WM 2018
WM 2018 – Die Uhr tickt
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| Dienstag, 12. Juni 2018Zwei Tage vor der WM-Eröffnung beschäftigt sich die Presse mit weltmeisterlichen Sicherheitsvorkehrungen, Pfiffen aus der Fan-Kurve und technischem Anti-Stau-Spielzeug mit hohem Unterhaltungswert
Kurz vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland füttern Banker ihren statistischen Apparat mit Daten, um die heiße Frage zu beantworten: Wer reckt am Ende den Pokal in den Himmel? Stephan Kaufmann (FR) sitzt mit am Tisch: „Nach Berechnungen der Union Bank of Switzerland (UBS) haben Deutschland, Brasilien und Spanien die besten Aussichten auf den Titel. Das deckt sich mit den Berechnungen der Commerzbank, die Deutschland eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 18 Prozent zubilligt – was eine immerhin 82-prozentige Chance bedeutet, dass Deutschland nicht gewinnt.“
Wer als Ausländer seinen Pass nicht mit sich führt, hat ein echtes Problem
Für deutsche Fußball-Fans, die direkt vor Ort mitfiebern wollen, stellt sich die Frage: Was kommt in Russland auf mich zu? Sven Goldmann und Anne Armbrecht (Tagesspiegel) wissen Bescheid: „Russland hat vor der Weltmeisterschaft noch einmal die Sicherheitsmaßnahmen rund um die Städte verschärft. Es wurden tausende Überwachungskameras zusätzlich installiert. Selbst durch das verschlafene Dorf Rybatschi auf der Kurischen Nehrung, weit im Westen und weg von aller Hektik, patroulliert von morgens bis abends eine Polizeistreife. Reisebusse werden schon mal mitten auf der Strecke angehalten, und wer als Ausländer seinen Pass nicht mit sich führt, hat ein echtes Problem.“
Beton und Zäune, statt Strand und Palmen: Julian Hans (süddeutsche.de) steht vor den Toren des deutschen WM-Quartiers in Watutinki: „Der Mannschaftsbus fährt durch farblose Betongebirge am Rande der russischen Hauptstadt, bis er an einem Schlagbaum mit Wachposten stoppt: Ein Mann in Flecktarnuniform bewacht das Tor ins Grüne. Ein drei Meter hoher Zaun aus grünem Blech trennt Wohnsilos und Kurort. Draußen Hochhausschluchten und staubige Straßen, drinnen verschlungene Spazierwege zwischen Birken und Fichten.“
Hitzelsperger ist taff und tapfer
In der hitzigen Diskussion um Mesut Özil und Ilkay Gündogan melden sich immer mehr vermeintlich wichtige Menschen zu Wort. Nun hat auch TV-Experte Thomas Hitzlsperger seine Meinung kundgetan. Oskar Beck (Welt) applaudiert: „Hitzlsperger ist offenbar taff und tapfer. Außerdem hat er sichtlich keinen Ball auf dem Hals, sondern einen Kopf, und er ahnt, was es heißt, wenn deutsche Nationalspieler öffentlich einen Politiker poussieren, der Andersdenkende hinter Gitter bringt und sich einen feuchten Kehricht um Menschenrechte und Meinungsfreiheit schert. Hitzlsperger hat die Dimension des Blackouts erfasst und packt Özil und Gündogan jetzt nicht in Watte, nur weil die WM beginnt.“
Max Dinkelaker (11Freunde) sieht das etwas anders: „Allein die Tatsache, dass ein einzelner Fußballer von Zuschauern dafür ausgepfiffen wurde, sich mit Erdogan auf einem Foto zu zeigen, während die gleichen Zuschauer dafür Eintritt gezahlt haben, die Nationalmannschaft von Saudi-Arabien spielen zu sehen, ist eigentlich absurd. In Saudi-Arabien dürfen Frauen erst seit ein paar Tagen Autofahren, die Scharia ist Grundlage des Rechtssystems, kritische Journalisten werden noch immer zu Peitschenhieben verurteilt.
Michael Horeni (FAZ) macht den Verantwortlichen Druck: „Die Sorge von DFL-Boss Rauball, ob nach so viel Verspätung und Ignoranz, der Zeitpunkt schon verpasst ist, um dauerhaften Schaden noch abwenden zu können, ist nicht übertrieben. Ohne eine wirklich offene und ehrliche Diskussion ist die Chance auf einen Schulterschluss zwischen der Nationalmannschaft und ihren Fans nicht gegeben.
Zur WM in Russland mag das Kalkül gerade noch aufgehen
Korruptionsskandale und umstrittene Ausrichterländer sind den großen Sportartikelherstellern ein Dorn im Auge. Joachim Hofer (handelsblatt.com) runzelt beim Blick in die Kristallkugel die Stirn: „Die Sportkonzerne müssen sich fragen, ob es sich noch lohnt, zweistellige Millionenbeträge in Nationalmannschaften und die Fifa zu pumpen. Zur WM dieses Jahr in Russland mag das Kalkül gerade noch aufgehen. Aber in vier Jahren, wenn Katar das Turnier ausrichtet, dürften die negativen Aspekte endgültig überwiegen.“
Vor den Spielen wird auf dem Rasen gerne und viel gesungen. Stephan Klemm (Berliner Zeitung) beschäftigt sich mit den Nationalhymnen: „Die Lieder der Länder gelten – wie ihre Flaggen – als nationales Symbol eines unabhängigen Staates. Vieles von dem, was dabei in offizieller Mission gesungen wird, ist ein nationalistischer Exkurs, vielfach gespickt mit der Hervorhebung touristischer Vorzüge.“
Wer dieser Tage in Moskau im Stau steht, der ist froh, wenn er eine App an seiner Seite hat, mit der die Wartezeit wie im Flug vergeht. Katrin Scheib (n-tv.de) ist begeistert: „Volkes Stimme, unzensiert, jeden Tag – da wird die Verkehrs-App zur Social-Media-Plattform, mit hohem Unterhaltungswert. Immer wieder ist von „Wowa“ die Rede – ob er denn nun bald kommt, wohin er sich doch bitte scheren soll. Wowa ist die Kurzform von Wladimir, gemeint ist also Putin. Außerdem lernt, wer hier mitliest, eine ganze Reihe nützlicher russischer Flüche – je nach dem Abschneiden der eigenen Mannschaft bei der WM kann sowas ja durchaus nützlich sein.“