Bundesliga
Borussen im Anmarsch
| Montag, 21. November 2011Während Dortmunds Sieg die Spitzengruppe wieder näher zusammenrücken lässt, glänzt auch die zweite Borussia der Liga. Außerdem: Theo Zwanziger hält sich nicht an das Gebot der Zurückhaltung
Bisher konnten diese Saison erst zwei Mannschaften drei Punkte aus München entführen. Christof Kneer (SZ) weiß warum: „Die beiden Borussias sind radikale Trainermannschaften. Sie werden von Klopp und Favre mit fachlich einleuchtender Autorität dirigiert und haben nebenbei eine schöne Formel für alle Bayern-Verfolger entwickelt. Man kann den Münchnern am besten gefährlich werden, wenn man in einer gruppendynamisch straff organisierten Ordnung spielt – und die Ordnung dann Künstlern wie Götze oder Reus zur Verfügung stellt, die von dieser Ordnung gleichermaßen beschützt wie inspiriert werden. Das Unpraktische an dieser Formel ist, dass die Bayern eine Gegenformel kennen. Am Sonntag hat Vorstandschef Rummenigge das bayerische Interesse an den Spielern Götze und Reus bekräftigt.“
Elisabeth Schlammerl (FAS) zeigt sich enttäuscht vom Auftritt des Rückkehrers Arjen Robben: „Nur ein Spiel hatte Robben bisher über 90 Minuten absolviert, die erste Bundesliga-Partie gegen Mönchengladbach. Danach war er dreimal ein- oder ausgewechselt worden, ehe ihn eine Schambeinentzündung mit anschließender Leistenoperation zu einer Pause zwang. In den vergangenen Wochen war viel diskutiert worden, ob für Robben überhaupt noch Platz in der Mannschaft sei, so gut war es auch ohne ihn gelaufen. Doch die Bayern hoffen, das Offensivspiel mit Robben noch variabler gestalten zu können. Die Dortmunder hat Robben wie auch seine Teamkollegen am Samstag allerdings nicht nachhaltig beeindrucken können.“
Thomas Becker (taz.de) nimmt den Holländer in Schutz: „Ob es an seiner Rochade lag? Zur allgemeinen Überraschung hatte der Bayern-Coach Arjen Robben in die Startelf beordert – und somit die Statik des zuletzt so harmonischen Bayern-Spiels verändert. Robben spielte wie jemand, der sehr lange nicht mehr in einem Pflichtspiel auf dem Rasen stand. 72 Minuten lang versuchte er ins Spiel zu finden – vergebens. Selbst ein Klassespieler wie der Holländer kann sieben Wochen Wettkampfpause nicht einfach abschütteln. Nach Bastian Schweinsteigers Schlüsselbeinbruch hatte Heynckes noch die „kleine Lösung“ propagiert und gesagt, man sollte in einer funktionierenden Mannschaft nur punktuell wechseln – was er dann auch getan hatte: David Alaba für Schweinsteiger. Gegen Dortmund aber traute er es der Doppel-Sechs Alaba/Luiz Gustavo offenbar nicht zu, das starke Mittelfeld des Meisters in Schach zu halten, wollte lieber mehr Erfahrung im Mittelfeld und auf dem Platz, zog Toni Kroos zurück ins defensive Mittelfeld – mit der Nebenwirkung, dass die Offensive nicht ins Rollen kam.“
Heynckes hat nur wenige Alternativen
Sebastian Winter (Spiegel Online) sorgt sich um die nähere Zukunft des Rekordmeisters: „Der FC Bayern München, könnte in den kommenden Wochen vor einem größeren Problem stehen, als ihm lieb ist. Denn nach Schweinsteigers Verletzung im Champions-League-Spiel gegen den SSC Neapel haben die Bayern nicht mehr wirklich überzeugen können: Gegen die Italiener gaben sie fast noch den Sieg aus der Hand, beim knappen Erfolg in Augsburg wirkten sie ebenfalls nicht souverän, nun folgte die Niederlage gegen Dortmund. Heynckes hat nur wenige Alternativen: Falls er im wichtigen Champions-League-Spiel gegen Villarreal am kommenden Dienstag Kroos nun doch wieder in die Offensive stellen würde, müssten Robben oder Müller auf die Bank. Der in der Champions League nicht gesperrte Timoschtschuk könnte dann neben Gustavo wieder ins defensive Mittelfeld. Womöglich ist dies der bessere Weg, um wieder zu jener Offensivkunst zurückzufinden, die die Bayern bis zum Neapel-Spiel ausgezeichnet hatte.“
Florian Bogner (spox.com) erklärt Dortmunds Schlüssel zum Erfolg: „Fakt ist, dass die umstrukturierte Abteilung Attacke ohne den auf die Schweinsteiger-Position beorderten Toni Kroos und mit Robben auf der rechten Seite gegen diszipliniert verteidigende Dortmunder überhaupt nicht zur Entfaltung kam. Die Außen Robben und Franck Ribery waren kein Faktor, Thomas Müller verlor im Zentrum viele Bälle und Mario Gomez machte gegen Mats Hummels und Felipe Santana überhaupt keinen Stich. Kurz gesagt: Dortmund stellte Bayerns Offensive komplett kalt. Wie schon im Februar, als Dortmund schon einmal drei Punkte aus der Münchner Arena entführt hatte, reagierte der FCB nahezu allergisch auf das BVB-Pressing und den Umstand, dass die Borussia die Außen konsequent doppelte und dazu permanent Druck auf den Aufbauspieler ausübte.“
Die Ballerei wirkt wie ein Blendwerk
Dirk Benninghoff (stern.de) macht den Bayern-Verfolgern weiter Mut: „Dominanz zeigt der FC Bayern nur gegen Gegner aus der zweiten Tabellenhälfte – und das nur zuhause. Ernüchternd dagegen die Bilanz gegen die Teams aus dem oberen Tabellendrittel: Zwei Niederlagen, nur ein Sieg, gegen Bremen und Stuttgart müssen die Bayern noch ran. Ein 7:0 gegen Freiburg, ein 5:0 gegen den HSV oder ein 4:0 gegen Nürnberg entscheiden jedenfalls keine Meisterschaft. Die Ballerei gegen die Eingeschüchterten vom Ligaprekariat wirkt mittlerweile wie Blendwerk. Doch das zieht bei Mannschaften und Trainern mit gesundem Selbstbewusstsein nicht. Die Borussia agierte in München mit dem gleichen Rezept, mit dem schon Mönchengladbach erfolgreich war: Die Mannschaft war ständig in Bewegung, machte hinten die Räume so dicht, dass man Mitleid mit dem FC Bayern haben konnte.“
Unermüdlicher Mike Hanke
Auch die andere Borussia vom Niederrhein hatte am Wochenende allen Grund zur Freude. Andreas Morbach (Spiegel Online) berauscht sich an der Angriffslust der Gladbacher: „Das große Plus der Favre-Elf sind dabei die großen Qualitäten in der Offensive, mit denen kleinere Wackler in der Defensive umgehend ausgebessert werden können – und das nachweislich auch bei Rückständen wie gegen Leverkusen oder vor zwei Wochen bei Hertha BSC. Und so hat die Borussia inzwischen eine Eigendynamik entwickelt, bei der es auch nicht ins Gewicht fällt, dass Mittelstürmer Mike Hanke nach dem 14. Spieltag noch immer kein Tor erzielt hat. Denn durch seinen unermüdlichen Einsatz im und vor dem gegnerischen Strafraum schafft der Angreifer viel Platz für seine Kollegen Reus, Patrick Herrmann und Juan Arango, die gegen Werder die übrigen Tore erzielten.“
Daniel Theweleit (FR) beschäftigt sich mit der Innenverteidigung der Borussia: „In Mönchengladbach wissen sie genau, wie wichtig Innenverteidiger Dante auf dem Weg nach Europa ist. Auch wenn der Held des Erfolgsjahres Marco Reus heißt. Dabei wird schnell übersehen, dass nur die Bayern weniger Gegentreffer zugelassen als die Borussia. Überhaupt haben die Gladbacher in 22 Partien seit Anfang März nur ein einziges Mal mehr als einen Gegentreffer kassiert. Nur sieht es kaum noch jemand, weil die gegnerischen Stürmer sich nicht mehr ständig unbehelligt auf das Gladbacher Defensivzentrum zu bewegen. Borussia Mönchengladbach ist ein stabiles Gebilde geworden, eine Mannschaft aus dem oberen Tabellendrittel, und es ist eine alte Regel, dass die auffälligsten Akteure aus Spitzenteams meist Offensivkräfte sind. Man kann das an Manuel Neuer beim FC Bayern erkennen, der sicher kein schlechterer Torhüter geworden ist. Doch seine Glanztaten sind seltener geworden. Ähnliches gilt für Dante.“
Wie eine verspielte Freejazz-Combo
Jens Uthoff (taz.de) kommt aus dem Schwärmen nicht mehr raus: „Die Gladbacher nutzten die Schwäche der Bremer geschickt aus: Mit Direkt- und Kurzpassspiel überbrückten sie schnell das Mittelfeld und griffen – allen voran Reus und Hermann – überfallartig an. Bisweilen wirkte es so, als mischte eine verspielte Freejazz-Combo eine Gang leicht gestriger Altrocker auf. Erkenntnisse aus dem Spiel? Das Phänomen Gladbach wird kein temporäres sein, dazu sind sie in allen Mannschaftsteilen zu gut. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Kompaktheit des Teams.“
Zurückhaltung erbeten
Neben München und Gladbach rollt am Wochenende auch in sechs weiteren Bundesliga-Stadien standardmäßig der Ball, während es in Köln aufgrund eines tragischen Ereignisses zur Spielabsage kommt. Der Suizid-Versuch des angesetzten Schiedsrichters Babak Rafati wirft einen dunklen Schatten über den 13. Spieltag.
Hinsichtlich des Persönlichkeitsschutzes möchten wir uns an dieser Stelle lediglich Reinhard Schüsslers (derwesten.de) Kommentar anschließen: „Der DFB-Präsident, der für seine einfühlsamen Worte unmittelbar nach dem Tod des früheren Nationaltorwarts Enke noch zu Recht gelobt worden war, scheint sich zunehmend als Teil einer Medien-Inszenierung zu fühlen. Im aktuellen Fall sagte Zwanziger zunächst das einzige Richtige, dass sich nämlich alle Spekulationen um Rafatis Motive verbieten. Beinahe im gleichen Atemzug befeuerte er jedoch eben diese Mutmaßungen selbst, indem er offenbarte, er könne sich die Ausweglosigkeit des 41-Jährigen ‚nur so erklären, dass unsere Schiedsrichter einem unheimlich großen Druck ausgesetzt sind‘. Lässt sich diese Aussage als allgemeine Einschätzung auch unterschreiben – sie im Zusammenhang mit Rafatis Suizidversuch zu stellen, ohne etwas zu wissen, ist nicht nur fahrlässig, sondern auch verantwortungslos. Zum notwendigen Umdenken in unserer Gesellschaft gehört eben, wie gesagt, auch der mediale Umgang mit Schicksalen, die jährlich Tausende von Menschen mit Babak Rafati teilen. Dass in diesem Zusammenhang ausgerechnet der Dampfplauderer und Meister der Betroffenheitsgestik, Johannes B. Kerner, beim ‚Doppelpass‘ die treffenden Worte fand, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Kerners Empfehlung, an die er sich selbst allzu selten hält: ‚Einfach mal den Mund halten.‘
Kommentare
8 Kommentare zu “Borussen im Anmarsch”
Montag, 21. November 2011 um 11:58
Favre ordete die ursache für seinen missglückten Angriff mit seinem ehemaligen Arbeitgeber hertha auf die tabellenspitze vor zwei/drei jahren im zu frühen Jubel seiner spieler über ihre erfolge. Ergo können wir getrost davon ausgehen, dass die gladbacher spieler bis zum letzten spiel in dieser Meisterschaft absolutes Jubelverbot haben werden. Jubeln nach Toren ist lediglich deshalb erlaubt, da Favre während dem Spiel nicht auf das Spielfeld gehen darf.
Montag, 21. November 2011 um 12:57
Hat noch jemand außer mir den dringenden Wunsch, Herrn Benninghoff für die Verwendung des Unworts ‚Ligapräkariat‘ selbiges dort reinzuschieben, wo solche Gülle normalerweise rauskommt?
Geh sterben.
Montag, 21. November 2011 um 13:01
Interessanter Kommentar von R. Schüssler zum Schiedsrichter Rafati. Über mir schwebte heute morgen in der U-Bahn eine Wutwolke wie in Asterix-Comics mit X!?!!, nachdem ich in der Süddeutschen Zeitung eine Seite-drei-Reportage zu dem Thema las, in dem der Selbstmordversuche auf unglaubliche Weise mit dem Steuerhinterziehungs- und Amerell-Skandal in Verbindung gebracht wird.
Montag, 21. November 2011 um 14:10
Ging mir ähnlich, Ole S.
Montag, 21. November 2011 um 14:55
Überschrift ist kreativ und top!
Ich denke auch, dass es nicht in Ordnung ist, die Rafati-Geschichte zur Steigerung der Glaubwürdigkeit seiner Argumente in anderen Dingen zu benutzen (Vgl. Zwanziger-Aussage).
Man darf da nicht gleich die Dinge vermischen.
Klar ist selbstverständlich, dass ein solcher ernszunehmender Vorfall auch die Diskussion um die Arbeit von Schiedsrichtern wieder in den Fokus rückt. Und das sollte man ruhig zur Vertiefung des gesellschaftlichen Problems nutzen.
Und da ist Fakt, dass Schiedsrichter heute generell unter enormem Druck stehen und viele Fans in zunehmendem Maße rücksichts, skrupel- und gesichtslos den Spielleiter mit Sprüchen fertig machen wollen. Diese dummen Leute machen den Fußball kaputt! Sie denken nicht an die Folgen. Es ist ihnen schlichtweg „scheißegal“. Und das ist schlimm.
Das wird dem Wert eines Schiedsrichters für das Spiel nicht gerecht. Man sollte froh um diese mutigen Kerle sein, die das für uns regeln und damit für intellektuellen, witzigen und umstrittenen Diskussionsstoff auf den Rängen sorgen.
Besser als jeder Automat, oder etwa nicht?
Früher brauchte es gar keinen Schiedsrichter, da regelten das die Kapitäne per Fair Play. Morgen braucht es gar den Videobeweis. Seht Ihr den Verfall der Intelligenz des Menschen?
Wir müssen für jeden Wert kämpfen, der es verdient hat, einer zu sein. Ist er erstmal verspielt, wird er nur noch schwer zurückkehren können. Wenn überhaupt.
Montag, 21. November 2011 um 17:28
Eigentlich ist es doch schön und interessant zugleich, wenn sich der Verlauf in der am meisten beachteten 1. Bundesliga leistungsmäßig wie eine Sinuskurve verhält.
Mal so ein souveräner Auftritt, wo der Gegner förmlich überrollt wurde, der Durchmarsch unumgänglich scheint und deshalb die auffälligsten Spieler der anderen Vereine locker demnächst aufgekauft werden. Dann plötzlich der Rückschlag, weil der „Leitwolf“ für ein paar Wochen wegen einer Verletzung nicht mehr zur Verfügung stehen kann und ein „Langzeitverletzter“ in seinem ersten Einsatz noch nicht die erwartete Form hatte.
Plötzlich wird von schreibenden Experten festgestellt (siehe oben), dass der Erfolgstrainer dieses Wundervereines keine Alternativen mehr besitzen soll. Traurig, denn schon wird von Mitleid für die angeschlagenen und vom Pech verfolgten Fußballer aus dem Süden geschrieben, die auch noch zu allem Unglück ein Spiel zuhause verloren haben……
Die Würze des Fußballs ist doch, wenn verschiedene Vereine durch auffallende Solisten die Spannung allgemein erhalten!
Zur tragischen Fall des Schiedsrichters Rafati:
Da tausende unbekannte Menschen der verschiedensten Berufsgruppen (oder ganz ohne Arbeit) von irgend welchen Sorgen gequält werden, müsste es doch eigentlich reichen, diesen prominenten Fall zu registrieren, doch mit mehr Zurückhaltung zu kommentieren.
Warum er diesen Schritt wählen wollte, sollte wirklich nur seinem direkten, familiären Umfeld interessieren
Donnerstag, 24. November 2011 um 15:15
Zunächst die besten Wünsche für Rafati!
Dass Zwanziger sofort die Leistungsanforderungen an Schiedsrichter in einen Zusammenhang mit dem Fall brachte, ist ein weiterer Ausdruck seiner Taktlosigkeit und ungeschickter Taktiererei.
Schiedsrichter sind genauso wie Trainer oder Spieler im Profisport nach der Leistung zu bewerten. Dass jemand wie Schiedsrichter Rafati, von den Spielern mal zum schlechtesten BuLi-Schiedsrichter gewählt und dennoch auf die UEFA-Liste gesetzte (!!!), selbst in dem undurchsichtigen und anfälligen Schiri-System vom nationalem und internationalem Verband irgendwann nach Leistung eingestuft wird, gehört nun einmal dazu. Das passiert auch anderen im Berufsleben bei Daimler, der Bahn oder McDonalds.
So lange Schiedsrichter göttliche Unfehlbarkeit verkörpern sollen und wie ein Geheimbund organisiert sind, müssen sie den daraus resultierenden Druck aushalten. So einfach ist das.
Der beste Beitrag kam vom Spieler Lell, der die Qualen des Schiris nach einer Fehlentscheidung beschrieb. Es hilft nur eines: der Videobeweis. damit würde man nicht nur die menschlichen Irrtümer, sondern auch Möglichkeiten der Manipulation einschränken.
Das Schiedsrichterwesen kennt nämlich auch Schwarze Schafe. Nicht nur die vereinzelt gefangenen „kleinen Fische“ wie Hoyzer oder verschoben Zweitligaspiele in Irgendwo. Man denke an Tom Henning Övrebö, der nach einer skandalösen Leistung (Chelsea-Barca) in der CL weiterpfeifen durfte (und bei Bayern-Florenz zwei weitere Skandalentscheidungen traf). So macht sich der europäische Verband verdächtig…
Samstag, 26. November 2011 um 20:07
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