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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2014

WM 2014 – Spanien am Boden

Kai Butterweck | Donnerstag, 19. Juni 2014 1 Kommentar

Wer hätte das gedacht? Nach der Niederlage gegen Chile verabschiedet sich der amtierende Weltmeister Spanien bereits vorzeitig aus dem Turnier. Außerdem: Träge Afrikaner, giftige Brasilianer und TV-Experten mit Witz

Zwei Spiele, zwei Niederlagen: Für die Spanier endet die WM bereits in der Gruppenphase. Benjamin Knaack (Spiegel Online) trocknet Tränen der Enttäuschung mit sporthistorischen Fakten: „Der Weltmeister scheitert in der Vorrunde – eine Sensation? Ja! Aber auch eine Seltenheit? Eher nicht: Spanien ist bereits der fünfte Titelträger, den das vorzeitige Aus ereilt. Italien (2010), Frankreich (2002), Brasilien (1966) und Italien (1950) haben das auch schon erlebt. Ob das ein Trost ist?“

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Schnell, dynamisch, zielstrebig, ideenreich

Peter Burghardt (SZ) adelt die Chilenen: „Den Rest gab den Spaniern in dieser mythischen und überrenovierten Arena unter gleißendem Flutlicht ein inspiriertes Ensemble aus Chile, mit dem bei diesem Turnier zu rechnen sein wird. Schnell, dynamisch, zielstrebig, ideenreich.“

Michael Ashelm (FAZ) warnt kommende Gegner der Südamerikaner: „Die Chilenen zeigten sich als ebenbürtiger Gegner, dafür aber noch bissiger und willensstärker. Die Dreierabwehrkette und Mittelfeld-Fünferreihe der Chilenen bauten sich massiv auf, wenn bei den Spaniern Andres Iniesta oder David Silva die Lücke suchten. Kleine Fouls und respektlose Rempler nervten die spanischen WM-Heroen zusätzlich.“

Das Ende eines großen Teams

Jörg Wolfrum (kicker.de) verabschiedet die einstiegen Tiki-Taka-Helden: „Das mythische Maracana hat eine große Geschichte mehr zu erzählen: das Ende eines großen Teams, den vermutlich letzten Auftritt im Nationaltrikot prägender Spieler wie Casillas oder auch Fernando Torres und Xabi Alonso, Xavi war ja ohnehin nur noch Zuschauer.“

Jens Krepela (dw.de) schließt sich an: „Bedeutet dieses sensationelle Aus auch das Ende einer Ära? Zu dieser Überzeugung muss man letztlich kommen. Es ist der Gang der Zeit, der sich auch die spanische Nationalelf nicht entziehen kann. Die Helden der Vergangenheit, die zwei Europameistertitel und eine WM-Trophäe sammelten, sind in die Jahre gekommen.“

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Abschied mit Würde

Flurin Clalüna (NZZ Online) verlässt das Maracana-Stadion im Spanien-Trikot und mit erhobenem Haupt: „Diese spanische Mannschaft verabschiedet sich mit Würde, weil sie nie davon abgerückt ist, woran sie immer geglaubt hat: Dass es nicht nur darum geht, zu gewinnen; sondern dass es auch darum geht, wie man gewinnt. Und bleiben wird auch: Dieses Team hat Spanien näher zusammengebracht, es liess die Intimfeindschaft zwischen Barça und Real vergessen, zumindest für die Wochen in der Nationalmannschaft. Und es hat den Fußball über viele Jahre so geprägt und beeinflusst wie nur wenige andere Nationalmannschaften vor ihm.“

Keine Struktur, keine Kreativität, keinen Plan

Abgesehen von de Elfenbeinküste enttäuschen bisher auch die afrikanischen Teams auf ganzer Linie. Frank Hellmann (FR) kratzt sich nach dem narkotisierenden Auftakt der Nigerianer den Schlaf aus den Augen: „Irgendwie hinterließen vor allem die in Europa beschäftigten Nigerianer den Eindruck, als habe sie irgendjemand erst am Tag zuvor von ihren vielen Klubs eingesammelt, um dann irgendwo ein Fußballspiel zu bestreiten. Keine Struktur, keine Kreativität, keinen Plan – die Mängelliste war lang. Und wer Nigerias Nachwuchsreservoir kennt, findet das erschreckend. Aber die Nation steht mit dem Problem nicht allein da, sondern befindet sich mit Kamerun oder Ghana in bester Gesellschaft.“

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Auch Daniel Theweleit (Spiegel Online) winkt frustriert ab: „Die viel beschworenen positiven Entwicklungen gibt es in Afrika allenfalls in kleineren Nationen wie Gabun, Sambia oder Botswana. Aber auch deren Entwicklungstempo ist nicht mit dem Fortschritt vieler europäischer, südamerikanischer und asiatischer Fußballnationen vergleichbar. Oder soll man es als Fortschritt betrachten, dass die Kameruner sich diesmal nicht erst in der Nacht vor ihrem ersten Spiel über die Prämien mit der Verbandsspitze einigten, sondern schon eine Woche vor der WM, durch die Weigerung, ins Flugzeug zu steigen?“

Brasilien 2014 ist geprägt von defensiver Struktur und Mentalität

Die brasilianische Mannschaft startet eher mittelmäßig ins Turnier. Der einstige Zauber von Pele, Zico und Co ist längst verflogen. Peter Unfried (taz) weiß warum: „Wenn Brasilien in gut drei Wochen Weltmeister sein sollte, dann nicht, weil sie Brasilianer sind, auch nicht wegen Neymar, sondern weil sie den europäisierten Spitzenfußball am besten beherrschen.  Brasilien 2014 ist geprägt von defensiver Struktur und Mentalität. Mit Thiago Silva und David Luiz hat man die beste Innenverteidigung und mit Dani Alves und Marcelo auch die beste Außenverteidigung, wenn die beiden diszipliniert bleiben.“

Was macht eigentlich Bastian Schweinsteiger?

In Deutschland wundern sich viele Halb-Experten über das bisherige Schattendasein von Bastian Schweinsteiger. Stefan Hermanns (Zeit Online) macht Fans des Münchners wenig Hoffnung: „Selbst wenn Schweinsteiger einen der drei zentralen Mittelfeldspieler ersetzen sollte: Was wäre der Mehrwert für das Team? Lahm durchschaut das Spiel wie kein Zweiter, Khedira ist der bessere Zweikämpfer, und Kroos verfügt über die Fähigkeit, mit seinen unwiderstehlichen Pässen das Spiel der Deutschen zu beschleunigen. Das Gesamtkonstrukt, die Statik der Mannschaft, würde auch durch Schweinsteigers Mitwirken ganz sicher nicht ins Wanken geraten. Es würde aber auch nicht zwingend besser werden.“

Christian Hackl (standard.at) amüsiert sich über die Smartphone-Freundschaft zwischen Lukas Podolski und Angela Merkel: „Wären am Sonntag in Deutschland Bundestagswahlen, frage nicht, Angela Merkel würde eine satte Mehrheit einfahren. Nicht zuletzt dank Lukas Podolski, dem ehrenwerten Mitglied der Spaßgesellschaft. Er hatte vor der Partie gegen Portugal darum gebeten, dass seine Kanzlerin nach dem Spiel in die Kabine kommen möge, er würde liebend gerne ein Selfie mit ihr machen und auf Facebook stellen. Sie, tagaus und tagein um Volksnähe bemüht, kam nach dem Sieg und machte. Er stellte. Das Bild hatte Zugriffe, bist du deppert. Selbstvermarkter Podolski weiß eben, was die Welt sehen will.“

Alles andere als dröge

Wie schlagen sich bisher eigentlich die deutschen TV-Moderatoren? Ingo Scheel (n-tv.de) guckt genau hin und erfreut sich dabei besonders an der Vorstellung des Opdenhövel-Scholl-Tandems: „Opdi, so scheint es, hat seine Spielerposition gefunden. Hat den Ernst, die Größe, die Tragweite des Geschehens verinnerlicht und angenommen, ohne dabei seinen Biss zu verlieren. Da werden die Verantwortlichen beim Weltfußballverband schon mal, jetzt bereits ein Klassiker, als „Fifa-Flöten“ bezeichnet. Und auch sein Zuspiel an den Nebenmann ist alles andere als dröge, hat er doch mit Mehmet Scholl den juvenilen Netzer-Nachfolger an seiner Seite.“

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Kommentare

1 Kommentar zu “WM 2014 – Spanien am Boden”

  1. augelibero
    Donnerstag, 19. Juni 2014 um 10:58

    Die Ära des Tiki-Taka ist gestern endgültig zu Ende gegangen. Bei Barca kam der Todesstoß bereits 2013 durch die haushoch überlegenen Bayern von Jupp Heynckes. Großmeister Guardiolo bettelte diese Jahr noch um Lehr- und Nachhilfsstunden gegen Real – und bekam sie. Schließlich musste Altmeister del Bosque gestern erkennen, dass es nicht so weiter gehen kann. Spaniens Hauptproblem ist nicht individuelles Versagen, sondern ein Grundsatzproblem: mindestens die Hälfte der Mannschaft denkt nicht mal im Traum daran, ein Tor schießen zu wollen.
    Was als fußballerisches Offensivkunstwerk einst bei Barca begann, ist zum langweiligen Catenaccio mit feinen Mitteln verkommen. So lässt sich erklären, warum del Bosque einerseits auf brave Querpass-Junkies wie Pedro und Busquets setzt und andererseits den schußgewaltige Fabregas oder den listigen Mata draußen lässt.
    Holland und Chile haben Wucht und Entschlossenheit auf den Platz gebracht. Bei jeder Aktion hat man gesehen, dass sie den Ball haben, wollen um Tore zu schießen. Crazy, oder?
    Daher kann man sich über das Ende des Tiki-Taka freuen. Der Fußball mit Leidenschaft und Torhunger ist zurück. Super!

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