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Paris – Wenn Fußball zur Nebensache wird
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| Montag, 16. November 2015Während die Nationalmannschaften von Frankreich und Deutschland im Stade De France aufeinandertreffen fallen nur unweit von der Spielstätte entfernt Dutzende Menschen mehreren Terrorangriffen zum Opfer. Die Presse ist schockiert
Nach zwanzig gespielten Minuten hört man im Stade De France die ersten Explosionen außerhalb des Stadions. Andreas Berten (derwesten.de) ist vor Ort. Ihm läuft der Schweiß von der Stirn: „Der Horror begann mit einem Knall und endete nächtens in stiller Trauer: Zehntausende wollten im Vorort Saint-Denis einen vergnüglichen Abend verbringen. Bereits nach 20 Minuten wurde uns Reportern unwohl, als die zweite Explosion das Stadion beben ließ, wie es sonst die Böller einiger Verrückter in Europapokalspielen nicht vermögen. Auf dem Smartphone trudelten erste Nachrichten der Familie und von Freunden ein: „Pass gut auf dich auf, in Paris ist die Hölle los“, las ich, während meine Finger zittriger wurden und die Buchstaben auf der Tastatur verfehlten.“
Während Paris brennt, wird ein Fußballspiel zu Ende gespielt
Auch Christian Spiller (Zeit Online) sitzt fassungslos im Stadion: „Mit jeder Spielminute steigt die Zahl der Toten. Aber während Paris brennt, wird ein Fußballspiel zu Ende gespielt. Das mag pietätlos klingen, aber wahrscheinlich ist es die richtige Entscheidung. Viele Zuschauer wissen immer noch nicht, was passiert ist. Eine entsprechende Durchsage oder ein Spielabbruch hätte eine Massenpanik auslösen können. Zumal keiner weiß, ob es um das Stadion herum sicher ist. Und so entsteht diese surreale Situation: Torjubel, Bleu-Blanc-Rouge-Fahnen, mit Stolz geschwenkt sowie La-Ola-Wellen, während ein paar Kilometer entfernt Menschen erschossen werden.“
In einem halben Jahr soll in Frankreich die Europameisterschaft stattfinden. Mittlerweile sprechen sich einige Menschen für eine Absage des Turniers aus. Klaus Hoeltzenbein (SZ) ist anderer Meinung: „Es ist richtig, dass alles versucht wird, dass im Sommer 2016 im schwer verletzten Frankreich eine Europameisterschaft ausgetragen werden kann. Niemals darf sich die freie, aufgeklärte Gesellschaft gewaltsam diktieren lassen, worin sie Ablenkung, Zuspruch und Vergnügen sucht. Aber es wird ein harter Weg werden, dieses Turnier zu sichern. Denn der Fußball lockt die Massen. Massen, für die es keinen absoluten Schutz gibt. Massen, die Bilder liefern, die sich schrecklich leicht missbrauchen lassen.“
Wir würden zu Sklaven der Gewalt
Anno Hecker (FAS) denkt genauso: „Millionen Deutsche lieben die An- und Entspannung in einem guten Spiel, die gefühlsgeladenen Momente, die so wohltuend ablenken von den Problemen des Alltags. Sie sind Teil ihrer Lebensbal(l)ance. Der Verzicht auf ein Spiel etwa am Dienstag, selbst auf ein EM-Turnier, würde kurzfristig wohl nichts ändern in ihren Herzen. Aber der Verzicht auf die Entscheidung, auch langfristig so zu leben, wie wir leben wollen in dieser Gesellschaft, sich also kleinzumachen vor der wachsenden Bedrohung, änderte alles. Wir würden zu Sklaven der Gewalt. Französische Zuschauer haben sich schon beim Auszug aus dem Stadion dagegen entschieden. Sie sangen die Marseillaise: „Freiheit, geliebte Freiheit, kämpfe mit Deinen Verteidigern.“
Michael Horeni (FAZ) stimmt ebenfalls mit ein: „Wichtig ist nur, dass gespielt wird. Dass ist die einzige und entscheidende Antwort, die der Sport und die Sportler in diesen Tagen geben können. Damit nicht die Feinde der Freiheit entscheiden, wie wir leben, lieben und spielen.“