WM 2018
WM 2018 – Das russische Sommermärchen ist vorbei
| Montag, 9. Juli 2018Heute im Fokus: Die „Sbornaja“ zieht gegen Kroatien den Kürzeren und Reinhard Grindel ledert gegen Mesut Özil
Nach dem Ausscheiden im Viertelfinale gegen Kroatien liegt die russische Fußball-Nation am Boden. Pascal Jochem (dw.com) spendet Trost: „Die Mannschaft hat keinen glanzvollen Fußball gespielt, aber dafür voller Inbrunst und Kampfeslust, anders als so mancher früherer Weltmeister. Dafür: Respekt, Russland! Dass am Ende das zweite Elfmeterschießen in Serie verloren ging, geschenkt. In diesen dreieinhalb WM-Wochen ist die „Sbornaja” nicht nur über sich hinausgewachsen, sie hat auch viele neue Fans erobert. Auch jene, die sonst nur wenig mit Fußball am Hut haben, wie sie uns rund um die Spiele erzählt haben. Sie sind trotzdem immer wieder gekommen, ins Stadion und auf die Fanfeste, in Kneipen und in Wohnzimmer, um ihre Mannschaft zu sehen.“
Sie haben sich versöhnt
Andreas Bock (11Freunde) hebt das Glas: „Vielleicht wird diese Stimmung nach der WM ein paar Wochen oder Monate anhalten, vielleicht sogar länger. Vielleicht bricht aber auch alles wieder zusammen, wenn der Fifa-Zirkus das Land verlassen hat. Wer kann das jetzt schon sagen? Denn jetzt fühlt sich das nahende Ende der WM wie eine ferne Zukunft an. Jetzt singen sie wieder. Die Siege gegen Saudi-Arabien und Ägypten, die Sensation gegen Spanien. „Lasst uns ein Lied über Liebe schreiben.“ Sie könnten jetzt schlafen gehen. Sie haben sich versöhnt. Zumindest für diesen endlosen Sommer.“
Johannes Aumüller (SZ) macht große Augen: „Russlands überraschend langer Durchmarsch bei diesem Heim-Turnier wird noch für lange Zeit ein Thema für Pharmakologen und Physiologen sein, so viel steht fest. Die Sbornaja hat nicht wirklich Fußball gespielt, sie hat Fußball gelaufen und quasi einen ganz anderen Sport betrieben als viele andere Teilnehmer. Aber abseits aller medizinischen Fragen gilt es auch festzuhalten, dass der Auftritt der Sbornaja in anderer Hinsicht durchaus exemplarisch ist für einen Trend dieses Turnieres: für die Kraft der Gruppendynamik gegenüber dem Star-Fußball.
Sven Goldmann (Tagesspiegel) winkt zum Abschied: „In Moskau hoffen Zehntausende beim Fanfest auf dem Gelände der Lomonossow-Universität bis zum Schluss, aber in der Innenstadt gibt es erstmals nach einem russischen WM-Spiel keine Autokorsos. In Sotschi ist der Beifall für die Verlierer freundlich, doch das Stadion leert sich schnell. Vier Wochen lang hat sich Russland an sich selbst berauscht, in der Nacht von Sotschi rauscht jetzt nur noch das Meer.“
Das Thema hätte in Russland kein Thema mehr sein dürfen
Nach Oliver Bierhoff zeigt nun auch DFB-Präsident Reinhard Grindel mit dem Finger auf Mesut Özil. Stefan Frommann (Welt) schüttelt mit dem Kopf: „Das Thema hätte in Russland kein Thema mehr sein dürfen. Nicht, weil Bierhoff und Grindel es so wollten, sondern weil es keine Fragen mehr gab. Jetzt fordert Grindel ein kluges Krisenmanagement, das er und sein Mitarbeiterstab acht Wochen lang versäumten.“
Auch Max Bosse (Berliner Zeitung) schlägt die Hände vors Gesicht: „Das Thema Mesut Özil verkommt für den Deutschen Fußball-Bund endgültig zur peinlichen Posse. Verbandspräsident Reinhard Grindel fordert nun – knapp zwei Monate nach den Erdogan-Fotos – in einem Interview Özil zu einer öffentlichen Erklärung auf. Er setzt den Mittelfeldspieler unter Druck, die Zukunft Özils in der deutschen Nationalmannschaft steht auf dem Spiel. Damit treibt der DFB-Boss das rückgratlose Verhalten des Verbandes auf die Spitze.“
Jochen Tittmar (spox.com) fordert Konsequenzen: „Dass Bierhoff und Grindel nun Özil zum Sündenbock machen und der Öffentlichkeit zum Abschuss freigeben, belegt einmal mehr deren vollkommen missratenes Krisenmanagement und führt den Schlingerkurs der letzten Wochen nahtlos fort. Diese Aussagen zu diesem Zeitpunkt sind nichts anderes als eine populistische Stillosigkeit. Bierhoff wie Grindel haben ihrer Ämter unwürdig gehandelt und sollten daher unverzüglich zurücktreten. Der angerichtete Schaden ist schlicht zu groß.“
Belohnt wird die Abschottung
Frank Nägele (ksta.de) zieht ein Vorab-Fazit und bringt Fußball und Politik an einen Tisch: „Der Weltmeister wird den Einfluss, der von diesem Turnier auf diesen Sport ausgeht, nicht mehr ändern. Er steht bereits fest. Der Fußball hat sich parallel zur Politik in Europa und der Welt entwickelt. Belohnt wird die Abschottung, die pragmatische Risikovermeidung um fast jeden Preis, der Verzicht auf alles vorwärtsgerichtete, spielerische. Das große Ganze, die globale Idee, ist unwichtig. Man sucht den Erfolg konsequent innerhalb der eigenen Grenzen.“
Max Ohlert (Berliner Zeitung) zieht mit einem „No Racism!“-Shirt durch die Straßen: „Es ist ein Trugschluss, dass Rassismus und Nationalismus im Jahr 2018 im Fußball keinen Platz finden. Weil die Verbände ihre Vereine mit dem Problem alleine lassen und, ähnlich wie im Fall Özil, lieber selbst verteufeln, statt zu helfen und damit den Populisten in die Hände spielen. Weil Vereine ihre soziale Verantwortung aus wirtschaftlichen Gründen hintenanstellen. Vor allem aber, weil Rassismus und Nationalismus in der Gesellschaft noch immer so tief verankert sind, dass einem übel wird.“
U wie Ustascha
Paul Linke (FR) hält sich in kroatischen Fan-Kneipen Augen und Ohren zu: „Wohl in keinem anderen Land Europas ist Fußball so sehr mit der Politik verzahnt, dass es manchmal schwerfällt, noch Trennlinien zu finden. Das macht auch die aktuelle Mannschaft so anfällig für Vereinnahmungen aus allen Parteirichtungen. Fußball wird verklärt, soll Identität stiften, ist ein Fundament, auf dem sich der Nationalstolz türmt. Und Nationalismus. Die kroatischen Fußballsiege werden mit rechtem Fahnenschwung und faschistischer Symbolik gefeiert. Es taucht dann durchaus auch schon mal ein U auf. U wie Ustascha. Das ist, als würden deutsche Fans ihre Hakenkreuze öffentlich zur Schau stellen.“
Lange hat Europa eine Weltmeisterschaft nicht mehr dermaßen dominiert wie in Russland. Rainer Haubrich (Welt) verabschiedet sich ins Land der Träume: „Sicher, es geht nur um Fußball. Aber man wird ja in der gegenwärtigen Krise Europas für einen Moment träumen dürfen: Was, wenn sich dieser geschichtsträchtige, reiche und vielfältige Kontinent auch auf anderen Feldern als ähnlich erfolgreich erweisen könnte wie bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft!“
Kommentare
1 Kommentar zu “WM 2018 – Das russische Sommermärchen ist vorbei”
Montag, 9. Juli 2018 um 12:06
nun , als nicht VorOrt gewesener kann man über allgemeines so einfach nicht „urteilen“ .
Warten wir doch mal ALLE Doping-Ergebisse ab !
Manchmal hab ich mich schon gewundert was da
an Leistung o. eben auch nicht ( Deutsche Mannschaft ) auf dem Platz gezeigt wurde ;
deshalb ist dar Wort Leistung in Ri. D nicht angebracht .
Show schon eher .
Glückauf