Champions League
Wembley 2013 – Man spricht deutsch
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| Donnerstag, 2. Mai 2013Während sich Borussia Dortmund ins Finale zittert, triumphieren die Bayern auch in Barcelona
Trotz der Rückspielniederlage gegen Real Madrid, zieht Borussia Dortmund ins Finale der Champions League ein. Frank Hellmann (FR) reist in die Gedankenwelt des Roman Weidenfelder: „Direkt nach dem 0:2 im Zitterspiel ließ sich der 32-jährige Rückhalt rücklings auf den Rasen fallen und blieb dort lange, lange liegen. Er wollte sich auch nicht unter die Abertausende BVB-Fans mischen, die rund um die Plaza Mayor und Plaza del Sol die Nacht zum Tage machten. Weidenfeller kennt sich eben auch mit dem Kater am Borsigplatz aus. Die aus den Verlockungen der Königsklasse resultierende Großmannssucht und der Verschwendungswahn hat ihn auch den Abstiegskampf erleben lassen. Und es liegt keine Lichtjahre zurück, dass die Westfalen mit teuren Stars dem internationalen Geldadel zu trotzen gedachten. Dass nun eine immer noch unverbraucht wirkende, weitgehend allürenfreie Rasselbande den Galaktischen das finale Stoppschild setzte, erfüllte die schwarz-gelben Helden mit Stolz.“
„State oft he Art“ des Weltfußballs
Daniel Theweleit (taz) hievt den BVB auf den Thron: „Vor der Party kreiste die Debatte um die spannende Frage, ob der BVB immer noch dieser Außenseiter ist, als der er sich gerne selbst betrachtet. Oder ist es in Wahrheit eher so, dass dieser Klub, mit dieser Mannschaft, diesem Trainer, diesem Publikum und diesem Stil den „State of the Art“ des Weltfußballs repräsentiert? Denn Real wirkte mit dem großen Cristiano Ronaldo, mit Mesut Özil, Sami Khedira und all den anderen Weltstars wie schon in den beiden Partien der Gruppenphase in vielen Phasen überfordert von diesem BVB. Und der FC Bayern ist derzeit bekanntlich nur so stark, weil entscheidende Elemente wie die bedingungslose Defensivarbeit aller zehn Feldspieler, das rasante Umschalten und das aggressive Gegenpressing vom BVB übernommen wurden.“
Dominik Prantl (SZ) kramt im Archiv der Königlichen: „Alle hatten es vor dem Anpfiff beschworen, die Dortmunder als Drohung, Madrid als Motivationshilfe: Drei Mal schon hat Real in den vergangenen 40 Jahren auf europäischem Parkett einen Rückstand von drei Toren oder mehr aufgeholt, in den Siebziger und Achtziger Jahren gegen Derby County, Anderlecht und Mönchengladbach. Aber Dortmund 2013 ist eben nicht Derby County, Anderlecht und Mönchengladbach aus dem Mittelalter des Fußballs. Der deutsche Meister der vergangenen beiden Jahre ist gereift; er kann jetzt mehr als nur gnadenlosen Sturm und Drang.“
Produkt eines gesunden Wachstums
Martin Beils (RP Online)versetzt Althelden wie Lars Ricken und Karl-Heinz Riedle ins zweite Glied: „Die Dortmunder erreichen den vorläufigen Gipfel einer Entwicklung, auf der zwei Meistertitel und – im vergangenen Jahr auch noch der eindrucksvolle Pokalsieg – als Zwischenstationen lagen. Die Endspiel-Teilnahme am 25. Mai 2013 ist noch höher einzuschätzen als die vor 16 Jahren im Münchner Olympiastadion gegen Juventus Turin. Der aktuelle Erfolg ist das Produkt eines gesunden Wachstums im wirtschaftlichen wie im sportlichen Segment. Erdacht, entwickelt, erarbeitet – wie mit deutscher Ingenieurkunst.“
Michael Jonas (02elf.net)outet sich als Partybremse: „Das Dilemma des Emporkömmlings aus der Bierstadt geht einher mit seiner Stärke – die Mannschaft hat zu viele gute Einzelspieler. Und die suchen noch größere Herausforderungen. Sie werden das eigene Team schwächen und die Konkurrenz stärken – wie Bayern-Zugang Götze oder der abtrünnige Lewandowski. Und was ist mit dem Trainer? Anfragen großer Clubs werden kommen. Der BVB hat Wahnsinniges geleistet, aber er steht vor dem Zerfall. Insofern wird eine Verschiebung der Machtverhältnisse im europäischen Fußball durch Schwarz-Gelb nicht gegeben sein.“
Glück? Von wegen!
Matthias Becker (sport1.de) geht energisch dazwischen: „Unkenrufe, dass Finale von Wembley könnte das letzte große Hurra dieser bemerkenswerten BVB-Mannschaft sein, sind unangebracht. Natürlich verlassen mit Mario Götze und früher oder später auch Robert Lewandowski zwei Schlüsselspieler den Verein. Und auch Mats Hummels ist durch seine überragende Vorstellung gegen Real für internationale Top-Klubs sicher nicht uninteressanter geworden. Aber wo die Struktur der Mannschaft und des Klubs stimmt, lassen sich auch einzelne Bausteine ersetzen, wie die Beispiele von Nuri Sahin und Shinji Kagawa belegen.“
Totale Entschlossenheit
Im Gegensatz zum BVB erspart der FC Bayern seinen Fans das große Zittern. Jonas Beckenkamp (SZ) lehnt sich bereits kurz nach dem Anpfiff entspannt in den Sessel: „Ob die bemitleidenswerten Katalanen weiterhin die besten des Erdballs sind, sei dahingestellt – aber wie die Münchner an diesem lockerleichten Abend ins Finale spazierten, war bemerkenswert. Dass Barcelona durch den Ausfall von Lionel Messi quasi schon vor Anpfiff geschlagen schien: geschenkt. Gegen diese Bayern hätten wohl auch vier Messis und ein paar Fußballgötter nicht gereicht. Von der ersten Sekunde des Spiels an stülpte die Elf von Jupp Heynckes den hilflosen Gastgebern einfach ihre totale Entschlossenheit über.“
Andreas Rüttenauer (taz) wirft Fragen in den Raum: „Ein Fernvergleich drängt sich auf. War Dortmund die beste Mannschaft im Halbfinale oder waren es die Bayern? Die mussten jedenfalls nicht zittern, haben nicht nur Vereins- sonder Fußballgeschichte geschrieben, indem sie die Ära einer großen Mannschaft beendet haben. Aber gewinnen sie deshalb das Finale? In Barcelona wird man sagen: klar. Nun ja. Und gibt es jetzt die ganz große deutsche Dominanz im europäischen Fußball? Die Bayern werden wohl ganz oben mitspielen. Dortmund muss erst mal Ersatz für Götze und wahrscheinlich Lewandoski finden. Und dahinter kommt eh lange nichts. Die Bundesliga die stärkste Liga der Welt? Vergessen wir es!“
Sie lernten aus der Havarie an der WM 1998
Stefan Osterhaus (NZZ Online) lobt die Entwicklung im deutschen Fußball: „Technisch sind die Deutschen mittlerweile auf der Höhe. Sie lernten aus der Havarie an der WM 1998, als alternde Stars scheiterten und weit und breit kein Nachwuchs in Sicht war. Ein Nachwuchskonzept, angelehnt an das französische Vorbild, rückte die technische Ausbildung der Fußballer in den Fokus. Mats Hummels, Thomas Müller, Mario Götze, Marco Reus und auch Ilkay Gündogan sind das Ergebnis dieser Entwicklung. Taktisch fügen sich diese Techniker in jedes Konzept. Und dazu kommt noch die deutsche Note: Die Bayern interpretieren den Fußball, den Heynckes ihnen propagiert, mit gusseiserner Robustheit, der der FC Barcelona auch im Rückspiel nicht gewachsen war. Diese Münchner sind gegenwärtig das Ideal eines erfolgsorientierten Fußballteams.“
Florian Haupt (Welt Online) blickt sorgenfrei in die Zukunft: „Der Fußball verläuft in Zyklen, und vieles spricht dafür, dass auf die langen Jahre der Erfolglosigkeit, ja bisweilen der Rückständigkeit jetzt einige fette Jahre folgen. Die boomende Bundesliga, gefüttert von einer soliden Wirtschaft und der Popularität des Fußballs. Die optimierten Strukturen der Vereine, die gute Arbeit der Trainer, der permanente Nachschub an exzellent ausgebildeten Jugendspielern. Borussia Dortmund hat eine junge Mannschaft, die immer noch eher am Anfang ihrer Entwicklung steht. Die Bayern haben eine Elf auf dem Zenit – auch mit einigen noch sehr jungen Spielern und außerdem genügend Geld, jederzeit hochkarätig aufzufrischen.“