Am Grünen Tisch
Abschied von Theo Zwanziger
| Freitag, 2. März 2012Wolfgang Niersbach wird heute auf dem DFB-Bundestag zum neuen Präsidenten gewählt. Die Presse verabschiedet Theo Zwanziger und blickt auf Niersbachs bevorstehende Amtszeit
Peter Ahrens (Spiegel Online) sucht nach dem Bruch in der Vita von Zwanziger: „Zwanziger hat den DFB verändert, genauso hat das Amt aber auch ihn selbst verändert. Irgendwann begann der Präsident, sich in seiner Rolle zu sehr zu gefallen. Nach seiner bewegenden Trauerrede für den toten Nationaltorwart Robert Enke hat er viel Applaus bekommen – vielleicht zu viel. Zwanziger drängte danach mehr und mehr vor die Fernsehkameras. Persönliche Eitelkeit fing an, das Reden und Handeln des Präsidenten zu bestimmen.“
Michael Horeni (FAZ) blickt auf Zwanzigers Verbleib bei der UEFA und FIFA: „Er will, wenn auch schon längst nicht mehr so kategorisch wie im Vorjahr, dass die Vergabe der WM an Qatar rückgängig gemacht wird. Er sagt, das wäre sonst so, als würde der DFB das Pokalfinale nach Altendiez vergeben. Also dorthin, wo er in dieser Saison die halbe Nationalelf und den Bundestrainer zur Jubiläumsfeier einbestellte, um sich und seinen Klub, wie man heute weiß, ein letztes Mal als DFB-Präsident hochleben zu lassen.“
Klaus Hoeltzenbein (SZ) erzählt eine Anekdote über Wolfgang Niersbach: „Der Franzose Michel Platini erzählte jüngst die Geschichte, wie er Niersbach kennenlernte. Beim Testspiel 1990 gegen die Deutschen sei der plötzlich um die Bank geschlichen, Platini, damals Nationaltrainer, fühlte sich belauscht. ‚Hau ab, du Ganove!‘, habe er gerufen. Niersbach versteht Französisch, Beckenbauer hatte ihn als Spion geschickt. Heute ist Platini Chef des europäischen Verbandes Uefa, er nennt Niersbach einen Freund. Der neue Präsident ist gut vernetzt.“
Stefan Hermanns (Tagesspiegel) übt Kritik am Karrieristen Niersbach: „Auf journalistische Distanz hat Niersbach nie besonderen Wert gelegt. Er wollte nicht zuschauen, er wollte dazugehören. Bei der Weltmeisterschaft 1986 durfte er als einziger Journalist mit DFB-Präsident Hermann Neuberger im Hubschrauber zu einem Spiel der Deutschen fliegen. Schon damals hat Niersbach ein Netz an wertvollen Kontakten gesponnen, das immer dichter geworden ist.“
Andreas Rüttenauer (taz) – der versucht hat sich als Gegenkandidat zu Niersbach aufstellen zu lassen und daran gescheitert ist – ätzt gegen den kommenden Präsidenten „Es gibt sie, diese Leute, von denen ein ganz bestimmter Geruch ausgeht, kein angenehmer Geruch, einer, vor dem man zurückweichen muss. Es ist ein Gestank. In Bayern, erzählt man sich, hat es zu Zeiten des großen Anführers Franz Josef Strauß viele dieser stinkenden Wesen gegeben. Und jeder wusste, warum sie stinken. Große Freunde hat auch Wolfgang Niersbach, der sich heute zum Präsidenten des Deutschen Fußballbundes wählen lassen will. Sie haben ihn groß gemacht, weil er sich vor ihnen kleingemacht hat.“
Christian Spiller (Zeit Online) kritisiert die Entfremdung der Basis: „Der organisierte deutsche Fußball verliert so mehr und mehr den Kontakt zur Basis. Welcher Amateurfußballer weiß schon, wer als Delegierter für seinen Landesverband heute den Grüßonkel gibt? Nicht einmal mit dem Namen Wolfgang Niersbach können viele etwas anfangen. Viele Spieler, Trainer, Verantwortliche in den niederen Ligen fühlen sich schon lange nicht mehr vertreten von den Männern in den Anzügen.“
Kommentare
3 Kommentare zu “Abschied von Theo Zwanziger”
Freitag, 2. März 2012 um 15:37
„Sie haben ihn großgemacht, weil er sich vor ihnen kleingemacht hat“ – ein Wahnsinnssatz mit viel Wahrheit!
Aber wie man die Dinge doch auslegen kann!
Denn da fehlt die zweite Seite der Medaille. Auf der nämlich steht:
„Seine Anwesenheit hat Ihnen etwas gegeben, und das haben sie ihm nicht vergessen.“
Samstag, 3. März 2012 um 17:30
Lustiges Abschieds Lied anlässlich der Ausscheidung von Theo Zwanziger:
Synapsenkitzler & Hr.KühlPoirot – Fussball Liebe
http://soundcloud.com/cpt-asteroid/synapsenkitzler-fussball-liebe
🙂
Sonntag, 4. März 2012 um 21:06
Staffelstab im DFB wurde weitergegeben
Am vergangenen Freitag übernahm mit Wolfgang Niersbach ein neuer Kapitän die Führungsrolle des DFB. Das Außergewöhnliche war dabei, dass dieser in einem Frankfurter Hotel den Außerordentlichen DFB-Bundestag als hauptamtlicher Generalsekretär eröffnete und als ehrenamtlicher Präsident schloss. Von einem Generationswechsel kann man nicht ausgehen, da der Altersunterschied zwischen den beiden Hauptpersonen nur 5 Jahre beträgt.
Sehr viele Vorschusslorbeeren erhielt der Neue, der als ehemaliger Journalist nicht so wie sein Vorgänger unbedingt ein Solist seines riesigen Verbandes sein möchte.
Bei solch einem Wechsel werden gerne die guten mit den etwas unglücklicheren Taten des Ausgeschiedenen nochmals verglichen,die er in seinen fast acht Jahren zur Genüge hatte.
Nach zwei Jahren Doppelspitze mit dem ungeliebten MV übernahm er ausgerechnet im Jahr 2006 die volle Verantwortung, als der hässliche Wettbetrug bekannt wurde. Die von Dr. Zwanziger angekündigten und schon damals dringend notwendigen Reformen rückten deshalb in den Hintergrund. Der als sehr eitel geltende Ex-Jurist fiel bei bestimmten angenehmen und sehr traurigen Anlässen als glänzender Rhetoriker auf. Ihm ist es auch besonders zu verdanken, dass der Frauenfußball im Land große Fortschritte machte. Er konnte allerdings nicht verhindern, dass sein Wunschtraum, Weltmeister im eigenen Land zu werden, im letzten Jahr verpasst wurde, wie auch die Qualifikation zur nächsten Olympiade in London 2012.
Durch seine Aufnahme in die skandalträchtige FIFA geriet allerdings sein Ansehen in`s Zwielicht, weil er dort bei der Wahl seines Chefs J. Blatter, der nicht nur in Fachkreisen alles Andere, als angesehen ist, den Augenblick verpasste, ihn nicht wieder zum 4. Male zu wählen. Auch bei der Wahl der völlig umstrittenen Austragungsländer der WM 2018 und 2022 schien er sich kräftig verkalkuliert zu haben.
Blatter und die FIFA ist einfach ein schier unlösbares Problem! Scheinbar nur die Öffentlichkeit könnte da gemeinsam mit der Justiz z.B. endlich wieder Licht in die verwaisten Gerichts-Unterlagen der längst insolventen Sportvermarkter-Gruppe ISL / ISMM bringen. Nur die lückenlose Aufklärung dieses wohl größten Bestechungsskandales der Sportgeschichte, bei der einige Namen zum Vorschein kommen könnten, die Verwunderung auslösen, kann die Hintergründe beleuchten, wie dieser weltgrößte Fußball-Verband zu einer Vereinigung wurde, der man Betrug, Gier nach Macht,Geld sowie Korruption nachsagt.
Ob da der amtsmüde gewordene und nun nun „vereinslose“ Dr. Zwanziger ausgerechnet als zukünftige Einzelperson im Exekutivkomitee der FIFA etwas bewirken kann, ist fraglich, genauso, ob er es bis 2015 dort durchhält, nachdem sein vorzeitiger Rückzug in Raten als Präsident beim DFB in Anlehnung seiner Amtskollegen aus der Politik erfolgte.
Es kann nur vermutet werden, dass unser Ex- Fußballpräsident nicht wie er sagte, von seiner Frau und den anderen Familien-
angehörigen „vor Ablauf der Frist“ zurückgerufen wurde, sondern a.a. deshalb die Segel einholte, weil sich die negativen Vorkommnisse im eigenen Verband einfach immer mehr häuften,
wie z.B.:
- gleich zweifache Untersuchungen der
Staatsanwaltschaft in der Frankfurter
Fußballzentrale im Oktober und Dezember
letzten Jahres wegen einer Schmiergeld-
affäre Deutscher Spielervermittler bzw.
eines Schiedsrichter- Steuerskandales,
- der versuchte bzw. eingetretene Suizid von
Schiedsrichter Rafatik und Nationaltorhüter
Enke,
- der verlorengegangene juristische Streit mit
einem (!)Journalisten über mehrere
Instanzen wegen angeblicher Beleidigung,
- der überraschende Vertragspoker mit der
sportlichen Leitung der Fußballnational-
mannschaft einige Monate vor der WM 2010 in
Südafrika,
- die einfach nicht aufhörenden Schwierig-
keiten zwischen „sogenannten Fans“ und der
Polizei bei verschiedenen brisanten
Fußballspielen in allen Ligen,
- die unerwünschte und ungeklärte besondere
Beziehung zwischen einem früheren und noch
aktiven Schiedsrichter in der Bundesliga,
die auch juristisch nicht gänzlich
aufgeklärt werden konnte usw.
Der mit einem Bundesverdienstkreuz geehrte Dr. Zwanziger wird die Entwicklung des DFB trotzdem weiterhin mit aller Aufmerksamkeit verfolgen. Nicht nur seine besonderen Integrationsbemühungen und das ständige Anstreben sozialer Ziele werden die Fußballfreunde im Land in angenehmer Erinnerung behalten.