Bundesliga
HSV und Werder Bremen – Frust im Norden
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| Montag, 20. Oktober 2014Während sich der Hamburger SV im eigenen Stadion gegen clevere Hoffenheimer die Zähne ausbeißt, ergibt sich der SV Werder Bremen in München saft- und kraftlos seinem Schicksal. Außerdem: Hoffnungsträger aus Gladbach, Ratlosigkeit in Dortmund und Entspannung auf Schalke
Der SV Werder Bremen schießt während der neunzig Minuten in München nicht ein einziges Mal aufs Tor des Gegners; ein Novum seit Beginn der Erfassung der statistischen Bundesliga-Spieldaten Anfang der Neunziger. Nik Afanasjew (Tagesspiegel) ist fassungslos: „Was bleibt also von diesem Allzeitrekord? Im Grunde nicht viel, bis auf einen neuen Begriff vielleicht, entsprungen der erdrückenden Überlegenheit der Bayern. Erzielte bislang ein überforderter Gegner bei hohem Rückstand kurz vor dem Ende ein Tor, sprach die Fußballwelt von einem Ehrentreffer. Dieses Wort enthält zwar „Ehre“, hat jedoch seit jeher etwas Demütigendes. Doch nun reicht es nicht mehr. Die neue, leider notwendig gewordene Bezeichnung für die Demütigung im Quadrat, für das, was Bremen nicht gelang, heißt Ehrentorschuss.“
Wo sind Willen, Zweikampfstärke und Körpersprache geblieben?
Kai Niels Bogena (Welt) vermisst Grundsätzliches: „Wenig funktioniert bei Werder Bremen derzeit nach Plan. Da fügte sich die Anekdote aus dem Training am Sonntagmorgen irgendwie ins Bild. Ein scharf geschossener Ball flog über die Umzäunung des Platzes und traf wuchtig die Windschutzscheibe eines Autos, woraufhin der Rückspiegel im Inneren aus seiner Verankerung brach. Ähnliche Durchschlagskraft hatten die Bremer Profis einen Tag zuvor in München vermissen lassen. Werder war nur ein Spielball des FC Bayern, seinem Gegner um mehrere Klassen unterlegen. Die Bremer ließen alle Tugenden vermissen, die Leistungssportler auszeichnen: Willen, Zweikampfstärke, Körpersprache.“
Falko Blöding (goal.com) sucht vergeblich nach Persönlichkeiten: „In den zehn Jahren, die seit dem Double unter Thomas Schaaf vergangen sind, war lange Zeit erfrischender Offensivfußball das Alleinstellungsmerkmal. Aber auch „Typen“ in der Mannschaft hoben die Grün-Weißen von der Bundesliga-Masse ab. Bei Werder spielten Sympathieträger wie Johan Micoud, Per Mertesacker, Miroslav Klose und Ivan Klasnic. Aber auch Stars, die aneckten und die zumindest polarisierten, wie Thorsten Frings, Tim Wiese oder Diego. Kurz: Werder war ein Farbtupfer in der Beletage des deutschen Fußballs. Doch dieser Farbtupfer ist zu einer grauen Maus geworden. Was schillernde Persönlichkeiten angeht, herrscht in Robin Dutts Elf ein Vakuum.“
Christof Kneer (SZ) führt den Verantwortlichen in Hamburg und Bremen ihr Versagen vor Augen: „Karim Bellarabi: aufgewachsen in Bremen, sechs Jahre in der Werder-Jugend aktiv, später beim Bremer Vorortklub Oberneuland; heute: Leverkusen. Max Kruse: aufgewachsen vor den Toren Hamburgs, vom HSV übersehen, von Werder geholt und später weggeschickt; heute: Mönchengladbach. Shkodran Mustafi: drei Jahre HSV-Jugend, dann aus der Stadt gelassen; heute: Weltmeister in Valencia. Ähnliche Geschichten gäbe es von André Hahn, Martin Harnik und Eric Choupo-Moting zu erzählen oder von den 18-jährigen Julian Brandt und Levin Öztunali. Brandt ist gebürtiger Bremer, Öztunali ist der Enkel von Uwe Seeler. Sie spielen: in Leverkusen. Es mag im Einzelfall Erklärungen gegeben haben für diese dramatische Form der Talentmissachtung, aber in der Summe ergibt sich ein Bild von zwei Vereinen, die Talenten über Jahre kein Milieu zur Weiterentwicklung zur Verfügung gestellt haben.“
Die Hoffnungen werden bei der schwungvollen Borussia aus Mönchengladbach abgeladen
In München feiert man hingegen eine neuerliche Machtdemonstration. Wer soll den Rekordmeister stoppen? Christian Otto (Welt) blickt voller Hoffnung nach Mönchengladbach: „In der bundesweiten Wahrnehmung hat es gute Gründe, dass so viele Hoffnungen auf einen neuen Bayern-Herausforderer bei der schwungvollen Borussia aus Mönchengladbach abgeladen werden. Denn jener Verein, der in den 70er-Jahren gleich fünfmal deutscher Meister geworden ist und den Rekordmeister aus München immer wieder zur Verzweiflung gebracht hat, kommt aus einem tiefen Tal der Tränen. Mehrfacher Absturz in die Zweite Liga, bis vor fünf Jahren noch tief in den Abstiegskampf verwickelt – wer die aktuelle Mannschaft mit Könnern wie Kruse, Hahn, Patrick Herrmann, Julian Korb und Granit Xhaka begutachtet, kann sich nicht bloß nur für die Gegenwart begeistern, sondern muss für die Zukunft ins Schwärmen geraten.“
Jürgen Klopp könnte auch die nächsten Spiele verlieren, ohne infrage gestellt zu werden
In Dortmund beschäftigt man sich schon länger nicht mehr mit dem FC Bayern. Auch in Köln zogen die Mannen von Jürgen Klopp am Ende den Kürzeren. Sebastian Fischer (SZ) steht mit fragendem Blick vor der Dortmunder Trainerbank: „Er ist im Sommer 47 geworden, doch momentan wirkt er älter. Fast ratlos. Und sein grau melierter Dreitagebart sieht plötzlich auch nicht mehr so cool aus wie in der Rasierer-Werbung. Jürgen Klopp ist in Dortmund unantastbar, er könnte auch die nächsten Spiele verlieren, ohne infrage gestellt zu werden. Aber dann wären die Minimalziele für diese Saison nicht mehr nur in großer Gefahr, sie wären außer Reichweite. Und das in einer Saison, in der die Borussia mit einer Kapitalerhöhung doch eigentlich den großen Angriff auf die Bayern wagen wollte.“
Ralf Birkhan (derwesten.de) macht es sich derweil am Stammtisch gemütlich: „Der BVB hechelt seinen Ansprüchen hinterher. Verletzungspech, WM-Müdigkeit, mangelnde Konzentration, alles richtig. Doch andere Klubs haben ebenfalls diese Probleme, nur läuft es dort besser. Die Frage lautet: Warum? Hätte Trainer Jürgen Klopp darauf die Antwort, würde er die Dinge ändern. Er hat sie aber noch nicht. Die vielen Ratschläge von allen Seiten helfen ihm kaum weiter, sie zeigen nur eins: Fußball ist eines der wunderbarsten Quatsch-Themen.“
Ist ja auch schon mal was wert…
Beim Rivalen aus Gelsenkirchen gibt es derzeit auch keinen Grund zum Feiern. Der Arbeitssieg gegen Hertha BSC sorgt aber erstmal für etwas Ruhe im Revier. Manfred Hendriock (derwesten.de) atmet durch: „Schalke hat unter Roberto Di Matteo einen guten, weil erfolgreichen Anfang gemacht – mehr nicht. In manchen Phasen wirkten die Spieler immer noch verunsichert, und man möchte sich lieber nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn Hertha BSC nach einer Viertelstunde in Führung gegangen wäre. Aber was am Ende irgendwie beruhigend war: In der Schlussphase spielte Schalke das Spiel einigermaßen souverän herunter – ist ja auch schon mal was wert…“