletonisten und Namensvetter Phillip S. nicht trüben. That’s amore. Die FAZ dagegen beginnt allmählich den kleinen Meinungsfuehrer ernst zu nehmen und kritisiert. Hört, hört. Auffällig nur, dass es immer um Themen wie Meinungsfuehrerschaft, Positionierung, etc geht. „Aufm Platz“ spielt immer noch keine Rolle. Dass Lahm in seinen bisherigen Big Games (EM-Finale 2008, Cl-Finale 2010 und WM-Hf 2010) jeweils versagt bzw. enttäuscht hat und sich künftig auch bei diesen Gelegenheit beweisen muss, kommt irgendwie nicht vor. Typisch deutsch. Seine zweifellos guten Leistungen in der international ganz netten Bundesliga sowie in Früh- und Zwischenphasen von CL, WM oder EM muessen einmal kompetent eingeordnet werden. Leader ist man, wenn man gegen Spanien, Inter oder Barca es rockt – und nicht Costa Rica, Kaiserslauten oder Famagusta. Mal sehen, ob das die geschätzten Fussballfeuilletonisten auch mal ansprechen (können bzw. wollen).
Mittwoch, 31. August 2011 um 10:39
@Auge: Es gibt aber offenbar auch in der SZ Lahm-Abtrünnige:
http://www.sueddeutsche.de/sport/nationalelf-kapitaen-philipp-lahm-auf-der-jagd-nach-mehr-macht-1.1135078
Meines Erachtens und auffälligerweise kommt der Autor dieses Porträt allerdings nicht aus der Sport- sondern aus der Meinungsredaktion (jedenfalls statt der Text auf Seite 4, nicht im Sport). Dass sich die SZ-Sportredaktion in Nibelungentreue für Lahm prostituiert, erscheint logisch, nachdem er ihnen damals das Bayern-Abrechnungs-Interview gab. Aber wenn du erst mal wüsstest, was für einen Schmarrn die SZ über Sechzig schreibt, würde Dich das nicht wundern: Das sind alles Rote da.
Mittwoch, 31. August 2011 um 12:06
@Grünwalder
Josef Kelnberger, Autor des Seite 4-Kommentars ist, m.E. Redakteur im Sport-Ressort der SZ. Er schreibt ein wenig differenzierter, ist aber weit davon entfernt, kritisch zu sein.
Mittwoch, 31. August 2011 um 15:22
Ja ja,…
es ist schon beachtlich was einige Spieler sagen und vor allem sagen dürfen.
Und manche kriegen gleich ordentlich auf die Acht. Da hat der Herr lahm aber Glück gehabt…
Gruß
Mittwoch, 31. August 2011 um 16:18
Hier ist noch ein Stück:
http://faz-community.faz.net/blogs/einsgegeneins/archive/2011/08/30/philipp-lahm-und-die-heuchler.aspx
Mittwoch, 31. August 2011 um 20:09
@OF: Dass Sie ein spezieller Freund des kleinen Philipp sind ist hinlänglich bekannt. Erste schriftstellerische Versuche startete er ja auch bekanntlich als „Kollege“ von Ihnen in einer Kolumne bei der ZEIT. Das hat ihn wahrscheinlich auch auf den Geschmack gebracht. Ein bisschen mehr Objektivität von Ihrer Seite täte gut. Als Trainer, der Sie ja auch sind, wären Sie wohl der erste, der einem Typen wie ihm Illoyalität vorwerfen würde. Oder hab ich Sie da falsch eingeschätzt. So wie Sie sich derzeit äußern, würden Sie öffentliche Kritik eines Spielers(meinetwegen in der Lokalpresse)über Sie, z.B. „unter Fritsch haben wir nur Mist trainiert“, begrüßen?
Mittwoch, 31. August 2011 um 23:04
Ach herrjeh. Man kann zu Lahms Buch stehen wie man will – ich habe meine Sicht hier auch schon dargelegt – es gibt Befuerworter und Gegner, und beide haben IMHO gute Argumente auf ihrer Seite.
Man muss da keine Verschwoerungstheorie konstruieren und auch keine Gruend im persoenlichen suchen.
Auch wenn ich ab und zu mal anderer Meinung bin als OF, ich halte ihn zu 100% integer und finde solche persoenlichen Attacken nicht gut.
Donnerstag, 1. September 2011 um 00:15
@Tim: Spezieller Freund von Lahm? So ein Unsinn.
Aber ich stimme Kaube zu. Die Aufgabe von Journalisten ist es, Kritik ans Tageslicht zu bringen, Hintergrundinformationen zu veröffentlichen, Indiskretionen eben. So verstehe ich das jedenfalls.
Daher kann ich Journalisten nicht verstehen (Rudi Völler schon), die Lahm vorwerfen, den Ehrenkodex verletzt zu haben. Darum geht es mir in erster Linie. Wenn ich diese Aussagen über Magath, Klinsmann … aus Lahm in einem Interview hervorgeholt hätte, hätte ich mir auf die Schulter geklopft. Hab ich aber nicht. Also kann ich doch jetzt nicht sagen, sein Vorgehen ist verwerflich.
btw, mal allgemein gesprochen: Kritik an Medien ist in Deutschland oft angebracht, mich nicht ausgenommen. Aber noch schlimmer als der Zustand der Medien ist der Zustand der Medienkritik. Manche Diskussion hier nicht ausgenommen.
Donnerstag, 1. September 2011 um 00:17
Noch was: Wenn es über mich heißen würde, ich hätte Mist trainiert, würde ich entgegnen: Falsch, ich habe alles trainiert, was im Fußball nötig ist: Spielaufbau, Doppeln, Pressing, Spiel ohne Ball …
Warum reagiert Völler nicht so?
Donnerstag, 1. September 2011 um 01:54
tim hat mir da ein wenig aus der seele geschrieben, denn das, was of hier zuletzt verlinkt hat, scheint indirekt die oben angeführte „nibelungentreue“ des herrn selldorf noch weit zu übertreffen. was dabei am meisten stört ist, dass sich so auf das pseudo professionell trainerische eingeschossen wird – mit ein wenig oder gar weniger menschenkenntnis könnte man aus völlers ganzen hyperventilismus heraushören, dass es ihm und den meisten anderen weniger im focus der öffentlichkeit stehenden eher um die charakterliche hinterfotzigkeit des nicht-kollegen lahm geht, die die eigentliche unglaublichkeit darstellt. die recht durchschaubaren versuche, das alles immer von der ach so erhabenen trainerseite zu betrachten und „was hat lahm denn schlimmes gesagt, was nicht bekannt war“ ist dann halt eine sehr blauäugige weichspülerei, die die eigentliche kritik doch ausgesprochen lahmesk versucht, zu umgehen.
Donnerstag, 1. September 2011 um 07:01
Meine Links belegen meine Nibelungentreue – so so.
Donnerstag, 1. September 2011 um 10:24
Tatsächlich leben die Medien Tag für Tag von den sogenannten „Maulwürfen“, die ungenannt bleibend Interna weitergeben. Lahm ist der Einzige, der es öffentlich macht und mit seinem Namen dafür einsteht. Sehr verschlagen von ihm.
Wer weiß, wie viele von seinen Kollegen, die Lahm jetzt kritisieren, gegenüber Journalisten selbst schon geplaudert haben.
Donnerstag, 1. September 2011 um 11:09
Wenn sich Kaubes „Heuchler“ auf andere Journalisten bezieht, dann hat er nicht ganz Unrecht. Ich glaube mustard hat hier beim IF ja schon die Frage gestellt, warum diese Informationen nicht bereits früher von den Medien publiziert wurden, warum also anscheinend ein aktueller Spieler „aufdecken“ muss und nicht die vierte Gewalt.
Aber auch außerhalb der Medienwelt scheint Lahms Verhalten zumindest bei einigen Werte verletzt zu haben (da gehöre ich dazu).
Dennoch habe ich durchaus Sympathie z.B. für die Position von OF; Offenheit ist wichtig und generell gibt es für meinen Geschmack in vielen Bereichen zu wenig ehrliche Diskussion und zu viele Scheingespräche.
Bisher habe ich in meinen knapp 35 Jahren allerdings niemanden getroffen, der öffentliche Kritik begrüßt, wenn er selber betroffen ist; aber vielleicht kenne ich aber auch nicht die richtigen Leute.
Donnerstag, 1. September 2011 um 23:18
Ein kurzer Nachtrag von mir: Ich habe Herrn Kaubes Artikel interpretiert als gegen die Lahm-Kritiker generell interpretiert. Wenn ich ihn im Sinne OF lese, ist er wol eher an die Journalisten gerichtet, die Lahm kritisieren.
So gesehen kann ich dem Artikel offen zustimmen, ich sollte vielleicht auch mal meine Haltung gegenueber dem (Sport)journalismus ueberdenken.
Noch einmal Danke an OF und Herrn Kaube fuer die differenzierte Aufarbeitung des Lahm-Buches.
Donnerstag, 1. September 2011 um 23:32
@OF: Ich habe niemals geschrieben, dass Sie ein „spezieller Freund von Lahm“ sind, sondern habe ausdrücklich vom „kleinen Philipp“ gesprochen. Diesen Eindruck hat er nicht zuletzt auf der Pressekonferenz hinterlassen, als er neben Löw wie ein Schulbube wirkte, den der Lehrer gerade in die Ecke des Klassenzimmers beordert hat.