EM 2016
EM 2016 – Ach du dickes Ei!
Kommentare deaktiviert für EM 2016 – Ach du dickes Ei!
| Mittwoch, 15. Juni 2016Jogi Löws Taschenbillard-Aktion schlägt in der Presse erwartungsgemäß hohe Wellen. Lukas Podolski kann darüber nur lachen
Nach Löws Hosengate stellt sich Poldi beherzt vor seinen Chef. Eierkraulen? Who cares? Machen wir doch alle mal. Dirk Gieselmann (Tagesspiegel) applaudiert: „Podolskis beherzter Satz war einer seiner wichtigsten Treffer für die Nationalmannschaft. Er hat die pikierte Verspanntheit gelöst und Distanz durch Volksnähe ersetzt. Es braucht eben einen im Kader, der das Herz und andere Organe am rechten Fleck hat. Vielleicht ist er es, der seinem Chef vor dem nächsten Spiel sagt: Eierkraulen ist okay, aber nicht im Fernsehen.“
Auch Oliver Fritsch (Zeit Online) ist begeistert: „Der Karnevalist unterscheidet zwischen Lachern, Brüllern und Schenkelklopfern. Was der in Polen geborene Urkölner Lukas Podolski auf der DFB-Pressekonferenz lieferte, war definitiv ein Schenkelklopfer, die höchste Kategorie. Die Leute im Saal schmissen sich weg, manche hatten noch Minuten später Tränen in den Augen. Wäre es eine Prunksitzung im Kölner Karneval gewesen, die Kapelle hätte mindestens drei Mal den Tusch blasen müssen.“
Wenn’s juckt, dann soll er sich kratzen (dürfen)
Tobias Nordmann (n-tv.de) möchte wieder zur Tagesordnung übergehen: „Dem Bundestrainer wird die Szene peinlich genug sein. Der DFB wird sich darum bemühen, solche Bilder in Zukunft zu vermeiden. Er wird ihn womöglich darum bitten, besser auf sich und sein Tun im öffentlichen Raum zu achten. Das ist nicht nur gut so, das ist notwendig, vielleicht sogar überfällig. Denn weder Löw braucht solche Bilder noch wir. Aber wenn’s juckt, dann soll er sich kratzen (dürfen). Ein bisschen unauffälliger vielleicht. Aber jetzt belassen wir es dabei. Bitte.“
Evi Simeoni (FAZ) hingegen zeigt mit dem Finger in Richtung DFB-Trainerbank: „Er hat sich – wir sprechen es nur ein einziges Mal aus – an Körperstellen gefasst, die in der Öffentlichkeit tabu sind, und danach seine Hand an die Nase geführt. Zusammen mit früheren unappetitlichen Videos, in denen Löws Nase die Hauptrolle spielte, wird daraus ein echtes Problem. Zunächst ist es eine Frage der Manieren. So etwas tut man nicht. Schon gar nicht vor 50.000 Zuschauern und unter dem Fokus von Fernsehkameras. Und erst recht nicht, wenn man eine Mannschaft betreut, die den Anspruch hat, eine positive gesellschaftliche Kraft in diesem Land zu sein.“
Keine unattraktive EM
Tore am Fließband? Fehlanzeige! Kantersiege? Pustekuchen! Die Masse fragt sich: Warum ist die EM so defensiv? Daniel Raecke (Spiegel Online) erklärt: „Die kurze Eingewöhnungszeit führt auch dazu, dass die Auftaktspiele bei einem Turnier keine Vorentscheidungen über den Titel sind. Man erkennt einen künftigen Titelträger nicht daran, dass er seinen ersten Gegner aus dem Stadion schießt. Beispiele gefällig? Bei der EM 2012 gingen nur zwei Spiele am ersten Spieltag mit mehr als einem Tor Unterschied aus. Beide Sieger dieser Spiele, Russland und Kroatien, schieden dennoch in der Vorrunde aus. Schön anzusehen sind viele Spiele bisher also nicht. Daraus folgt aber nicht, dass es eine unattraktive EM bleibt.“
Belgien verliert gegen Italien. Eine Überraschung? Nicht wirklich. Ulrich Hartmann (SZ) weiß, warum es für die Belgier am Ende wieder einmal nicht reichte: „Die Belgier haben den Ball am Montagabend 7:48 Minuten länger gehalten als die Italiener. Insgesamt 34:34 Minuten lang zählte die Statistik belgische Ballkontrolle. 529 Pässe mit einer 85-prozentigen Erfolgsquote wurden von ihnen gespielt, aber dieser positive statistische Wert stammt aus dem Mittelfeld, und im Mittelfeld werden keine Tore erzielt. Von den 18 Bällen, die die Belgier letztlich Richtung italienisches Tor gebracht haben, sind nur zwei so aufs Tor gekommen, dass Gianluigi Buffon sie abwehren musste. Die Abschlussquote der Italiener war trotz nur 44 Prozent Ballbesitz deutlich besser. Von ihren elf Versuchen sind fünf aufs Tor gekommen, zwei hinein gegangen. Das ist eine Effektivität, die den Belgiern abgeht.“
Schöne Geschichten im Fußball sind also noch möglich
Die Portugiesen beißen sich an tapfer kämpfenden Isländern die Zähne aus. Hendrik Buchheister (Spiegel Online) hat sich verknallt: „Natürlich, die Isländer hatten allerhand Vorschuss-Sympathien bekommen im Vorlauf auf das Turnier, weil sie ein exotischer Außenseiter sind. Noch nie hatte ein Land mit so wenigen Einwohnern an einer EM teilgenommen. Beim Spiel gegen Portugal zeigten sie, dass es wirklich gute Gründe gibt, sich in sie zu verlieben. Die angenehmen Fans. Der sympathische Trainer. Die Mannschaft ohne Stars, die Leidenschaft mit einer guten taktischen Ordnung mischt. Schöne Geschichten im Fußball sind also noch möglich.“
Überall wird diskutiert: Darf man dieser Tage als Fan der deutschen Mannschaft öffentlich Flagge zeigen? Hans Sarpei (stern.de) haut auf den Tisch: „Die Farben schwarz-rot-gold stehen, wie es Bundesjustizminister Heiko Maas geschrieben hat, für unsere Werte, für das Miteinander, für unser weltoffenes Deutschland: Für Einigkeit und Recht und Freiheit. Und eben nicht für Deutschland über alles. Wer das nicht erkennt, sollte einen Sehtest machen und sich der Farben- und Fahnenleere im historischen Bezug widmen.“