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Ballschrank

Er hätte mich eigentlich umbringen müssen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Er hätte mich eigentlich umbringen müssen

sehr lesenswert! in Ruanda spielen Täter und Opfer des Bürgerkriegs zusammen – „Wo ist eigentlich Carsten Jancker?“ (FAZ) – Quälerei im Sport – Fans verstehen sich immer als Teilnehmer am Geschehen (FAZ) – Chinas Fußballfreunde vermissen Stars in der Bundesliga u.v.m.

Sehr lesenswert! dd (FAS 18.1.) staunt darüber, dass in Ruanda Opfer und Täter des Bürgerkriegs zusammenspielen: „Seine Geschwister wurden vor seinen Augen ermordet. Er flüchtete mit seiner Mutter in eine Kirche. Doch dort brachten sie auch seine Mutter um. Dann lief der zwölf Jahre alte Olivier Karekezi ziellos und wie betäubt durch die Straßen, bis ihn ein Mann auflas, der ihn von früher kannte. Es war der Trainer von Karekezis Fußballteam. Der Mann versteckte den Jungen, obwohl er sich damit in Lebensgefahr brachte. Denn er war ein Hutu und Karekezi ein Tutsi. Er hätte mich eigentlich umbringen müssen, sagt Karekezi.Heute, zehn Jahre später, ist Olivier Karekezi Fußballnationalspieler von Ruanda, einer Mannschaft die sich sensationell für die Endrunde um den Afrika Cup qualifizierte und das Turnier am kommenden Samstag gegen Gastgeber Tunesien eröffnet. Seine Geschichte ist typisch, und fast jeder seiner Kollegen hat etwas Ähnliches erlebt, jeder Lebenslauf in Ruanda ist irgendwie betroffen. Denn der Bürgerkrieg von 1994 ging als einer der schlimmsten Völkermorde der letzten Jahrzehnte in die Geschichte ein. Die damalige Hutu-Regierung ließ in nur hundert Tagen 800000 Tutsi, die kleinere ethnische Gruppe Ruandas, ermorden und weitere 200000 Hutu, die sich weigerten, sich an diesem Morden zu beteiligen. Mehr als zehn Prozent der Bevölkerung kam ums Leben, viele mußten flüchten und unter furchtbaren Bedingungen in Lagern leben. Es ist die eigentliche Sensation an Ruandas Endrundenteilnahme. Nicht, daß man sich als kleinstes Land seit Mauritius vor 30 Jahren qualifizierte. Nicht, daß man die Favoriten Ghana und Uganda bezwang. Sondern, daß Tutsi und Hutu, daß die Angehörigen der Mörder und die Angehörigen der Opfer heute in einer Mannschaft spielen und vor den Fernsehern und in den Straßen gemeinsam jubeln. Elf Freunde müßt ihr sein? (…) Zehn Jahre nachdem Spieler des Fußballteams des Mukura Victory FC während des Trainings mit Macheten aufeinander losgegangen waren, weil die einen Hutu und die andere Tutsi waren.Für den Afrika Cup bleibt Trainer Dujkovic realistisch: Wenn wir Vorletzter werden, wäre das schon ein Riesenerfolg. Sicher, wir haben in der Qualifikation sehr gut gespielt, aber ehrlich gesagt, sind wir vor allem deshalb weitergekommen, weil uns die anderen total unterschätzt haben. Für Olivier Karekezi ist das Allerwichtigste ohnehin schon erreicht. Vor einigen Wochen, beim 3:0 gegen Namibia in der Qualifikation zur WM 2006, hat er es erlebt: Das Stadion war voll, Tutsis und Hutus standen nebeneinander und sangen unsere neue Nationalhymne. Ich hatte einen Kloß im Hals, weil ich zum erstenmal spürte, was der Fußball getan hat. Was wir erreicht haben, macht unser Land froh und stolz – trotz der schrecklichen Vergangenheit.“

„Wichtiger als die Anstoßzeiten sei, das grundsätzliche Image und die Vermarktung der DFL zu verbessern, sagen Fußball-Experten im Fernost“, berichtet Harald Maaß (FR 19.1.) die Auffassung chinesischer Experten: “Die Heimat ist nie fern, wenn man in China unterwegs ist. In Peking kann es passieren, dass der Taxifahrer einen über den neusten Tabellenstand der Bundesliga aufklärt, in Shanghai wird man möglicherweise über die neusten Affären des FC Bayern München ausgefragt. Und selbst in der Inneren Mongolei bekommt man als Deutscher ein freudiges Bei Ken Bao Er zugerufen – so wird Franz Beckenbauer auf chinesisch ausgesprochen. Deutscher Fußball ist in China populär. Seit 1995 überträgt der staatliche Sportsender CCTV 5 am späten Samstag Abend vor einem Millionenpublikum das Top-Spiel der Bundesliga. Im Internet gibt es eigene Webseiten, die über die Geschehnisse der Bundesliga informieren. Die staatliche Lottogesellschaft hat auf ihrer Toto-Wettscheinen drei Bundesligaspiele stehen.Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen hat die Deutsche Fußball Liga (DFL) deshalb das Reich der Mitte entdeckt. Bisher verdient die DFL durch Auslandslizenzen nur 15 Millionen Euro im Jahr – die englische Premier League erwirtschaftet das Fünffache. Für seinen Vorschlag, die Anstoßzeit der Bundesligaspiele für den asiatischen Fernsehmarkt um einige Stunden vorverlegen will, erntet DFL-Präsident Werner Hackmann zwar nur Kritik. Einigkeit besteht jedoch, dass die Bundesliga in Asien besser vermarktet werden soll. Ganz oben auf der Liste steht China. Zwischen zehn und zwanzig Millionen Chinesen sitzen Samstag Nachts vor dem Fernseher, wenn Moderator Huang Jianxiang das Top-Spiel aus der Bundesliga kommentiert. Die von der Deutschen Welle betriebene Internetseite www.germansoccer.cn hat nach eigenen Angaben Hunderttausend chinesische Nutzer. Eigentlich müsste China ein guter Markt für deutschen Fußball, sagt Huang. Doch der deutsche Fußball habe ein Imageproblem. Die Bundesliga hat keine echten Stars, deshalb zieht es keine große Massen an, sagt Huang. In der Rangliste der europäischen Ligen stehe die DFL in China nur auf Platz vier – hinter Großbritannien, Italien und Spanien. Als Real Madrid vergangenen Sommer mit seiner Startruppe und den neu erworbenen Dave Beckham zum Trainingslager nach Südchina reiste, kampierten chinesische Teenager von dem Hotel. Für deutsche Clubs, und sei es der FC Bayern, interessieren sich in China nur eingefleischten Fußballfans. Die Deutschen spielen erfolgreich Fußball, aber sie spielen nicht schön, sagt Fußball-Fan Tian Cheng.“

Michael Horeni (FAZ 16.1.) fügt hinzu: “In den vergangenen Wochen haben abermals viele Menschen abgestimmt, um elf Superstars zu finden. Diesmal aber nicht für eine Fernsehsendung im Niederfrequenzbereich. Es wurde vielmehr nach den Hochbegabten des Fußballs auf der Internetseite der Europäischen Fußball-Union gefahndet, um mit ihnen die Mannschaft des Jahres zu formen. Bevor wir uns der europäischen Elite zuwenden, kurz zu denen, die es nicht geschafft haben, die Herzen der 1,5 Millionen Fußballfans bei dieser Wahl zu gewinnen – mit einem Wort: Deutschland. Kein einziger deutscher Spieler und auch kein Ausländer aus der Bundesliga haben die europäischen Fans im vergangenen Jahr verzücken können. Real Madrid ist mit vier Spielern dabei (Beckham, Zidane, Figo, Roberto Carlos), der AC Milan und Juventus doppelt (Nesta Maldini, Buffon Nedved), Manchester United einfach mit van Nistelrooy und UEFA-Cup-Sieger FC Porto überraschend mit Ferreira. Von Kahn und Ballack keine Spur, und auch ein brasilianischer Schützenkönig wie Ailton oder ein sündhaft teurer niederländischer Tor-Roboter wie Makaay machen keinen größeren Eindruck über die Vereins- und Landesgrenzen hinaus. Vielleicht läßt dieses Ergebnis auch deutsche Führungskräfte wie Rummenigge oder Hoeneß, die derzeit über die mangelhafte Vermarktung der Bundesliga in Asien klagen, darüber nachdenken, daß ein Produkt wie die Bundesliga oder der FC Bayern nicht nur einen Markennamen, sondern auch entsprechende Stars im internationalen Konkurrenzkampf aufbieten muß.“

Ich bin kein Star, laßt mich hier rein.

Christian Eichler (FAS 18.1.) vermisst, wie wir alle, Carsten Jancker: „Wo ist eigentlich Carsten Jancker? Schweizer Medien vermuteten ihn kurz vor Weihnachten auf dem Weg zu Eintracht Frankfurt. Englische Zeitungen meldeten ihn diese Woche im Angebot bei Glasgow Rangers. Oder ist er immer noch in Udine? Gott sei Dank ist Jancker Fußballer und kein früherer Hochspringer oder Sirtaki-Sänger, sonst müßte man ihn wohl im australischen Medien-Urwald suchen. Jancker hätte nach den gängigen Sender-Kriterien die Qualifikationsnorm für die RTL-Dschungelolympiade locker geschafft, das aktuelle sportliche Großereignis in populären Disziplinen wie Schlammkriechen, Straußenkampf oder Kakerlakentauchen. Und er hätte wohl nicht die schlechteste Figur gemacht bei diesem Resozialisierungsprogramm für Stars, die man gar nicht vergessen konnte, weil sie nie welche waren. Ich bin ein Star, holt mich hier raus ist in der Ballbranche aber das falsche Motto. Kicker auf Jobsuche sagen das Gegenteil: Ich bin kein Star, laßt mich hier rein. Auch deshalb sind Fußballer zum Glück noch nicht so weit, sich den neuesten Quotenschleim anzutun. Nur: Wie lange noch? Still und heimlich keimt auch in ihrer Welt das Prinzip Schadenfreude, der kleine Spaß des zahlenden Publikums an der Unbeholfenheit der Bezahlten. Seltsamerweise besetzt keiner diese Nische so sehr wie Carsten Jancker. Und das besonders im Ausland. Bei der Goldenen Mülltonne, der Wahl des schlechtesten Spielers in Italien, setzte ihn die Volksjury im Dezember auf Platz drei. Rivaldo, Platz eins, wurde inzwischen vom AC Mailand nach Brasilien abgeschoben; Gaddafis Sohn, Platz zwei, wegen Dopings beim AC Perugia gesperrt. Jancker ist nun also erste Wahl.“

Evi Simeoni (FAZ 17.1.) kritisiert Quälerei im Sport: “Es gibt Fußballhelden, die mit schweren Verletzungen ein Spiel beenden. Eiskunstläufer, die mit gesplittertem Knöchel ihre Kür zu Ende laufen. Handballspieler, die einfach einen gebrochenen Finger mit dem anderen zusammenbinden. Der Tennisprofi Goran Ivanisevic gewann Wimbledon mit einer Schulter, die hinterher nie mehr für ein Match taugte. Jockeys hungern und dürsten sich von Pferderennen zu Pferderennen, rauchen wie die Schlote, betäuben ihre leeren Mägen mit Alkohol und anderen Rauschmitteln und machen trotzdem weiter. Vor wenigen Tagen kündigte die englische Zeitung The Independent schon einmal an, daß man in diesem Jahr noch dem Jockey Willie Thorne zum Geburtstag gratulieren müsse. Er wird endlich 50, hieß es da mit englischem Humor, nachdem er bereits seit 20 Jahren so aussieht. Dazu paßt die Feststellung in einer Publikation des Deutschen Sportärztebundes, daß Mädchen mit Eßstörungen, wie sie im Turnen und in der Rhythmischen Sportgymnastik vorkommen können, in der Gefahr stünden, mit 30 Jahren ein Skelett zu haben, wie man es sonst nur von Siebzigjährigen kennt. Spätestens mit dieser Feststellung müßte die kritiklose Heldenverehrung im Leistungssport enden.“

Fans verstehen sich mehr und mehr als Akteure

Christian Eichler (FAZ 17.1.) lacht: „Beim Frühstück am 19. April 2001 stießen Zeitungsleser in aller Welt auf ein überaus langweiliges Sportfoto. Es passiert rein gar nichts auf diesem Bild. Es wurde im Münchner Olympiastadion aufgenommen und zeigt ein Fußballteam, das sich kurz vor dem Anpfiff routiniert zum üblichen Mannschaftsfoto plaziert. Vorn vier in der Hocke, hinten acht stehend – doch Moment mal, das wären ja zwölf! Und weil der Extramann weder den anderen elf noch irgendwelchen Sicherheitskräften aufgefallen war, wurde das Mannschaftsbild der Fußballzwölf von Manchester United vor dem Champions-League-Viertelfinale gegen Bayern München eines der kuriosesten Dokumente in der Geschichte der Sportfotografie. Der Mann, der mit seinem ManU-Trikot triumphal in die Kameras lächelte, heißt Karl Power. Er ist der Mann, der das Fan-Sein zum Leistungssport gemacht hat. In der heilen Fußballwelt ist der gewöhnliche Fan für Folklore, gute Laune und stabile Umsätze vorgesehen. Doch mehr und mehr sprengen Zuschauer diesen Rahmen, als seien sie mit der passiven Rolle des berechenbaren Konsumenten nicht mehr einverstanden: Sie führen sich selbst als Akteur auf. Das geschieht in vielfältiger, meist unguter Weise. In gegenseitig gewalttätiger Form als Hooligan. In dumpf bedrohlicher Form als sogenannter Stalker, der seinem Star auf den Leib rückt, ein Phänomen besonders in Amerika (wie es Robert DeNiro in dem Film The Fan darstellte). Auch in der Fußball-Bundesliga verstehen bestimmte Fans sich mehr und mehr als Akteure, als Teilnehmer am Geschehen, wie die zur Mode gewordenen Blockaden von Mannschaftsbussen zeigen. Es ist eine Krux mit den Fans, man kann sie sich eben nicht aussuchen. Manchester United hat seinem lästigsten Anhänger längst lebenslanges Hausverbot erteilt. Doch das schert Karl Power wenig. Im vergangenen April schaffte er es, gleich eine ganze gefälschte Mannschaft ins Stadion Old Trafford einzuschleusen. Vor dem Klassiker gegen den FC Liverpool postierten sich Power und zehn Kumpel zum Mannschaftsfoto am Mittelkreis, alle im Trikot von Manchester United – und alle mit Perücken und Baseballkappen.“

Günter T. Vollbach, if-Leser, schreibt mir: „Hallo Oliver Fritsch, Gott (und Ihnen natürlich!!) sei Dank, es gibt ihn wieder, den Freistoß! Jetzt noch gut 2 Wochen und die Welt ist wieder komplett in Ordnung. Herzliche Grüße GTV, Vancouver, BC (Canada).”

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