Deutsche Elf
Nationalelf – Ohne große Worte zum Titel?
| Montag, 14. Oktober 2013Wieder einmal sichert sich das DFB-Team ohne größere Probleme das Ticket für ein großes Turnier. Dennoch halten die Verantwortlichen den Ball flach
Trotz einer bislang tadellosen WM-Qualifikation hält sich die Euphorie im deutschen Kader in Grenzen. Peter Ahrens (Spiegel Online) gefällt das: „Diese WM-Qualifikation der DFB-Mannschaft war ein souveräner Vortrag. Niemand wird das anzweifeln. Und dennoch ist von Euphorie, die man angesichts dieser Eckwerte erwarten dürfte, derzeit überraschend wenig zu spüren. Die vermeintlich unerschütterliche Selbstsicherheit, die die Nationalmannschaft vor der EM 2012 nach außen zur Schau getragen hat, ist gewichen. Sie hat Nüchternheit Platz gemacht, einer gewissen Vorsicht, auch Misstrauen, Siegen gegen Österreich oder Irland vor Turnieren große Bedeutung beizumessen. Den Erfolgsaussichten in Brasilien kann das nur guttun.“
Unberechenbarer Aktivposten
Nach dem Sieg gegen Irland trabt André Schürrle als einer der Matchwinner des Abends vom Platz. Michael Ashelm (FAS) begleitet den Wahl-Engländer mit Applaus in die Kabine: „Das Turnier in Brasilien, der angestrebte Titel, die Anzahl guter Offensivspielern innerhalb der deutschen Auswahl wird den Druck auch auf Schürrle in nächster Zeit weiter erhöhen. Da konnte ihn mehr als zufriedenstellen, dass er nach dem Irland-Spiel zu denjenigen im Team gehörte, die wichtige Pluspunkte sammelten. Nicht nur sein Treffer nach einem Dreher um die eigene Achse im Strafraum bewies Kaltschnäuzigkeit, auch die vielen Tempodribblings von der linken Seite überzeugten, dazu erspielte er sich weitere gute Torchancen. Schürrle fiel als unberechenbarer Aktivposten auf. So gut war er lange nicht mehr im Nationalteam.“
Philipp Selldorf (SZ) lobt die Entwicklung des Bundestrainers: „Vorbehalte gegen Löw gehen vor allem auf das Halbfinale der EM 2012 zurück, als sein eitel anmutender strategischer Masterplan scheiterte und er tatenlos zusah, wie seine Irrtümer und Versäumnisse zur Niederlage gegen Italien führten. Löws lähmende Verzweiflung am Spielfeldrand schien den Verdacht zu bestätigen, der schon beim seltsam kraftlosen Auftritt gegen Spanien bei der WM 2010 aufkam: dass er kein guter Turnier-Trainer sei, der auf heikle Wendungen entschlossen und wirkungsvoll zu reagieren weiß. Mit diesem Verdacht muss er vorerst leben, aber es gibt Zeichen, dass er aus der Einsicht in seine Schwächen gelernt hat. Das betrifft weniger die Ordnung des Teams im Spiel, sondern seine in früheren Jahren allzu verhaltene öffentliche Kommunikation, die oft den Anschein von Konfliktscheue und sogar Feigheit hatte. Hier ist Löw zuletzt klarer und bestimmter aufgetreten.“
Wie abgeschnitten vom deutschen Spiel
Trotz seines Treffers schleicht Mesut Özil wie ein getretener Hund vom Platz. Christian Spiller (Zeit Online) weiß, warum: „Zum 50. Mal trug Özil das DFB-Trikot. Es hätte sein Tag werden können. Doch Joachim Löw entschied sich, Özil ein Geschenk zu machen, das der am liebsten schnell wieder umgetauscht hätte: Özil musste den falschen Neuner geben und tat sich dabei schwer. Das Spiel lief, wie es im Fußballjargon ganz treffend heißt, an ihm vorbei. Özil musste sich den Ball oft aus dem Mittelfeld holen und Löw erkennen, dass Özil mit dem Rücken zum Tor um seine Stärken gebracht wird: die Spielintelligenz, das Auge für den Vorwärtspass, die Leichtfüßigkeit im Dribbling. So wirkte Özil wie abgeschnitten vom deutschen Spiel.“
Ein anderer Spieler trumpft dagegen umso mehr auf: Philipp Lahm. Lisa Sonnabend (SZ) ist entzückt: „Der 29-Jährige half beim Verteidigen ebenso wie beim Vorbereiten von Chancen jenseits der Mittellinie. Mal schickte er Özil einen Ball mit, mal Schweinsteiger, mal Khedira, der dank Lahms kluger Zuarbeit den Führungstreffer erzielte. Mal flankte Lahm mit Gefühl, mal spielte er einen schnellen Pass. Mal nahm er einen Ball in der Luft an, es sah so aus, als würde er einen Moment lang schweben. Mal nahm er dem Gegner den Ball ab, so dass dieser mit Schwindelgefühl zurückblieb – immer schien der Kapitän einen Gedankengang voraus zu sein. In Köln – daran bestand kein Zweifel – war dieser Lahm mit Abstand der beste Spieler auf dem Platz.“
Neben Philipp Lahm glänzt auch Bayern-Kollege Toni Kross. Christian Kamp (FAZ) hat dennoch schlechte Nachrichten für den gebürtigen Greifswalder: „Kroos war so gut, dass man sich kaum vorstellen mag, dass er seinen Platz in der Startelf demnächst wieder verlieren könnte – ist aber gut möglich. Natürlich war Löws Testlauf gegen Irland in hohem Maße aus der Not heraus geboren, weil ihm etliche Stammkräfte fehlten. Und auch wenn sich der Bundestrainer schon länger mit Gedankenspielen in Richtung „falscher Neuner“ beschäftigt: Wenn Miroslav Klose seine Verletzung auskuriert hat, wird an ihm als einzigem Stürmer kaum ein Weg vorbeigehen, Özil würde wieder ins zentrale Mittelfeld rücken. Für Kroos wäre dann kein Platz mehr – es sei denn, man stellte Khedira oder Schweinsteiger zur Disposition.“
Jan Christian Müller (FR) blickt in die Zukunft und scharrt dabei mit den Hufen: „Dienstag also Schweden (Achtung: offene Rechnung aus dem vergangenen Herbst!), am 15. November Italien in Mailand (Achtung: offene Rechnung aus dem vergangenen Sommer!), am 19. November die Engländer – so diese sich morgen gegen Polen qualifizieren – im Londoner Wembleystadion: Die drei Gegner zum Jahresausklang, allesamt auf fremden Terrain, werden die deutsche Mannschaft ganz anders herausfordern, als dies die konsequent nur den eigenen Strafraum verteidigenden Iren getan hatten.“
Das klingt gut – und mutig
Lars Gartenschläger (Welt Online) fordert den Titel: „Als Ziel haben einige Spieler und auch der Bundestrainer den Gewinn des WM-Titels ausgegeben. Das klingt gut – und mutig. Aber sie sollten wissen, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem die Spieler auch mal liefern müssen. Nach mehreren vergeblichen Anläufen in der jüngsten Vergangenheit ist es an der Zeit, dass die individuelle Qualität, die eine deutsche Nationalmannschaft so in dieser Form noch nie besessen hat, endlich zielführend gebündelt wird. Natürlich wird die Konkurrenz in Brasilien groß sein. Aber das darf die Spieler nicht davon abhalten, im entscheidenden Moment endlich den Nachweis zu liefern, dass sie nicht immer nur das Nachsehen haben, wenn es um die Titelvergabe geht.“
Kommentare
2 Kommentare zu “Nationalelf – Ohne große Worte zum Titel?”
Mittwoch, 23. Oktober 2013 um 12:58
Jüngst hat auch Löw selbst die hohe Erwartungshaltung der Fans kritisiert:
„Man hat das Gefühl, dass es nichts anderes als den WM-Titel für uns gibt. Das finde ich den anderen Nationen gegenüber ein bisschen despektierlich. Andere Teams haben auch eine immense Qualität. Es ist falsch zu glauben, dass Deutschland zur WM fährt und wie selbstverständlich den Titel holen wird.“
Man ist also sehr darauf bedacht, den Ball flach zu halten. Man weiß, dass nach der guten Entwicklung und spielerischen Leistung unserer DFB-Kicker die Zeit für einen neuen Titel längst reif ist, doch fürchtet man sich offensichtlich vor einem erneuten Scheitern. Und dann wird der Gewinn des Spiels um Platz 3 wieder als Erfolg hingestellt und Fans sind verständlicherweise enttäuscht und rufen nach einer Ablösung Löws.
Klar ist, dass es für die DFB-Elf in Brasilien nicht einfach wird. Das Klima, der Heimvorteil der südamerikanischen Mannschaften, die hohe Erwartungshaltung. Es braucht nur ein knapp verlorenes Spiel in der K.o.-Runde und der Traum vom vierten WM-Titel wäre dahin.
Ich allerdings habe ein ganz gutes Gefühl. Und sollte es auch dieses Mal nicht klappen, dann wäre es langsam Zeit für Löw den Hut zu ziehen – wie übrigens auch nach einem Gewinn der WM. Mit einem besseren Geschenk für Fußball-Deutschland könnte er sich kaum verabschieden.
Doch Löw sieht das anscheinend etwas entspannter: „Sollten wir in der Vorrunde ausscheiden und ohne Punkt nach Hause fahren, gibt es keine Basis mehr für eine Zusammenarbeit.“
Samstag, 23. November 2013 um 18:29
Ich fand die letzten Testspiele gegen Italien und England haben gezeigt, dass es Deutschland mit den „großen“ Fussballnationen aufnehmen kann. Besonders das Spiel gegen England hat auch gezeigt, dass die deutsche Nationalelf eine enorme Tiefe im Kader hat – ich glaube eine solche Tiefe hat keine andere Mannschaft, die ein Mitfavorit bei der WM sein wird. Ich hoffe das Beste und das wir wirklich den Titel holen im nächsten Jahr in Brasilien!