EM 2012
Lobeshymnen und Werteverfall
| Montag, 25. Juni 2012Die Presse beschäftigt sich mit Deutschlands prominentestem Fan, Angela Merkel. Außerdem: Die Suche nach dem Maulwurf, Chaos bei der Equipe Tricolore und Beifall für Löw und Co.
Angela Merkel zählt in Griechenland nicht gerade zu den beliebtesten Deutschen. Das zeigt sich für den Wahl-Griechen Richard Fraunberger (Zeit Online) auch während des Viertelfinalspiels Deutschland gegen Griechenland: „Die Freundschaft beider Länder hat sich, so scheint es, in Feindschaft gewandelt. Und heute Nacht findet die große Schlacht statt, die mutmaßlichen Gegner sind klar definiert: Es spielen die Bankrotteure gegen die Profiteure, gnadenlose Geldeintreiber gegen ausgefuchste Schuldner. Da ist es, das Wort, das ich, fast schon Halbgrieche, seit über einem Jahr ununterbrochen höre – MERKEL, immer wieder MERKEL. Sie ist für viele die Inkarnation des Bösen.“
Als bilde sie mit Schweinsteiger die Doppel-Sechs
Moritz Rinke (Tagesspiegel) fühlt sich von der Kanzlerin verfolgt: „Wahrscheinlich wurde noch nie in der Geschichte des Fußballs so oft eine Politikerin eingeblendet, vor allem im griechischen Fernsehen, ich habe das Spiel in der Taverne vom Schauspieler Kostas Papanastasiou gesehen, der war in der ‚Lindenstraße‘ der Gastwirt Panaiotis Sarikakis. In der Taverne bei Papanastasiou herrschte eine Stimmung, als spielte Angela Merkel mit Bastian Schweinsteiger in der Schaltzentrale auf der Doppel-Sechs.“
Ingrid Fuchs (sueddeutsche.de) Nimmt in der VIP-Loge Platz: „Beschimpfungen musste Merkel im Stadion nicht aushalten. Ein paar Pfiffe gab es, vereinzelte Schmählieder waren dabei, aber vom befürchteten Spießrutenlauf konnte bei der politisch brisanten Partie keine Rede sein. Im mintgrünen Blazer konnte sich Merkel das Spiel zwischen Uefa-Boss Michel Platini und dem DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach entspannt anschauen.“
Oskar Beck (Berliner Morgenpost) fühlt sich beim Anblick des prominentesten deutschen Fans rundum wohl: „Mama ist wieder da, so lebensbejahend wie der Fußball, den ihre Jungs da unten spielen. Ballverliebt wie eh und je ist sie, der Ekstase nahe, Schreie des Glücks stößt sie aus, ballt die Hände zu Fäusten und breitet die Arme aus, dass ihr grüner Glücksblazer in den Achseln knirscht. Was soll da schiefgehen.“
Jim White (Telegraph) hat beobachtet, wie die griechischen Fans Angela Merkels Begeisterung aufgenommen haben: “Unter großer griechischer Verachtung wurde ihr Freudentänzchen nach jedem der vier prächtigen deutschen Tore auf die Großleinwand projiziert. Das war genau, was den Griechen noch fehlte: ihr Fußballelend kombiniert mit dem Anblick der Frau, der sie die Schuld für ihr wirtschaftliches Weh geben und die ihr Leiden offensichtlich genießt. In ihrer täglichen Arbeit bekommt sie selten die Chance, im Umgang mit Griechenland etwas so konkretes zu feiern.”
Auf einen Schwarzen Peter mehr oder weniger kommt es nicht an
Vor dem Spiel gegen Griechenland drangen wichtige Mannschafts-Interna nach außen. Oliver Fritsch (Zeit Online) spekuliert darüber, aus welchem Zirkel der Maulwurf stammt: „Die Beratervariante ist die wahrscheinlichste, viele Reporter reden im Pressezelt des DFB in Danzig darüber. Es ist auch die harmloseste, denn sie ließe sich mit der Naivität der Spieler erklären. Die Innung der Berater hat ohnehin ein schlechtes Image, da kommt es auf einen Schwarzen Peter mehr oder weniger nicht an.“
Thomas Hummel (SZ) blickt mit Sorge in Richtung Halbfinale: „Der umkämpfte Markt der Nachrichtenseiten im Internet veranlasst die Medien nun dazu, ihre Informationen sofort in die Welt zu setzten. Der Erste beweist, dass er am nächsten dran ist am deutschen Team, das sich ja so gerne abschotten würde. Bundestrainer Joachim Löw wirkte angesichts dessen ein wenig frustriert“ denn „im Halbfinale kann auch eine Änderung in der Startelf ein kleiner, vielleicht entscheidende Überraschungseffekt sein. Doch er kennt gerade die Springer-Medien und weiß, dass sie darauf keine Rücksicht nehmen werden.“
Indiskretionen haben Tradition
Rafael Buschmann und Peter Ahrens (Spiegel Online) graben in der Mottenkiste und erinnern sich an ähnliche Vorfälle aus der Vergangenheit: „Für Medien im Sportbereich ist es Teil des Geschäfts, einen guten Kontakt zu den Spielern aufzubauen und zu versuchen, Insider-Informationen vorab bekommen. Vor allem Matthäus galt in seiner aktiven Zeit als zuverlässiger Informant der Boulevardpresse. Erst mit dem Teamchef Jürgen Klinsmann, ohnehin kein Freund der ‚Bild‘-Zeitung, wurde eine Politik der Distanz eingeschlagen.“
José Samano (El País) siniert am Beispiel des Spiels gegen Frankreich über “Die Wettkampfkunst” des spanischen Teams: “Das Tor ist ein weiterer Beweis dafür, dass der Fußball alles in Frage stellt: die Mannschaft ohne Flügelspieler und ohne echte Stürmer schoß ein Tor wie aus dem Handbuch für Flügelspieler und Stürmer. Der Fußball obsiegt über die Methode: Die Nationalmannschaft besteht darauf, sich gegen die Ortodoxie aufzulehnen, gegen das Akademische und das Konventionelle. Die spanische Nationalmannschaft ist eher eine Idee als ein Spielsystem und seit 18 Spielen hat sie niemand besiegt.”
Werteverfall bei der Grande Nation
Die verbalen Entgleisungen von Frankreichs Edeltechniker Samir Nasri nach dem Aus seiner Mannschaft lassen bei Frank Hellmann (FR) Erinnerungen wach werden: „Fast wortgleich fielen jene Sätze, mit denen bei der WM 2010 der Rebell Nicolas Anelka den damaligen Trainer Raymond Domenech im südafrikanischen Küstenort Knysna beleidigt hatte. Eigentlich gilt der Edeltechniker seit jeher als eines der größten Talente Frankreichs. Als sein Mentor wurde stets Zinédine Zidane genannt – Nasris Verfehlung am 40. Geburtstag des Idols steht exemplarisch für den Werteverfall der Grande Nation.“
Andreas Rüttenauer (taz) wendet sich mit Grausen ab: „Wer einfach stehen bleibt, obwohl es um den Einzug ins Halbfinale des Turniers geht, macht den Fußball kaputt. Klar, sie können auch unterhaltsam sein. In der Kabine, wenn sie sich wieder einmal gegenseitig anschreien, beleidigen und den Trainer lächerlich machen. Vielleicht sollte den Franzosen mal jemand sagen, dass das gar nicht zum Wettbewerb gehört.“
Maxime Goldbaum und Erwan Le Duc (Le Monde) schildern die zweite Halbzeit aus französischer Sicht: “Die Spanier lassen die Männer von Laurent Blanc durch, scheinen physisch einen Gang nach unten zu schalten. Die französische Mannschaft bekommt gute Situationen, zeigt sich aber zu schüchtern und kann seine mageren Chancen nicht realisieren. Dieser zweite Akt spielt auf einem von den Spaniern vorgegebenen Tempo ab, die in ihrem eigenen Rhythmus spielen, in der Lage sind, mit schwachen Momenten umzugehen und Gas zu geben, wenn sich eine gute Chance bietet.”
Lob für Löw & Co
Mehr Freude bereitet das Team von Jogi Löw. Michael Horeni (FAZ) ist bester Dinge: „Die Klasse ist so groß und variabel, dass nun fünfzehn, sechzehn Spieler beweisen konnten, dass sie immer erste Wahl sein können. Eine Garantie für den Titel ist diese hervorragende Entwicklung natürlich trotzdem nicht, dafür sind die Unterschiede in der europäischen Spitze zu gering und der Faktor Spielglück zu groß. Aber alles, was der Bundestrainer für den Titel tun konnte, hat er bisher getan.“
Auch die Eidgenossen sind angetan. Stefan Osterhaus (NZZ Online) lobt die Arbeit des Bundestrainers: „Die Taktik des Aussenseiters zeigte, warum Löw mit seinen Entscheidungen wieder einmal richtig lag. Denn der Raum ist gegen einen limitierten Gegner wie die Griechen eng. Da macht sich ein Dribbler wie Schürrle, der zudem ein guter Distanzschütze ist, besser als der robuste Podolski, denn bisher waren gegen Gegner von Format wie Portugal und die Niederlande vor allem die Defensivqualitäten des angehenden Arsenal-Profis gefragt.“
Stephan Seeger (RP Online) freut sich vor allem für Marco Reus: „Es war das Startelf-Debüt für den Noch-Gladbacher Reus in der deutschen Nationalmannschaft. Und der Wirbelwind bestätigte das, was er bei der Borussia in der abgelaufenen Saison gezeigt hat. Reus war an vielen Aktionen im deutschen Angriffsspiel beteiligt, sein Zusammenspiel mit Mesut Özil war an vielen Stellen hervorragend.“
Eine Lobeshymne auf Lahm singt die Gazzetta dello Sport unter dem Titel „Der Außenverteidiger mit der Lizenz zu attackieren: „Lahm hat 90 Ballkontakte, bietet sich häufig an, ist auch sonst immer eine Anspieloption auf der rechten Außenbahn und ermöglicht häufige Passstaffetten mit den Mittelfeldspielern. Er erobert 4 Bälle, geht 2 mal ins Dribbling und spielt nur 5 Fehlpässe von 74. In der Offensive ist Lahm kein Hilfsarbeiter, sondern Architekt.“
Mitarbeit: Michele Busiello, Pepe Fernandez und Fiona Sara Schmidt
Kommentare
4 Kommentare zu “Lobeshymnen und Werteverfall”
Montag, 25. Juni 2012 um 13:11
ZU FRANKREICH: Ist der Ruf erst ruiniert – Das Erbe der Ära Domenech
Es ist ein Beleg für die Substanzlosigkeit des Fußballfeuilletons, dass man die Zusammenhänge konsequent ignoriert und eine dumme Benimm-Story nach der anderen schreibt. Nun also über den – einst bei Arsenal gefeierten, aber auf Top-Niveau belanglosen – Schöndribbler Nasri.
Das sportliche Thema geht wie gewohnt unter: Frankreich ist bei der EM 2012 gegen Spanien chancenlos ausgeschieden, weil der überforderte Karim Bensema einen rabenschwarzen Abend hatte. Mit ihm in Best-Form und mit Fortune hätte man vielleicht eine kleine Chance gehabt. So kam aber kein Torschuss zustande.
Frankreich hat sich – Blanc sei Dank – bei der EM 2012 stabilisiert, die katastrophale Ära Raymond Domenech wirkt aber sichtbar nach. Domenech, zweifellos einer der unfähigsten Trainer, die jemals bei einem EM- bzw. WM-Turnier auf der Bank saßen, verdankte seinerzeit den unerklärbaren Rückhalt im französischen Verband offenbar persönlichen Seilschaften. Rückblick: Bereits bei der WM 2006 hatten die Führungsspieler nach der unterirdischen Vorrunde gegen ihn geputscht, denn Domenech hatte Zidane im letzten Vorrundenspiel ausgewechselt Spiel.
Danach muss etwas passiert sein, denn fortan spielte Frankreich wie früher und erreichte das Finale. So durfte Domenech weiter machen. Zidane, Makele und Co. traten ab – denen war’s also egal. Und die anderen hatte nicht das Standing gegen den Vizeweltmeister-Trainer Domenech. Der nahm sich fortan noch wichtiger und ließ Könner wie Trezeguet, Flamini und Mexes leichter Hand zuhause.
Dass es bei der WM 2010 wieder zur Rebellion kam, konnte keinen Sachverständigen ernsthaft überreaschen. Die heuchlerischen bzw. inkompetenten Journalisten berichteten nur über die Aufreger, fürs Sachliche gab es wie meist keinen Raum. Ist ja auch egal.
Also – und damit zurück zum Nasri-Skandälchen 2012 – weiter so, liebe Journaille: Tippt Euch moralinsauer die Finger wund, wenn ein sportlich belangloser Spiel nach einem verlorenen Spiel einen von Euch schwach von der Seite anredet. Es ist megawichtig und megaspannend und megaklug.
Montag, 25. Juni 2012 um 13:14
ZU FRANKREICH: Ist der Ruf erst ruiniert – Das Erbe der Ära Domenech
Es ist ein Beleg für die Substanzlosigkeit des Fußballfeuilletons, dass man die Zusammenhänge konsequent ignoriert und eine dumme Benimm-Story nach der anderen schreibt. Nun also über den – einst bei Arsenal gefeierten, aber auf Top-Niveau belanglosen – Schöndribbler Nasri.
Das sportliche Thema geht wie gewohnt unter: Frankreich ist bei der EM 2012 gegen Spanien chancenlos ausgeschieden, weil der überforderte Karim Bensema einen rabenschwarzen Abend hatte. Mit ihm in Best-Form und mit Fortune hätte man vielleicht eine kleine Chance gehabt. So kam aber kein Torschuss zustande.
Frankreich hat sich – Blanc sei Dank – bei der EM 2012 stabilisiert, die katastrophale Ära Raymond Domenech wirkt aber sichtbar nach. Domenech, zweifellos einer der unfähigsten Trainer, die jemals bei einem EM- bzw. WM-Turnier auf der Bank saßen, verdankte seinerzeit den unerklärbaren Rückhalt im französischen Verband offenbar persönlichen Seilschaften. Rückblick: Bereits bei der WM 2006 hatten die Führungsspieler nach der unterirdischen Vorrunde gegen ihn geputscht, denn Domenech hatte Zidane im letzten Vorrundenspiel ausgewechselt.
Danach muss etwas passiert sein, denn fortan spielte Frankreich wie früher und erreichte das Finale. So durfte Domenech weiter machen. Zidane, Makele und Co. traten ab – denen war’s also egal. Und die anderen hatte nicht das Standing gegen den Vizeweltmeister-Trainer Domenech. Der nahm sich fortan noch wichtiger und ließ Könner wie Trezeguet, Flamini und Mexes leichtfertig zuhause.
Dass es bei der WM 2010 wieder zur Rebellion kam, konnte keinen Sachverständigen ernsthaft überreaschen. Die heuchlerischen bzw. inkompetenten Journalisten berichteten nur über die Aufreger, fürs Sachliche gab es wie meist keinen Raum. Ist ja auch egal.
Also – und damit zurück zum Nasri-Skandälchen 2012 – weiter so, liebe Journaille: Tippt Euch moralinsauer die Finger wund, wenn ein sportlich belangloser Kicker nach einem verlorenen Spiel einen von Euch schwach von der Seite anredet. Es ist megawichtig und megaspannend und megaklug.
Montag, 25. Juni 2012 um 15:57
Das ist Satire, hoffe ich. Das Ausscheiden bzw die Niederlage allein an Benzema festzumachen ist schlicht idio- nee, megadämlich.
Dienstag, 26. Juni 2012 um 11:20
@ Manfred: Spanien war in allen Belangen überlegen. Frankreich, das wacker dagegen hielt, hätte nur eine Chance gehabt, wenn einer durch Einzelaktionen zu Torschüssen gekommen wäre und dabei glücklich getroffen hätte. Es gab sogar ein paar Situationen nach spanischen Ballverlusten aus denen etwas hätte resultieren können. Die einzige Offensivkraft im Zentrum, besagter Bensema, hätte an einem guten Tag den Lucky Punch setzen können. Er hatte aber einen schlechten Tag, verlor den Ball und schoss schlecht. Das war gemeint. Verstehst Du?