indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Internationaler Fußball

Ein Prinz wehrt sich

Kai Butterweck | Montag, 7. Januar 2013 1 Kommentar

Der Rassismus-Eklat um den Mailänder Kevin-Prince Boateng schlägt in der Presse hohe Wellen

Sven Goldmann (Tagesspiegel) klatscht begeistert Beifall: „Natürlich ändert sich durch Boatengs stilsicheren Abgang allein erst einmal nichts. Die braunen Dumpfbacken werden weiter ihre Parolen grölen, aber am Donnerstag haben sie ein Stückchen der Meinungshoheit in den Stadien verloren. Der Donnerstag war ein Anfang, der weltweite Beifall muss und wird Nachahmer produzieren. Denn dass Rassismus ein Verbrechen ist, können kickende Popstars der schweigenden Mehrheit sehr viel eindrucksvoller vermitteln, als es Politiker oder Sozialarbeiter können.“

An einer nachhaltigen Besserung ist weiterhin zu zweifeln

Tom Mustroph (Zeit Online) zweifelt an einer möglichen Kettenreaktion: „Als Mario Balotelli während seiner Zeit bei Inter Mailand bei fast jedem Auswärtsspiel von den Rängen angegriffen wurde, setzte es zwar Geldstrafen für Vereine wie Juventus Turin. Das Phänomen aber verschwand nicht, Balotelli zog lieber nach England. Selbst der Versuch des Messina-Profis Marc Zoro, der vor acht Jahren bei einem Punktspiel gegen Inter wegen rassistischer Beleidigungen vom Feld stürmen wollte und nur vom massigen Adriano daran gehindert werden konnte, führte zu keinem Aufwachen. Und selbst wenn es jetzt einen Spieler des großen AC Mailand getroffen hat – an einer nachhaltigen Besserung ist weiterhin zu zweifeln.“

Frank Lamers (derwesten.de) hofft auf Besserung: „Für den italienischen Fußball liegt in diesem massiven Unmut gegenüber den rechtsradikalen Auswüchsen natürlich eine Chance. Er kann versuchen, endlich Veränderungen herbeizuführen. Veränderungen auf seinem kleinen Feld. Und mehr darf auch niemand nirgendwo vom Fußball erwarten. Er kann sich immer nur möglichst ehrbar darum bemühen, mit dem gut umzugehen, was zum Beispiel aus schlimmen Ängsten vor Konkurrenz durch die übers Mittelmeer ins Land eindringenden afrikanischen Flüchtlinge in Kombination mit dem Genuss bewusstseinstrübenden TV-Schwachsinns erwächst.“

Zuletzt liegt es aber auch an den Fans selbst

Jörg Römer (Spiegel Online) appelliert an die Fans: „Der Präsident des Fußballverbandes FIGC, Giancarlo Abete, hat bereits um ein Treffen mit Italiens Polizeichef Antonio Manganelli gebeten, um Maßnahmen gegen Rassismus in den Stadien zu erörtern. Abete will zudem die Zusammenarbeit zwischen Clubs und Sicherheitskräften verstärken. Zuletzt liegt es aber auch an den Fans selbst, gegen die Täter etwas zu unternehmen. Die Spieler des AC Mailand haben bereits ein Zeichen gesetzt.“

Christian Heimrich (fnp.de) blickt gespannt in die großen Stadien: „Endlich, schallt es zwischen den Zeilen hervor. Endlich zeigt jemand Courage, steht auf und wehrt sich. Das ist nicht nur ein Zeichen von Erleichterung. Das dokumentiert auch die große Verbitterung und Ratlosigkeit der bislang schweigenden Mehrheit über die Zustände in italienischen Stadien. Für ihren historischen Protest haben sich Kevin-Prince Boateng und seine Mitspieler ein Testspiel bei einem Viertligisten ausgesucht. Ein Anfang ist gemacht. Es bleibt abzuwarten, ob so viel Entschlossenheit auch in der Liga und auf europäischem Parkett demonstriert wird.“

Gebrandmarkter Provinzverein

Michael Jonas (noz.de) überbring dem italienischen Viertligisten Klub Pro Patria schlechte Nachrichten: „Der Verband auf dem Apennin geht rigoros gegen Spielverderber vor, ganz unterbinden kann er die Bosheiten nicht. Immer wieder sind es einige wenige Idioten, die Vereine in Verruf bringen. Dass nun ausgerechnet der unterklassige Klub Pro Patria eine große mediale Aufmerksamkeit erlangt, ist für den Provinzverein bitter. Sein Name wird unauslöschlich mit den schlimmen Vorfällen verbunden sein.“

freistoss des tages

Kommentare

1 Kommentar zu “Ein Prinz wehrt sich”

  1. HUKL
    Donnerstag, 10. Januar 2013 um 14:33

    Boateng und der Skandal!
    Ob es sich im oben genannten Fall gleich um einen Rassismus-Eklat gehandelt hat, sei dahingestellt. Das Interessante an die unschönen Geschichte ist aber, welche Wellen die Entgleisung einiger „Unbelehrbarer“ international schlägt und wer dazu seine Meinung abgibt.

    Der betroffene Spieler,Boateng, dessen in Bayern spielende Halbbruder in der Vergangenheit immer mal von den Unparteiischen ermahnt oder gar vorzeitig vom Platz geschickt wurde, hat in diesem unbedeutenden Übungs-spiel allerdings eine außergewöhnliche Entscheidung getroffen.

    Man sollte aber aus neutraler Sicht auch beurteilen, ob nur seine andere Hautfarbe Anlass zu diesen Beschimpfungen war oder seine auch in Deutschland bekannte ruppige Art sowie manch anderer Aktionen außerhalb des Rasens (wie Balotelli) die hässlichen Zurufe ausgelöst haben könnten.

    Mittlerweile tummelt sich in den verschiedensten europäischen Ligen eine Unmenge von Spielern auf dem Rasen der Stadien, die äußerlich etwas anders aussehen. Es wäre deshalb schlimm, wenn sich dieses Beispiel in der Zukunft ständig wiederholen würde…….

    Man muss schon deshalb etwas mehr aufpassen, wie solche besonders auffällig in der Öffentlichkeit behandelte Aktionen, die neulich auch in Chemnitz bei einem Pokalspiel gegen Dynamo Dresden vorkamen, bewertet werden.

    Mir ist aufgefallen, dass allein der mächtige Chef des Fußballweltverbandes FIFA, Blatter,
    die Handlung des „Geschädigten“ öffentlich kritisierte.

    Ausgerechnet Blatter, der seit Jahren die Korruptheit seines Verbandes mit allen Mitteln schützt und nur immer wiedergewählt wurde, weil bisher von außen die verkrusteten Strukturen seines Imperiums nicht aufzubrechen waren, hat das Aushängeschild des Deutschen Fußballs, Beckenbauer, am vergangenen Wochenende geehrt.

    Der Ausgezeichnete, der selbst für ein paar wenige Jahre Mitglied der Familie des Exekutivkomitees der FIFA war, die alle Weltmeisterschaften vergibt und für seinen Nachfolger, den heute „vereinslosen“ Theo Zwanziger seinen Sessel räumte, freute sich sehr darüber und dankte ihm mit den Worten:
    „es ist schön, dass du noch an mich gedacht hast!“

    Noch vor einem halben Jahr war allerdings diese Freundschaft von Vorwürfen überschattet, weil vom damaligen Chef und Freund aus der Schweiz Vorwürfe in Richtung Beckenbauer laut wurden, dass es bei der Vergabe der WM 2006 in Deutschland „unlautere Vorgänge gegeben haben soll“, wofür dieser verantwortlich war. Der „Kaiser“ und die Spitzen des DFB sowie der DFL wehrten sich dagegen vehement und forderten teilweise den sofortigen Rücktritt Blatters, der übrigens auch schon längst auf der Liste seiner Feinde von Bayern-Präsident Hoeneß steht.

    Es war deshalb auch nicht verwunderlich, die Auszeichnung für „außergewöhnliche Leistungen im Fußballsport“ aus den Händen des sonst überwiegend gehassten noch Familienoberhauptes aus der Schweiz nicht abgelehnt zu haben…

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

106 queries. 0,656 seconds.