WM 2018
WM 2018 – Bierhoff holt den Knüppel aus dem Sack
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| Freitag, 6. Juli 2018Die heutigen Kämpfe im Presse-Ring: Oliver Bierhoff gegen Mesut Özil, die ganze Fußballwelt gegen Neymar und die LGBT-Community gegen feindselige Hohlköpfe
Manager Oliver Bierhoff spricht erstmals nach dem WM-Aus über die Gründe des Scheiterns. Dabei fällt auch der Name Mesut Özil. Zitat: „Man hätte überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet.“ Stefan Giannakoulis (n-tv.de) nimmt sich den Team-Manager zur Brust: „Wem will er damit das Wort reden? Den Rassisten, die nicht erst jetzt fordern, dass Spieler, deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, nicht für die Auswahl des DFB spielen sollten? Frei nach dem dumpfbackigen Motto: Mit den beiden Türken ist eh nichts zu holen. Denen, die nicht begreifen, was die Nationalmannschaft seit Jahren auszeichnet? Nämlich ein erfolgreiches Miteinander von Fußballern mit und ohne Migrationshintergrund, das sie 2014 in Brasilien zu Weltmeistern gemacht hatte. Es ist nicht zu glauben.“
Auch Ivo Hrstic (sport1.de) ist empört: „Ich halte es durchaus für möglich, dass Özils Karriere in der Nationalmannschaft nach dieser öffentlichen Demontage beendet ist. Wie soll der Spieler jemals wieder mit Überzeugung das DFB-Trikot tragen, wenn ihn sein Teammanager ausgerechnet in jenem Moment brüskiert, in dem Rückhalt und bedingungslose Unterstützung angebracht wären?“
Amerikas letzter Mann in Moskau
Trotz diverser Patzer darf US-Referee Mark Geiger immer weiter pfeifen. Für den deutschen Schiedsrichter Felix Brych hingegen ist die WM bereits nach einem geleiteten Spiel vorbei. Thomas Kistner (SZ) kommentiert die Hintergründe: „Der Fall Brych droht nun die Linie zu entlarven, die der Weltverband beim WM-Turnier fährt: Es ist eine politische. Denn wer Brych wegschickt, muss den Videoassistenten ebenfalls davonjagen, weil es dessen originäre Aufgabe war, Sehfehler wie den zu korrigieren, der Brych unterlief. Geigers Schnitzer war vergleichsweise sogar gravierender – ihn aber rettete der Videoassistent. Brych geht, Geiger bleibt und darf ab Halbfinale wohl wieder ran: Amerikas letzter Mann in Moskau.“
Katrin Schreib (n-tv.de) nimmt das russische Sommermärchen zum Anlass, um mal zu gucken, was russische Märchen über die verschiedenen Fußball-Nationalmannschaften zu sagen haben. Stichwort Brasilien: „Dem König fällt auf, dass jemand nach und nach sein Rapsfeld zerstört. Als der Täter gefasst wird, ist es ein Mann mit ungewöhnlich vielen, wilden Haaren. Er wird eingesperrt, entkommt aber und tut später dem verstoßenen Sohn des Königs allerlei Gutes, sodass der eine Prinzessin heiratet und später selber König wird. Die Moral von der Geschicht‘: Der haarige Mann ist natürlich Neymar. Mit seinem theatralischen Umgefalle und Rumgerolle zerstört er nach und nach das Geschehen auf dem Spielfeld. Darum wird er selber nicht Weltmeister werden, sondern kann lediglich einer anderen Mannschaft dazu verhelfen, Weltmeister zu werden.“
Auch Sebastian Stier (Zeit Online) steigt nochmal in die Neymar-Diskussionsrunde mit ein: „Keine Frage, Neymar ist ein begnadeter Fußballer, dem während der 90 Minuten oft viel Unrecht widerfährt. Er wird getreten und gestoßen, seine Schienbeine bluten, wenn er vom Spielfeld humpelt und seine Strümpfe sind zerfetzt. Aber das rechtfertigt noch längst nicht dieses Benehmen, von dem Millionen von Kindern vor den Bildschirmen auf der ganzen Welt nun denken, das müsse so sein. Schlimmer noch, man müsse so spielen und sich benehmen, weil man dann als clever gilt und am Ende auch gewinnt.“
Der Neymarismus, er neigt sich dem Ende
Peter Ahrens (Spiegel Online) hat schlechte Nachrichten für sterbende Rundleder-Schwäne: „Der Neymarismus, er neigt sich dem Ende. Der Videobeweis entlarvt die Profis noch auf dem Platz. Bisher leisteten die Fernsehbilder dies für den Zuschauer, jetzt auch für den Schiedsrichter. Das jähe Sinken zu Boden, das raumgreifende Herumgerolle nach einem an sich harmlosen Foul, all die Dinge, die den Schiedsrichter bei WM-Turnieren beeinflussen sollten und beeinflusst haben: Der Videobeweis macht sie zu einer lächerlichen Pose. Mehr als Spott in den sozialen Netzwerken bringt den Spielern das nicht mehr ein.“
Ist Fußball mehr als die Summe seiner Ergebnisse? Ilja Behnisch (Tagesspiegel) stellt das blanke Resultat eines Fußballspiels in den Hintergrund: „Weltmeisterschaften, Titel und selbst ein vermeintlich desaströses Scheitern der deutschen Mannschaft erinnert man nicht als schnödes Resultat. Sie sind ein Vehikel für Erzählungen. Wer an das Finale von 2014 denkt, denkt womöglich zuerst an den Sieg der deutschen Mannschaft. Und dann aber sofort auch an: Götzes entscheidendes Tor, Bastian Schweinsteigers gezeichnetes Gesicht und Christoph Kramers längst legendäre Frage, ob dies denn nun das Finale sei. Fußball ist nun mal mehr als nur 90 Minuten. Fußball wird gespielt, um davon zu erzählen. Auch wenn die Geschichte der deutschen Mannschaft die eines Toten ist.“
Klassischer Fall von Geschlechter-Frust
Julian Hans (SZ) beschäftigt sich mit der in Russland entbrannten Debatte über Kontakte zwischen russischen Frauen und ausländischen Fußball-Fans: „Die Empörung über Kontakte zwischen russischen Frauen und Ausländern sei ein klassischer Fall von Geschlechter-Frust, sagt Irina Kosterina, Koordinatorin für das Gender-Programm der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau. Vor der WM seien Russen selten mit Ausländern in Kontakt gekommen. Viele haben noch nicht einmal einen Reisepass.“
Im Interview mit dem Fußball-Magazin 11Freunde spricht ein LGBT-Aktivist darüber, wie er die WM in Russland erlebt: „Als queerer Mensch in Russland baut man enge Freundeskreise um sich herum auf, man überlegt zwei Mal, wem man sich anvertraut. Denn auch wenn ausländische queere Fans hier kein Problem haben werden, weil die Regierung daran interessiert ist, eine makellose Oberfläche und straffe Sicherheitsvorkehrungen zu zeigen: Die Stimmung ist feindselig.“
Michael Horeni (FAZ) outet sich als Fan der britischen und belgischen Nachwuchsförderung: „Dort wird vieles anders und manches besser gemacht. So einfach und einleuchtend, wie es klingt, ist es auch: Die Nachwuchsförderung ist und bleibt auch in Deutschland die wichtigste und entscheidende Ressource für die Zukunft. Selbst wenn Belgien und England bei dieser WM nicht den Titel holen sollten: Als Vorbild für die Nachwuchsarbeit taugen die besten Klubs dort schon länger. Vielleicht schaut man im Land der gestürzten Weltmeister nun auch mal wieder über den eigenen Fußballplatz hinaus.“
Alina Schwermer (taz) befasst sich mit der allgemeinen Forderung, dass sich der Fußball weiter verjüngen müsse: „Der Fußball liebt die Jugend, weil er unter dem Optimierungsdruck, den er sich selbst auferlegt hat, immer das Element sucht, wo sich noch ein bisschen mehr herausquetschen lässt, noch ein bisschen mehr Leistung, noch ein bisschen mehr Wille, noch ein bisschen mehr Athletik und Anspruch. Wer wäre dazu besser in der Lage und gewillt, wenn nicht der Nachwuchs? Und doch funktioniert Fußball nicht so eindimensional.“