indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

Privatfernsehen – nur mit ARD-Kulissen

„Wie war sie, diese erste Sportschau der neuen Zeitrechnung?“, fragt sich Jörg Hahn (FAZ 4.8.). „Ein bißchen wie Privatfernsehen – nur mit ARD-Kulissen, ARD-Moderator, ARD-Kommentatoren. Spiel eins, Spiel zwei, Werbung kurz, Spiel drei, Werbung lang, Tagesschau kurz, Spiel vier, Spiel fünf, Werbung lang, Spiel sechs, das heißt die Partie des Tages, Schalke gegen Dortmund, dann noch mal Werbung kurz, schließlich Trainer-Interviews mit Jupp Heynckes und Matthias Sammer. Dazwischen, nicht zu vergessen, Small talk von Moderator Gerhard Delling mit Uli Hoeneß. Hätte Hoeneß das Flugzeug von München nach Köln verpaßt, wir wären auch nicht dümmer. Das erste Programm hat nicht mehr versprochen, als es halten konnte. Auch das Fernseharchiv aus der schwarzweißen Frühzeit der Sportschau wurde reichlich genutzt, und wir wissen deshalb jetzt, daß es Ernst Huberty inzwischen selber komisch findet, wie tief ausgeschnitten sein Pullover und wie schmal seine Krawatte einst waren; und daß er sie als Reporter beide geliebt hat, die Ruhrgebietsrivalen Schalke und Dortmund. Huberty wird diese Derbys oft, sehr oft erlebt haben; für Waldemar Hartmann, den Nebenmoderator auf Schalke (die ARD ermittelte in der Arena eine Betriebstemperatur von über fünfzig Grad), war es eine Premiere, wie für Heynckes in der Trainerrolle übrigens auch. Aber zunächst redete Hartmann über sich (…) Die Sportschau kann, allen großen Tönen zum Trotz, wie jede unter Zeitdruck hergestellte Sendung kein Hochglanzprodukt sein; sie war solides Handwerk, frei von technischen Pannen, aber nicht ohne Platitüden; Breisgau-Brasilianer, Kopfball-Ungeheuer, Aluminum-Allergie, im Tempo von Wanderdünen und so fort; es ist wahrscheinlich ungerecht, in den Kommentarkrümeln zu suchen. Aber die Struves und Faßbenders haben hohe Erwartungen geweckt, irgendwie sogar den Anspruch verkündet, Sat.1 und RTL und allen anderen zu zeigen, wie man es richtig macht. Man kann es so machen wie die ARD, muß man nun festhalten. Aber man könnte es auch sicher ganz anders machen.“

Lassen-Sie-sich-von-Matthias-Sammer-zusammenfalten

Wolfgang Hettfleisch (FR 4.8.). „So wenig wie Gastgeber Gerhard Delling hat lang keiner mehr aus Hoeneß herausgeholt, der eigentlich die Gabe besitzt, der deutschen Sportjournaille mit einem einzigen O-Ton das Wochenende zu retten. Doch entscheidend is ja aufm Platz. Und da, bei den Einspielern der Bundesliga-Partien vom ersten Spieltag, zeigen sich die Mannen der ARD meist auf Ballhöhe. Nüchtern, ja bieder sind die Spiele aufbereitet. Keine Zeitlupen-Orgien mehr wie bei der Infotainment-Kamarilla von Sat 1, möge sie in Frieden zuschauen. In der Sportschau feiert die Totale ihr Comeback – eine Einstellung, die Kameraleute bei den Privaten nur mehr dem Namen nach kennen. Spannender wird Fußball im Fernsehen durch den hartnäckigen Gebrauch des Tribünenblicks und den Verzicht auf die bei ran üblichen Kurz-Statements von Spielern nach Abpfiff nicht. Aber Puristen werden sagen, so gehöre sich das. Wer’s doch barocker mag, dem blieben – nebst drei Werbeblöcken inklusive der Erkenntnis, Oliver Kahn rieche nach billigem After Shave – die Interviews von Waldemar Hartmann aus der Schalke-Arena. Mit einem netten Beitrag zum Volkssport Lassen-Sie-sich-von-Matthias-Sammer-zusammenfalten und der Mutter aller Fragen an Jupp Heynckes: Wann soll’s denn richtig jucken auf Schalke? Damit zurück zu Gerhard Delling nach Köln.“

NZZ (4.8.). „In Bezug auf Bildführung und Interviewthemen wurde – so der erste Eindruck – ins Zentrum gerückt, was dorthin gehört. Nasenbohrende, auf die Tribüne verbannte Ersatzspieler oder gähnende Spielerfrauen wurden ebenso gemieden wie irrlichternde Reporter auf der Recherche nach der Herkunftsgeschichte eines Talismans. Die Reduktion auf das Wesentliche ist hier eine Wohltat.“

Emig verwechselte Kopfbälle mit Freistößen

Bernd Müllender (FTD 4.8.). „Die neue Sportschau! Neu war die Information, dass Waldemar Hartmann nach doppelter Selbstbekenntnis noch nie beim Revierderby gewesen war. Gibt’s in Bayern auch nicht! Schlimmste Neuigkeit war das Auftreten des bis dahin bei allem Werbetrommelwirbel wohlweislich verschwiegenen Dr. rer. „ja“ Jürgen Emig („Toi, toi, toi“) als Interviewer. Mit welchem erpressungsfähigen Geheimwissen schafft es dieser Mann („Toi, toi, toi“) immer wieder vor die Kamera? Kennt er („Toi, toi, toi“) Faßbenders Intimleben? Wer trotz Emigs freitäglicher Performance auch am Samstag einschaltete, geriet in eine nette Sendung. Mit ungeheurem Tempo, fast schon hektisch, aber es war „ja“ (Emig) auch viel los in den Stadien. Wir Zuschauer müssen uns umgewöhnen: Nicht mehr wenige Szenen ein halbes Dutzend mal, wie bei „ran“, sondern eine schnelle Folge von immer neuen Momenten. Den lange stillgelegten ARD-Fußballreportern merkte man an, dass sie elf Jahre Tatenarmut durch Kommentarstakkato zu kompensieren trachteten. Und es fehlt ihnen die genaue Erinnerung an die Anatomie des Kickerkörpers. Am Samstag wurde der Außenrist einmal zur Hacke und einmal zum Vollspann umorthopädiert. Emig verwechselte sogar Kopfbälle mit Freistößen.“

Christopher Keil (SZ 4.8.) kritisiert die ARD-Personalpolitik. „Ein Städtevergleich München, Frankfurt hat in der ARD unweigerlich zur Folge, dass Doktor Emig, Sportchef des Hessischen Rundfunks, und Waldemar Hartmann vom Bayerischen Rundfunk während der Übertragung mitmischen. Um so erstaunlicher ist es gewesen, dass der Waldifunk am Samstag für die erste Sportschau aus der Gelsenkirchener Arena im Einsatz war. Hartmann vermeldete schon Freitag vergnügt, dass es sich um sein erstes so genanntes Revierderby handele und wiederholte diesen Sachverhalt tags darauf. Eigentlich komisch, dass er ins Revier geschickt wurde? Hat der Westdeutsche Rundfunk nicht die mächtigste ARD-Sportredaktion und demzufolge auch ein paar kompetente Schalke/Dortmund-Kundige? Nächste Woche wird Michael Antwerpes, Sportchef des Südwest-Rundfunks, vom „Spiel des Tages“ grüßen. Vielleicht aus Stuttgart, was im Falle von Antwerpes ein Heimspiel wäre. Der VfB kickt gegen Hertha BSC, in der sportlichen Einschätzung beider Teams gibt es in sechs Tagen keine höherwertige Partie. Wobei Quote bekanntlich mit dem FC Bayern gemacht wird, der in Hannover antritt. Warum braucht die neue Sportschau zum Moderator im Studio einen Moderator beim „Spiel des Tages“. Der Anspruch, den die Findungskommission Sportschau unter Leitung von Ulrich Deppendorf (WDR-Programmdirektor), Heribert Fassbender (WDR-Sportchef) und Steffen Simon (Sportschau-Redaktionsleiter) hatte, war mehr Fußball. Und weniger Werbung, weniger Schau, weniger Wortgeklingel. Weniger Besetzungspolitik gibt es nicht. Andererseits ist das Versprechen trotzdem eingelöst worden. Die Sportschau ist dem ersten Eindruck nach sogar weniger ran-light, wie in Anlehnung an das Sat-1-Vorläufermodell prognostiziert wurde, sondern mehr Sportschau light. Sportschau steht als Qualitätsbegriff für sonore Abwicklung in Ton und Bild. Was früher bieder war, ist heute zum Gegenentwurf des schreihalsigen event-Fernsehens geworden.“

Es geht nicht mit rechten Dingen zu, daß Real Madrid jedes Jahr Verlust macht

Andreas Platthaus (FAZ 4.8.) rückt die Aussagen von Uli Hoeneß zurecht. “Bisweilen spricht gerade aus dem Munde der Prominenz das gesunde Volksempfinden. So etwa aus Uli Hoeneß, dem ersten Gast in der ersten neuen Sportschau, die dank der neuerworbenen Erstrechte an der Ersten Bundesliga zum erstrangigen Ereignis geworden ist – soviel Anfang jedenfalls war nie im deutschen Fernsehen wie am vergangenen Samstag nachmittag. Hoeneß also sprach, und man hörte seiner Stimme die Empörung nur zu deutlich an: Es geht nicht mit rechten Dingen zu, daß Real Madrid jedes Jahr Verlust macht. Dem ehrlichen Kaufmann, der der Manager des FC Bayern München nun einmal ist, will unbegreiflich bleiben, daß solch unsolides Geschäftsgebaren auch noch mit vermehrter Aufmerksamkeit belohnt wird. Dabei hätte Hoeneß sich nur kurz einmal um sich selbst drehen müssen, um ein wunderbares Beispiel für ein ähnliches Phänomen zu finden: die Sportschau selbst. Mittlerweile ist wohl klar, daß auch sie bestätigen wird, was schon die Privatsender RTL und Sat.1 leidvoll erfahren mußten: Fußball im Fernsehen ist ein Zuschußgeschäft. Als Frucht der kostspieligen Verbindung zwischen ARD und Deutscher Fußball-Liga zeichnet sich bislang für den Sender allein ein irrlichtirisierender Umriß ab: Als werde die Sportschau vom bösen Geist ihres Vertragspartners verfolgt, wird in der unteren rechten Ecke während der Spiele schemenhaft das Signet der DFL eingeblendet – jene Silhouette eines Fußballers, der gerade eine Aktion durchführt, die von jedem verantwortungsvollen Schiedsrichter als gestrecktes Bein abgepfiffen würde. Solche Einblendungen waren bislang für Dauerwerbesendungen reserviert, doch die wurden wenigstens vom Lieferanten der Bilder bezahlt.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Werder Bremen

Werder Bremen steht im Rampenlicht; die neue Rolle Bremens in der Liga; Thomas Schaaf, der bescheidene Stratege; Fabian Ernst, das gereifte Talent – Hoffnung in Berlin mit Andreas Thom – vor dem Derby Köln gegen Leverkusen – SpOn-Interview mit Reiner Calmund über die Zukunft Bayer Leverkusens – Maulwurfsuche in Hannover – Victor Agali und die Schalke-Fans u.v.m.

Frank Heike (FAZ 6.12.) widmet sich Werder Bremen vor dem Spitzenspiel gegen Bayern München: „Es ist eine neue Rolle, die Werder innehat – die Rolle des Favoriten. In jeder Partie, gegen jeden Gegner. Die haben wir uns verdient, sagte der 42 Jahre alte Thomas Schaaf. Er vorneweg ist mit seiner Ruhe, seiner Bedachtheit, auch mit seinem Instinkt, nach einem 6:1 den ohnehin am Boden liegenden Gegner nicht noch durch viele Worte zu demütigen und sich also kurz zu fassen, die Bestbesetzung für diese Rolle. Wir spielen auf einem wahnsinnig hohen Level, sagt Schaaf, das schürt natürlich auch eine wahnsinnig hohe Erwartungshaltung. Aber das darf nicht dahin gehen, daß nur noch darüber spekuliert wird, ob wir vier oder fünf Tore schießen. Der Nachsatz ist typisch für diesen nie überheblichen Mann: Das wäre vermessen und dem Gegner gegenüber nicht respektvoll. Auch den Bayern bringt Werder Respekt entgegen, mehr aber nicht. Plötzlich fühlt sich dieser solide geführte Klub, der zuletzt auf seiner Mitgliederversammlung von 3,8 Millionen Jahresüberschuß berichtete und davor ohne Gegenstimme die Ausgliederung der Profiabteilung durchbrachte, plötzlich also sieht sich der SV Werder mindestens auf Augenhöhe mit den Bayern. Dazu gehört auch, daß der Lieblingsfeind von einst ein beinahe ganz normaler Gegner geworden ist: beim vieldiskutierten Treffen der großen acht saß Klaus Allofs wie selbstverständlich neben Uli Hoeneß. Ein Verrat an Idealen, mag der alte Hoeneß-Feind Willi Lemke gedacht haben. Klaus Allofs sieht das anders. Auch hier hat neuer Pragmatismus Einzug gehalten beim SV Werder.“

Sven Bremer (BLZ 6.12.) porträtiert den Bremer Trainer: „Thomas Schaaf hat die Leserbriefe in der Zeitung noch gar nicht gelesen. Also wird ihm zugetragen, wie das Volk ihm huldigt. Dass es ihn zu König Thomas krönte. Schaaf legt die Stirn in Falten. Beinahe böse guckt er, dann entschließt er sich, es lächerlich zu finden: König Thomas. Es kommt ihm schwer über die Lippen. Denn das kann er nicht leiden, wenn die gleich wieder auf so was abheben. Übertreibungen sind ihm ein Graus. Ist ja toll, brummt er, dass jemand unsere Leistung anerkennt, aber König? Hat noch jemand was Schlaueres? Seit über 30 Jahre ist Schaaf, 42, bei Werder Bremen. Normalerweise werden solch treue Seelen Zeugwart oder Masseur. Schaaf ist Cheftrainer geworden. Er hat die A-Jugend betreut und die Amateure, seit Mai 1999 ist er für die Profis verantwortlich. Nur Volker Finke vom SC Freiburg arbeitet länger als Chefcoach bei einem Erstligisten – und Ottmar Hitzfeld beim FC Bayern, jenem Klub, der an diesem Sonnabend mit Respekt zum Spiel nach Bremen reist. Erstmals seit langer Zeit geht der SV Werder als Favorit ins ewige Duell mit den Münchnern, und das ist vor allem das Werk von Schaaf. Nach den missglückten Versuchen mit Aad de Mos, Hans-Jürgen Dörner, Wolfgang Sidka und Felix Magath in der Post-Rehhagel-Ära beschloss die Bremer Klubführung 1999, die Krise mit Bordmitteln zu bewältigen. Der dreimalige Meister und Europapokal-Champion Werder war im Niemandsland der Bundesliga angekommen. Ob aber dieser farblose Thomas Schaaf Werder wieder strahlen lassen könnte? Dass er ein exzellenter Fachmann ist, hatte sich herumgesprochen. Aber um die Wirkung des Übungsleiters in der Öffentlichkeit machte man sich Sorgen. Schaaf galt als wortkarg und dröge. Eine seiner Mannschaften hat ihm mal einen Lachsack geschenkt – weil er zum Lachen in den Keller gehe. Seitdem wird dieses Klischee bedient. Mann, das ist doch so ein durchgekautes Kaugummi, entgegnete er einem Journalisten, der ihn darauf ansprach.“

Bremen ist das krasse Gegenbeispiel zu München oder Hamburg

Jörg Marwedel (SZ 6.12.) spricht mit Fabian Ernst, Nationalspieler Werder Bremens: „Bei Werder Bremen findet Fabian Ernst den passenden Platz für sein kluges Spiel – mit spektakulären Folgen. „Die Entwicklung muss weiter gehen“, sagt Fabian Ernst. Die des Klubs, indem er die Verluste von Ailton und Krstajic, die es am Saisonende zu den finanzstärkeren Schalkern zieht, „mindestens kompensiert“. Und seine eigene, die ihn der Nationalelf nähergebracht hat (drei Kurzeinsätze). „Ziele abgleichen“, nennen das die Unternehmensberater. Das ist modern, weil man erkannt hat, dass nur eine größtmögliche Übereinstimmung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Erfolg führt. Dabei fällt es nicht schwer zu erkennen, dass Bremen wie geschaffen ist für einen Fußballprofi wie Fabian Ernst. Der SV Werder und sein Publikum stellen Ansprüche, aber sie arten nicht aus. Man wird beachtet, aber nicht überrollt. „Bremen“, sagt der gebürtige Hannoveraner, „ist das krasse Gegenbeispiel zu München oder Hamburg.“ Hier lasse es sich „relativ entspannt arbeiten“ und ein Spieler laufe kaum Gefahr, vom Erwartungsdruck der Medien erdrückt zu werden. Gleichwohl muss es für Werder nicht Utopie bleiben, was Fabian Ernst zum persönlichen Ziel erklärt hat: „Ich will nicht 15 Jahre gespielt haben, ohne einen Titel gewonnen zu haben.“ Wahrscheinlich ist es sogar diese seltene Mischung aus Erfolgshunger, Geduld und Gelassenheit, die Fabian Ernst zum Durchbruch verholfen hat. Hier hat er sich befreien können von all den Klischees, die ihm in den ersten Bundesliga-Jahren beim Hamburger SV anhafteten wie Uhu: das Etikett des Supertalents, das Parallelen zum jungen Beckenbauer aufweise; des „ewigen Talents“, dem es sowohl an Dynamik wie an Selbstkritik fehle; des verhätschelten, vom Vater nicht professionell genug gemanagten Jungprofis.“

Die beiden sind ein eingespieltes Team

Richard Leipold (Tsp 6.12.) schildert das gute Verhältnis zwischen Matthias Sammer und Gerd Niebaum: “Matthias Sammer soll in der Kritik stehen? Aber nicht doch. Borussia Dortmund, die Fußballmannschaft des sächsischen Trainers, ist zwar nur Fünfter in der Bundesliga und nach weniger als der Hälfte dieser Saison frei von nationalen oder internationalen Zusatzaufgaben. Hier und da mögen die Nörgler kleine taktische Fehler diagnostizieren, aber nichts Gravierendes. Bei der Pressekonferenz vor dem Heimspiel an diesem Samstag gegen Hertha BSC hat der Geschäftsführer der kickenden Kommanditgesellschaft auf Aktien, Gerd Niebaum, seinem Trainer dennoch öffentlichen Beistand geleistet. Sozusagen vorsorglich. So saßen die beiden nebeneinander auf dem Podium und ließen die Fragestunde über sich ergehen. Bei solchen Gelegenheiten ergänzen sie sich gut. Niebaum redet gern, wenn auch manchmal drum herum; Sammer redet ungern. In Jogginghose und Badelatschen steht und sitzt er für das Sportive, Schweißtreibende, Ursprüngliche ihrer gemeinsamen Passion namens Borussia. Der Präsident, in dunkles Tuch gewandet, verkörpert das unternehmerische Handeln eines Kleinkonzerns, der aus einem Arbeiterfußballverein hervorgegangen ist. Auch wenn sie nicht so aussehen: Die beiden Männer sind ein eingespieltes Team, in dem sich einer auf den anderen verlassen kann, gerade in schwierigen Zeiten wie diesen.“

Tsp: Der FC Bayern hat es schwer, seinem erkrankten Angestellten Sebastian Deisler zu helfen

Hoffnung auf ein bisschen Lockerheit

Javier Cáceres (SZ 6.12.) empfängt nun hoffnungsvolle Signale aus Berlin: „Wenn beim zweiten Auftritt des neuen Trainers Andreas Thom, 38, im Presseraum von Hertha BSC etwas mit Händen zu greifen war, dann der radikale Stimmungswandel, der sich hier vollzogen hat. Mit einem Mal stehen sich nicht mehr zwei Lager mit gezückten Messern gegenüber; es herrscht ein respektvoller Umgang zwischen Medien und Trainer, frei von Doppelzüngigkeiten, gegenseitigem Misstrauen oder gar: Verachtung. Auch daran war ja der am Donnerstag beurlaubte Huub Stevens in Berlin gescheitert: den Ton nicht richtig getroffen zu haben. Nun sitzt Thom auf dem Podest, und alles klingt anders. Und nicht nur, weil jetzt konsequent berlinert wird, wa? Die Hoffnung auf „ein bisschen Lockerheit“ hatte Manager Dieter Hoeneß am Donnerstag mit Thom verbunden; es gab hernach einige gewölbte Brauen. Beklommen und wortkarg wirkte der frühere Nationalstürmer am Tag seiner Vorstellung als Übergangs-Betreuer, „ich stell’ mich dem halt“, hatte er gesagt und so verschüchtert gewirkt wie Thomas Hörster in der vergangenen Saison bei Bayer Leverkusen. Manches, sagte Thom gestern, sei „nicht so ’rübergekommen“ wie gewünscht; weil „einijet auf mich einjestürmt is’“ und so viele TV-Sender live übertrugen, sah er sich seiner Natürlichkeit beraubt. Gestern hatte er sie zurück erobert.“

Tsp-Interview mit Thom

Etwas für den Seelenhaushalt ihres Publikums tun

Vor dem morgigen Derby zwischen Köln und Leverkusen taucht Christoph Biermann (SZ 6.12.) ins Innere der Beteiligten ein: „Für die Fans sind, jeweils wechselseitig, Bayer 04 und der 1. FC Köln die Inkarnation des Bösen, schrecklich wie die Pestilenz. Früher pflegten auch die Vorstände in Köln das Bild vom neureichen Leverkusener Pillenklub, während die Leverkusener ihre Kölner Kollegen für arrogante Snobs hielten. Heutzutage sehen sich die Repräsentanten der Vereine als konkurrierende Partner in einer Branche, die überall der gleichen Logik folgt. Nach dieser Logik ist der Erfolg für beide Seiten dringender als sonst. Die Teams stehen vor der Notwendigkeit, etwas für den Seelenhaushalt ihres Publikums zu tun. Denn sowohl Leverkusen als auch Köln stecken in Krisen, wenn auch von deutlich unterschiedlicher Dimension. Besonders arg setzt sie den Kölnern zu, die es im Laufe der Woche schafften, ihren Notfallzustand zu steigern. Das Ausscheiden im DFB-Pokal gegen Greuther Fürth war gleich doppelt niederschmetternd. Der leise Rückenwind nach dem Punktgewinn beim FC Bayern verwandelte sich gleich wieder in einen Sturm der Entrüstung. Inklusive der erschütternden Einschätzung von Trainer Marcel Koller, der behauptete: „Die Kondition reicht nicht für zwei Spiele in einer Woche.“ Was soll da erst in der dritten Partie zu erwarten sein? Zudem fehlt nun rund eine halbe Million Euro (…) Gegenüber den existenziellen Sorgen der Kölner fallen Leverkusens Probleme bescheiden aus, obwohl Calmund das peinliche Pokal-Aus beim Regionalligisten Hoffenheim als „unterirdisches Gekicke“ klassifizierte. Eine Tendenz zur Nachlässigkeit scheint sich da zu bestätigen.“

Mit seinem Führungsstil ist Klaus Augenthaler ein Glücksfall für Bayer

SpOn-Interview mit Reiner Calmund

SpOn: Sie sind ein Mensch, der immer viele Emotionen transportiert und Bayer aufregend gemacht hat. Muss man durch Ihren Rückzug fürchten, dass Leverkusen wieder zum biederen Werksclub mutiert?

RC: Ich habe sicher mehr Charisma als Ilja Kaenzig, aber ich bleibe dem Fußball ja erhalten. Für den Verein war es wichtig, dass wir in den vergangenen Jahren dieses Plastik-Image abgestoßen haben. Wir sind ein familiärer kleiner Klub, der hochmodern strukturiert ist. Wir sind optimal aufgestellt. Die Zeiten der großen Dinosaurier Uli Hoeneß, Rudi Assauer oder Reiner Calmund sind sowieso vorbei.

SpOn: Und es folgen Typen wie Karl-Heinz Rummenigge, Andreas Rettig oder Ilja Kaenzig, die vor allem kühl kalkulieren.

RC: Ilja Kaenzig besitzt einen großen Vorteil im Vergleich zu mir: Die Zukunft, die habe ich leider nicht mehr. Er ist ein Mann, der mehrere Sprachen spricht und fest in der G14 installiert ist. Die Vertragsverhandlungen macht der sogar besser als ich, weil ich die Geduld verliere. Wenn ich einen haben will, dann bezahle ich nach der vierten Runde irgendwann zu viel.

SpOn: Wie erklären Sie sich dieses Aussterben der Dinosaurier? Das Geschäft sehnt sich doch nach diesen Figuren.

RC: Der Fußball ist globalisiert, die Anforderungen werden immer größer. Wenn es gut läuft wird man vollkommen überzogen positiv dargestellt, damit kommt man noch gut klar. Im Negativen können das die alten Füchse immer schwerer ertragen. Ich glaube durch diesen täglichen Druck können sich Dinosaurier nicht mehr geschützt in eine solche Position hinein entwickeln. Deswegen wachsen heute weniger charismatische Figuren mit weniger Angriffsflächen heran.

SpOn: Passt deswegen auch Klaus Augenthaler so gut in diese Zeit? Der ist ja verglichen mit seinen Vorgängern bei Bayern wie Christoph Daum oder Klaus Toppmöller eine eher ruhige und zurückhaltende Figur.

RC: Mit seinem Führungsstil ist Klaus Augenthaler ein Glücksfall für Bayer. Er ist kein Mann großer Worte, er arbeitet ruhig, klar und jeder weiß, was er zu tun hat. Unser Co-Trainer Peter Hermann, der mit Augenthaler seinen Trainerlehrgang absolvierte, hat gesagt: Wenn du einen absoluten Topmann willst, dann versuch den Augenthaler zu holen. Er hat einen großen Verdienst an dieser Ruhe, die einkehren musste, die uns wirklich gut tut.

Andreas Morbach (FR6.12.) beleuchtet das schwierige Verhältnis der Schalke-Fans zu Victor Agali: “In Kopenhagen war es schön. Zumindest für Victor Agali. Verloren hatte Schalke bei Bröndby IF zwar und war raus aus dem Uefa-Cup. Und doch war es dem Nigerianer in Dänemark warm ums Herz. Weil ihn die mitgereisten Fans lauthals feierten und dem dunkelhäutigen Mann mit den endlos langen Beinen ihre Schals zuwarfen. Das hat mich total überrascht, staunt Agali eine Woche später noch über die Sympathiebekundungen. Was Wunder. Fünf Tage vor dem Bröndby-Spiel, gegen Rostock, hatten ihn Anhänger desselben Clubs vor, während und nach dem Spiel gnadenlos ausgepfiffen. Egal, was er anstellte. Agali war entsetzt, die Vereinsführung empört. Und die Fans reagierten: Via Internet veranstalteten sie eine Sammelaktion, die Zeitung RevierSport legte noch ein paar Euro drauf und veröffentlichte dann unter dem Titel Victor Agali – einer von uns eine mächtige Anzeige (…) Fest steht, dass das Volk ungeduldiger und die Reaktionen auf den Rängen fieser geworden sind, seit der FC Schalke in seinem neuen Stadion spielt. Das Publikum hat sich sicher ein bisschen verändert, sagt Müller. Im Parkstadion hatten wir 40 000 Zuschauer im Schnitt, jetzt 60 000. Irgendwo müssen die ja herkommen. Richtige Fußballfans sind die neu Dazugestoßenen wohl nicht, ahnt er. Die wollen mehr Unterhaltung, mehr Event. Die Event-Fans allein seien für Pfeifaktionen wie im Fall Agali nicht verantwortlich, sagt Rolf Rojek. Der Vorsitzende der Schalker Fanclub-Vereinigung weiß aber auch: Diese Leute haben nicht das Verständnis vom Fußball wie wir. Ein richtiger Fan geht mit Magenschmerzen nach Hause. Und macht nicht Schalker Spielern Magenschmerzen.“

Es gibt eine undichte Stelle, einen Verräter

Ingo Durstewitz (FR 6.12.) sucht den Hannoveraner Maulwurf: “Rückblende: Samstag, 22. November 2003, 17. 25 Uhr; Cannstadt, Gottlieb-Daimler-Stadion, Gästekabine (VfB Stuttgart gegen Hannover 96: 3:1): Die Gesichter bleich, die Mienen finster, Schweiß tropft. Die Profis von Hannover 96 schweigen, lassen den Kopf hängen, werfen die Stollenschuhe in die Ecke. Ralf Rangnick, der Professor, hält eine kurz Ansprache; Mohamadou Idrissou, Stürmer, kauert auf der Bank, schüttelt das Haupt. Rangnick verlässt die Kabine, eilt zur Pressekonferenz. Die ersten Geschlagenen schlappen zu den Duschen, als Idrissou, 23, explodiert, brüllt: Ich habe die Schnauze voll von diesem Scheiß! Der baumlange Kerl, 1,95 Meter, 82 Kilo, geht auf Verteidiger Bergantin Vinicius, 1,89 Meter, 81 Kilo, los. Spieler werfen sich dazwischen, Gerangel, Geschubse; Idrissou ist außer Rand und Band, tobt durch die Kabine. Erst Ricardo Moar, der heißblütige Sportdirektor, kann den Wüterich stoppen, auf recht eigentümliche Weise: Küsschen rechts, Küsschen links. Geht doch. Womöglich kommt es in dem großen Heiligtum des Profisports, der Kabine, häufiger zu kleinen Tobsuchtsanfällen, neu im Fall Hannover ist, dass ganz Niedersachsen en detail in der Boulevardpresse davon lesen darf. Ergo: Es gibt eine undichte Stelle, einen Verräter, einen Maulwurf! Ricardo Moar, der emotionale, eigenwillige Kommunikator, nennt ihn wenig euphemistisch Arschloch, auf dessen Ergreifung der Spanier eine Belohnung aus seinem Privatvermögen ausgelobt hat, 10 000 Euro in bar.“

Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208

Ballschrank

Schuldenpolitik Schalkes und Dortmunds

die Schuldenpolitik Schalkes und Dortmunds in der Kritik der Presse: „Größenwahn AG“, „Geld ausgeben ohne Sinn und Verstand“ (Zeit über Dortmund); „zwei der populärsten Bundesligaklubs haben ihre Zukunft verpfändet“ (NZZ) – Start in die Rückrunde heute: „Bloß nicht den neureichen Nachbarn geben“ (FAZ über die Absicht Rudi Assauers, Schalke-Manager) – taz-Interview mit Peter Neururer (Trainer des VfL Bochum): „die Verhaltensweisen der Trainer untereinander müssen sich ändern, da muss ein Ehrenkodex her“ – FR-Interview mit Jupp Heynckes (Trainer des FC Schalke 04): „Solidarität darf man nicht erwarten“ – Heribert Bruchhagen, mutiger und fleißiger Vorstandschef Eintracht Frankfurts, macht seinem Verein Hoffnung u.v.m.

Zwei der populärsten Bundesligaklubs haben ihre Zukunft verpfändet

Martin Hägele (NZZ 30.1.) kritisiert die Schuldenpolitik Dortmunds und Schalkes: „Die beiden Anleihen von S04 und BVB verschlechtern das wirtschaftliche Gesamtbild der Bundesliga entscheidend. Statt wie zu Saisonbeginn mit 600 Millionen Euro schreibt die deutsche Fussballklasse nun zusammen 800 Millionen Euro rote Zahlen. In vielen Klubs wird mit Unverständnis registriert, wie locker sich zwei der Branchenführer aus dem schon von der Vernunft vorgegebenen Sparkurs nach der Kirch-Krise und ausbleibenden Fernsehgeldern verabschiedet haben ins ewige Leben auf Pump. Schalke 04 zum Beispiel verpfändete die Zuschauereinnahmen bis ins Jahr 2027. Besonders im VfB Stuttgart, dessen Jugend- und Finanzpolitik als vorbildlich gilt beim Anpassen an die neuen und harten Zeiten, hat es deshalb Ärger gegeben, nachdem ausgerechnet Assauers Agent den brasilianischen Abwehrchef Bordon aus dem erfolgreichen schwäbischen Mannschaftsgefüge herausgebrochen hatte. Der 28-Jährige unterschrieb einen Vierjahresvertrag vom 1.Juli 2005 an und wird Schalke 04 hochgerechnet fast 15 Millionen Euro kosten. Weil Schalke 04 aber schon in der nächsten Saison ins Titelrennen eingreifen will und den Topverteidiger deshalb früher braucht, werden im Sommer noch einmal rund 5 Millionen Ablöse fällig. Spötter fragen deshalb, ob das Transfer- Paket Bordon dann aus den Zuschauereinnahmen der Saison 2017/18 und 2018/19 bezahlt wird oder ob damit auch schon die hochgerechneten Einnahmen verbraucht sind, die die Erben Assauers in den Jahren 2020 und 2021 aus der Arena Auf-Schalke kassieren wollen. Dass da zwei der populärsten Bundesligaklubs ihre Zukunft verpfändet haben und die reichen Nachbarn eigentlich gar nicht so reich waren, wie sie getan haben, wurde nun im VfL Bochum gemerkt, und entsprechend reagierte er. Die Bochumer, die lange als Schlucker zwischen den zwei Fussball-Domänen galten, wollen nun den Status attackieren. Es gab jedenfalls einige Schlagzeilen, als der Coach Neururer nicht nur auf die Tabellen, sondern auch auf die Besitzverhältnisse und die daraus resultierenden Ambitionen hinwies. „Wir sind der schlafende Riese, Schalke und Dortmund sind die eingeschlafenen Riesen.“ Er sehe, meint der wortgewaltige Neururer in seiner Kampfansage um die Nummer 1 im Westen, Perspektiven sogar dauerhaft an den beiden Grossmächten vorbeiziehen.“

Eine gewagte Prognose – aber ganz falsch muß sie nicht sein

Im Vergleich damit ist Michael Horeni (FAZ 30.1.) vertrauensvoller: “Optimismus ist nicht gerade eine deutsche Tugend. In der Bundesliga gehört sie jedoch trotz alarmierender Meldungen zur mentalen Grundausstattung. Dem einstigen Krösus Borussia Dortmund geht das Geld aus. Schalke 04 leistet sich trotz fehlenden sportlichen Erfolgs und ohne die entsprechenden Zusatzeinnahmen auf wundersam sorglose Weise immer neue und kostspielige Profis. Der Schuldenstand der Profiklubs soll sich nach einer noch nicht veröffentlichten Studie der DFL von 600 auf knapp 700 Millionen Euro erhöht haben. Sportlich fällt die Bundesliga im internationalen Vergleich mit England, Spanien und Italien immer weiter zurück. Aber der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München behauptet unverdrossen vor dem Start zur Rückrunde: Die Bundesliga steht von den großen Ligen in Europa mit Abstand am besten da. Am Ende, so Karl-Heinz Rummenigge, werde die Bundesliga der Gewinner im momentanen Bereinigungsprozeß sein. Eine gewagte Prognose – aber ganz falsch muß sie nicht sein. Denn marode Vereine wie der AC Parma, der nun von einem Insolvenzverwalter geführt wird, oder Lazio Rom sind in der Bundesliga noch nicht Wirklichkeit geworden, selbst wenn zahlreiche deutsche Klubs in den vergangenen Jahren notorisch über ihre Verhältnisse gelebt haben. Auf Gehaltszahlungen mußte auch noch kein Profi in den verkleinerten Kadern verzichten (…) Zudem hat die Liga die Langeweile in dieser Rückrunde, anders als beim Münchner Alleingang im Vorjahr, aus ihrem sportlichen Programm gebannt. Meister muß diesmal nicht automatisch wieder der Rekordmeister FC Bayern werden, seit auch weniger ambitionierte Geschäftsmodelle Erfolg versprechen. Die soliden Kaufleute aus Bremen stehen an der Spitze vor den reichen Bayern, die sparsamen Schwaben lauern dahinter – und das ist ganz sicher gut fürs Geschäft.“

Paul Suciu-Sibianu, Diplom-Betriebswirt und DVFA-Investmentanalyst, schreibt einen Gast-Kommentar (FR 30.1.): “Eine gegenwärtig diskutierte Form der Kapitalbeschaffung für Unternehmen wie Borussia Dortmund ist die sogenannte Asset Backed Security-Konstruktion. Als einziger Bundesligist hat sich Schalke 04 dieser Form der Anleihe-Finanzierung beim Londoner Finanzmakler Stephen Schechter bedient. Dortmund denkt darüber nach. Bei dieser Transaktion handelt es sich um den Verkauf von zukünftigen Zahlungsströmen, die mit einer bestimmten Sicherheit prognostizierbar sind. Bei Fußballunternehmen sind dies zukünftige TV-, Zuschauer- oder Sponsoreneinnahmen. Die Finanzierungskosten dieser Konstruktion hängen in erster Linie von der Qualität des Zahlungsstromes und der Laufzeit der Anleihe ab. Schlechte Qualität, also hohes Ausfallrisiko, und lange Laufzeit resultieren in einer hohen Zinsbelastung für den Emittenten. Bei der Einstufung der Transaktion durch eine Ratingagentur wird tatsächlich lediglich die Qualität der zukünftigen Zahlungsflüsse beurteilt und nicht die Bonität des Fußballunternehmens selber. Für die Unternehmen liegt der Vorteil auf der Hand: Sie bekommen heute das Geld für Leistungen, die sie erst morgen erbringen. Damit die Unternehmensexistenz nicht gefährdet wird, muss dass Management dafür Sorge tragen, dass zum einen die schon verkauften Leistungen auch definitiv erbracht werden können und zum anderen, dass während der Laufzeit die Zinszahlung und am Laufzeitende die vollständige Tilgung der Anleihe erfolgen kann. Dies kann nur bei einer professionellen und verantwortungsvollen Verwendung der eingenommenen Mittel gelingen (…) Grundsätzlich muss bei Fußballunternehmen das Bewusstsein wachsen, dass ein gewinnorientiertes Unternehmen anders geführt werden muss als ein Verein. Dazu gehört, dass wesentliche Entscheidungen in einem kompetenten Management-Team unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte diskutiert werden. Eine starke zweite Reihe, welche die Geschäftsführung berät und an Entscheidungen beteiligt ist, ist für den unternehmerischen Erfolg unabdingbar.“

Geld ausgeben ohne Sinn und Verstand

Sehr lesenswert! Hanns-Bruno Kammertöns, Henning Sussebach Stefan Willeke (Zeit / Dossier 29.1.) berichten Zustand und Zukunft der „Größenwahn AG“: „Seit 18 Jahren regiert Gerd Niebaum den BVB, hat aus einem Provinzklub eine Kapitalgesellschaft gemacht, die erste und einzige deutsche Fußballfirma, die an die Börse ging. Mit viel Geld kann man viel Erfolg kaufen, dachte Gerd Niebaum, und wenn man sich dafür heute hoch verschulden muss, dann wird der Profit von morgen die Schulden tilgen. Gerd Niebaum hat eine Wette auf die Zukunft abgeschlossen, und diese Wette droht er gerade zu verlieren. Rund 44 Millionen Euro Verlust, ermittelte Anfang Januar die Bayerische Hypo- und Vereinsbank, werde der BVB am Ende dieser Bundesligasaison angehäuft haben, wenn nichts passiert. Was schon passiert ist: Der Schutzwall, mit dem sich Niebaum umgibt, ist brüchig geworden. In Dortmund sagt es jeder, dass diejenigen, die Gerüchte streuen und immer neue, dunkle Zahlen lancieren, zu den engen Mitarbeitern des Präsidenten gehören müssen. Was kommt noch ans Licht? Selbst jene, die Niebaums Lebensleistung bewundern, sagen mittlerweile, dass ihnen der Mann unheimlich geworden ist. „Irgendwann hat er die Bodenhaftung verloren, hat er angefangen, Geld auszugeben ohne Sinn und Verstand“, urteilt ein langjähriger Mitstreiter. Der Präsident sei „hoch intelligent, aber irgendwann fehlgewickelt worden“. Liegt es daran, dass er entgegen dem Rat vieler Freunde nicht vom BVB lassen wollte oder konnte? Von bedrohlichen Schwierigkeiten will Gerd Niebaum nichts wissen. „Wir schnallen den Gürtel insgesamt enger“, sagt er in diesen Tagen lächelnd, ein „Kostensenkungsprogramm“ habe er für alle Angestellten in der Geschäftsstelle durchgesetzt. „Ich verdiene schon seit geraumer Zeit sehr viel weniger.“ Die Hybris des deutschen Fußballs ist in Dortmund zu besichtigen, mehr noch, der tiefe Fall nach dem Höhenflug. Der Meister der Kalkulationen hat sich verrechnet. Er dachte, dass man sportliche Höchstleistungen abonnieren könne, wenn man in der ganzen Welt berühmte Spieler zusammenkauft. Gerd Niebaum hat den Wirtschaftsbetrieb Borussia von perfekten Flanken und Torschüssen abhängig gemacht. Jetzt muss er selbst einem unsichtbaren Gegner hinterherlaufen und drohende Verluste eindämmen. Niebaums Lebenswerk steht auf dem Spiel, aber niemand soll davon etwas merken. Im Flur neben seiner Zimmertür hängt ein gerahmtes Bild mit vielen kleinen Erinnerungsfotos, die alle nur ein Thema haben – den erfolgsverwöhnten Boss. Niebaum mit Kanzler Schröder. Niebaum mit Weizsäcker. Niebaum mit dem Chef des Deutschen Fußball-Bundes. Wenn der BVB-Präsident nicht aufpasst, könnte demnächst ein weiteres Foto hinzukommen: Niebaum mit Insolvenzverwalter (…) Jede neue Stufe, die der Klub im Laufe der Zeit erklomm, jeder Anspruch, den er erhob, wurde hier in Beton gegossen. Es ist, als habe der Präsident Niebaum jede Meisterschaft eingraviert, stufenweise hat er die Tribünen vergrößern lassen, steil gestaffelt. Im vergangenen Herbst wurden dann auch noch die bis dahin offenen Ecken geschlossen. Mehr geht nicht. Die Heimstatt des Ballspielvereins Borussia ist inzwischen fast doppelt so groß wie vor zehn Jahren. Das Superstadion, eine Illusion. Die Borussia werde eine „bessere Auslastung“ erreichen, „auch verstärkt durch Nicht-Fußball-Events“, schrieb 2001 die Düsseldorfer WGZ-Bank, die mithalf, den BVB an die Börse zu bringen. Das Stadion sei eigentlich gar kein Stadion mehr, so der Tenor, sondern eine Multifunktionsarena, in der sich durch Pop- und Rockkonzerte zusätzliche Gewinne erwirtschaften ließen. Aber das letzte große Konzert hat 1976 stattgefunden. Damals traten Simon and Garfunkel auf. Konzerte zahlten sich nicht aus, hat Manager Meier in der Geschäftsstelle vorgerechnet, zumal die Fans den Rasen vollends zerstören würden. Dann hat er noch leise von „Schwingungsproblematiken“ gesprochen. Die Statik des Westfalenstadions ist nicht auf den Rhythmus von 83000 Konzertbesuchern ausgelegt, die stundenlang hüpfen, klatschen, stampfen. Die neuen Aufbauten gründen auf den 30 Jahre alten Tribünen des Urstadions, deren Betonstelen dünner und mit weniger Stahl durchzogen sind als jene in der Arena auf Schalke beispielsweise. Ein Gutachten stellt klar, einstürzen kann das Stadion nicht, aber Haarrisse sind zu befürchten. Die Leute sollen bitte sitzen bleiben, beim Fußball tun sie das zum Glück, seit Stadionsprecher Norbert Dickel nicht mehr das Lied Hey, Pippi Langstrumpf spielt, zu dem die Zuschauer gerne auf und ab sprangen (…) Auch wenn die Verantwortlichen der Borussia das Wort „VIP“ einvernehmlich nicht in den Mund nehmen, Klassenunterschiede sind ihnen nicht fremd. Deshalb haben sie im Westfalenstadion kulinarische Verwöhnzonen geschaffen, die in Werbebroschüren als „einzigartig“ beschrieben werden. Zur Wahl steht der Rote Erde Club mit „einem eigenen Küchenkomplex“ und „separatem Eingang für Ihre Gäste“ oder der so genannte Stammtischbereich, der nach den Worten von Cramer „landestypisch“ gehalten ist und 1700 Menschen Platz bietet. Man sitzt an klobigen Holztischen mit Wimpeln, die das Terrain von E.on, der Sparkasse und das der Dortmunder Stadtwerke sichtbar markieren. Eintrittspreis für jeweils vier Personen 21600 Euro, Tribünenkarten für Heimspiele inklusive. Doch wer wirklich mittendrin sein will, wählt den Borussia Park, den inneren Tempelbezirk der Arena. Hier kostet die Viererkarte 13200 Euro, hier ist Dortmunds Borsigplatz in Kulissen getreulich nachgebaut, was die einen schon mal an Disney World erinnert. Andere reagieren gerührt angesichts der Pokale in den Vitrinen, der alten Fotos an den Wänden und der Waggons der elektrischen Eisenbahn, die auf Schienen über die Köpfe der Zecher hinweg die Theke entlangfährt (…) Auf Platz 62, Reihe 3 sitzt Lars Ricken, erst 27 Jahre alt und doch – nach Stefan Reuter – der dienstälteste Spieler im Kader. Und der letzte Dortmunder. Wer in der Geschäftsstelle durch die Flure läuft, kann auf den gerahmten Mannschaftsfotos sehen, wie seit elf Jahren um diesen Ricken herum eine ganze Mannschaft rotiert, wie Spieler kamen und gingen, große Namen wie Möller, Kohler, Riedle, Chapuisat. Auch die Trainer wechselten, auf Hitzfeld folgten Scala, Skibbe, Krauss, Lattek, Sammer. Nur Ricken saß bei jedem neuen Fototermin wieder vorne in der ersten Reihe. Das macht ihn zum Kronzeugen für die Entwicklung der Marke BVB, der Ware Fußball. Deshalb sitzt er hier im Stadion und soll erzählen, mit welchem Gefühl er heute in ein Spiel geht. „Verantwortung“, sagt er. Verantwortung. Spielfreude entwickelt sich. Vielleicht. Wenn’s läuft. Ricken erzählt, man höre in der Kabine, tief in der Tribüne versteckt, nichts von den 83000 Menschen draußen, keinen Ton, nur das Räuspern und Klospülen der Mitspieler und das Klacken ihrer Stollen auf den Fliesen. Wenn sie dann rausgehen, knallen ihnen die Farben und Gesänge entgegen, die Erwartungen, der Druck, und über allem wacht hoch oben der Präsident, den die Spieler noch immer artig Dr. Niebaum nennen. Man geht nicht da raus, um Spaß zu haben. Man geht nicht mehr ins Stadion wie auf eine Wiese. Erst recht nicht in dieses. Rickens Karriere verlief parallel zu der des ganzen Clubs, Mitte der Neunziger der steile Aufstieg, dann die Stagnation. Aus allem, was Ricken sagt und was er nicht sagt, wird deutlich, wie tief das Unternehmen Fußball in seinen Sport eingedrungen ist. Manchmal überlegt er schon auf dem Spielfeld, wie er nach dem Abpfiff einen Fehler erklären soll. Ricken war schon einmal allein im Westfalenstadion unterwegs, 1997, in einem Werbespot für die Firma Nike. Damals trat er als einsamer Kritiker des Profifußballs auf, tadelte „Männer in Nadelstreifen-Anzügen“ und „Geschäftemacherei ohne Ende“. Ricken war damals 20. Drei Jahre zuvor hatte er als jüngster Spieler aller Zeiten in der Bundesliga sein erstes Tor erzielt, war dann zweimal Deutscher Meister geworden, ein paar Monate später sollte er die Borussia zum Champions-League-Sieg schießen, kurz darauf würde ihn der Autor Benjamin von Stuckrad-Barre zur literarischen Figur erheben. Ricken war öffentliches Gut geworden, Nachwuchshoffnung des deutschen Fußballs. Damals wollte sogar die Firma Wella mit ihm werben, obwohl Ricken eine Glatze trug. „Geschäftemacherei ohne Ende.“ Ricken wurde damals als scheinheilig gescholten – heute muss man zugeben, dass er ein Prophet war: In einer Ecke des Stadions wird an jedem Spieltag ein Blackjack-Tisch der Spielbank Hohensyburg aufgeklappt, in einer anderen ist eine Golfplatz-Simulation in Planung. Geschäftemacherei ohne Ende ist das jetzt hier also auch, oder? Einen seltsamen Menschenschlag hat die Entlohnung hervorgebracht, das ist an jedem Morgen zu besichtigen, wenn die Spieler in schweren Limousinen auf dem Trainingsgelände vorfahren: Christian Wörns, Mercedes. Stefan Reuter, Porsche. Flavio Conceicao, BMW. Jan Koller, Mercedes. Torsten Frings, Porsche. Henrique Ewerthon, BMW. Tomás Rosicky, Mercedes. Christoph Metzelder, VW Phaeton. Sebastian Kehl, Mercedes. Leonardo Dede, BMW. Lars Ricken, Porsche. Den Wagen entsteigen junge Männer in Lederjacken mit Pelzbesatz, einige mit Häkelmützchen. Kleine Bohlens, für deren große Autos der Parkplatz am Trainingsgelände etwas knapp geworden ist. Wenn es zu eng wird, parkt ein Ordner ihre Wagen ein. Kann man das alles wieder zurückschrauben? Lars Ricken schaut die Tribünen hinauf. Oben in den Dächern rauscht der Wind wie in einem Wald. 83000 Plätze, Werbebanden, VIP-Bereiche und unsichtbare Verpflichtungen, Verträge, Kredite. Kann man das alles wieder zurückschrauben? „Das hier nicht.““

Wo ist bloß all das Geld geblieben?

Roland Zorn (FAZ 30.1.) ergänzt: „In Wirklichkeit bieten die Westfalen Spieler auf einem Markt an, dessen Mechanismen seit dem Kirch-Crash und angesichts rückläufiger Fernsehhonorare nicht mehr funktionieren. Es fehlt an potenten Abnehmern selbst für vermeintliche Stars, und da hilft den Borussen auch keine noch so freundliche Einschätzung von Analysten wie denen der Hypo-Vereinsbank, die für die Mannschaft des BVB einen Marktwert von 130 Millionen Euro errechnet haben. Was zählt und auf die Konten drückt, ist eine andere Ziffer. 57 Millionen Euro kostet die Borussen ihr 26 Profis umfassender Kader – mehr gibt kein Verein in Deutschland für die maßlos überbewertete Arbeit seiner Balltreter aus. Nicht einmal der deutsche Meister Bayern München, der per annum rund 51 Millionen Euro an Gehältern zahlen soll. Zwar haben die Dortmunder ihre kickenden Angestellten nach dem Ende aller Champions-League-Hoffnungen zu einem Gehaltsverzicht von zwanzig Prozent überreden können, doch der Preis, den der Klub für sein Bundesliga-Ensemble zahlt, ist noch immer üppig. Unglücklicherweise läuft zum Ende dieser Spielzeit nur der Vertrag des Routiniers Stefan Reuter aus, so daß überzeugende Einsparpotentiale im Spielerbudget nicht in Sicht sind. Den Dortmundern werden zum Ende dieser Saison mindestens dreißig Millionen Euro in der Kasse fehlen, die das von einer beispiellosen Verletztenserie geplagte Team in den Stunden seiner international mißglückten Bewährungsproben verspielte. Wo ist bloß all das Geld geblieben? fragt sich der Brasilianer Dede in aller Unschuld. Manager Meier geizt nicht mit der passenden Antwort: Da soll er mal auf sein Konto schauen. Zu all den Wohltaten für die vereinsintern überschätzten Meister von 2002 kommt eine weitere Hypothek, die dem BVB 09 zu schaffen macht: der Stadionausbau auf jetzt 83 000 Plätze. Um 40 Millionen Euro für die dritte Ausbaustufe zahlen zu können, hat das Unternehmen sein Stadion auf Zeit verkauft. Sale and Lease back lautete hierfür die Geldformel, nach welcher die Dortmunder inzwischen gegen ein Entgelt von angeblich 1,5 Millionen Euro im Monat Mieter im eigenen Haus sind. In ein paar Jahren wollen die Borussen das Stadion, dessen Grund und Boden ihnen gehört, zurückerwerben. Wie stark wird dann noch der Verein sein, der die Bayern vor zehn Jahren im Kampf um die Pole Position in der Bundesliga herausgefordert hat?“

Christoph Biermann (SZ 30.1.) vergleicht die beiden Konkurrenten: „Wahrscheinlich wird man in der kommenden Spielzeit die Schalker Mannschaft kaum noch wiedererkennen. Neun Verträge laufen aus, viele dürften nicht verlängert werden. Ob Agali oder Kmetsch, van Kerckhoven, Glieder, der kürzlich nach Kerkrade ausgeliehene van Hoogdalem und einige Hinterbänkler, alle müssen sich für das neue Schalke nachhaltig empfehlen. Andreas Müller, Leiter der Lizenzspielerabteilung, geht noch weiter: „Wir werden auch bei den Spielern schauen, deren Verträge noch gültig sind.“ Tomasz Hajto oder Dario Rodriguez dürfen sich da angesprochen fühlen und selbst Mannschaftskapitän Tomasz Waldoch, der in Dortmund neben Sand wohl auf der Bank sitzen wird. Während also das Gros des Teams quasi auf Bewährung spielt, sondiert Schalke den Transfermarkt europaweit. Selbst in Italien, wo viele Klubs wanken, schaut sich Schalke nach Auskunft von Assauer inzwischen um. So scheint es fast, als hätten binnen kurzem die großen Rivalen des Ruhrgebiets die Rollen getauscht hätten. Während die Geldverschwender von Borussia Dortmund kürzer treten müssen, fällt jetzt der heutige Gegner mit spektakulären Transfers auf. Dabei besteht jedoch ein deutlicher Unterschied. Der BVB investierte zu Zeiten des Booms bei Höchstpreisen, während Schalke nun in der Baisse aktiv wird. Außerdem zahlte der Klub bislang keine Ablösen, und Assauer bestreitet nach wie vor, den Personaletat von 40 Millionen Euro im kommenden Jahr zu erhöhen. Der von Borussia Dortmund liegt derzeit 17 Millionen Euro darüber.“

Lange nicht war die Vorgeschichte eines Derbys so frei von Ballyhoo

„Bloß nicht den neureichen Nachbarn geben“ – Richard Leipold (FAZ 30.1.) hört bei Rudi Assauer genau hin: “Selbstverständlich hätten die Dortmunder eine Rasenheizung, bekam Jupp Heynckes vor Beginn der Plauderrunde in einer Loge der Schalke-Arena zur Antwort. Ob der BVB allerdings die Kosten für den Betrieb tragen könne, sei eine andere Frage. Heynckes lächelte verhalten, fast verlegen. Früher hätte so eine Pointe in Schalker Kreisen vermutlich herzhaftes Gelächter hervorgerufen, auch bei mancher Führungskraft. Doch die Verantwortlichen des Gelsenkirchener Fußballbetriebes finden es gar nicht lustig, daß es dem Nachbarn so schlecht geht. Manager Rudi Assauer gibt sich mitfühlend, wenn die Rede auf die Wirtschaftskrise kommt. Assauer betrachtet den BVB als Widerpart, ohne den das Fußball-Leben nur halb so schön wäre. Lange nicht war die Vorgeschichte eines Derbys so frei von Ballyhoo. Vor dem Fußballvergleich im Westfalenstadion steht der Wirtschaftsvergleich. Und die Schalker gelten zum ersten Mal seit langer Zeit als das gesündere Unternehmen. Während Dortmund kickendes Personal abbauen, Transfererlöse erzielen und Kosten senken muß, hat Schalke in den vergangenen Monaten profilierte Spieler von Spitzenvereinen wie Bremen und Stuttgart angeworben. Sie sollen mithelfen, Assauers Vision zu verwirklichen. Der Manager postuliert beharrlich, Schalke müsse im deutschen Fußball die dritte Kraft werden. Bei dieser Gelegenheit fragt ein Reporter, wer denn die zweite Kraft nach den Bayern sei. Immer noch Borussia Dortmund, antwortet Assauer. Und es hört sich so an, als hoffte er, daß es so bleibe.“

Solidarität darf man nicht erwarten

FR-Interview mit Jupp Heynckes

FR: Herr Heynckes, es wird in diesen Tagen nur von den spektakulären Neuverpflichtungen Ailton, Krstajic und Bordon geredet. Schalke ist derzeit Mittelklasse. Das klingt, als hätten Sie diese Saison schon abgehakt?

JH: Wir sind massiv kritisiert worden in der Hinrunde. Doch wir stehen nur zwei Punkte hinter einem Uefa-Cup-Platz. Ich denke, da hat man schon eine gute Perspektive. Es ist doch so, dass ich im Sommer einen kränkelnden Patienten übernommen habe. Bis man gesundet, da braucht man immer eine gewisse Zeit.

FR: Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass nun alles besser wird?

JH: Meine Mannschaft hat sich nach der Trainingspause in einer sehr guten Verfassung vorgestellt. Wir können nun unter anderen Bedingungen arbeiten als im Sommer, weil die Spieler meine Arbeitsweise verinnerlicht haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Rückrunde spielen können.

FR: Zuletzt hatte Schalke wegen der prominenten Verpflichtung keine so gute Presse, gerade in Bremen nicht. Fühlen Sie sich ein wenig als Buhmann, der mit den Geldscheinen wedelt?

JH: Bei Ailton und Krstajic ist doch der Punkt, dass sie frei auf dem Markt waren und andere das offenbar verschlafen haben. Andere Vereine haben das, was wir tun, jahrelang gemacht. Bei Bordon war entscheidend, dass er seinen Vertrag in Stuttgart einhalten will und wird. Ausschlaggebend ist doch, dass man eine Mannschaft organisch zusammenstellen muss.

FR: Nun kriegen Sie einen Schlüsselspieler: Ailton. Einen Star, der, nach allem, was man weiß, ein bisschen Nestwärme braucht und ganz gern mal aus der Rolle fällt. Früher hätte es geheißen: Das liegt dem Heynckes nicht. Begleitet Sie das Urteil noch hartnäckig, Sie könnten nur mit jungen, unbekannten Spielern arbeiten?

JH: Das ist etwas, das immer wieder kolportiert wurde, aber nie der Realität entsprach. Ich habe immer mit schwierigen Spielern arbeiten müssen und auch können. Natürlich musste ich erst meinen Stil finden. Aber es war auch eine Mode, dass die Journaille diese Schublade aufgezogen und die Dinge da rausgekramt hat. Natürlich reagiere ich in bestimmten Situationen inzwischen ganz anders als früher. Da habe ich mich praktisch nie geöffnet. Ich war unheimlich reserviert den Medien gegenüber, habe mich nicht entsprechend artikuliert. Das mache ich sicher schon seit Jahren in Spanien und jetzt auch hier auf Schalke anders. Da lernt man dann eben einen ganz anderen Jupp Heynckes kennen.

FR: Es hat in der Tat einen Imagewandel gegeben.

JH: Ich bin nie ein Mann gewesen, der im Scheinwerferlicht stehen will. Aber heute bin ich der Meinung, dass das einfach zu meinem Beruf dazugehört. Das ist ein riesiger Aufwand und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Durch meine zusätzliche Arbeit auf dem Mediensektor ist meine Freizeit so reduziert wie nie zuvor. Aber ich finde es notwendig, dass die Medien dann eben auch zur Kenntnis nehmen, dass eine Entwicklung stattgefunden hat. Es kann sein, dass ich mich früher ein bisschen dagegen gesperrt habe, so viel preis zu geben. Wenn ich damals hier und da anders reagiert hätte, dann hätte ich etwa bei den Bayern ein viel leichteres Leben gehabt, das ist doch klar.

FR: Oder in Frankfurt …

JH:…vielleicht auch in Frankfurt. Das Problem damals (mit der Suspendierung von Yeboah, Okocha und Gaudino; Anm. d. FR-Red) hätte man eleganter lösen müssen. Heute weiß ich: Mit so einer Entscheidung sollte man bis zum Saisonende warten. Ich sehe das inzwischen entspannter, ohne Ressentiments. Über mich hat man alles geschrieben, das tangiert mich heute nicht mehr. Ich habe eben früher anders gedacht und anders gehandelt.

FR: Wie war Ihr erster Eindruck von der Bundesliga, als Sie aus Spanien zurück kamen? Was hat sich besonders verändert?

JH: Ich glaube, dass die Liga mit sich selbst unkritisch umgegangen ist. Da hat ein elektronisches Medium, ein Sender, die Liga unkritisch präsentiert. Das war zwar perfekt in der Anmutung, aber man hat den Fußball geschönt dargestellt. Ich glaube, das hat auf viele Dinge Einfluss gehabt. Wenn man unkritisch ist, verfällt man in Selbstgefälligkeit. Dann meint man, alles sei okay. Aber ich finde, dass wir bei unserem Fußball einfach anspruchsvoller sein müssen.

FR: Was gefällt Ihnen an der Bundesliga überhaupt nicht?

JH: Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Anstoßzeiten weiterhin samstags um 15.30 Uhr sind. Ebenso, wenn wir wieder freitags spielen würden. Ich finde, der Donnerstag ist traditionell kein Fußball-Spieltag. Ich fände es gut, wenn die Uefa-Cup-Spiele wieder dienstags und mittwochs ausgetragen würden – unabhängig von der Champions League. Was stört mich noch…?

FR: Die hohen Gehälter?

JH: Nein, überhaupt nicht. Ich finde allerdings, dass gutes Geld nur gegen gute Leistung gezahlt werden sollte. Man sieht ja, dass manche Spieler immer noch nicht kapiert haben, dass andere Zeiten angebrochen sind. Wenn in Hamburg ein Spieler (gemeint ist Marcel Maltritz, Anm. d. FR-Red) einen 800 000-Euro-Vertrag angeboten bekommt und der überlegt noch lang, dann frage ich mich schon: In welcher Zeit lebt der? Von so einem Spieler müssten die anderen Vereine auch mal die Finger lassen.

FR: So anständig wird die Branche nicht sein.

JH: Nein, Solidarität darf man sowieso nicht erwarten.

Die Verhaltensweisen der Trainer untereinander müssen sich ändern, da muss ein Ehrenkodex her

taz-Interview mit Peter Neururer

taz: Wenn Sie Pech haben, kann es irgendwann heißen: Danke, Peter, für die nette Zeit. Aber, sorry, das wars. Und plötzlich sind Sie wieder arbeitslos, sitzen zu Hause vor dem Telefon und warten darauf, dass ein neuer Verein anruft, so wie Sie das vor Ihrer Zeit beim VfL getan haben.

PN: Ja, mit Sicherheit. Aber wenn dieser Schritt beim VfL Bochum irgendwann vollzogen werden sollte, weiß ich zumindest, dass er mit Stil und Format und mit Niveau vollzogen wird. Bisher, das muss man zugeben, haben wir ja nur gute Zeiten miteinander erlebt. Wenns richtig kracht, dann sehen wir, wies läuft.

taz: Mit Verlaub: Das ist doch Scheiße, oder?

PN: Es ist aber so. Das ist mein Job. Ich habe hier mittlerweile sicherlich einen gewissen Kredit, auch beim Publikum, aber wenn es dazu kommen sollte, dass wir sieben, acht Spiele in Folge verlieren, dadurch unsere Ziele aus den Augen verlieren und die Fans solchen Blödsinn rufen wie: entweder der geht oder wir, dann muss jeder Vorstand, der vernünftig arbeitet, im Sinne des Vereins handeln. Da zählt dann nicht mehr die Person Peter Neururer. Da muss reagiert werden.

taz: Dennoch lieben Sie diesen Job?

PN: Natürlich.

taz: Was ist so faszinierend daran, Trainer zu sein?

PN: Jeden Tag wunderbar an der frischen Luft arbeiten …

taz: Das macht ein Briefträger auch.

PN: Aber der wirft immer nur Sachen in den Schlitz. Ich hingegen habe Einfluss auf die Leute, die ich bearbeiten darf. Ich habe eine Riesenriege, die Mannschaft ist in sich stimmig. Es macht einfach von morgens bis abends Spaß.

taz: Ein besonders hohe Meinung von Ihresgleichen scheinen Sie aber nicht zu haben.

PN: Meinesgleichen gibt es doch gar nicht. Ich habe viele Kollegen, aber einen zweiten Peter Neururer, das kann die Bundesliga nicht verkraften.

taz: Einigen dieser Kollegen haben Sie vorgeworfen, kein Rückgrat zu haben. Wo fehlts?

PN: An der angesprochenen Zivilcourage, die sich unter anderem auch in mangelnder Solidarität ausdrückt. Die Verhaltensweisen der Trainer untereinander müssen sich ganz gewaltig ändern, da muss ein Ehrenkodex her.

taz: Wie könnte der aussehen?

PN: Dass wir uns beispielsweise dazu verpflichten, in der Öffentlichkeit grundsätzlich nichts über Kollegen zu sagen. Dass wir Fehler, die im Augenblick geschehen, nicht auf den Vorgänger zurückführen. Dass man sich nicht für einen Job ins Gespräch bringt, wenn ein anderer Kollege diesen Job noch ausübt. Und, und, und … – da gibt es eine ganze Menge, die man in so einen Ehrenkodex packen könnte.

Wir sind nicht irgendwer, wir sind Eintracht Frankfurt

Ingo Durstewitz (FR 30.1.) lobt und lobt Heribert Bruchhagen, Vorstandschef Eintracht Frankfurts, für dessen Fleiß und Mut: “Willi Reimann arbeitet auf dem Feld so engagiert wie nie zuvor, er mimt den Vorturner, er ist mittendrin, nicht mehr am Rand; Reimann sieht alles und überhört nichts, er lebt Leidenschaft und Bereitschaft vor, das war nicht immer so. Der Trainer gibt glasklare Kommandos, er tobt und schreit, gestikuliert und treibt an, lobt und tadelt. Bisweilen zucken die Profis zusammen, weil er sie in einer Phonstärke zusammenfaltet, die sie allenfalls aus der heimischen Stereoanlage kennen. Ich werde alles tun, um Eintracht Frankfurt in der Liga zu halten, sagt Reimann. Erstmals glaubt man ihm Worte wie diese. Der Trainer hat an Ansehen gewonnen, er scheint wie ausgewechselt, wirkte er doch vor der Winterpause leblos, zaudernd und lethargisch, als sei jeder Funke Begeisterung aus seinem Körper gewichen. Die Mannschaft rückte ein Stück weit von ihrem Vorgesetzten ab, Eintracht Frankfurt schien nicht mehr zu retten. Beim besten Willen nicht. Sechs Wochen später ist nicht nur der Trainer wie runderneuert, die Tristesse ist weggefegt, ein neuer Wind weht über Frankfurt. Den neuen Geist hat vor allen Dingen Heribert Bruchhagen entfacht, er hat dem darbenden Patienten neues Leben eingehaucht. Der neue Vorstandsvorsitzende, vormals Geschäftsführer bei der DFL, hat seine weitreichenden Kontakte in die Liga genutzt. Er hat drei Transfers eingeleitet, die Eintracht Frankfurt kaum jemand zugetraut hatte. Vor allem auf den Schultern von Ioannis Amanatidis und Ingo Hertzsch ruhen die Hoffnungen, hungrige Profis, die sich neu beweisen wollen, und Spieler, die Angebote hatten von Hannover 96, VfL Bochum und Hertha BSC, sich aber für die Eintracht entschieden. Wir sind nicht irgendwer, wir sind Eintracht Frankfurt, beeilte sich Bruchhagen zu sagen, die Eintracht hat Tradition und einen Namen, der nach wie vor zieht, der für Spieler attraktiv ist. Der Gymnasiallehrer, 55, hat die Eintracht Frankfurt Fußball AG binnen kürzerster Zeit auf professionelle Beine gestellt, er arbeitet rund um die Uhr, ist stets auf Achse, immer unterwegs in Sachen Eintracht Frankfurt. Unlängst ist er zu einer anberaumten Pressekonferenz 15 Minuten zu spät gekommen. Wer ihn kennt, weiß, wie unangenehm ihm so etwas ist. Bruchhagen hat sich in den zurückliegenden Wochen so manches Mal gewundert, mit welch Geringschätzung die lokale Wirtschaft, regionale Unternehmen der Eintracht entgegentreten; der Respekt für die als Skandalklitsche verschrieene Eintracht ist auf ein Minimum beschränkt. Das sind Altlasten aus der Vergangenheit, die er Stück für Stück wird abtragen müssen. Das kann klappen, denn mit dem Pädagogen hat Seriosität Einzug gehalten, er hat Verein und AG, einst spinnefeind, zueinander geführt.“

Tsp-Interviewmit Thomas Schaaf

Die Apportierer, die Mannhinterherhechler

Christof Kneer (BLZ 30.1.) stellt fest, dass Deutschland erneut taktische Innovation verschlafen hat: “Die Geschichte muss einfach stimmen. Sie ist so schön, dass kein Mensch sie erfinden kann. Die Geschichte geht so, dass der englische Nationaltrainer Alf Ramsey seinen Spieler Alan Ball fragt, ob er einen Hund habe, worauf der Spieler antwortet Ja, Boss. Ob er dem Hund ab und zu einen Ball hinwerfe, forscht Ramsey weiter. Ja sicher, sagt Ball. Was der Hund dann mache, will Ramsey wissen. Na, er jage den Ball und bringe ihn zurück, sagt Ball. Darauf Ramsey: Und ich will, dass du das für Bobby Charlton tust, was der Hund für dich tut. Man kann sich nicht erinnern, dass die Nummer sechs im Fußball schon einmal besser beschrieben wurde als von Alf Ramsey. England wurde übrigens Weltmeister damals, 1966, mit Ramsey auf der Bank und mit Charlton und Ball auf dem Platz. Für mehr als eine Epoche war damit das treffende Bild gefunden. Die Sechser, das waren die Hündchen in diesem Spiel namens Fußball: die Apportierer, die Mannhinterherhechler. Sie hießen erst Hacki Wimmer und Heinz Simmet, später hießen sie Wolfgang Rolff oder Dieter Eilts. Sie waren darauf abgerichtet, dem gegnerischen Zehner den Ball zu klauen und ihn dann artig beim eigenen Zehner abzugeben. Sie waren die Harrys, die dem Spielmacher den Wagen holten und sodann in der Kulisse verschwanden. Es gehört zu den Geheimnissen des Fußballs, dass viele noch immer nicht bemerkt haben, dass sich die Harrys emanzipierten (…) So kommt es, dass inzwischen auch in deutschen Landen kreative Mischwesen wie Dietmar Hamann, Torsten Frings, Fabian Ernst, Sebastian Kehl oder Frank Baumann wachsen. Sie verschlucken die Bälle nicht mehr nur wie jener frühe Sechsertypus, der einst als Staubsauger das Mittelfeld säuberte. Sie spucken die Bälle auch wieder aus wie eine Ballmaschine: rechts raus auf den Flügel, links raus auf den Flügel oder stramm nach vorn. Aber das Land hat lange gebraucht, um die neue Gattung der Ballspucker zu verstehen. Gerade diesem erhaben staksigen Hamann hat die Nation seine technische Veranlagung lange nachgetragen – sie wollte immer einen schön auffälligen Spielmacher, und sie hat nicht begriffen, dass hier unauffällig schön ein Sechser spielt. Die moderne Sechs hat sich in Spanien oder Italien früher durchgesetzt, weil dort mehr Wert auf Taktik gelegt wird als in Deutschland, sagt Rolff.“

Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208

Ballschrank

Emotionen

Walter Haubrich (FAZ 22.4.) sah ein sehr gutes Spiel. „Der Klassiker der Primera División zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona erregt immer noch am stärksten die Gemüter der spanischen Fußballfreunde und schürt mehr Emotionen als selbst die Viertel- und Halbfinalspiele mit spanischen Mannschaften in der Champions League. Und das sogar in Spielzeiten, in denen, wie in diesem Jahr, der Abstand zwischen den beiden Mannschaften elf Plätze beträgt. Real Madrid ist Spitzenreiter, und der FC Barcelona liegt mit 24 Punkten weniger auf Rang zwölf. Auf dem Feld war davon wenig zu sehen. Barcelona erkämpfte und erspielte sich am Karsamstag zu Recht ein 1:1 im Madrider Bernabéu-Stadion. Real konnte am Ende mit dem Resultat zufrieden sein. Nach Meinung der Barça-Spieler und der katalanischen Sportzeitungen war es das beste Spiel des FC Barcelona in dieser Saison (…) Der FC Barcelona freut sich über die Rückkehr von Luis Enrique nach mehrmonatiger Verletzungspause. Der Spanier versteht es wie kein anderer, seine häufig zu ballverliebten und manchmal trägen Mannschaftskameraden aus Argentinien und Holland mitzureißen und zum Angriff zu treiben. In Madrid war er diesmal der beste Spieler auf dem Rasen des Bernabéu und dazu der Torschütze. Von dort, von Real Madrid, ist er zum FC Barcelona gewechselt, ohne daß die Madrider Fans ihn deshalb als Verräter beschimpfen, wie das die culés, die Barça-Fanatiker, noch heute, zweieinhalb Jahre nach seinem Wechsel, mit ihrem früheren Idol Figo tun. Überhaupt scheinen die Real-Fans eine Spur toleranter zu sein. Die von Ronaldo geäußerte Vermutung, der traditionsreiche katalanische Verein könne in diesem Jahr absteigen, möchte eigentlich niemand bestätigt sehen. Ohne die nationalen Klassiker Real Madrid gegen FC Barcelona wäre die Primera División ihrer größten Attraktion beraubt.“

Das mögen die Diven nicht

Peter Burghardt (SZ 22.4.) nicht. „Am Mittwoch spielt die Wundertruppe wieder Europacup, da wird sie sich wohl fühlen. Oder auch das nicht mehr in diesen grauen Tagen? Gewöhnlich ist die Champions League ja die Paradeveranstaltung von Real Madrid, das in den vergangenen vier Jahren dreimal Turniersieger war und dort auch den letzten Höhepunkt hatte: Beim Viertelfinal-Hinspiel vor 14 Tagen gegen Manchester United führte die teuerste Mannschaft der Welt nach 49 Minuten 3:0 und schien durch die Saison zu fliegen. Vielleicht begann die Landung bereits mit Van Nistelrooys Gegentreffer zum 3:1, seither jedenfalls wurde es ungemütlich. In Spaniens Liga gingen die müden Helden erst 2:4 in San Sebastian baden und retteten am Samstag gegen den FC Barcelona dann mit Mühe ein 1:1, das an Hässlichkeit kaum zu überbieten war. Von einem Steilpass auf den anderen sind die Traumtänzer in die Realität abgestürzt, weil ihnen die Gegner plötzlich wieder auf die Füße stiegen (…)Die weißen Künstler waren erschrocken, dass ihnen da jemand ernsthaft den Platz für Hackentricks und Pirouetten versperrte. Trainer Vicente del Bosque riet nachher, seine Spieler sollten öfter mal ihre Intelligenz benützen, was auch ihm selbst zu empfehlen sei. Anders als del Bosque hatte Kollege Radomir Antic eine Taktik entworfen und meldete nachher stolz, sein Team habe Real Madrid „entblößt“ und „eine Bescheidenheits-Kur verpasst“. Im europäischen Halbfinale der Champions League könnten sich die Streithähne wiedersehen, sofern der FC Barcelona am Dienstag gegen Juventus Turin und Real Madrid tags darauf im Old Trafford besteht. Manchesters Alex Ferguson sollte Körperkontakt anordnen, das mögen die Diven nicht.“

Antic, das einzige lachende Antlitz

Zur Lage beim FC Barcelona heißt es (nach dem sportlich hervorragenden Auftritt beim 1:1 in Madrid) bei Markus Jakob (NZZonline 20.4.). „Von Janusköpfigkeit hat man gesprochen und vom blau-granatenen Limbo, um den diesjährigen FC Barcelona in seiner Widersprüchlichkeit zu fassen: in der Liga ein Schattendasein fristend, scheint ihm in Europa kein Ziel zu hoch (…) Durch die maladroite Geschäftsführung des im Sommer 2000 gewählten Präsidenten Gaspart wuchsen sie sich zum Bruderkrieg aus und hinterliessen, nachdem Gaspart Mitte Februar nur Tage nach dem ungeliebten Trainer van Gaal zurückgetreten war, eine tiefe Fraktur – und mehr noch Ratlosigkeit, als der Antic- Effekt verpuffte und den anfänglichen Erfolgen des neuen Trainers die ersten Rückschläge auf dem Fuss folgten. In Meisterschaftspunkten gerechnet, liegt Antics Ausbeute nur knapp über jener van Gaals, ohne dass ihn das bisher Sympathien gekostet hätte. Antic ist heute das einzige lachende Antlitz in einem Klub, dessen Verfassung sich in den Mienen der Spieler spiegelt: in den schuldbewusst herabhängenden Mundwinkeln Xavis und im traurigen Blick Riquelmes. Es ist, als sei den jungen Männern das verlorene Prestige des Klubs dauernd gegenwärtig: etwa die letzte Woche fällige, aber auf zivilrechtlichem Weg hinausgeschobene Platzsperre. Oder die Nettoschuld von 130 Millionen Euro – zuzüglich der 60 Millionen, die von Nike und den Fernsehanstalten vorgeschossen wurden. Die Grossbank La Caixa hält Barça nicht mehr für kreditwürdig; eine andalusische Bank musste einspringen. Mittelfristig wird man wohl nach dem Vorbild von Real Madrid und Espanyol die Immobilien verschachern.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Auslosung für die EM in Portugal

Bei der Auslosung für die EM in Portugal hat jemand unentschuldigt gefehlt: „Die deutsche Glücksfee macht frei“ (FAZ) und ist schuld daran, dass die deutsche Elf auf Gegner aus der Beletage treffen wird: Tschechien und Holland. Die SZ zwinkert mit den Augen: „Es gibt nur einen Außenseiter in dieser Gruppe: Deutschland. Aber die können jeden bezwingen.“

Die vielleicht schwierigste Aufgabe, die den Deutschen vorgesetzt wurde

Michael Horeni (FAZ 1.12.) holt tief Luft: “Portugal hat etwas übrig für Fußball-Romantik. Die Symbole, mit denen sich das Land am westlichen Zipfel Europas am Sonntag erstmals ins große Spiel brachte, wollen von Effizienz und Realismus jedenfalls nichts wissen, mit denen der Fußball in Europa tatsächlich längst unbarmherzig regiert wird. Die nüchterne Auslosung auf der Bühne des Pavilhao Atlantico jedenfalls umrahmten die Gastgeber mit schnörkelhaften, herzförmigen Ornamenten, im Hintergrund leuchteten Sterne und Sternchen, und auch die musikalische Untermalung lag jenseits des kommerziell gefälligen europäischen Einheitsgeschmacks. Im portugiesischen Logo der Europameisterschaft 2004 wird der Fußball symbolisch ins goldene Herz geschlossen, und daher ist es vielleicht auch keine Überraschung, daß Portugals Fußball-Legende Eusebio bei der Auslosung am Sonntag nicht als Glücksbringer für den weltbekanntesten und erfolgreichsten Vertreter des nüchternen Nutz- und Zweckfußballs mitspielte: die deutsche Nationalmannschaft. Die Wirklichkeit hat den WM-Zweiten so ziemlich mit der größten sportlichen Härte, die eine Auslosung zu bieten hat, eingeholt. Es ist mit Gegnern wie den Niederlanden, Tschechien und Lettland die vielleicht schwierigste Aufgabe, die den Deutschen bei einem Turnier von Beginn an vorgesetzt wurde.“

Ohne Fortunas Küsse wird es nicht weit gehen

Frank Ketterer (taz 1.12.) vermisst eine alte Bekannte: „Rudi Völler hatte seinen feinsten Zwirn angelegt, sich sogar eine Krawatte um den Hals gebunden, seine graue Pudelfrisur frisch geföhnt und, natürlich, sein nettestes Rudi-Riese-Lächeln aufgesetzt. Der Republik oberster Teamchef sah auffallend schnieke aus – und an Grund dazu mangelte es auch nicht. Rudi wandelte gestern in Lissabon auf Freiersfüßen, und die Dame, die es zu becircen galt, war keine Geringere als: Glücksgöttin Fortuna. Die beiden kennen sich gut, schließlich hatten sie schon einmal ein Techtelmechtel miteinander, vor nicht ganz zwei Jahren. Da muss Fortuna sehr verliebt gewesen sein in unseren Rudi, was man durchaus verstehen kann, ist ja auch ein netter Kerl. Und deshalb hat die schöne Dame ihn reichlich beschenkt, damals, ein halbes Jahr vor der WM auf den Fußballfeldern Asiens, nämlich mit: Saudi-Arabien, Irland und Kamerun. Fortuna hat Rudi damals sehr glücklich gemacht. Liebe kann erkalten, manchmal endet das sogar in einem Rosenkrieg. So weit ist es zwischen Fortuna und Rudi noch nicht gekommen, aber immerhin: So richtig lodernd ist das Feuer wirklich nicht mehr. Ohne Fortunas Küsse, das steht heute schon fest, wird es in Portugal jedenfalls nicht weit gehen.“

Thomas Klemm (FAZ 1.12.) schildert die Bedeutung des Fußballs in Portugal: „Ein Portugiese kommt in ein Friseurgeschäft. Der Friseur fragt: Wie soll ich Ihnen die Haare schneiden? Der Kunde antwortet: Ohne über Fußball zu reden! Über solche Anekdoten amüsieren sich die Portugiesen. Sie finden die Vorstellung wirklich aberwitzig, daß zwei Männer gemeinsam Zeit verbringen, ohne über Fußball zu fachsimpeln oder zumindest zu plaudern. Jeder hat schließlich seinen Lieblingsverein, und jeder hat seine feste Meinung, warum die anderen Klubs nichts taugen. Verrückt nach Fußball ist also das Volk, zumindest dessen männlicher Teil: Alte wie Junge, Fischer wie Finanzbeamte, Busfahrer wie Intellektuelle. Wenn ich nicht schreibe, sagt der portugiesische Schriftsteller António Lobo Antunes, bin ich desorientiert, schaue mir nur Fußball im Fernsehen an. Fußball bietet Identifikation, Zerstreuung und stiftet Sinn – und in einem halben Jahr soll Fußball sogar das Land erlösen, das sich mit Wirtschafts-, Politik und Sinnkrisen herumplagt. Es ist um das angeschlagene Selbstbewußtsein der Portugiesen immer dann besser bestellt, wenn ihre Profikicker international für Aufsehen sorgen. So wie vor einem halben Jahr, als der FC Porto als erstes lusitanisches Team den UEFA-Pokal gewann und Ministerpräsident Durao Barroso den Erfolg der Nordportugiesen sogleich voller Stolz für das ganze Land reklamierte. Oder wie drei Jahre zuvor, als sich Figo, Gomes, Conceicao und Co. bei der EM in Belgien und den Niederlanden mit künstlerisch wertvollem und endlich auch einmal erfolgreichem Fußball viele Freunde machten; nach dem Erreichen des Halbfinales waren portugiesische Profis in europäischen Spitzenligen begehrt wie selten seit den besten Tagen Eusebios, des WM-Torschützenkönigs von 1966. Die portugiesische Fußballgemeinde ist sich der Außenwirkung ihrer Stars wohl bewußt, wie eine Umfrage der Katholischen Universität vor drei Wochen ergeben hat. Auf die Frage, wer oder was ein positives Bild des Landes nach außen vermittle, antwortete jeder vierte die Sportler; nur die eigene Lebensart und die touristischen Gegebenheiten wurden für wichtiger gehalten. Zwei Drittel der 741 Befragten zeigten sich sogar sicher, daß die kommende EM das Image Portugals deutlich verbessern werde (…) Welcher Fußballklub angebetet werden soll, entscheiden oft die Väter. Portugiesische Papis gehen sogar so weit, für den Säugling gleich unmittelbar nach dessen Geburt die Mitgliedschaft in ihrem Lieblingsverein zu beantragen. Das Foto auf dem Klubausweis zeigt dann mitunter den Kopf eines schlafenden Babys. So drohen Portugal keine Nachwuchsprobleme: Selbst wer noch nicht krabbeln kann, ist schon dem Fußball verbunden.“

Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Michael Ballack

Thema Nummer Eins: Die Zeitungen klopfen Michael Ballack auf die Schulter, weil er seinen Chef Karl-Heinz Rummenigge kontert. Rummenigge hatte zuvor von Ballack Verzicht gefordert: Verzicht auf das letzte Spiel in der EM-Qualifikation gegen Island, Verzicht auf den Höhepunkt des deutschen Fußball-Kalenders 2004. Ballack solle sich schonen für seinen Verein Bayern München, der Solidarität auf seine Fahne schreibt. „Rummenigge soll nicht so einen Scheiß erzählen!“ So klar hat ihm das noch keiner ins Gesicht gesagt; ihm, der seine Sätze zu Wortballons aufbläst; ihm, der vor dem Spiegel Reden einübt, sie mit Juristen-Jargon schmückt – und dabei meist das entscheidende Fremdwort verwechselt. Rummenigge, einer der Mächtigen im deutschen Fußball, schweigt; vermutlich hat ihn sein Vorstandskollege Hoeneß dazu angewiesen. Schade, eigentlich! Die Journalisten hatten schon die Griffel gewetzt und sich die Hände gerieben. Nun gähnt die SZ über „eine Debatte, die es an Überflüssigkeit mit jedem Bohlen-Buch aufnehmen kann.“

Thema Nummer Zwei: VfB Stuttgart spielt im eigenen Stadion gegen Schlusslicht 1. FC Köln und das „rheinländische Catenaccio“ (Tagesspiegel) 0:0 und verliert die Tabellenführung; die Zuschauer singen und feiern. Die junge Stuttgarter Mannschaft hat sich innerhalb des letzten Jahres einen großen Kredit bei ihren Fans erspielt; aus dem 2:1 gegen Manchester United werden sie noch lange Honig saugen. Thema Nummer Drei: Der VfL Bochum schleicht sich nach vorne, doch „noch immer tut sich der VfL schwer im Schatten der Riesen aus der Nachbarschaft“, bedauert die SZ.

Wer jetzt noch kein wärmendes Punktepolster hat, den fröstelt’s

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 6.10.) friert: „Jetzt wird’s ungemütlich. Wie Trainer Volker Finke warm eingepackt im Strandkorb am Freiburger Spielfeldrand hockte, wirkte anachronistisch. Dabei schüttete es im Breisgau – Kapuzenwetter. Leute, der Herbst ist da, der Winter kommt, man wird sich auf das Grau und die Kälte in den Stadien einrichten müssen. In den unteren Regionen der Fußball-Bundesliga spüren sie schon heute etwas vom Eiseshauch der kommenden Jahreszeit. Von Köln bis Hamburg stehen sie mit dem Rücken zur Wand. Wer jetzt noch kein wärmendes Punktepolster hat, den fröstelt’s. Also kittet man die Lücken, durch die der Wind pfeift. Leute, macht die Schotten dicht. Wer schwächelt, konzentriert sich aufs Wesentliche, rührt am besten Beton in der Abwehr an. Für den 1. FC Köln hat’s gewirkt wie ein Wellenbrecher gegen die gefürchtete Stuttgarter Springflut. Selbst Dortmund griff zum bewährten Hausmittel, eine Führung über die Zeit zu retten, um endlich eine Auswärtsserie zu beenden, die eines Klubs mit den Ansprüchen und brasilianischen Elementen der Borussia einfach nicht würdig ist. Generell war herzlich wenig Gute-Laune-Fußball zu besichtigen am achten Spieltag der Besten der Republik. Nicht einmal im Münchner Olympiastadion, wo doch der FC Bayern die Berliner mit der Hypothek einer weiteren herben Niederlage nach Hause schickte, wertete Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge das Gesehene als nicht vergnügungssteuerpflichtig. Die wurde, nimmt man das Echo am Schauplatz zum Maßstab, nur in Bochum fällig. Sehr zum Unwillen der Lauterer, bei denen sich Stürmer Marian Hristow als Flegel outete. Was Thomas Brdaric und Frank Rost in Hannover aufführten, war ebenfalls getragen von einer Übellaunigkeit, die keinen Raum läßt für Konsens unter Kollegen.“

Ein Verein, der Trainer-Entlassungen zur Vereinsfolklore zählt

Josef Kelnberger (SZ 6.10.) behauptet: „Ein Verein kann sein Fanvolk auch erziehen im Umgang mit seinem wichtigsten Angestellten. Ungefiltert jedenfalls ist Volkes Stimme ein zwiespältiger Ratgeber. In Hamburg, zum Beispiel, wollten sie vor zwei Wochen Stürmer Barbarez aus der Mannschaft pfeifen, weil er zu faul sei, am Samstag stand er grinsend vor der Fankurve und deutete auf seinen Namenszug: Barbarez, Schütze des 1:1 und des 2:1. Das Volk jubelte ihm zu. Der mündige Fan im Stadion ist ein hehres Ideal, aber nur selten anzutreffen wie damals in der Initiative 15:30, die für fanfreundlichere Anstoßzeiten kämpfte. Schmährufe auf Scheiß-Millionäre mag man als Aufschrei gegen die Entfremdung zwischen Fan und Profi werten, bleiben aber ungehört, solange die Zuschauerzahlen nicht sinken. Der Sitzstreik, mit dem Dortmunder Fans die Abfahrt des Mannschaftsbusses verzögerten, hat immerhin den Dialog mit den Profis erzwungen. Die meiste Wirkung entfaltet Volkes Stimme aber immer, wenn sie sich gegen den Trainer wendet. Und wenn sie Christoph Daum fordert, wie in Köln, ist die Not besonders groß. Kölns Manager Andreas Rettig stärkte Trainer Funkel den Rücken. Er wurde belohnt mit einem 0:0 beim VfB, doch über den Berg ist er noch lange nicht in einem Verein, der Trainer-Entlassungen zur Vereinsfolklore zählt.“

Presse-Stimmen zu einzelnen Spielen

Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Ewiger holländischer Hochmut – ist deutsche Schadenfreude angebracht im Falle holländischen Scheiterns? – Youri Mulder klagt über Cliquenbildung und mangelnden Teamgeist in der holländischen National-Elf – Nervosität in der Türkei – Unzufriedenheit in Norwegen – Außenseiter Wales

Zur Ausgangslage der EM-Barrage vor den heutigen Rückspielen NZZ

Das ewige Wunder des holländischen Fußballs

Sehr lesenswert! Christian Eichler (FAZ 19.11.) beschreibt traditionellen holländischen Hochmut: „Das hat Land längst genug von Kickern, die sich wie verwöhnte Kleinkinder aufführen. Das Algemeen Dagblaad fordert vom eigenen Team endlich eine deutsche Einstellung – soweit ist es gekommen. Die deutschen Fußballtugenden, mit denen bei der WM 1974 die Holländer gestoppt wurden, als Hilfe gegen Holland in Not? Dem ewigen Mahner Cruyff muß das den Rest geben. König Johan der Letzte hat noch so gut wie jedem den Verrat am totalen Fußball vorgeworfen, den als Patent anzumelden er leider in den siebziger Jahren vergaß. Besonders arrogant zeigt er sich gegenüber uneleganten Kämpfern wie Advocaat, die ihn schon als Spieler nervten, wie es etwa Berti Vogts im Finale 1974 tat. Von einem Advocaat, so Cruyff, könne er nicht erwarten, daß er meine Ansichten teilt, weil er nie auf diesem Niveau gespielt hat. Den Mangel an Mannschaftsgeist, die Tradition des Aufruhrs bei Oranje hat Cruyff begründet, als er 1978 nicht mit zur WM wollte. 1988 forderte er Marco van Basten auf, von der EM in Deutschland heimzureisen, weil Rinus Michels den Stürmer erst auf die Bank setzen wollte. Van Basten hörte nicht auf die Einflüsterungen und schoß Holland zum Titel. 1994 ließ Kapitän Ruud Gullit das Team kurz vor der WM im Stich, weil er mit der Taktik des Trainers nicht einverstanden war – der hieß, weil Cruyff den Job nicht wollte, Advocaat. Heute ist Gullit als Juniorentrainer Mitarbeiter von Advocaat in dessen zweiter Amtszeit – und offenbart als Fernsehexperte alte Oranje-Arroganz gegenüber als minderbemittelt eingestuften Gegnern. Holland werde locker siegen, prophezeite Gullit – und wußte dann, auf die Frage nach den gefährlichsten Schotten, keinen einzigen Namen zu nennen. Noch mehr als ihre Vorgänger ist die heutige Oranje-Generation von Eigensinn und Disziplinlosigkeit geprägt. Allein in den letzten zwölf Monaten mußte Advocaat eine Kabinenschlägerei zwischen Davids und van Bommel schlichten, Ricksen nach einem Saufgelage nebst zerstörter Hoteltür aus dem Team werfen, Seedorf vom Platz holen, weil er Anweisungen mißachtete und nur für sich selbst spielte, und van Nistelrooy disziplinieren, weil er nach der Auswechslung beim 1:3 in Tschechien eine Flasche in Richtung des Trainers getreten und ihn als Feigling beschimpft hatte. David Winner, der britische Autor der Analyse Brilliant Orange. Der neurotische Genius des holländischen Fußballs sieht die Ursache für die Unfähigkeit, kollektives Talent in Teamwork umzusetzen, in der nationalen Psyche: Die Niederländer haben in allen Bereichen des Lebens ein Problem mit Autorität. Lieber diskutieren sie und treffen die Entscheidungen unter sich. Dem, der Autorität ausüben und Entscheidungen fällen muß, bleibt da manchmal nur Galgenhumor, wie ihn Advocaat äußert: Wenn unser Team ruhig ist, glaubt jeder, es sei krank. Holland hat im Mittelfeld mit Davids einen Mann mit zuviel Antrieb und mit Seedorf einen mit zuwenig; eine alternde, wackelnde Abwehr; ein in Cliquen gespaltenes Star-Ensemble. Und doch immer noch ein Team, das nur ein, zwei Erfolgserlebnisse braucht, um sich wieder am eigenen Können berauschen und Spielkunst in Vollendung bieten zu können – das ewige Wunder des holländischen Fußballs.“

Dick Advocaat ist kein großer Trainer

Sehr lesenswert! SZ-Interview mit Youri Mulder, holländischer Ex-Profi von Schalke 04, über die Mängel der holländischen Nationalmannschaft

SZ: Seit der 0:1-Niederlage der holländischen Nationalmannschaft am Samstag in Glasgow singen die deutschen Fans bereits: „Ohne Holland fahr’n wir zur EM“. Ist die Vorfreude vor dem Rückspiel in Amsterdam berechtigt?

YM: Ja, allein schon wegen des Ergebnisses, aber sie könnte noch größer sein, wenn Holland doch noch zur Europameisterschaft fahren sollte. Dann gibt es nämlich wirklich etwas zu lachen.

SZ: Das klingt aber böse.

YM: Es gibt auch genug Gründe, um böse zu sein. Wenn etwas nicht klappt, man aber Einsatz zeigt, ist es nicht schlimm. Denkt man jedoch, man könne sehr gut Fußball spielen, wie es die Holländer tun, es klappt aber nie, wird man zur Lachnummer. Und unsere Nationalmannschaft ist inzwischen die nationale Lachnummer.

SZ: Glauben deshalb auch viele Niederländer nicht mehr an die Qualifikation?

YM: Genau, weil sie gesehen haben, dass die Schotten gemeinsam etwas erreichen wollten und die Holländer nicht. Sie sind Inseln, jeder möchte gerne gut für sich herauskommen.

SZ: Woran liegt das, schließlich ist das Team im Kern seit Jahren zusammen?

YM: Aber die meisten Spieler stehen in ihren Klubs auf der Kippe. Ob Kluivert, Cocu oder Overmars in Barcelona, Davids in Turin oder Frank de Boer bei Besiktas Istanbul, alle haben Probleme und sitzen mitunter sogar auf der Bank. Deshalb nutzen sie die Spiele mit der Nationalmannschaft nicht, um dort im Team erfolgreich zu sein, sondern um selbst gut auszusehen.

SZ: Seit Jahren ist von Cliquen in der Mannschaft die Rede, gibt es die noch?

YM: Ja, das Team wird von den Spielern dominiert, die aus Amsterdam stammen, und es ist für Spieler von Utrecht oder Twente Enschede schwierig, akzeptiert und richtig aufgenommen zu werden. Niels Oude Kamphuis von Schalke war ein Mal dabei und fand, dass es eine komische Atmosphäre ist. Um Ruud van Nistelrooy gibt es eine Gruppe, die aus Eindhoven kommt. Dann sind Kluivert, Davids, Seedorf und Reiziger, also die farbigen Spieler, schon von klein auf Freunde, und diese Jungs haben sehr viel Geld verdient. Deshalb ist jemand wie Mark van Bommel, der noch in Eindhoven ist, etwas eifersüchtig, weil die anderen auf ihn herunter gucken. Es ist tödlich, wenn Geld, Eifersucht und kleine Intrigen eine Rolle spielen.

SZ: Wäre da nicht der Trainer gefragt?

YM: Selbstverständlich, aber Dick Advocaat ist kein großer Trainer. Er wirkt immer bitter und vermittelt den Eindruck, als ob hinter jedem Baum ein Feind stehen würde. Unter ihm spielt niemand frei auf, weil er zu ängstliche Vorgaben macht, und seine Entscheidungen sind kaum nachzuvollziehen. Advocaat kann froh sein, dass die Zeitungen in Holland so brav sind. In Deutschland hätte er schon vor einem Jahr lesen müssen: „Hau ab, wir wollen dich nicht mehr sehen!“

Eine Mannschaft im Zustand der Verwesung

Stefan Hermanns (Tsp 19.11.) fasst die Kritik holländischer Medien an der Nationalelf zusammen: „„Eine Versammlung überschätzter Fußballer“, hat die Zeitung Het Parool im Nationaltrikot ausgemacht. Die Volkskrant will „eine Mannschaft im Zustand der Verwesung“ gesehen haben. Dazu passt die Nachricht, dass zehn Spieler nach der Niederlage noch um drei Uhr in der Nacht bei einer Party im Amsterdamer Hafen aufgetaucht sein und dort bis zum Morgengrauen gefeiert haben sollen. Selbst wenn Holland heute mit zwei Toren Unterschied gegen die Schotten gewinnen sollte und damit das peinliche Ausscheiden verhindert – so recht glaubt in den Niederlanden niemand mehr, dass diese Mannschaft noch einmal das Versprechen einlöst, das sie vor langer Zeit gegeben hat. Aus dem goldenen Jahrgang, der 1995 mit Ajax Amsterdam die Champions League gewonnen hat, ist in den Medien fast über Nacht eine „net-niet-generatie“ geworden, eine Nicht-ganz-Generation. Selbst Bondscoach Dick Advocaat scheint inzwischen von tiefen Zweifeln ergriffen worden zu sein. Dass er im Fall des Scheiterns sein Amt aufgibt, ist längst bekannt; nun aber gibt es sogar Zeichen dafür, dass er auch dann zurücktritt, wenn seine Mannschaft die Qualifikation doch noch schafft. Advocaat ist als Bondscoach längst gescheitert, und sein mattes Gesicht verrät, dass er das vermutlich selbst weiß. Seine letzten Maßnahmen sind nur noch ein untauglicher Versuch, das nachzuholen, was er in zwei Jahren versäumt hat: der Mannschaft eine Struktur zu geben.“

Anno Hecker (FAZ 19.11.) bemerkt aus deutscher Sicht: „Ausscheiden in der EM-Qualifikation gegen Schottland? Das täte uns aber leid! Natürlich hilft Schadenfreude dem weltoffenen Beobachter aus Deutschland allenfalls für ein paar Abendstunden darüber hinweg, daß die Spieler Ihrer Königlichen Majestät auf dem Feld des Fußballs irgendwie künstlerisch begabter wirken als Deutschlands Kick-Heroen. Vogts sagt, das sei schon immer so gewesen. Ist denn da nichts zu machen? Niemals? Mit dieser fatalen Erkenntnis könnte man sich noch abfinden, solange Spiele gegen bedeutende Fußballnationen wenigstens ab und an gewonnen würden. Aber wenn nun schon die Schotten mit einem Hackentrick in fremder Leute Strafraum virtuoses Spiel vorführen, so gewitzt gegen die mächtigen Holländer gewinnen, dann wird’s unbequem im deutschen Fernsehsessel. Weil sich der Verdacht einschleicht, Vogts, der frühere Wadenbeißer, der aus der Heimat in die Highlands Abgeschobene, räche sich für all die Schmähungen mit einem Beweis für seine kreative Lehrtätigkeit: Schottlands Kicker, geborene Grätscher, brachten einen Großen spielend leicht ins Wanken. Muß man sich nun nicht fragen, ob Vogts hierzulande einfach nicht verstanden worden ist? Und ob es so klug war, den leidenschaftlichen Liebhaber der Spielkultur auf die Insel vertrieben zu haben? Wer genauer hinhört und hinschaut, entdeckt den Beginn einer wunderbaren Beziehung zwischen Vogts und Schottland nach ersten, heftigen Mißverständnissen. Vogts spricht schon liebevoll von my Scots. Schottische Zeitungen vergleichen den guten Mann aus Korschenbroich und seine Bravehearts bereits gerührt mit Nationalhelden.“

Jan Christian Müller (FR 19.11.) fügt hinzu: “Berti Braveheart nimmt es mit den übermächtigen Holländern auf. Die sind besser als wir, und deshalb wäre es gut, wenn Berti sie wegschaffen würde. Derselbe Berti, über den sich halb Deutschland halb totgelacht hat, als er beim 2:2 zum Auftakt der EM-Qualifikation in einer viel zu großen dunkelblauen Winterjacke auf den Färöern verloren wie ein Hirte ohne Schafherde am Spielfeldrand stand, die Arme vor dem Reißverschluss der dicken Jacke verschränkt und dabei so aussah, als sei seine Mission in Schottland ein einziges Missverständnis. Derselbe Berti, über den seine Landsleute sich spätestens seit dem Aus bei der WM 1998 nur noch lustig gemacht haben, als er böse Mächte in der Fifa gegen sich und den DFB wähnte und später bei Bayer Leverkusen noch weltfremd die Zukunft plante, als längst jeder wusste, dass seine Tage gezählt sein würden. Der Fußballlehrer Berti Vogts ist – im Gegensatz zum Terrier im Trikot von Borussia Mönchengladbach – hier zu Lande nie geliebt worden, noch nicht einmal nach dem Gewinn der Europameisterschaft 1996. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ihn ständig die Aura eines beleidigten Besserwissers umgibt. Vogts hat schmerzvoll erleben müssen, dass das Maß an persönlichem Fachwissen und Fleiß für die Akzeptanz in der Öffentlichkeit keine Rolle spielt. Egal, was heute Abend in Amsterdam passiert. Vogts hat sich in Schottland erarbeitet, was ihm in Deutschland zuletzt verwehrt blieb: Achtung.“

FTD-Interview mit Frank Verlaat, holländischer Ex-Bundesliga-Spieler, über Hollands Fußball

FTD Leidet Holland an seiner eigenen Romantik? Man muss immer 4-3-3 spielen, immer schön spielen, und am Ende gewinnen die anderen.

FV: Das ist einfach eine Mentalitätsfrage. In Holland kommen die Zuschauer nicht unbedingt ins Stadion, um ihr Team gewinnen zu sehen.

FTD Nein?

FV: Also, gewinnen wollen die Fans schon, aber sie wollen nicht, dass ihr Team sich mit zehn Mann vors eigene Tor legt und dann das Heimspiel 1:0 gewinnt. Das wird in Holland nicht akzeptiert. In Holland sagt man: Wer gewinnen will, muss das im Spiel auch zeigen. Oder nehmen Sie die Jugendarbeit: Es geht immer darum, dass ein Spieler individuell besser wird. Wenn seine Mannschaft nebenbei Meister wird, okay, aber wichtig ist, dass man schön Fußball spielt.

FTD Der Weg ist das Ziel.

FV: Kann man vielleicht so sagen. Kann schon sein, dass das später auf höchster Ebene ein Nachteil ist. Dass man nicht von klein auf gelernt hat, einen Sieg auch mal zu erkämpfen.

FTD Neigt der holländische Fußball zur Überheblichkeit?

FV: Ich denke, es ist eine Mischung aus Selbstbewusstsein und Überheblichkeit. Aber der Grat ist sehr schmal. Man sieht das ja manchmal im Spiel, wenn Holland klar dominiert und es unter seiner Würde empfindet, den Ball kurz vor Schluss auf die Tribüne zu hauen. Als Holländer willst du immer eine fußballerische Lösung finden. Im tiefsten Inneren denkt jeder Holländer: Schade, dass es überhaupt Verteidiger gibt. Okay, lassen wir sie mitspielen, aber eigentlich wollen die ja nur, dass unsere Stürmer keine Tore schießen. Und mit dieser Denkweise kommt es eben vor, dass du ein überlegenes Spiel verlierst, und hinterher sagen die Spieler: Okay, der Torwart von denen war halt gut, aber hast du gesehen, wie schön wir wieder gespielt haben! Aber das ist eher ein grundsätzliches Problem, das hat jetzt nichts mit der aktuellen Mannschaft im Spiel gegen Schottland zu tun.

Das war eine Qual

Hannes Gamillscheg (FR 19.11.) stellt fest, dass auch die norwegische Öffentlichkeit mit ihrem Team unzufrieden ist: „Die skandinavische Solidarität ist im Sport sonst schwer zu erschüttern. Vor dem entscheidenden EM-Qualifikationsspiel des norwegischen Teams gegen Spanien aber erwiderte Dänen-Coach Morten Olsen in Oslos auflagenstärkster Zeitung VG auf die Frage, wie die Norweger die Sensation schaffen könnten: Ich hoffe, gar nicht. Spanien habe ein glänzendes Team, das grandiosen Fußball spielt, sagte Feinschmecker Olsen, und das wollen wir bei der EM sehen. Nicht das norwegische Gemauer. Schon um die Gruppenspiele der skandinavischen Nachbarn hatte sich Olsen mit seinem norwegischen Kontrahenten Nils Johan Semb heftige Wortduelle geliefert und erklärt, eher als Sembs Mannschaft hätten Rumänen oder Bosnier den zweiten Gruppenplatz verdient. Damals war er in den norwegischen Medien noch angefeindet worden. Jetzt ist man selbst in den sonst stark nationalistisch gefärbten Sportredaktionen geneigt, ihm zuzustimmen. Die Ansicht, dass eine Mannschaft, die nichts zu bieten hat als destruktiven Fußball, genauso gut daheim bleiben kann, sei legitim, schrieb der Kommentator von Aftenposten. Da blamieren wir uns wenigstens nicht vor ganz Europa. Dagbladetstimmte ein: Unser Team zu sehen, macht keinen Spaß. Man müsse kein großer Kenner zu sein, um zu verstehen, dass die EM mit Spanien ein besseres Turnier würde. Als der Reporter nach dem Hinspiel in Valencia das Heldenlied der Abwehrschlacht singen wollte, bremste ihn TV-Co-Kommentator und Ex-Profi Mini Jacobsen aus: Das war eine Qual. Zynismus nannte VG die Menschenmauer, die Spaniens Stürmer fast zur Verzweiflung trieb.“

Raphael Honigstein (FTD 19.11.) drückt Wales die Daumen: „Vor ein paar Wochen saß Mark Hughes in Frankfurt bei der Auslosung der Relegationsspiele für die Fußball-Europameisterschaft 2004 neben einem freudig erregten russischen Funktionär. „Der rief immer Wales, Wales, Wales, wir waren anscheinend das Wunschlos“, erinnert sich der 40-Jährige. Früher, als Hughes noch für Manchester United auf dem Platz stand, hätte sich der bullige Stürmer so eine Unverschämtheit nicht gefallen lassen. Doch seit er 1999 die walisische Nationalelf übernommen hat, ist aus ihm ein ruhiger, souveräner Trainer geworden, der jeden Satz überdenkt: „Ich habe nichts gesagt – der Delegierte hat ja nicht gewusst, wer ich bin.“ Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich Hughes für die herablassende Bemerkung heute Abend äußerst elegant revanchieren kann: Wales wäre nach dem hart erkämpften 0:0 in Russland mit einem Sieg im Cardiffer Millenium Stadion für die Endrunde in Portugal qualifiziert. Das strukturschwache Land im Westen der Insel dürfte dann zum ersten Mal seit der WM 1958 bei einem großes Turnier teilnehmen. Seit diesem Höhenflug haben sich nur heroische Niederlagen ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Als Hughes sein Amt antrat, lag Fußball in der Popularität weit hinter Rugby zurück und Ryan Giggs, der einzige Weltklassespieler der Nation, fing sich rechtzeitig vor jedem Länderspiel eine mysteriöse Oberschenkelzerrung ein. Doch seit „Sparky“ – so Hughes’ Spitzname – das Sagen hat, prügeln sich die Spieler darum, für ihr Land zu spielen. „Ich habe schon einige Male mit meinem Vereinsarzt gekämpft, weil der mich nicht zur Nationalmannschaft fahren lassen wollte”, sagt Birminghams Robbie Savage. Der mit bescheidenden Fähigkeiten gesegnete Mittelfeldspieler macht seinem Namen in der Premier League alle Ehre – er ist ein Meister der Provokationen und gemeingefährlichen Grätschen; vor zwei Jahren musste er 10 000 £ Strafe zahlen, weil er vor einem Spiel die Toilette des Schiedsrichters benutzt hatte. Wenn er für Wales spielt, hält sich Savage jedoch auffällig zurück. Der Mann ist ein echter Patriot: Als sein Großvater verstarb, legte ihm der Mittelfeldspieler das Trikot seines ersten Länderspiels auf den Sarg.“

Thomas Seibert (Tsp 19.11.) berichtet türkische Nervosität: „Ein Ausdruck der traditionellen türkischen Gastfreundschaft war das nicht: Als die Fußball-Nationalmannschaft von Lettland in Istanbul eintraf, musste die Delegation eine Stunde lang an der Passkontrolle warten. Anschließend wurde ihr Gepäck von Suchhunden der Drogenpolizei durchschnüffelt. Vor dem Hinspiel, das die Türken 0:1 verloren, sei es den türkischen Spielern in Riga genauso ergangen, begründeten die Gastgeber den feindseligen Empfang. Diese kleinlichen Schikanen sind ein Zeichen der Schwäche: Die türkische Mannschaft ist weit von der Form ihres WM-Erfolges vom vergangenen Jahr entfernt. Sie spielt schlecht und hat ihre Emotionen nicht unter Kontrolle – am Mittwoch fehlen drei Stammspieler wegen Gelber und Roter Karten. „Wie Schmuggler“ seien sie behandelt worden, beschwerten sich Mitglieder der lettischen Delegation nach der langwierigen Prozedur am Flughafen. Unerwartet war das Verhalten der türkischen Behörden aber nicht. Der Chef des türkischen Fußballverbandes, Haluk Ulusoy, hatte nach der Rückkehr aus Riga angekündigt, die Türkei werde fortan ihre Gegner nicht wie Gäste behandeln. Das war nicht der einzige Ausrutscher des Verbandschefs. Auch die Wahl des Schiedsrichters für das entscheidende Spiel im Inönü-Stadion von Istanbul schmeckte ihm nicht. Denn der Unparteiische ist Anders Frisk, ein Schwede. Jeder wisse doch von den engen Beziehungen zwischen Schweden und Lettland, sagte Ulusoy. Schon beim Hinspiel in Riga sahen sich die türkischen Spieler als Opfer des Schiedsrichters, des Franzosen Gilles Veissiere. Ulusoy und die Mannschaft greifen damit auf den alten Grundsatz zurück, dass man sich nicht so sehr über die eigene Leistung ärgern muss, wenn man sich über den Schiedsrichter aufregen kann. Dabei gäbe es zum Thema Leistung einiges zu sagen, finden die türkischen Zeitungen.“

Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Da wird foul gespielt von der ersten bis zur letzten Minute

Michael Hanfeld (FAZ 1.8.) kritisiert die Wendigkeit der Argumentierenden. „Es ist schon seltsam, nach welchen Regeln dieses Spiel betrieben wird, das der Fußball und das Fernsehen miteinander betreiben zur angeblich höheren Unterhaltung des Publikums. Da wird foul gespielt von der ersten bis zur letzten Minute, denn im Unterschied zu den Begegnungen auf dem grünen Rasen gibt es keinen Schiedsrichter. Zuerst haben sich Vereine und Funktionäre des Fußballs mit Aplomb dem privaten Fernsehen in die Arme geworfen. Zu begrenzt schienen ihnen die Vermarktungs- und Erlösmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Nun, da sich die Konjunktur gedreht und der private Rundfunk kein Geld mehr für die Ware Fußball hat, sind ARD und ZDF mit einem Mal gefragt. Fußball, heißt es nun, war schon immer eine öffentliche Aufgabe, ein Kulturgut, ein nationales Anliegen, das den öffentlich-rechtlichen Sendern entsprechend am Herzen zu liegen habe. Das tut es auch, wenngleich nur aus der Überlegung heraus, daß sich mit Fußball im Fernsehen hohe Einschaltquoten erzielen lassen – zu Kosten, die sich kein privater Konkurrent mehr leisten kann. Es geht um einen wirtschaftlichen Verdrängungswettbewerb, in dem die öffentlich-rechtlichen Sender im Verein mit einigen Politikern immer dann die nationale Karte ziehen, wenn es vernünftige Gründe für eine solche Programmentscheidung nicht (mehr) gibt. Ganz nebenbei wird somit schon zu Beginn der Saison bewiesen, daß zumindest die ARD eine Gebührenerhöhhung zum nächsten Jahr so dringlich nicht braucht. Wer aus dem Stand heraus siebzig Millionen Euro lockermachen kann, wird als Armenhäusler schwerlich durchgehen, bei einem Gebührenaufkommen von 7,5 Milliarden Euro pro Jahr schon gar nicht. Niemals wird die ARD, wie sie behauptet, die siebzig Millionen Euro durch Werbung und Sponsoring wieder hereinspielen können.“

Der Pullover genügte als verwegene Chiffre für Sportlichkeit

Christopher Schmidt (SZ 1.8.) erinnert sich. „Der samstägliche Weg in Opas Schrebergarten führte durch die leergefegten Straßen des entvölkerten Vororts, denn es war die heilige Stunde. Die Fußballnation war jetzt vor dem Fernseher versammelt, die Abendmesse wurde zelebriert, die „Sportschau“ hatte begonnen. Mit Fun und Entertainment hatte das nicht das Geringste zu tun, sondern mit heiligem Ernst, schließlich war die ARD noch „das Erste“, und „Schüsseln“ standen im Geschirrschrank oder in der Garage (wie der Opel GT von Vetter Dieter), keinesfalls aber auf dem Dach. Familienväter legten feierlich den Trainingsanzug von Adidas, nur von Adidas, an, als würden sie zum Reservemanöver ausrücken. Denn Fußball war eben nichts für die ganze Familie, sondern „Männersache“ und hatte darum separatistische Folgen. Fußballplatz, Eckkneipe und die Werkzeuggassen im Baumarkt – das waren die Reservate unentwegter Männlichkeit, der Schlagbaum, an dem der „Ernst des Lebens“ begann. Entsprechend staatstragend war die Aufmachung der „Sportschau“, auch wenn es die einzige Sendung im damaligen Drei-Kanal-Fernsehen war, in der Moderatoren Pullover trugen. Der Pullover genügte als verwegene Chiffre für Sportlichkeit, denn er hatte so was von Jagertee und Segeltörn. Und tatsächlich wirkte das feierabendliche Sportschau-Zivil damals bestürzend salopp. Aufgefangen wurde die virile Lässigkeit durch die Studiokulisse, die an das neumodische Sprachlabor in unserer Schule erinnerte. Und natürlich durch den verbeamteten Verlautbarungsstil der Moderationen zwischen beklommener Leutseligkeit, dem katastrophischen Timbre von Studioköchen, die sich über den brodelnden Krisenherd beugen („Da hat er den Ball gespielt. Und Ball im Aus“), und der soldatischen Einsilbigkeit der Spielkommentierung („Vogts – Bonhof – Netzer – Bonhof – Stielike – wieder Neeetzer: Bonhof – Netzer“). Ab 1961 stand die „Sportschau“ für jene unfreiwillige Komik, die sich aus dem Kontrast von salbungsvoller Würde und trivialem Inhalt ergab. Über Jahrzehnte wurde hier Fußball verwaltet von korrekten Sachbearbeitern des Sportsgeists.“

Ran light

Bernd Müllender (FTD 31.7.) ist skeptisch, ob die ARD-Sportschau ein Erfolg wird. „Heribert Faßbender, der WDR-Sportchef, hatte „zu Talk und Wort“ geladen. Viel Szeneprominenz (Reiner Calmund, Ewald Lienen, Rudi Gutendorf, Gerd Niebaum) war zur Präsentation der neuen „Sportschau“ ins Olympiamuseum gekommen. „Ein hoch emotionales Ereignis“ stehe an, sagt ARD-Programmdirektor Günter Struve. „90 Minuten Fußball ohne Spielverzögerung“ jeden Samstag verspricht WDR-Fernsehdirektor Uli Deppendorf. Das Wort „Ran“ fiel keinmal. Alle sprachen von den Kollegen, von früher, von den Vorgängern. Botschaft: Gestern ist Geschichte. Eine neue Epoche hat begonnen. Mitteilungen des WDR kommen dieser Tage nicht als schnödes Fax, sondern staatssendertragend auf elfenbeinfarbenem Papier in edler dunkelblauer Schrift, Tiefdruck. „Football’s coming home“, trällert es seit Wochen aus öffentlichen-rechtlichem Radio und Fernsehen entgegen. An diesem Samstag, 18.10 Uhr, beginnt das nostalgische Glück. Nach 15 Jahren exklusiver ARD-Rechtelosigkeit, 40 Jahre nach dem ersten Bundesligaspieltag und 42 Jahre nach der Premiere von Ernst Huberty als Frontmann einer (noch bundesligalosen) „Sportschau“ am 4. Juni 1961. Vor lauter Vergangenheitsverklärung hatte man damit rechnen müssen, dass die neue „Sportschau“ in schwarz-weiß und nur über Antenne ausgestrahlt wird, weil das „eine Verbeugung vor unserer großen Zeit“ wäre. Wie wird die „Sportschau“ wirklich? Modern (mit Betonung auf der zweiten Silbe, nehme ich an, of) , heißt es, „mit einem Hauch Nostalgie“, also Archiv-Einspielern. Mehrheitlich definieren sich die Macher über das, was es nicht mehr gibt: Studiozuschauer, Getrampel, Showtreppe, von Werbeblöcken geteilte Spielberichte, „Firlefanz und Dampfplauderei“ (Faßbender). Man wolle „mehr Fußball, weniger Ehrentribüne und Spielerfrauen“ (Deppendorf) (…) Einiges ging im Vorfeld schief: Gern hätte man die Liga geschlechtsübergreifend präsentiert. Doch Sandra Maischberger und Anne Will winkten ab. Bleibt die übliche Herrenrunde: Beck- und Hartmann, Rubenbauer, Delling (ohne Netzer), Faßbender (hinter der Kamera), dazu Steffen Simon, „Ran“-erfahren. Dass Simon, 38, vor die Kamera kommt, hat Senior Faßbender, 62, verhindert. Als Sportchef im zweiten Glied darf Simon sich immerhin freuen, dass „es noch nie eine solche Aufbruchstimmung im WDR gab“, und ansonsten rechnen: Am Dienstag stellte er die Parade der „Sportschau“-Macher neben sich in Mannschaftsstärke vor. Auf dem Podium saßen acht Leute. Und Faßbender musste sich erklären lassen, dass der Hauptsponsor nicht Tee-Mobil ausgesprochen wird, sondern englisch, tih-mobail. Dass die „Sportschau“ und der FC Bayern jetzt denselben Werbepartner haben, lässt befürchten, dass die Meisterbrust jetzt auffällig häufig ins Bild gerückt wird. Die Verantwortlichen blocken jedoch ab: „Das wäre redaktionell unverantwortlich“, sagt Günter Struve. Und alle blicken sie in die Zukunft. „Am Montag“, ist ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf sich sicher, „werden uns alle verreißen, werden von ,Ran light‘ schreiben und sagen, es war ja kaum anders als sonst. Aber das legt sich.“ Altmeister Huberty hat ein Comeback übrigens ausgeschlossen. „Das ist so utopisch, als würde ich in eine Raumkapsel steigen und versuchen, zum Mars zu fliegen.“ Aber Huberty light ist dabei: Nach der Samstagspremiere wird der 76-jährige Pensionär intern die Sendekritik machen und dabei vor allem darauf achten, „ob sparsam genug geredet wurde“.

Erik Eggers (FR 31.7.) schreibt zum selben Thema. „Überhaupt ist fraglich, ob es wirklich eine clevere Strategie ist, vornehmlich auf den historischen Vorläufer zu verweisen, auf diesen seltsamen nostalgischen Purismus. Die Bundesliga kommt nach Hause, heißt es in den aktuellen Fernsehspots, die untermalt sind mit gregorianischen Chorälen. Als würde der Fußball – der in den vergangenen Jahren schriller wurde und lauter – sich fortan zurückziehen in klösterliche Klausur. Und vor allem Eines wird gern vergessen: wie verklärt die Erinnerung an das alte Format in Wirklichkeit ist. Komplett ausgeblendet wird, dass der Deutsche Fußball-Bund seinerzeit die Rechte an die Privaten gab, weil die Sportschau zu verstaubt war und zu altmodisch, weil Technik, Moderation und Präsentation der guten, alten Sportschau schlicht und ergreifend dem TV-Paläozoikum entstammten. Die Sportschau war im Jahr 1988 ein Dinosaurier. Ein Anachronismus. Dennoch sind die Vorschusslorbeeren beachtlich nach der Befreiung von Sodom und Wontorra, wie es das NDR-Magazin Zapp so zärtlich formuliert. Die Vorfreude wird nicht einmal getrübt von der drohenden Omnipräsenz altgedienter Recken wie Waldemar Hartmann, der als Moderator Stadion mit Michael Antwerpes im Wechsel durch das Topspiel der Woche führt. Hartmann übrigens, ist zu hören, soll gar nicht zufrieden sein mit der Rolle. Er sehe sich eher auf einer Stufe mit Delling und Beckmann. Es gab heftige Grabenkämpfen deswegen, die Faßbender am Dienstag mit einem genüsslichen Lächeln als Kurzzeit-Irritationen bezeichnet. Immerhin, Hartmann sitzt mit auf dem Podium, wenn auch auf Rechtsaußen und mit einem Gesicht, als dürfe er Rudi Völler nicht mehr duzen. Zufrieden ist die ARD über das fix vereinbarte Engagement der Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) und T-Mobile, die das neue alte Format präsentieren. Die heikle Frage danach, ob es sich womöglich redaktionell auswirkt, dass T-Mobile auch Sponsor beim 1. FC Bayern ist, verneinten alle Beteiligten kategorisch. Natürlich. Es geht ja nur um Fußball.“

Wolfgang Gehrmann Götz Hamann (Zeit 31.7.) beschreiben die potente Rolle Günter Netzers. „Netzer braucht ziemlich lange, um an das andere Ende seines Konferenztisches zu gelangen, aber das liegt nicht an der Lauffaulheit, die ihm angeblich schon als Fußballprofi zu Eigen war. Die ovale Tafel aus Kirschholz im „Board Room“ der Infront Sports Media AG im schweizerischen Zug ist gut zehn Meter lang. Mit mokantem Blick auf das Imponiermöbel sagt Netzer: „Das wäre in unserem Etat heute nicht drin. Das Stück haben wir von unserem insolventen Vormieter übernommen.“ Hier also arbeiten sie, die Händler und Arbitrageure des Sports. Sie kaufen Rechte für TV-Übertragungen an Fußballspielen, Eishockey-Weltmeisterschaften oder Basketball-Turnieren von Clubs und Verbänden ein, um sie teuer an Fernsehsender weiterzuverkaufen. Günter, der Ver-Netzer, nennt sich Executive Director und ist einer der wichtigsten unter ihnen. Wenn diesen Samstag die Bundesliga-Saison beginnt und die Bilder nach 15 Jahren erstmals wieder ausführlich in der ARD-Sportschau zu sehen sind und nicht im Privatfernsehen, dann hat das wenig mit Nostalgie, aber viel mit Netzer und Infront zu tun. Und vor allem mit einem engen Geflecht aus Wirtschaft und Politik, das rund um den Fußball gewachsen ist. Noch in den achtziger Jahren betrieben ein paar Autodidakten und Vereinsmeier die Fußballvermarktung. Doch das Gewerbe wird professioneller. Die wilden Zeiten sind vorbei, sagt Robert Müller von Vultejus, Sportökonom, Geschäftsführer des Vermarkters Sportfive und größter Konkurrent von Infront. Inzwischen ist es einer der dicksten Zweige der Unterhaltungsindustrie geworden (…) Es hilft, dass Netzer in ein Netzwerk weniger, älterer Herren eingebunden ist, die einander vertrauen. Jobst Plog, den Intendanten des Norddeutschen Rundfunks, kennt Netzer noch gut aus seiner Zeit als Manager des Hamburger Sportvereins. Plog nahm viel politischen Ärger auf sich, um die ARD mit der Sportschau zu schmücken. Natürlich geschah das aus Eigennutz, denn die Fußball-Bundesliga gilt als Programm, mit dem man sich von der Konkurrenz absetzen kann. Gleichzeitig verlangte Plog von seinem alten Bekannten Netzer keine allzu großen Opfer. Den Preis bestimmte nicht, wie weit die ARD Infront hätte drücken können, sondern die Prognose, wie viel Geld durch Werbung hereinkommen würde. So zahlte die ARD unterm Strich neun Millionen Euro mehr, als der nächste Konkurrent geboten hatte. Zum Netzwerk gehört auch Wilfried Straub, der dem Geschäft mit dem runden Leder seit 35 Jahren dient und mit Netzer seit dessen Tagen in der Nationalmannschaft auf gutem Fuß steht. Der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) musste zwar darauf bestehen, dass Infront die vertraglich festgelegten 290 Millionen Euro an die Liga überweist und die Vereine drei Jahre vor der Weltmeisterschaft vor dem finanziellen Ruin bewahrt. Nachträglich aber wurde ein stiller Kostenzuschuss in einstelliger Millionenhöhe ausgehandelt, der die Schmerzen bei Infront lindert – und doch den Preis der Ware Fußball nach außen hoch hält. Beziehungen machen also den kleinen Unterschied. Und doch hat sich etwas verändert. Die Zeiten, in denen Netzer durch Europa reiste und mit diversen Vereinspräsidenten so lange trank, bis sie unterschriftsreif waren, sind vorbei. „Die haben nur Geschäfte mit dir gemacht, wenn sie dich mochten“, erinnert er sich. Doch ein Generationenwechsel und die Medienkrise veränderten diese Gesprächskultur. Nur wenige der alten Garde sind noch dabei, und ihnen treten kühle Rechner an die Seite, deren Profession die Verträge sind, nicht das Spiel.

Sonstiges

Feuerwehrmann in New York

Marc Kayser (Zeit 31.7.) hat Fredi Bobics Ausführungen notiert. „Wenn ich einmal nicht mehr fit genug bin, um schnell genug übers Feld zu stürmen, stelle ich mir vor, meinen Traum zu erfüllen: Feuerwehrmann in New York. Teil eines Teams sein, das seine Stadt verteidigt, die voller Superlative ist. Auch ich würde einen Eid darauf schwören, den Big Apple zu verteidigen, als wär’s meine Heimatstadt. Jedes Jahr bin ich in Amerika, in New York, und mittlerweile fühle ich mich dort schon wie zu Hause. In meinem Traum heuere ich auf einer Wache an der Fifth Avenue an. Ich bekomme einen dunkelblauen Anzug mit dem gelben Schriftzug: NYFD. Als fire fighter ohne Erfahrung schickt man mich an den Telefoncomputer, bei dem die Hilferufe eingehen. Mir hat es noch nie etwas ausgemacht, von vorn zu beginnen oder aber zu ertragen, dass ich nicht der Erste in einem Team bin. Den Job des Feuerwehrmanns in New York muss man von der Pike auf lernen. Die Jungs dort, das sehe ich auf den ersten Blick, sind sehr viel kräftiger als ich. Wenn sie unter der Dusche stehen, sehe ich Muskeln auf den Schulterblättern, kräftige Unterarme und Hände voller Schwielen. Wer mich anschaut, ahnt zu Recht: Fredi Bobic kann vielleicht schnell rennen, aber einen Schlauch mit einem Zwölf-Bar-Wasserdruck zu halten, der stark genug wäre, einen Bungalow wegzupusten – nein, das könnte er nicht. Oder erst die so genannten hydraulischen Spreizer, mit denen man eingeschlossene oder eingeklemmte Unfallopfer rettet: Sie sind so schwer, dass ich sie allein nicht halten kann. In meinem Traum trainiere ich wie besessen den schnellen Anschluss der Schläuche an Kupplungen, Armaturen und Stahlrohre. Ich erlerne verschiedene Löschtechniken, klassifiziere Brände, forsche nach Brandursachen, kenne chemische Zusammensetzungen von Löschmitteln und erfahre, welche Atemgifte mich oder ein Brandopfer zu Tode bringen können. Ich übe das Balancieren auf Leitern, das Bewegen von Lasten, das Aufschneiden und Trennen von Stahlteilen und wie man seine Einsatzstelle richtig sichert und beleuchtet. Ich will zu meinem ersten Einsatz. Ich will das Element kennen lernen, das mich daheim am Kamin so schön wärmt, aber bei einem unkontrollierten Ausbruch die Zerstörung bringt. Ich rücke aus. Der Feuerwehrmann Bobic steht einem Feind gegenüber, der mich ebenfalls als Feind empfindet. Feuer hat Hunger, will fressen und gibt bei seiner Suche nach Nahrung nur unfreiwillig nach.“

Wie eine Münze durch den Kanal eines defekten Telefonapparates

Andreas Bernard (SZ 1.8.) produziert eine Phänomenologie des Tornetzes. „Die Differenz zwischen den Fußballplätzen in der Umgebung, auf denen wir Woche für Woche spielten, und der unerreichbaren Welt der Bundesliga zeigte sich an einem Detail: an der Gestalt der Tornetze. Auf den Bezirkssportanlagen der Stadt sahen sie immer gleich aus: Aufgehängt an Eisengestängen in den beiden Winkeln der Tore, fielen sie dreieckförmig nach unten und wurden mit kleinen Plastikheringen in der Erde befestigt. Es bereitete kein großes Vergnügen, in diese Tore zu schießen. Natürlich freuten wir uns, wenn uns im Training ein Treffer gelang (und bei den Punktspielen ging es ohnehin um zu viel, als dass wir auf diese Besonderheit geachtet hätten); dennoch spürten wir einen Mangel darin, dass der Ball nach einem Schuss einfach in den Maschen liegen blieb. Die Tornetze auf den gewöhnlichen Fußballplätzen verhinderten jenen Effekt, den wir aus den Spielberichten der Bundesliga kannten: dass der Ball nach einem Treffer auf spektakuläre Weise aus dem Tor zurückschoss. Wie anders sahen die Netze in den großen Stadien ohnehin aus: Sie wurden von zwei Stangen hinter den Pfosten gehalten und fielen deshalb nicht einfach wie ein zu langer Vorhang nach unten, sondern bildeten ein straff gezogenes Rechteck. Im Spiel selbst wirkten sie, als könnte keine Kraft der Welt ihre Spannung lösen. Bei manchen Treffern prallte der Ball fast bis an den Elfmeterpunkt zurück – und was das Merkwürdigste war: Auch durchschnittlich scharfe Flachschüsse wurden aus unerfindlichen Gründen nach oben katapultiert, bis unter die Latte, und von dort etliche Meter weit herausgeschleudert. War es nicht immer so, dass erst die Gestalt der Tore zu einem großen Teil über die Freude am Fußball entschied? Im Freibad etwa, wenn wir auf der Liegewiese vier gegen vier spielten, hatte es immer etwas Unbefriedigendes, dass die Pfosten nur mit Schuhen oder ein paar Abfalleimern markiert werden konnten. Einen Treffer zu erzielen war in einem solchen Spiel kein wirkliches Ereignis, denn der Unterschied zu einem Fehlschuss fiel kaum auf: Der Ball rollte einfach über die Linie. Weitaus kümmerlicher noch wirkte das Fehlen der Netze aber auf richtigen Fußballplätzen. Während einer Zugfahrt oder auf Spaziergängen am Rande der Stadt gab es keinen trostloseren Anblick als jene ausrangierten Spielfelder, denen anzumerken war, dass schon seit Jahren keine Partie mehr auf ihnen stattgefunden hatte. Manchmal sah man dann einen Vater mit seinem Sohn, wie sie auf eine Tor-Ruine spielten, und wenn ihr abgewetzter Lederball bei fast jedem Schuss durch die breite Lücke zwischen den Pfosten flog – ohne Netz schien das Tor größer zu sein –, hatte das etwas Vergebliches; der Ball fiel nicht ins Tor, er fiel immer wieder durch wie eine Münze durch den Kanal eines defekten Telefonapparates.“

Frankreichs Liga vor dem Saisonstart NZZ

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Vermischtes

Werder Bremen schlägt VfB Lübeck, „ein Spiel, das niemand so schnell vergessen wird“ (FR); Bremen abonniert das DFB-Pokal-Finale, Lübeck bleibt Anerkennung – Alex Ferguson, Manchesters Trainersaurier vor dem Karriere-Ende? (FAZ) – Sex-Skandal in Leicester doch kein Kavaliersdelikt (Tsp) – G14 contra Blatter, es geht um Geld und Macht (SZ) – VfB Stuttgart hat nicht nur sportlich Erfolg, auch Geld verdient er (FAZ) – Willi Reimann, „der Sachverständige“ (FR) – Eintracht Trier und Erzgebirge Aue wollen unbedingt in der Zweiten Liga bleiben – wer versteht Sunday Oliseh (taz)? u.v.m.

Steffen Hudemann (Tsp 18.3.) legt „Bremer Recht“ aus: „Bremen ist die erfolgreichste Pokalmannschaft der vergangenen 20 Jahre, was irgendwie mit Berlin und Thomas Schaaf zusammenhängen muss. Seit 1985 findet das Endspiel im Olympiastadion statt, sieben seiner acht Finalteilnahmen erreichte der Klub in dieser Zeit. Und immer war Schaaf dabei – viermal als Spieler, nun schon zum dritten Mal als Trainer. „Das Finale hat gute Tradition bei uns“, sagte Schaaf. Und wenn er seinen Spielern mit ähnlicher Begeisterung von Berlin berichtet hat wie später den Journalisten, dann erklärt das vielleicht, warum der SV Werder ein wenig mehr für das Erreichen des Finals tut als andere. „Wer das einmal mitgemacht hat, diese Begeisterung nicht nur am Finaltag, sondern auch am Tag davor und danach, der weiß, welche Freude auf uns wartet.“ Auch der zweite sportlich Verantwortliche in Bremen hat reichlich Pokalerfahrung. Klaus Allofs, der Sportdirektor, wurde als Spieler mit Köln, Düsseldorf und Bremen insgesamt viermal DFB-Pokalsieger. Und er erreichte mit Schaaf den größten Erfolg der Bremer Vereinsgeschichte. 1992 erzielte Allofs in Lissabon das 1:0 gegen Monaco. Werder siegte 2:0 und gewann einen Wettbewerb, der inzwischen abgeschafft ist, eigentlich aber wie geschaffen für die Bremer war: den Europapokal der Pokalsieger. Auch Allofs fiel es schwer, den Pokalerfolg zu erklären. Die Mannschaft spiele in diesem Jahr insgesamt stark, im Pokal, in der Meisterschaft. Dass sie den Wettbewerb ernster nimmt als andere, glaubt er nicht: „Inzwischen sind die Plätze für den Uefa-Cup so begehrt, dass alle ins Endspiel wollen.“ Am Ende jedenfalls hatte Schaaf die ebenso einfache wie einleuchtende Antwort auf die Frage, was eine gute Pokalmannschaft ausmache: „Dass sie ihre Spiele gewinnt.““

Heute ist auch der Trainer sprachlos

Frank Heike (FAZ 18.3.) beschreibt Lübecker Verzweiflung: „Trainer Dieter Hecking starrte auf einen Fernsehschirm, sah das Bremer 3:2 durch Valdez und klagte über das Handspiel, wie er es in der nächsten Stunde noch ein paarmal tun würde. Der Lübecker Trainer war kein schlechter Verlierer. Aber er brauchte irgendeinen Grund um die Lübecker Niederlage erklären zu können. Das Handspiel, das niemand so richtig erkannt hatte, kam da gerade recht. Doch seine tiefe Ratlosigkeit konnte Hecking selbst im Zorn gegen Schiedsrichter Fröhlich nicht verbergen: Heute ist auch der Trainer sprachlos. Neben ihm stolzierte der Bremer Fabian Ernst vorbei. Er trug ein Lübecker Trikot, reckte die Arme hoch und sprang laut schreiend in die Bremer Kabine. Manchmal ist es schwer, die Freude des Gegners zu ertragen. Eine halbe Stunde später bei der Pressekonferenz hatte Hecking wieder zu sich gefunden. Er wurde sogar ein bißchen pathetisch: Das Herz haben wir heute gehabt, aber das Glück hatte uns verlassen. Wir haben gegen die beste Mannschaft Deutschlands bestanden und lange auf die Riesensensation gehofft. Jetzt ist die Enttäuschung riesengroß. (…) Wenn es denn einen Unterschied gegeben hatte in dieser Pokalnacht, dann waren es die Ersatzbänke. Wo der VfB kaum mehr als Ergänzungsspieler für erschöpfte Stammkräfte bringen konnte, besitzt Werder Qualität.“

Markus Jox (taz 18.3.) ergänzt: „Lübecks Trainer Dieter Hecking, der unmittelbar vor Werders 3:2 ein klares, wenn auch nicht absichtliches Handspiel von Valdez gesehen haben wollte, tobte und musste mit knallrotem Kopf und unter lauten Was ist das denn für ne Scheiße hier-Rufen auf die Tribüne, hatte sich auf der anschließenden Pressekonferenz aber schon wieder unter Kontrolle.“

Ein Spiel, das niemand so schnell vergessen wird

Paul von Engeln (FR 18.3.): „Obwohl am Ende eigentlich nur herauskam, dass der souveräne Bundesliga-Tabellenführer in einem Heimspiel einen Abstiegskandidaten aus der zweiten Liga besiegt hat, wurde es ein Spiel, das niemand so schnell vergessen wird. Der VfB Lübeck wuchs zu einem ebenbürtigen Gegner heran. Mauerte nicht, bolzte wenig, grätschte, kratzte und zerrte nicht fies (wie von seinem sympathischen Trainer Dieter Hecking angekündigt) – sondern spielte mit. Gegen die spielstärkste deutsche Fußballmannschaft. Sie haben überragend gespielt, lobte Werder-Trainer Thomas Schaaf. Schaaf erzählte gestern von seinem prima Verhältnis zum VfB-Kollegen Hecking. Seit vielen Jahren kenne man sich, man telefoniere regelmäßig und auch ihre Fußball-Philosophie scheint ähnlich. So durften sich die Außenseiter wenigstens noch moralisch als Sieger fühlen. (…) Zur fiebrigen Atmosphäre des außergewöhnlichen Fußballabends gehörte ebenfalls, dass Matchwinner Valdez nach seinem Tor, das Werder zwei Millionen Euro Final-Einnahmen sichert, den üblichen Salto vergaß. Er ließ sich einfach auf den Boden fallen und erkannte schnell, dass das ein Fehler war. Die Kollegen hätten ihn fast erdrückt.“

Schweiß, Männerfreundschaft und semimilitärische Disziplin

Nicht nur Christian Eichler (FAZ 18.3.) hält die Trainerarbeit Alex Fergusons für antiquiert: „Sein Team ist bei den Popstars des Fußballs nicht mehr erste Wahl. Sonne, Spielkultur, das Flair von Real sprechen gegen United; noch mehr aber tut es mittlerweile die Persönlichkeit von Sir Alex, der mit seinem selbstherrlichen, latent cholerischen Auftreten mehr und mehr wie ein Dinosaurier der Trainerszene wirkt; ja wie der letzte seiner Art, der das 21. Jahrhundert erreicht hat. Das Biotop dieser Spezies von Trainer-Dinos war der von Schweiß, Männerfreundschaft und semimilitärischer Disziplin getränkte Geist der Fußballkabine als Keimzelle des Erfolges. In dem Maße, da diese altmodische Aura in der Welt der Fußball-Popstars einem permanenten Showroom gewichen ist, wirken die Methoden und das Auftreten von Sir Alex von gestern. Nicht nur, daß Beckham nicht mehr nach Manchester paßte. Auch Stars wie Veron und Barthez wurden in diesem Umfeld zu Fehleinkäufen, die man vergangenes Jahr wieder abstieß. Zugleich bekam Ferguson im Sommer nicht den Spieler, den er als Beckham-Ersatz wollte: den Brasilianer Ronaldinho, der nun in Barcelona glänzt. Es wird immer deutlicher, daß die Stars, die Ferguson will, nicht mehr unbedingt zu Ferguson wollen. Der frühere United-Kapitän Bryan Robson wirft Ferguson vor, die falschen Spieler geholt zu haben. Vermutlich hat Ferguson die richtigen aber einfach nicht bekommen. Für den finanziell erfolgreichsten Klub der Welt ist das eine neue Erfahrung. Fünf Jahre nach dem Gewinn der Champions League und ein Jahr nach dem achten englischen Meistertitel binnen elf Jahren beginnt die Anziehungskraft von United zu verblassen. (…) Offene Häme kommt auch von den Fans. Als es fünf Tage nach dem Ausscheiden in der Champions League die maximale Demütigung gab – ein 1:4 im Derby gegen Manchester City –, reagierten die Anhänger mit unverhohlener Kritik am zuvor wie ein Denkmal behandelten Trainer: Taxi für Fergie, forderte ein Transparent. Ein anderes beschrieb den 62 Jahre alten Schotten als Auslaufmodell: Alex Ferguson, Verfallsdatum 31. Mai 2003.“

Wenn du in England ein Fußballer bist, kommen die Mädchen auf dich zu

Raphael Honigstein (Tsp 18.3.) referiert die Debatte um den Sex-Skandal Leicester Citys: „Leicester City hat nach dem Sex-Skandal in La Manga für englische Profifußballer deutlich an Attraktivität verloren. Auf Weisung von Trainer Mickey Adams wird in der Players’ Bar im Walkers Stadium ab sofort kein Alkohol mehr ausgeschenkt. Auch in Trainingslagern dürfen in Zukunft nur noch Softdrinks und Wasser getrunken werden. Die Mannschaft hat am Samstag in Birmingham drei wichtige Punkte im Abstiegskampf gewonnen, doch der kleine Klub aus den Midlands kämpft weiter um seinen Ruf. Nachdem der Verein die neun Spieler, die vor zwei Wochen in Spanien festgenommen worden waren, noch bedingungslos unterstützt hatte, ist der Ton zumindest gegenüber Frank Sinclair, Paul Dickov und Keith Gillespie schärfer geworden. Diese drei waren erst am Donnerstag gegen eine Kaution von 240 000 Euro aus der Haft entlassen worden. „Sie haben sich die Probleme selbst zuzuschreiben“, sagt Adams, „jetzt müssen sie sich selber um die juristischen Konsequenzen kümmern“. Und die könnten gravierend sein. Alle drei stehen unter dringendem Tatverdacht, drei in Köln wohnhafte Afrikanerinnen im Mannschaftshotel sexuell genötigt und vergewaltigt zu haben. (…) Steffen Freund, der im Gegensatz zu seinen Kollegen nur wegen unterlassener Hilfeleistung festgenommen worden war und als Erster wieder frei kam, hat bisher als Einziger vor Gericht sexuelle Kontakte mit einer der drei Frauen gestanden. „Es war freiwillig. Erst danach kam es in einem anderen Zimmer zum Streit zwischen Spielern und Frauen“, zitierte ihn die „Bild-Zeitung“. Während seine Kollegen weiter ihre Unschuld beteuern, spekulieren Teile der Presse, ob die drei Frauen Prostituierte sind. Adams hat Zweifel an ihren Aussagen. „Vor Jahren sind solche Sachen nie passiert, aber vor Jahren stand auch nicht ‚Rufen Sie uns an, wenn Sie jemanden kennen, der etwas gemacht hat’ in den Sonntagszeitungen.“ Der seriöse „Guardian“ flog sogar nach Köln, um den ehemaligen FC-Barnsley-Torhüter Larse Leese zu interviewen. In seiner Biografie „Der Traumhüter“ schildert Leese gegenüber Autor Ronald Reng den feucht-fröhlichen Profialltag auf der Insel. Leese sagt: „Die Anklage lautet Vergewaltigung, aber als Fußballer musst du nicht Gewalt anwenden, um Sex zu haben. Wenn du in England ein Fußballer bist, kommen die Mädchen auf dich zu.““

Thomas Kistner (SZ 18.3.) berichtet den Konflikt zwischen G14 und Fifa: „Sepp Blatter, der Fifa-Boss, ist ein gefürchtet leutseliger Mensch: Versäumt keine Party, von Konferenzen und Kongressen ganz zu schweigen. Trotzdem gibt es da ein paar Leute, mit denen er laut Selbstauskunft nie wieder spricht. Das wäre nicht der Rede wert, handelte es sich dabei nicht um die komplette Oberschicht der Kickerbranche: Die in der G 14 vereinten (nun schon 18) Topklubs in Europa, Edeladressen von Mailand, Madrid, Manchester bis München. Sie vor allem halten ja das Geschäft mit ihren attraktiven Millionen-Teams am Laufen, deshalb sägen sie an Blatters Thron. Die G 14 verwaltet den Spitzenfußball. Nun werden ihre Teams nicht an der für 2005 geplanten Klub-WM der Fifa teilnehmen, sagt Bayern-Chef Rummenigge, G 14-Vizepräsident. Das sei endgültig, die Zahl der Wettbewerbe reiche völlig aus. Damit wird Blatters neues Traumprojekt zur Makulatur erklärt. Zugleich zündet die G 14 die erste Stufe im Streit ums große Geld. Der Boykott der Klub-WM ist nur der Schritt, mit dem die Klubchefs den Verbänden signalisieren, wer die Macht hat im Geschäft. In Wirklichkeit geht es um Forderungen, die längst auf dem Tisch liegen. Die G 14 will bei allen Entscheiden mitreden, bei Spielplangestaltung, Jugendarbeit, Transferrecht – und sie will mitkassieren: Fifa und Uefa sollen für die Dauer ihrer WM- bzw. EM-Turniere die Gehälter übernehmen. Das käme allein die Fifa auf 120 Millionen Euro, hat Thomas Kurth ermittelt, Generalsekretär der G 14. Kurth sitzt in Brüssel, wo sich die Klubs als Lobbygruppe formiert haben. Hier sind die Wege zur EU kurz, der nächste Schritt in Richtung Umsturz steht schon bevor: Die G 14 hat prüfen lassen, auf welcher Rechtsgrundlage die Fifa operiert, wenn sie die Klubs bei Strafandrohung verpflichtet, Spieler für die WM abzustellen und die Versicherungskosten zu tragen – ohne dass dies auf gemeinsamen Abmachungen beruht. Die Klage steht an, bei der EU-Wettbewerbskommission.“

Im Wirtschaftsteil rühmt Susanne Preuß (FAZ 17.3.) das Unternehmen VfB Stuttgart: „Kleinmütigkeit ist Erwin Staudts Sache nicht. Noch in diesem Jahr wollen wir Schalke packen, sagt der Präsident des VfB Stuttgart – als gäbe es nichts Leichteres als das. Staudt spricht nicht über Tore und Punkte, sondern über die Mitgliederzahlen, und so gesehen ist das Ziel reichlich ehrgeizig: Schalke hat mehr als 35 000 Mitglieder, der VfB erst 18 398. Erst – das ist ein Wort, das Staudt nicht gelten lassen würde. Denn vor knapp neun Monaten, als Staudt zum Präsidenten des Erstligavereins gewählt wurde, da hatte der VfB nur 8101 Mitglieder. Nie hätte ich mir träumen lassen, daß es in wenigen Monaten schon 18 000 sein würden, sagt Staudt, immer noch halb verwundert, aber auch mächtig stolz. Ginge sein Plan in Erfüllung, wäre der VfB der zweitgrößte Fußballverein Deutschlands nach Bayern München – nach Mitgliederzahlen. Sportlich schließt sich Staudt sowieso dem neuerdings ausdrücklich formulierten Ziel von VfB-Trainer Felix Magath an: In dieser Saison sollen die Stuttgarter nach zwölf Jahren wieder einmal Meister werden, bitteschön. Bei schönen Worten und Begeisterung in der Stimme läßt es der VfB-Präsident aber nicht bewenden. Erwin Staudt, im Wirtschaftsleben noch bestens bekannt aus seiner Zeit als Chef von IBM Deutschland, baut aus dem VfB ein Wirtschaftsunternehmen. Mit einer Unternehmenssteuerung nach dem Harvard-Modell der Balanced Score Card, mit Benchmarking und viel Elan trimmt es der Vertriebs- und Marketing-Profi auf Erfolg, ganz wie es sich gehört im Musterländle. Der Großraum Stuttgart, das vergißt Staudt selten zu erwähnen, wenn er über den VfB und dessen Finanzen spricht, sei einer der wirtschaftsstärksten Ballungsräume der ganzen Welt. Da gehört es sich nicht, einen Bundesligaverein mit maroden Finanzen zu hinterlassen, wie es Gerhard Mayer-Vorfelder getan hat. Nachgetreten wird öffentlich zwar nicht, aber man nimmt es MV, dem heutigen DFB-Präsidenten, schon übel, daß er allzuviel Geld aus dem Fenster geworfen hat. Dieter Hundt faßt die Kritik in dem banalen Hinweis zusammen, daß auch ein Fußballclub nur soviel ausgeben könne, wie er einnehme. Der fußballbegeisterte Arbeitgeber-Präsident ließ sich im Herbst 2002 unter der Maßgabe zum VfB-Aufsichtsratschef wählen, daß er gründlich aufräumen dürfe. In den Aufsichtsrat holte Hundt Porsche-Marketing-Chef Gerd Mäuser, Mercedes-Vertriebsvorstand Joachim Schmidt, Bernhard Schreier von der Heidelberger Druckmaschinen AG und Hans Dietmar Sauer von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Und aus Erwin Staudt, dem bekannten Netzwerker, machte er den ersten hauptamtlichen Präsidenten des VfB. So viel Wirtschaftskompetenz wie in diesem Fußballverein, spöttelte Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel, sei in der ganzen Bundesregierung nicht versammelt.

of: Wie ist es zu deuten, dass die FAZ über diesem an Beifall reichen Text ein Foto von Eigentors Fernando Meiras gegen Chelsea abbildet?

Einen Draht zu ihm bekommt man schwer

Thomas Kilchenstein Ingo Durstewitz (FR 18.3.) loben Willi Reimann spröde: „Reimann vergisst nicht so schnell, und Reimann spöttelt ganz gern. Der Spott ist seine Art, auf sanfte Kritik zu reagieren, auf Dinge, die ihm zwar nicht in den Kram passen, aber auch nicht von grundlegender Bedeutung sind. Wenn er wirklich sauer ist, dann kann er schon mal deutlich werden, gar ausfallend, ob das nun krakeelende Fans (diese Ochsen), sich einmischende Berater (gehört geteert und gefedert), nörgelnde Funktionäre (sitzen im Wald und planen die Regionalliga) oder kritische Reporter ( Sie sind doch der Inbegriff des Journalisten, der hinterher alles besser weiß) sind. Der Mann, 54, seit 1982 im Trainergeschäft, davor 287 Bundesligaspiele, vergisst kaum etwas. Zuweilen erinnert er daran, was vor einem halben Jahr geschrieben wurde (…) Wer ergründen will, weshalb Reimann heute nicht in der Statistik der entlassenen Trainer auftaucht, der stößt immer wieder auf diese denkwürdige Woche nach der kostenlosen Vorführung im Spiel beim SV Werder Bremen am 1. November 2003. Das Ergebnis, 1:3, drückte die Kräfteverhältnisse nicht mal annähernd aus. Bremen und Frankfurt trennten Welten. Es musste was geschehen, und es geschah etwas, das hinterher sanfte Revolution genannt wurde: Die Mannschaft begehrte auf – gegen den Trainer und das ausgegebene System. Sie wollte offensiver spielen. Wenn man die Taktik nicht ändere, so der Tenor, sei man an Weihnachten abgestiegen. Nur die Tatsache, dass die Eintracht im November 2003 quasi führungslos war, rettete Reimann den Job. Der Trainer, als ungehobelt verschrieen, fühlte, dass ein Graben aufzureißen drohte zwischen ihm und wichtigen Teilen des Teams. Er ging auf die Profis zu, hörte zu, reflektierte sein Tun, er gab Leine, ließ der Mannschaft Freiraum – auf dem und abseits des Spielfelds. Die Mannschaft, sagt Kapitän Alexander Schur, der wie kein Zweiter das Innenleben dieses Frankfurter Kollektivs kennt, hat sich emanzipiert, ist reifer und erwachsener geworden. Vieles regelt sie ohne den Trainer, in Eigenregie. In dem Maße, in dem sich Reimann auf die Spieler eingelassen hat, ist auch das Team enger zusammengewachsen. Dennoch sagt Schur heute über Reimann: Er ist der Führer der Mannschaft. Reimann wird von seinen Spielern nicht geliebt, viele bemängeln die fehlende Kommunikation, die Ansprache. Seine Form der Menschenführung ist umstritten, nicht selten bekommen Nachwuchsspieler ihr Fett weg, Fingerspitzengefühl geht ihm ab – Indiz dafür war der Streit mit Andreas Möller, der zu einem Machtkampf ausuferte. Reimann, stur und uneinsichtig, zeigte wenig Größe. Einen Draht zu ihm bekommt man schwer, er ist mitunter barsch und unnahbar, behandelt aber alle gleich. Gleich schlecht, sagen viele. Vielleicht besitzt er aber gerade deshalb Autorität, wird von seinen Spielern respektiert. Als Trainer, weniger als Mensch. Er stellt sich bedingungslos hinter seine Spieler, die Profis können, wenn sie nur alles geben, auch schlechte Spiele abliefern. Er hält lange an ihnen fest, mitunter zu lange. Spieler, die ihn enttäuschten, haben es indes verdammt schwer.“

Gerald Kleffmann Christian Zaschke (SZ 18.3.) widmen sich dem vermutlichen neuen Sportdirektor bei München 60: „In der Branche wird Rolf Rüssmann mit zwei Aussagen beschrieben. Gelobt wird, wie er die Mannschaften in Gladbach und Stuttgart zunächst strukturiert und nach vorn gebracht hat. Kritisiert wird, dass er in beiden Fällen den Überblick verloren habe, dass er sich viele Feinde gemacht habe und das Vertrauensverhältnis jeweils zerrüttet war, als Rüssmann gehen musste. Seit der Name Rüssmann zum ersten Mal am Montagabend genannt wurde, machen einige Medien offen Stimmung für ihn. Seit jeher kommt Rüssmann gut mit der Bild-Zeitung aus, die ihm jetzt einige lobende Artikel widmet und den Druck auf den Verein erhöht. Diskutiert wurde über Rüssmann wohl schon länger. Die Idee, ihn zu verpflichten, sei das Ergebnis eines intensiven Brainstormings im Aufsichtsrat. Dabei ist den Mitgliedern nicht entgangen, dass Rüssmann den Ruf eines harten Arbeiters hat, der Probleme sofort anpackt. Dass er aber auch den Ruf eines Mannes hat, der in seiner Konsequenz wenig Rücksicht nimmt auf mögliche Leidtragende. Ebenso ist ihnen nicht entgangen, dass Rüssmann sowohl in Gladbach als auch in Stuttgart entlassen wurde.“

Jörg Hanau (FR 18.3.) befasst sich mit Erzgebirge Aue: „Mit dem Erzgebirge verbinden die meisten viel Wald und Pilze, kultige Nussknacker und Räuchermännchen. Exportschlager schon zu Zeiten, da Stacheldraht und Tretminen Deutschland in zwei Hälften teilte und unter sowjetischer Aufsicht im Kombinat Wismut unter Tage Uranerz gefördert wurde. Geschnitzt wird immer noch, der Bergbau ist seit der Wende aber zum Erliegen gekommen. Ihre alten Insignien, zwei gekreuzte Hämmer, stehen aber noch heute für das gewachsene Selbstwertgefühl des selbst ernannten Bergvolkes im südlichen Sachsen – und deren Fußballer. Die Marke Aue, sagt Olaf Fischer, ist Kult in Ostdeutschland. Der aus dem einstigen DDR-Oberligisten Wismut Aue hervorgegangene FC Erzgebirge Aue bereichert seit Anfang der Saison den Profifußball in Deutschland. Mit stolz geschwellter Brust erzählt der ehrenamtliche Pressesprecher vom Schalke des Ostens, das es als kleines Dorf geschafft hat, den sächsischen Metropolen Leipzig und Dresden den Rang abzulaufen. In der Zweiten Bundesliga kämpfen die Veilchen um den Klassenerhalt. (…) Das Geld kommt aus dem Mittelstand. Weit mehr als hundert Unternehmen unterstützen die Mannschaft aus dem gerade einmal 18 000 Einwohner zählenden Aue, das sich in der Abgeschiedenheit der sächsischen Provinz prächtig entwickeln konnte. Fern aller Profilneurotiker, die nach der Wende versuchten, zum Beispiel beim VfB Leipzig oder Dynamo Dresden die schnelle Mark zu machen. Es ist die Politik der kleinen Schritte, die letzten Endes in Aue zum Erfolg geführt hat. Mit Kontinuität in der Führung und kaufmännischer Sorgfalt. Sparsam und seriös.“

Jürgen Ahäuser (FR 18.3.) befasst sich mit Eintracht Trier: „Ohne geht es auch beim Sportverein Eintracht nicht. Oben auf dem Wappen prangt sie wie eine Trutzburg – die Porta Nigra. Das schwarze Tor der römischen Eroberer ist Welterbe der Menschheit und zieht jährlich hunderttausende Touristen in die Moselstadt. Auf so etwas lässt sich aufbauen, dachten sich schon vor 99 Jahren die Gründerväter von Eintracht Trier und bedienten sich fürs Club-Schmuckstück der kolossalen Steinquader. Ein Jahr vor dem 100-jährigen Bestehen der 05er suchen die Fußballer in der Zweitligatabelle noch nach einem ähnlich unerschütterlichen Fundament. Von November bis in den beginnenden Frühling hinein stand der SV Eintracht Trier 05 auf einem Abstiegsplatz. Nach einem furiosen 4:0 gegen den Mitabstiegskonkurrenten Jahn Regensburg steht das Team von Trainer Paul Linz auf dem elften Platz. Das klingt beruhigend, ist es aber nicht. Nur ein Punkt trennt die Mosel-Kicker von dem Platz, von dem aus der Sturz ins Niemandsland des Fußballs beginnt. 21 Jahre lang hat das Warten gedauert, bis 2002 der Aufstieg von der Regionalliga in das wegen der progressiv ansteigenden Fernsehgelder zehnmal lukrativere Vollprofigeschäft gelang. Und die Trierer stiegen unter dem knorrigen Kettenraucher Linz gleich sehr professionell ein. Mit Rang sieben überraschten sie sich und den Rest der Liga. Heute heißt es für den Traditionsverein, unbedingt die Klasse halten, um sich dauerhaft im Unterhaus zu etablieren. Große Flausen, das weiß Eintracht-Präsident Bernd Gritzmacher ganz genau, wird sich der Club nicht leisten können. Trier zählt gerade mal 100 000 Einwohner, hat keine großen Industrieunternehmen, die den Zweitligisten als Werbeplattform entdecken könnten und der Mittelstand hält in den wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Groschen zusammen, sagt der Vereinsboss. Ohnehin drücken die Trierer noch Altlasten aus klammer Vergangenheit. 1999/2000 hatte der Verein ein Insolvenzverfahren am Hals.“

Ein Journalist, der nicht auf alles eine Antwort hat – Christoph Biermann (taz 18.3.) versteht Sunday Oliseh nicht, der gegen seinen Mannschaftskollegen Vahid Hashemian Gewalt angewendet hat: „Meine Freundin Moni ist Sozialarbeiterin im trostlosesten Stadtteil einer trostlosen Stadt im Ruhrgebiet. Sie hat vor allem mit türkischen, nordafrikanischen und arabischen Jugendlichen zu tun, in deren Konflikten es häufig darum geht, dass sich einer in seiner Ehre beleidigt fühlt. Wenn Moni nachfragt, worum es denn genau geht, muss sie angesichts der Antwort oft genug ihre Enttäuschung verbergen. Was da einer für so ehrverletzend hält, dass er sich rächen will, darüber kann sie nur die Achseln zucken. Was für Wörter haben Oliseh noch eine Dreiviertelstunde später immer noch rotsehen lassen? Denn erst in der Kabine schnellte sein Kopf nach vorne und brach Hashemians Nasenbein. Mochte er sie nicht sagen, weil er ahnte, dass auch wir mit den Achseln zucken würden? Hatte Hashemian vielleicht doch nur gesagt, er lasse sich von Oliseh nichts sagen, weil der nicht sein Mannschaftskapitän sei? Und dass er hier nicht in Nigeria sei, wo Oliseh lange das Nationalteam anführte? Hatte allein das den stolzen Spieler empört, der immer schon darauf bestand, dass man ihm allen Respekt entgegen bringt. Als ich mit Steffen, der als DJ arbeitet, über den Fall debattierte, erzählte er mir von einem afrikanischen Kollegen, mit dem zusammen er und ein paar andere DJs häufig aufgelegt hätten. Eines Tages jedoch kam der Afrikaner nicht mehr. Steffen verstand das so wenig wie die anderen, sie hatten die Arbeit des afrikanischen DJs geschätzt und ihn gemocht. Als sie ihn fragten, was denn los wäre, wollte er nicht mit der Sprache herausrücken und grummelte nur etwas, dass er zu schlecht sei. Dass sie ihm widersprachen, mochte er nicht hören. Ich mag Sunday Oliseh nicht nur als Fußballspieler, wo er zudem nie als gewalttätig auffiel, auch jenseits des Platzes hat er ein kultiviertes Auftreten. Ich mag auch Vahid Hashemian, denn ich habe selten einen so höflichen Fußballprofi erlebt. Oliseh versuchte mir noch zu erklären, dass in Fußballmannschaften Konflikte immer mal wieder aus dem Ruder laufen würden. Schließlich sei Fußball ein Kampfsport, nur mit dem Unterschied, dass in anderen Klubs gröbere Ausfälle halt unter der Decke gehalten würden. Daran mag etwas sein, aber zugleich klang es zurechtgelegt. Vielleicht ging es Sunday Oliseh auch wie mir: Er verstand Sunday Oliseh nicht.“

Ballschrank

Die Lage der Liga – Spannung am Tabellenende

Die Lage der Liga Spannung am Tabellenende

Bayer Leverkusen – 1860 München 3:0 Augenthalers guter Einstand

Bayern München – VfB Stuttgart 2:1 Dominanz

Hansa Rostock – Arminia Bielefeld 3:0 innere Zerrissenheit des geretteten Klubs

Hannover 96 – Borussia Mönchengladbach 2:2 Konflikte trotz Klassenerhalt

1. FC Kaiserslautern – Borussia Dortmund 0:0 Rettung dank nüchterner Vereinsführung

Energie Cottbus – 1. FC Nürnberg 2:1 fränkische Empfindlichkeiten

Werder Bremen – Schalke 04 2:1

VfL Wolfsburg – Hertha Berlin 2:0

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Der erste Antistar

Sehr lesenswert! Holger Gertz (SZ 16.8.) über den verstorbenen Rahn. „Rahns 3:2 war das wichtigste Tor in der deutschen Fußballgeschichte, weil es in seiner Bedeutung weit hinaus reicht über die Kreidelinien, von denen so ein Fußballfeld begrenzt wird. Die elf Spieler mit ihren hageren Nachkriegsgesichtern waren echte Helden, für die Ewigkeit, nicht Helden von heute, Helden für einen Tag namens Alexander oder Daniel Küblböck. Vielleicht war dieses Spiel zu groß für die, die damals gespielt haben; ganz einfache Männer wie der gelernte Elektriker Helmut Rahn, Männer, die von einem Tag auf den anderen befördert wurden, zu Weltmeistern, Symbolen, Legenden. Fritz Walter, der Kapitän, schreibt in seinen Erinnerungen über den Morgen nach dem großen Spiel: „Und nun sitzen wir im Frühstücksraum. Eine Nacht liegt zwischen gestern und heute. Aber es gehört wohl mehr als eine Nacht dazu, sich in die neue Lage hineinzufinden.“ Nicht alle haben sich hineingefunden. Manche versuchten sich als Tankstellenbesitzer oder mit einer Lottoannahmestelle, Helmut Rahn hatte einen Autohandel, nachdem er als einer der wenigen Helden noch in der 1963 gegründeten Bundesliga gespielt hatte, im blau-weißen Trikot des Meidericher SV, das schon damals ziemlich spannte, weil er einen guten Teil seines Körpergewichts in Bauchhöhe mit sich herumtrug. Rahn hat früher die Geschichte von seinem Tor in der Kneipe erzählt, wieder und wieder. „Helmut, erzähl mich dat Tor“, baten die anderen, und dann predigte Rahn mit glasigen Augen, aber vielleicht ist man irgendwann seiner eigenen Geschichte überdrüssig, jedenfalls dann, wenn sie nur aus einer Pille besteht, die man auf die Schippe nimmt, sich vorlegt, ins Tor schießt, aus dem Hintergrund. Sein Tor mag die deutsche Geschichte verändert haben, in erster Linie hat es ihn verändert. Früher, das sagen alle, die ihn näher kannten, war er der Kumpel, ein Spaßmacher, der – nochmal Fritz Walter in seinen Erinnerungen – bei der WM’54 im Mannschaftsquartier „vom Balkon aus seine geliebte Essener Marktfrau imitiert: ‚Prima schnittfeste Tomaten heute, Leute! Kauft die prima Oma-Lutsch-Birnen.’“ Später trank er viel, kam wegen Trunkenheit am Steuer sogar ein paar Tage ins Gefängnis; Journalisten schnüffelten in seinem Privatleben und schmückten die Storys von seiner Trinkfreude aus; Trainer wie Rudi Gutendorf erzählten kaum glaubhafte Schnurren. Dass er vor einem Spitzenspiel locker einen halben Kasten Bier vernichtet habe, auf dem Platz aber bester Mann gewesen sei. Fußball ist so ein Machogeschäft, der Alkohol wird nicht als Ausdruck eines Lebensproblems verstanden, sondern ist Teil des Bildes von einem echten Kerl, der voll im Leben steht. Wie es wirklich war, hat er nicht mitgeteilt. Gegen ein Image, das einem angeklebt wird, hilft der härteste Schuss nicht. Sie nannten ihn „Boss“, und so konsequent wie ein Boss ist, auf dem Feld, wenn er den Ball ins Tor treibt, so konsequent war er später, als es darum ging, sich von der Welt abzuschotten. Helmut Rahn, einer der ersten Fußballstars der Bundesrepublik, war auch so was wie der erste Antistar. Was aus dem Spiel damals geworden wäre, ohne ihn? Er hat nicht nur das 3:2 geschossen, auch vorher das 2:2. Es hätte kein Wunder von Bern gegeben ohne ihn, er ist nicht einfach ein Teil der Legende, er ist deren Herzkammer. Es ist ein bisschen wie bei Gerd Müller, dem großen Stürmer der Siebziger, auch ein zunehmend stiller Mensch, der zwischendurch zu viel getrunken hat und neben der Lichtgestalt Beckenbauer inzwischen zur Randfigur geworden ist. Immerhin hat Franz Beckenbauer über Müller einmal das einzig Wahre gesagt: „Ohne ihn würden wir alle immer noch in unserem alten Holzhäusl sitzen.““

Ein weiterer Nachruf auf Rahn und Emmerich von Christian Thomas (FR 15.8.). „Wenn in der weiten Welt des Fußballs, die man sich nicht großzügig genug vorstellen kann, einer Religion Vertrauen geschenkt wird, dann dem Aberglauben. Denn nicht nur zaghaft blüht er im Gemüt der Fans, der Liebhaber und Verrückten, vielmehr amtiert er unbezwingbar. An ihm kommt keiner vorbei – und gestern erst recht nicht. Denn gestern starben mit Helmut Rahn und Lothar Emmerich gleich zwei Helden aus den Kindertagen des Fußballs. Zwei noch echte Kohlenpottkinder, zu ihrer Zeit zwei Könige in ihrem Reich, auf der Außenbahn (…) Zwei Stürmer. Bei beiden durfte der Fußballbetrachter zu einem romantischen (und nicht klassischen) Liebhaber des Fußballs werden. Denn mit Rahn und Emmerich fand das Experiment Eingang in die Arena. Sie mochte sogar ein Hexenkessel sein – und doch gab es in der großen Zeit der beiden Augenblicke, in denen der Boss oder Emma ihren Kapricen nachgingen, zum Segen ihrer jeweiligen Anhänger, den Ruhm ihrer Mannschaften mehrend, auch wenn sie sich dabei bewusst abseits der ausgetretenen Bahnen der Systemtheorien ihrer jeweiligen Trainer wussten, obwohl doch die Außenlinie staubte. Zwei Außen. Zwei vollkommen unterschiedliche Typen. Rahn, der Einzelgänger auf dem Feld. Seine Genialität war von einem starren Beharrungswillen geprägt, der die Individualität über alles stellte. Rahn war die Spielernatur, die sich nur dann, wenn sie dazu eine Neigung verspürte, ins Spielsystem zwängen ließ. Emma dagegen brauchte den Nebenmann. König der Torschützen wurde er an der Seite von Siggi Held, und nur im Kollektiv mit ihm gelangen ihm seine Heldentaten – vor allem der Europapokaltriumph 1966 mit Borussia Dortmund. Die englische Presse nannte beide die terrible twins, als die turmhohen Favoriten, West Ham und Liverpool, den Kürzeren gezogen hatten. Dass beide, Emmerich nach seiner Zeit bei Borussia Dortmund, und Rahn bereits als Profi beim Meidericher SV, auch den Abstieg kennen gelernt haben, der eine nicht nur den sportlichen, sondern auch den existentiellen, scheint noch einmal die Bestätigung für solche Fußballerbiographien, die im Umfeld von Zeche und Hochofen ihren Karriereanfang nahmen. Dem von schierer Maloche beschädigten Leben war eine Lust am Spielen abgetrotzt, und so groß das Talent auch war, so zäh schien doch ein Milieu an den Fersen gerade derjenigen zu kleben, die sich davon frei machen wollten (…) Sie waren, da mache man sich nichts vor, Straßenfußballer. Also von Kindesbeinen an kompromisslose Wesen, für die, ob nun im engen Hinterhof oder vor einem grauen Garagentor, jede Unterbrechung ihres unbändigen Spieltriebs die Störung einer kleinen Ewigkeit bedeutete. Und schon deshalb, Aberglaube hin oder her, sind wir sicher, dass beide, Emma und der Boss, der eine mit 62 Jahren, der andere mit 73 Jahren, gestern in die ewigen Jagdgründe der Außenstürmer eingegangen sind. Dort gibt es nichts als herrliche Spielwiesen, ganz bestimmt.“

Auszüge aus einem SZ-Interview mit Sönke Wortmann (Regisseur der „Helden von Bern“)

SZ: Herr Wortmann, könnten Sie Schillers „Glocke“ genau so flüssig rezitieren wie die Passage aus Herbert Zimmermanns Radio-Reportage von Helmut Rahns 3:2 gegen Ungarn? SW: Von der „Glocke“ würde ich nicht einmal mehr zwei Zeilen zusammenkriegen. „Die Glocke“ habe ich auch nicht verfilmt, Zimmermann hingegen habe ich hunderte Male gehört, vor dem Film dutzende Male, und jetzt, durch Schnitt und Mischung, immer hin und zurück, kann ich das fast auswendig.

SZ: Die Engländer haben in einer Studie behauptet, dass bei den Deutschen Schiller, Goethe und die Rahn-Reportage fast auf einer Stufe stehen.

SW: Das wundert mich nicht. Fußball ist Massenunterhaltung, es ist ja auch leichter zugänglich als Goethe, und das Ereignis war wirklich prägend: Die Leute, die es im Radio oder im Fernsehen erlebt haben, wurden davon so umgehauen wie später nur noch vom Kennedy-Mord. Jeder weiß, wo er damals war. Ich weiß, wo ich war, als Schalke vor zwei Jahren doch nicht Meister wurde, aber das ist nicht zu vergleichen.

SZ: Wann sind Sie selbst der Reportage und damit Rahn erstmals begegnet?

SW: Als ich sieben oder acht Jahre alt war, aber da habe ich die Bedeutung nicht verstanden. Die sozialpolitische Wichtigkeit habe ich erst mit 17, 18 überrissen, in meiner linksradikalen Zeit – und da fand ich es natürlich Scheiße. Nicht den sportlichen Erfolg, sondern den ganzen Taumel danach.

SZ: Sie haben Ende der Siebziger Ihr Geld als Fußballer verdient. Haben Sie von einem Leben wie dem Rahns geträumt, oder wussten Sie, dass Sie da nie hinkommen würden?

SW: Das war mir bald klar. Deshalb habe ich auch ziemlich früh mit dem Fußball aufgehört.

SZ: Aber Sie haben das entscheidende Tor zum Zweitliga-Aufstieg der SpVgg Erkenschwick erzielt.

SW: Das war aber auch mein einziges Tor in der gesamten Saison. Das war eines meiner schönsten Erlebnisse, immerhin vor 8000 Zuschauern: Eben war der Ball noch am Fuß, dann ist er im Netz. Unmöglich, das sofort zu kapieren.

SZ: Die Legende sagt auch, dass Rahn erst viel später, beim Anhören von Herbert Zimmermanns Reportage, klar wurde, was er da vollbracht hatte.

SW: Er soll vor Rührung geheult haben. Das ist es ja: Wenn mir das schon so einen Kick gegeben hat in der Amateur-Oberliga, wie muss es dann sein, wenn man Weltmeister wird? Die Fußballer, mit denen ich wegen des Films geredet habe, haben bestätigt, dass sie das alles nicht direkt begriffen haben. Rudi Völler hat gesagt: „Deutsche Meister werden jährlich neu gekürt – aber Weltmeister bleibt man sein Leben lang. Und dementsprechend wurden Fritz Walter und Helmut Rahn auch behandelt.

SZ: Rahn wirkt im Film wie die sympathischere Variante von Mario Basler.

SW: Das ist ein Kompliment für Basler, auch wenn ich den ganz gut leiden kann. Ich hatte ja zweimal das Vergnügen, gegen Basler in Wohltätigkeitsspielen antreten zu dürfen – und in der Halbzeitpause rauchte der erst mal eine. Rahn und er waren sicher wesensverwandt: Typ schlampiges Genie.

An solchen Tagen ist das Ruhrgebiet wie zu Emmas großen Tagen: sehr, sehr sentimental. Und von großer Wucht

Einblicke in ein Dortmunder Seelenleben von Freddie Röckenhaus (SZ 16.8.). „Flutlichtspiel in London, viel zu spät abends. Kleine Jungs wie wir standen damals auf dem heimischen Sofa, mit roten Wangen, und starrten in den Schwarzweiß-Fernseher. Europacup-Halbfinale 1966, noch zwei Minuten zu spielen, 1:0 für den Favoriten (und Titelverteidiger) West Ham. Und dann kam Emma, so wie wir ihn kannten. Oder kennen wollten. 88. Minute: Vorlage Held, Torschütze Emmerich. 90.Minute: Vorlage Held, Torschütze Emmerich. 2:1 für den BVB. Seitdem gab es keine anderen Helden mehr. Held und Emmerich, für die Presse in England waren sie nur noch „the terrible twins“, die schrecklichen Zwillinge. Und Emmerich war zu der Zeit so überlebensgroß für kleine Fußballer in Dortmund, dass man sich beim Kick auf der alten Bunkerwiese nicht mal mehr traute zu sagen: „Ich bin jetzt Emma!“ Ebenso gut hätte einer sagen können: „Ich bin der liebe Gott.“ Wir konnten damals nicht wissen, dass der Bergmannssohn Emmerich immer auf dem Boden geblieben ist (…) Emmerich wurde zweimal Torschützenkönig, und er kanonierte weiter. Er traf 135 Mal in 183 Spielen für die Borussia. Eine Trefferquote, die nie wieder ein Stürmer in Dortmund schaffte. Doch während die berühmte Generation des damals neuen Rivalen FC Bayern, Beckenbauer, Müller oder Maier, den unaufhaltsamen Aufstieg der Münchner begründete, zerfiel das Dortmunder Team. Der amateurhafte Vorstand des BVB schaffte den Kurswechsel ins aufkommende Profitum nicht. Selbst Stars wie Emmerich und Held ließ man gehen. Emma tingelte noch zwölf Jahre in Belgien, Österreich, später in der 2. und 3. und 4. Liga, bei Klubs wie Eintracht Bad Kreuznach oder Schweinfurt 05 – bis 1981. Das hat ihm im Vergleich zu heute nicht das große Geld eingebracht – aber „man muss nehmen, was man kriegen kann“, hat sich Emma gesagt. Die Doppelhochzeit von Sigi und Emma (die zwei Freundinnen aus Helds Geburtsort Marktheidenfeld heirateten) wurde deshalb als erste „Promi-Trauung“ exklusiv an eine Illustrierte verkauft. Dortmunds größtes Idol war stets einer, den jeder mochte. Er hat nach seinen Wanderjahren eifrig für die Traditionsmannschaft des BVB gekickt. Aber ein wenig hängt doch die Aura des Vergeblichen, des Unvollendeten über Emmerichs Laufbahn. Außer einem Pokalsieg und dem Europacup-Triumph von 1966 hat Emmerich nie große Titel gewonnen. Seine Ära war die des Übergangs vom Halbprofi zum Big Business. Zu jener Zeit war Dortmund noch grau vom Kohlenstaub – und einer, der von hier kam, musste ein Verlierer bleiben. Emma und seine Kameraden haben dennoch den Mythos BVB erst geschaffen, den die heutige Generation als „Marke BVB“ nutzen kann. Ohne Typen wie Emmerich wäre Borussia heute möglicherweise ein Klub wie viele andere. An diesem Samstag werden deshalb viel mehr Tränen als Schweiß fließen. An solchen Tagen ist das Ruhrgebiet wie zu Emmas großen Tagen: sehr, sehr sentimental. Und von großer Wucht.“

(15.8.)

Die traurigen Ereignisse des gestrigen Tages veranlassen die Chronisten dazu, den Ball ruhen lassen: Die Nationalspieler Helmut Rahn und Lothar Emmerich verstarben nach langem Leiden. Die FAZ verneigt sich vor zwei Charakteren: „Die beiden, der eine eine deutsche Fußball-Ikone, der andere ein Fußball-Idol im Revier, verkörperten glaubwürdig und volksnah die heutzutage rare Spezies des mit sich und seinen Möglichkeiten im reinen gebliebenen Athleten.“ Auch alle anderen Zeitungen würdigen Rahn und Emmerich mit Nachrufen. Die FR begrüßt den Weltmeister Rahn in den Göttertempel: „Sein Name und seine Tore am 4. Juli 1954 stehen als Monolith in der Erinnerung der Deutschen. Er bleibt eine Ikone.“ Die taz erklärt die Bedeutung von Rahns Berner Siegtor hemdsärmelig: „Es war der dritte Treffer, welcher ihm Freibier bis ans Ende seiner Tage und wohl auch künftig im Fußballerhimmel garantierte.“ Die FR bedankt sich bei Emmerich: „Es gibt den Rittberger, den Kempa-Trick und den Gienger-Salto. Und es gibt so etwas wie das Emmerich-Tor, den Kunstschuss entlang der Linie und der Grenze der physikalischen Gesetze.“

Beide sind vor allem berühmt geworden durch ein Tor

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 15.8.) resümiert einen schwarzen Tag des deutschen Fußballs. „An ein und demselben Tag schafft der Tod Fakten. Die Fußballwelt nimmt Abschied von Helmut Rahn und Lothar Emmerich. In der Erinnerung sind den beiden Kindern des Ruhrpotts längst Denkmäler gesetzt. Rahn wie Emmerich waren Stürmer, beide sind vor allem berühmt geworden durch ein Tor, das zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Der Boß und Emma wurden nie zu Lichtgestalten des Fußballs, weil sie Fußball gearbeitet und nicht zelebriert haben. Zwei Typen, Rahn mehr noch als Emmerich, die als unangepaßt galten. Wenn es damals schon das Wort von der Ich-AG gegeben hätte, es wäre auf Helmut Rahn gemünzt worden. Der Gegenentwurf zum feinsinnigen, sensiblen Fritz Walter. Der Spielführer der WM von 1954 hat versucht, mäßigend auf den Boß einzuwirken, der Chef Sepp Herberger hat ihn zu disziplinieren verstanden, ohne das in Rahn lodernde Feuer zu ersticken. Im Herbst kommt Das Wunder von Bern, der Spielfilm des Regisseurs Sönke Wortmann über den deutschen WM-Triumph, in die Kinos. Die Premiere ist für den 16. Oktober nicht zufällig in Essen angesetzt. Der Ort war gedacht als Hommage an den Essener Helmut Rahn, um den sich die Rahmenhandlung über die kleinen Freuden und Rebellionen im Nachkriegs-Deutschland rankt. Da werden ein Typ und eine Zeit lebendig, die via Film nicht zuletzt auch eine Generation ansprechen, die heute so alt ist wie Helmut Rahn und seine Fangemeinde damals. Nach der Vorpremiere am Mittwoch in einem Frankfurter Lichtspielhaus haben Wortmann und Teamchef Rudi Völler noch darüber nachgedacht, wie Rahn am 16. Oktober aus seiner Stube zu locken sei. Schon am Donnerstag sind alle von der Realität eingeholt worden.“

Helden ihrer Zeit und gleichzeitig Opfer ihrer Heldentaten

Martin Hägele (NZZ 15.8.) vergleicht. „Mit den zwölf Jahren Altersunterschied verkörperten die zwei Figuren zwei unterschiedliche Generationen. Helmut Rahn hatte mit dem Siegestor im WM-Final 1954 in Bern einer ganzen Nation verlorenen Stolz zurückgegeben. Über die Folgen dieses Treffers am 4.Juli 1954 kurz nach halb sechs im Wankdorfstadion von Bern sind Bücher geschrieben worden und unendlich viele Essays, und immer enden sie mit der These, dass jener Schuss, den Rahn mit seinem „linken Schluffen“ – so nannte er seinen linken Fuss – in die linke untere Torecke des ungarischen Tores placiert hat, die Menschen neun Jahre nach dem Weltkrieg aus ihrer inneren Kriegsgefangenschaft befreite. Die Deutschen waren nicht mehr die Parias der Völkerfamilie. Sie waren Fussball-Weltmeister, und alle sagten von sich: „Wir sind wieder wer.“ In Lothar Emmerichs Geschichte lassen sich keine gesellschaftspolitischen Auswirkungen hineininterpretieren. Und im Gegensatz zu Rahn kamen die Tore von „Emma“ aus dem Fernseher. Auch „Emmas“ Schussbein besass einen Namen. Es hiess „linke Klebe“ und bewirkte, dass in der Saison 1965/66 zum ersten Mal eine Bundesliga- Mannschaft einen Europacup gewann. Im Sog dieses Erfolgs spielte sich die deutsche Nationalmannschaft zwei Monate später ins WM-Endspiel. Es gibt genügend Experten und Mitspieler, die behaupten, Deutschland hätte diesen Titel gewonnen, wenn der Bundestrainer an diesem Tag Emmerich nicht aufgestellt hätte. Doch Helmut Schön war kein Gegner für die „Bild-Zeitung“, die den Torjäger von Borussia Dortmund in Form eines Volksbegehrens in die Nationalelf gepusht hatte. Tatsache ist aber auch, dass Beckenbauer, Haller, Overath und Co. kaum bis London gekommen wären ohne den verrückten Kerl auf der linken Aussenbahn. Ohne „Emmas“ Tor gegen Spanien, als der Ball fast von der linken Cornerfahne ins rechte Tordreieck flog. Rahn und Emmerich waren Helden ihrer Zeit und gleichzeitig Opfer ihrer Heldentaten. Jahrelang hat sich „der Boss“ jeden Abend in den Kneipen feiern lassen und zu jeder Menge Pils die Geschichte von Bern erzählt. Und „Emma“ musste, wo immer er sass, zum tausendsten Mal schildern, wie er damals in Sheffield (es war in Birmingham, of) den „Hammer“ ausgepackt hat für diesen Moment des Wahnsinns und das spektakulärste Tor der WM- Geschichte. Und wie er zuvor Siegfried Held beim Einwurf zugerufen hatte: „Gib mich die Kirsche“. Irgendwie glaubte Emmerich, dass er in diesem Spiel immer die Gesetze ausser Kraft setzen könne.“

Unsterbliches Tor, unsterbliche Prosa

Im Feuilleton der FAZ (15.8.) lesen wir. „In seinem zweitberühmtesten Gedicht – das berühmteste heißt ottos mops – hatte der vor drei Jahren verstorbene Ernst Jandl die Meinung, man könne lechts und rinks nicht velwechsern, als einen großen illtum bezeichnet. Jandls zweitberühmtestes Gedicht heißt lichtung – es bezieht seine sprachliche Unwiderstehlichkeit und seine kritische Scharfsicht aus der ganz simplen, deshalb hochartistischen Vertauschung der Buchstaben r und l. Die Gültigkeit von Jandls lichtungs-Versen ist so universal wie der zweite Satz eines jeden Asterix-Heftes: Ganz Gallien ist besetzt. Aber wie es bei Asterix ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf gibt, das die Ausnahme von der allgemeingültigen Regel bildet, so kennt der deutsche Fußball zwei legendäre Gestalten, bei denen es trotz sehr vieler sonstiger Parallelen ganz unmöglich ist, rechts und links zu verwechseln: Helmut (R)ahn und (L)othar Emmerich (…) Der Ball fällt mich vor die Füße, jenau auf‘m Rechten . . . Ich . . . zieh dann die Kirsche schnell von‘n rechten auf‘n linken Fuß . . . Ich zieh‘ ab mit dem linken Fuß, und dat jibt so‘n richtig jefährlichen Aufsetzer. Und wat dann passiert is‘, dat wißt ihr ja. Unsterbliches Tor, unsterbliche Prosa. Philologisch betrachtet, ist sie auch das Vorbild für jenen Spruch, der Emma wie kein anderer charakterisiert: Siggi, gib‘ mich die Kirsche! lautet er, den er wahlweise immer auch mit dem Namen eines anderen Edelgewächses adelte: Ich hab‘ nie lange gefackelt, die Kartoffel immer sofort auf die Bude geballert. Ob Kirsche, ob Kartoffel – die Kugel war jedenfalls im Netz. Gewiß, das 3:2, das der Boß in der 84. Minute im Wankdorfstadion erzielte, war weltbewegender, weil es das Wunder von Bern ermöglichte. Aber auch Emmas 1:1 von 1966 erfüllt das Kriterium, das Stefan Zweig schon 1927 für die Sternstunden der Menschheit reklamierte: Was ansonsten gemächlich und nebeneinander abläuft, komprimiert sich in einen einzigen Augenblick, der alles bestimmt und alles entscheidet. Die Unverwechselbaren sind und bleiben auch darin vereint.

Fußball ist Märchenstoff. Manchmal siegt sogar das Gute

Der Tagesspiegel druckt einen Abschnitt aus Jürgen Leinemanns Buch „Sepp Herberger – Ein Leben, eine Legende. „„Herberger hatte mit Berni Klodt von Schalke 04 und Helmut Rahn von Rot-Weiß Essen zwei gute Rechtsaußen im Aufgebot, und er entschied sich im ersten WM-Spiel gegen die Türkei für Klodt. Für den dynamischen und eigenwilligen Helmut Rahn war das eine Demütigung gewesen, die er gerade dadurch bestätigt fand, dass er im nächsten Spiel dabei war – denn das war die Schonelf, die 3:8 gegen Ungarn verlor. Nach diesem Spiel war er restlos sauer. Er habe einen Tapetenwechsel gebraucht, erzählte er seinem späteren Mannschaftskollegen Willi Schulz, sei aus dem Trainingslager geschlichen und habe in einer Bar seinen Kummer heruntergespült. Als es draußen hell wurde, machte er sich mit gemischten Gefühlen auf den Rückweg. Sein Zimmerkumpel Fritz Walter lag wach im Bett und löste Kreuzworträtsel. Rahn: „Ich fühlte, dass Seppl Herberger längst über meinen Ausflug informiert war, und begann, meine Koffer zu packen. Für mich war klar: Der Chef schickt mich sofort nach Hause.“ Und dann kam Herberger, der in der Tat Bescheid wusste, aber partout nichts merken wollte. Er sagte nur: „Junge, bitte fertig machen zum Training.“ Kein Wort über Rahns Alkoholfahne oder über den nächtlichen Spaziergang. Der sonst so sittenstrenge Bundestrainer hatte eine stille Vorliebe für den lustvollen Menschen aus dem Pott, der ihn offenbar an jenen eigenwilligen jungen Spieler erinnerte, der er selbst einmal gewesen war. Noch wusste Rahn nicht, dass Herberger plante, ihn im Spiel gegen Jugoslawien aufzustellen (…) Natürlich setzte Herberger Rahn dann ein. Als es lange, allzu lange, beim 1:0 blieb gegen Jugoslawien und der deutsche Sieg auf Messers Schneide stand, ging der Trainer an die Linie, um den Boss an sein Versprechen zu erinnern, dem jugoslawischen Torwart Beara „ein Ding“ in die Maschen zu hauen. Herberger rief ihm zu: „Helmut, wo bleibt denn das versprochene Tor?“ Und Rahn zog los und antwortete mit einem „Kapitalschuss“, den Herberger nur als „schwarzen Strich“ wahrnahm – „und hinten hat das Netz gezappelt“. Fußball ist Märchenstoff. Manchmal siegt sogar das Gute.“

Erik Eggers (FR 15.8.). „Wie oft wohl geschieht es im Leben eines Menschen, dass man sich selbst zu Tränen rührt? Dass man der eigenen Leistung wegen um Fassung ringt? Eine solch seltsam intime Begegnung erlebte Helmut Rahn. Ein paar Tage erst waren vergangen nach dem glorreichen Wunder von Bern, und die Mannschaft um Kapitän Fritz Walter hatte just eine triumphale Rückkehr nach Deutschland hinter sich, da saß der Rechtsaußen der Weltmeister-Elf bei Bekannten in München. Dort hörte er zum ersten Mal jene Aufnahme, die sich bei jedem, der sie mitverfolgte, tief in das Gedächtnis einbrannte und die Rahn in einem Moment zum Mythos machte: Die Tonbandaufnahme des dramatischen Endspiels, die Schilderung des alles entscheidenden Tors. Während die Stimme des Rundfunkreporters sich vor Begeisterung beinahe überschlug, hat der Ghostwriter in Rahns Autobiografie diesen kuriosen Zustand versucht zu beschreiben, saß ich still in meinem Sessel. Langsam kullerten mir Tränen die Backen herunter. Ich schämte mich nicht. So war das also gewesen! So dramatisch! So großartig! So überwältigend! Und ich hatte dabei sein dürfen! Als wenn er nur Randfigur gewesen wäre! Er, der doch in dem bedeutendsten Spiel deutscher Fußballgeschichte die Hauptrolle übernommen hatte (…) Wie oft mag er sich deswegen an den letzten Morgen in der Schweiz zurückgesehnt haben? Damals stand er, nach durchfeierter Nacht, auf dem Balkon seines Zimmers, und wie so oft parodierte er mit voller Lautstärke seine Lieblingsfigur, eine deftige Marktschreierin aus Essen. Fritz Walter hatte vor Lachen Tränen in den Augen. Diese unbeschwerten Zeiten aber kamen nie wieder. In den letzten Jahren hatte er sich rar gemacht. Doch jeder, der damals am Radio oder an den schwarz-weißen TV-Geräten das Finale verfolgt hatte, behielt den Schützen des entscheidenden Tors von Bern in Erinnerung. Sein Name und seine Tore am 4. Juli 1954 stehen als Monolith in der Erinnerung der Deutschen. Er bleibt eine Ikone.“

Meister der positiven Improvisation

Matti Lieske (taz 15.8.) deutet deutsche Fußball-Geschichte um. „Als klügster Winkelzug Sepp Herbergers bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 gilt gemeinhin die Entsendung eines Reserveteams zum Vorrundenspiel gegen Ungarn, das prompt mit 3:8 verloren ging. Damit sei das Wunderteam der Magyaren in Sicherheit gewiegt worden, so dass die Deutschen im Endspiel von Bern dann ihren sensationellen 3:2-Sieg aus dem Hut zaubern konnten. Eine hübsche Legende, aber kompletter Unsinn. In Wahrheit war es Herbergers genialster Geistesblitz, den unerschütterlich optimistischen Helmut Rahn seinem grüblerischen Kapitän Fritz Walter als Zimmergenossen zuzugesellen. Schon dass der Chef den Boss, wie Rahn allenthalben genannt wurde, überhaupt mitnahm in die Schweiz, darf als psychotherapeutische Glanzleistung betrachtet werden. Schließlich musste Herberger mit der Nominierung des trinkfreudigen und lebenslustigen Stürmers aus Essen einen gewaltigen Sprung über seinen Schatten vollführen. Nur kurz zuvor hatte der disziplinversessene Bundestrainer, seit 1936 für die Geschicke der Nationalmannschaft zuständig, einen Konkurrenten Rahns um die Rechtsaußenposition aus dem Kader verbannt, weil der es gewagt hatte, beim gemeinsamen Mittagessen ein Bier zu bestellen. Die Entscheidung, ausgerechnet Helmut Rahn, der nie einen Hehl aus seiner Zuneigung zum Gerstensaft machte, in die Schweiz mitzunehmen, zeigt, dass Herberger klug genug war, eines noch mehr zu schätzen als Disziplin: Gewinnen. Ohne Rahn wäre der viel gerühmte Geist von Spiez ein sehr trauriger gewesen. Der fidele Stürmer jedoch möbelte nicht nur den zu Melancholie und Selbstzweifeln neigenden Fritz Walter nachhaltig auf, sondern hob die Stimmung der im Quartier am Thuner See kasernierten Mannschaft mit seinen nicht immer von gehobenem Niveau geprägten, aber befreienden Späßen. Mal ließ er einen Schwarm dicker Motten im Zimmer schlummerwilliger Kollegen frei, mal sorgte er mit seiner Marktschreier-Parodie für Erheiterung. Auf der Fahrt zum Finale empfahl er Fritz Walter, bei Gewinn der Seitenwahl dafür zu sorgen, dass man mit der Sonne im Rücken spiele. Es nieselte seit Stunden, alles lachte, die Verkrampfung, vor allem beim Kapitän, war gelöst. Dass Rahn dann auch noch die entscheidenden Tore schoss, war eine willkommene Zugabe, mit der Herberger so nicht gerechnet hatte. Helmut Rahn musste sich seinen Platz im WM-Team nämlich erst mühsam erspielen. In der Vorrunde kam er nur beim ominösen Debakel gegen Ungarn zum Zug, beim folgenden wichtigen Spiel gegen die Türkei saß er wieder draußen. Dann merkte jedoch Herberger, dass dem Spiel seines Teams etwas fehlte, was nur der Boss liefern konnte: jene Unberechenbarkeit, die Rahn als Meister der positiven Improvisation (Herberger) nicht nur privat, sondern auch auf dem Platz an den Tag legte. Mit einem Tor gegen Jugoslawien führte sich der schussgewaltige Außen ein, beim 6:1 im Halbfinale gegen Österreich hielt er sich vornehm zurück, im Finale war er dann an allen drei Treffern beteiligt. Seine scharfe Eingabe führte zum ersten Treffer durch Morlock, das 2:2 schoss er mit fulminantem Rechtsschuss, aber es war der dritte Treffer, welcher ihm Freibier bis ans Ende seiner Tage und wohl auch künftig im Fußballerhimmel garantierte.“

Christian Eichler (FAZ 15.8.). „Als vorweggenommene Souveränität der Bundesrepublik deutete 1985 die Bundeszentrale für politische Bildung den Sieg von 1954. Die Fußballer sahen das simpler. Als Kapitän Fritz Walter mit dem Weltpokal ankam, fragte er seine Mannschaft: Alles klar? Sie antwortete: Alles klar, Fritz. Und dann stimmte einer an, nach Rahns beliebter Imitation einer Essener Marktfrau: Leute, kauft goldgelbe Bananen, billig, beste Qualität. Mit Helmut Rahn endet auch die Zeit, in der Fußball noch so frisch und einfach sein konnte.“

Stimmen zu Rahns Tod FR

Ein Nachruf auf Lothar Emmerich von Stefan Hermanns (Tsp 15.8.). „Es gibt zwei Bilder von Lothar Emmerich, die einem sofort in den Sinn kommen. Das erste zeigt ihn wild jubelnd. Beide Arme hat er hoch gerissen, und es scheint, als laufe Emmerich demonstrativ auf den Fotografen zu. Es ist der 24. August 1963, der erste Spieltag der neu gegründeten Fußball-Bundesliga, die erste Minute des Spiels Bremen gegen Dortmund. Emmerich hat den Ball in die Mitte gepasst, Timo Konietzka aus sieben Metern das erste Tor der Bundesligageschichte erzielt. Es gibt kein Bild von diesem Tor, nur vom Moment danach: vom jubelnden Emmerich. Auf dem zweiten Bild ist der Linksaußen eine Randfigur – und doch mittendrin. Es ist das Viertelfinale der WM 1966 in England, die 39. Minute im Villa-Park von Birmingham. Die Deutschen liegen 0:1 gegen Spanien zurück. Emmerich steht fast an der Torauslinie. Von dort hat er mit dem linken Fuß aufs spanische Tor geschossen. Torhüter Jose Angel Iribar fliegt waagerecht durch die Luft, aber der Ball landet genau unter der Latte, Deutschland gewinnt 2:1. „Ein Jahrhunderttor“ hat man den Treffer genannt, eins, wie es später auch Marco van Basten im EM-Finale 1988 erzielt hat. Lothar Emmerich hat in seiner Karriere nur fünf Länderspiele bestritten. Ein großer Fußballer ist er trotzdem gewesen.“

Reinhard Sogl (FR 15.8.). „Es gibt den Rittberger, den Kempa-Trick und den Gienger-Salto. Und es gibt so etwas wie das Emmerich-Tor, den Kunstschuss entlang der Linie und der Grenze der physikalischen Gesetze. 20. Juli 1966, Birmingham, Deutschland – Spanien, 39. Minute: Lothar Emmerich, für dessen ersten WM-Einsatz sich der spätere 2:1-Siegtorschütze Uwe Seeler stark gemacht hatte, erhält den Ball nach Einwurf seines kongenialen Dortmunder Sturmpartners Siegfried Held, fackelt nicht lange und drischt das Leder (ja, damals gab’s das noch) praktisch von der Auslinie an Spaniens Torhüter Iribar vorbei ins Dreieck. Es war der Treffer des Turniers, trotz oder gerade wegen des viel diskutierten Wembley-Tors (das 3:2 durch Geoff Hurst für die Engländer im Finale gegen Deutschland), das ja gar keins war (musste noch mal gesagt werden). Es irrt, wer glaubt, Lothar Emmerich habe nur draufgehalten. Ich kriegte die Kugel etwa zwei Meter von der Außenlinie auf den linken Schlappen. Dann habe ich abgezogen und den Ball über den linken Spann abrutschen lassen, erinnerte sich der Mann, den Bundeskanzler Schröder vor Jahresfrist im Berliner Tagesspiegel als seinen ganz persönlichen WM-Helden bezeichnet hatte, weil der einen jener unvergesslichen Momente geschaffen habe, für die wir den Fußball so lieben. Schröder sah die Tugenden Leidenschaft, Spielfreude und das Toreschießen verkörpert von dem nur fünfmaligen Nationalspieler, der sein linkes Ding von Birmingham als Leistung von Kopf und Bauch interpretierte: Ich habe nicht einfach draufgeknallt, sondern instinktiv die Lage gepeilt und den richtigen Winkel gewählt.“

Jederzeit ein Mann von der Basis dieses von den Massen geliebten Sports

Roland Zorn (FAZ 15.8.). „Die beiden, der eine eine deutsche Fußball-Ikone, der andere ein Fußball-Idol im Revier, verkörperten glaubwürdig und volksnah die heutzutage rare Spezies des mit sich und seinen Möglichkeiten im reinen gebliebenen Athleten. Mag sich der Hallodri Rahn auch ein paar alkoholische Eskapaden während seiner Laufbahn geleistet haben, so blieb der eigenwillige, nicht immer mannschaftsdienlich handelnde Außenstürmer doch jederzeit ein Mann von der Basis dieses von den Massen geliebten Sports. Rahn spielte vierzigmal für Deutschland, schoß dabei 21 Tore – vier während der WM 1954, sechs bei der WM 1958 in Schweden –, verhalf seinem Heimatverein Rot-Weiß Essen 1955 zur deutschen Meisterschaft und trug mit acht Treffern seinen Teil zum zweiten Platz des Meidericher SV im Gründerjahr der nun vierzig Jahre alten Bundesliga bei. Rahn gebührte zudem die zweifelhafte Ehre, als erster Bundesliga-Vertragsspieler am vierten Spieltag der Saison 1963/64 nach einem groben Foul vom Platz gestellt worden zu sein. Eigentlich aber war der Boß ein liebenswertes Enfant terrible, einer, der nicht viel Aufhebens von sich machte. Dabei war oft genug er es, der seinen ungleich sensibleren Zimmergenossen in der Nationalmannschaft, Fritz Walter, immer wieder aufmunterte. Walters Geniestreiche bereitete Rahn so manches Mal mit seiner unkomplizierten Haltung – wo ist das Problem? – vor. Auch deshalb hatte Herberger einen Narren an dem Essener Solisten gefressen.“

Zwei Mal im Ballschrank gekramt: zum Tode Fritz Walters (17.6.2002)

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Titanendämmerung

alle schreiben über Oliver Kahn: „Titan a. D. – als die spanischen Fußball-Götter straucheln, fällt Oliver Kahn wie ein Denkmal“ (FAZ); „Glänzende Bayern scheitern an Kahn“ (FTD); „Titanendämmerung“ (FAZ); „er fiel wie eine alte, schwangere Frau“ (AS) – Ronaldo, „Pummel in Strumpfhosen“ (FR) u.v.m.

Der Titan ist wieder bei den Irdischen und Unterirdischen angekommen

Über Schwächen der „Galaktischen, der Außerirdischen und der Übermenschlichen“ grübelt Michael Horeni (FAZ 26.2.): „Wenn sie für 90 Minuten ihre ursprüngliche Gestalt als ganz normale Fußballspieler mit den Namen Beckham, Zidane, Figo und Ronaldo annehmen, die in der Eiseskälte von München kein Bein vor das andere kriegen, Fehlpässe statt Genialität produzieren und nicht wie Säulenheilige, sondern wie Glücksritter zurückkehren – dann gibt es ganz profan Saures. Ganz menschliche Fehler und Schwächen werden einem außergewöhnlichen Team wie Real Madrid wie bei ihrem enttäuschenden Auftritt in München kaum mehr zugestanden. Wo Götter verlieren, stürzen Welten ein. Fußball-Deutschland hat nicht eine halbe Mannschaft, sondern nur einen Spieler aus der Weltlichkeit in eine andere Sphäre überführt und ihm den Namen Titan verliehen. Die Sehnsucht nach Stärke und Unbesiegbarkeit klingt darin mit, und als Kahn für den FC Bayern München seinerzeit im Elfmeterschießen die Champions League gewann und Deutschland dann ein Jahr später in das Endspiel der Weltmeisterschaft führte, deckten sich Projektion und Selbstbild immer mehr. Ein unmenschlicher Anspruch, der aber dennoch zum Maßstab in der Wirklichkeit wurde. Nach seinem kapitalen Fehler gegen Real, nach wiederholten Schwächen wird jetzt vom Sturz des Titanen gesprochen. Der Titan ist tatsächlich für einen Tag wieder bei den Irdischen und Unterirdischen angekommen.“

Titanensturz

In einem weiteren Text beschreibt Horeni (FAZ 26.2.) den Fall Oliver Kahns: “Kahn fiel wie ein Denkmal bei einem Freistößchen aus rund 35 Metern von Roberto Carlos, und als der Ball hinter seinem malträtierten Rücken über die Linie kullerte, waren die Hoffnungen des FC Bayern auf eine sagenhafte Auferstehung schwer beschädigt – noch stärker allerdings der über viele Jahre gehegte Kahnsche Mythos. Die Götterdämmerung fiel aus, Titanensturz stand auf dem Programm. Nach unverrichteter Arbeit gab der Torwart seine Handschuhe ab. Er ließ sie irgendwo im Strafraum liegen und seine Kapitänsbinde gleich dazu. Allein, aber vor allem einsam, ging Kahn mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern in die Kabine, und manch ein Beobachter glaubte, Tränen in seinen Augen entdeckt zu haben. Wie es um die innerliche Verfassung des deutschen Fußballsymbols für Willenskraft und Arbeitswut stand, sagte schon die Körpersprache. Ansonsten schwieg Kahn erst einmal und machte sich als unfreiwilliger Helfer der strauchelnden Madrider Fußballgötter still und unbemerkt davon. Die bravourösen bayerischen Kollegen und die ansonsten hochzufriedenen Vorgesetzten bekundeten pflichtschuldigst ihre Solidaritätsadressen an einen Torwart, der sich vor dem WM-Finale 2002 zu gerne in den Stand eines Titanen erheben ließ, aber nun immer häufiger zu den Sterblichen zurückkehrt. Einstweilen steht es ganz anders um einen seiner Magie beraubten Anführer, der die Bayern nun wiederholt (beim Pokal in Aachen) und zuletzt auch die Nationalmannschaft (gegen Kroatien) vom Kurs abbrachte. In dem Moment, da der Torwart seine wiederbelebten Bayern gegen die tiefgefrorenen Künstlernaturen um den hochverdienten Lohn des Abends, wenn nicht des Jahres, brachte, drängte auch Kahns jüngste und jüngere Vergangenheit wie von selbst in den Blickpunkt. Sein entscheidender Fehler beim WM-Finale gegen Brasilien, Kahns erster tiefschwarzer Karrierepunkt, wurde nun wie durch eine unsichtbare Linie bis ins Olympiastadion verlängert – und die Diskussion über seinen Anspruch als deutsche Nummer eins vor dem erstklassigen, ungeduldigen, stichelnden und mit Arsenal siegenden Jens Lehmann erhielt neue Nahrung.“

Frank Hellmann (FR 26.2.) fügt hinzu: „Wer das Torwartspiel allein auf das Fausten von Schüssen oder Fangen von Flanken kapriziert, kommt nicht herum: Es gibt nicht nur weltweit Bessere. Kürzlich hat der Italiener Gianluigi Buffon den Deutschen als Welttorhüter abgelöst. In seiner Heimat blieb das Randnotiz. Weil Fürsprecher des FC Bayern und auch Rudi Völler ihn unaufhörlich als Besten auf dem Globus preisen; weil sich in Zeiten fehlender Typen um die Figur Kahn eine mediale Schutzburg errichtet hat. Seine sportlichen Taten werden weitgehend kritikfrei begleitet, um seine privaten Fehltritte detailliert zu betrachten – das war die heimliche Abmachung der Meinungsmacher. Die TV-Anstalten spielen mit: Ballt King Kahn dreimal die Fäuste, ist das genauso viel wert, wie wenn andere dreimal die Kugel aus dem Winkel fingern. Es ist das Wissen um die wankende Vormachtstellung und die dessen ungeachtet verbreitete Ausnahmestellung, die ihn nicht nur für Rivale Jens Lehmann angreifbar macht. In der Champions League wechselten sich Patzer (gegen Celtic) mit Paraden (gegen Anderlecht) ab. Als die Franzosen im Länderspiel willenlose Deutsche vorführen, ging der Kapitän wehrlos mit unter. Die Weltklasseform ist verlustig gegangen, als Beweis diente auch der Fehlgriff beim jüngsten Auswahlspiel in Split. Für die physische und psychische Extrembelastung holt sich Kahn den Antrieb aus dem täglichen Üben mit Sepp Maier; der Torwarttrainer ist einer der wenigen, deren Meinung Kahn akzeptiert. Vielleicht ist von Tormann zu Tormann mal der Tipp vonnöten, das sportliche Ziel realistisch zu definieren. Für Kahn kann nur heißen: nicht nach Perfektion streben, sondern etwas bescheidener, bis 2006 nationale Nummer eins zu bleiben. Das wird nun selbst für Berserker Kahn eine Herkulesaufgabe.“

Singe und weine nicht!

Peter Burghardt (SZ 26.2.) notiert die Reaktionen in Spanien: „Schadenfreude ist die schönste Freude, und am allerschönsten wird sie, wenn es um einen leibhaftigen Erzfeind geht. Den FC Bayern München mögen Real Madrid und seine Gemeinde ja ohnehin nicht, und am wenigsten mögen sie seinen mächtigen Torwart mit dem finsteren Blick. Oliver Kahn stand ihren teuren Stürmern in den vergangenen Jahren zu oft im Weg, außerdem hat er sich nicht nett benommen. Ihrem Schlussmann Iker Casillas verweigerte der blonde Germane einmal das Trikot, und statt zum 100. Vereinsgeburtstag im Bernabeu-Stadion eine Weltauswahl zu bereichern, meldete er sich verletzt und spielte auf Mallorca Golf. Manche Spanier sehen in Kahn den verbissenen Teutonen, den man fürchtet und nicht ausstehen kann. Die Zeitungen nennen ihn in einer Mischung aus Respekt und Ignoranz gerne „Khan“, als handele es sich um Dschingis Khan, den schrecklichen Mongolenherrscher. Entsprechend amüsierten sich die Blätter, als sich der merkwürdige Khan alias King Kahn dieses Ei ins Netz gelegt und das weiße Ballett vor einem weiteren Reinfall im Olympiastadion bewahrt hatte. Mit dem Namen lässt sich nämlich noch weiterer Unfug anstellen. „Kahnta y no llores“, empfahlen die Scherzbolde von Marca zum Bild des gestürzten Helden, das selbstverständlich auch sie auf Seite eins gehoben hatten. Das ist die Abwandlung eines Volksliedes mit der Textzeile „Canta y no llores“, singe und weine nicht. Die Konkurrenz von As rief zum gleichen Foto: „Danke, Alter!“, und ließ neben anderen Lästermäulern den früheren argentinischen Nationaltorwart Hugo Gatti spotten. Kahn sei ihm vorgekommen „wie eine alte Schwangere“, witzelte Gatti.“

weitere Reaktionen in Spanien Tsp

Pressestimmen aus dem Ausland FR

Andreas Burkert (SZ 26.2.) wundert sich über gute Bayern: “Am Ende reduzierte sich ein wirklich hinreißender Abend auf wenige Sekunden, und als der Uhrzeiger sie hinter sich gebracht hatte, bedeuteten sie nicht nur für Oliver Kahn ein Schockerlebnis der schweren Art. Sie machten aus einem grandiosen Fußballspiel ein Rührstück, das auch diese Frage hinterlassen mag: Waren diese Sekunden der Anfang vom Ende einer großen Torhüterkarriere? Dabei offenbarte sich beim Anblick des Duells Bayern – Real ein viel kniffligeres Rätsel als die Frage nach den Gründen für den schicksalhaften Fehlgriff eines 34-Jährigen: Wie konnte es am Faschingsdienstag zur wundersamen Verwandlung des FC Bayern kommen – von einem monatelang in Taubengrau gewandeten Team in eine vor Leidenschaft und Esprit funkelnde Formation? Bei der Lösung assistierten die Bayern-Profis unfreiwillig, und mit ihren Einlassungen lieferten sie belastendes Material für mögliche Schadenersatzklagen ihrer zuletzt regelmäßig verprellten Kundschaft. Wie Verteidiger Kovac oder Regisseur Ballack, die einräumten, ein Gegner wie Real motiviere sie eben ganz besonders. Oder wie Trainer Hitzfeld, der angab: „Real unterschätzt man nicht.“ Anders als Frankfurt und Aachen und Bochum und den HSV, gegen den ja soeben eine Weltjahresbestleistung in der Disziplin Armselige Aufführung geglückt ist. Erst der Anblick der weißen Real-Kleider verwandelte Egoisten in ein Kollektiv, dem gleich die beste Leistung seit Jahren gelang. Eine Gala als Trendwende?”

Als sei’s eine Bachforelle in der Abendsonne

„Bayern München hat durch die akzeptable Leistung, das wiedergefundene Selbstvertrauen und den Mut, über den eigenen Schatten zu springen, den Staub der letzten Wochen abgewischt“, findet die NZZ (26.2.): „War da nicht in den letzten Tagen, Wochen und Monaten von getrübter Stimmung im Team von Bayern München die Rede gewesen? Vom Hohn, mit solchen Leistungen überhaupt noch in den oberen Gefilden der Bundesliga-Tabelle zu stehen? Von der absehbaren Absetzung des Trainers Hitzfeld, am besten des ganzen Dreigestirns in der Teppichetage (Hoeness, Rummenigge, Beckenbauer)? Von Spielern ohne professionelle Einstellung, die „hauptsächlich wegen des Geldes zu den Bayern kommen“ (Beckenbauer), von altersschwachen und müden Fussballern? Triumph oder Trümmer, hiess eine Affiche vor dem hochstilisierten Duell gegen Real Madrid, vom emotionalen Ausnahmezustand eines Landes war gar zu hören. Kurzum: Die deutsche Presse hatte nicht gegeizt mit grossen Lettern, um den Seelenzustand des deutschen Meisters teilweise hämisch zu kommentieren und manchmal etwas gar vorlaut eine Inventur an der Säbenerstrasse zu verlangen. Umso erstaunter lasen sich am Aschermittwoch die hohen Worte der Glückseligkeit. Vergessen alle Kritik, ein Hoch dem Lobgesang – auf die Wiedergeburt des deutschen Fussballs, begründet auf einem 1:1 gegen die kläglich schwachen Madrilenen. Vielleicht ist dies der Moment, dem Freistaat in Erinnerung zu rufen, dass mit diesem Ergebnis allein in zwei Wochen in der spanischen Metropole noch kein Staat zu machen ist. Vielmehr bedarf es, in einem nochmals gesteigerten Masse, typisch deutscher Fussballtugenden: Wille, Kondition und strapazierfähige Nerven. Eine Möglichkeit, die sich den zähen Deutschen im Bernabeu auch bietet: das künstlerische Ensemble des Heimklubs derart lange nerven, bis es in sich zusammenfällt. Eine weitere: Der tausendarmige Torhüter Kahn, die tragische Figur im Hinspiel, taucht wie schon so oft wie ein Fischreiher nach links und rechts, um den zappelnden Ball mit einer Hand zu fangen, als sei’s eine Bachforelle in der Abendsonne. Dieser Ausgleichstreffer sieben Minuten vor Schluss war der reiche Lohn der Müssiggänger aus Spanien, deren weisse Trikots diesmal so wenig strahlten, als sei der Waschtag verschoben worden. Die genialsten Fussballer der Welt, vereint in einer Interessengemeinschaft, waren in München nicht einmal fleissige Handwerker, derart lustlos und wenig inspiriert spulten Zidane, Raul, Figo, Ronaldo und Beckham ihre Pensen herunter – als sässen sie in Gedanken schon bei der nächsten Paella oder beim Haar-Stylisten.“

Pummel in Strumpfhosen

Thomas Kilchenstein (FR 26.2.) spottet über Königliche: „Wahrscheinlich wird das in München in Erinnerung bleiben vom besten Stürmer der Welt: dass er seine Salbe vergessen hat, die ihm die Füße wärmt. Eine Salbe? Viele werden gar nicht gewusst haben, dass es so eine Salbe gibt. Jetzt weiß man es. Wahrscheinlich ist es eine, die Rheumakranke auf ihren maladen Rücken schmieren. Die bitzelt schön, und sie macht warm. Gegen diese sibirische Kälte, die da herrschte im Olympiastadion, etwa zwei, drei Grad unter Null, wappnete sich der Brasilianer – als einziger – mit einer schwarzen Strumpfhose, er trug zudem dicke Handschuhe und ein langärmeliges Hemd unterm blütenweißen Trikot. Gerne hätte man dem Bedauernswerten noch eine Wärmflasche mit auf den Weg gegeben. Auch ein Schal wäre nett gewesen. Die ganze Klasse des Luiz Nazario de Lima, genannt Ronaldo, zeigte sich dann kurz vor dem heißen Pausentee: Da schoss der Dicke tatsächlich einmal aufs Tor, nicht besonders fest, zudem mit links, der Winkel war spitz, diesen Ball hatte sogar Oliver Kahn halten können, aber es war schon bemerkenswert: dass sich Ronaldo, der Lauffaule, überhaupt zu solch einer Energieleistung hatte hinreißen lassen. Seine wenigen sonstigen Versuche, irgendetwas Vernünftiges mit diesem komischen runden Ding mit den Sternen drauf anzustellen, endeten eher kläglich, manchmal drosch er im eigenen Strafraum die Bälle weg, mitunter fand sich Ronaldo auf dem Hosenboden wieder. Dann, ganz zum Schluss, hat er noch mal zu einem Sprint angesetzt. Da hat man in etwa einen Eindruck gewinnen können, zu was der Mann eigentlich in der Lage hätte sein können, wenn er ein bisschen mehr Lust gehabt hätte, wenn es etwas wärmer gewesen wäre, wenn er nicht ganz so pomadig aufgetreten wäre: Doch nach sechs, sieben Metern brach der Pummel in Strumpfhosen seinen Sprint ab und spielte den Ball quer, es war sein letzter von insgesamt 26 Ballkontakten. Nun muss man der Fairness halber hinzufügen, dass nicht nur Ronaldo aus dem Team der angeblich Galaktischen in etwa die Gefährlichkeit von Schmusebärchen in Kinderzimmern verbreiteten, er fiel dank seiner Strumpfhose nur mehr auf.“

(25.2.)

Die (NZZ 25.2.) berichtet das 1:1 zwischen Bayern München und Real Madrid: „Hielt das mit vielen Affichen hochstilisierte Aufeinandertreffen der majestätischen Madrilenen und den zuletzt im eigenen Land gar von Alemannia Aachen gebeutelten Bayern, zwischen zwei ganz grossen des europäischen Fussballs, was es versprach? Oder war es nur wieder einmal eine Kopie so mancher von der nüchternen Kalkulation bestimmter Europacup-Partien? Bedauerlicher-, aber keineswegs erstaunlicherweise traf Letzteres im kritischen Gesamturteil zu – vereinzelte technische Glanzpunkte entschädigten die 59000 Zuschauer im ausverkauften Olympiastadion ebenso wenig wie Millionen zu Hause an den Bildschirmen.Jene, die auf ein Spektakel, besonders der „Königlichen“, gehofft hatten, wurden brüsk auf den Boden der Realität zurückgeholt, der da hiess: ausgeprägte Vorsicht und Tempodrosselung als Devise des Gastteams, häufig unkontrollierte, aber wenigstens zunehmend frechere Offensive des zum Erfolg im Hinspiel gezwungenen, aber letztlich sich eben doch nicht in Topform präsentierenden, mental angeschlagenen Gastgebers. Diese Konstellation konnte letztlich auch diesmal einem offenen, an spielerischen Höhepunkten und temporeichen Ballstafetten reichen Match nicht förderlich sein. Bayern München sah die lobenswerten Bemühungen und das Aufflackern besserer Zeiten nach der Pause schliesslich mit einem 1:1-Remis sehr schlecht belohnt – vor allem dank Torhüter Kahns Geschenk im Finish. Ein Lapsus, der im Hinblick auf den Retourmatch in 14 Tagen im Bernabeu schwer wiegen kann und letztlich Real Madrid für eine desolate Leistung noch nobel entschädigte.“

morgen auf indirekter-freistoss: mehr zu diesem Spiel

(24.2.) Vor dem Spiel

„Bayern im Kreativitätsstau“ (NZZ) – „Mythos Real – eine Elf für die Welt“ (Spiegel) – Zinedine Zidane, der König der Könige – Carlos Queiroz und das Dilemma eines Trainers von Real Madrid – was wird aus Ottmar Hitzfeld? (FR) – FAZ-Interview mit Uli Hoeneß – BLZ-Interview mit Jupp Heynckes – die Lage der spanischen Vereine – AC Mailand, der Berlusconi-Klub u.v.m.

Deutschland gegen den Rest der Welt

Thomas Kistner (SZ 24.2.) erklärt die Bedeutung des Spiels aus deutscher Sicht: „Die Bayern haben nicht einen meisterlichen Auftritt hingelegt in der laufenden Saison, und das frühe Scheitern in den Champions-Gruppenspielen – wie im Vorjahr passiert – wurde diesmal nur unter Verbrauch einer Familienpackung Fortüne vermieden. Die Bayern stecken tief und fast auswegslos in der Schaffenskrise; davon, dass sich hier wie in früheren Jahren zwei große Teams auf Augenhöhe gegenüberstehen, kann keine Rede sein. Wer trotzdem so tut, bezieht sich auf alte Bayern-Propaganda und verkennt absichtsvoll die sportliche Realität. Klar, es ist der alte Klassiker. Doch den Reiz eines Duells unter Gleichen verströmt er nicht mehr. Überdies ist nicht anzunehmen, dass das weitere Schicksal eines an Real Madrid gescheiterten FC Bayern die Sportnation so sehr in Bann schlägt, dass jetzt dieses eine seiner Spiele in den gesellschaftlichen Fokus rücken muss wie sonst nur Länderspiele ab, sagen wir, WM-Halbfinalebene. Also, worum geht es noch? Wohl auch darum, dass das Selbstwertgefühl der Fußballnation auf dem Prüfstand steht, jener Gemeinschaft, die sich im Herbst hinter den Himmelstürmern des VfB Stuttgart formiert hatte. In winterlicher Tristesse zwischen Toll Collect und Steuerdesaster, Renten- und Bildungsmisere wächst erneut der Bedarf an Erweckungserlebnissen. Für solche ist der Sport immer gut. Insofern lautet diese Partie nicht nur München – Madrid, sondern auch: Deutschland gegen den Rest der Welt.“

Michael Horeni (FAZ 24.2.) prüft die Rechnung der Bayern: “Und nun der Wintersportbericht aus Bayern: Wegen heftiger Schneefälle in München verzögert sich die Anreise der königlichen Madrider Fußball-Weltauswahl, die Aussichten auf ein weißes Wunder steigen. Das Wetter haben wir bestellt, sagte Ottmar Hitzfeld ganz flockig, und es ist wirklich kein Witz, daß der Bayern-Trainer an den tollen Tagen gegen Real Madrid nun auch noch Schnee und Kälte als zusätzliche Helfer für das Duell gegen Real in Münchner Dienste gestellt hat. In den letzten Jahren, als die großen Erfolge des FC Bayern in der Champions League noch kein Schnee von gestern waren, mußte sich der Rekordmeister noch nicht so wetterfühlig wie heute geben. In der jüngsten Vergangenheit reichte die sportliche Stärke als Prognoseinstrument für herrliche Aussichten. Da redeten nur die anderen in der Meisterklasse übers Wetter – der FC Bayern sonnte sich in der eigenen Stärke. Aus diesen wolkenlosen Zeiten ist in den bisher acht europäischen Festspielen gegen Madrid eine stolze Münchner Bilanz von 6:2-Siegen erwachsen. Aber da die Tage in München nun schon länger trübe sind, scheint es so, als hätten sich die Bayern noch lieber gewünscht, daß sich die Madrider Luxusreisegesellschaft wegen ein paar Zentimetern Schnee nicht nur eine Stunde lang auf dem Flughafen ihre sündhaften teuren Beine hätte vertreten müssen, sondern daß die Real-Globetrotter bei ihrer Tour am besten gleich ganz steckengeblieben wären.“

Peter Burghardt (SZ 24.2.) analysiert die Hierarchie Real Madrids: „Jeder seiner Spieler wisse, was er vom anderen zu erwarten habe, glaubt Trainer Carlos Queiroz. Queiroz spricht Englisch, auch mit Beckham, mit dem er schon als Assistenztrainer in Manchester arbeitete. Mit Solisten allein gewinne man nicht, sagt Queiroz, „diese Männer können auch als Gruppe spielen. Das sind nicht nur Individualisten.“ Am meisten überraschte dabei, wie brav sich der Spiceboy in den Betrieb einordnete. Nicht nur erklärte Gegner von Perez’ Gigantismus ahnten das Schlimmste, als Beckham in einem Spektakel auftrat, gegen das die Präsentationen von Figo, Zidane und Ronaldo läppisch gewesen waren – selbst die ärztliche Untersuchung wurde live übertragen, das erste Interview verkaufte der vereinseigene Sender für 9000 Euro, und für einen Einkaufsbummel seiner Gattin Victoria wurden exklusiv die Boutiquen geöffnet. Um Neid zu vermeiden, hatte Perez es geschafft, sein Gehalt an das der übrigen Elite anzupassen: Beckham verdient so viel wie Raúl, Figo, Zidane und Ronaldo, sechs Millionen Euro. Der Rest, mehr als das Doppelte, stammt aus der Werbung, gerade durfte sich der hübsche David für einen Brausehersteller als Gladiator aus dem alten Rom verkleiden. Aber, siehe da, auf dem Platz macht er sogar die Drecksarbeit – am liebsten für die Weltmeister Ronaldo und Zidane. Bisweilen wirkt der Zopfträger dabei wie ein Kind, das mit seinen Helden spielen darf. Zidane und Ronaldo hält er den Rücken frei, indem er mit Guti im defensiven Mittelfeld ein Paar bildet, bei dem auch Guti sein Talent in den Dienst der Institution stellen muss. Nur am ruhenden Objekt hat Beckham meist noch Vortritt, obwohl Real Madrid auch dabei so viele Experten vereint, dass sich ein Karikaturist zu Saisonbeginn einen Stau beim Freistoß ausmalte. Als er sein Vorbild Zidane als Spielmacher vertrat, da wirkte Beckham wie ein Bremser und Zauderer. Die rechte Außenbahn überlässt er schon länger wieder dem Kollegen Figo, dessen Laune besondere Pflege braucht. Der Melancholiker aus Lissabon schien in der Rangordnung wieder eine Stufe hinabzusteigen, als nach dem Künstler aus Marseille und dem Torjäger aus Rio auch noch der Beau aus London kam. Er verlange keine Zärtlichkeit, „Real Madrid ist keine Wohltätigkeitseinrichtung, aber ich will Anerkennung für meine Arbeit“, klagte Figo, 31, neulich. Die bekommt er derzeit für gute Leistungen, trotzdem dürfte die Zeit des ersten Galaktischen bald abgelaufen sein.“

Niemand verbreitet so viel Angst und Schrecken

Walter Haubrich (FAZ 24.2.) porträtiert Ronaldo: „So wenig Ronaldo auch laufen mag, so wichtig sind die Tore, die er für Real Madrid erzielt. Gewiß, manche dieser Tore hätte auch ein anderer schießen können, etwa Raúl, die zweite Sturmspitze. Doch nicht wenige dieser oft spielentscheidenden Treffer aus schwierigen Winkeln heraus kann derzeit in Spanien nur Ronaldo erzielen. Und diese Torerfolge kommen natürlich auch den Mitspielern zugute. Da dieser 1976 in Rio de Janeiro geborene Brasilianer sich dazu noch als ein freundlicher und humorvoller Mensch gibt, ist er in der Mannschaft beliebt, obwohl er sich ein bißchen weniger anstrengt als die übrigen Weltstars bei Madrid. Die Vereinsführung übersieht seine recht chaotische und undisziplinierte Lebensführung. Hin und wieder zeigen sich Präsident Pérez und seine Mitarbeiter allerdings leicht besorgt, wenn der Brasilianer seine spektakulären Feste organisiert und dazu die Mannschaftskameraden einlädt. Kurz vor Beginn der Feten im großen Haus Ronaldos fahren dann in einer Karawane die Limousinen vor und laden zahlreiche attraktive Frauen aus dem Showgewerbe aus. Ronaldo macht kein Hehl daraus, daß er sich im Kreise von zahlreichen und schönen Frauen besonders wohl fühlt. (…) Figo wurde im Sommer 2000, Zidane ein Jahr später, Ronaldo 2002 und Beckham im vergangenen Sommer gekauft: jedes Jahr ein internationaler Superstar. Figo ist ein eleganter Dribbler, Zidane ein genialer Spielmacher, Beckham ein Freistoß- und Eckenspezialist von hohen Graden, doch niemand verbreitet so viel Angst und Schrecken wie Ronaldo, der Mann, der stets lächelt, nur so viel läuft wie nötig und dann so unverhofft wie oft zuschlägt.“

Stets angespannt

Thomas Becker Wolfgang Hettfleisch (FR 24.2.) machen sich Gedanken um Ottmar Hitzfeld: „Ottmar Hitzfeld (20 Titel), der nach Alex Ferguson (32) und Jock Stein (26) erfolgreichste Trainer der vergangenen zwei Jahrzehnte, steht wieder an einer Schwelle, scheint an seine Grenzen zu stoßen. Wie schon einmal, damals in Dortmund. Sechs Jahre war er dort Cheftrainer, danach ein Jahr Sportdirektor. Zweimal Meister, Champions-League- und Weltpokalsieger – eine prima Bilanz. Aber dann ging es nicht mehr, auch nicht als Sportdirektor. Hitzfeld ging nach München und begründete eine Bayern-Ära: vier Meistertitel, zwei Pokalsiege, Champions-League-Titel, Weltpokal. Am 1. Juli wird er sechs Jahre Cheftrainer des FC Bayern sein – oder ganz woanders. Natürlich gibt es keine Trainerdiskussion beim FCB, offiziell. Natürlich macht sich die Troika Beckenbauer/Rummenigge/Hoeneß Gedanken zur Misere. 25 Millionen Euro rückte der sparsame Schwabe Hoeneß zu Saisonbeginn heraus für die Zugänge Makaay, Rau, Demichelis – mit ernüchterndem Ergebnis. Der Pokaltitel ist schon futsch, der Meistertitel wohl auch, im Konzert der Champions-League-Größen kann man sich den FC Bayern in der derzeitigen Verfassung nicht recht vorstellen. Und was am schwersten wiegt: Es ist keine Besserung in Sicht. (…) Hitzfeld wirkt stets angespannt, bei Journalistenfragen können sich die Augen schnell zu zwei engen Schlitzen verdichten. Sein Steckbrief auf der Vereins-Homepage endet mit dem programmatischen Satz: Es gibt keinen Ersatz für Siege. Eine Zeitschrift bezeichnete den Zahnarztsohn mit den fünf Geschwistern einst als Gefühlsasketen, der sich bei Mozart und Beethoven entspannt. Der gelernte Mathematiklehrer gilt als Inbegriff des nüchternen Rechners, glaubt, dass Fußball kalkulierbar ist. Zuletzt hat er sich einige Male verrechnet. Vor einem Monat ist Hitzfeld 55 geworden – eigentlich noch genug Zeit bis zur Fußballrente. Doch sollte der FC Bayern einen Neuanfang ohne ihn anpeilen, ist es nicht einfach, sich den Erfinder des Rotationsprinzips auf einer anderen Bank vorzustellen: Bundesliga? Wohl kaum. Im Ausland? Unwahrscheinlich. In Doha, wie Effenberg jüngst vorschlug, jedenfalls bestimmt nicht. Nationaltrainer? Schon eher. Bleibt die Schweiz. Dort begann Hitzfelds Trainerkarriere beim SC Zug, als Nationalcoach gäbe es einiges zu tun.“

zu Jock Stein siehe

Ihm stehen Krawatten besser

Thomas Klemm (FAS 22.2.) porträtiert Carlos Queiroz, Trainer Real Madrids: „An Kritik der Öffentlichkeit hat sich Queiroz längst gewöhnt. Was er auch macht – er macht es falsch. Bietet er alle seine Stars wie Zidane, Beckham, Figo, Raul und Ronaldo auf, funktioniert entweder der Autopilot, wie das spanische Sportblatt As schrieb, und das Team siegt wie von alleine; verlieren die Stars, wird der Trainer als Trottel beschimpft. Verzichtet Queiroz indes mal auf eine prominente Kraft, mäkelt man an der Leistung des vom Portugiesen eingesetzten Nachwuchses herum. Es ist leicht, mir als Trainer Vorwürfe zu machen, sagt der Fünfzigjährige, der feinsinnig zwischen unsachlicher und konstruktiver Kritik trennt. Hoffentlich hilft mir Gott, das eine vom anderen zu unterscheiden. Zumindest die Mannschaft hilft ihm. Sie ist trotz wenig überzeugender Leistungen Tabellenführer in der Primera Division und steht im spanischen Pokalfinale. Die Profis behaupten, die festen Überzeugungen ihres Trainers zu akzeptieren (…) Queiroz Vertrag läuft noch eineinhalb Jahre, doch immer wieder wird gemunkelt, daß er schon nach dieser Saison zum Gehen genötigt würde. So ist Jorge Valdano oft damit beschäftigt, alle Spekulationen um den Trainer abzuwiegeln. Am schwersten fiel es dem Madrider Sportdirektor Anfang November nach dem 1:4 beim FC Sevilla. Der Trainer suchte eine riskante Lösung für ein schwieriges Problem, nahm der Sportdirektor den Übungsleiter in Schutz, weil Queiroz notgedrungen die Abwehr umbaute. Zum Leidwesen des unerfahrenen Ruben, jüngst von Borussia Mönchengladbach ausgeliehen, den Queiroz nach nur 26 Minuten vom Feld holte – beim Stand von 0:3. Das Talent weinte hemmungslos, und der Trainer verteidigte auch im nachhinein seine Aufstellung. Queiroz vergaß, daß sein Hauptverdienst darin liegt, daß ihm die Krawatten besser stehen, schrieb die Zeitung AS; eine Anlehnung an die verbreitete Meinung, der Real-Präsident habe den Trainer nur geholt, weil der attraktive Portugiese in den Medien besser ankomme als sein erfolgreicher, aber oft mürrisch wirkender Vorgänger Vincente del Bosque.“

Sehr schön! Ralf Itzel (taz 24.2.) ergänzt: “Der Neue leistet also Arbeit und hat doch einen schweren Stand in der Presse. Die war mit Vorgänger del Bosque eng verbunden und hat nun immer irgendetwas auszusetzen. Allen werde er es eben nie recht machen können, sagt Queiroz schulterzuckend und wartet dazu mit einer Fabel vom Kind, dem alten Mann und deren Esel auf: Wenn das Kind oben sitzt, wird kritisiert, dass der schwache Alte zu Fuß gehen muss. Sitzt der Alte oben, heißt es: das arme Kind. Gehen beide, werden sie für dumm gehalten, denn warum haben sie dann überhaupt einen Esel? Und sitzen beide oben, dann schimpfen die Tierschützer.“

Andreas Burkert (SZ 24.2.) beleuchtet die Lage Bayern Münchens: “Wenn der FC Bayern nicht doch noch Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof einlegt, passiert heute Abend, 20.45 Uhr, tatsächlich dies: Referee Terje Hauge, ein fraglos winterfester Norweger, pfeift das Spiel an. Was nun? Nun, in dieser vermeidlich aussichtslosen Lage tun die formschwachen Bayern das, was sie eigentlich nie tun: Sie machen sich kleiner, als sie momentan ohnehin wirken. Eine Chance zu nutzen, die angeblich gar nicht vorhanden ist, diese von Demut geprägte Politik kultivierten die Münchner in den letzten Tagen vor dem großen Duell eindrucksvoller als jeder Pokalgegner des FC Bayern zuvor. Selbst namhafte Auguren aus dem Verein beziffern die Möglichkeit, sich wundersam fürs Viertelfinale der Champions League zu qualifizieren, als verschwindend gering. Zwischen knapp zehn (Vorstandschef Rummenigge) und allerhöchstens dreißig Prozent (Klubpräsident Beckenbauer) liegen die schüchternen Erfolgsprognosen. Franz Beckenbauer fürchtet dabei mehr als das Erlebnis einer Niederlage, er sorgt sich gar um das Ansehen des viermaligen Meistercupsiegers, wenn er sagt: „Ich hoffe, es gelingt uns, dass wir ein adäquater Spielpartner sind.“ Selbst der stoischste Fürsprecher des Teams predigt Bescheidenheit. „Normalerweise könnte ich keine elf Spieler zusammenbringen“, hat Ottmar Hitzfeld gesagt. Er spielte damit nicht auf die erhebliche Verletztenliste an. Sondern auf die aktuelle Verfassung seiner Profis. (…) Das Wetter, die Außenseiterrolle und das Zahlenwerk der Statistik (neun Siege in 14 Duellen mit Real, zuhause vier in vier Champions-League-Spielen), viel mehr hat der FC Bayern diesmal nicht an Argumenten in eigener Sache vorzubringen.“

Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 24.2.) fügt hinzu: „Sollte der Mannschaft hier nicht der Umkehrschwung gelingen, so wird an der Säbener Straße, eingeleitet von einem gewaltigen Wändewackeln, ein neues Zeitalter beginnen. Die Zäsur im sportlichen Bereich ist überfällig. Dem mit zehn Titeln hoch dekorierten Trainer Ottmar Hitzfeld, dessen Vertrag noch bis 2005 läuft, die Tür zu weisen entspräche nicht dem Stil des gegenüber verdienten Würdenträgern stets generösen FC Bayern. Die Auslese wird eher die Mannschaft treffen. Sofern man die Ansammlung von begabten Kickern noch Mannschaft nennen darf. Schon lange demonstriert dieses poröse Gebilde ein Selbstvertrauen, das eigentlich nur noch in der Erinnerung existiert. Verzagen und Angst vor dem Versagen spricht aus ihren Gesichtern.“

In Sachen David Beckham habe ich meine Meinung geändert

FAZ-Interview mit Uli Hoeneß

FAZ: Welcher Spieler von Real würde überhaupt zu Bayern kommen und nicht gelangweilt abwinken?

UH: Wenn wir die gleichen Gehälter wie Real zahlen würden, glaube ich nicht, daß ein Spieler nein zum FC Bayern sagen würde. Natürlich hat Real Madrid Superspieler in seiner Mannschaft, und der Klub besitzt einen unglaublichen Mythos, da sind sie uns gegenüber im Vorteil. Aber am Ende geht es ums Geld. Wir sind jedoch im Gegensatz zu vielen anderen im Fußballgeschäft nicht bereit, Schulden zu machen.

FAZ: Reals Sportdirektor Jorge Valdano hat gesagt, ein Charakteristikum von Real sei von jeher, daß der Klub seiner Zeit voraus sei und nun mit den Superstars . . .

UH:. . . lange Jahre war Real der Zeit überhaupt nicht voraus. Da haben sie nur gemacht, was alle anderen auch gemacht haben: nämlich Schulden – bis sie dann das Trainingsgelände verkauft haben. Im Moment aber bekleckern sie sich schon ein bißchen mit Ruhm. Aber der richtige Ruhm kommt für mich erst, wenn es ihnen wirklich gelingt, zu ihren sportlichen auch wirtschaftliche Erfolge hinzukommen zu lassen.

FAZ: Das Gefühl, daß die Bayern den Zug der Zeit verpassen könnten, beschleicht Sie nicht?

UH: Können Sie mir den Zug der Zeit erklären?

FAZ: Real sagt: In Superstars investieren und die Konzeption global auslegen.

UH: Der Zug der Zeit ist doch nur die Bereitschaft, die Konzeption fremdzufinanzieren. Wenn das der Zug der Zeit sein soll, und das glauben Sie doch wohl selbst nicht, dann mache ich mein Büro zu und gehe. Aber ich will kein Öl ins Feuer gießen. Ich habe nämlich mit Real Madrid meinen Frieden geschlossen.

FAZ: Nach der Verpflichtung David Beckhams im Sommer haben Sie diesen Transfer als Zirkusnummer bezeichnet – dummerweise bekommt man für die Zirkusvorstellungen seit zwei Jahren keine Karten mehr – und sportlich läuft die Sache auch.

UH: In Sachen David Beckham habe ich meine Meinung geändert. Das ist der erste Transfer von allen, den Real gemacht hat, der refinanziert ist. Durch die Figur Beckham und seine Frau läuft das ganze Ding. Ich weiß von Adidas, wieviel Trikots sie verkaufen – und außerdem spielt er noch gut, was ich ihm in dieser Rolle im defensiven Mittelfeld auch nicht zugetraut hätte. Deswegen habe ich meine Meinung revidiert und meinen Hut vor diesem Transfer gezogen.

(…)

FAZ: Was bedeutet es für den europäischen Fußball, wenn ein Klub wie Real Madrid sich in eine andere Sphäre verabschiedet?

UH: Real hat eine Sonderrolle nicht nur in Europa, sondern in der Welt. Es ist die beste Mannschaft seit dem Real-Team aus den fünfziger Jahren. Es ist eine Mannschaft, die auf dem Papier in wichtigen Spielen eigentlich nicht zu schlagen ist. Ich hoffe, daß unsere Spieler diesen besonderen Reiz erkennen.

FAZ: Sportdirektor Valdano behauptet, Real verliere nie aus technischen, sondern nur aus mentalen Gründen. Wann konnten Sie so etwas zuletzt über den FC Bayern sagen?

UH: Nie. Das konnten wir nicht einmal in den großen siebziger Jahren mit Franz Beckenbauer behaupten. So eine Dominanz, wie sie Real mit seinem Kader derzeit demonstriert, hat es seit Puskas und di Stefano nicht mehr gegeben. Dies ist eine logische Entwicklung, weil bei Real von oben als Kriterium klar vorgegeben wird, das Beste aus aller Welt für die offensiven Positionen zu holen.

FAZ: Der FC Bayern dagegen hat sein Konzept des FC Deutschland mittlerweile aufgegeben, weil es nicht trägt.

UH: Es trägt noch nicht. Die Entwicklung von Deisler konnte keiner voraussehen. Aber wir wollen auch gar nicht der FC Deutschland sein, sondern wir versuchen, national die Nummer eins zu sein und in Europa zu den fünf besten Vereinen zu gehören.

FAZ: Davon ist Bayern derzeit jedoch weit entfernt – eine gesichtslose Mannschaft, die keinen Schrecken mehr verbreitet.

UH: Tatsache ist, daß wir nicht die Leistung zeigen, die von uns erwartet wird. Aber Sie können sicher sein, daß wir in den letzten Monaten die richtige Analyse erstellt haben. Wir glauben, die Ursachen zu kennen, und hoffen jetzt, irgendwann die Trendwende zu schaffen.

Zidanes und Pavones

Ralf Itzel (FR 23.2.) erklärt das Erfolgsmodell Real: “Jorge Valdano ist von Beruf Sportdirektor bei Real Madrid – und aus Berufung Schriftsteller und Schöngeist. In seiner Heimat Argentinien sind Doppelpass und Dichtung seit den Tagen des herrlich verrückten Nationaltrainers Cesar Luis Menotti durchaus vereinbar. Ein halbes Dutzend Bücher hat der Señor aus Santa Fe über Fußball geschrieben, und manche Abhandlung ist wahre Poesie. Kein Wunder also, dass er die Sportpolitik seines Präsidenten in die griffigste Formel packte. Real Madrid, sagte Valdano einmal, das bedeutet Zidanes und Pavones. Die Gleichung ist in Spanien zum geflügelten Satz geworden. Er beschreibt die Strategie von Real-Boss Florentino Perez, einerseits auf Weltstars (Zidanes), andererseits auf den eigenen Nachwuchs (Pavones) zu setzen. Das hätte sich Francisco Pavon, 24, auch nicht träumen lassen, dass sein Name zum Etikett einer ganzen Generation würde. In der Saison 2001/2002, dem Premierenjahr Zidanes in weiß, schaffte der Verteidiger den Sprung ins erste Team, und seither steht Pavon, Mehrzahl Pavones, für alle, denen der Aufstieg aus der Cantera, der Talentschmiede, gelingt. Und das sind eine ganze Menge. Der neueste Pavon heißt Alvaro Mejilla und debütierte neulich mit Erfolg in einem Pokalspiel im defensiven Mittelfeld. Die Herren Perez und Valdano stiegen anschließend extra zum Gratulieren in die Kabine hinab. Im Schatten der Berühmtheiten reifen weit mehr Eigengewächse als im Ausland angenommen. Real eine zusammengekaufte Söldnertruppe? Einerseits ja, andererseits überhaupt nicht. Die Hälfte des Kaders ist hausgemacht und überwiegend in Madrid geboren. Torwart Casillas, noch keine 20, als er den ehemaligen deutschen Nationaltorwart Bodo Illgner verdrängte, Mittelfeldspieler Guti und Stürmer Raul, der mit 19 schon Nationalspieler war, sind die Bekanntesten, dazu kommen Leute wie Pavon, Raul Bravo, Portillo, Miñambres oder Borja.“

Es gibt nichts Dankbareres, als einen Spieler wie Zidane zu haben

BLZ-Interview mit Jupp Heynckes, Ex-Trainer Bayern Münchens und Ex-Trainer Real Madrids

BLZ: Ist es ein Traum oder ein Albtraum, so eine Mannschaft zu trainieren?

JH: Es ist nicht einfach, immer den maximalen Erfolg erreichen zu müssen, aber gegen Real gibt es nicht viele Argumente. Abwehrsorgen hin oder her: Es gibt nichts Schöneres, als die besten Spieler der Welt zu trainieren.

BLZ: Aber ist nicht gerade das etwas, was in Reals Geschichte auffällt? Der Verein und die Spieler sind immer größer als der Trainer.

JH: Es hat immer große Trainer gegeben bei Real und …

BLZ:… was Qualität und Namen angeht, ja. Aber es geht um den Stellenwert: Der große Trainer ist für den Mythos oder die Marke Real traditionell weniger wichtig als der große Spieler.

JH: Für meine Zeit stimmt das auf jeden Fall. Mein Vorgänger war Capello, er war ein Jahr da, ist Meister geworden. Davor war Valdano da, anderthalb Jahre, er ist auch Meister geworden. Nach mir kam Hiddink, der war sieben Monate da, dann kam Toshack, der hat es auf acht Monate gebracht. Daran können Sie sehen, dass das eine ziemlich unruhige Zeit war. Unter Präsident Perez ist das besser geworden, aber bei Real ist es eben so, dass nicht einmal Erfolg vor Entlassung schützt.

BLZ: Hat ein Trainer bei Real überhaupt Einfluss auf die Personalpolitik?

JH: Naja, man bespricht alles, aber es kann dann trotzdem passieren, dass der Präsident einen Spieler holt, der eher ins Marketingkonzept passt als in die Mannschaft. Aber man beschwert sich dann als Trainer nicht. Man denkt: Okay, eigentlich bräuchte ich einen Abwehrspieler, aber mein Gott, dann nehm‘ ich halt den Beckham.

BLZ: Der ist ja auch nicht schlecht.

JH: Und ich sage Ihnen noch was: Solche großen Spieler sind in der Regel leicht zu führen.

BLZ: Tatsächlich?

JH: Es gibt nichts Dankbareres, als einen Spieler wie Zidane zu haben. Erstens ist er bis heute ein bescheidener Mensch geblieben, und zweitens müssen Sie ihm als Trainer nicht viel sagen, so verantwortungsbewusst ist er. Das gilt in gleichem Maße für Beckham oder Raúl.

BLZ: Wer ist für Sie der Größte unter Reals Großen?

JH: Zidane. Wenn man bedenkt, dass er 1,85 Meter groß ist und dann diesen koordinativen Ablauf sieht, diese Raffinesse, diese Inspiration, dann muss man sagen, das kommt der Perfektion schon sehr nahe.

BLZ: Und Beckham?

JH: Ich habe im Gegensatz zu vielen anderen nie Zweifel gehabt, dass er es bei Real schafft. Er ist ja ein unglaublich intelligenter Spieler, und er hat von Anfang an gewusst, dass es keinen Sinn macht, auf dem rechten Flügel Figo herauszufordern. Er spielt stattdessen im rechten Mittelfeld, und da gibt er nicht nur den Virtuosen, sondern auch den Arbeiter. Es weiß ja fast keiner, dass Beckham bei Manchester immer der ausdauerstärkste Spieler war. Das ist ein phänomenaler Fußballer, ein Traum für jeden Trainer.

BLZ: Sie haben Real Madrid trainiert, mit Assen wie Roberto Carlos, Mijatovic, Raúl oder Redondo, und Sie haben München trainiert. Was ist anders?

JH: Ich will die Klubs nicht vergleichen im Sinne von besser oder schlechter. Beide Klubs stehen für außergewöhnliche Tradition und außergewöhnliche Erfolge. Aber jeder Klub hat seine eigene Philosophie. Real hat in jeder Ära die besten Spieler der Welt gehabt, beim FC Bayern ist das in der jüngsten Vergangenheit sicher nicht der Fall. Dafür ist Bayern aber der bestgeführte Verein in Europa. So wie sie in München den Erfolg über Jahrzehnte verwaltet haben, hat das keine andere Mannschaft geschafft.

BLZ: Auch nicht Real?

JH: Nein, in Madrid gab es immer mal Phasen, wo der Erfolg ausblieb, wie beim AC Mailand, bei Juventus Turin, bei Ajax Amsterdam. Bei Bayern kam vielleicht mal ein Dellenjahr dazwischen, aber nie mehr. Das ist eine Kunst.

BLZ: Real ist erhabener, Bayern solider?

JH: Bayern hat mehr Kontinuität. Die führenden Köpfe wie Uli Hoeneß oder auch Geschäftsführer Karl Hopfner sind seit Jahrzehnten dabei. Bei Real ist nicht immer alles strategisch geplant worden, in Spanien macht man mehr mit Intuition. Da sind Mannschaften, die sehr erfolgreich wurden, oft mehr aus der Situation heraus entstanden. Erst jetzt sind mit Perez und Sportdirektor Valdano kluge Strategen am Werk.

BLZ: Lässt sich das Binnenklima der beiden Klubs vergleichen?

JH: Eines ist ganz auffällig: Bei allem Gewinnstreben haben beide Klubs eine starke soziale Komponente. Es gibt so eine Art Großfamiliengefühl.

Der Rausch um Real Madrid hat eine im Weltsport einmalige Dimension erreicht

Sehr anschaulich! Michael Wulzinger (Spiegel 23.2.) berichtet die Popularität Real Madrids: „In dem Hochgeschwindigkeitszug AVE 9636, der am Dienstag vergangener Woche in zweieinhalb Stunden von Madrid nach Sevilla raste, herrschte eine gedämpfte Atmosphäre. Kaum einer der Reisenden hatte bemerkt, dass in einem der Waggons die Fußballprofis von Real Madrid saßen – die Mannschaft war auf dem Weg zum Halbfinal-Rückspiel der Copa del Rey gegen den FC Sevilla. Bei der Ankunft in der andalusischen Metropole indes zeigte sich, dass es eine gewagte Idee der Real-Führung war, Popstars wie David Beckham, Zinedine Zidane, Raúl, Ronaldo, Roberto Carlos oder Luis Figo in einem öffentlichen Verkehrsmittel durchs Land zu schicken. Fast 1000 Menschen drängten sich im Bahnhof Santa Justa, um Reals Weltauswahl, die so genannten Galaktischen, zu empfangen. Mädchen schrien, Mütter schrien, Männer schrien. Als einige Absperrgitter umkippten, geriet die Szenerie fast außer Kontrolle. Nur mühsam gelang es den Polizisten, die fiebrigen Fans zu bändigen. Besonders David Beckham bewegte die Massen. Den Blick stur nach unten gerichtet und umgeben von zwei Leibwächtern, kämpfte sich der Mittelfeldstar Richtung Ausgang. Plötzlich sprang ihm eine junge Frau in den Rücken und krallte sich an seinem Hals fest. Sie brüllte Aiiiih! und ließ erst los, als einer der Bodyguards sie auf den Boden zerrte. (…) Der Rausch um Real Madrid hat eine im Weltsport bislang wohl einmalige Dimension erreicht. Besonders gut lässt sich der tägliche Wahn am Paseo de la Castellana Nummer 66, verfolgen. Dort, nur ein paar hundert Meter vom Bernabéu-Stadion entfernt, residiert im zweiten Stock eines unauffälligen Bürogebäudes die Redaktion der Sportzeitung Marca. Fast zweieinhalb Millionen Menschen greifen jeden Tag zu dem Blatt. Damit ist Marca Spaniens meistgelesene Zeitung. Sechs Seiten über Real sind das Minimum, nach einem Topspiel wie gegen Valencia schwillt die Text- und Bilderorgie schon mal auf 18 Seiten an. Es gibt ein Ressort mit etwa 15 Redakteuren und Fotografen, die sieben Tage in der Woche nichts anderes tun, als Real Madrid zu beackern. Jedes noch so absurde Detail ist titelträchtig. Es genügt, wenn David Beckham am Flughafen Barajas eintrifft und eine Designerjeans trägt, die am rechten Oberschenkel fast durchgescheuert und am linken Knie aufgerissen ist. Tags darauf erscheint Marca mit einem Foto, das sich über die ganze erste Seite zieht und auf dem von Beckham nicht mehr zu sehen sind als seine modischen Lederstiefel und seine akkurat zerschlissene Hose. (…) Dass am Ende der vorigen Trainer Vicente Del Bosque gehen musste, macht die Sache für Real-Experten nicht einfacher. Del Bosque war eine Institution – und hielt die Marca-Wühler mit diskreten Informationen aus dem Innenleben des Glamour-Clubs auf dem Laufenden. Der Rauswurf Del Bosques ist ein gutes Beispiel dafür, wie kompromisslos der Globalisierungsfanatiker Pérez den Mythos Real Madrid ausbeutet und dabei Schlüsselpositionen des Vereins mit Protagonisten besetzt, die eine bestimmte Klientel bedienen oder das Prestige weiterentwickeln sollen. Del Bosque wurde am Tag nach dem Gewinn der Meisterschaft gefeuert. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Real Madrid einen Trainer entlässt, der die üppige Trophäensammlung gerade um einen weiteren Pokal bereichert hat. Auch Jupp Heynckes musste 1998 nach dem Sieg in der Champions League gehen. Bei Del Bosque lag der Fall anders. Von Pérez persönlich hat der Coach bis heute keine Gründe für die Trennung gehört. Die öffentliche Version des Präsidenten lautete: Del Bosque ist sehr traditionell. Wir suchen etwas Moderneres. Dann raunte der Technokrat etwas von Strategie und körperlicher Vorbereitung und davon, dass unsere Mannschaft noch stärker sein wird. Tatsächlich ging es Pérez nicht um die fachlichen Qualitäten Del Bosques. Es ging ihm ums Image. Del Bosque spricht nur Spanisch. Mit seinen geröteten Augen, dem dichten Schnauzbart und dem rundlichen Gesicht wirkte der Trainer immer so, als wäre er aus der kastilischen Hochebene zufällig hineingeraten in die Welt der Schönen und Reichen von Madrid. Del Bosque war nicht telegen genug. Nur das Fernsehen ermöglicht die globale Durchdringung der Märkte – und für den Real-Präsidenten Pérez ist unabdingbar, dass ein Mann, der den Galaktischen an der Außenlinie Instruktionen erteilt, eine gute Figur machen muss. So wie Del Bosques Nachfolger. Carlos Queiroz, 50, geboren in Mosambik, sieht smart aus, parliert in vier Sprachen und besticht durch feine Manieren. Seine bescheidene Biografie als Trainer war bei der Berufung unerheblich.“

Georg Bucher (NZZ 24.2.) schildert die Lage der spanischen Klubs: „Real Sociedad und Celta de Vigo haben auf Anhieb die Achtelfinals der Champions League erreicht. Basken wie Galicier bezahlen diese Performance allerdings im nationalen Wettbewerb. Mit relativ schmalen Kadern ausgestattet, sind sie in der unteren Tabellenhälfte klassiert. Bezeichnend, dass die Equipe „txuri urdin“ aus San Sebastian während der Champions-League-Vorrunde meist einen Abstiegsrang in der Primera Division belegt hatte und ab Mitte Dezember fünf Spiele in Folge gewann. Den guten Lauf bremste eine Niederlage in Saragossa, auch im Derby gegen Athletic Bilbao (1:1) und zuletzt in Sevilla (0:1) waren unbefriedigende Resultate zu verzeichnen. Dennoch sieht der Trainer Raynald Denoueix dem Vergleich mit seinen Landsleuten von Olympique Lyon optimistisch entgegen. Der Spielmacher Alonso zeigt aufsteigende Form und wurde wieder ins Auswahlteam berufen, Aranburu und Gabilondo, wie Alonso Eigengewächse, sind feste Grössen im Mittelfeld, und der 35-jährige Este Karpin wirbelt wie in seinen Glanzzeiten im rechten Couloir. Seit er Barça vergangene Saison aus der Gefahrenzone in einen Uefa-Cup-Rang katapultierte, gilt Radomir Antic als Spezialist für schwierige Missionen. Dieses Image hat dem gelassenen Serben, der schon Real und Atletico Madrid betreute, einen neuen Job in Vigo verschafft. Als Nachfolger des glücklosen Basken Miguel Angel Lotina soll er in erster Linie den Klassenerhalt sichern. Obwohl die Südgalicier im Uefa-Cup schon stärker eingeschätzte englische Teams (Liverpool und Aston Villa) eliminiert hatten, ist ihnen gegen Arsenal die Rolle eines krassen Aussenseiters zugewiesen. Dem Los gewinnt die Direktion indessen nur Positives ab. Einerseits könne Celta unbeschwert aufspielen, andererseits garantiere der Besuch einer Topmannschaft den besten Zahltag dieser Saison im Estadio de Balaidos. Dort erlebte Celta am Samstag nach zwei aufeinander folgenden Siegen einen Rückschlag (0:2 gegen Malaga). Der agile Stürmer Jesuli verletzte sich gleich zu Beginn, aussichtslos wurde die Lage, als Sergio die rote Karte sah und Salva den Penalty verwandelte. Keinesfalls irritiert durch diesen Fauxpas, bleibt Antic seiner Überzeugung treu, nicht den Elefanten im Porzellanladen zu spielen. Deportivo steht auf festerem Grund. Nach dem Remis gegen Atletico Madrid (0:0) haderten die Spieler allerdings mit sich selber und mit dem Schiedsrichter.“

Sehr lesenswert! Birgit Schönau (SZ 24.2.) hat italienisches Fernsehen geschaut: „Am Telefon war der Ministerpräsident in seiner Eigenschaft als Patron des AC Mailand. Am Sonntagabend um 23.10 Uhr schaute Silvio Berlusconi wie Millionen anderer Italiener die Sportschau Domenica Sportiva im Ersten Programm des Staatsfernsehens RAI. Die dort versammelten Journalisten diskutierten gerade das Mailänder Derby, das Berlusconis Milan mit 3:2 (0:2) Toren gegen Inter gewonnen hatte. Da ging das Telefon. „Pronto“, sagte Berlusconi. „Wie ich sehe, redet Ihr gerade über mich.“ Und deshalb wollte der Ministerpräsident mal eben in der Sendung klarstellen, dass 1.) seine Mannschaft stets mit zwei Stürmern zu spielen habe und nicht nur mit einem wie in der unrühmlichen ersten Halbzeit gegen Inter. Dass 2.) er als Präsident, „der mehr gewonnen hat als irgendein anderer in Italien, in Europa und der Welt“ befugt sei, seinem Trainer öffentlich Anweisungen zu geben, weil nämlich 3.) „ich hier die Schecks ausstelle“. Es sei eben, sagte Medienzar Berlusconi, der neben den drei großen Buchverlagen auch noch einen bedeutenden Zeitschriftenverlag und die Tageszeitung Il Giornale besitzt, wie im richtigen Arbeitsleben: „Die Redakteure machen das Spiel, aber der Verleger gibt die Linie vor.“ Milan, erregte sich der erste Tifoso Italiens am Telefon, sei eine Mannschaft „wie Real Madrid, die muss immer nach vorne gehen, immer attackieren“. Forza Milan, Forza Italia. Aber gegen den Meisterschaftsrivalen AS Rom habe man doch nur mit einem Stürmer gewonnen, wagte jemand aus dem Studio zaghaft einzuwerfen. Es gehe ums Image, wurde er prompt abgebügelt. Immerhin hatten die verdatterten Journalisten, darunter ein Abgesandter von Il Giornale, es mit einem Mann zu tun, der Papst Johannes Paul II. das Bonmot serviert hat: „Wir exportieren beide eine siegreiche Idee in die Welt, Heiliger Vater.““

Peter Hartmann (NZZ 24.2.) ergänzt: „Der Adressat seiner Botschaft war nicht der Trainer. Der Image-Virtuose Berlusconi inszenierte seine Polemik vor grossem Publikum, weil er, nicht Milan, Punkte braucht: Seine Popularitätswerte haben den Sinkflug angetreten, im Juni steht die Europawahl an, und die Kommunalbehörden werden erneuert. Die gelähmten, geschmeichelten Sport-Moderatoren wagten den Werbespot des „Cavaliere“ kaum mit Fragen zu stören. Erst nach dem Einwurf des Kommentators Boniek (der Pole, der früher für Juventus und die AS Roma, aber nie für Milan spielte): „Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit“, verabschiedete sich Berlusconi aus der Leitung. Aus dem Off meldete sich eine dunkle, vor Erregung bebende Frauenstimme, vom Dreizentnermann Giampiero Galeazzi geistesgegenwärtig als „grosse Tifosa der AS Roma“ begrüsst: Lucia Annunziata, die oberste Chefin. Doch die Anruferin sprach sogleich Klartext: „Ich bin nicht Anhängerin von irgendeiner Squadra, sondern spreche als Präsidentin der RAI. Ich garantiere für die Ausgeglichenheit des Service public und auch für eure Löhne. Und ich benutze jetzt das gleiche Medium wie zuvor Berlusconi, um dem Ministerpräsidenten zu sagen, dass er sich besser aus unpolitischen Sendungen heraushält. „Lassen Sie die RAI in Ruhe, per favore, Presidente.“ Fast alle Trainer, die unter Berlusconi gearbeitet haben, Liedholm, Sacchi, Capello, Zaccheroni, erinnern sich an personelle Einflüsterungen (die sie diplomatisch überhört oder vergessen haben). Aber fatale Folgen hatte nur eine Intervention: als der Oberexperte im Jahre 2000 nach der EM-Finalniederlage Italiens gegen Frankreich den Commissario tecnico Dino Zoff einen „Versager“ nannte, weil er Zidane nicht durch den Milan- Wadenbeisser Gattuso bewachen liess. Zoff trat beleidigt zurück.“

« spätere Artikelfrühere Artikel »
  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

102 queries. 1,433 seconds.