Am Grünen Tisch
Feuriges Finale
| Mittwoch, 12. Dezember 2012Die Presse beschäftigt sich weiterhin intensiv mit der bevorstehenden Sicherheitskonzept-Entscheidung
Claudio Catuogno (SZ) zeigt Verständnis für die aufgebrachten Gegensprecher: „DFB-Vertreter hatten sich vor gut einem Jahr mit Fangruppen an einen Tisch gesetzt und darüber beraten, ob es möglich wäre, Pyrotechnik in den Stadien zuzulassen – in kontrolliertem Rahmen, weil das unkontrollierte Abbrennen immer wieder schwere Verletzungen verursacht. Die DFB-Leute haben damit Hoffnungen geweckt, die sie nicht halten konnten. Als ihnen das bewusst wurde, brachen sie die Gespräche ab – und leugneten, je ernsthaft über das Thema verhandelt zu haben. Bis heute ist dieses Missverständnis nicht aus dem Weg geräumt, ist die Atmosphäre vergiftet. Da kam vielen Hardlinern in den Kurven das neue DFL- Sicherheitspapier gerade recht – als Beleg dafür, dass schon wieder über ihre Köpfe hinweg Fakten geschaffen werden sollen.“
Sie befürworten eine Denunziationskultur in den Kurven
Andreas Rüttenauer (taz) nimmt sich die Politiker zur Brust: „Für die Sicherheitsapologeten in der deutschen Politik ist alles ganz einfach. Sie wollen mit aller Macht die totale Kontrolle über die Stadien und sehen genüsslich dabei zu, wie aus lauter Angst vor Fangewalt, die sie selbst mit ihren Worten schüren, rechtsstaatliche Standards aufgeweicht werden, auf die eine Demokratie eigentlich stolz sein sollte. Sie befürworten eine Denunziationskultur in den Kurven, wollen Fanklubs mittels Kollektivbestrafungen den Stadionzutritt verwehren, wenn ein einziges Mitglied Mist gebaut hat, und finden es angebracht, wenn Sicherheitsdienste den Fans in den entblößten After schauen – es könnte ja darin Pyrotechnik ins Stadion geschmuggelt werden.“
Kurz vor der Sicherheitsdebatte wird Dynamo Dresden von der Teilnahme am DFB-Pokal im nächsten Jahr ausgeschlossen. Michael Horeni (FAZ) schüttelt fassungslos mit dem Kopf: „Dem Verein Dynamo Dresden wurde in Hannover kein Fehlverhalten nachgesagt, aber der ganze Klub wird wieder für Ausschreitungen einer Minderheit in Haftung genommen – was zu einer Solidarisierung der Fans gegen den Verband führt und eine Distanzierung von Gewalttätern erschwert. So differenziert sich die Fanszene und das Gewaltproblem auch in Dresden gestalten, so differenziert sollten auch die Urteile darüber ausfallen. Das DFB-Sportgericht verkündet sein Verdikt aber weiter aus einer selbstgewissen Höhe, mit der die Basis kaum zu erreichen ist.“
Jedes Volksfest ist gefährlicher
Christian Spiller (Zeit Online) geht lieber ins Fußballstadion als aufs Volksfest: „Selbst wenn man die kürzlich veröffentlichten umstrittenen, weil von der Polizei erstellten Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze als Grundlage nimmt, verwundert die derzeitige Sicherheitsdebatte. Zwar dokumentierte die ZIS im vergangenen Jahr 1.142 verletzte Personen, 7.298 Verhaftungen und 8.143 eingeleitete Strafverfahren rund um Spiele der 1. und 2. Bundesliga. Runtergebrochen auf die 18-wöchentlichen Großveranstaltungen mit jeweils meist mehreren Zehntausend Zuschauern bedeuten die Zahlen aber: Pro Spieltag gibt es in den Stadien der ersten und zweiten Liga 1,6 Verletzte. Oder: Nur etwa 0,005 Prozent der Stadiongänger werden verletzt. Jedes Volksfest, jeder Diskobesuch, jede Autofahrt ist demnach gefährlicher als der Besuch eines Fußballstadions.“
Udo Muras (Welt Online) blickt wehmütig zurück: „Brauchen wir die Ultras überhaupt? Macht Fußball nicht auch ohne sie Spaß? Und wie war es früher? Da haben sich die Zuschauer ganz einfach gefreut und geärgert, ohne dass ein Vorturner dafür ein Kommando gab. Nicht jeder von denen, die sich da im Fackelschein verausgaben, wird das Ergebnis hinterher kennen. Aber die „Performance“ hat gestimmt. Unsere Stadien sind so voll wie nie, aber sie werden zweckentfremdet. Früher war der Rasen die Bühne, heute sind es die Ränge. Früher kam Fußball auch ohne inszenierte Stimmung aus, da musste eben der vielzitierte Funke vom Platz auf die Ränge überspringen.“
Als müsste man gegen eine terroristische Vereinigung vorgehen
Philipp Kaiser (moz.de) versteht die ganze Aufregung nicht: „Ganzkörperdurchsuchung, Stehplatzverbot, Stadionausschluss per Sippenhaft – der Forderungskatalog liest sich, als müssten die Clubs gegen eine terroristische Vereinigung vorgehen und nicht gegen Fußball-Fans. Ja, die Pyromanen sind ein Problem, das es zu bekämpfen, besser zu bereden gilt. Aber deshalb den 99,5 Prozent friedliebenden Fußball-Freunden menschenunwürdige Handlungen aufzuzwingen, ist sinnlos.“
Kommentare
3 Kommentare zu “Feuriges Finale”
Mittwoch, 12. Dezember 2012 um 11:41
“ ERNST “ für wen ??
für die Kriminellen ? !!
doch sicher nicht für die echten und friedlichen
FANS
jeglichen Vereins !!!
Wer , wenn nicht Unfriedlich Gesinnte
sollten gegen jegliches Sicherheits-Konzept sein,
die selbst randalieren wollen ? !
Es ist doch eine Schande, dass es soweit erst kommen muss,
dass man – strenger Regeln – muss ,
WENN „Einsicht bei den Ultras“ denen ja die Negativ-Typen meist bekannt sind ,
diese eher decken . Aus falsch verstandener „Kameradschaft“ ;
95% sind doch friedliebende und echte Fans .
GlückAuf RUHRPOTT
Mittwoch, 12. Dezember 2012 um 11:51
[…] “indirekter freistoss” fasst die Positionen der Presse zusammen und stellt sie gegeneinander: Feuriges Finale […]
Mittwoch, 12. Dezember 2012 um 16:15
Wer nichts zu verbergen hat, kann sich ja ruhig in den After gucken lassen, oder wie soll man dich verstehen, Woki?
Das ist ja das Problem mit dem breiten Verständnis von Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen generell. Die Leute, die sich selber rechtschaffenheit attestieren, meinen, sie bräuchten ja nichts zu befürchten. Die Maßnahmen richten sich ja nur gegen die „Chaoten“.
Dass jeder noch so brave, unbescholtene Familienvater ™ genau so ins Überwachungsnetz gerät wie Beifang beim Fischen und genau so würdevoll wie eben dieser Beifang behandelt werden wird, wird dabei oftmals ausgeblendet.