EM 2020
Euro 2020 – Die Comebacker
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| Montag, 21. Juni 2021Nach der Auftaktniederlage gegen Frankreich und dem zwischenzeitlichen Rückstand gegen Portugal werden Erinnerungen an die WM 2018 geweckt. Doch dann dreht Robin Gosens auf. Und plötzlich ist wieder alles möglich
Nach einem furiosen Sieg gegen Portugal schafft sich die deutsche Nationalmannschaft eine gute Ausgangsposition für das Erreichen des Achtelfinals. Jörn Meyn (spiegel.de) hat gleich zu Beginn des Spiels gegen Ronaldo und Co. ein gutes Gefühl: „Wer säbelrasselnd beginnt und dann gleich in Rückstand gerät, der erholt sich davon manchmal nicht. Oder er übertreibt es mit dem Eifer und kassiert den nächsten Treffer. Nicht so das deutsche Team an diesem Tag. Es erinnerte sich daran, dass es durchaus über Fantasie in der Offensive verfügt.“
Mit Schwung und Überzeugung
Stefan Hermanns (Tagesspiegel) reibt sich die Hände: „Der Verlauf eines Turniers ist immer auch von Stimmungen abhängig. Die Stimmung um die deutsche Mannschaft war nach dem 0:1 gegen die Franzosen unter der Woche eher niedergeschlagen. Aber der Sieg gegen Portugal, immerhin der Titelverteidiger, hat das Zeug, etwas zu entfachen. Weil der Nationalmannschaft entgegen den allgemeinen Erwartungen ein mitreißendes Spiel gelungen ist; weil sie mit Schwung und Überzeugung spielte, wie es schon lange nicht mehr zu sehen war.“
Ungarn erkämpft sich ein Unentschieden gegen Weltmeister Frankreich. Können die Kicker um RB-Keeper Peter Gulacsi auch den Deutschen in die Suppe spucken? Frank Hellmann (FR) sendet entwarnende Signale: „Ungeachtet aller Hochgefühle scheint die Aufgabe herausfordernd, mit einem Sieg gegen Deutschland als Außenseiter das Achtelfinalticket der EM 2021 zu lösen. In München gibt es kein Geschrei, Gesang und Gegröle der ungarischen Fans, die diesmal wieder zu Abertausenden ungeachtet aller Corona-Regeln vom Heldenplatz in die Puskas-Arena gepilgert waren.“
Gefeierte Grätschen
Oliver Fritsch (Zeit Online) verteilt Lob-Kärtchen: „Antonio Rüdiger gab Kommandos und feierte Grätschen, als hätte er ein Tor geschossen. Kai Havertz brachte mit ungerührter Mimik und Körpersprache Lässigkeit in das Offensivspiel. Toni Kroos erntete vermutlich weniger Liebe, aber sicher Respekt. Der Ballverteiler scheute nicht die Duelle mit Ronaldo oder anderen. Einmal bekniete Kroos den Schiedsrichter, wollte ihn vor einem aus seiner Sicht falschen Freistoß bewahren. So viel Temperament kannte man gar nicht vom Greifswalder. Der Held war natürlich Robin Gosens, der kernige Kerl, der sich immer den Arsch aufreißt, und in dem sich jeder Bezirksligakicker wiedererkennt.“
Christopher Meltzer (FAZ) hat Gänsehaut: „Als Joshua Kimmich und Robin Gosens in den Strafraum stürmten, als der eine flankte und der andere lauerte, als der Ball von rechts nach links durch die Luft segelte, als der eine glotzte und der andere köpfte, als der eine hüpfte und der andere rutschte, als in kaum mehr als drei Sekunden glückte, was in fast drei Jahren nicht geglückt war, konnte man sehen und fühlen: So mitreißend kann Fußball in der Nationalmannschaft also noch sein.“
Unverstellte Schnodderschnauze
Jan Christian Müller (Berliner Zeitung) feiert Robin Gosens: „Der Linksfuß paart seinen Sturm und Drang auf dem Platz mit einer wunderbar unverstellten Schnodderschnauze. Er macht Sachen, die ein hochgezüchteter Fußballspieler so nie machen würde, er sagt Dinge, die ein abgeschliffener Medienprofi so nie sagen würde. „Mehr als einer“ sei ihm „abgegangen“, als sein Kopfball zum 4:1 ins Netz einschlug, so eine klasse „Hütte“, noch dazu bei einer Europameisterschaft für Deutschland, das sei natürlich „next level“ und sowas von „magisch“. Die Leute lieben den Burschen vom Niederrhein jetzt doppelt. Weil er so unverbraucht kickt und genauso unverbraucht spricht.“
Philipp Köster (11Freunde) schließt sich an: „Es war nicht allein die Schwäche der Portugiesen, sondern auch eine stark verbesserte deutsche Elf, die es diesmal unbedingt wissen wollte. Von Beginn an war eine völlig andere Körpersprache erkennbar, allen voran bei Shootingstar Robin Gosens, der vor Tatendrang nahezu barst und nicht zufällig schon nach wenigen Minuten mit einer ansehnlichen Bruce-Lee-Sprungfigur das erste, leider abgepfiffene, Tor für die deutsche Elf erzielte.“
Erfrischend und ehrlich
Auch Robert Hiersemann (t-online.de) ist hin und weg: „Gosens absolvierte nie eine Ausbildung in einem deutschen Nachwuchsleistungszentrum und hat bis heute keine einzige Minute in der Bundesliga gespielt. Stattdessen ging er den steinigen Umweg über die Niederlande und Italien. Und gerade das macht ihn so besonders. Er hat das Zeug, zum wichtigsten Spieler des Turniers und einem der Gesichter der kommenden Jahre zu werden. Und mit seiner erfrischenden und ehrlichen Art das ramponierte Image des DFB aufzupolieren.“
David Bedürftig (n-tv.de) gibt zu bedenken: „Der Bundestrainer hatte die Dreierkette nach der WM-Schmach 2018 installiert, um schnell umschalten zu können und im Ballbesitz mit mehr Offensivakteuren angreifen zu können. Das klappte gegen Frankreich überhaupt nicht, aber gegen Portugal hervorragend. Es ist defensiv immerhin eine Lernkurve erkennbar: Ganz so naiv wie bei der WM in Russland oder gegen Spanien oder die Schweiz laufen die Deutschen nicht mehr in Konter, eklatante Ballverluste im Aufbauspiel können mittlerweile meist vermieden werden. Doch wird diese Schwäche nicht komplett abgestellt, könnte für die DFB-Elf ein einziger Gegenstoß in einem K.o.-Spiel das EM-Aus bedeuten.“