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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Der pure Sport

Kai Butterweck | Mittwoch, 20. Mai 2020 Kommentare deaktiviert für Der pure Sport

Die Bundesliga hat ihren ersten Geisterspiele-Spieltag hinter sich. Die Presse kommentiert

Der erste Bundesliga-Spieltag nach der langen Corona-Pause steht unter ganz besonderer Beobachtung. Stefan Nestler (dw.com) blickt ins Leere: „Die Dortmunder Arena, wo unter normalen Umständen mehr als 80.000 Zuschauer für Gänsehautstimmung gesorgt hätten, wirkte wie ein Kreisliga-Platz im nahen Sauerland, wenn auch mit deutlich größeren Tribünen. Wobei dort sicher mehr Stimmung herrscht, als an diesem Nachmittag im BVB-Stadion. Hier ein Ruf, dort ein Schrei, hin und wieder Applaus von den Auswechselspielern und Betreuern – mehr nicht. Auch die Spieler wirkten angesichts der fehlenden Derby-Atmosphäre zunächst wie paralysiert. Erst nach 20 Minuten löste sich die Verkrampfung.“

Oliver Fritsch (Zeit Online) erfreut sich am „puren“ Sport: „Mehr als zwei Monate ruhte der Ball in der Bundesliga und fast überall auf der Welt. Am Samstag, 15.30 Uhr, rollte er wieder. Es folgte die erwartete, dennoch verstörende Stille. So mancher gewöhnte sich aber dran. Natürlich ist es lebendiger mit einem Stadion voller Kreischhälse. Aber Fußball ist Fußball. Vielleicht nicht so intensiv und hitzig, aber pur, weil nicht so theatralisch aufgekratzt.“

Braucht man zum Fußball überhaupt Fans?

Oskar Beck (Welt) hat ein dickes Fragezeichen im Gepäck: „Seit Samstag wissen wir also: Solche Spiele haben auch ihr Gutes. Der Ellbogen wird nicht mehr zum Check ins Gesicht des Gegners benötigt, sondern zum Jubeln. Und überhaupt ist dieser Fußball friedfertiger: wenige unflätigen Beleidigungen, keine Schmähchöre, keiner macht den Schiedsrichter die Hölle heiß, und auch die Spieler haben ihren Spaß. Die Dortmunder stellten sich am Ende vor die Südtribüne und grüßten mittels La Ola die leere, gelbe Wand. Manche fragen sich jetzt: Braucht man zum Fußball überhaupt Fans? Ist es nicht besser, wenn sie daheim diszipliniert vor dem Fernseher sitzen?“

Michael Rosentritt (Tagesspiegel) zeigt mit beiden Daumen nach oben: „Der Profifußball in Deutschland hat seine Chance fürs Erste ergriffen und den Vertrauensvorschuss, den er erhielt, zurückgezahlt. Anderen Gruppierungen der Gesellschaft ist das in Zeiten der Lockerungen nicht gleich gut gelungen, etwa bei den sogenannten „Hygiene“-Demonstrationen. Es gab auch keine nennenswerten Ansammlungen von Fans – Verantwortung wurde also gerade von den Anhängern des Sports gelebt, selbst beim emotional aufgeladenen Revierderby. Vieles ist zum Neustart der Liga gut gelaufen. So muss es weitergehen, dann ist ein weiterer Spielbetrieb vertretbar.“

Alles wie immer

Anno Hecker (FAZ) erlebt Vertrautes: „Gut, dass es den deutschen Profifußball gibt. Auf dieses antiautoritär erzogene Kind der Bundesrepublik, in Frieden und ständig wachsendem Reichtum unter gesamtbürgerlicher Sorge ob seiner Entwicklung ungestört, wie wildernd aufgewachsen, ist Verlass. Immer noch ganz der alte Betrieb, auch nach 66 Tagen Abbruch, Existenzsorgen, Vernichtungsphantasien. Was hatten Fans nicht alles vermisst in den vergangenen Wochen? Den Samstagskick bei Bier und Bockwurst auch auf dem Sofa, atemraubende Kombinationen, dramatische Spielentwicklungen, herzergreifende Wendungen und, na klar, den Sieg der Lieblingself. Vielleicht auch einen Aufreger. Alles wie immer: Kaum dürfen die Bundesligen wieder spielen, bieten sie ein Programm, als wäre nichts gewesen.“

Christof Kneer (SZ) ist gespannt: „Die Bundesliga ist zum Vorbild geworden, daraus erwächst ihr eine erhebliche Verantwortung. Das Scheitern ist in diesem Feldversuch inbegriffen, die Spieler haben die Teamquarantäne wieder verlassen und sind ins ansteckende Leben zurückgekehrt. Der Fußball muss nun beweisen, ob ihm zu trauen ist, und wie glaubwürdig er ist, wird sich vor allem am Umgang mit Problemen zeigen: Sollten mehrere Teams in Quarantäne müssen, darf der Fußball das Experiment nicht gegen den gesunden Menschenverstand durchpauken. Sonst erledigt er freiwillig das Geschäft derer, die ihm ohnehin nur das Schlechteste unterstellen. Der Fußball muss sich bewusst bleiben, dass alles, was angepfiffen wurde, auch abgepfiffen werden kann.“

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