Bundesliga
Phantomtor – Was tun?
| Montag, 21. Oktober 2013Der Aufreger des Spieltages ist ein Treffer, der keiner war. Die Presse beschäftigt sich intensiv mit dem Phantomtor von Hoffenheim
In Hoffenheim setzt der Leverkusener Stefan Kießling zu einem wuchtigen Kopfball an. Der Ball schlüpft durch ein Loch im Außennetz ins Torinnere. Klarer Fall: Abstoß für Hoffenheim. Doch Sekunden später zeigt Schiedsrichter Felix Brych auf den Anstoßpunkt. Seine Wahrnehmung: Tor für Leverkusen. Christoph Ruf (Spiegel Online) nimmt den Referee in Schutz: „Bedauerlich ist es, dass mit Brych einer der besten deutschen Schiedsrichter nun als Depp dasteht. Und das nicht zuletzt deshalb, weil ein paar realitätsfremde Funktionäre den Schiedsrichtern die technischen Möglichkeiten vorenthalten, die jeder Fernsehzuschauer und jeder Smartphone-Besitzer hat. Denn mit jeder weiteren Wiederholung, mit jeder Nahaufnahme wird sich Fußball-Deutschland fragen, wie der Schiedsrichter eine solche Fehlentscheidung treffen konnte.“
Zu offensichtlich
Daniel Schneider (HNA) rüffelt den Leverkusener „Toschützen“: „Zu offensichtlich war der Fehler, den Schiedsrichter Felix Brych auch eingesehen hat. Aber die Schuld liegt nicht allein bei ihm. Warum sagte ihm Stefan Kießling nicht, dass der Ball neben das Tor ging? Das wäre Fair Play gewesen. Schade, dass der Stürmer, der so gern in der Nationalmannschaft spielen würde, auf diese Gelegenheit verzichtet hat.“
Frank Lamers (derwesten.de) hingegen zeigt Verständnis: „Für den Stürmer Stefan Kießling müssen Treffer, Siege und Kanone im Vordergrund stehen. Er spielt vor zehntausenden Menschen in wahnwitzig aufgeheizter Stadionatmosphäre und weiß, dass mit seinem Erfolg über die sportliche und wirtschaftliche Zukunft seines Arbeitgebers entschieden werden kann. Deshalb sagt er dann nach einem Tor, das gar kein Tor war , eben nicht die Wahrheit. Die für diesen Fall durchaus wünschenswerte Möglichkeit zur Heiligsprechung schließt das aus. Zur Verteufelung besteht aber auch kein Anlass. Kießling ist schließlich unter den Druckbedingungen fehlbar geworden , die in seinem mit brutaler Ernsthaftigkeit betriebenen Gewerbe üblich sind. Und an der Erzeugung der Bedingungen haben viele Anteil. Unter dem Strich: alle Freunde dieses Fußballs.“
Florian Teichert (goal.com) nimmt Stefan Kießling ebenfalls aus der Schusslinie: „Hätte der Leverkusener von sich aus sagen sollen, dass der Ball nicht drin war? Warum sollte er – sicher konnte er sich nach den ausbleibenden Reaktionen von allen Seiten auch nicht mehr sein. Ein Knick in der Optik? Hier ist es durchaus vorstellbar, dass Kießling sich nicht mehr zu 100 Prozent gewiss war, was überhaupt passiert ist, wie seine Aussagen nach Spielende auch nahelegen. Hätte Kießling bewusst gelogen, könnte man ihm fehlendes Fair Play vorwerfen. So wie damals Oliver Held vom FC Schalke 04, der mit seinem Handspiel auf der Linie dafür sorgte, dass Köln keinen Elfmeter bekam und somit aus der Liga abstieg. Stefan Kießling ist hier absolut kein Vorwurf zu machen – zumindest sollte er nicht in eine Schublade mit Schwalbenkönigen gesteckt werden!“
Der Pfiff gilt, sei er noch so absurd
Thomas Kistner (SZ) fordert den Videobeweis: „Das Phantomtor hat das Potenzial, die mysteriöse Motivlage ans Licht zu holen, die die Fifa daran hindert, den Videobeweis einzuführen, während sie zugleich dem Referee päpstliche Befugnis gibt: Unfehlbarkeit. Sein Pfiff gilt, sei er noch so absurd. Sollte der DFB die Tatsachenentscheidung kassieren und ein Wiederholungsspiel verfügen, dürfte ihm die Fifa mit dem WM-Ausschluss drohen. Dann würde der DFB wohl den eigenen Spruch wieder kassieren – die WM in Brasilien hätte Vorfahrt vor Hoffenheim. Die Verantwortung für diese Groteske aber läge bei der Fifa. Die keine Argumente dafür hat, warum unerträgliche Fehler, jenseits jeden Irrtums, einem Spielteilnehmer aufzubürden sind. Warum gibt es keine Gerechtigkeit, wo sie mühelos herzustellen wäre? Wo bleibt der Fairplay-Gedanke?“
Ein Wink von der Seitenlinie hätte allen geholfen
Tobias Rabe (FAZ) schließt sich an: „In der ganzen Debatte gibt es nur einen Gewinner: die Hersteller von technischen Hilfsmitteln. Nach jahrelanger Abwehr öffnete sich die Fifa zuletzt und wird bei der Klub-WM im Dezember, und bei der Weltmeisterschaft im Sommer 2014 Torlinientechnik der deutschen Firma Goal Control einsetzen. Auch die englische Premier League nutzt schon Hilfe von außen. In der Bundesliga blieb die Technik bisher außen vor. Wäre dem nicht so, gäbe es nun keine Debatte. Die Fernsehzuschauer wussten schon nach weniger als einer Minute, dass das vermeintliche Tor für Leverkusen kein reguläres Tor war. Brych aber stand ratlos am Mittelkreis mit Kießling. Ein Wink von der Seitenlinie mit der schnellen Aufklärung hätte allen geholfen. Es wird Zeit für technische Hilfe auch in der Bundesliga.“
Frank Nägele (ksta.de) schüttelt verzweifelt den Kopf: „Was jetzt kommt ist klar: Einspruch gegen die Spielwertung. Die gefühlte Unechtheit der aktuellen Tabelle. Ein Schiedsspruch mit großem Brimborium, der eigentlich nur so lauten kann wie der bei Thomas Helmer Phantomtor damals für den FC Bayern: Spielwiederholung. Alles andere würde die Sache noch schlimmer machen. Das ist peinlich. Und die, die gar nicht so viel dafür können, weil sie auf dem Platz kein Fernsehbild hatten, müssen sich jetzt wie die Schuldigen fühlen.“
Kommentare
1 Kommentar zu “Phantomtor – Was tun?”
Montag, 21. Oktober 2013 um 20:42
Christoph Ruf(Spiegel Online), D.Schneider (HNA), T. Rabe (FAZ)sowie F. Nägele(ksta.de) haben aus meiner Sicht alles richtig erkannt und klar ausgedrückt!
Dass ausgerechnet T. Kistner als (leider einer der wenigen) leidenschaftlicher „FIFA-Jäger“ ausgerechnet vor diesen Herren des Dachverbandes etwas einknickt, weil diese an eventuelle Folgehandlungen denken könnten, bin ich sprachlos!
Von der ARD schaute ich mir deshalb nochmals in Ruhe diesen Link an: „ardmediathek/die FIFA-Mafia-Strippenzieher und Profiteure….“
Dabei stelle ich mir bildlich vor, welcher der Herren das „Phantom-Tor“ dann zu bewerten hätte, vielleicht Dr. Zwanziger,oder?
Zu obiger Torangelegenheit gäbe es eigentlich nichts mehr zu berichten, außer:
schade, dass ausgerechnet der bisher immer sympathische Kiesling zum zufälligen, insgesamt eigentlich eher traurigen, „Opfer-Helden“ wurde!