EM 2012
Viel Rummel um Hummel(s)
| Dienstag, 12. Juni 2012Die Presse beschäftigt sich eingehend mit Löws neuem Abwehrchef Mats Hummels. Außerdem: angezählte Holländer, verehrte Ukrainer, fähige TV-Experten, Hitze-Tipps und nackte Tatsachen. Auch die Vorschau auf die Begegnung des Gastgebers Polen gegen Russland spielt schon eine Rolle.
Der Dortmunder Mats Hummels war einer der Garanten beim Auftaktsieg der Deutschen gegen Portugal. Oliver Fritsch (Zeit Online) setzt den Jungnationalspieler in die erste Reihe: „Vor allem, und das ist selbst unter Joachim Löw noch immer das Wichtigste für einen Abwehrspieler, gewann Hummels alle wichtigen Zweikämpfe gegen Helder Postiga, Moutinho und Cristiano Ronaldo. Hummels war einer der Gründe, dass Deutschland das Spiel gewann. Nach dieser Leistung dürfte er für diese EM gesetzt sein.“
Peter Ahrens und Rafael Buschmann (Spiegel Online) erfreuen sich am Selbstbewusstsein des neuen Abwehrchefs: „Hummels analysierte vor den Journalisten ausgiebig, welche Taktik man gegen die hochgelobte niederländische Offensive einzuschlagen habe. Wie man gegen Arjen Robben und Co. vorgehen müsse, wie schwierig Robin van Persie, die Sturmspitze der Elftal, auszuschalten sei. Jemand, der davon ausgeht, dass er in dieser Partie auf der Ersatzbank sitzt, redet anders.“
Jan Christian Müller (FR) gibt Mats Hummels einen Tipp mit auf den Weg: „Jetzt muss er nur noch daran arbeiten, die Sache mit dem Selbstvertrauen so zu kanalisieren, dass nachhaltig nicht der Eindruck entstehen könnte, er selbst sei sich allzu spürbar wichtiger als das große Ganze. Der unterlegene Per Mertesacker hat das in der schwülen Nacht von Lemberg am Samstag vorbildhaft demonstriert. Als noch kurz zu spielen war, verteilte der Abwehrchef a.D. in einer Verletzungspause eifrig Trinkflaschen an die Kollegen.“
Die Holländer sind nun schon zum Siegen gezwungen
Peter Hess (FAZ) richtet seinen Blick auf das zweite Gruppenspiel der Deutschen und warnt vor angeschlagenen Holländern: „Mag Löw weiter den richtigen Spielern vertrauen, mag die erhoffte spielerische Steigerung einsetzen, mögen die schon gezeigten Tugenden bestehen bleiben: das alles heißt nicht, dass Deutschland auch Europameister wird. Nicht nur die Bayern erlebten gegen Chelsea, dass in diesem Sport nicht immer das bessere Team gewinnt, auch die Niederlande gegen Dänemark.“
Holland steht nach der Niederlage gegen Dänemark mit dem Rücken zur Wand. Vor allem Trainer Bert van Marwijk erntet viel Gegenwind aus der Heimat. Frank Lamers (derwesten.de) beruhigt den Bondscoach: „Bert van Marwijk hat anders als der literarische Windmühlenwidersacher Don Quichotte eine Chance, den Kampf zu gewinnen. Er muss mit seiner Mannschaft nur den Titel bei der EM holen. Denn holt er den Titel, wird seine Sturheit, wird sein Festhalten an der Idee, dass eine Elf den Gegner in hinteren Regionen durch kernig-rustikales Auftreten an der Entfaltung hindern müsse, neu interpretiert, dann wird sogar von Voetbal-Totaal-Nostalgikern das erreichte Ziel, weniger der Weg dorthin ausgeleuchtet werden.“
Einen Tipp hat Thomas Hummel (SZ) noch auf Lager: „Am Mittwoch in Charkow, wenn die Deutschen gegen die Niederländer spielen, sind 31 Grad vorhergesagt. Das unschöne Wort Hitzeschlacht macht schon die Runde. Dennoch ist nicht anzunehmen, dass Joachim Löw eine Skimütze tragen wird, auch Bastian Schweinsteiger in kugelsicherer Kälteweste ist unwahrscheinlich. Vielleicht beherzigen die deutschen Spieler stattdessen eine Weisheit des italienischen Ex-Profis Robert Baggio. Der sagte einmal zu seinen Mitspielern: ‚Lasst den Ball laufen, der schwitzt nicht.‘“
Ex-Sowjet-Promi & Leitwolf
Co-Gastgeber Ukraine startet mit einem Sieg gegen Schweden ins Turnier. Die größte Reizfigur der Ausrichter-Delegation steht allerdings nicht auf dem Platz, sondern sitzt auf der Trainerbank. Andreas Rüttenauer (taz) beschäftigt sich mit der sportlichen Vergangenheit von Coach Oleg Blochin: „Blochin weiß, dass man ihn braucht. Er lebt davon, dass er Legende ist. Das war er schon als Spieler. Heute erzählt der mittlerweile 59-Jährige gerne, wie toll er sich gefühlt hat als junger Bursche mit 20 Jahren, der mit einer weißen Limousine der Marke Wolga durch Kiew chauffierte.“
Johannes Aumüller (NZZ Online) sieht in Anatoli Timoschtschuk den unumstrittenen Leitwolf der Ukrainer: „Im Nationalteam ist er das, was er in München bei seinem Wechsel 2009 auch so gerne geworden wäre: der Führungsspieler, der verlängerte Arm des Trainers, der Chef auf dem Platz. In der Nationalmannschaft trägt er die Armbinde zwar nur, wenn Andrei Schewtschenko nicht spielt. Doch auf dem Platz ist der Rekord-Nationalspieler des Landes derjenige, auf dessen Kommando alle hören.“
Berichterstattung bleibt umstritten
ARD und ZDF haben reichlich Personal ausgesandt. Matthias Kalle (Tagesspiegel) adelt Ex-Bayern-Profi Mehmet Scholl: „Völlig anderer Meinung zu fast allem war nach dem Spiel der Deutschen der Experte Mehmet Scholl, dessen Verpflichtung sich wieder einmal als großes Glück erwies – für die ARD, für den Fußball, für den Zuschauer. Scholl redet klug und angstfrei, assistiert von Reinhold Beckmann, der wohl alles über das Spiel weiß, sich aber entschlossen hat, seine Wahrheiten für sich zu behalten. Und dann kam Waldemar Hartmann und damit der Beweis, dass die ARD sogar chauvinistische, reaktionäre, dumme Ansichten aushält.“
Alex Klaack (11Freunde) erzürnt sich über nackte Tatsachen während der Live-Übertragungen im TV: „Keine Spielunterbrechung, die nicht mit grell geschminkten weiblichen Zuschauern ausgefüllt wird. Und weil nackte männliche Besucher zumeist nicht mehr zu bieten haben, als mit Fingerfarbe beschmierte Bierplautzen, schwenken die Kameras lieber auf die luftig bekleidete Dame dahinter.“
Über ernsthaftere Probleme berichtet Luke Edwards (Telegraph) im Vorfeld der politisch wie sportlich brisanten Partie zwischen Polen und Russland. Nicht nur das martialische Titelbild von Newsweek Polska, das den Trainer Franciszek Smuda in der Uniform eines Generals der polnischen Armee zeigt, erscheint ihm fragwürdig. “Die Tageszeitungen in Polen haben die Sache nicht besser gemacht, indem sie das Spiel im Nationalstadion in Warschau als zweites ‘Wunder von der Weichsel’ ankündigen. Dabei handelt es sich um eine Anspielung auf die Schlacht bei Warschau, bei der 1920 die am Rande einer Niederlage stehenden Polen die Rote Armee besiegten.”
Christian Hackl (Der Standard) befürchtet in diesem Zusammenhang Zensur durch die Uefa als “Herr über die TV-Bilder”: “Sollte es im Nationalstadion zu Tumulten kommen, was nicht zu hoffen ist, wird eben eine Art Standbild gezeigt. Mögliche rassistische Sprechchöre kann jeder mittelmäßig begabte Tontechniker entschärfen. Die Tore werden sicher zu sehen sein. Sie sind das Wichtigste im Fußball.”
Mitarbeit: Erik Meyer
Kommentare
2 Kommentare zu “Viel Rummel um Hummel(s)”
Dienstag, 12. Juni 2012 um 22:31
Ach, der tolle Herr Ahrens!
Vor dem Portugal-Spiel stand für ihn eindeutig fest, dass Mertesacker spielen würde: http://www.spiegel.de/sport/fussball/per-mertesacker-wird-bei-der-em-deutschlands-abwehrchef-sein-a-837356.html
Im oben verlinkten Artikel heißt es jetzt: „Konkurrent Per Mertesacker kann die EM vorerst abhaken.“
Donnerstag, 9. August 2012 um 20:13
[…] Bei diesen fünf Spielern darf man aber davon ausgehen, dass sie bei der WM-Quali wieder mit dabei sind. Höchstens Mertesacker muss sich sorgen machen, dem durch Mats Hummels der Posten als Abwehrchef während der EM 2012 streitig gemacht wurde. […]