EM 2016
EM 2016 – Wann müllert es endlich wieder?
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| Dienstag, 5. Juli 2016Er schießt, er köpft, er grätscht, er läuft: Thomas Müller versucht wirklich alles. Die Murmel will nur einfach noch nicht ins Tor. Platzt der Knoten gegen Frankreich?
Ganz Fußball-Deutschland wartet auf den ersten EM-Treffer von Thomas Müller. Klappt’s vielleicht im Halbfinale? Christof Kneer (SZ) macht sich Sorgen: „Nun ist Müller bei dieser Europameisterschaft seit fünf Spielen ohne ein Tor, das ist erstens nicht schlimm und kann zweitens mal vorkommen, aber das Problem ist, dass man es ihm allmählich anzusehen scheint. Vor den Kameras gibt er weiter den lässigen Kerl, der es sich locker leisten kann, nicht an sich, sondern nur an die Mannschaft zu denken – das sieht er zwar wirklich so, aber man muss nicht mal seinen kümmerlichen Elfmeter aus dem Elfmeterschießen hernehmen, um zu sehen, dass dieser Müller gerade nicht mit sich im Reinen spielt.“
Von Selbstzweifeln geplagt
Oliver Müller (Welt) legt ebenfalls die Stirn in Falten: „So bemerkenswert und sympathisch es ist, wenn ein Weltklassespieler freimütig Schwächen eingesteht – so bedenklich ist es für die deutsche Nationalelf, wenn einer ihrer arriviertesten Angreifer ausgerechnet vor Beginn der entscheidenden Turnierphase offensichtlich von Selbstzweifeln geplagt wird. Seine Angst vor Elfmetern ist da das geringste Problem. Schwerer wiegt es, dass es Müller offenbar Kopfzerbrechen bereitet, dass er im Turnier noch kein einziges Tor erzielt hat. Dies kann, speziell nach dem Ausfall von Mario Gomez, zu einem Problem werden: Wer, wenn nicht Müller, garantiert unter normalen Umständen eine hohe Wahrscheinlichkeit auf deutsche Tore?“
Tim Sohr (stern.de) hingegen bleibt gelassen: „Müller macht. Er macht und tut und gibt der alten Phrase von dem Kampf, über den man ins Spiel zu finden versucht, ihre ursprüngliche Bedeutung zurück. Er stellt sich auf dem Platz und außerhalb. Müller kann Krise, weil er die Krise gar nicht erst zulässt. Und so ist der zuverlässige WM-Torjäger bei dieser EM noch ohne persönliches Erfolgserlebnis, sein Wert für die Mannschaft bleibt aber unverändert hoch.“
Auch Robert Peters (RP Online) lehnt sich entspannt zurück: „Gegen Italien steht er nicht immer richtig, es geht ihm die Selbstverständlichkeit in seinem Stellungsspiel ab, mit Übereifer wirft er sich gelegentlich um, was er durch Einsatz errichtet hat. Und natürlich nagt das an ihm, das ist dann doch zu sehen, wenn er mal wieder die schlackernden Arme Richtung Himmel reckt, um sich dort zu beklagen. Aber es stürzt ihn nicht in die seelische Krise.“
Gómez‘ Ausfall ist eine Schwächung für die deutsche Elf
Mario Gomez hat sich im Spiel gegen Italien einen Muskelfaserriss zugezogen. Der Stürmer fällt für den Rest der EM aus. Oliver Fritsch (Zeit Online) schlägt die Hände vors Gesicht: „Seine technischen Probleme hat Gómez nicht abgelegt. Vor seinem Traumpass gegen Italien wäre er fast mit dem Ball ins Aus gerannt. Gegen Nordirland vergab er nach seinem Tor eine Chance kümmerlich. Verletzt hat er sich bei einem Hackenschuss gegen Gigi Buffon. Er musste zu dieser komplizierten Lösung greifen, weil er den Ball nicht perfekt angenommen hatte. Doch Gómez‘ Ausfall ist eine Schwächung für die deutsche Elf. Das sah man schon nach seiner Auswechslung gegen Italien. Abgesehen von dem Kontertor durch Schweinsteiger im ersten Spiel gegen die Ukraine war Gómez an allen Treffern beteiligt, die Deutschland aus dem Spiel heraus erzielte.“
Der Schalker Benedikt Höwedes überzeugt bisher auf ganzer Linie. Daniel Berg (derwesten.de) applaudiert: „Gegen die starken italienischen Stürmer leistete sich der 28-Jährige kaum einmal eine Schwäche. Er spielte geradezu höwedesk: auf kunstvolle Weise verlässlich, hoch konzentriert, körperbetont, fehlerlos. Er köpfte, grätschte, lief und rang gegen die Herren Pellè und Éder, dass es eine wahre Freude war.“
Auch Jonas Hector steht dieser Tage jeden Morgen mit einem Grinsen im Gesicht auf. Christian Kamp (FAZ) grinst mit: „Jonas Hector ist wahrscheinlich der gewöhnlichste Typ in der Mannschaft von Joachim Löw – einer, den man sich auch auf dem Bolzplatz nebenan vorstellen könnte und der lange Zeit nicht für möglich gehalten hatte, dass es für ihn überhaupt zum Bundesligaspieler reichen würde. Inmitten all der Hoch- und Höchstbegabten in Löws Team war er damit auch der unwahrscheinlichste Held, den die Deutschen haben konnten an diesem Samstagabend. Und keiner, der sich um diese Rolle gerissen hätte. Sie fiel ihm eher zu in diesem kaum fassbaren Drama, in dem das Schicksal hin und her wogte, als habe irgendeine höhere Instanz einen Mordsspaß daran, Italiener und Deutsche abwechselnd in Himmel und Hölle zu schicken.“
Als wäre es der Platz an der Sonne
Die tägliche Konfrontation mit bohrenden Journalisten-Fragen ist nicht jedermanns Sache. Joachim Löw hingegen genießt die Presseauftritte. Lars Wallrodt (Welt) zieht seinen Hut: „Für Joachim Löw scheinen Pressekonferenzen mittlerweile eine Art Kurzurlaub zu sein. Der Bundestrainer schlendert in das Medienzentrum von Evian, ein schmuckloser Bau, halb Zelt, halb Lagerhalle. Er bekommt einen Espresso gereicht, begrüßt alte Weggefährten und bezieht dann Position im Scheinwerferlicht, als wäre es der Platz an der Sonne.“
Während die deutschen Spieler auf dem Platz bisweilen Großartiges leisten, johlen sich die Fans im schwarz-rot-goldenen Block immer weiter ins Abseits. Friedhard Teuffel (Tagesspiegel) hält sich die Ohren zu: „Zum Fußball gehört auch der gepflegte Rempler. Auch auf der Tribüne. Nur dass eben ein im Chor gebrülltes „Scheiß Italiener, wir singen Scheiß Italiener“ sensationell armselig ist. Es ist eine Europameisterschaft, bei der die Isländer wikingerherhaft jubeln, Nordirland on fire ist und auch sonst allerlei Lustiges durchs Stadion klingt. Von den lautesten Deutschen im Fanblock leider nicht. Diese Mannschaft hat mehr verdient als den gesungenen Rückpass.“
Das fußballerische Äquivalent zum lukullischen Dreiklang seiner Heimat
Bleibt noch die Frage: Wer pfeift das Halbfinale eigentlich? Ein Italienier? Müssen sich die deutschen Fans jetzt Sorgen machen? Andreas Berten (derwesten.de) beruhigt die Gemüter: „Rizzoli im EM-Halbfinale zwischen Deutschen und Franzosen ist das fußballerische Äquivalent zum lukullischen Dreiklang seiner Heimat: Der 44-Jährige stammt aus der Nähe von Modena, und die Emilia-Romana steht für Parmaschinken, Parmesan und Lambrusco. Am Donnerstag wird Rizzoli so unparteiisch sein wie die Kollegen. Es wäre toll, wenn den Deutschen nach dem Spiel die Herkunft des Schiedsrichters egal wäre. Wir sollten ihm eine tadellose Leistung zutrauen.“