indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

So sieht wirklich kein deutscher Meister aus

Frank Heike (FAZ 7.4.) sah „Grausamkeiten des bayerischen B-Teams“. „Jetzt müssen die Bayern schon Handicaps festsetzen, um der Bundesliga noch einen kleinen Reiz abgewinnen zu können. Ich glaube, wir haben den Rückstand gebraucht, sagte Oliver Kahn, das 0:2 war der Kick für uns, hier besser zu spielen. So weit ist es also gekommen in dieser, den Titelkampf betreffend, spannungsarmen Saison – die Bayern veranstalten komische Wettbewerbe mit sich selbst, um sich nach dem Ausscheiden aus der Champions League die Zeit zu vertreiben: Wie werden wir Meister mit dem größtmöglichen Demütigungsfaktor für den Lieblingsfeind aus Dortmund? Die Antwort ist längst gefunden: indem wir am Ostersamstag im Westfalenstadion gewinnen und dann fünf Spieltage vor Schluß die Meisterschaft in der Heimat der Borussia feiern. Andere interne Konkurrenzen – wie lange ohne Gegentor zu Hause, auswärts und insgesamt, die früheste errungene Meisterschaft, der Titel mit dem größten Abstand – sind schon abgeschlossen oder laufen noch, weil die Münchner so souverän und die Verfolger so verschwenderisch sind. Beim 2:2 in Hannover kam nun ein neues Spielchen hinzu: Wie lange können wir die Partie einfach verweigern, ohne daß wir am Ende verlieren? Es waren genau 76 Minuten. Bis dahin führte der Aufsteiger aus Hannover 2:0, und das in dieser Formation wohl nie wieder zusammenspielende C-Team der Bayern ohne Ballack, Scholl und Santa Cruz, dafür mit Tarnat, Trochowski und Feulner wurde von den 32.000 Zuschauern in der ausverkauften AWD-Arena verhöhnt. Nein, so sieht wirklich kein deutscher Meister aus. Das fand auch Ottmar Hitzfeld (…) Wenn die Bayern tatsächlich den Rückstand benötigt haben, um in Schwung zu kommen, müssen sie sich bei Oliver Kahn bedanken. Denn er selbst war mit zwei mißlungenen Aktionen Ausgangspunkt für dieses offensichtlich anstachelnde Hinterherlaufen. Zwei Bälle der Roten ließ der Torwart am Samstag nachmittag ins eigene Netz; zwei Schüsse, die allemal zu halten gewesen wären.“

Als ob er die Rückreise vom Länderspiel in Peru mit dem Ruderboot zurückgelegt hätte

Philipp Selldorf (SZ 7.4.) wundert sich über Münchner Schwächen und Stärken. „Auch beim Publikum in Hannover hat sich Oliver Kahn wieder eigenartig ums Volksvergnügen verdient gemacht. Der Nationaltorwart unterhielt die Zuschauer mit vielen kleinen Einlagen, als wollte er sie für das Fehlen all der großen Stars des FC Bayern auf eigene Kosten entschädigen. Hannovers Anhänger jubelten ihm bereits zu, wenn seine Abschläge im Seitenaus landeten; sie lobten und priesen ihn, als er Hannovers Verteidiger Vinicius zum Freistoß ins Tor aufforderte und den Schuss zum 0:2 ebenso großzügig passieren ließ; und sie konnten ihr Glück kaum fassen, als der Münchner Keeper einen seltsamen Ausflug aus seinem Strafraum mit einem noch viel seltsameren Hüpfer über die Bande krönte, der außer großem Gelächter die beziehungsreiche Frage hervorrief: Wo ist Oliver Kahn? Es schien der Nachmittag zu sein, an dem die Merkwürdigkeiten in seinem neuen Leben erstmals auch auf dem Fußballplatz Ausdruck finden würden (…) In der zweiten Halbzeit die Bayern mit Feulner für Schweinsteiger, Tarnat für Lizarazu sowie Trochowski für Niko Kovac. Die Partie drehte sich, und das Erstaunliche war, dass in Abwesenheit der Ballack, Scholl, Jeremies Co. Halbwüchsige wie Hargreaves, Feulner und Trochowski plötzlich das Tempo machten und Verteidiger Willy Sagnol dahinter heimlich Regie führte. „Die Jungen und Sagnol haben die Mannschaft nach vorne gepeitscht“, resümierte Hoeneß und deutete natürlich auch dieses Phänomen als Resultat gelungener Vereinsführung. Zunehmend verloren die 96er den Schwung aus der ersten Halbzeit, als sie jedem noch so nutzlosen Ball hinterhergehetzt waren. Das Ergebnis dieser Wende kam Hitzfeld „fast logisch“ vor: 1:2 durch Sagnols Kopfball; 2:2 durch Pizarros Abstauber – jener Pizarro, der so ausgelaugt wirkte, als ob er die Rückreise vom Länderspiel in Peru mit dem Ruderboot zurückgelegt hätte. Und das ist dann wohl die Moral von der Geschichte: Der FC Bayern, dessen halbes Team krank, verletzt und ausgelaugt und dessen Torwart geistig abwesend ist, vertraut sein Schicksal einer Handvoll Reservisten und A- Junioren an – und kommt trotzdem den nächsten Schritt voran.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Sport und Krieg

Zum Verhältnis zwischen Sport und Krieg lesen wir von Reinhard Sogl (FR 21.3.). „Die weitgehend einheitlich ablehnende Haltung des Sports zu Absagen von Veranstaltungen wegen des begonnenen Bush-Kriegs gegen den Irak ist nur konsequent. Gerade weil der Sport keine Insel ist, sondern Teil der Gesellschaft. Warum sollte ein Profi innehalten müssen, wenn in praktisch allen anderen Bereichen des Lebens und der Wirtschaft der Alltag weitergeht? Warum sollten gerade Hobby- wie Berufssportler ihrer Betroffenheit durch Verzicht auf die für sie wichtigste Nebensache oder unwichtigste Hauptsache der Welt Ausdruck verleihen? Warum sollte auf Wettkämpfe verzichtet werden, so lange keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben von Sportlern und Zuschauern zu befürchten ist? Der Einfluss des Sports auf politische Prozesse ist schon häufig überschätzt worden. Für Demonstrationen der Moral taugt er nur bedingt. Dennoch ist es richtig, wenn friedensbewegte wie besorgte Sportler Zeichen setzen gegen Gewalt und Terror. Das kann auch beim Sport sein und muss eben nicht zwangsläufig die Abkehr vom friedlichen Wettstreit bedeuten. In letzter Konsequenz bedeutete das nämlich den völligen Verzicht auf alle sportlichen Veranstaltungen, weil jeden Tag immer irgendwo auf dieser Welt Dutzende von Kriegen geführt und unschuldige Menschen getötet werden.“

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 21.3.) meint dazu. „Weil wir uns haben einrichten können auf diesen Krieg in der Beobachterrolle. Und weil es bislang keine Szenarien gibt, die an alltägliche Sequenzen von Tod und Verderben in Palästina heranreichten. Im Fernsehen ist der Tod in Bagdad beim ersten Angriff noch anonym geblieben, ohne Gesicht. Am Horizont gibt es stets diese schöne Vision vom Sport, der Gräben überwindet, ja Gräben zuschüttet. Thomas Bach, der Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, hat betont, daß seine Organisation alles versuchen werde, bei den Olympischen Spielen in Athen die Athleten aus den USA und dem Irak, aus Nord- und Südkorea und aus Israel und Palästina dabeizuhaben. Bis dahin sind es noch knapp anderthalb Jahre, so lange, wie der 11. September 2001 zurückliegt. Diese Frist stand zu nachtschlafender Zeit im Kontrast zur eingeblendeten Zeit auf dem Bildschirm. Dem Countdown, der die Minuten und Sekunden bis zum Ablauf des von Bush gestellten Ultimatums anzeigte. Eine Uhr, die rückwärts lief, bis die Zeit abgelaufen war. Mit Ziffern, wie sie in diesen Tagen auch vom Biathlon eingeblendet werden. Wo sie sich sputen, wo sie Gewehre tragen, wo sie das Ziel treffen oder es verfehlen. Aber es geht eben nicht um Leben und Tod. Eine Normalität des Sports, die in diesen Tagen fast zu schön ist, um wahr zu sein.“

Kirch-Verträge

Thomas Kistner (SZ 19.3.) sorgt sich um den moralischen Zustand der Liga. „Jetzt rollt also eine Schmutzlawine durchs Fußballgeschäft, die ihresgleichen sucht und immer mehr Fahrt aufnimmt. Abzusehen ist bereits, dass sie eine Schneise der Zerstörung ins fromme Spiel treiben wird. Und auch das ist Tatsache: Alles nur, weil sich, wie bei Lawinen üblich, irgendwo ein paar tückische Bretter gelöst haben, mit deren Instabilität keiner gerechnet hatte. In diesem Fall sind es die Bretter, die um das Imperium des Leo Kirch geschustert worden waren, ein Jahre lang blickdichter Geschäftsverhau, an dem nicht nur von innen, sondern auch von außen kräftig mitgezimmert worden ist. Mit vollem Einsatz. Und nach allen Regeln der Bilanzkunst. Dass dieses Imperium kollabieren könnte, damit hat einfach keiner gerechnet. Klar wird nun auch, warum: Der Medienkonzern hatte sich in eine stille Deutschland AG verwandelt, mit besten Flüsterverbindungen in Politik, Wirtschaft und die Milliardenbranche Profifußball. Nun werden die erschlafften Tentakeln der Krake an die Oberfläche gehievt, und hoppla: An jeder hängt ein Fußballfunktionär! Oder, wie im Fall des DFB, gleich ein ganzer Verband.“

Roland Zorn (FAZ 20.3.) kritisiert die Rückendeckung für Wilfried Straub. „Über die lange verdeckt gehaltenen Verträge wäre am Dienstag am DFB-Sitz nie geredet worden, hätte es nicht am Sonntag eine enthüllende Veröffentlichung im Spiegel gegeben. Da die Spitzen des DFB und der Deutschen Fußball Liga (DFL) nichts Unrechtes an der Handlungsweise der Wirtschaftsdienste erkennen konnten, wurde auch deren damaliger Mitgeschäftsführer Wilfried Straub am Ende der vierstündigen Diskussion mit einem Vertrauensvotum erster Klasse beschenkt und wieder in seinen Österreich-Urlaub entlassen. Dennoch fuhren einige Teilnehmer der Tagung mit einem unguten Gefühl nach Hause. Ligavorstand Wolfgang Holzhäuser, Geschäftsführer der Fußball-GmbH von Bayer Leverkusen, brachte die Stimmung auf den Punkt: Der DFB und die DFL erleiden einen Imageschaden, der kaum noch zu reparieren ist. Da muß alles ausgetrocknet werden, so kann es nicht weitergehen. Peter Pander, der Manager des VfL Wolfsburg, sprach für viele Kollegen, als er eine Bundesliga-Vollversammlung forderte. Dabei müssen alle Dinge aufgearbeitet werden. Jede Woche mit weiteren Spekulationen, das wäre schlimm. Die Spekulationen aber schießen ins Kraut. Vor allem Straub, der gleichzeitig Vorsitzender der DFL-Geschäftsführung, DFB-Vizepräsident und Aufsichtsrat des WM-Organisationskomitees ist, bleibt im Fokus des öffentlichen Argwohns. Gerüchte besagen, daß die Geschäftsführer – neben Straub der DFB-Chefjustitiar Goetz Eilers – prozentual an den Abschlüssen der Wirtschaftsdienste beteiligt gewesen sein sollen. Straub gilt andererseits als ein ob seiner Integrität geschätzter Fußballfachmann, dem niemand so etwas wie eine Selbstbedienungsmentalität zutraut. Wie weit die Vorsicht bei Straub ging, sich von allem fernzuhalten, was einen Hautgout haben könnte, ist nicht bekannt. Was jedoch gegen das Fingerspitzengefühl des ersten DFL-Geschäftsführers spricht, ist, daß er seine Ämtervielfalt im Sinne einer möglichen Interessenkollision nie als störend empfunden hat.“

Hintergrund SZ

Stange kritisiert und wird kritisiert

Interview mit Bernd Stange, Iraks Nationaltrainer FR

Berries Bossmann (Welt 20.3.) kritisiert die Äußerungen von Bernd Stange zur Weltpolitik. „Die irakische Zivilbevölkerung hat Mitgefühl verdient – der angebliche Menschenfreund Stange den Beifall sicher nicht. Ausgerechnet Stange, der als Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes seine Mitmenschen, darunter Aachens heutigen Trainer Jörg Berger, bespitzelt und verraten hat, um selbst in den Genuss von Privilegien zu kommen, will uns heute weismachen, dass ihn das Schicksal anderer tangiert? Und Stange setzt in punkto Heuchelei noch eins drauf: Er fühle sich so stark mit den Menschen im Irak verbunden, dass er keinen anderen Job annehmen könne. Selbst wenn Bayer Leverkusen anrufen würde, müsse er ablehnen. Dass ein nur auf den eigenen Vorteil bedachter Mensch wie Stange sofort zugreifen würde, wenn Bayer-Manager Reiner Calmund ihm mit einem Scheck vor der Nase herumwedeln würde, daran dürfte zwar kein Zweifel bestehen. Beweisen lassen wird es sich aber nicht, denn weder Calmund noch irgendein anderer Manager der Bundesliga käme auf die Idee, ihn zu verpflichten. Stange hat sich selbst zum Aussätzigen gemacht. Er findet nur noch dort eine Anstellung, wo seine Vergangenheit noch nicht bekannt ist: in Australien oder im Irak.“

Wolfgang Sidka über seine Trainererfahrungen in der Golf-RegionSZ

Weiteres

Steffen Gaa (FR 19.3.) schreibt zum Rasenproblem. „Der Rasen hält für gewöhnlich nicht lange in den neueren Fußballarenen. Die Erklärung ist einfach. Zu wenig Licht, zu wenig Luft. Da wächst selbst das beste Gras nicht mehr. Es bleibt vielmehr nur Moos. In den neuen Stadien ragen die Dächer so weit über die sensiblen Rasenflächen, dass die zu wenig Sonne abbekommen. Und wegen der bis zum Spielfeldrand gezogenen Tribünen zieht nur noch ein laues Lüftchen durch die Arenen. Die Stadien werden eben für die Zuschauer gebaut. Das geht auf Kosten der Rasen, sagt Jörg Denzer, Platzwart des VfL Wolfsburg. Hinzu kommt das Wetter. Solange es nachts noch Frost gibt und tagsüber Fußball gespielt wird, macht das den Grashalmen zu schaffen. Egal wie das Stadion gebaut ist. Aber besonders auffällig ist die Situation eben in den neueren Arenen. Das ist nicht allein ein deutsches Problem. In der Amsterdam Arena wurde die grüne Spielfläche in den vergangenen fünf Jahren mehr als 25 Mal ausgetauscht. Manchester United hat seinen Rasen in Old Trafford in den vergangenen Monaten gleich zweimal ausgewechselt – im Dezember und im Januar. Gekostet hat das jeweils 160.000 Euro. Der Luxus moderner Stadien hat seine Kehrseite. Das ständige Rasen-Wechsel-Dich ist derzeit die einzige Antwort auf das Problem. Die Rasenforscher schlafen indes nicht. Mittlerweile gibt es – etwa im Dortmunder Westfalenstadion – speziellen Schattenrasen. Die Mischung braucht weniger Sonnenlicht, gewährt aber schlechteren Halt. Und selbst der fahrende Rasen in der Arena AufSchalke hat seine Nachteile. Jede Fahrt, mit der die komplette Spielunterlage aus der Arena heraus an die frische Luft gefahren wird, kostet mehr als 13.000 Euro. Auch soll der ständige Klimawechsel dem Grün nicht all zu gut bekommen. Getüftelt wird bei den Rasenmännern derzeit auch an einem Halb-Halb-Rasen. Er soll zu einer Hälfte aus Gras und zur anderen aus Kunstrasen bestehen. Die Europäische Fußball-Union (Uefa) weiß um die Probleme und hat reagiert. Sie prüft, ob nicht Kunstrasen langfristig die anfällige natürliche Unterlage ersetzen kann.“

Bernd Müllender (FTD 19.3.) rezensiert. „Gut, beschäftigen wir uns also mehr als hundertelf Zeilen lang mit dem Elfmeter, den René Martens (elf Buchstaben) in elf Kapiteln auf hundertelf Seiten in elf Elfteln Buch für elfkommaelf Euro beschrieben hat – hundertelf Jahre nach Erfindung des Strafstoßes. Ist der Elfmeter, den Pelé einst „eine feige Art, ein Tor zu schießen“ genannt hatte, soviel Aufmerksamkeit wert? Unbedingt. Auch auf die Gefahr hin, dass dieses Buch Auftakt sein könnte für eine Lexikareihe der Standardsituationen, etwa: Der indirekte Freistoß. Das Buch ist kein Muss, aber ein glasklares Sollteunbedingtschon. Allein wegen der statistischen Auswertung der Bundesliga. Wer die meisten Elfer verwandelte? Manfred Kaltz: 53 (von 60). Die beste Quote hatte – das überrascht – Rainer Bonhof mit 20 von 21. Drei in einem Spiel hat schon mal einer verwandelt (Stuttgarts Nussöhr), aber noch kein Keeper gehalten. Tritt der Gefoulte an, hat er gegen den falschen Branchenmythos und den steten Glauben Heribert Faßbenders eine bessere Quote als andere. Linienpfiffikus Nr. 1 ist bis heute Rudi Kargus: 23 Elfer schnappte er in seiner Karriere weg. Das anekdotenreiche Werk über den ominösen Punkt ist reich an historischen Kuriositäten; etwa von jenem Schiedsrichter, der bei der WM 1930 mit Giraffenschritten 17 Meter Entfernung festlegte (immerhin zum richtigen Tor), oder von der traurigen Gestalt, deren Elfer vor der Linie zum Liegen kam. Die schönsten Versagernamen? Kutzop an den Pfosten, Matthäus im Pokalfinale, Hoeneß in den Belgrader Nachthimmel, Roberto Baggio im WM-Finale. Dazu eine kleine Kulturgeschichte des gezielten Betrugs in den Strafräumen der Welt: das Kapitel über die Schwalbenmeister heißt „Hölzenbeins Söhne“. Und wie geht die eigentliche Sache nun genau? Der Ball „wird auf die Strafstoßmarke gelegt“, sagen die Regelhüter des DFB. Der Schütze heißt „ausführender Spieler“ und muss „klar identifiziert sein“. Der Torwart hat sich „auf seiner Torlinie aufzuhalten“ und zwar, wer weiß das schon, „mit Blick zum Schützen“. Tore: Gibt es nicht! Nein, der Schiedsrichter entscheidet, „wann der Strafstoß seine Wirkung erzielt hat“. Übrigens, den Elfmeter gibt es in den Fußballregeln auch nicht. Die Ballbeamten kennen nur den „Schuss von der Strafstoßmarke“. Solch ein Elfmeter braucht auch keine elf Meter. 10,968 Meter reichen, denn die Erfinder haben den Penalty auf zwölf Yards Entfernung festgelegt. Das bedeutet, Kontinentaleuropäer haben es schwerer. Engländer scheitern vielleicht wegen der ungewohnten Entfernung so gern bei internationalen Spielen, vor allem gegen uns Krauts (Southgate, Waddle).“

René Martens: Elfmeter. Kleine Geschichten einer Standardsituation. 111 Seiten, 11 Euro 11.

Portrait Thorsten Fink Welt

Interview mit Jürgen Röber (Effenberg muss sich unterordnen!“) Tsp

Neuer Aufschwung für die J-League? NZZ

Matthias Wolf (BLZ 21.3.). „Iris Tappendorf, die Leiterin der Polizei-Ermittlungsgruppe Hooligans in Berlin, plagt eine Angst. In Deutschland findet in 1 177 Tagen die Fußball-Weltmeisterschaft statt – und bereits jetzt gäbe es viele gewaltbereite junge Menschen, die sich speziell auf die WM 2006 vorbereiten, sagt sie: Der Nachwuchs der Hooligans freut sich schon. Diese These ist zwar nicht zu beweisen – aber auch nicht zu dementieren. Weshalb sich Frau Tappendorf in Zeiten, da der Berliner Senat aus Kostengründen sogar die Polizei aus dunklen U-Bahnhöfen abziehen wird, wohl keine großen Sorgen um den Bestand ihrer 19-köpfigen Abteilung machen muss. Auch beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) und bei den WM-Organisatoren rennt sie damit offene Türen ein. Die Herren betonen zwar stets, wie wichtig ihnen der gemeine Fan bei der WM doch sein werde – doch noch wichtiger ist, dass kein Makel auf das bunte Fußballfest fallen möge. Klinisch rein möge es sein, passend zum Logo der Weltmeisterschaft mit den ach so lustig lachenden Gesichtern, das die Fans schon so zeigt, wie sie alle gerne hätten: als grinsende Nullen. Natürlich, jeder wünscht sich, dass der Fußball und seine Klientel bei der WM 2006 ein freundliches Gesicht haben möge – und keine hässliche Fratze wie in Frankreich, als der Gendarm Daniel Nivel in Lens von deutschen Hooligans beinahe zu Tode geprügelt wurde. Doch die derzeitige Vorgehensweise aller, vom DFB (dessen Sicherheitskommission die Richtlinien zur Festsetzung und Verwaltung von Stadionverboten erlassen hat) bis hin zur Polizei, scheint bedenklich. Fast an jedem Spieltag entstehen Bilder, die kein Sender zeigen will: Fans, die wie eine Viehherde vom Sonderzug ins Stadion getrieben werden. Wer seine Notdurft verrichten will oder wer eine Frage an die Beamten stellt, wird nicht selten zurückgeprügelt ins Glied (…) Die Würde des Menschen ist unantastbar, heißt es im Grundgesetz. Für Fans aber scheint das in vielen Städten, die auch WM-Spiele ausrichten werden, eher nicht zu gelten. Die Anzahl der Stadionverbote steigt nach Ansicht vieler Fanbetreuer derzeit inflationär.“

Gewinnspiel für Experten

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Konflikt zwischen Bundestrainer Jupp Derwall und Felix Magath

Der Spiegel (13/1984) berichtet den Konflikt zwischen Bundestrainer Jupp Derwall und Felix Magath: „Zehn Wochen vor Beginn der Europameisterschaft hat Bundestrainer Derwall noch keine eingespielte Stamm-Mannschaft. Felix Magath, bester Spielmacher der Bundesliga, will nie mehr unter Derwall antreten, würde aber unter jedem anderen Trainer für die National-Elf spielen. Bundestrainer Jupp Derwall flog nach Mailand, um wieder einmal seinen Lieblingsspieler Hansi Müller zu beobachten. Derwalls Stellvertreter Horst Köppel rechtfertigte zur selben Zeit in Hamburg die Italienreise seines Chefs: Uns fehlen in der Bundesliga erstklassige Linksfüßler. Einen anderen Spieler mit starkem linken Schußbein sah Köppel in letzter Zeit beim Hamburger SV: Felix Magath. Der HSV-Stürmer hatte im letzten Mai mit der linken Klebe (Fachjargon) sogar das Europacup-Endspiel gegen Juventus Turin entschieden. Doch in der Nationalmannschaft wollte Magath nach 24 Länderspielen mit vielen Enttäuschungen nicht mehr kicken. Dennoch erwähnte ihn Köppel bei Derwall erneut. Der Felix gehört natürlich dazu, weil … Derwall unterbrach: Kein Thema. Auch Derwalls geliebter Linksfüßler Hansi Müller fehlt am kommenden Mittwoch in Hannover beim Länderspiel gegen die UdSSR. Der Hansi ist nicht mehr der Spieler, berichtete Jupp Derwall, wie ich ihn noch aus seinen besten Zeiten kenne, aber ich gucke ihn mir im April noch einmal an. Gut zehn Wochen vor der Endrunde um die Europameisterschaft besitzt der Titelverteidiger Deutschland noch immer keine eingespielte Stamm-Mannschaft. Auch die unter Derwalls Vorgängern Sepp Herberger und Helmut Schön erprobte Methode, mit eingespielten Mannschaftsteilen, sogenannten Blöcken, aus nur drei oder vier Klubs anzutreten, wendet der Bundestrainer heute nicht mehr an. In Hannover spielen voraussichtlich elf Kicker aus neun verschiedenen Klubs. Von den derzeit erfolgreichsten Bundesligaklubs Bayern München und Hamburger SV gehören nur jeweils zwei Spieler zum Nationalkader. Magath wurde von Derwall meist auf Positionen abgedrängt, die er beim HSV nie eingenommen hatte. Der frühere Kölner Nationalspieler Wolfgang Overath bezeichnet Magath als den einzigen echten Spielmacher, den es in der Bundesliga noch gibt. Daß ausgerechnet dem Hamburger Mannschaftskapitän die Lust an der Nationalmannschaft verleidet worden ist, nennt Overath äußerst ungeschickt. Daß einer wie Magath in die Nationalmannschaft gehört, weiß auch Derwall. Aber weil sich der HSV-Kapitän beharrlich weigert, unter Derwall zu spielen, fordert der Bundestrainer, daß jeder Spieler, der nicht für Deutschland spielen will, vom Verband bestraft wird. Magath nimmt Derwalls Strafforderung nicht sehr ernst.

Spiegel: Warum nehmen Sie das nicht ernst? Es gibt immerhin einen Paragraphen 12 der Spielordnung, der Strafen für widerspenstige Spieler vorsieht.

FM: Ja, davon hab‘ ich auch schon gehört; aber ich bin ja nicht der erste Fall. Es hat ja schon mehr Spieler, auch bei Herrn Derwalls Vorgänger, Herrn Schön, gegeben, die auf Einsätze in der deutschen Nationalmannschaft verzichtet haben. Und jetzt sind es auch ein paar Spieler, die im Moment nicht in der Nationalelf spielen möchten.

Spiegel: Warum wollt ihr alle nicht in der Nationalmannschaft spielen? Was ist so schlimm daran?

FM: Ich bin nach der Fußball-Weltmeisterschaft 1982 zurückgetreten. Es war mein zweites großes Turnier mit der Nationalmannschaft, und ich drückte meistens die Ersatzbank. Ich hatte auch Probleme mit meiner körperlichen Verfassung gehabt, da ich wegen der Nationalmannschaft jahrelang keinen Urlaub gemacht hatte.

Spiegel: Hat es zwischen Ihnen und dem Bundestrainer Streit gegeben?

FM: Ja. Das lag an meiner unbefriedigenden Rolle bei der Fußballweltmeisterschaft.

Spiegel: Hatten Sie ihn deswegen um eine Aussprache gebeten?

FM: Ich habe nie um eine Aussprache gebeten. Herr Derwall hat es ja auch nie nötig gehabt, sich über irgendwelche Entscheidungen auszusprechen. Es wurden bei dieser Weltmeisterschaft sehr kurzfristige Entscheidungen getroffen. So war man morgens noch in der Mannschaft, mittags aber schon draußen. So erfuhr ich gegen Frankreich erst mittags, daß ich abends spielen durfte. Es war eine Atmosphäre der Unsicherheit.“

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im Schatten der Leichtathletik-Weltmeisterschaften

Der Fußball stand am letzten Wochenende im Schatten der Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Die Krise der deutschen Läufer, Springer und Werfer verdrängt den DFB-Pokalwettbewerb in den hinteren Teil der heutigen Sportseite. Für die Bundesliga-Teams ist die erste Pokalrunde gegen Amateure und Halbprofis ohnehin eine Pflichtaufgabe, bei der es nichts zu gewinnen gibt; statt dessen viel zu verlieren: Image und Geld. Doch auch wenn die Aufmerksamkeit anderen gehört, schreibt der Fußball, wie eh und je, viele Geschichten an diesem Tag des Aufeinandertreffens zwischen David und Goliath.

Dieses Mal hat es die Profis aus Bochum und Kaiserslautern erwischt, die sich nun damit trösten, dass die Schlagzeilen ihnen gehören – was im Bundesliga-Alltag selten genug ist. Das Echo ist unterschiedlich: Während die FAZ dem VfL Bochum ins Stammbuch schreibt, „einer Spur zu viel an Selbstbewusstsein“ und „Arroganz“ seien die Ursachen für die 1:2-Niederlage in Regensburg, sagen die Berichterstatter dem 1. FC Kaiserslautern nach dem 1:4 in Braunschweig schwere Zeiten voraus.

Power und Energie, die der Belgier zuletzt ausgestrahlt hat, sind offenbar verpufft

Thomas Kilchenstein (FR 1.9.) macht sich Sorgen über den 1. FC Kaiserslautern, 1:4-Verlierer beim Regionalligisten Eintracht Braunschweig. „Genau vier Spiele in der Bundesliga und ein Spiel im Pokal haben gereicht, um dem 1. FC Kaiserslautern deutlich vor Augen zu führen, wo er sich befindet: genau dort, wo er in der vergangenen, so verkorksten Saison schon einmal war. Hinten, mit dem Rücken zur Wand, in Existenznot. So, als hätten sie aus den Fehlern der Vergangenheit nichts, aber auch gar nichts gelernt. Kein Zweifel: Null Punkte in der Liga, sang- und klanglos ausgeschieden in der ersten Runde im Pokal bei einem Amateurclub – wenn es noch eines Beweises bedurfte, dann ist er an diesem letzten August-Wochenende erbracht worden: Der 1. FC Kaiserslautern steckt tief in der Krise, wieder mal. Und vor allem: Hoch droben auf dem Betzenberg sind sie ziemlich überrascht worden von dem neuerlichen Rückschlag. Von Leistungsverweigerung war die Rede und davon, dass die Mannschaft nicht habe erkennen lassen, dass sie Fußball spielen will. Da lief nichts zusammen bei den Pfälzern. Trainer Erik Gerets, der in der vergangenen Saison noch mit einem beeindruckenden Kraftakt die Wende zum Guten geschafft hatte, wirkt, und das ist das Schlimme, hilf- und ratlos. Die ganze Power und Energie, die der sympathische Belgier zuletzt ausgestrahlt hat, sind offenbar verpufft. Selbst er flüchtet sich schon in Durchhalteparolen. Ob er es noch einmal schafft, das Ruder herumzureißen, ist fraglich. Er selbst weiß nur zu genau um die Mechanismen in diesem Geschäft.“

Sascha Zettler (FAZ 1.9.) befürchtet Ratlosigkeit bei den Lauterer Verantwortlichen. „Erik Gerets saß mit versteinerter Miene auf dem Podium im Braunschweiger Presseraum. Ein paar Meter weiter stand sein Präsident René Jäggi, die Arme verschränkt, wie paralysiert wirkend. Distanz zwischen den beiden Kaiserslauterer Machern – nur ein räumliches Bild oder gar ein Sinnbild? Der Trainer steht nicht zur Debatte, betonte Jäggi. Zumindest bei ihm wohl nicht, aber Jäggi und auch Gerets kennen die Gesetzmäßigkeiten der Branche. Eigentlich müßte man die 18 Spieler auswechseln und nicht den Trainer oder Präsidenten. Aber das ist das Schicksal des Trainers, daß er in Frage gestellt wird, sagte Jäggi vor dem wohl schwersten Gang des Abends: dem zu den Fans. Die hatten sich hinter der Absperrung vor dem Pfälzer Mannschaftsbus aufgebaut, verlangten Erklärungen für den am Tiefpunkt angelangten Vorjahresfinalteilnehmer. Das alles erinnert mich an die letzte Saison, gestand Gerets. Da hatten wir Lösungen parat, die haben wir jetzt noch nicht, sagt der Belgier und hofft, sie zu finden: Ich habe bewiesen, daß ich solche Situationen meistern kann. Ob man ihm in der Pfalz, wo die alten Seilschaften angesichts des sportlichen Niedergangs schon wieder kräftig mobil machen, die Zeit dazu läßt? Neuzugänge allein werden die Probleme nicht lösen, solange sich die Mannschaft nicht als solche präsentiert: Lucien Mettomo wirkte bei seinem Debüt im FCK-Trikot wie ein Fremdkörper, kann nicht helfen, solange die Kollegen auftreten, als wollten sie keine Hilfe.“

Letzte Ausfahrt vor dem Nichts

Jörg Marwedel (SZ 1.9.) hätte Frank Pagelsdorf, Trainer des VfL Osnabrück, einen Sieg über seinen Ex-Klub Rostock gegönnt. „Pagelsdorf, 45, hatte seinen dunklen Anzug angezogen. So einen, wie man ihn bei Familienfeiern trägt, oder eben zu Fußballfesten, auf die man sich besonders freut. Für ihn ist es ja beides gewesen, dieses DFB-Pokalspiel des VfL Osnabrück gegen Hansa Rostock – nostalgisches Wiedersehen mit den alten Freunden aus Rostock, mit denen er 1995 den Bundesliga-Aufstieg schaffte, vor allem aber eine Art Rückkehr auf die große Bühne. Erstmals seit knapp zwei Jahren hat er sich wieder ein bisschen erstklassig fühlen dürfen, obwohl er als neuer Trainer der Osnabrücker genau dies nicht mehr ist. Und als sein VfL ein aufregendes DFB-Pokalspiel schließlich nach 120 torlosen Minuten mit 4:5 im Elfmeterschießen verloren hatte, da strich der Trainer über seinen Anzug und stapfte still vom Rasen. Viele Worte hat er auch später nicht gemacht. Das ist nicht seine Art, und war wohl auch zu enttäuscht, dass er den Kritikern, die immer wieder die Geschichte vom tiefen Fall des Fußballlehrers Pagelsdorf erzählen, nicht mehr Stoff genommen hatte. Nun wurde ihm wieder bewusst, dass die neue Bühne nach 21Monaten ohne Arbeit in Wirklichkeit doch deutlich bescheidener und baufälliger ist als die Fußballtempel in Turin oder Rom, in denen er vor drei Jahren mit dem Hamburger SV in der Champions League auftrat. Die „Welt“ notierte deshalb, Osnabrück, das sei für Pagelsdorf die „letzte Ausfahrt vor dem Nichts“. „Eine böse Geschichte“, nennt der Trainer das, eine „Denkweise von oben herab, diskriminierend“. Und auch, dass er wechselweise als Arbeitsloser, Privatier oder Ich-AG mit dem Ziel des Abspeckens und der Weiterbildung im Heimkino beschrieben wurde, wurmt ihn. „Alles falsch“, sagt er, „es ist vielmehr so, dass ich die Zeit zur Weiterentwicklung genutzt habe.“ Er isst nun keine Gummibärchen mehr und überhaupt nur noch die Hälfte, weshalb er sein Gewicht von 113 auf 94 Kilo reduzieren konnte. Und er hat, wie er sagt, die eigenen Fehler reflektiert. Einer war vielleicht, dass er zwar eine Nase für Talente besitzt, die Jungen aber oft links liegen ließ, wenn die ersten Probleme auftauchten. Seine eigenen Probleme wurden indes abgefedert von 4,1 Millionen Mark, die er als Abfindung vom HSV mitnahm.“

Man hat mich in Deutschland nicht vergessen

Erik Eggers (FTD 1.9.) freut sich mit allen über das Comeback Jens Nowotnys beim 3:1 Bayer Leverkusens in Kiel. „Gänsehaut? Rührung? Ja, sagt Jörg Butt, wie selten in meiner bisherigen Karriere. Sichtlich bewegt steht der Torhüter von Bayer Leverkusen nach dem 3:1 Sieg seines Teams beim Regionalligisten Holstein Kiel im provisorischen Spielertunnel. Einen Sieg wie diesen frühstückt Butt sonst en passant ab. Da wirft er den Journalisten ein paar brauchbare Zitate hin und geht duschen. Dies jedoch ist ein besonderer Tag, einer, der in der Erinnerung haften bleiben wird in dieser Flut von Fußballspielen. Und Butt hat beschlossen, diesen Augenblick zu genießen. Dabei geht es nicht um ihn, sondern um einen Mitspieler. Nach zwei schweren Kreuzbandrissen hat Jens Nowotny sich zurückgemeldet. Und wie. Es waren zwar nur 240 Sekunden, die er spielte, zwei Ballkontakte zählten die Statistiker, aber in diesen flüchtigen Momenten spiegelte sich die ganze Leidenszeit des Innenverteidigers, der laut Bayer-Manager Reiner Calmund wie kein anderer den ehrlichen Fußball verkörpert. Allein das fast vierzigminütige Warmlaufen des 29-Jährigen hatte die knapp 10.000 Zuschauer im heruntergekommenen Holstein-Stadion mehr interessiert als das müde Gekicke auf dem Rasen. Als Nowotny dann zur Einwechslung an die Seitenlinie schritt, erhob sich das norddeutsche Publikum in der Fußball-Diaspora, das nun wahrlich nicht zu leichtfertigen oder gar übertriebenen Gefühlsausbrüchen neigt, und applaudierte heftig. Eine tolle Geste, befand Bayer-Sportdirektor Jürgen Kohler. Der schönste Moment heute, viel wichtiger als das 3:1, sagte ein ebenfalls gerührter Reiner Calmund. Und auch der Rückkehrer würdigte nach dem Abpfiff dies zauberhafte Miniatur, die so gar nicht zu dem fiesen Nieselregen Schleswig-Holsteins passen wollte. Das ist wie Balsam auf die Seele, sagte Nowotny, man wird nach so langer Verletzungszeit eingewechselt, und dann feiern einen die Zuschauer des Gegners. Es gebe nur wenige ergreifende Momente für einen Fußballer, würdigte Nowotny die besondere Atmosphäre, aber das war einer im kleinen Stil. Es war wirklich so, als fände ein verlorener Sohn nach langem Irrweg zurück zur ihn sehnsüchtig erwartenden Familie. Man hat mich in Deutschland nicht vergessen.“

Thomas Becker (taz 1.9.) schreibt eine Reportage aus dem Stadion von Borussia Neunkirchen, wo Bayern München 5:0 gewann. „In der ersten Viertelstunde ist schon alles drin. 4. Minute: Ein paar Dutzend Nicht-zuschauen-Könner klettern im mehr als ausverkauften Ellenfeldstadion aus den hintersten Stehrängen über den Zaun aufs Tribünendach. 6. Minute: Der Ordnungsdienst wacht auf: Kommen runner, ihr breche durch, des is doch alles nur Wellblech. 10. Minute: Rau flankt, Santa Cruz köpfelt, 1:0. 12. Minute: Das Sondereinsatzkommando der Polizei trifft am Tatort ein, entert sehr entschlossen das Tribünendach. 14. Minute: Foul an Scholl im Strafraum, Ballack schießt den Elfmeter, 2:0. 15. Minute: Die ersten Kletterer werden zum Zwangsabstieg verdonnert, unschöne Worte fallen. Zur Überraschung aller wird dann doch das Tor zur noch reichlich Stehplatz bietenden Haupttribüne geöffnet, die kletternden Kuttenträger strömen herein, man tauscht sich aus (Was? Schon 2:0?), telefoniert mit daheim (Schatz, tu mol die ,Sportschau‘ uff Video uffhole, mir komme bestimmt im Fernsehn.) und beschäftigt sich endlich mit den wirklich wichtigen Fragen: Unn wer geht jetzt Bier hole? Borussia Neunkirchen gegen Bayern München: Vor 39 Jahren noch ein spannendes Spiel um die Qualifikation für die höchste deutsche Spielklasse (mit dem besseren Ende für die Saarländer), heute für die einen das Spiel schlechthin, für die anderen weniger als ein Trainingskick. Mit annähernd körperlosem Spiel gewinnt der deutsche Meister gegen den Tabellenfünfzehnten der Oberliga Südwest zwar 5:0, vor allem aber Erkenntnisse: 1. dass Roque Santa Cruz nach viermonatiger Pause im Spiel eins nach Elber schon wieder prima als Torjäger funktioniert: drei Treffer in 70 Minuten. 2. dass Roy Makaay ebendieses immer noch nicht tut. 3. dass der erstmals von Beginn eingesetzte Argentinier Martin Demichelis sich zu einem knorrigen, für Bayern-Gegenspieler äußerst unangenehmen Verteidiger entwickeln wird, der weiß, wie man regelgerecht die Ellbogen einsetzt. 4.dass Mehmet Scholl, schon beim letzten 6:0-Pokalsieg der Bayern vor elf Jahren in Neunkirchen dabei, sich trotz Torerfolgs in der 75. Minute schwer tut, seine Position in der Bayern-Offensive zu finden. 5. dass Sebastian Deisler auch gegen die eifrigen, aber limitierten Amateure nicht sonderlich viel gelang.“

Makaay soll den Bayern weiterhelfen, wenn es auf der europäischen Bühne ernst wird

Peter Penders (FAZ 1.9.) hat Geduld mit Roy Makaay. „Mit der Erwartung oder wenigstens Hoffnung, daß die in die Oberliga abgestiegene Borussia den großen Bayern ein Bein stellen würde, wird wohl niemand ins Stadion gekommen sein. Der David aus Neunkirchen wehrte sich tapfer gegen den Goliath aus München, für den der kleine Ausflug ins Saarland nicht mehr als eine kurze Unterbrechung des Trainingsbetriebes darstellte. Und dort, bei den Übungsstunden an der Säbener Straße, trifft Roy Makaay dem Vernehmen nach zuweilen ins Tor – bei einem Pflichtspiel des deutschen Rekordmeisters ist dem knapp 18 Millionen Euro teuren Rekordtransfer der Liga dieses Erfolgserlebnis bislang verwehrt geblieben. Auch in Neunkirchen, wo der gerade noch als bester europäischer Torjäger der vergangenen Saison ausgezeichnete Makaay kurz vor der Halbzeit zwar allein auf Torwart Purkert zustürmen durfte, den Ball aber nicht am eher kleinen Neunkirchener Schlußmann vorbeibrachte. Kein Grund zur Sorge, beeilen sich alle in München zu sagen. Nach dem Wechsel von Elber haben die Bayern schließlich mit Pizarro und dem in Neunkirchen bei seinem Comeback dreimal erfolgreichen Santa Cruz zwei Stürmer, denen das Toreschießen derzeit keine besonderen Probleme bereitet. Und Makaay? Schon melden sich die Fußballexperten zuhauf und erklären den Bayern aufgeregt, daß sie da ja einen Konterstürmer eingekauft hätten, der so gar nicht zur Spielweise der Münchner passe. Möglicherweise erzählt man damit aber niemandem besonders Neues, und dementsprechend gelassen nimmt Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld die Startschwierigkeiten seines Wunschspielers auch hin. In Neunkirchen streute Hitzfeld eine weitere nichtssagende Selbstverständlichkeit hinzu – Makaay sei derzeit gesetzt, aber irgendwann entscheide natürlich die Leistung über die Aufstellung. Natürlich tut sie das spätestens dann, wenn es wichtig wird. Im Ellenfeldstadion fiel Makaay nicht besonders auf, aber die Bayern haben ihn schließlich auch nicht gekauft, damit er in Neunkirchen brilliert. Makaay soll den Bayern vor allem dann weiterhelfen, wenn es auf der europäischen Bühne ernst wird. Ein Konterspieler in den Partien auf Augenhöhe gegen so Größen wie Mailand, Madrid oder Manchester – erst dann wird sich der Wert des Niederländers weisen.“

Mir scheint Makaay etwas zu arrogant

Daniel Meuren (FR 1.9.) eher nicht. „Erstaunlich aus sportlicher Sicht war während der einseitigen 90 Minuten allein, wie wenig der hochgelobte Millionen-Einkauf Roy Makaay seinem Ruf gerecht wurde. Eigentlich hätte der Bayern-Neuzugang das Spiel nutzen müssen, um die Bindung zu seinen Nebenleuten zu finden. Stattdessen sorgte er mit seiner Leistung dafür, dass in den kommenden Tagen weiter heftig über Sinn und Unsinn des Makaay-Elber-Deals diskutiert werden wird. Nach 42 Minuten setzte sich der Niederländer erstmals in Szene, scheiterte aber unbedrängt an Neunkirchens tapferem Torwart Sascha Purket. Später provozierte der 28 Jahre alte Stürmer mit einem schwachen Schussversuch Pfiffe und Elber-Rufe aus dem Bayern-Fanblock. Makaay wird bald sein erstes Tor erzielen. Das ist nur eine Frage der Zeit, kommentierte Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld die Leistung seines neuen Stars diplomatisch. Makaays Gegenspieler Torsten Freyer, der nach dem Spiel vergeblich um einen Trikottausch anfragte, wurde deutlicher: Mir scheint Makaay etwas zu arrogant. So findet der nicht so leicht ins Bayern-Spiel.“

Neue Fragen über Anspruch und Wirklichkeit auf Schalke

Claudio Catuogno (SZ 1.9.) sah schwache Schalker siegen. “Nimmt man zum Maßstab, was der FC Schalke 04 von zuhause gewöhnt ist, dann kann man das Stadion des TSV Aindling mit Fug und Recht als putzig bezeichnen. In der ersten Halbzeit blickten die Schalker auf ein Transparent des Fruchthof Ehinger, in der zweiten grüßte das schicke Plakat des KFZ-Sachverständigen Settele. Manchmal flog auch ein Ball auf die frisch geschorenen Maisfelder, auf denen am Samstag die Ehrengäste parkten. So klein und familiär war alles, dass der gesamten so genannten Haupttribüne ein freier Blick auf den Nacken von Jupp Heynckes gewährt war. Dieser Nacken hatte keinen besonders entspannten Nachmittag. Die ganze Zeit musste er Heynckes’ Kopf hin und her schütteln. Dann färbte er sich so rot wie Lebertran, und der Schalker Trainer machte ein Gesicht, als habe man ihm gerade einen Löffel davon eingeflößt. Letztlich war der 3:0-Sieg seiner Mannschaft beim bayerischen Viertligisten zwar nie gefährdet. Aber Heynckes erlebte seine Spieler so harmlos und unsortiert, als stünden da gar nicht Ebbe Sand, Tomas Hajto und Darío Rodríguez auf dem Platz, sondern der KFZ-Sachverständige und der Herr vom Fruchthof, die sich in die königsblauen Trikots eingeschlichen haben, und der arme Heynckes musste nun damit fertig werden (…) Jupp Heynckes hätte wütend sein können. Sein Nacken war es. Aber offiziell verwies der Trainer nur auf die vielen UI-Cup-Spiele, auf müde Beine, und darauf, dass nach dem Weggang von Emile Mpenza ein Stürmer fehle. Doch zumindest diese Last ist Heynckes nun los, denn Eduard Glieder wird für ein Jahr vom österreichischen UI-Cup-Teilnehmer SV Pasching ausgeliehen. Zwar hatte Heynckes mit der Aussage, er wolle „die besten Spieler der Welt holen“, eher Fernando Morientes von Real Madrid gemeint. Weil der sich aber für den AS Monaco entschied, kommen nun lediglich der Stürmer Glieder, frische 34 Jahre alt, sowie neue Fragen über Anspruch und Wirklichkeit auf Schalke zu.“

Elisabeth Schlammerl (FAZ 1.9.) sah einen gerechten 2:1-Sieg Jahn Regenburgs über den VfL Bochum. „Der VfL Bochum gehört eigentlich nicht zu den Klubs, die eine Mannschaft unterschätzen, sondern zu denjenigen, die eher selbst unterschätzt werden. Vor sieben Jahren war der Verein zum letzten Mal in der ersten Runde ausgeschieden, im vergangenen Wettbewerb hatte er es sogar bis ins Viertelfinale geschafft. Der Bundesligasieg gegen Bayer Leverkusen vor einer Woche aber hat diese Spur zu viel an Selbstbewußtsein gebracht, die gerne zu Arroganz wird (…) Für Neururer ist die Niederlage in Regensburg auch ein Rückschlag auf dem Weg, dem Klub ein positives Image zu verschaffen. Wir arbeiten seit langer Zeit an der Außendarstellung, deshalb ist die Enttäuschung um so größer. In den Planungen des Vereins hatte der Pokal eine wichtige Rolle gespielt. Zum einen, weil er eine Zusatzeinnahme bringt, die man in der heutigen Zeit dringend braucht, wie Manager Dieter Meinold sagte. Zum anderen, weil Neururer dabei die größten Chancen für seine Mannschaft sah, den Sprung in einen europäischen Wettbewerb zu schaffen. Wir haben kaum Möglichkeiten, über die Liga ins internationale Geschäft zu kommen, sagte er. Den Pokal zu gewinnen dagegen sei ein realistisches Ziel gewesen.“

SZ-BerichtSpVgg. Unterhaching – RW Oberhausen (6:2)

Hier die graue Arbeiterstadt Offenbach, dort das reiche und vornehme Frankfurt

Richard Becker (FAZ 1.9.) schildert die Hintergründe der Rivalität zwischen Frankfurt und Offenbach. „Die tiefgreifenden Ressentiments wurzeln in den soziologischen Strukturen beider Städte. Hier die graue Arbeiterstadt Offenbach, von vielen als Vorort von Frankfurt verspottet, dort das reiche und vornehme Frankfurt, stolz auf seine Schönen und Reichen, auf seine Hochhäuser, seine Banken. Im Fußball spiegelte sich alles in den Protagonisten wider. In den fünfziger Jahren war es bei der Eintracht Alfred Pfaff, ein genialer Spielmacher, der Fußball als Kunst verstand und sie entsprechend pflegte, während bei den Kickers ihrem größten kämpferischen Vorbild, Hermann Nuber, sogar ein Denkmal gesetzt wurde. Der Bieberer Berg wurde zum Synonym für Grätscher und Kämpfer, wo, zum Beispiel, der damals noch junge Trainer Otto Rehhagel seinen Abwehrspieler Amand Theis aufforderte, dem flinken Bernd Hölzenbein doch richtig in die Knochen zu hauen. Das Frankfurter Waldstadion galt im Vergleich zum Bieberer Berg als Musentempel, wo Fußball in den größten Zeiten von Spielern wie Jürgen Grabowski, Bernd Hölzenbein oder Bernd Nickel zelebriert wurde. Derbys wurden zu Bestätigungen von Weltanschauungen. Und wenn einmal einer den Standort und die Mainseite wechselte, hatte er es schwer, sich Kredit bei den jeweiligen Fans zu erarbeiten. Der Makel, von drüben gekommen zu sein, haftete jedem an. Nur Leistung konnte ihn mit der Zeit abwaschen. Der Offenbacher Traum, irgendwann wieder auf Augenhöhe mit der Eintracht in derselben Liga zu kicken, wird weiter geträumt. Einerseits waren die Frankfurter meist doch zu stark, um ganz nach unten wegzufallen, andererseits die Kickers nie mehr so stark, die Eintracht sogar in der zweiten Liga einholen zu können. Für die Regionalliga haben sie in Offenbach für diese Saison eine Mannschaft aus Altgedienten zusammengebastelt, die für den Zweitliga-Aufstieg garantieren soll.“

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Allgemein

Portrait: Eurosport-Kommentator Gottfried Weise (1)

Marc Schürmann (FR 4.6.) porträtiert Eurosport-Kommentator Gottfried Weise. „Die Stimme von Gottfried Weise ist ein Echo aus alten Jahren, als die Russen noch das CCCP auf dem Trikot trugen, die Italiener noch schönen Fußball spielten und das Fernsehen drei Programme hatte. Die Stimme fließt, fließt, sie spielt die immer gleiche Melodie zwischen Satzanfang und Satzende, betont, unbetont, betont, betont, unbetont, betont, wie ein Refrain, das Tempo gleichmäßig wie beim Dauerlauf, und dann ein genüssliches Dehnen der letzten Silbe, am liebsten mit einem n, die Tschechen mit Problemennnnn!, die Stimme klingt etwas blechern wie aus einem Volksempfänger, auch wenn ein Satellit sie überträgt, man könnte sie stundenlang hören, sie fließt, fließt, ohne dass sie stört – und ohne dass sie auffällt. Der Mann, dem diese Stimme gehört, ist eigentlich der Größte der deutschen Fußballreporter, der Saurier, der Altmeister, aber wie seine Stimme fließt er bloß mit und fällt nicht auf. Um als Sportreporter berühmt zu werden, braucht man drei Dinge: einen großen Sport, ein großes Spiel und einen großen Sender. Gottfried Weise hat aber nur zwei dieser Dinge. Den größten Sport, Fußball. Und viele große Spiele, 3000 insgesamt, alle Weltmeisterschaften seit 1974. Aber er kommentiert bei Eurosport. Deswegen kennt man nicht ihn, sondern Marcel Reif und Johannes B. Kerner und Béla Réthy und Heribert Faßbender. Die bei ARD und ZDF arbeiten, bei Sat 1, RTL oder wenigstens Premiere. Über den Kerner reden die Leute am nächsten Tag, sie haben ihn ja alle gehört, aber Eurosport ? Ein Nischenkanal. Eurosport bringt rund 90-mal Weise im Jahr – aber andererseits ist es auch in Ordnung so, denn Gottfried Weise im ZDF, das wäre, als würde man für die Samstagabend-Show den Kulenkampff ausgraben (…) So viel Weise über Fußball weiß, so viel denkt er auch über ihn nach, aber das macht er nur für sich. Dienstlich beschränkt er sich aufs Handwerk. Früher waren Reporter noch Mittler des Ereignisses, sagt er, da hat man sich selbst nicht so inszeniert wie heute die jungen Leute bei ran auf Sat 1, die sind zwar berühmter, aber ihre Masche kann sich auch schnell abnutzen, mir geht sie auf den Wecker. Aber nicht beim Reif, betont Weise, der inszeniert sich zwar auch, aber er hat die Reportage an den Rand der Literatur gehoben. Weise ist immer noch ein Mittler, einer, für den ein Fußballspiel eine ernsthafte Nachricht ist und keine Unterhaltungsshow. Der sich vor jeder Live-Reportage Videos der beiden Mannschaften ansieht, der Kollegen und Ex-Spieler in Prag und Madrid und London anruft, der ein Spiel notfalls aber auch aus dem Schlaf heraus kommentierten könnte, weil er aus dem Kopf weiß, dass Klaus Sammer beim DDR-Pokalfinale 1971 in Halle zwei Tore geschossen hat und das 2:1 in der 119. Minute. Oder dass Fernandez im WM-Halbfinale Brasilien gegen Frankreich 1986 den entscheidenden Elfmeter für Frankreich verwandelte. Die Stimme fließt, fließt, der Kopf fließt mit, er ist ein Archiv voller Spielzüge, Namen, Tore, Minuten, Pokale, Tränen. Den Kopf macht er auf und kramt heraus, was der Zuschauer gebrauchen kann.“

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„WM, Abschied im Zorn“

Trauer und Wut, vor allem aber die Empörung über einen „geraubten Sieg“ beherrschen die Schlagzeilen der italienischen Tageszeitungen am Tag nach der Niederlage gegen Südkorea. „WM, Abschied im Zorn“ titelt La Repubblica, „Schmutzige WM“ heißt es im Corriere della Sera. Nach fünf zu Unrecht annullierten Toren bei dieser WM gibt es kein Halten mehr: Komplottgerüchte kursieren, Totti Co. schlagen die Umkleidekabinen kurz und klein, Schiedrichter Moreno muss nach massiver Bedrohung durch die Azzurri unter Personenschutz gestellt werden. Der italienische Ministerpräsident (und Außenminister) Berlusconi ist sprachlos: „Schade, schade … ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll!“ (La Repubblica). Erste Parteifreunde von Forza Italia fordern, Berlusconi möge doch nach dem absehbaren Rücktritt Franco Carraros, des Präsidenten italienischen Fußballverbandes Federcalcio, in bewährter Manier auch hier das Heft in die Hand nehmen. Kritik übt Gianni Mura, Kommentator der Repubblica, auch an Trapattoni, doch nur an seinem Mangel an Contenance während des Spiels: „Trapattoni hat man noch nie so erregt gesehen: Er tritt mit Flaschen, streitet ununterbrochen, boxt mit der Plastikwand, hinter der die Männer von der Fifa stehen. Ein bisschen mehr Ruhe könnte nicht schaden, denn diese Anspannung überträgt sich auf die Spieler.“ Schließlich solle man sich auch daran erinnern, dass in vier Spielen Italien nur einmal gesiegt habe, und zwar gegen Ekuador. Heftigere Geschütze fährt der Corriere della Sera auf: Giorgio Tosati schürt den Komplottverdacht: „Italien ist aus einer schmutzigen WM rausgeflogen, bei der Schiedsrichter und Linienrichter gedungene Meuchelmörder sind. Es ist die WM der Bande, die sich der Fifa bemächtigt hat, eine WM der skrupellosen und machtgierigen Organisatoren wie der Koreaner, eine WM der Bosse, die sich mit der Zeit wichtiger Stücke des Kuchens bemächtigt haben (der Türke Erzik, der Deutsche Roth, der Soanier Villar). – Italien zählt nichts mehr im internationalen Fußball, alles Schuld der mangelnden Präsenz der Funktionäre.” Franco Carraro hüllt sich in beredtes Schweigen: „In Italien werde ich sprechen“. Zu viel Diplomatie, meint Alberto Costa (Corriere della Sera). Oder sei Carraro etwa im Besitz von brandheißen Gemeindienst-Informationen und die Azzurri in akuter Gefahr?

Italienische Reaktionen fasst Mark Schilling (NZZ 19.6.) zusammen. „Dementsprechend begab sich Franco Carraro, der italienische Verbandspräsident, nach Schlusspfiff wie an einer Abdankung auf das Podium und murmelte mit Grabesstimme, dass „altri considerazioni“, andere Erwägungen (er meinte damit sibyllinisch solche, welche die Referees betreffen), zu Hause getroffen werden, während der Commissario tecnico Trapattoni seinen Furor mit den Worten, dass sie in einigen Szenen „enorm bestraft“ worden seien, zügelte. Die Spieler hingegen machten aus ihren Herzen keine Mördergruben, trugen ihre Frustrationen ziemlich unverhohlen gegen aussen und bastelten gar an Verschwörungstheorien. Sowohl Captain Paolo Maldini, an sich eine besonnene Seele, als auch „Opfer“ Totti schilderten, dass der Anfang des Endes bereits vor Ankick begonnen habe, als Señor Moreno einzelnen Italienern das Shake hands verweigert habe. Der verletzte Abwehrturm Alessandro Nesta wiederum monierte das Übergewicht des Referees, was sich auch daran erkennen lasse, dass dieser beim Platzverweis Tottis etwa 45 m vom Tatort entfernt gestanden habe. Und Mannschafts-Oldie Angelo Di Livio stellte gar den eigenen Verband an den Pranger, da es diesem nicht gelungen sei, mehr Einfluss auf eine bessere Besetzung dieser Partie zu nehmen. Andere Azzurri wiederum, wie etwa Vieri, suchten wort- und fassungslos das Weite (…) Bei aller Kritik am Schiedsrichter müssen sich die Italiener doch auch den Vorwurf gefallen lassen, dass gemessen an den hochkarätigen Abschlussmöglichkeiten die Partie gar nie hätte in die Verlängerung gehen dürfen.“

Italienische Reaktionen nach dem Spiel fasst Dirk Schümer (FAZ 19.6.) zusammen. „Lag es am Schiedsrichter? Lag es am Linienrichter? Lag es am Pech mit den Abseitsentscheidungen? Oder lag es tatsächlich doch an den Leistungen der Azzurri? Im allgemeinen Entsetzen, nach sechsunddreißig Jahren wieder gegen einen Außenseiter aus Korea ausgeschieden zu sein, ist in Italien nun eine schwierige Tugend gefordert: als Verlierer „bella figura“ zu machen und mit Stil den herben Rückschlag zu verkraften. In den ersten Medienreaktionen wurde zuvörderst der ekuadorianische Schiedsrichter zum Buhmann: Ungerechte Rote Karte für Totti, falsches Abseits bei einem Tor von Tommasi in der Nachspielzeit. Offenbar hatten die Italiener bei diesem fernöstlichen Ausflug schlicht Pech, wie viele abergläubische Landsleute jetzt vollkommen sicher sind. Waren es insgesamt nicht vier korrekte Tore, die den Azzurri aberkannt worden waren? Erst in der zweiten Welle der Reaktionen wird es wohl so manchem dämmern, dass die Italiener mit ihrem zynischen und pur defensiven Spiel gehörig selbst an der Katastrophe mitgewerkelt haben. In erster Linie trifft die Wut Nationaltrainer Trapattoni, der gemäß seiner Sicherheitsphilosophie vor allem Verteidiger in den Kader berufen und auf den kreativen Star Roberto Baggio verzichtet hatte. Nun müssen die Italiener einer Taktik aus den sechziger Jahren Tribut zollen.“

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König Otto von Griechenland – steht der Schweizer Fußball vor guten Zeiten? – Schottland gratuliert Vogts – Scharmützel zwischen Türken und Engländern

Griechenland – Nordirland 1:0

Otto Rehhagel hatdie gesamte griechische Fußballstruktur verändert

Torsten Haselbauer (FAZ 13.10.) berichtet Leistung und Anerkennung Rehhagels in Griechenland: „Ausnahmsweise ist sich die gesamte, sonst immer völlig zerstrittene griechische Fußball-Öffentlichkeit einmal einig: Diesen Erfolg hat nur Otto Rehhagel nach Griechenland gebracht, und zwar deshalb, weil er fast die gesamte griechische Fußballstruktur verändert hat. Seit Rehhagel für rund 400 000 Euro jährlich in Hellas auf dem Fußballplatz das Sagen hat, ist nicht mehr die Mannschaft der Star, sondern ihr deutscher Trainer. Das überaus harmonisch auftretende Nationalensemble gibt den sonst traditionell zerstrittenen Spielern aus den drei Athener Großvereinen AEK, Panathinaikos und Olympiakos Piräus plötzlich wieder eine Art emotionale Bindungskraft. Es sei wieder schick, im Nationalteam zu kicken, seitdem Rehhagel auf der Bank sitze, erklären die extrem individualistischen und imagesüchtigen griechischen Spieler. Rehhagel machte die Nationalmannschaft wieder populär – bei den Spielern und Fans gleichermaßen. Am Samstag zum Spiel gegen Nordirland reiste Prominenz aus ganz Griechenland ins Athener Panathinaikos-Stadion Leoforos Alexandras an. Darunter der legendäre und von allen Griechen verehrte Komponist Mikis Theodorakis, der eigens eine neue Hymne komponierte, die vor dem Spiel von einer Blaskapelle intoniert wurde. Rehhagel setzte seine Fußballideen konsequent und mit langem Atem im kurzlebigen griechischen Fußballgeschäft durch. Natürlich sicherte sich der deutsche Stratege zuvor bei dem mächtigen Verbandspräsidenten Vassilis Gagatsis ab und ließ sich mit allen Vollmachten ausstatten. Die Zeiten, in denen Journalisten die Mannschaft aufstellen, sind ab jetzt vorbei, so erklärte Rehhagel recht früh den verdutzt dreinschauenden griechischen Sportjournalisten ihren Machtverlust. Die dürfen zwar weiter die Mannschaft zu Auswärtsspielen begleiten, wohnen aber nicht mehr im selben Hotel. Überhaupt schottet der langjährige Bundesligatrainer das griechische Nationalteam auffällig streng gegenüber der Öffentlichkeit ab. Es gibt plötzlich ein für die Hellenen bis dato völlig unbekanntes Geheimtraining oder ein mitunter fünf Tage lang andauerndes und ernsthaft durchgeführtes Trainingslager vor einer bedeutenden Begegnung.“

Tibor Meingast (SZ 13.10.) fügt hinzu: „Alter spielt in Athen nun wirklich keine Rolle. Wo die Akropolis in ihr viertes Jahrtausend geht, was sind da schon die bescheidenen 65 Jahre des Fußballlehrers Otto Rehhagel? Der steht weiter engagiert im Berufsleben; gerade hat sich sein Vertrag um neun Monate verlängert. Und seinen Arbeitseifer im Stadion von Panathinaikos bremst auch nicht, dass längst das Flutlicht erloschen ist. Nach einem letzten Fernsehinterview steht er auf dem Spielfeld und telefoniert, während Ehefrau Beate und seine beiden Spezis aus Kaiserslauterer Zeiten, Robert Wieschemann und Gerhard Herzog, im Dunkel der schmucklosen Sportstätte warten. Die Besucher aus der Heimat durften erleben, wie der griechische Nationaltrainer südländisch gefeiert wurde. Erst holte Rehhagel bei jeder Unterbrechung Spieler zu sich und wies sie mit Hilfe von Assistenztrainer und Übersetzer Joannis Topalidis an, dann schickte er sie in der Schlussphase wild gestikulierend nach vorne. Mit Pressing am gegnerischen Strafraum brachten die Griechen ihren 1:0-Sieg über die Zeit. Griechenland qualifizierte sich für die Europameisterschaft, Rehhagel umhalste Verbandschef Vassilis Gagatsis („Mein Präsident“) und spurtete dann aufs Feld. Jeden Spieler nahm er sich zur Brust und erwies, die rechte Hand in die laue Nacht gereckt, auch dem Publikum seine Reverenz. Das dankte überschwänglich und skandierte, intoniert vom Stadionsprecher, fast eine Minute lang ein dunkles „Otto Rächakel“. Nach je drei Meisterschaften und Pokalsiegen sowie dem Europacupgewinn ein weiterer Triumph für den Essener, über den die griechischen Zeitungen schreiben, er wohne „bei Schalke“.“

Schweiz – Irland 2:0

Tobias Schächter (taz 13.10.) porträtiert den Schweizer National-Coach: „Das ist Anton Kuhn, ein Schweizer Held. Und dieses historische Ereignis, nach langen Jahren des Darbens so sehr herbeigesehnt von den fußballbegeisterten Menschen von Basel bis Zürich, ist sein Erfolg. Denn bevor der ehemalige Juniorentrainer des Verbands und Spieler des FC Zürich vor zwei Jahren die Eliteauswahl übernahm, hatten fünf Trainer erfolglos und oft auch kläglich versucht, den Schweizer Fußball nach der Ära Roy Hodgson (1996) wieder zu einem großen Turnier zu führen. Ausgerechnet dem Köbi, dessen Inthronisierung nicht wenige mit einem Kopfschütteln kommentiert hatten, gelang nun genau dies. Davor hatte der medienscheue Mann, der so gar nicht in die kapitalisierte Welt des Kommerzfußballs zu passen scheint, freilich viele Stürme zu überstehen. Gleich zu Beginn, nachdem er sich mit Altgedienten angelegt und Ciriaco Sforza aus dem Kader geworfen hatte, beispielsweise eine Kampagne des Schweizer Boulevardblatts Blick. Er ist der Größte, für mich gibt es keinen Besseren. Er hat zu 99,9 Prozent richtige Entscheidungen getroffen, preist ihn sein Kapitän und Torhüter Jörg Stiel von Borussia Mönchengladbach, der das Spiel heldenhaft mit einem Kopfverband zu Ende spielte und dabei aussah wie eine Mischung aus Catweazle und Elefantenmensch. Helden. (…) Die Zukunft scheint ohnehin rosig. Zusammen mit Österreich ist die Schweiz Gastgeber der EM 2008, zudem besteht nun die Chance, sich in Europas Spitze zu etablieren. Denn die Talente sprießen aus dem Schweizer Boden wie Loblieder auf den Köbi: Die U17 gewann vor zwei Jahren die Europameisterschaft, die U21 errang im gleichen Jahr die Vize-Europameisterschaft, und der FC Basel mischte im letzten Jahr die Champions League auf.“

Felix Reidhaar (NZZ 13.10.) kommentiert nüchtern: „Das Schweizer Fussballnationalteam hat am Samstagabend an einer wichtigen Kreuzung den richtigen Weg eingeschlagen. Die Endrundenqualifikation zur EM 2004 in Portugal ist dabei ein Etappenerfolg – das vordergründige Ziel zwar, aber mittelfristig von noch weiterreichender Bedeutung: Der Gruppensieg wird einerseits zu einer besseren Einstufung im europäischen Ranking und damit zu einer günstigeren Ausgangslage in der Gruppenauslosung für die WM 2006 (Anfang Dezember in Frankfurt) beitragen – und damit möglicherweise zu einer weiteren Kampagne, in der die Auswahl kompetitiv mitbieten kann, ehe die dritte EM-Teilnahme 2008 im eigenen Land ins Visier rückt. Anderseits stärkt Platz 1, wenngleich mit der geringsten Gesamtpunktzahl erreicht, die Position Jakob Kuhns, indem er den Hyänen vom Boulevard für eine ordentliche Weile die Schnauze stopft. Denn der seines väterlich ruhigen Habitus wegen gerne unterschätzte Coach kennt sowohl personelle wie strukturelle Präferenzen und braucht hiezu keinen Nachhilfeunterricht. Er hat seit Beginn seiner Amtszeit vor rund zwei Jahren nie ein Hehl daraus gemacht, dass ein sorgsamer Umbau und eine allmähliche Blutauffrischung aus dem beachtlichen Reservoir an international erprobten Nachwuchskräften oberste Priorität hat. Deshalb hatte er anfänglich keine grossen Hoffnungen in die EM-Ausscheidung gesetzt, zumal Widersacher wie die WM-Teilnehmer Russland und Irland allgemein als zu stark eingeschätzt wurden. Der durch gütige Mithilfe von Aussenseitern wie Albanien und Georgien begünstigte direkte EM- Vorstoss stellt sich so gesehen zu früh ein – unschweizerischer könnte, auf den Fussball bezogen, diese Entwicklung gar nicht zustande gekommen sein. Doch sie wirkt jetzt vor allem als grosse Aufmunterung.“

Schottland – Litauen 1:0

Raphael Honigstein (taz 13.10.) nennt den Strippenzieher des britischen Fußballs: „Alex Ferguson hat einfach überall seine Finger im Spiel. Unter der Woche hatte Manchester Uniteds Trainer hinter den Kulissen die englische Nationalmannschaft zum Solidaritätsstreik für seinen vergesslichen Schützling Rio Ferdinand angestachelt. Am Samstag mussten die Iren ihre Träume von der EM begraben – unter anderem auch, weil ihr Bester, Roy Keane, auf Wunsch von Sir Alex seine Hüfte nur noch für den Verein ramponiert. Dafür hat der gebürtige Glasgower und ehemalige Nationaltrainer seinen Landsmännern am selben Tag aus alter Verbundenheit aber das Erreichen der Play-offs ermöglicht. Wie, ist schnell erzählt: Bis zur 68. Minute stand es gegen Litauen in einem wahrhaft grässlichen Spiel 0:0 und der zweite Platz hinter Deutschland war ernsthaft in Gefahr. Doch dann fiel dem kurz zuvor eingewechselten Jungnationalspieler Darren Fletcher der Ball an der Strafraumgrenze vor die Füße – und ein knackiger Volley ins kurze Eck erlöste den Hampden Park. Der nach dem 1:0-Sieg umjubelte Held, 19 Jahre alt, gab später zu, in jener entscheidenden Szene gar keine andere Wahl gehabt zu haben. Alex Ferguson hat gesagt, wenn wir nicht gewinnen, brauche ich gar nicht erst zurückzukommen, grinste Manchester Uniteds Mittelfeldspieler. So aber flossen in Glasgow aus allen Richtungen schmissige Dudelsackmelodien ineinander, und in den Katakomben waren noch weitaus wohlklingendere Töne zu vernehmen: Die Journalisten gratulierten Berti Vogts, Berti Vogts gratulierte der Mannschaft, die Mannschaft gratulierte Berti Vogts.“

Türkei – England 0:0

Christian Eichler (FAZ 13.10.) erzählt Scharmützel: „Die Situation schien nur einmal zu eskalieren, als Collina Elfmeter für England gab. David Beckham, eine Reizfigur für die Türken seit einem als Entehrung empfundenen Küßchen, das er seinem Gegenspieler Tugay als offene Beleidigung beim Hinspiel im April zugeworfen hatte, lief an – und rutschte mit dem Standbein weg. Im Fallen erwischte er den Ball so tief, daß der aufstieg wie eine Silvesterrakete und den europäischen Elfmeterhochschußrekord, den Uli Hoeneß im EM-Finale 1976 aufgestellt hatte, locker übertraf. Es war, als habe Beckham sich zuviel von Jonny Wilkinson abgeschaut, dem Kicker des englischen Rugby-Teams, das am Sonntag als Titelfavorit die WM in Australien begann. In einem aktuellen Werbespot bringt Beckham Wilkinson bei, wie man den Fußball über die Mauer schnibbelt, und Wilkinson zeigt Beckham, wie man ein Ei hoch durch die Malstangen jagt. 42 000 Zuschauer johlten hämisch auf, als Beckham Ball und Ei verwechselte. Noch als der Engländer auf dem Hosenboden saß, war der türkische Verteidiger Alpay über ihm. Er packte mich am Ohr und sagte etwas Übles über meine Mutter, schilderte Beckham, der sich nicht provozieren ließ. Erst zehn Minuten später, im Kabinengang auf dem Weg in die Halbzeitpause, sagte er Alpay die Meinung. Es entstand ein kollektives Gerangel, das der Schiedsrichter jedoch umgehend entschärfte. Collina forderte beide Seiten auf, sich die Hände zu geben, und rief sie erfolgreich zur Raison mit den Worten: Es ist ein zu wichtiges Spiel, um es mit solchen Albernheiten zu verderben. Der türkische Trainer Senol Günes beklagte, ihm sei durch das Gerangel im Gang zu wenig Zeit für taktische Anweisungen in seiner Halbzeitbesprechung geblieben: So verloren wir die Konzentration. Abgesehen vom Pausentheater, blieb es ein Abend der kontrollierten Emotionen. Selbst als Torwart Rüstü mit einem gestreckten Bein in Kopfhöhe heraussprang, als wolle er Kieron Dyer skalpieren – eine Aktion, die nicht nur den deutschen Nationalspieler Dietmar Hamann an Toni Schumachers Rammstoß gegen den Franzosen Battiston bei der WM 1982 erinnerte –, und Collina beide Augen zudrückte, ließen sich die Engländer nicht von ihrer kühlen Attitüde abbringen. Es war eine weitere Reifeprüfung des Teams, das immer mehr die kühl professionelle Handschrift von Trainer Sven-Göran Eriksson trägt. Seit der Schwede die Mannschaft im Sommer 2001 übernahm, hat sie sich zu einem europäischen Spitzenteam entwickelt.“

Von Thomas Seibert (Tsp 13.10.) klingt dies anders: „Als die Mannschaften zur Pause in die Kabinen gingen, griff Alpay, der beim englischen Verein Aston Villa unter Vertrag ist, nach Beckhams Ohr und beleidigte den Superstar weiter. Beckham schlug zurück, traf den Türken aber nicht. Darauf mussten die beiden Profis zwar bei Schiedsrichter Pierluigi Collina antreten, der sie aufforderte, sich die Hand zu reichen – aber die restlichen Profis schlugen im Kabinengang aufeinander ein. So lieferten sich Sol Campbell und Hasan Sas erst eine verbale Auseinandersetzung, die dann aber schnell handgreiflich wurde. Am Ende lagen etwa 50 Spieler und Offizielle beider Seiten miteinander im Clinch.“

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„Lothar Matthäus, vielleicht kannst Du Dich daran erinnern“

Ralf Wiegand (SZ 25.7.) berichtet die Gerichtsposse Lothar Matthäus vs. FC Bayern. „Vor dem Scheidungsrichter wäre die Sache mit dem Aktenzeichen 12023094/02 vielleicht besser aufgehoben gewesen als vor der 12. Zivilkammer des Landgerichts München I. Der FC Bayern und Lothar Matthäus führten einmal so etwas wie eine Ehe, beide polarisierten die Fußballwelt auf ihre Weise. Der flotte Franke Matthäus mit seinem bisweilen losen Mundwerk, der Weltverein Bayern München mit seinem Führungsanspruch. Man konnte sie lieben oder hassen, und das machte sie zu einer funktionierenden Gemeinschaft. Zum Abschied, als aus der Beziehung schon längst ein Zweckbündnis geworden war, richtete der Verein dem Spieler ein großes Abschiedsfest aus, am 26. Mai 2000. 3927671,16 Mark flossen an Matthäus. Streit ums Geld ist in Deutschland Scheidungsgrund Nummer ein (…) Welch ein Spektakel: Matthäus vs. FC Bayern. Die Verhandlung musste vom kleinen Sitzungssaal 6 in den großen Saal 28 verlegt werden, Fotografen drängelten sich dutzendweise, alle Ordnungsrufe der Justizbeamten verhallten im Chaos. Kameraleute warfen sich gegenseitig die Stative um. Zusätzliche Stühle wurden herbeigeschafft, kurz vor Verhandlungsbeginn schlüpfte Markus Hörwick, der Pressesprecher des FC Bayern, als Zuhörer in den Saal und schüttelte den Kopf (…) Der Richter redete mit Engelszungen auf Matthäus ein. Ob er denn seine eigenen Verträge nicht kenne – er legte ihm seinen Vertrag mit dem FC Bayern vor und fragte: „Ist das Ihre Unterschrift, Herr Matthäus?“ Er verlor fast die Geduld: „Wenn Sie meinen, man muss streiten, dann muss man streiten.“ – „Es ist die Frage, was Sie jetzt noch wollen.“ – Matthäus verhielt sich wie in einer Pressekonferenz. Als Karl Hopfner Ihn an ein Vier-Augen-Gespräch erinnerte („Lothar Matthäus, vielleicht kannst Du Dich daran erinnern“), sagte Matthäus: „Ich möchte hier nicht mit Herrn Hopfner diskutieren.“ Der Richter: „Aber vielleicht müssen Sie mit mir reden.“ So ging das eineinhalb Stunden lang, bis der Richter zu Matthäus und seinen beiden Rechtsvertretern sagte: „Wir haben nichts gefunden, was Ihre Rechtsauffassung belegen würde.“ Er schlug erneut vor, sich zu vergleichen. 5000 Euro, und die Sache wäre vom Tisch. Pause. Fenster auf. Erkenntnis kam keine herein. Matthäus Anwalt eröffnete die Verlängerung mit dem Angebot, den Vergleich zu akzeptieren – und verlangte 20000 Euro. „Wie kommen Sie jetzt auf diese Zahl?“, fragte Richter Bischoff. „15000 plus X“, antwortete der Anwalt. Gelächter im Saal. Ein Ordnungsruf des Richters. „7500 Euro“, bot der Bayern-Anwalt. „12000″, rief der Matthäus-Vertreter. Dann: 8000, „eine runde Summe“. Es blieb bei 7500, der Richter diktierte den Vergleich auf sein Tonband. Matthäus ließ sich eine zweiwöchige Widerrufsfrist einräumen. Niemand sollte die Hand ins Feuer legen, dass die Sache beendet ist.“

Zur untragbaren Nervensäge entwickelt

Thomas Becker (FR 25.7.) berichtet aus dem „Königlich-bayerischen Amtsgericht“. „Hätte es noch eines Beweises bedurft, warum Lothar Matthäus sich im Laufe der Jahre vom Ausnahme-Fußballer zur untragbaren Nervensäge entwickelt hat, die zwei Stunden vor Gericht hätten auch den letzten Zweifler überzeugt. Dutzende Fernsehteams, Fotografen und Journalisten wunderten sich somit kaum noch, als der Kläger nach getaner Tat in die Kameras sprach: Ich bin zufrieden. Schade, dass es vor Gericht gehen musste. Es ging mir nicht ums Geld. Wie kann er mit 7500 zufrieden sein, wo es um ihm angeblich zustehende Millionenbeträge ging? Wie kann er sich über den Rechtsweg beklagen, wenn er ihn selbst eingeschlagen hat? Und um was, wenn nicht um Geld, ging es denn? Rational ist das Verhalten von Matthäus schon lange nicht mehr zu erklären. Der FC Bayern, vertreten durch den bemitleidenswerten Vorstand Karl Hopfner, nahm die Causa mit einem Kopfschütteln und dezentem Zähneknirschen.“

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Bosnich von Depressionen zu Kokain

Nach angeblichen Kokainmissbrauch droht dem Keeper von Chelsea London sogar eine zweijährige Sperre Ein Wochenverdienst von 65.000 Euro, Stammtorwart bei einem europäischen Spitzenclub, australischer Nationaltorwart. Angeblicher Kokainmissbrauch und schwere Depressionen. Die Sonnen- und die Schattenseiten liegen bei Mark Bosnich von Chelsea London dicht beieinander.

Erst vor kurzem wurde der international erfahrene Torwart nach einer Premier-League-Partie positiv auf Kokainmissbrauch getestet. Vor zwei Tagen ist Bosnich jetzt sogar aufgrund von Depressionen ins Krankenhaus eingeliefert worden. „Mark dankt der Presse für ihre Unterstützung in dieser schwierigen Zeit und bittet aufgrund der Umstände darum, weitere Informationen vertraulich zu behandeln“. Das Management des Australiers informierte die Öffentlichkeit noch am selben Tag von der Anstehenden Behandlung des 29-jährigen, um jeglichen Spekulationen zuvor zukommen.

Mark Bosnich muss nicht nur eine zweijährige Fußball-Sperre befürchten, sondern auch die Vertragsauflösung mit seinem jetzigen Verein Chelsea London. Noch steht die B-Probe zwar aus. Sollte diese jedoch positiv sein, wäre das Vergehen des Australiers das schwerste in Verbindung mit Drogenmissbrauch seit 1994 in der Premier League. Damals geriet Paul Merson von Arsenal London aufgrund starker Alkohol- und Kokainsucht in die Schlagzeilen. Sowohl der FC Chelsea London als auch der englische Fußballverband wollen sich noch nicht näher zum Fall Bosnich äußern, bevor das rechtskräftige Ergebnis der B-Probe feststeht.

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Anti-Kriegs-Signale

Josef Kelnberger (SZ 26.3.) kommentiert die Anti-Kriegs-Signale aus der Welt des Sports. „Wenn es um den Sport und den Krieg geht, muss man natürlich als ersten Franz Beckenbauer zu Wort kommen lassen. Der hat die Fußball-WM 2006 nach Deutschland geholt und gilt als deren Kopf, ist daher so etwas wie der oberste Botschafter des deutschen Sports. Franz Beckenbauer also hat, das erklärte er gestern in Berlin, „die Schnauze voll vom Krieg“. Und zwar nicht etwa, weil er so grausam ist, der Krieg, sondern weil zu viel darüber geredet wird. „Ich zähle nicht jeden Tag die Zahl der Einschüsse und der Bombenabwürfe“, sagt er. Er habe in den vergangenen Tagen keine Nachrichtensendung gesehen, „ich verweigere mich dieser Hysterie“. Hysterie also. Das Wort wird Beckenbauer genauer erklären müssen, wenn er in die Stadt Leipzig kommt, die Spielstätte sein wird bei der WM 2006, sich um die Olympischen Spiele 2012 bewirbt und jetzt für Aufsehen sorgt mit Demonstrationen gegen den Krieg. 50.000 gingen am Montag auf die Straße. Leipzig hat damit sogar beim großen Olympia-Konkurrenten New York Widerhall gefunden – zumindest Eingang in die New York Times. Dort wurde in durchaus nachdenklichem Ton vermerkt, dass dieselben Bürger, die in den neunziger Jahren mit ihren friedlichen Demonstrationen ein kommunistisches Regime ins Wanken brachten, jetzt ebenso friedlich und in derselben Zahl gegen die USA demonstrieren (…) Meinungen zum Krieg trudeln von überall aus der Sportwelt ein. Die Mannschaft des FC Barcelona feierte mit ihrem Friedensappell („El Barça per la pau“) den größten Sieg der Saison. Diego Armando Maradona schimpfte von Kuba aus den US-Präsidenten einen „Mörder“, sein ehemaliges Team Boca Juniors demonstrierte wie das kolumbianische Team von Deportivo Cali auf einem Spruchband ein NO A LA GUERRA. Die ungezählten Wortmeldungen – in USA und Großbritannien pro, im Rest der Welt meist contra – interpretiert Beckenbauer vermutlich als Hysterie. Aber so vielstimmig funktioniert eben der öffent liche Diskurs in der Mediengesellschaft, den Beckenbauer selbst schon um viele überflüssige Zitate bereichert hat. Der sympathischste Beitrag zum Thema Krieg und Frieden wurde aus dem Bremer Weserstadion gemeldet. Die Fußballprofis ließen 99 Luftballons steigen. Gar nicht hysterisch.“

René Martens (FTD 24.3.) analysiert das Verhältnis zwischen Fußball und Krieg. „Wenn Sing oder seine Brüder gegen das Spielgerät treten, verwandeln sie es in einen rasenden Feuerball oder eine marschflugkörperähnliche Waffe. Sings Truppe, die Kung Fu mit Fußball kombiniert, steht im Mittelpunkt der Actionkomödie „Shaolin Soccer“, die im April in den deutschen Kinos anlaufen sollte. Im entscheidenden Spiel trifft die familiäre Bande endlich auf einen Gegner, der ihr das Wasser reichen kann. Nach dem Match gibt das Spielfeld ein Bild der Verwüstung ab, einige Kicker liegen wie Schlachtopfer in der Gegend herum. Vermutlich in dem Glauben, dass den Zuschauern derzeit nicht der Sinn nach martialischen Bildern steht, hat der Verleih den Film, der im übrigen ballaballa ist, nun auf Mitte September verschoben. Das ist schade, denn „Shaolin Soccer“ hätte zum richtigen Zeitpunkt daran erinnern können, dass die Zweierbeziehung zwischen Fußball und Krieg seit jeher harmonisch ist. Die Verwandtschaft ist vielfältig: Mal bewährte sich das Kicken als Vorbereitung für den Krieg – vor dem Ersten Weltkrieg tönte der Norddeutsche Fußballverband: „Durch den Sport wurdet ihr für den Krieg erzogen, darum ran an den Feind und nicht gezittert“ –, mal als Ablenkung, wie am 22. Juni 1941. Es war kein Zufall, dass an diesem Tag, als das öffentliche Interesse dem deutschen Meisterschaftsfinale zwischen Rapid Wien und Schalke 04 galt, die Nazis den Überfall auf die UdSSR starteten.“

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TV-Duo Netzer und Delling

Das Grimme-Preis-gekrönte TV-Duo Netzer und Delling ist für das deutsche Fernsehpublikum nicht mehr wegzudenken – ähnlich „Winnetou und Old Shatterhand“ wie die SZ findet. Die „Netzerisierung der Nationalmannschaft“ ist ein seit geraumer Zeit zu beobachtendes mediales Phänomen, worunter eine außergewöhnliche Mischung aus intellektuellem Expertentum und Stammtischhoheit zu verstehen ist.

Die Bilanz des fußballerischen Ex- und Imports ist in Saudi-Arabien unausgeglichen. Folglich zählt Deutschlands Vorrundengegner zu den krassen Außenseitern der WM, obwohl sie bereits das dritte Mal in Folge an einer Endrunde teilnehmen werden. Gleich zwei Autoren widmen ihre Aufmerksamkeit heute den Saudis.

Außerdem: vom schwierigen weil historisch belasteten Verhältnis zwischen Südkorea und Japan, Sex-Verbot in Italien (?) und Deislers Verletzung.

Philipp Selldorf (SZ) und Berries Bossmann ( Die Welt) zu: Deutschlands WM-Kader

Rainer Hermann (FAZ) und Martin Hägele (NZZ ) zum Thema: Saudi-Arabien

Henrik Bork (SZ) zum Thema: problematische Beziehung der beiden WM-Gastgeberländer Südkorea und Japan

„Wer ist der reale Teamchef, wer der virtuelle?“ fragt Ralf Wiegand (SZ 22.5.), Bezug nehmend auf die öffentliche Resonanz des TV-Experten Günter Netzer. „Der Sport-Teamchef ist Rudi Völler, und der TV-Teamchef heißt Günter Netzer. Es gibt genug Menschen, die glauben, Günter Netzers WM-Elf könnte tatsächlich die bessere sein für die Mission in Japan. Schon allein, weil Netzer diesen Carsten Jancker nicht mag. Für Rudi Völler ist sein Alter Ego im Studio nicht immer ein Kumpel. An den Stammtischen nämlich ist Netzer, 57, der Primus inter pares, Anführer eines Millionenheeres von Bundestrainern – im Zweifelsfall auch gegen Völler (…) Bei durchschnittlich zehn Länderspielen pro Jahr erreichen die Kommentatoren und Experten von ARD und ZDF somit weit mehr als die Hälfte aller Haushalte. Einer wie Netzer oder dessen Kompagnon Delling, 43, ist damit häufiger im Wohnzimmer zu Besuch als die eigene Verwandtschaft. Sie sind die Meinungsmacher (…) Die beiden sind eine eigene Marke geworden. Mitten in der Goldgräberzeit, als neben Premiere auch noch tm3 Jagd auf die bekanntesten Köpfe des Genres machte, nutzten Netzer und Delling ihre im Dunstkreis der Nationalelf gewonnene Popularität, indem sie ihr beider Schicksal miteinander verbanden wie man es im Fernsehen vorher nur von Winnetou und Old Shatterhand kannte.“

Benjamin Henrichs (SZ 22.5.) stellt essenzielle Fragen derzeitigen menschlichen Daseins – in der richtigen Reihenfolge. „Wird Rudi Völler Deutschland vor einer erneuten Blamage bewahren? Hat Ballack die Leverkusentragödie verkraftet? Wird wieder Frankreich den schönsten Fußball zeigen, oder doch Brasilien? Wird Senegal im Eröffnungsspiel am 31. Mai mit Viererkette spielen oder mit Libero? Wird der Premiere-Decoder rechtzeitig bei uns eintreffen, und werden wir die Gebrauchsanweisung verstehen? Warum leben wir? Wieso bin ich ein Mensch und keine Möwe? Was hat dies alles zu bedeuten? Wenn man es nur wüsste!“

Russell Thomas (The Guardian 21.5.) sorgt sich um die immer länger werdende Verletztenliste des deutschen Lagers. „Eine weitere verheerende Verletzungsabsage ereilte die Deutschen gestern, als ihr junger Mittelfeldspieler Sebastian Deisler die WM Teilnahme wegen einer Knieverletzung absagen musste. Deisler ist damit der vierte Spieler, der aus Rudi Völlers Plänen für die Finalrunde unbarmherzig gestrichen wurde. Dem fügt der Daily Oberserver (21.5.) hinzu: „Deislers Fehlen fügt dem verletzungsgeplagten Team Völlers eine weitere Absage hinzu und überträgt seinem Mittelfeld Partner Michael Ballack zusätzlich Verantwortung.“

Ronald Reng (SZ) und Claudio Catuogno (SZ) zum Thema Überbelastung im Profifußball

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Wachsende Resonanz beim Publikum und bei den Sponsoren – 13:0-Erfolg gegen Portugal

Christiane Mitatselis (taz 17.11.) ist angetan: „Als es vorbei war, rannte Portugals Torfrau Carla Cristina heulend vom Platz. Verständlich, meinte ihr Trainer Nuno Cristovao und berichtete, mit welchen Widrigkeiten die Portugiesinnen in ihrer Heimat kämpfen. Man lässt uns nur spät abends auf Aschenplätzen trainieren, und das auch nur zwei- bis dreimal in der Woche. Nur 1.300 aktive Fußballerinnen gibt es in Portugal, in Deutschland sind es mehr als 800.000. Ein solches 0:13 ist eine Katastrophe für uns. Es liefert den Offiziellen vom Verband neue Argumente. Deutschland hat sich dagegen in den letzten Wochen blitzschnell in ein Frauenfußball-Dorado verwandelt. Seit ihrem WM-Triumph vor fünf Wochen werden die Weltmeisterinnen mit unvorstellbaren Dingen überhäuft: Die deutschen Frauen haben inzwischen ihren eigenen Mannschaftsbus, eigene Trikots mit einem Stern für ihren WM-Titel – und sogar ihren eigenen Sponsor! Der Hersteller von frauenfreundlichem Naschwerk (kalorienarme süße Drops ganz ohne Fett!) wirbt auch mit Heidi Klum, dem Topmodel. Und es scheint, dass die deutschen Fußballfrauen einen ähnlichen Berühmtheitsgrad erreicht haben wie die schöne Dame aus Bergisch-Gladbach. Kreischende Teenies im Zahnspangenalter, hauptsächlich weibliche, belagerten den Mannschaftsbus. Blökten Dinge wie: Birgit, Birgit, du bist die Größte! Oder: Kerstin, Kerstin, ich will so sein wie du!“

Sie stehen nicht mehr zufrieden am Herd und waschen Wäsche

Christian Zaschke (SZ 17.11.) spöttelt: „13:0, das ist so ein unwirkliches Ergebnis, so hoch, so gewaltig, so demütigend wohl auch, wenn man mit den freundlichen Portugiesinnen fühlt, die gegen die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen diese hohe Niederlage einstecken mussten. Wer kann so etwas erklären, wer kann vor allen Dingen die Stärke dieser deutschen Frauen-Elf erklären? Lothar Matthäus vielleicht, der doch so vieles erklären kann? Ein Blick ins Archiv fördert folgenden nahezu prophetischen Satz des Franken zutage: „Die Frauen haben sich entwickelt in den letzten Jahren. Sie stehen nicht mehr zufrieden am Herd, waschen Wäsche und passen aufs Kind auf. Männer müssen das akzeptieren.“ Woher der Lothar das schon wieder gewusst hat? Unwirklich, gewaltig. (…) Man kann mit harmlosen Gegnern auch mal behutsam umgehen. Wie die französischen Männer gezeigt haben, kann auch ein schlichtes 3:0 grenzenlose Überlegenheit ausdrücken.“

Die Frauen haben mittlerweile ihr eigenes Publikum

Claus Dieterle (FAZ 17.11.) freut sich über wachsende Resonanz des Frauenfußballs: „Der Mann von gestern ist mittleren Alters, trägt einen dunklen Mantel und grinst breit, als er sich in den Aufzug zum VIP-Raum im Reutlinger Stadion an der Kreuzeiche quetscht. Spielen Frauenteams denn auch mit elf Mann? fragt er sein Gegenüber und kriegt sich kaum noch ein ob seines originellen Witzes. Augenrollen, gequältes Stöhnen und dann die Replik aus der anderen Ecke des Lifts. Ich dachte, das hätten wir hinter uns. Die das sagt, heißt Monika Staab, ist Trainerin des deutschen Frauenfußballmeisters 1. FFC Frankfurt und wie alle anderen auf dem Weg zur Tribüne, um sich den ersten Auftritt der Frauen-Nationalmannschaft nach dem grandiosen WM-Titelgewinn in den Vereinigten Staaten anzuschauen. Es gibt sie eben immer noch, die vorurteilsbeladenen Machos von gestern. Und irgendwie hat man das Gefühl, daß die elf Frauen da unten im traditionellen schwarz-weißen Dreß darauf aus sind, den Unverbesserlichen auch noch den letzten Wind aus den Segeln zu nehmen. Der engagierte, spielerisch glanzvolle Auftritt läßt die wenigen Kritiker unter den 13500 Zuschauern im brechend vollen Stadion schon nach wenigen Minuten verstummen. Diese deutsche Fußball-Nationalmannschaft nimmt die Zuschauer für sich ein (…) Die Frauen-Nationalmannschaft, lange Zeit ein mitleidig belächeltes Stiefkind in der DFB-Familie, wird erwachsen und steht mittlerweile sogar auf eigenen Füßen. Sie hat seit Freitag mit dem Süßwarenhersteller Katjes zum erstenmal einen eigenen Hauptsponsor, sie ist in die Eliteförderung der Deutschen Sporthilfe aufgestiegen, reist mit einem ultramodernen Bus durch die Gegend, wird überall wie Popstars gefeiert und demnächst sogar vom Bundeskanzler empfangen. Und sie mobilisiert die Massen. Wo sich früher ein paar hundert Zuschauer verloren, reichen derzeit Stadien mittlerer Güte kaum aus, um der Nachfrage Herr zu werden. In Reutlingen blieb so mancher Kartenwunsch unbefriedigt. Obwohl die Partie zur besten Sportschau-Zeit live in der ARD zu sehen war. Mit der Konkurrenz der Männer im Nacken. Aber die Frauen haben mittlerweile ihr eigenes Publikum, und die Provinz wird allmählich zu klein.“

Man(n) schaut zu und schämt sich nicht mehr dafür

Volker Stumpe (FAS 17.11.) auch: „Bis 1970 war es Frauen vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) noch verboten zu kicken. Sie taten es dennoch – und wurden milde belächelt, wenn nicht gar verhöhnt. In Siebenmeilenstiefeln und im Zeitraffer haben sie nun das nachgeholt, wofür ihre männlichen Kollegen viel mehr Zeit hatten. Und sind vorerst am Ziel.Weltmeisterinnen sind sie also seit ein paar Wochen. Und werden von all den angenehmen Begleiterscheinungen, die frischer Ruhm nun einmal so mit sich bringt, schier überwältigt, aber auch von teilweise kuriosen Angeboten verblüfft. Jenes vom Playboy etwa. Der DFB hat dieser Versuchung widerstanden. Die Golden Girls sind keine Glamour Girls, sie wollen es auch gar nicht sein. Da gefallen sie sich schon eher als Naschkatzen. Seit Freitag hat die Frauen-Nationalelf erstmals einen Hauptsponsor – nämlich den Süßwarenhersteller Katjes. Und neuerdings dürfen sie auch zur besten Sendezeit zeigen, was sie können. Am Samstag spielten sie beim 13:0 im EM-Qualifikationsspiel in Reutlingen gegen Portugal vor 13500 Zuschauern, und erstmals übertrug die ARD zur Prime Time ein Länderspiel der Frauen. Zwar als mediales Vorprogramm der Männer, die danach in Gelsenkirchen gegen Frankreich antraten. Ein Fortschritt aber ist das allemal. Vorher war Donnerstag nachmittags Frauenfußball-Zeit. Das sind wirklich neue Zeiten.Und von diesem Aufschwung können Frauen, die Hockey, Handball oder Basketball spielen, nur träumen. Und so viel sei prognostiziert: Sie werden es nie so weit bringen. Was vor allem damit zu tun hat, daß es eben um Fußball geht – der deutschen Männer liebster Sport. Das Exotische an Frauen am Ball ist längst verflogen, und über die Pointe des alten Frauenfußball-Männerwitzes (Trikottausch! Trikottausch!) lacht kaum noch einer. Die WM in Amerika und ein Blick in deutsche Stadien zeigen es: Frauenfußball ist auch Männersache. Man(n) schaut zu und schämt sich nicht mehr dafür.“

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