WM 2014
WM 2014 – Safety first?
| Dienstag, 10. Juni 2014Am Donnerstag beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Neben sportlichen Einschätzungen beschäftigt sich die Presse vor allem mit dem Thema Sicherheit. Außerdem: Erste Eindrücke aus den Mannschaftsquartieren und Franz Beckenbauer am Katar-Pranger
Nach den teils schweren Ausschreitungen in den vergangenen Monaten, machen sich viele WM-Experten große Sorgen um die Sicherheit während des Turniers. Streiks und Blockaden sorgen in vielen brasilianischen Großstädten für eine fragile Infrastruktur. Philipp Lichterbeck (Tagesspiegel) hofft auf schnelle Tore der Seleção: „Die Stimmung oszilliert zwischen dem Zorn auf die Politik sowie die Fifa und der Vorfreude auf den Fußball. Von Euphorie ist bisher aber wenig zu spüren. Das mag sich ändern, sobald die brasilianische Nationalmannschaft die ersten Tore schießt. Sollten die Brasilianer allerdings schon vor dem Halbfinale ausscheiden, könnte sich die angestaute Wut Bahn brechen. Viele werden sich fragen: Für wen oder was haben wir eigentlich die Kosten und Zumutungen auf uns genommen?“
Im Privaten haben die Brasilianer ihren Frieden längst gefunden
David Klaubert (FAS) beruhigt die Gemüter: „Die Entwicklungen des vergangenen Jahres mögen die Liebe erschüttert haben, so dass die Menschen sie nicht selbstsicher und überschwänglich wie sonst nach außen tragen. Im Privaten aber haben sie ihren Frieden längst gefunden. Das Panini-Bildchen-Fieber quer durch alle Altersstufen ist schon abgeflacht, weil viele Alben gefüllt sind. Der Verkauf von Fernsehern ist stark gestiegen, Fußball schauen Brasilianer traditionell mit Familie und Freunden zu Hause. Und inzwischen färben sich auch ganze Straßenzüge gelb und grün. Anspannung und Vorfreude vieler lassen kaum Zweifel, dass die Brasilianer ihre Seleção anfeuern und feiern werden, wenn erst einmal der Ball rollt. Oder auspfeifen, das gab es bei früheren Turnieren auch schon. Aber wie in der Liebe eben: nicht ohne Leidenschaft.“
Sven Goldmann (Tagesspiegel) stellt sich auf die Seite der Protestierenden: „Wenn denn die vielen Skandale rund um die Organisation des größten Sportereignisses der Welt für etwas gut waren, dann für die Emanzipierung der Bevölkerung von der herrschenden Klasse. Dass in Brasilien die Korruption regiert und zu wenig in Bildung und Gesundheit investiert wird, war lange bekannt. Aber erst die Fußball-WM mit ihren gigantischen Investitionen in völlig überdimensionierte Prestigeprojekte hat die Wut erzeugt und damit die Kraft, gegen dieses System aufzubegehren.“
Um ihre Spezialeinheiten auf die Weltmeisterschaft vorzubereiten, schickte Brasilien im Jahr 2013 eine Gruppe von Elitepolizisten für zwei Wochen nach Deutschland, um sich von SEK-Beamten schulen zu lassen. Martin Kaul (taz) ist froh, wenn er nicht zwischen die Fronten gerät: „Brasilianische Polizisten gelten als besonders brutal und aufgrund ihrer schlechten Bezahlung als extrem anfällig für Korruption; weite Teile der brasilianischen Bevölkerung fürchten die Polizei daher. Die Spezialeinheit „BOPE“ interveniert unter anderem, wenn es zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen in den Armenvierteln der großen Metropolen kommt. Bereits das Wappen der „Einheit für besondere Operationen“ spricht eine deutliche Sprache: Es besteht aus einem Totenkopf, durch dessen Schädeldecke ein Messer gerammt ist. Im Hintergrund sind zwei gekreuzte Pistolen zu sehen.“
Ungezwungene Freude
Neben der Sicherheit rücken dieser Tage auch immer mehr sportliche Themen in den Fokus. Wie liefen die letzten Spiele? Wer schlägt wo sein Quartier auf? Lars Wallrodt (Welt Online)besucht das deutsche Lager in Santo André: „Den deutschen Spielern wehte rund um das Campo Bahia eine ungezwungene Freude entgegen, auch wenn der Kontakt zu den Einheimischen rudimentär blieb. An jedem zweiten Strommast sind die deutschen Farben angepinselt, die übrigen sind patriotisch grün und gelb gestrichen. Das Dorf hat sich aufgehübscht – so gut es geht. So ein bedeutendes Ereignis wie den Einzug der deutschen Mannschaft hat es nicht mehr gegeben, seit der portugiesische Seefahrer Pedro Alvares Cabral hier im Jahr 1500 an Land ging und als erster Europäer brasilianischen Boden betrat.“
Neymar hat aus dem Fenster gewinkt
Christian Hackl (derstandard.at) berichtet aus dem Trainingslager der brasilianischen Nationalmannschaft: „Der Stützpunkt (Teresópolis) ist logischerweise streng bewacht und alarmgesichert. Er wird von hunderten, in gelben Nationaltrikots gekleideten Fans, um- und belagert. Als zu Mittag der Bus mit der Seleção angekommen ist (wie üblich in Brasilien verspätet), frage nicht, Hysterie pur. Neymar hat aus dem Fenster gewinkt. Für die einheimischen Journalisten, es sind mehr als sehr viele, wurde neben einem der Trainingsplätze ein riesiges Zelt hingestellt, das rund um die Uhr geöffnet hat. Zu interessieren hat, was übertragen wird. Hulks Stangenschuss nach den Aufwärmübungen reicht fürs Hauptabendprogramm allemal.“
Englisch? Französisch? Deutsch? Italienisch? In Brasilien beherrschen nur die Wenigsten eine der gängigen Fremdsprachen. Tjerk Brühwiller (NZZ) beschäftigt sich mit Kommunikationsproblemen: „Viele lieben es, im Ausland ihre Fremdsprachenkenntnisse unter Beweis zu stellen. In Brasilien kommt man dabei so richtig auf seine Kosten. Die unzähligen Touristen aus aller Welt werden an der WM in Brasilien keine Gelegenheit verpassen, um ihre Portugiesisch-Kenntnisse anwenden zu können. Mit Fremdsprachen tun sich die Brasilianer nämlich ziemlich schwer. Schon bei der Beschriftung der zweisprachigen Ortsschilder entstanden die ersten Probleme. Da schlichen sich Fehler ein, die ganz deutlich machten, dass kaum einer ein Wort dessen versteht, was da auf Englisch geschrieben steht. Etliche Ortsschilder kursierten nach ihrer Installation im Internet und wurden zur Lachnummer. Zum Beispiel ein Wegweiser in Brasilia, der zu den Hotels in der Nordzone führt, jedoch mit “Southern Hotel Sector” angeschrieben ist.“
Noch gibt es keine Belege für Geldtransfers oder sonstige Deals
Nicht nur rund um die WM in Brasilien wird seit Monaten über dunkle Schatten abseits des Rasens diskutiert; viele Experten blicken bereits nach vorne und haben dabei vor allem die WM 2022 in Katar im Visier. Nun soll auch Deutschlands Fußball-Legende Franz Beckenbauer in Korruptionsmachenschaften verstrickt sein. Jens Weinreich (Spiegel Online)tappt noch im Dunkeln: „Franz Beckenbauer war von 2007 bis 2011 Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich in den umfangreichen Unterlagen, die der „Sunday Times“ vorliegen und die das Korruptionssystem des langjährigen Fifa-Exekutivmitglieds Mohammed Bin Hammam (Katar) belegen, auch 18 Vorgänge befinden, in denen Beckenbauer und sein Berater und Freund Fedor Radmann erwähnt werden. Allerdings gibt es, anders als in vielen Dutzend anderen Fällen, die dokumentiert sind, bei Beckenbauer keine Belege für Geldtransfers oder sonstige Deals.“
Der US-Staatsanwalt Michael Garcia ist Chefermittler der Fifa-Ethikkommission. Monatelang ist er um die Welt gereist, um Fußball-Funktionäre zu verhören. Am Mittwoch beim Fifa-Kongress in Brasilien wird er seine Rede halten. Tim Röhn (Welt Online) ist gespannt: „Kennt er die Namen jener, die Geld für ihre Stimme annahmen? Weiß er, ob Katar die WM gekauft hat? Und wie die Wahl Russlands als WM-Gastgeber 2018 zustande kam? Was wird er verraten? Einige Fußballfunktionäre dürften die Rede mit zittrigen Händen verfolgen. Sie sind genervt, sie fürchten sich. Franz Beckenbauer ist offenbar der Meinung, er habe mit alldem nichts zu tun.“
Kommentare
1 Kommentar zu “WM 2014 – Safety first?”
Dienstag, 10. Juni 2014 um 14:36
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