EM 2020
Euro 2020 – Italien steht Kopf
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| Donnerstag, 17. Juni 2021Italien überrennt die Schweiz und löst damit als erstes Team das Ticket für das EM-Achtelfinale. Außerdem: Arnautovic am Pranger, Pogba auf dem Thron und das große Zittern vor Ronaldo
Die Italiener ziehen als erstes Team ins Achtelfinale ein. Tobias Nordmann (n-tv.de) gratuliert: „Italien, das den Catenaccio doch eigentlich zum nationalen Heiligtum erklärt hatte, wendet sich von der hohen und reinen Defensivkunst ab und spielt Fußball. Schnell, kreativ, meistens schnörkellos und extrem effizient. Als erste Mannschaft hat die „Squadra Azzura“ das Ticket für das Achtelfinale gebucht. Kleiner Einwand, sie war nun auch die erste, die dazu eine Chance hatte. Auf die magische Auftaktnacht im Stadio Olimpico gegen die Türkei folgte eine erneut beeindruckende Show gegen die Schweiz.“
Henrik Bahlmann (spiegel.de) verneigt sich vor Italiens Schlussmann Gianluigi Donnarumma: „Der 22 Jahre alte Torhüter strahlte für sein Alter eine unvorstellbare Ruhe aus, klärte einmal herausragend gegen Zuber, als er erst mit dem Fuß parierte und sich in die folgende Hereingabe des Schweizers schmiss, anstatt auf der Linie zu verharren. Torhüter der neuen Generation bekommen eingetrichtert, dass sie auch das sogenannte Second Goal zu verteidigen haben, das im rechten Winkel zur Torlinie gedacht wird, um Pässe durch den Fünfmeterraum abzufangen. Dadurch verhinderte Donnarumma ein potenzielles Gegentor, nach dem Spiel steht Italien bereits bei zehn Spielen infolge ohne.“
Eine göttliche Berührung
Tobias Ahrens und Jonah Lemm (11Freunde) flippen beim Livetickern aus: „Mamma mia! Italien führt. Weil Jorginho raus zu Berardi spielt, der ins Eins-gegen-eins geht und den Ball anschließend mit dem Vollspann fünf Meter und am Tor vorher in die Mitte passt. Dort steht Locatelli und hält das Füßchen hin. Und ich bin mir nicht sicher, aber ich möchte in die Sixtinische Kapelle flitzen und nachsehen, ob Michelangelo irgendwo ein paar Lederschuhe eingearbeitet hat. Denn das war eine göttliche Berührung.“
Jan Göbel (spiegel.de) beschäftigt sich mit EM-Rowdy Marko Arnautovic: „Der Stürmer befindet sich mit inzwischen 32 Jahren auf der Zielgeraden seiner Karriere; er war nicht immer ein Vorbild, wie man es sich vorstellt. Begonnen hat die Laufbahn vor vielen Jahren beim Floridsdorfer AC, einem Verein aus Wien, in einem Arbeiterbezirk. Er blieb dort nicht allzu lang, auch nicht bei seinen nächsten Klubs, bereits als Teenager hieß es über Arnautović, dass er nicht gerade pflegeleicht sei und sich nur schwer in ein Team integrieren könne.“
Christoph Gaigg (volksblatt.at) ist not amused: „Arnautovic hat sich und seinen Kollegen keinen Gefallen getan. Eine gewisse Emotionalität gehört zweifelsohne dazu, am Rasen kann und muss es nicht immer harmonisch zugehen. Dennoch sollte man als Profi in der Lage sein, seine Emotionen so weit im Zaum zu halten, um nicht mit obszönen Beleidigungen oder Gesten aufzufallen (Stichwort Vorbildwirkung) und Sperren zu riskieren.“
Die UEFA als moralische Instanz?
Peter Altmann (laola1.at) zeigt mit dem Finger in Richtung des urteilsprechenden „Richters“: „Arnautovic ist fraglos eine vielschichtige Persönlichkeit mit Ecken und Kanten, aber dieser Vorwurf an einen vielsprachigen und derart international denkenden Menschen ist wirklich, wirklich schwierig. Aber gut, er hat unnötig und aggressiv geschimpft, und auch wenn dieser Zwist flott beigelegt wurde, geht sich eine Bestrafung streng nach UEFA-Regulativ vermutlich aus. Die Frage, die sich mir stellt, ist jedoch: Die UEFA als moralische Instanz? Geht sich das aus?“
Kommenden Samstag trifft die deutsche Nationalmannschaft auf Portugal. Frank Hellmann (FR) warnt vor einem in die Jahre gekommenen Superstar: „Ronaldo ist noch lange nicht fertig mit seiner Karriere; diese Botschaft aus Budapest ist in der Welt angekommen. Mit nunmehr elf EM-Toren in fünf Turnieren zwischen 2004 und 2021 hat er dem Franzosen Michel Platini den Rekord entrissen. Für sein Land kommt er bei sagenhaften 176 Einsätzen jetzt auf 106 Treffer, womit der Weltrekord des ehemaligen Bundesligaspielers Ali Daei wackelt, der sich mit 109 Toren für den Iran in den Annalen hält. Und dann ist da ja noch die Mission EM-Titelverteidigung, die den divenhaften Schlüsselspieler antreibt, der 2016 früh im Finale ausgewechselt werden musste.“
Von wegen Glück
Ex-Bundestrainer und Kolumnist Berti Vogts (t-online.de) nimmt sich TV-Reporter Bela Rethy zur Brust: „Was mich am Dienstagabend wirklich geärgert hat, war der ZDF-Kommentar von Belá Rethy, der andauernd davon sprach, dass Deutschland vor allem bei den beiden Abseitstoren der Franzosen ganz viel Glück hatte. Deutschland hätte seiner Meinung nach wohl auch höher verlieren können. Aber Glück? Ich sage: völliger Quatsch! Die Abseitstreffer der Franzosen waren das Ergebnis einer klugen taktischen Maßnahme von Bundestrainer Jogi Löw. Er wollte, dass seine Verteidigerreihe bei den Vorstößen der Weltklasse-Franzosen schnell und konsequent herausrückt. Die Folge daraus waren die Abseitsstellungen. Löw wollte das so. Das war kein Glück.“
Christopher Meltzer (FAZ) schwärmt von Paul Pogba: „Es passiert etwas Zauberhaftes, wenn Pogba, 28 Jahre alt, sich das Trikot der Nationalmannschaft anzieht. Er macht dann, was im Weltfußball nur wenige können: Er verbindet Gewalt mit Geschick. Er kann Gegenspieler abdrängen und austricksen. Er kann Bälle in kleinsten Lücken erobern und durch kleinste Lücken passen. In München konnte man das mal wieder beobachten. Er tanzte Walzer und Breakdance zugleich.“
Holger Appel (FAZ) ist live dabei, als in München ein Gleitschirmpilot von Greenpeace auf dem Rasen landet: „Nur weil die Plätze wegen der coronabedingten Restriktionen kaum besetzt waren, blieb Schlimmeres aus. Der Greenpeace-Aktivist überflog die Tribüne in zuletzt etwa 1,50 Meter Höhe und blieb an einem dort für Fernsehinterviews aufgestellten Scheinwerfer hängen. An dem Scheinwerfer zerschlug er sich seinen Rucksackmotor, die Ummantelung zerbarst, der Propeller wurde zerstört, der Scheinwerfer kippte ab. Ein Beleuchter wurde getroffen und blieb benommen sitzen.“
Zeichen der Macht
In Russland und Aserbaidschan sind unliebsame Journalisten und Politiker nicht gerne gesehen. Andreas Rüttenauer (taz) blickt hinter die Kulissen: „Der Umgang mit Zugangsberechtigungen zu den großen Sportevents ist zu einem Instrument politischer Herrschaft geworden. Dabei geht es den handelnden Akteuren in den betreffenden Staaten nicht allein um die Verhinderung kritischer Berichterstattung, es geht auch darum, Zeichen der Macht auszusenden. Die Uefa lässt sich dabei instrumentalisieren. Das hat sich bei der Verweigerung der Akkreditierung für einen deutschen Journalisten ebenso gezeigt wie beim Bann über einen russischen TV-Reporter.“