indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

Schlagabtäusche

Angesichts verbaler Schlagabtäusche zwischen den beiden Managern blickt Martin Pütter (NZZ15.4.) auf das morgige Spitzenspiel der Premier League. „Für das Spiel zwischen den beiden führenden Klubs des englischen Fussballs ist zweierlei zu erwarten: einerseits eine hart umkämpfte, für die Zuschauer wenig attraktive Partie und andererseits ein weiteres Ansteigen des „Psychokrieges“ zwischen den beiden Trainern Arsène Wenger und Alex Ferguson. Gerade der Schotte scheint es zu lieben, Rivalitäten durch Sticheleien anzuheizen. Mitverantwortlich dafür ist sein wohl prominentestes Opfer. Im April 1996 war Kevin Keegan, damals noch Trainer von Newcastle United, während eines Live-Interviews am Fernsehen von der Rolle geraten. Ferguson hatte in den Wochen zuvor geunkt, dass sich die Konkurrenz in der Premier League gegen Manchester United mehr anstrenge als gegen Newcastle United; das Team hatte Anfang Januar zwölf Punkte Vorsprung vor ManU gehabt. Mit seinem Emotionsausbruch am Fernsehen verloren sowohl Keegan als auch seine Spieler den Faden, und Manchester United gewann am Ende der Saison die Meisterschaft. In Herbst jenes Jahres kam jedoch ein Mann in den englischen Fussball, der dem Schotten in dieser Hinsicht nicht nur das Wasser reichen konnte, sondern ihn auch einige Male dabei übertrumpfte: Arsène Wenger wurde Trainer bei Arsenal, und besonders in der Saison 97/98 sowie letzte Saison, als den Londonern jeweils das Double gelang, lief Fergusons Kopf nach Sticheleien des Elsässers noch roter an, als er es ohnehin schon manchmal ist (…) Nun stacheln sich Wenger und Ferguson vor dem Spitzenspiel am Mittwoch wieder gegenseitig an. Arroganz und Triumphalismus wirft der Schotte den Londonern vor – Wenger betrachtet den Trainer des Gegners als nervös. Der Verlierer bei diesem unnötigen Wortkrieg ist der einfache Fan. Die Spieler der beiden rivalisierenden Klubs sind nur noch mehr aufgeheizt durch diesen „Psychokrieg“ ihrer Trainer. Letzte Woche sagte Arsenals Captain Viera, dass er Real Madrids Lektion für Manchester United richtig genossen habe.“

Vom vergangenen Wochenende

Newcastle United vs. Manchester United 2 – 6

Einen denkwürdigen Nachmittag erlebten die Besucher des St. James´ Park zu Newcastle, nachdem im Duell der Meisterschaftsanwärter ManU den Magpies eine klassische Lektion erteilte. Nachdem sich ManU durch die frühe Führung Newcastles in der 21. Minute so richtig herausgefordert fühlte, erzielten die Red Devils bis zum Pausentee vier Tore, in der 52. und 58 Minute dann die restlichen zwei Tore. Newcastle kam zum „Ehrentreffer“ erst in der 89. Minute. Dieses Spiel zeigte auf beeindruckende Art und Weise, weshalb gerade die englische Liga solch packenden Fußball bietet: Hätten Teams anderer europäischen Ligen nach einer 4:1 Halbzeitführung mehr als nur einen Gang zurück geschalten und Ergebnissicherung in den Vordergrund gestellt, spielen Teams von der Insel stets mit offenem Visier. Das ist Fußball, wie ihn das Auditorium sehen will, auch wenn Newcastle Fans dem sicherlich nicht zustimmen werden.

Blackburn Rovers vs. Charlton Athletic 1 – 0

Eine Traumquote von 19 Punkten aus acht Spielen erzielten die Rover aus Blackburn und sind nun mit 52 Punkten und Platz sieben ganz dicht dran, an den internationalen Fleischtöpfen. Blackburn, das derzeit von Greame Souness gemanaged wird, ist vielen noch aus den Neunzigern in Bester Erinnerung: Nachdem 93/94 die Vizemeisterschaft eingefahren wurde, holte man 94/95 gar den Meistertitel ins kleine Blackburn, das Nordwestlich von Manchester liegt. Der tiefe Fall folgte dann in der Saison 97/98, als man den bitteren Gang in die First Division antreten musste. Seit der Saison 2001/2002 sind die Rovers allerdings wieder zurück in der Premier League und scheinen da auch endgültig bleiben zu wollen.

FA Cup

Die Clubs der Premier League Arsenal London und FC Southampton stellten vergangenes Wochenende die Gegner für die beiden First Divisionäre Sheffield United und FC Watford. Die Höherklassigen errangen allerdings nur knappe Siege: Arsenal bezwang Sheffield United mit 1:0, Southampton Watford mit 2:1. Dem FC Watford steht im übrigen Elton John als Ehrenvorsitzender vor. Der FA Cup ist neben dem Worthington Cup der weitaus bedeutendere Pokalwettbewerb auf der Insel. Den ersten Cup Gewinner stellten 1872 „The Wanderers“, die mit insgesamt fünf Siegen immer noch unter den Top Ten der ewigen Bestenliste vertreten sind. ManU konnte den Cup bereits zehn Mal, Arsenal und Tottenham immerhin acht Mal und Aston Villa sieben Mal gewinnen. Finalist Southampton konnte den Cup nur 1976 an die englische Südküste holen. Von 1923 bis ins Jahr 2000 wurde das Finale jeweils im Londoner Wembley Stadion ausgetragen, seit den Bauarbeiten am Wembley Stadion finden die Finals im Millennium Stadium, im walisischen Cardiff statt. Als besondere Leistung gilt, vergleichbar zu Deutschland, das Double, d.h. der Gewinn der Meisterschaft und des FA Cups in einer Saison; dieses Kunststück gelang bisher 10 Mal. Neben Preston North End als erster Double Gewinner holten Arsenal viermal und ManU dreimal den Cup und die Meisterschaft in einer Saison. Mit Arsenal London steht auch diesmal ein Team im Endspiel, das auch noch reelle Chancen auf die Meisterschaft besitzt. Doch der Schotte Gordon Strachan, Manager der Saints, wird alles versuchen, dem zweiten Double der Gunners in Folge einen Strich durch die Rechnung zu machen. Das Finale am 17. Mai, 3 p.m. kick off, verspricht also Hochspannung.

Gewinnspiel für Experten

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VfB Stuttgart will den wirtschaftlichen Rang seinem sportlichen angleichen – Portrait Gianluca Zambrotta (Juventus Turin) u.v.m.

Heute ist Stuttgart einer der reichsten Vereine in Deutschland

„Mit neuem Markenbewußtsein will der VfB Stuttgart zu einem Profitcenter des Profifußballs werden“, teilt Michael Horeni (FAZ 9.12.) mit: “Bei Manchester United sind die Schwaben genau an der richtigen Adresse. Wenn die jugendlichen Aufsteiger gegen den Vertreter des britischen Establishments antreten, wird es nicht nur den Fußballfans warm ums Herz. Auch die Finanz- und Marketingfachleute aus dem Schwabenland geraten ins Schwärmen, wenn sie in dieser Woche ihre großen Ziele erreichen – zumindest geographisch. Erst der Besuch bei ManU, der profitabelsten Fußballmarke der Europaliga – und vier Tage später der Auftritt bei der europäischen Finanznummer zwei, dem nationalen Primus, dem FC Bayern München. Die globale Footballfirma spielt zwar weiterhin in einer anderen Liga als der VfB, aber in der Bundesliga scheut Erwin Staudt, der hauptamtliche Präsident der Stuttgarter und frühere IBM-Manager, schon keinen Vergleich mehr: Der FC Bayern ist in Deutschland der Frontrunner. Aber ich sehe die Chance, daß wir uns in diese Richtung entwickeln können. Von ManU und dem FCB lernen, heißt eben nicht nur siegen lernen. Sondern auch Gewinne machen (…) In der vergangenen Woche hat sich der vor einem Jahr entlassene Manager Rolf Rüssmann zu Wort gemeldet, und die finanzielle Lage des Klubs weit rosiger beschrieben als es die schwäbischen Kaufleute je tun würden. Heute ist Stuttgart einer der reichsten Vereine in Deutschland. Daß sich der VfB wirtschaftlich schwächer darstelle, als er sei, mag Staudt nicht allzu heftig dementieren. Auf uns kann man sich verlassen, sagt der Präsident zu der nicht nur von Rüssmann herumgereichten Einschätzung. Sie handelten im Vorstand und Aufsichtsrat als verantwortliche Kaufleute, sagt Staudt. Die Ziele jedenfalls sind ehrgeizig. Ganz im Stil der Wachstumsraten von Manchester United in den neunziger Jahren rechnet Staudt damit, daß in den kommenden zehn Jahren der Umsatz per annum stets um zehn Prozent steigt. Zumindest an den vier betriebswirtschaftlichen Stellschrauben, an denen der VfB unabhängig drehen kann, um sportlich weiter das große Rad zu bewegen: Mitglieder, Zuschauereinnahmen, Merchandising und Sponsoren. Der Boom bei den Mitgliedern jedenfalls ist schon jetzt offensichtlich. Seit Juni ist der VfB von 7700 auf über 13000 Mitglieder gewachsen.“

Oliver Trust (Handelsblatt 9.12.) ergänzt: “ Es ist ein leichter Anflug von Panik, der sich in den Gesichtern der Frauen und Männer des Fanshops gleich neben der Klubzentrale des VfB Stuttgart widerspiegelt. Der Laden ist voll, die Regale sind leer, die Euro rollen. Der Shopleiter grinst die Mitarbeiter regelmäßig kurz vor der Mittagspause flehentlich an, und dann wissen sie alle, dass das Mittagessen mit Käsespätzle und Salat in der Vereinsgaststätte um die Ecke ausfallen muss. Das Weihnachtsgeschäft, die Fußball-Champions-League, die Euphorie, dies alles zahlt sich jetzt auch im Fanshop finanziell aus. Der Umsatz, hat der Chef des Ladens verkündet, hat sich verglichen zum Vorjahr bereits verdoppelt. Beim VfB Stuttgart nehmen sie zurzeit viel mehr Geld ein, als sie zu Saisonbeginn erwartet hatten. Der Klub will die Hochphase weitgehend zur Entschuldung nutzen. Vereinspräsident Erwin Staudt bastelt an einer Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung in eine Kapitalgesellschaft und sucht dafür noch „drei bis vier Premiumpartner“. Die 16,6 Millionen Schulden des Vereins sollen in das neue Gebilde einfließen. Noch zögern mögliche Kandidaten, aber Staudt sagt: „Ich bin guter Dinge, dass sich das spätestens im Frühjahr ändert.““

Jürgen Rooss (SZ 9.12.) schildert die Strategie Felix Magaths: „Felix Magath wirkte ein bisschen müde, als er am späten Sonntagabend noch einmal ins Fernsehstudio des Südwestrundfunks in Stuttgart kam. Die Frisur saß nicht perfekt, die Krawatte auch nicht. Ein wenig rastlos schien der Teammanager des VfB Stuttgart zu sein, aber auf keinen Fall ruhelos. Denn seine Sätze saßen. Wie immer. Es war einer jener Auftritte, nach denen man sich wieder fragen durfte, ob der Schachspieler Magath ein Naturtalent in strategischem Denken ist, oder ob er ein Managertraining mit Auszeichnung absolviert hat. Denn irgendwann muss Magath gemerkt haben, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, hinaus zu gehen, um Ruhe und Optimismus zu predigen. Und das wiederum könnte – strategisch betrachtet – ein untrügliches Zeichen dafür sein, dass der VfB die kritischste Phase dieser Saison durchmacht. „Wir haben 35 Punkte und sind Tabellenführer“, sagte Magath entschieden. Und dass er mit dem bisher Geleisteten mehr als zufrieden sei. Von drei sieglosen Spielen, das machte er deutlich, will sich Felix Magath nicht aus der Ruhe bringen lassen. Der Teammanager kümmerte sich also bis spät in die Nacht hinein um die Beruhigung der Heimatfront, um dann nach wenigen Stunden Schlaf am Montagfrüh mit dem VfB-Tross in Richtung Manchester aufzubrechen. Dort wartet am Dienstag nach dem Pokal-K.o. in Mönchengladbach und den torlosen Partien in der Liga gegen Bochum und Hamburg endlich wieder ein großes Spiel. Für den zum Optimismus berufenen Magath eine kleine Erlösung nach einer tristen Woche, in der sich gezeigt hat, dass seiner jungen Mannschaft die Favoritenrolle nicht ganz so schmeckt. Ihre berauschendsten Spiele haben die jungen Wilden vom VfB Stuttgart immer dann abgeliefert, wenn sie der Außenseiter waren – zum Beispiel beim 2:1-Hinspielsieg.“

Kalkulierte Eigenschaftslosigkeit

Wolfram Eilenberger (Tsp 9.12.): „Bereits der Name fordert Ehrfurcht ein. Zambrotta. Das klingt nobel, entschlossen, kühl – und nicht zuletzt nach Schmerzen. Es klingt nach allem, wofür italienischer Fußball bei uns bewundert und gefürchtet wird. Es klingt nach Juventus Turin. Das trifft sich prächtig. In seltener Reinheit verkörpert das Spiel von Gianluca Zambrotta jene Eigenheiten, die seine Turiner auch dieses Jahr zum Titelfavoriten der Champions League machen. Ohne ästhetische Einbußen verfolgt der Verein ein Ideal rein effizienzorientierter Flexibilität, dem sämtliche Beteiligte unterworfen bleiben. In keiner Mannschaft wird das Rotationsprinzip konsequenter angewandt. Jeder Star und jeder Spieler weiß sich unter Trainer Lippi als austauschbar. Und wie sich der Klassekader jeweils auf dem Platz präsentiert – ob als frustrierend vollendete Abwehrorganisation oder mit flüssigst vorgetragenem Angriffsfußball – , hängt allein davon ab, welches Resultat gerade gemäß erscheint. Positiv beschrieben, verlangt diese kalkulierte Eigenschaftslosigkeit nach Spielern von einzigartiger Wandlungskraft und Qualität, nach echten Charakteren. Nach Typen wie dem Tschechen Pavel Nedved oder eben Turins zweiter Schlüsselkraft, Gianluca Zambrotta. Spätestens mit der letzten Saison stieß er auf der linken Außenbahn in die Weltspitze vor. Seine Auftritte als linker Verteidiger gehörten zu den großen Ereignissen des Jahres und führten nun zu einer berechtigten Nominierung für die Wahl zum Weltfußballer. Dabei herrscht auf seiner Position kein Qualitätsmangel. Paolo Maldini, Bixente Lizarazu und Roberto Carlos spielen schließlich noch. In fast unheimlicher Weise verbinden sich in dem 27-jährigen Turiner die Stärken seiner drei alternden Kollegen. Maldinis reduzierte Souveränität, Lizarazus unbedingte Widerständigkeit sowie der prall beschenkelte Vorwärtsdrang von Roberto Carlos – das alles bringt Zambrotta mit in sein Spiel. Dass der elegante Allrounder von Turin ursprünglich als rechter Mittelfeldspieler erworben wurde, lässt sich dabei kaum fassen, liefert aber die beste Veranschaulichung für die permanente Erneuerungsideologie der „alten Dame“ Juve.“

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Hitzfeld-Biografie verrät spannende Details – Häßler vor Karriereende?

Hitzfeld-Biografie verrät spannende Details – Häßler vor Karriereende? (mehr …)

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Rüssmann entlassen, Kahn in Spanien, Baisse in Leeds

Rüssmann entlassen – Ozeanien mit festem WM-Startplatz – Homosexualität und Fußball – Kahn in Spanien – Baisse in Leeds – Quadratschädel (mehr …)

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Bayrische Tiekfühlkost, fußballästhetische Ambitionen

Bayrische Tiefkühlkost, fußballästhetische Ambitionen, Erfolgsdenken, Ehrfurcht: Bayern, Bayer und die Bundesliga (mehr …)

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Leistungen der Chinesen und der Mannschaft aus Saudi-Arabien

Zu den Leistungen der Chinesen und der Mannschaft aus Saudi-Arabien heißt es in der NZZ (14.6.). „Sollten in Zukunft wieder Stimmen erhoben werden, den Asiaten mehr Plätze an einer WM-Endrunde zu gewähren, dürfte mit Hinweis auf diese desaströse Bilanzen (0 Punkte in 6 Spielen bei 21 Gegentreffern) eine allfällige Debatte im Keime erstickt werden.“

Zum Medienboykott, den sich die türkische Mannschaft nach heftiger Kritik auferlegt hat, bemerkt Ralf Wiegand (SZ 14.6.). „Schon komisch: Da hatten die türkischen Fußballer den größtenErfolg ihrer Auswahl-Geschichte errungen und bei der zweiten WM-Teilnahme gleich das Achtelfinale erreicht, und dann wollten sie nicht darüber reden? Nicht erklären, was sie empfanden, als sie schon Minuten vor dem Schlusspfiff beim 3:0 gegen China sich Arm in Arm vor der Bank aufreihten wie einst die Brasilianer 1994 im Finale gegen Italien? Nicht erzählen, wie sie im riesigen Stadion alle aufgehängten roten Fahnen abklapperten, weil sie glaubten, dahinter stünden türkische Fans, aber auf der Gegentribüne plötzlich niemand zurückjubelte, weil dort Chinesen saßen und von den Türken für Landsleute gehalten wurden? Kein bisschen eine Legende stricken, die eigene, nach 48 Jahren WM-Pause?“

Mark Schilling (NZZ 14.6.) beleuchtet das Scouting-System der Türken, das der ehemalige Bundesliga-Profi Erdal Keser initiierte. „In der derzeitigen Auswahl am World Cup befinden sich bereits vier Spieler, die in Deutschland aufgewachsen sind (Yildiray Bastürk, Ilhan Mansiz, Umit Davala, Tayfur Havutcu), und ein „Engländer“ Mustafa Izzet; Letzterer ist gar der türkischen Sprache nicht mächtig. Er, Keser, könne sich gut vorstellen, dass diese Zahl noch wachse. Dass mitunter ein Spannungsfeld entstehen könne zwischen diesen außerhalb der Türkei aufgewachsenen Spielern und den „echten“ Türken will Keser nicht verneinen. Mansiz beispielsweise, der einer Gastarbeiterfamilie entspringt, die in den sechziger Jahren nach Deutschland ausgewandert war, weiß von erheblichen Schwierigkeiten zu berichten, als er 1995 zu Genclerbirgli wechselte. Der heutige Besiktas-Stürmer hatte damals zu sehr vielen Dingen den Zugang nicht gefunden, und die Assimilation verlief nicht nur reibungslos.“

Gewinnspiel für Experten

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2:0 gegen Polen

Mit zwei Paukenschlägen sind gestern die beiden Gastgeber in das Turnier eingestiegen. Südkorea gelang bei seiner insgesamt sechsten (und fünften in Folge) Endrundenteilnahme endlich der erste WM-Sieg und „bot beim 2:0 gegen Polen die beste Leistung, die je eine asiatische Mannschaft bei einer WM gezeigt hat“, meint die FR. „Hiddinks persönlicher Marshallplan“ ging auf, spielt die NZZ auf die akribische, schweißtreibende und bienenfleißige Vorbereitung des niederländischen Nationaltrainers an. Japan erreichte gegen Belgien immerhin ein 2:2-Unentschieden und war dem Sieg am Ende näher als die favorisierten Europäer. Insbesondere das leidenschaftliche und mutige Auftreten Nippons in einer dramatischen zweiten Halbzeit hat die globale Fußballöffentlichkeit überrascht. „Offenbar funktionieren die japanischen Fußballer ähnlich wie die Autos, die sie exportieren. Nur mit Vollgas laufen sie richtig“, kommentiert der Berliner Tagesspiegel die japanische Spielweise.

Doch das eigentlich Erstaunliche war die Atmosphäre unter den heimischen Zuschauern, die – Zeugenaussagen zufolge – die beiden Stadien in Busan und Saitama in Hexenkessel verwandelt haben und ihre Teams unaufhörlich nach vorne peitschten. Von Südkorea konnte man das erwarten. „45 Millionen Südkoreaner haben tagelang gehofft, gebangt und gezittert – und am Dienstag endlich feiern dürfen“, schreibt die FAZ dazu. Die SZ meint: „Die Stimmung auf den Rängen wirkte wie mit ihrer besonderen Mischung aus Massenekstase und straffer Organisation so, als ob der nordkoreanische Parteitag diesmal in Neapel stattfinden würde.“ Dahingegen hat die japanische Fußballbegeisterung uns eine freudige Überraschung bereitet. „Ein rundum geglückter Beginn also, der der allgemeinen Stimmung im Turnier nur gut tun kann.“ Diesem Schluss der NZZ ist zuzustimmen, zumal beide Ausrichternationen ihre Chancen auf ein längeres Verweilen im Turniergeschehen erhöht haben.

Außerdem: China ist eine Nummer zu klein, Debatten um Schiedsrichter und Schauspieler und vor dem Spiel der Deutschen gegen die Iren.

Pressestimmen zum Spiel Japan-Belgien (2:2)

Pressestimmen zum Spiel Südkorea-Polen (2:0)

Pressestimmen zum Spiel China-Costa Rica (0:2)

Philipp Selldorf (SZ 5.6.) relativiert die „Lobeshymnen“ eines Großteils der Weltpresse auf die deutschen Spieler. „Plötzlich, so soll man nun glauben, hat Deutschland wieder Weltklassespieler en gros: den „Seiltänzer“ und „Hattrick-Hero“ Klose, den Strategen Hamann, das Genie Ballack und, sowieso, den unheimlichen „King Kahn“. Alte Zeiten und militärische Klischees werden wach, und in der ausländischen Presse wird das „Brüllen der Panzer“ wieder laut (…) Inzwischen ist auch Franz Beckenbauer im Quartier auf der Insel Kyushu eingetroffen. Sein Wort gilt aus Gründen einer eigendynamisch funktionierenden und sinnfrei orientierten Medienmaschinerie selbst dann als erkenntnisbildend, wenn er zwischen zwei Golfpartien innerhalb von dreieinhalb Minuten komplett widerstreitende Ansichten formuliert. Beckenbauer kann nicht mal was dafür: Es ist die unsichere Sache Fußball, die zwei Wahrheiten für denselben Sachverhalt zulässt. Einerseits also weist er darauf hin, dass der Triumph einem wehrlosen Gegner zu verdanken war („Ich weiß gar nicht, warum sich alle so aufregen“), andererseits erklärt er: „Aber wenn die ihre Ordnung und Bewegung beibehalten, hast du auch gegen Brasilien und Argentinien wenig Probleme.“ Brasilien. Argentinien. Wenig Probleme. Genau.“

Peter Heß (FAZ 5.6.) über einen deutschen Leistungs- und Hoffnungsträger. „Dietmar Hamann fällt den Laien im Publikum nur selten auf. Seine Rolle besteht darin, unspektakuläre Dinge zu tun, damit spektakuläre Angriffe des Gegners ausbleiben. Wenn sich die Innenverteidiger über mangelnde Arbeit beklagen, hat Hamann als defensiver Mittelfeldspieler seine Aufgabe erfüllt. Das geschieht nicht zwangsweise dadurch, dass der Schlaks den Ball erobert – obwohl ein abgefangener Pass und ein gewonnener Zweikampf natürlich den Idealfall darstellen. Aber oft ist es genauso wichtig, nur im Weg zu sein, das Tempo aus des Gegners Spiel zu nehmen, so dass sich die Abwehr formieren kann. Hamann beherrscht alle Nuancen.“

Ronald Reng (FR 5.6.) erwartet heute irische Tugenden. „Ihr Auftritt an diesem Mittwoch wird eine Feldstudie der Sportpsychologie: Wie lange kann eine Elf aus widrigen Umständen ihre Kraft schöpfen ? Der aufgestaute Frust aus der Keane-Affäre entlud sich in der zweiten Halbzeit gegen Kamerun in einem mitreißenden Angriffsspiel. Eine Mannschaft spielte sich frei. Doch objektiv gesehen ist dieses Irland ohne Keane eigentlich nicht gut genug, über mehrere Wochen solche Qualitätsproben abzuliefern. Andererseits macht die Elf schon seit zwei Jahren nichts anderes, als über sich hinauszuwachsen.“

Bernhard Heimrich (FAZ 5.6.) über die Bedeutung des ehemaligen Nationaltrainers für das Land Irland. „Jack Charlton ist für Irland, was Sepp Herberger für Deutschland war. Charltons irische Verehrer rühmen, die Erfolge seiner Männer hätten mehr dazu beigetragen, die Welt mit Irland bekannt zu machen, als tausend historische Essays oder eine Million politische Reden.“

In Nordkorea wird die WM fast nicht wahrgenommen. Die NZZ (5.6.) dazu. „Zum einen ist ein World Cup eben nicht nur eine Leistungsschau des beliebtesten Sportes in Nordkorea, sondern auch eine Plattform des Kommerzes, und zudem ist diese Kontaminierung des Gedankengutes noch verwerflicher, wenn sie aus Südkorea kommt. Die hermetische Abriegelung ist nun aber gemäss diversen südkoreanischen Medienberichten (ein wenig) durchbrochen worden. Nachdem die nordkoreanische staatliche Fernsehanstalt bereits am Samstag eine 40-minütige Zusammenfassung vom Eröffnungsspiel Frankreich – Senegal gezeigt hatte, wurden am Sonntagabend nach den Zehn-Uhr-Nachrichten ebenfalls 40 Minuten von der zweiten Halbzeit von Irland – Kamerun ausgestrahlt. Die Bilder sollen von Tapes stammen, die irgendwie den Weg nach Pjongjang gefunden haben. In den südkoreanischen Zeitungen wurde dabei die Auswahl gerade dieser Partien dahingehend interpretiert, dass die beiden afrikanischen Verbände nicht in die Weltpolitik verstrickt sind.“

Schiedsrichterdiskussionen gehören bedauerlicherweise zum Fußballalltag. Michael Horeni (FAZ 5.6.) kommentiert die Debatte um den ob seiner Spielleitung (Brasilien gegen Türkei) in die Schlagzeilen geratenen südkoreanischen Referee Kim Young-joo. „Nicht das Gefühl, sondern die Erfahrung sagt, dass die Beschwerden – Franz Beckenbauer forderte gar den sofortigem Rauswurf – gegenüber Schiedsrichtern aus Südkorea, Benin oder der Arabischen Halbinsel eben erst begonnen haben. Das wird sich auch so lange nicht ändern, wie die Fifa glaubt, mit der bunten Auswahl von Unparteiischen aus allen Ländern noch ein bisschen Folklore in einer ansonsten brutal kommerzialisierten WM treiben zu können. Gerade in dieser sportlichen Frage ist nicht Fingerspitzengefühl gefragt, sondern Wettbewerb.“

Philipp Selldorf (SZ 5.6.) über den Fall Rivaldo, dem wegen einer Schauspieleinlage eine Sperre droht. „In den letzten Jahren konnte man entdecken, wie sich, anders als sonst wo in der Welt, auf dem Fußballplatz ein minimaler Konsens der Fairness entwickelt hat. Man hat bei dieser WM gesehen, dass die Spieler aus Uruguay nicht mehr die brachial zutretenden „Urus“ sind; Italiener haben sich längst abgewöhnt, dem Gegner, den sie gerade umgenietet haben, mit der einen Hand auf die Beine zu helfen und mit der anderen böse in den Unterleib zu kneifen; Kroaten und Spanier fallen nicht mehr um, wenn sie in kleine Raufereien verwickelt werden. Sie wissen: Sie machen sich lächerlich. Nur Rivaldo, der begnadete Fußballer und miserable Lügner, stürzt sich zu Boden, wenn ihn ein Bällchen trifft. Und er schämt sich nicht mal dafür, sondern rechtfertigt sich damit, dass er eine Strafe für seinen Gegner provozieren wollte. Ein trauriger Fall.“

TV-Konsument Michael Hanfeld (FAZ 4.6.) meldet. „Wo in der ARD vor allem Gerhard Delling und Günter Netzer vor furioser Fußballkulisse mit acht Toren farblos wie zwei Staubsaugerverkäufer herumstehen, die in der Halbzeit gerade mal ein Tor zeigen können, damit sie den Rest mit Werbung für ihre sonstigen Produkte vollpumpen können, da beweisen Breitner und Welke, dass Fußball zwar die wichtigste, aber selbst bei einer Weltmeisterschaft wie dieser immer noch nicht bis ins Letzte ernstzunehmende Nebensache in dieser Welt ist. Oliver Welke – soviel lässt sich nach dem WM-Auftakt schon sagen – wird zum Miroslav Klose unter den hiesigen Moderatoren avancieren. Er ist kompetent, er ist witzig, er ist schlagfertig, er ist unterhaltsam, und allein deswegen ist er eine Ausnahmeerscheinung unter den Sportmoderatoren. Wir sind fast geneigt, ihm Kultpotenzial zu unterstellen.“

„Nationalhymnen sind selten Höhepunkte des lyrischen Schaffens eines Volkes. Schwülstig und hochtrabend tönen sie von der Größe der Eigenen und den Schwächen der anderen“, schreibt Thomas Götz (Berliner Zeitung 3.6.) über die italienische Hymne. „Vom Blut der Italiener und Polen geht der Gesang, Blut, das der „Adler Österreichs trank“, bis es ihm „das Herz verbrannte“. „Wir sind bereit zu sterben!“, hämmert der Refrain dem Hörer ein, „Italien hat uns gerufen“. Der Verfasser starb zwei Jahre nach der Niederschrift im Kampf um Rom. Dass die meisten Italiener seinen Text nicht beherrschen, und, wo sie ihn mitsingen können, nicht verstehen, könnte ja noch hingehen. Zum Skandal aber wird die Sache jedes Mal, wenn die Nationalelf auf dem Rasen steht. Die Männer pflegen dann zu den Klängen ihrer Hymne Kaugummi zu kauen oder mit verschlossenem Mund verbohrt ins Unendliche zu starren.“

Tunesien

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Überraschungserfolg von Rehhagels Griechen

In der FAZ (10.6.) lesen wir über den Überraschungserfolg von Rehhagels Griechen in Spanien. „Rehhagel hat es nach anfänglichen Schwierigkeiten geschafft, auch den Griechen sein beim SV Werder Bremen und beim 1. FC Kaiserslautern gepredigtes Kollektivverhalten beizubringen: Wir haben jetzt ein Teamwork aufgebaut, beschrieb der Essener seine bewährte Rezeptur mit diesmal griechischen Zutaten, außerdem verfügt meine Mannschaft durch einige im Ausland tätige Spieler, aber auch durch die Champions League (an der Meister Olympiakos Piräus regelmäßig teilnimmt) über genügend internationale Erfahrung. Das macht sich bezahlt. Daß nach dem Schlußpfiff fast alle Spieler auf ihren deutschen Trainer zustürmten und König Otto umarmten, war ein Indiz für den neuen Zusammenhalt in einem früher undisziplinierten Team. Die griechischen Zeitungen und Fernsehanstalten jedenfalls feierten am Samstag den Mann, den sie noch vor ein paar Wochen am liebsten schnell losgeworden wären. Sporttime bezeichnete Rehhagels Team als blaue Stiere, denen ein mythischer Sieg in Spanien gelungen sei. Rehhagel sprach lieber von einem strategischen Sieg, da seine Arbeit mit der griechischen Nationalmannschaft ein Langzeitprojekt sei.“

Sein Auftreten war eine Schweinerei

Roland Zorn (FAZ 10.6.) berichtet von Schiedsrichterdiskussionen in der Schweiz. „Arturo Dauden Ibanez zögerte lange, ehe er seinen Tatort endlich verließ. Der spanische Schiedsrichter wartete auf den besten Moment, dem Zorn des Basler Publikums einigermaßen unbeschadet zu entkommen. Drei Minuten nach dem Abpfiff des von ihm oft fehlgeleiteten Europameisterschafts-Qualifikationsspiels zwischen der Schweiz und Rußland erspähte der Mann im gelben Trikot seine Chance. Flankiert von kräftig gebauten Bodyguards, spurtete der auf dem Platz wagemutigere Unparteiische in den Spielertunnel, nicht ohne die Zuschauer noch ein letztes Mal aufzuwiegeln. Er hat mit einer Effenberg-Geste gezeigt, was er vom Schweizer Publikum und vom Schweizer Volk hält, schimpfte der im Ruf eines besonnenen Mannes stehende schweizerische Trainer Jakob (Köbi) Kuhn auf Ibanez, sein Auftreten war eine Schweinerei. Starke Worte nach einem streckenweise starken Auftritt der Schweizer, dem aus der Sicht der Eidgenossen Ibanez mehr noch als die Russen im Wege stand. Stop, Schwyz, statt: hop, Schwyz? Besonders ein Pfiff des manchmal allzu russophil anmutenden Schiedsrichters war es, der die vorher schon erhitzten Gemüter vollends in Wallung brachte. Raphael Wicky, der in der Bundesliga beim Hamburger SV sein Geld verdient, hatte nach einem Eckball seinen Gegenspieler Igor Janowski zu Boden gerissen. So eine Rangelei, sagte der schweizerische Mittelfeldspieler später mit Unschuldsblick, pfeift normalerweise kein Schiedsrichter ab. Ibanez aber tat es – und das, wie sich nach Ansicht der Fernsehbilder zeigte, nicht zu Unrecht. Der Foulelfmeter, den Ignatschewitsch anschließend zum 2:2-Endstand nutzte, machte aus dem vermeintlichen Tag der Freude in Rot-Weiß endgültig einen Tag des Frusts. Verspielt war ein früher 2:0-Vorsprung.“

Felix Reidhaar (NZZ 10.6.) relativiert. „Fast exakt zehn Jahre ist es her, seit dieSchweizer Fussballnationalmannschaft unter Coach Roy Hodgson in Bern die Italiener 1:0 besiegte. Nach dem 2:2 im Hinspiel in Cagliari war dieser Erfolg die Grundlage für die spätere WM- Qualifikation – die erste nach 28 Jahren. Der Schwung des Turniers in den USA hatte der Auswahl auch zu einem glänzenden Kampagnenstart „EM 1996“ verholfen; abermals in Bern schlug sie im Spätherbst 1994 den WM-Vierten Schweden, einen Gegner, der jedoch traditionsgemäss in ihrer Reichweite liegt. Seither jedoch hat sich kein Schweizer Team mehr gegen eine höher eingestufte Mannschaft in einem Qualifikationsspiel auf eigenem Terrain durchsetzen können. In der letzten Ausscheidungsphase für die WM 2002 gingen die Spiele gegen Russland, Slowenien (beide unter der Leitung des Argentiniers Trossero) und Jugoslawien zu Hause verloren. Am Pfingstsamstag schaute nun gegen die russische Auswahl immerhin ein Punkt heraus; mit demselben 2:2-Ergebnis hatten die Vergleiche zwischen diesen beiden Verbänden 1966 an gleicher Stelle in Basel ihren Anfang genommen. Wenig fehlte diesmal allerdings, und die vielversprechend in die Euro-Qualifikation 2004 gestartete SFV-Auswahl hätte dank dem Schub eines begeisterten Anhangs die ungünstige Heimstatistik umgebogen. Dass es abermals nur knapp nicht dazu kam, hatte für einen Grossteil der extrem patriotisch gestimmten und emotionalisierten Zuschauer, für die Internationalen und ihre Leitung sowie für chauvinistische Medien (wovon es immer mehr gibt) vor allem einen Grund: den Schiedsrichter. Señor Daudén Ibáñez war bestimmt kein überragender Spielleiter. Mit seiner von allem Anfang an verbissenen Miene und seiner überheblich anmutenden Attitüde fand er in einem schwierig zu leitenden, weil sehr körperbetonten Match oft nicht das richtige Augenmass – vor allem aus Schweizer Sicht nicht. In der Tat entschied er oft, aber nicht immer (wie ihm unterschoben wurde) gegen die physisch unterlegenen Rotweissen, die mit ihren verständlichen Protesten und unter schrillem Gepfeife von der Galerie aber genau das Gegenteil bewirkten. Die aufgestauten Ressentiments des Spielleiters entluden sich u.a. in einem sehr strengen Penaltypfiff – und nach Spielschluss in einer unzweideutigen Geste an das Publikum, die – lässt sie sich mit TV-Bildern belegen – das Ende von Ibáñez‘ internationaler Karriere bedeuten müsste. Dennoch: verbale Reaktionen von Schweizer Internationalen und Coach vor überfallartig hingestreckten Mikrophonen („Betrug“) waren allenfalls mit der momentanen Aufgeregtheit zu entschuldigen – von Besonnenheit liess sich kaum einer leiten, auch Köbi Kuhn nicht. Dabei wird Wicky, einer der bis dahin eher überforderten Mittelfeldspieler, nach mehrfachem Studium des verlangsamten Fernsehbildes von der fraglichen Situation unweigerlich zur Erkenntnis gelangen, dass sein Kopfgriff gegen Janowski im Regelwerk nicht vorgesehen ist.“

Guthaben an Glück endgültig überzogen

Die NZZ (10.6.) berichtet den Sieg Irlands über Albanien. „Bis in die frühen Morgenstunden des Sonntags feierten die trinkfreudigen und lauten irischen Fans ihre Mannschaft, als wäre sie gerade Weltmeister geworden. Denn mit dem 2:1-Sieg gegen Albanien und dank dem Unentschieden der Schweiz gegen Russland kann die Auswahl der Republik Irland wieder aus eigener Kraft die Qualifikation für die Europameisterschaften in Portugal erreichen, nachdem im vergangenen Herbst der Start mit Niederlagen gegen Russland und die Schweiz gründlich misslungen war. Noch im Februar, als der Nachwuchstrainer Brian Kerr das Team vom glücklosen Mick McCarthy übernommen hatte, glaubte niemand an die Möglichkeit, dass sich der WM-Teilnehmer in Korea/Japan für die EM qualifizieren würde. Nach den Siegen gegen Albanien und Georgien sowie dem Unentschieden gegen Albanien auswärts sieht nun die Ausgangslage für Irland wieder günstiger aus. Die Ausgelassenheit in den Pubs von Dublin indessen hatte ihren Grund nicht nur in den wiedergewonnenen mathematischen Aussichten, sondern vielmehr im Gefühl der Erleichterung und Erlösung. Denn der Sieg gegen Albanien war eher einem Geschenk des Himmels denn fussballerischem Verdienst zu verdanken. Teammanager Brian Kerr stehe „im Bund mit dem da oben“, spielten Kommentatoren denn auch auf göttliche Kräfte an, während nüchternere Beobachter feststellten, dass die Iren ihr Guthaben an Glück nach diesem Spiel wohl endgültig überzogen hätten. Tatsächlich war ihre Leistung wenig dazu angetan, dass von einem verdienten Sieg gesprochen werden könnte.“

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Auslandsfußball

„Kotau vor der Macht“ (SZ): umstrittener Elfmeter für Real Madrid in der Nachspielzeit – die kritische Lage des Schweizer Vereinsfußballs – Vitesse Arnheim vor dem Abstieg? u.v.m.

Kotau vor der Macht

Peter Burghardt (SZ 17.2.) berichtet, dass Macht und Einfluss Real Madrids auf das Spiel wirken. „Sicher ist es nicht leicht, ein Fußballspiel unter Mitwirkung von Real Madrid zu leiten. Auf dem Platz stehen lauter hoch bezahlte Berühmtheiten, auf den Tribünen sitzen viele wichtige Menschen, und Pfiffe aus der Trillerpfeife werden leicht zum Politikum. Freunde des weißen Zauberensembles erwarten vom schwarzen Mann Respekt, ihre Feinde wittern hinter jedem zweiten Einfall des Schiedsrichters einen Kotau vor der Macht. So gesehen war es mutig, als ein Regelhüter vergangene Woche in Sevilla Reals genialen Regisseur Zinedine Zidane trotz heftiger Proteste kurzerhand vom Platz stellte, nachdem er einen Gegenspieler ins Gesicht geboxt hatte. Weniger mutig war sein Kollege am Sonntag im ausverkauften Bernabeu-Stadion: Er verfügte in letzter Minute einen Strafstoß für die Gastgeber, der ihnen im Spitzenspiel der spanischen Liga ein 1:1 gegen den FC Valencia und Platz eins in der Tabelle sicherte. Die weitgehend langweilige Partie vor 75 000 Zuschauern war fast vorbei, und die erste Heimniederlage seit Monaten kaum mehr abzuwenden, als Pedro Tristante aus Murcia nach anfänglichen Zweifeln auf Elfmeter für Real entschied. Das verblüffte nicht nur den Gegner, der im Falle dreier Punkte selbst Tabellenführer gewesen wäre. Valencias Verteidiger Carlos Marchena hatte Madrids Kapitän Raúl Gonzalez zwar beim Paso doble im Strafraum ein wenig mit Ellbogen und Fuß bearbeitet, allerdings sank Raúl überaus theatralisch zu Boden, um später zu erläutern, er habe sich keineswegs fallen gelassen. In 100 Spielen werde so etwas nie gepfiffen, klagte Valencias Trainer Rafael Benitez, ein mitgereister Reporter schlug ihm den Begriff „Überfall“ vor. „Wir sind empört“, meldete Täter Marchena. „Totaler Hohn“, schimpfte Präsident Jaime Orti. „Eine politische Entscheidung“, schloss Haudegen Amadeo Carboni. So entbrannte wieder ein landesweiter Glaubenskrieg um die Frage, welchen Einfluss Real Madrid auf die Herren besitzt, die unparteiisch sein sollen. Brisant war das Thema bereits nach Zidanes zweifelsfrei berechtigtem Feldverweis beim Pokal-Halbfinale in Sevilla geworden. Zunächst beschimpfte Madrids Manager Jorge Valdano (der Uli Hoeneß Spaniens, of) den Regelhüter im Kabinengang dermaßen, dass dem Vernehmen nach die Polizei eingreifen musste und der Verband 2000 Euro Geldstrafe verhängte. Valdano tue wie ein Menottista und benehme sich wie ein Bilardista, spottete Sevillas Trainer, er meinte den vermeintlichen Feingeist Menotti, dem Valdano nacheifert, und das überzeugte Raubein Bilardo, beide wie Valdano Argentinier. Sevillas Funktionäre wetterten, Real setze die Schiedsrichter systematisch unter Druck.“

Walter Haubrich (FAZ 17.2.) gähnt: „Ronaldo, sonst Reals treffsicherster Angreifer, traf den Nagel auf den Kopf, als er kurz nach elf Uhr nachts, als das Spiel gerade zu Ende war, sagte: Ich glaube, die Zuschauer haben sich sehr gelangweilt, und fügte augenzwinkernd hinzu: Ich habe in dem Spiel ja kaum einmal den Ball gesehen. Für seine eigene Langeweile ist Ronaldo vorwiegend selbst verantwortlich. Er bewegte sich noch gemächlicher als in anderen Spielen und vermied die Nähe zum Strafraum, von wo er sonst seine Sprints zum gegnerischen Tor zu starten pflegt. Für die Langeweile der Zuschauer, darf man in erster Linie den FC Valencia verantwortlich machen. Die Mannschaft, 2002 zum letzten Mal spanischer Meister und zwei Jahre zuvor Finalist der Champions League, ist wegen ihrer Vorliebe für defensiven Fußball in Spanien nicht gerade populär, doch in allen Stadien gefürchtet.“

Plötzlich untersucht er deine Prostata

Christian Eichler (FAS 15.2.) fügt hinzu: „Der Italiener Gentile quälte bei der WM 1982 Maradona so lange, bis der rot sah – Italien wurde Weltmeister. Heute sind Künstler besser geschützt, durch Regelwerk und viele Kameras. Doch längst gibt es eine lernfähige Generation von Spielern, die unter diesen Bedingungen die Techniken der Einschüchterung und Provokation verfeinert haben. Es ist der Typ Spieler, der nie ein Zidane sein wird; aber vielleicht der, der einen Zidane entnervt. Der amtierende Meister dieser Schwarzen Kunst heißt Pablo Alfaro. Er trieb Zidane zur Roten Karte. Die Frage, was zuvor geschah, wird heiß diskutiert. Es heißt, der Franzose habe einen Schlag ins Genick bekommen. Das klingt nicht unplausibel. Alfaros Ellbogen neigen dazu, wie das englische BlattGuardian etwas spitz formuliert, die Augäpfel seiner Gegner aufzuspießen wie Silberzwiebeln auf einem Cocktailspießchen. Diesmal war er wohl geschickt genug, das nicht zu offensichtlich werden zu lassen. Fünfzehnmal ist Alfaro vom Platz geflogen – Ligarekord, Berufsrisiko. Doch diesmal flog nur der andere, der Star. Für die Alfaros der Welt ist das wie ein WM-Titel für einen Zidane. In Spanien, Italien oder England, wo Vinnie Jones eine Filmkarriere als harter Bursche auf Foulqualitäten gründete, ist der Treter eine respektierte, ja bisweilen verklärte Figur – was in der Bundesliga zum Glück nie richtig funktionierte. So ist Alfaros Prominenz wohl kaum noch aufzuhalten, denn schon vor Zidanes Backpfeife machte ihn ein Foto über den Fußball hinaus bekannt. Es zeigte im Pokalspiel gegen Atletico Madrid, wie er einen Gegner mit dem passenden Namen Touche auf ungewöhnliche Weise deckt: Alfaros Hand ruht auf Touches verlängerter Rückseite; seine Finger sind nicht zu sehen. Einem Kommentator des Blattes, das diesen befremdlichen Einblick veröffentlichte, fiel dazu ein medizinischer Vergleich ein: Alfaro ist ein echter Urologe: Du gehst nach vorn für eine Ecke, und plötzlich untersucht er deine Prostata. Ups, so genau wollte man das dann doch nicht wissen. Andererseits sind solche Unappetitlichkeiten die Risiken und Nebenwirkungen der visuellen Rundumversorgung, die uns ungefragt mit allen Winkeln, Zeitlupen, Zooms alles haarklein serviert; auch das unter der Gürtellinie. Real Madrid hat angekündigt, mit Fernsehbildern zu beweisen, wie Zidane von Alfaro provoziert worden sei. Bitte nicht vor dem Essen einschalten.“

Europas Fußball: Ergebnisse, Tabellen, TorschützenNZZ

Felix Reidhaar (NZZ 16.2.) kommentiert die kritische Lage des Schweizer Vereinsfußballs: „Die Situation ist paradox. Da eilt der FC Basel nach einem verblüffenden Lauf durch die letzte Champions League der Konkurrenz meilenweit voraus. Da holt das Schweizer Nationalteam langen Atem für das erst zweite EM-Turnier mit hiesiger Beteiligung und misst sich der Verbands-Nachwuchs auf höchster europäischer Ebene. Doch trotz blank polierten Aushängeschildern kann die Diagnose für den professionellen Klubfussball unseres Landes nur negativ lauten: Er liegt – mit der erwähnten, zyklisch bedingten Ausnahme – auf dem Krankenbett, teils knapp auf den Beinen, teils ausgemergelt oder mit Geldspritzen schwer identifizierbarer Herkunft überhaupt am Leben erhalten. Dem Schweizer Spitzenfussball geht es so schlecht wie kaum einmal in seiner über 100-jährigen Geschichte. Ein schwacher Trost bleibt dabei, dass sich auch in Ländern mit grösserem Potenzial und höherer sozialer Anerkennung des kommerziellen Berufssports inzwischen hohe Schuldenberge im fussballerischen Profibetrieb türmen. Hierzulande sind traditionsreiche Vereine schon von der Landkarte verschwunden. Der FC Lugano und Lausanne-Sports schrieben nicht nur erinnerungswürdige Kapitel, sie standen für wichtige Landesteile – für die Vielfalt an Sprach- und Kulturregionen. Tessin und Waadt sind nicht mehr repräsentiert in der obersten Liga, Genf und Neuenburg droht ein ähnliches Schicksal, dem Fürstenland Wil ebenso. Andernorts gelingt der Klimmzug nur noch mit roten Köpfen, sei es dank unternehmerischem Haushalten (was seltener der Fall ist) oder eher unter gütiger Mithilfe von Mäzenen, deren Vermögenswerte Abschwungphase und Börsenbaisse nicht unbeschadet überstanden. Was aber tun die Vereinegegen die epidemieartig ausgeweiteten Finanzierungslücken? Sie haben meistens wenig Ahnung in der Ursachenbekämpfung, lassen Sicherheitsmassnahmen sträflich ausser acht und betreiben den risikobehafteten, weil schwer planbaren Fussballbetrieb wie ein Kasinogeschäft.“

Bertram Job (NZZ 17.2.) sorgt sich um Vitesse Arnheim: “Der einst auf europäischem Niveau etablierte Klub, der vor anderthalb Jahren in der 3.Runde des Uefa-Cups am FC Liverpool scheiterte, ist inzwischen in doppelt prekärer Situation. Nach dem Rückzug mehrerer Sponsoren, darunter ein potenter Energieversorger, sind die finanziellen Mittel drastisch zurückgegangen. Und mit ihnen verabschiedete sich bis auf weiteres auch der sportliche Erfolg. Plötzlich ist der Traditionsverein aus dem Gelderland, der jahrelang als Synonym für den Status eines Sub-Toppers galt, also eines ambitionierten Klubs hinter den Top Drie aus Amsterdam, Eindhoven und Rotterdam, zum Sozialfall der niederländischen Liga geworden. Besondere Kennzeichen: Klassenerhalt ungewiss (…) „Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen“, ist Klubsprecherin Ester Bal überzeugt. Von den grösseren Sponsoren sind nur noch einige und von einst 22000 Dauerkarten-Inhabern rund 16000 übrig geblieben. „Alle haben genug von den ständigen schlechten Nachrichten“, weiss Bal. Die Kur aber hat schon begonnen. Ein neuer Vertrag hat den Anteil des Klubs am Unterhalt des in ganz Europa hochgelobten, aber äusserst kostenintensiven Gelredome um etwa drei Viertel reduziert – was nicht ohne öffentliche Proteste ablief, da nun die Stadtkasse erheblich mehr belastet wird. Die Anzahl der bezahlten Spieler in den verschiedenen Auswahlen wurde durchschnittlich auf die Hälfte zusammengestrichen. Mancher im Betreuerstab hat plötzlich eine doppelte Funktion – wie etwa der erste Torhütertrainer, der jetzt wie selbstverständlich auch eine Jugendmannschaft betreut. Dazu wurden die Preise für Eintrittskarten und Werbeengagements schlanker gestaltet und nicht zuletzt auch der Umfang des Saisonbudgets – gerade noch 13 Millionen geben die einst so betuchten Gelderlander in dieser Saison für ihre Professionals aus. Ob man dafür noch die Spieler bekommt, mit denen die Klasse erhalten werden kann?“

Ballschrank

1. FC Nürnberg – Hertha Berlin 0:3

Zur verhinderten Entlassung Klaus Augenthalers bemerkt Volker Kreisl (SZ18.3.). „Das Präsidium des abstiegsbedrohten 1. FC Nürnberg hat seinem Trainer das Vertrauen ausgesprochen. Vollumfänglich, einstimmig. Vertrauen, das ist ein Wort, das in Politik, Wirtschaft und manchmal auch im Sport so beliebig hin- und hergetreten wird wie ein Fußball. Vertrauen steht eigentlich für die Gewissheit, der andere denke und handele im eigenen Sinne. Was er anpackt, wird genehmigt. Nach allem, was sich vor dem plötzlichen und heftigen Nürnberger Vertrauensvotum abgespielt hatte, steht nur eines fest: Vertrauen sieht anders aus, die Einigkeit wirkt gespielt (…) Augenthaler stammt zwar vom FCBayern, doch mittlerweile wird er in Nürnberg geliebt. Zunächst haben die Anhänger nur ein Zeichen gesetzt: Der Jubel für Augenthaler war eine Niederlage für Roth. Dem FCN-Management und dessen oberflächlichen Entscheidungen haben die Fans am Sonntagabend ihr vollumfängliches, einstimmiges Misstrauen ausgesprochen.“

Michael Ashelm (FAZ 18.3.) meint dazu. „In aller Öffentlichkeit tat der Präsident des 1. FC Nürnberg dann jedenfalls so, als habe der bei seinem Verein beschäftigte Cheftrainer nie zur Disposition gestanden. Dabei waren von Roth in den Tagen vor der zum Schicksalsspiel aufgebauschten Begegnung mit der Berliner Hertha andere Töne zu hören, die eigentlich nur einen Schluß zuließen: Verlöre Augenthaler, hätte er nach drei Jahren beim Club gehen müssen. Dazu hatte der Präsident zu viele negative Andeutungen gemacht. So, als er einem Fernsehreporter vergangene Woche sagte, andere Trainer hätten von sich aus gesagt: Ich mach‘ den Weg frei. Das setzte die Spekulationen in Gang, Augenthaler sprach nach dem Spiel vieldeutig von einem Spießrutenlauf. Die volle Wahrheit nach einer Woche der Andeutungen wird nur schwer zu ermitteln sein, aber vielleicht wurden Roths harte Worte ja wirklich nur falsch interpretiert und er wollte Augenthaler gar nicht von seinem Job entbinden. Schließlich soll der Franke den Niederbayern Augenthaler schätzen. Neben Magath ist er der Beste, den wir je hatten, gab er gerade offenherzig zu. Der heutige Erfolgstrainer des VfB Stuttgart verließ seinerzeit fluchtartig den Club – nach Streitigkeiten über nicht eingehaltene Zusagen von Roth.“

„Dass der 1. FC Nürnberg an Augenthaler festhält, wirkt nun wie eine große Geste an die Fans, das Auftreten an diesem Wochenende zeichnet dennoch ein wenig professionelles Bild“, bemerkt Volker Kreisl (SZ 18.3.). „Wie unsicher einer ist, lässt sich oft nur an Details ablesen. An der Gesichtsfarbe, am Wippen der Fersen, an der Lautstärke der Stimme. Es war eine schwierige Woche, die Michael A. Roth, der Präsident des 1. FC Nürnberg, hinter sich hat, geprägt von Spekulationen und Gefühlsausbrüchen, vom 0:3 gegen Hertha BSC und dem Absacken des Vereins auf einen Abstiegsplatz, schließlich von der überraschenden Wende in der Trainerfrage. Roth gelang es immer, Haltung zu wahren. Fast immer zumindest. Im Grunde, das musste Roth unmittelbar nach der Niederlage gegen Hertha wissen, waren die Schlagzeilen von der Entlassung des Trainers Klaus Augenthaler schon formuliert. Doch dann stellten sich die Anhänger des 1. FC Nürnberg hinter ihren Trainer, und der Präsident musste die Inszenierung ändern. Vor der ersten Live-Stellungnahme für die Sportschau musste er etwas warten, sich am Monitor die Bilder ansehen, wie Augenthaler zuvor gefeiert worden war, wie ihm die Fans Tücher mit Treueschwüren entgegenhielten, und Roth wirkte auf einmal sehr einsam im Stadion. Er wippte mit den Füßen auf und ab, und vielleicht dachte er auch schon an die ungemütliche Pressekonferenz am nächsten Tag. Was der Präsident auf dem Platz in den 90 Minuten zuvor gesehen hatte, war nichts Neues. Ein verunsichertes Nürnberger Team, das nach einem frühen Gegentor nicht die Kraft aufbrachte, sich aufzurappeln, das sich bemühte, als ob es im Schlamm aufzustehen versucht, aber doch jedes Mal einbricht. Die Schlussfolgerungen sind auch bekannt: Augenthalers Mannschaft hat zu wenig Routine, zu wenig Selbstvertrauen. Doch Roth dachte vor dem Monitor vielleicht auch an etwas ganz anderes: Dass er diesen vom Volk geliebten Trainer nun nicht mehr feuern könne, dass er sich nun vor ihn stellen müsse und gleich gefragt werde, warum er ihm dann ein Ultimatum gestellt habe. Dann würde er alles abstreiten und die Schuld auf die Medien schieben müssen.“

siehe auch Der Club is a Depp (Kommentar )

1860 München – VfB Stuttgart 0:1

Christian Zaschke (SZ 18.3.) kommentiert die Reaktionen von Falkko Götz. „Nach dem Spiel, nachdem er all das Übliche zu Protokoll gegeben hatte, sagte Götz: „Ich möchte Punkte holen, ich möchte nach oben, und die Mannschaft ziehe ich mit.“ Unvermittelt brach dieser Satz aus dem beherrscht wirkenden Götz heraus. Was er meinte: Wenn die Mannschaft nicht zu ihm passt, dann wird sie passend gemacht. Er hat schließlich Ziele. Falko Götz ist ehrgeizig. „Wir werden doch nicht die Saison abschreiben, bloß weil wir im Niemandsland stehen“, sagte er, „das gibt es nicht.“ Natürlich gibt es es das, es ist sogar die Regel bei Sechzig. Er meinte, dass es das bei ihm nicht geben wird, weil es seinem Ehrgeiz widerspricht. Götz vermittelt den Eindruck eines Mannes, der persönlich Erfolg haben will. Also muss die Mannschaft mitziehen. Ohne Mannschaft kein Erfolg. Das ist ein interessanter Wechsel der Perspektive. Kaum ein Trainer formuliert so offen, dass es ihm um den eigenen Erfolg geht, und dass er deshalb die Mannschaft entsprechend „mitziehen“ wolle. Sonst steht in Trainerreden an erster Stelle: das Wohl des Vereins, die Fans, das Übliche. Götz’ überraschender Satz ist ehrlich. Er zeugt von dem unbedingten Ehrgeiz, der seinem Vorgänger Peter Pacult fehlte.“

Martin Hägele (NZZ 18.3.) analysiert den Einstand des „modisch gestylten Herrn, der über ein halbes Jahr lang als die Nummer eins unter den potenziellen Nachrückern für gehobene Jobs in der Branche deutscher Fussball-Lehrer galt“. „Normalerweise will sich ein junger Fussballtrainer über seinen prominenten Klub profilieren, Götz aber sieht schon vor dem Einstand die eigene Person als „Transportriemen“ eines Vereins und einer Mannschaft, in der sich zuletzt immer weniger bewegt hat. Der TSV 1860 München, über lange Jahre hinweg der Gegenentwurf zum FC Bayern München, den die Fans wegen seiner Leidenschaft, seines Stolzes und seiner Originalität geliebt haben, ist immer mehr zu einem gesichts- und eigenschaftslosen Produkt geworden. Die Anhänger wollen sich nicht mehr länger mit einer Equipe identifizieren, die einzig und allein auf ihre Qualitäten in den Gegenstössen baute. Um selbst das Spiel zu machen oder gar nach einem Rückstand eine Partie umzubiegen, dazu fehlen dem Team die Möglichkeiten (…) Am verdienten 1:0-Sieg der Stuttgarter gab es nichts zu rütteln. Auch ausserhalb des Platzes entschieden 3000 Schwaben den akustischen „Länderkampf“ gegen 25.000 Bayern zu ihren Gunsten. Schlimm, wenn sich die „Löwen“ nicht einmal mehr an solch einem Tag zu brüllen getrauen. Vor dem ehemaligen DDR-Vorzeigesportler Götz liegen demnach Aufgaben, wie sie vor ein paar tausend Jahren in den griechischen Mythen dem berühmten Sisyphus gestellt worden sind: Aus ein paar aufstrebenden Talenten wie Torhüter Jentzsch, Goalgetter Lauth, dessen Sturmpartner Schroth, dem Chinesen Shao sowie einer Handvoll Österreicher und Schweizer muss Götz ein Team bilden, das irgendwo mit dem Weltklasse-Ensemble aus der Nachbarschaft konkurrieren oder ein ganz anderes ideologisches Erscheinungsbild verkörpern soll als Olli Kahn und die anderen Stars vom FC Hollywood. Im Grunde genommen stehen die Chancen von Götz heute noch schlechter als beim tragischen Helden der Antike, der Felsblöcke den Berg hoch rollen musste – und stets war aller Einsatz vergebens. Die historischen Fragen im TSV 1860 München müssten deshalb heissen: Lässt sich der schleichende sportliche Verfall überhaupt noch stoppen? Und befindet sich der Uefa-Cup-Aspirant vom März 2003 nicht schon jetzt direkt auf dem Weg zum Bundesliga-Abstiegskandidaten 2004?“

„Falko Götz muss erkennen, dass er den verunsichernden Geist seines Vorgängers noch lange nicht vertrieben hat. Dennoch stellt er erste Fortschritte fest“, schreibt Thomas Becker (taz 18.3.). „Seit Mittwoch ist Götz im Amt, und es ist erstaunlich, wie er das zuvor so teilnahmslose Löwen-Team aufgeweckt hat. Würden Punkte in der Bundesliga nicht nur nach Toren, sondern auch nach Leidenschaft, Einsatzbereitschaft etc. vergeben, wäre 1860 München beim 0:1 gegen Stuttgart nicht ohne Belohnung geblieben. Die Sechziger spielten zwar noch nicht wie die zeitweise filigranen Schwaben, rannten und grätschten aber wie lange nicht mehr – allein: ohne das so genannte Zählbare (…) Wird also alles gut bei Sechzig. Es sei denn, es kommt doch noch der Abstieg dazwischen. Sieben Punkte sind es bis dahin, einer mehr als zum eigentlich angestrebten Uefa-Cup-Platz in der anderen Tabellenrichtung. Da will Götz natürlich hin: Ich bin nicht bereit, die Saison herzuschenken, weil wir irgendwo im Niemandsland stehen. Er will eine Grundordnung finden und hinter die sehr vielen Negativerlebnisse zuletzt einen großen Haken machen. Überhaupt scheint der Pacult noch sehr tief im Löwen zu stecken: Auf dem Feld nahm der kollektive Bammel zunächst fast groteske Züge an, als vor allem die Abwehr ohne Not Fehlpässe und Querschläge serienmäßig produzierte. Vor den Kameras wiederholten sich später dann die Vokabeln: Eine Verunsicherung ist da (Lauth), die letzten Wochen stecken noch in den Köpfen (Cerny), wir haben nicht gerade vor Selbstvertrauen gestrotzt (Götz) – alles indirekte Vorwürfe gegen den Vor-Götz Peter Pacult, der ansonsten geflissentlich nicht erwähnt wurde. Was Götz anders macht als Pacult? Tja. Wiesinger und Agostino durften mal wieder von Anfang an, Borimirow durfte immer noch. Ansonsten? Kleinigkeiten. Beim ersten Training wollten die Profis zum Warmlaufen die gewohnte Richtung nehmen – und mussten prompt umdrehen: Andersrum, meine Herren! Folgte das Schauspiel mit dem ersten Geheimtraining in der Vereinsgeschichte des TSV 1860: Das scheiterte an der mangelnden Ortskenntnis des Sachsen Götz. Kiebitze und TV-Sender lugten halt von anderer, ungewohnter Stelle Richtung Trainingsplatz. Aber keine Sorge: Auch dazu wird Falko Götz etwas einfallen.“

Elisabeth Schlammerl (FAZ 18.3.). „Beim TSV München 1860 hat man seit je das Gefühl, feiner Zwirn am Spielfeldrand sei verpönt, weil unangemessen für das Image des Arbeitervereins, das die Löwen noch immer pflegen. Diese Trainingsanzugstradition paßt aber überhaupt nicht zu Falko Götz, dem neuen Coach, und deshalb setzte der sich am Sonntag abend bei seinem Debüt auch in Flanellhose und schickem Pullover auf die Bank oder besser, stellte sich davor. Götz hebt sich ab von seinen Vorgängern, aber die Spielweise der Mannschaft erinnert noch an die vergangenen Wochen, ein wenig zumindest.“

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