Am Grünen Tisch
Von der Relegation zum Verhandlungsmarathon
| Dienstag, 22. Mai 2012Weder bagatellisieren noch dramatisieren – das Echo auf das Urteil des DFB-Sportgerichts ist gespalten.
Michael Horeni (FAZ) hält das Urteil für „genau das falsche Signal“ und bemängelt zweierlei Maß: „Der Richter, der die Umstände des Relegationsspiels für nicht wiederholungswürdig erachtet, verurteilte vor wenigen Monaten noch Dynamo Dresden mit dem Ausschluss aus dem kompletten DFB-Pokal nach Ausschreitungen und Spielunterbrechungen beim Spiel in Dortmund. Es könne Tote geben, wenn es so weitergehe in deutschen Stadien, sagte er. Damals hieß es: Wehret den Anfängen! Und heute: Feiert schön weiter?“
Ähnlich beurteilt Oliver Fritsch* (Zeit Online) den Vorgang: „Auch ist ein Platzsturm während des Spiels keine Bagatelle, sondern eine weitere Grenzüberschreitung der Fans, von denen sich einige immer mehr herausnehmen, immer mehr mitbestimmen wollen und immer mehr Schaden anrichten. Der DFB hat mit seinem Urteil ein Signal an sie versäumt, obwohl er ein solches in der vergangenen Woche angekündigt hat.“
Thomas Kistner (SZ) hält dagegen: „Ein anderes Urteil konnte das DFB-Sportgericht gar nicht fällen“, denn „für eine Spiel- wiederholung hätten die Richter die Tatsachenentscheidung von Schiedsrichter Wolfgang Stark kassieren müssen. Die Tatsachenentscheidung ist der heilige Gral – für den deutschen, aber viel mehr noch für den globalen Fußball. Wer daran rührt, am Recht des Schiedsrichters, auch im Zeitalter der Superzeitlupe Fehler zu machen, der bekommt unweigerlich den Weltverband Fifa auf den Hals.“
Peter Ahrens (SpOn) warnt sowohl vor Bagatellisierung als auch Dramatisierung des Platzsturms: „Eine hohe Strafe für Düsseldorf bis hin zu einem Geisterspiel oder Punktabzug wäre angebracht. Doch das alles rechtfertigt in keiner Weise das überzogene Szenario, das Anwalt Schickhardt vor Gericht an die Wand malte. Mit seiner Blut-und-Ballsport-Rhetorik trat der Anwalt seiner Klientin, der alten Dame Hertha, keinen Gefallen.“
Andreas Rüttenauer (taz) erhofft sich unter Bezug auf den Urteilsspruch von Richter Lorenz die Abkühlung einer „überhitzen Gewaltdebatte“: „Vielleicht wird dadurch auch all den Überwachungs- und Repressionsfanatikern in Sport und Politik klar, was eigentlich passiert ist in Düsseldorf an jenem Dienstagabend, an dem 1.500 Zuschauer auf den Platz liefen, um ihre Mannschaft zu feiern. Lorenz meinte, dass die Fans das Spielfeld ‚nicht mit der Absicht, Gewalt auszuüben‘, sondern beim ‚Ausleben ihres Glücksgefühls‘ gestürmt hätten.“
Lars Wallrodt und Andreas Jürgens (Welt) stellen nicht nur die bereits von Hertha BSC eingelegte Berufung, sondern einen in die nächste Saison reichenden Verhandlungsmarathon in Aussicht: “ Zwar erkannte der DFB ‚Eilbedürftigkeit‘ und wird das Bundesgericht wohl schon am Mittwoch zusammenkommen lassen. Doch auch danach könnte die Saison noch nicht beendet sein. Als weitere Instanzen kämen das Schiedsgericht der Lizenzvereine im Profifußball, das unabhängige Deutsche Sportschiedsgericht oder das Internationale Sportgericht Cas infrage.“
Und dann gab es gestern noch die Sendung „hart aber fair“ zum Thema „Gewaltige Leidenschaft – wer schützt den Fußball vor seinen Fans?“. Deren Niveau nimmt Peter Körte in der FAZ.NET-Frühkritik zum Anlass für eine Generalabrechnung: „Das Fernsehen ist halt kein Ort der Aufklärung und Differenzierung. Wenn eine Knallcharge wie ZDF-Poschmann unlängst am liebsten hundert Euro ausgelobt hätte für ein Handyfoto von Delinquenten, dann setzt er damit nur die große, leere, moralische Empörung über Pyros fort – komplett desinteressiert daran, was diese wachsende Gewaltbereitschaft und -tätigkeit in den Stadien mit der Entwicklung des Sports und seines Umfelds zu tun haben, mit der kommerziellen Auspressung, der durchgehenden Monetarisierung einer Sportart.“
*Disclaimer: Oliver Fritsch ist Gründer von indirekter-freistoss.de
Kommentare
6 Kommentare zu “Von der Relegation zum Verhandlungsmarathon”
Dienstag, 22. Mai 2012 um 09:24
Was mir ja – unverständlich – aufstieß war :
bei der Übertragung des Spieles FC B – chelsea ,
dass die Bengalos nur sekunden im TV, gezeigt wurden
und der Moderator k e i n Wort dazu verlor ! !
weil es in / beim FC B stattfand; weil es höchstwahrscheinlich Bayern „Fans“ waren ?
durfte d a s nicht an die Öffentlichkeit ?
Dienstag, 22. Mai 2012 um 14:26
„…..und der Moderator k e i n Wort dazu verlor ! !…..“
dann hast du dir das Spiel höchstwahrscheinlich bei einem Bezahlsender angeschaut. Auf SAT1 wurde es kurz erwähnt.
Dienstag, 22. Mai 2012 um 16:03
nö
hab ich nicht :-))
dann muß das wohl sowenig gewesen sein,
dass diese „Worte“ untergegangen sind ;
aber,
w a s hat er denn gesagt ? D a s wäre doch zumind. für mich interessant !
Bayerischer Sender haut doch nicht den Bayrischen Verein in die Pfanne ! gäi?
D-85774 Unterföhring <<
Dienstag, 22. Mai 2012 um 17:12
@ Erik Meyer
Da ich es in letzter Zeit häufig lese (nicht unbedingt hier), nochmal zum mitschreiben: „disclaimer“ bedeutet etwas anderes, gemeint ist wohl eher „disclosure“! Aber warum immer diese Anglizismen, wo es doch im Deutschen Wörter wie „Haftungsausschluss“ und „Offenlegung“ gibt…?
Dienstag, 22. Mai 2012 um 22:08
@woki
Es war nur eine kurze Anmerkung vom Reporter und das es etwas raucht unterm Dach. Mehr wurde nicht dazu gesagt.
Das man von Ausschreitungen von Bayernfans wenig in den Medien liest oder hört, ist mir auch schon aufgefallen. Die Wenigsten werden auch wissen, das es vor etwa 5 Jahren bei einem „Überfall“ auf FCN-Fans auf einem Parkplatz etliche Schwerverletzte gab. Eine Person verlor dabei sogar ein Augenlicht.
Mittwoch, 23. Mai 2012 um 13:13
Wäre ja auch fatal, wenn der FCB als TV-Zugpferd und Konsens-Verein (für die „International-bin-ich-auch-für-Bayern-Fraktion“) da schlecht beleumunded würde…Als Fan von Eintracht Eintracht glaube ich schon zu merken, dass bei einem entsprechend vorbelastetem Verein die große Keule schneller geschwungen wird (siehe Berichterstattung zum Aufstieg in Aachen). Da sitzen zwei fröhlich grinsende Jungs auf der Latte und sind „Chaoten“, während so etwas bei der Meisterschaft von Dortmund als Meister-Taumel oder ähnliches gewertet wird.