Donnerstag, 25. März 2004
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Triumph des Spielerischen über das Destruktive
Die kroatische Tageszeitung Vjesnik: „Am Ende wurde dann doch der Fußball gefeiert: Den Triumph des Spielerischen über das Destruktive ermöglichten – neben Weltmeister Brasilien – vor allem die Türkei und Senegal. Die Deutschen sind bei dieser WM weiter gekommen als erwartet – nicht zuletzt aufgrund des ausgelosten `Durchzuges´. Allerdings steigerte sich die Elf von Spiel zu Spiel und überwand somit die Krise der letzten Jahre. Im Finale standen sich schließlich die zwei bestgerüstetsten Mannschaften gegenüber, von denen überraschenderweise die deutschen besonders brasilianisch spielten. Die deutsche Elf lieferte ein großartiges Spiel; in diesem Licht betrachtet erscheint der Erfolg Brasiliens noch eine Nuance glanzvoller. Von der Leichtigkeit und Spielfreude der Brasilianer hingegen waren bei dieser WM ausnahmslos alle begeistert.“ Verblüffend erscheinen hingegen die Beobachtungen eines kroatischen Journalisten (Vecernji List), der vor Ort über die Gepflogenheiten der deutschen Fans beim Feiern der Vizeweltmeisterschaft berichtete und zugleich mitzechte: Die ganze Nacht über feierten wir, begleitet von den Klängen der brasilianischen Trommeln und der Samba aber auch der deutschen Akkordeonspieler und der Polka.
Felix Reidhaar (NZZ 1.7.) erachtet das Finale als „spielerischen Höhepunkt“ des Turniers. „Das deutsche Team, zwar mit herzlich wenig Kredit an die WM gereist, aber fulminant dazu gestartet mit dem 8:0 gegen die Saudiaraber, brach seinen Steigerungslauf im siebenten Spiel nicht etwa ab, sondern verlieh der seit dem Achtelfinal kontinuierlich erhöhten Pace gar noch Sprinttempo. Nicht viel fehlte, und dies hätte auf den Gipfel hinauf geführt. Es waren die Internationalen von Rudi Völler, die an diesem Abend zu zaubern begannen und dem Geschehen mit raschen direkten und exakten Passfolgen und guter Organisation den Stempel aufdrückten. Das Anfangstempo bekam den Brasilianern gar nicht gut, sie fanden weder Zeit noch Raum, ihre Reihen zu ordnen, und konnten von Glück reden, nach knapp zehn Minuten nicht schon in Rückstand geraten zu sein. Nach herrlicher Direktkombination konnte Edmilson im letzten Moment mit der Fußspitze klären. Auffallend, wie sicher die Deutschen das Passing Game beherrschten, wie schnell sie sich im Mittelfeld ein Übergewicht erarbeiteten, wie oft sie Zweikämpfe für sich entschieden, einen Schritt früher an den Ball kamen als der Gegner, der sowohl tempomäßig wie physisch Anlaufschwierigkeiten bekundete. Kaum je zuvor standen die Brasilianer so unter Druck wie während der ersten knapp 30 Minuten. Auch nach dem Seitenwechsel war das Bestreben der Deutschen offensichtlich, gleich wieder das Gesetz des Handelns an sich zu reißen. Deshalb ist es auch ihr Verdienst, dass dieser Final packende Momente und viele Torsituationen enthielt. Wenn sie auch als mehr im Ballbesitz befindliche, im Abschluss aber harmlose Mannschaft zunehmend die Dominanz des Gegners akzeptieren mussten.“
Hans-Ulrich Gumbrecht (NZZ 2.7.). „Ein unglücklicher Zufall war der große Final aus ästhetischer Perspektive, und zwar weil Deutschland und letztlich auch Brasilien (so wie alle großen Nationalteams heute) einen Stil pflegen – Deutschland aus traditionellem Mangel an Talent und Brasilien wohl eher fehlgeleitet vom Ehrgeiz, sich der Sachlichkeit der „erstenWelt“ anzupassen –, bei dem es nicht darum geht, mehr Tore zu schießen als der Gegner, sondern darum, weniger Tore zuzulassen. Dieses Sparprinzip macht Fußballspiele, welche früher dramatische Geschichten aus vielen Kapiteln waren, zu Ereignissen mit meist nur einem Höhepunkt, welche eher als an klassische Epen an das Zufallsprinzip des Roulettes erinnern. Man spielt, solange es geht, vor allem auf Verhindern von Toren und im Vertrauen darauf, dass die eigene Mannschaft – irgendwie – schon einen Treffer schaffen wird. Dieses eine, zum neuen Typ des Spar-Siegs nötige Tor soll sich nicht als Höhepunkt aus der Improvisation gelungener Spielzüge ergeben, sondern aus der Anhäufung von Zufallssituationen und ihrer Verdichtung zur Wahrscheinlichkeit des Erfolgs.“
Die französische Tageszeitung Le Monde. „Das (End)Spiel der (End)Spiele, der Kampf der Titanen, die Superlative haben sich vor dem ersten Finale des 21. Jahrhunderts überschlagen. Bei der von Rudi Völler trainierten Elf ist die Mannschaft der Star: insbesondere die lückenlose Organisation, die es ihr erlaubt hat, wieder zu der Dampfwalze zu werden, die ihre Gegner erstickt. So ähnelte die Leistung der Brasilianer anfänglich auch der von vor vier Jahren im Stade de France zu Paris. Wenig inspiriert, physisch dominiert, verfingen sich die Südamerikaner in dem von Rudi Völler ausgelegten Netz. Das Mittelfeld wurde von Dietmar Hamann und Jens Jeremies buchstäblich abgeriegelt, während die lebhaften Schneider und Neuville die brasilianischen Verteidiger mit ihrer Schlagzahl quälten. Doch zeichnete sich mit zunehmendem Spielverlauf ein Chancenübergewicht für den deutschen Gegner ab, den die Deutschen nur nochmals zu Beginn der zweiten Hälfte in Bedrängnis bringen konnten. So war es wie so oft, dass die Stars den entscheidenden Unterschied machen. Oliver Kahn hat dies ebenfalls erfahren; jedoch nicht in dem von ihm erwarteten Sinne. Er beging den einzigen Fehler des Turniers zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt und im Angesicht des gefährlichsten aller Torjäger. Die Folgen waren fürchterlich!“
Die spanische Presse ist sich einig, dass es ein ausgezeichnetes und spannendes Finale war, das spannendeste der letzten Zeiten. Dazu habe vor allem Deutschlands überraschend offensive Spieltaktik beigetragen. Als Außenseiter seien sie mit der besten Verteidigung und einer deprimierenden Spielform ins Finale gekommen. Deutschland verwandelte sich im Finale in einen würdigen und ambitionierten Gegner. Gegen jede Erwartung und geführt von einem glorreichen Schneider bot Deutschland ein interessantes Spiel und brachte Brasilien in ernste Schwierigkeiten. Zu Schneider heißt es in El País: „Ein Spieler, der einen Sinn sowohl für die feine Technik als auch für das weltliche Arbeiten hat.“ Trotz der langen Saison mit seinem Verein habe er eine ausgezeichnete „Exhibition fußballerischer Energie und Technik“ gezeigt und wurde zu dem „brasilianischsten Deutschen“ gekrönt.
Die New York Times berichtet von erhobenen Häuptern bei den Siegesfeiern am Potsdamer Platz, rechnet dagegen mit der amerikanischen Fernsehberichterstattung ab, besonders mit der kontroversen Entscheidung der Walt-Disney-Kanaele ESPN und ABC, auf die Übertragung der Siegerehrung zu verzichten und die vorgesehene zeitversetzte Wiederholung abzusetzen. „Hätte die USA gewonnen, dann wäre ABC bestimmt bis weit nach 9 Uhr morgens übertragen, allerdings hätte dies seinen Preis gehabt: Man hätte dem chauvinistisch-nationalistischem Blabla von Jack Edwards zuhören müssen. Erinnern sie sich noch an sein „mine eyes have seen the glory“ nach dem Sieg über Portugal? Und sein „land of the free and the home of the brave“, mit dem er den Sieg über Mexiko kommentierte?“
ESPN preist Haltung und Leistung der deutschen Mannschaft und rechnet besonders mit der Berichterstattung der englischen Medien ab. Schließlich setzt er zu einer bemerkenswerten Eulogie deutscher (Fußball-) Kultur an: „Es war für alle sichtbar, dass die „Panzermannschaft“ gestern ein ehrenhafter Verlierer war“ Die Engländer sollten sich an dieser würdevollen Haltung ein Beispiel nehmen, besonders in Bezug auf die Reaktionen der Fans, die sich wohltuend vom Prolo-Gehabe der Briten abhebe, denen nichts Besseres als das Gerede vom Blitzkrieg und vom humorlosen Deutschen einfiele. Franz Beckenbauer sei der größte Fußballer aller Zeiten und könne dazubesser Englisch sprechen, als Tony Banks, der die englische Kampagne für die WM 2006 leitete. Deutschland habe im Gegensatz zu England seine Gruppe gewonnen und sei im Gegensatz zu England zum siebten Mal ins Endspiel gekommen – sechs mal mehr als England. Das Gerede von der deutschen „Disziplin“ sei ein „germanophobes“ Klischee, denn ohne Deisler, Scholl und Nowotny hätte nur Disziplin niemals ausgereicht, so weit zu kommen. Im übrigen, so die politisch wenig korrekte Argumentation, habe Deutschland der Welt schon mit Bach, Beethoven und Brahms mehr gegeben als ganz Südamerika. Mit Bezug auf die abgelaufene WM meint man, in einer der „schlimmsten Weltmeisterschaften aller Zeiten“ habe ein durchschnittliches brasilianisches Team gegen ein gewöhnliches deutsches gesiegt.
Christian Eichler (FAZ 2.7.) surfte. „Vielleicht kann man dafür zur Abwechslung mal das Gute im Deutschen sehen? Der Londoner Guardian hat es versucht und seine Leser während der WM auf seiner Website aufgefordert, „nette Dinge über die Deutschen zu sagen“. Mit bescheidenem Erfolg. So kommt zum Beispiel nicht nur deutscher Humor schlecht weg, sondern auch ein Außenminister namens „Oscar Fisher“. Immerhin, ein Leser fand gleich zwei Dutzend Dinge, die er aus deutscher Produktion mag: von Thomas Mann bis Beate Uhse. Es muss nicht immer Fußball sein.“
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Sicherheitsvorkehrungen
Ulrich Hesse-Lichtenberger (taz 10.05.02) fragt sich, warum die Sicherheitsvorkehrungen ausschließlich die deutschen Fans betrafen:
„Für viele der 14.000 Dortmunder Fans hatte sich die Reise zum Fußballfest als der befürchtete Horrortrip erwiesen. Die von den Veranstaltern großspurig angekündigten Sicherheitsmaßnahmen waren kaum vorhanden – und betrafen ohnehin nur die friedlichen Gäste. Dortmunder Fans wurden auf der Anreise angegriffen, wie bei einer Verlegung nach Alcatraz ins Stadion gepfercht und während des Spiels mit bengalischen Feuern beworfen. Vielleicht nahm man beim BVB die Niederlage auch deshalb so gefasst auf, weil bei einem Sieg eine Eskalation der ohnehin feindseligen Stimmung gedroht hätte. In Stilfragen immerhin waren die Dortmunder die Gewinner.“ (Volltext)
Josef Kelnberger (SZ 10.05.02) widmet sich holländischen „Stilfragen“:
„Noch vor zwei Jahren galt es als schick, sich als Liebhaber der holländischen Schule zu erkennen zu geben (…) Der niederländische Fußball habe endlich wieder etwas zu feiern, verbreitet die Agentur Reuters – wie schön, diese Feiern: Ausnahmezustand, Straßenschlachten, Luftpistolenschüsse auf einen Dortmunder Fan-Zug. Es hätte, zumal nach der Ermordung des Politikers Fortuyn, noch schlimmer kommen können in Rotterdam, auf Fußball-Europas heißestem Pflaster (…) Jetzt müssen sich die Niederländer mit diesen Siegern anfreunden, zum Beispiel Johan Cruyff, der Hohepriester des schönen Spiels. Sie haben während der WM viel Zeit für eine ihrer beliebten Stil-Debatten. Wir Deutschen jedenfalls erwarten mehr von ihnen. Einfach nur siegen, das können wir selbst.“ (Volltext)
Christian Eichler (FAZ 10.05.02) bezeichnet den Uefa-Cup als „europäischen Wandertrostpreis und internationalen Länderfinanzausgleich“:
„Am Ende also doch: ein Spiel wie jedes andere. Die Austauschbarkeit des europäischen Fußballvergleichs, einst etwas Besonderes und heute Alltag, mag man beklagen, weil sie Konturen verwischt und Emotionen verwässert; doch manchmal, wenn man Schlimmes nicht ausschließen kann, wie am Mittwoch in Rotterdam, zwei Tage nach dem Mord an Pim Fortuyn, muss man froh sein, dass das Überangebot an Fußball die Gefühle nicht mehr so hoch schlagen lässt; dass Fußball nicht mehr so wichtig wirkt, als böten seine Resultate Antworten auf existenzielle Fragen. Man könnte es auch so formulieren: Gut, dass der Uefa-Cup ein so schwacher Wettbewerb geworden ist. Darüber können auch die beiden letzten sehenswerten Endspiele mit insgesamt vierzehn Toren nicht hinwegtäuschen. Wer im UEFA-Cup verliert, muss nicht so frustriert sein; das Verlieren ist ja mitunter eines der Qualifikationskriterien für diesen Wettbewerb. Wo sonst gibt es das im Sport, dass man die Grundlage für einen Titelgewinn am Saisonende mit der richtigen Anzahl an Niederlagen am Saisonanfang legen kann?“ (Volltext)
Mit dem tragischen Abschied Jürgen Kohlers, der in seinem letzen Spiel als Fußballprofi die Rote Karte (es war die erste in seiner Karriere) erhielt und damit die Niederlage einleitete, befasst sich Michael Ashelm (FAZ 10.05.02):
„So kalt kann sich der Abschied von der großen Bühne anfühlen. Bedrohlich wie ein großes Haifischmaul öffnete sich schon nach wenig mehr als einer halben Stunde seines Abschiedsspiels die Stahlklappe vor der Haupttribüne von De Kuip, hinter der es abwärts in die Katakomben des Stadions geht. Man wartete auf den dramatischen Abtritt eines der Großen des deutschen Fußballs: Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf leistete der Welt- und Europameister Jürgen Kohler der Entscheidung des Schiedsrichters Folge und verließ auf dessen Anweisung hin das Feld. Als trauriger Krieger verschwand der 36 Jahre alte Profi von der Bildfläche – auf Nimmerwiedersehen als Spieler.“ (Volltext)
Wolfgang Hettleisch (FR 10.05.02) dazu :
„Der jungen Generation wird Kohler also womöglich als jener Spieler in Erinnerung bleiben, der Borussia Dortmund 2002 den Sieg im Uefa-Cup versaut hat. Doch der frisch gebackene Fußball-Rentner, fortan Trainer der deutschen U 21-Auswahl, hat in seiner langen Laufbahn genug Höhen und Tiefen erlebt, um auch diesen bitteren Abgang von der großen Bühne verarbeiten zu können. Erklang der Schlussakkord auch in Moll. Der Mann aus dem pfälzischen Lambsheim, als Halbwaise in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und ein wohltuend leiser Vertreter seiner Zunft, hat Bemerkenswertes erreicht. Weltmeister, Europameister, Champions-League-Sieger.“
Martin Pütter (NZZ 09.05.02) über die „vergällte Abschiedsvorstellung“ Kohlers:
„Tausende Hände winkten Jürgen Kohler zum Abschied nicht anerkennend zu, sondern wiesen dem 105-fachen Nationalspieler nach einer halben Stunde den Weg in die Kabine – Rote Karte. Wenn Kohler dereinst als Coach des deutschen U-21-Nationalteams Videos über ungeschicktes Defensivverhalten vorführt, dann darf sein Foul an Tomasson, der zum besten Spieler des Abends gewählt wurde und im Kielwasser der drei nominellen Spitzen immer wieder Unruhe in die Dortmunder Abwehr brachte, nicht fehlen. Dabei hatte man dem einstigen Raubein mit zunehmendem Alter (mit 36 ist er zwei Jahre älter als Trainer Matthias Sammer) immer mehr Stil und Qualitäten als moderner „Abfangjäger“ bescheinigt – und dann das.“ (Volltext)
Freddie Röckenhaus (SZ 08./09.05.02) über den „Eros Ramazzotti der Stehplätze“:
„Die paar Dissonanzen zum Ende der Spielzeit wird Kohler, einer der erfolgreichster deutschen Spieler seit der Ära der 74er Weltmeister, bald weggesteckt haben. Klasse-Manndecker zeichnen sich schließlich längst nicht mehr als Dauergrätscher aus. Und Kohler hat jede Metamorphose der Verteidiger- Rolle in seinen 398 Bundesliga-Spielen, 102 Serie-A-Spielen für Juventus Turin und 105 Länderspielen mitgemacht. Als er in Waldhof, Köln und beim FC Bayern und schnell auch für die Nationalmannschaft auf Grasnarbenhöhe sein Existenzrecht als Profi verteidigte, war Kohler schnell die Hassfigur für alle vermeintlichen Schöngeister des Spiels. Einem Walter Jens wird Kohler noch heute nicht viel bedeuten, aber nach seinen vier Jahren in Turin kam 1995 ein anderer Mensch zurück. Kohler hatte sich den Charme und die Genuss-Philosophie aus Italien mitgebracht, trug Kinnbärtchen und Nickelbrille wie ein Bologneser Popstar und Armani-Klamotten mit der Grandezza eines Eros Ramazzotti. Außerdem hatte Kohler sich von seinem Turiner (und späteren Dortmunder) Nebenmann Julio Cesar die Gentleman-Art des Verteidigens abgeschaut: das geräuschlose Abdrängen, Abfangen, Abmelden des Gegners. Die Grätschen und krachenden Zusammenstöße gab es nur noch in höchster Alarmstufe. Auch die verbalen Pressschläge hatte Kohler, als er in Dortmund begann, längst aufgegeben.“ (Volltext)
Felix Meinignhaus (FR 10.05.02) über den Einfluss des Mordes am niederländischen Politker Pim Fortuyn auf das Spiel:
„Die Ereignisse um die Ermordung des rechtspopulistischen Rotterdamer Politikers Pim Fortuyn, die eine pünktliche Austragung des Finales bis Dienstag in Frage gestellt hatten, wirkten sich nicht spürbar auf die Partie aus. Von Niedergeschlagenheit oder gar schockähnlichen Zuständen war in und um De Kuip nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die fanatischen Anhänger Feyenoords verwandelten die heimische Schüssel in einen brodelnden Whirlpool, und auch die rund 14 000 mitgereisten Dortmunder Fans machten sich lautstark bemerkbar. Da mochte die Uefa als Veranstalter des Endspiels nicht zurückstehen: Von der angekündigten pietätvollen Zurückhaltung war in Rotterdam nichts zu sehen. Nach dem Schlusspfiff gab es das volle Programm mit Triumphmärschen und Konfettiregen.“
Christian Eichler (FAZ 10.05.02) über das niederländische Stimmungsbarometer Fußball:
„Der Fußball der Niederlande scheint über Jahre hinweg manche der kaschierten Probleme hinter der harmonischen Fassade des Landes, die Fortuyn mit populistischem Geschick thematisierte, vorweg genommen zu haben: das Gefühl der Unsicherheit, das nicht nur die Gewalt der Hooligans verbreitete; das Gefühl, trotz glanzvoller Arbeit und gelungenem Zusammenspiel zwischen allen Mannschaftsteilen nicht vom Fleck zu kommen, ob im Erfolgsstau des Oranje-Teams oder im Dauerstau des immobilen Autofahrers. Nun nimmt der Fußball vielleicht als Frühindikator auch eine nationale Stimmungswende zum Besseren vorweg.“
Freddie Röckenhaus (SZ 10.05.02) über das Spiel und die Dortmunder Analyse:
„So blieben sich Sammer und seine Dortmunder an diesem Fußball-Abend treu. Sammer analysierte wie gewohnt gegen den Strich. Und die BVB-Mannschaft beschenkte beinahe schon in Standard-Manier zunächst den Gegner, um dann mit gewaltiger Aufholjagd an der eigenen Legende zu stricken, das Team zu sein, das man niemals abschreiben kann (…) Sammers Team hatte zu spät erkannt, dass man die biederen Rotterdamer von Beginn an mit mehr Initiative hätte bedrängen müssen. Das Handicap, wegen der Beton-Politik der Uefa, die eine Verlegung ablehnte, de facto ein Auswärtsspiel in De Kuip bestreiten zu müssen, wollte keiner als Alibi annehmen (…) Dortmund hat am Tag nach dem Finale mit nahezu einer halben Million BVB-Fans auf den Straßen die Deutsche Meisterschaft nachgefeiert. Für die Mannschaft schien der Verlust des Uefa-Cups da schon nur noch eine Fußnote der Saison zu sein.“ (Volltext)
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2:0-Sieg der Brasilianer gegen Belgien
Zum 2:0-Sieg der Brasilianer gegen Belgien schreibt Thomas Klemm (FAZ 17.6.). „Die Vertreter des Sambafußballs traten vor 42 000 Zuschauern am Anfang auf, als wollten sie ins Viertelfinale tänzeln. Geradezu stoisch stellten sich aber die „Roten Teufel“ den Angriffsversuchen entgegen, ließen der Seleção schon an der Mittellinie keinen Freiraum zum Kombinieren. Es war oft dasselbe Spielchen: Rivaldo und Co. suchten den Ball, bekamen ihn – und suchten dann selbst einen anspielbaren Mitspieler. Die Missachtung ihrer Möglichkeiten schien manchen Brasilianer persönlich zu beleidigen
Die Fehlentscheidung des Schiedsrichters, das Tor zum vermeintlichen 1:0 des Belgiers Wilmots abzuerkennen, kritisiert Martin Hägele (NZZ 17.6.). „Für die Fifa werden die Spielleiter aus der Karibikregion allmählich zur peinlichen Belastung – in der Partie Japan-Belgien hatte William Mattus aus Costa Rica einen regulären Treffer Inamotos einfach von der Anzeigetafel gelöscht. Noch peinlicher aber müssten solche Geschenke von neutraler Seite der Auswahl von Coach Scolari sein. Schließlich war auch der Elfmeterentscheid, der erst den Sieg gegen die Türkei möglich gemacht hatte, ein klarer Fehler des Schiedsrichters gewesen. Wenn sich der Welt stolzeste Fußballnation auf solch billige Weise durchs Turnier hangelt, leidet darunter irgendwann die Reputation der Erben Peles.“
Zu den brasilianischen Perspektiven für den weiteren Turnierverlauf schreibt Peter B. Birrer (NZZ 17.6.). „Vielleicht ist es aber gerade der Realismus, der es dieser Equipe ermöglicht, wieder von Höherem zu träumen. Experten hatten vor dem Turnier von Frankreich gesprochen, auch von Argentinien – aber weniger von den Brasilianern, weil deren Qualifikation in der Südamerika-Gruppe mehr als nur leidvoll gewesen war. Die Vorzeichen haben inzwischen vollends gedreht. Während sich die Argentinier vorzeitig verabschiedet haben, bringen sich die Brasilianer sukzessive vorwärts (…) Wer nach dem Spiel den in seiner Intensität kaum zu beschreibenden Medienwirbel um die Spieler der Seleçao miterlebt hat, der ahnt, dass diesem Spannungsfeld Realismus gut ansteht. Auch wenn dieser nur temporär Wirkung haben sollte. Vielleicht steht tatsächlich die (fast) verpatzte Qualifikation zur WM-Endrunde am Ursprung der gegenwärtigen Erfolge der Fußballer aus dem Land des Zuckerhuts.“
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Oliver Kahn
Oliver Kahn wurde von der Stadt München für seine sportlichen Leistungen geehrt. Thomas Becker (FR 10.4.) wohnte der Zeremonie bei. „Der Franz hat einen, Karl-Heinz auch, und jetzt hat ihn auch der Oli: den Goldenen Ehrenring der Stadt München. Scherzbolde hatten sich schon vor der Zeremonie mit augenzwinkerndem Grinsen ganz bewusst versprochen und vom goldenen Ehering für den gazettenübergreifend als Ehebrecher enttarnten weltbesten Ballfänger gesprochen. Kein Wunder also, dass Oliver Kahns Vorfreude auf die Veranstaltung am Marienplatz gegen minus Unendlich tendierte. Dass aber der Geehrte die nur wenige Minuten dauernde Prozedur mit einer derart verbissenen Leichenbittermiene verbrachte, tat dem Betrachter schon fast wieder weh. Am Laudator kann es nicht gelegen haben, denn Oberbürgermeister Christian Ude ist nicht als Langweiler bekannt. Ort der Handlung ist der Kleine Sitzungssaal des Rathauses: verschnörkeltes Holz, gewaltige Lüster, schwere Holztüren, monumentale Wandgemälde, eine Kreuzigungsszene. Von diesem Anblick konnte sich der zuletzt häufig am Pranger stehende Kahn kaum losreißen, als es darum ging, samt Ring, Oberbürgermeister und den anderen Geehrten in die Presse-Kameras zu schauen. Kahn aber schaute überall hin: auf den Boden, hoch zum Kreuze, ins Ungefähre, das alles immens angestrengt und garantiert lächelfrei.“
Sinnbild deutscher Selbstkontrolle und Leistungsbesessenheit
Anlässlich dieser Gelegenheit porträtiert Philipp Selldorf (SZ 10.4.) die öffentliche Person Kahn. „Auch der OB sah sich bei seiner Ansprache genötigt, ein paar „leider unvermeidliche Worte“ zu sprechen, wie sie Kahn derzeit häufig hört. Sie handelten davon, dass der Fußballer hier „nicht für sein Verkehrsverhalten und Privatleben geehrt“ werde, sondern für seine sportlichen Leistungen. Verkehrsverhalten und Privatleben des zum „Titan“ erhobenen Torwarts haben zuletzt nicht nur in der kleinen Weltstadt mit Herz die Gemüter bewegt, sondern auch zwischen Sapporo und Fukuoka für Aufsehen gesorgt. „Es gab Klärungsbedarf“ mit den Werbepartnern in Japan, wie Kahns Manager Ludwig Karstens einräumt. In Japan ist der 33-jährige Münchner der größte ausländische Fußballstar – neben dem Engländer David Beckham von Manchester United –,was ihm wertvolle Reklameverträge eingebracht hat. Allerdings steht Oliver Kahn derzeit auch in Asien vor allem für Eskapaden abseits des Fußballfeldes. Was also müssen die Japaner denken, wenn sie all das hören und lesen: von der Geliebten und der Ehekrise, von exzessiven Expeditionen in die Münchner Amüsierwelt und wilden Fahrten über die Autobahn…? Sie müssen glauben, dass ihr Idol, dieses Sinnbild deutscher Selbstkontrolle und Leistungsbesessenheit, die Anarchie für sein Dasein ausgerufen hat (…) Der Medienrummel um Oliver Kahn sei „schon beängstigend“, meint der an allerlei Härten gewöhnte Bayern-Manager Uli Hoeneß, und auch das stimmt natürlich. Die Frage ist, was der Rummel anrichtet und ob er jemals enden wird. Viele deutsche Sportstars haben erfahren müssen, was es heißt, aus den Höhen gerissen zu werden, in die man sie zuvor gehoben hatte. Boris Becker ist schließlich der Lächerlichkeit preisgegeben worden, Steffi Graf hat sich durch Auswandern dem Zugriff entzogen, den sie so gefürchtet hat. Sebastian Deisler, 22, der das Pech hatte, in einer Zeit des Umbruchs in der Nationalmannschaft zum einzig wahren Wunderkind des deutschen Fußballs stilisiert zu werden, gilt bei seinem Klub, dem FC Bayern, bereits als „restlos versaut“ für einen halbwegs gesunden Umgang mit der Rolle als öffentliche Person. Mehmet Scholl, einst Deutschlands liebster Teenie-Star, verweigerte sich kürzlich sogar der harmlosen Ehrung zum „Torschützen des Monats“, weil er ein Eindringen in die Privatsphäre fürchtete. Hoeneß sagt, dass von Kahn nach der WM „ein Bild von einem Menschen geformt wurde, das nahezu perfekt ist“. Jener Held, dem Bild am Sonntag bei der WM stellvertretend fürs ganze Volk mitteilte: „Wir sind alle Kahn!“, muss sich ein halbes Jahr später vom Schwesterblatt aus demselben Verlag sagen lassen, er sei „sexkrank“. Dieser perfekte Mensch steckt jetzt, wie Berater Karstens bemerkt, „in einer Schublade mit Dieter Bohlen und den Superstars“.”
Interview mit Andreas Hinkel (VfB Stuttgart) SpOn
Interview mit Klaus Sammer über Dynamo Dresden BLZ
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Bundesliga
Bayern München siegt und ist nicht glücklich; was passiert hinter dem Rücken Ottmar Hitzfelds?– Hertha Berlins Wende? – VfB Stuttgart nachlässig – Werder Bremen ‘an der Schnittstelle zu einem Champions-League-Unternehmen’ (NZZ) – FR-Interview mit Reiner Calmund u.v.m.
Bayern München – Hannover 96 3:1
Grundgefühl Unbehagen
Andreas Burkert (SZ 10.2.) erkennt, dass sich an der Münchner Unzufriedenheit nichts geändert hat: “Neuerdings herrscht ja so etwas wie Sprachlosigkeit beim kriselnden FC Bayern, und am deutlichsten ist dies zurzeit den Funktionären anzumerken. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge etwa setzte sich am Sonntagabend kurz vor Spielende in Bewegung und strebte dem Vip-Ausgang derart energisch entgegen, dass das Ordnungspersonal nur mühsam seinen Zusammenprall mit dem Glasportal verhinderte. Sie hielten Rummenigge gerade noch rechtzeitig die Türen auf, doch alle anderen hatten seinem Tempo nichts entgegenzusetzen. Keiner der hastenden Radioreporter und Zitatenjäger. Und auch nicht seine Frau. Die Aufritte des FC Bayern bereiten auch den Bayern-Bossen kein Vergnügen mehr, und auch der 3:1-Erfolg hat ihr Grundgefühl nicht vertreiben können: Unbehagen. Dafür ist dem Meister selbst der Sieg gegen die zweitschlechteste Abwehr der Liga zu schwer gefallen, und dass er mit dem Vorstoß auf Platz zwei der Bundesligatabelle bedacht wurde, blieb hinterher ein unerwähntes Phänomen. Zu groß sind die Sorgen des FC Bayern. Weiterhin. Seit nunmehr sechs Monaten befinden sich die Münchner in einer dramatischen Schaffenskrise, und nicht nur in Rummenigge und im gleichfalls wortlos flüchtenden Manager Uli Hoeneß arbeiten offenbar die Eindrücke von einer verklemmten Mannschaft. Gegen Hannover litt besonders Mannschaftskapitän Kahn unter diesem Zustand.”
Großmut des Gegners
Jan Christian Müller (FR 10.2.) veranschaulicht: “Derart oft waren die Hannoveraner ungestört vor Oliver Kahn aufgetaucht, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, wann der lange stoisch sein Schicksal ertragende Nationaltorhüter zum Heißsporn werden sollte. Und siehe da: Acht Minuten vor Schichtende, just hatte Hannover Ergebniskosmetik betrieben (welche eine abgenutzte Floskel! of) und das 1:3 erzielt, trat der Titan erst gegen den Pfosten, dann gegen die Drehbande. So fest, dass hinterher ein Loch das Audi-Logo verunstaltete. Aber dieser erste Ausbruch beruhigte den Vulkan noch nicht. Gleich darauf kam der Ball ein weiteres Mal aufs Tor, Kahn tauchte in die Ecke und entschärfte das Geschoss auf Kosten einer Ecke (welche eine abgenutzte Floskel! of), um sich sodann in aller Eile einem eigenen Mann, zufällig dem gerade in seiner Nähe befindlichen Zé Roberto, an den Kragen zu gehen. Zum Glück für Kahn gibt es bei den Bayern keinen Betriebsrat, ansonsten wäre wohl eine Abmahnung wegen fehlender Rücksichtnahme auf die körperliche Unversehrtheit eines Kollegen fällig gewesen (…) Zum Abpfiff bolzte Kahn den Ball wütend ins weite Feld zwischen Platz und Tribüne. Einer wie Kahn lässt sich nicht blenden von einem 3:1, das mehr der Großmut des Gegners zu danken war als eigener Stärke. Und auch nicht von Platz zwei in der Bundesliga. Denn niemand mit ein wenig Fußballsachverstand kann einer Münchner Mannschaft in diesem Gesamtzustand ernsthaft zutrauen, sich in zwei Wochen gegen Real Madrid zu behaupten. Dass das Nervenkostüm (schon wieder eine tote Floskel? of) an Nahtstellen aufgerissen ist (doch nicht! gerade noch gutgegangen! of), bewies der eine Halbzeit lang ansehnlich agierende Michael Ballack. Einmal gelb wegen Meckerns, kurz darauf eine leichte Backpfeife gegen den Hannoveraner Jaime – so was tut man nicht, wenn der Schiedsrichter direkt daneben steht. Ballack muss kommendes Wochenende nicht mit nach Bochum, Werbetermine sind auf Befehl von Hitzfeld ebenfalls gestrichen.““
Elisabeth Schlammerl (FAZ 10.2.) ergänzt: „Im Gegensatz zur Hinrunde, als so mancher Sieg gleich als Wende zum Besseren, als Aufbruch in einen neue Erfolgsära gesehen wurde, sprach dieses Mal niemand aus der Führungsetage beim FC Bayern vom großen Fortschritt. Sofern überhaupt jemand das Wort ergriffen hatte. Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge verließ vorzeitig das Stadion. Eine Aussage nach dem Spiel verweigerte er ebenso wie Manager Uli Hoeneß. Die Verantwortlichen wissen, jedes weitere Wort nährt Spekulationen um die Zukunft von Hitzfeld. Und der Sieg über Hannover taugt noch nicht für einen weiteren Schulterschluß.“
Die kleinen Andeutungen zur Personalie Hitzfeld
Günter Klein (FAS 8.2.) deutet die Sprache der Bayern-Offiziellen: „Die kleinen Andeutungen zur Personalie Hitzfeld häufen sich. Wurde der Trainer im Jahr des Champions-League-Gewinns vom Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge noch zur persona gratissima erklärt und vom Präsidenten Franz Beckenbauer als würdig für einen Vertrag auf Lebenszeit empfunden, ist von langfristiger Bindung nun nicht mehr die Rede. Einen Anschlußvertrag über mehrere Jahre schloß das Führungsduo Rummenigge/Uli Hoeneß aus, derzeit ist Hitzfeld nur gut 16 Monate vom Ablauf seines Kontraktes zum 30. Juni 2005 entfernt – so nahe war er der Endzeit in München noch nie. Manager Hoeneß nährt Spekulationen über eine allmähliche Entfremdung zwischen Führung und Trainer mit diversen Bemerkungen. Zur Winterpause sagte er, jeder im Verein müsse seine Arbeit überdenken, auch der Trainer; und er selbst werde in Zukunft wieder näher an die Mannschaft rücken – das klingt nach Kontrollfunktion.Hitzfeld bemüht sich, dieses Stimmungsbild öffentlich zu korrigieren. Mit Uli Hoeneß trinke ich am Abend vor jedem Spiel ein Glas Wein, sagt er. Und auch, daß es nur gut sein könne, wenn man einen Manager hat, der sich nicht nur ums Wirtschaftliche, sondern auch um den Sport kümmert.Der Trainer sucht im sechsten Jahr beim FC Bayern nach neuen Impulsen, die er der Mannschaft geben kann, ohne dabei seinen Prinzipien untreu zu werden. Er schirmt seine Führungsspieler Oliver Kahn und Michael Ballack vor jeglicher Kritik ab, so wie er das früher im Fall Stefan Effenberg getan hat; er gibt sich der Mannschaft gegenüber als Vorgesetzter immer gleich: hart, gerecht, manchmal auch nachgiebig. Doch er muß die Spieler öfter als in den Jahren davor aus ihrem selbstgefälligen Trott reißen: Schon zweimal in dieser Saison kasernierte er sie vor wichtigen Heimspielen am Tegernsee (…) Hitzfeld ist kein sentimentaler Träumer, und auch wenn er in seiner Trainerlaufbahn nie entlassen wurde, hat er einen Geschmack davon, wie es sein könnte. In seiner Biographie bekannte er, daß er im November 2002 nach dem Scheitern in der Vorrunde der Champions League sich auf einen Rauswurf eingestellt habe, und eine seiner Grunderkenntnisse lautet: Sicher ist mein Job immer nur bis zum nächsten Monat. Daß sich die Stimmung gegen ihn richten könnte, verspürt Hitzfeld wohl. Auch er sendet Signale aus. Als in der Winterpause die Boulevard-Spekulation auf den Markt kam, er sei ein Kandidat für die Stelle des englischen Nationaltrainers, reagierte er bei weitem nicht so ablehnend wie erwartet, sondern bestätigte, daß mich Leute angerufen haben. Und es tut gut, Interesse zu spüren.”
Hertha BSC Berlin – VfB Stuttgart 1:0
Ende gut, alles gut in Berlin, meint Javier Cáceres (SZ 10.2.): „Es war eigentlich alles bereitet für eine Tragödie – für eine Tragödie von vernichtender Natur. Schreiende Ungerechtigkeit war Hertha BSC Berlin widerfahren, durchaus auch Pech, und wenn sich Derartiges ballt, kann einen das Verderben auch noch letztminütig ereilen, 86 Minuten war Hertha die in den elementaren Dingen des Fußballs bessere – und deshalb überlegene – Mannschaft gewesen, und doch war Torjubel immer wieder in Entsetzen erstorben. Andreas Neuendorf hatte eine der wohl besten Kombinationen Herthas der laufenden Saison mit einem Schuss ins Stuttgarter Tor vollendet (10.). Doch ob einer Abseitsentscheidung, die sich den Betrachtern nicht einmal ansatzweise erschließen wollte, wurde der Treffer annulliert. Später sollte Marcelinho einen Freistoß so knapp über Timo Hildebrands Tor jagen, dass der Ball das Netz berührte – und darob fast 40 000 Menschen verwirrte. Dann rettete Hildebrand vor Neuendorf, und den Nachschuss setzte Marcelinho volley an den linken Pfosten. Und als nun also 86 Minuten gespielt waren, trat Marcelinho einen Freistoß in den Stuttgarter Strafraum, und der eingewechselte Madlung nickte den Ball ein. Doch in einem Akt von allseits überraschender Pedanterie hatte Schiedsrichter Kinhöfer die Aktion unterbrochen: Er hatte den Ball noch nicht freigegeben. Marcelinho protestierte („ich konnte es nicht glauben“), sah die Gelbe Karte – und wiederholte den Freistoß – was durchaus wörtlich zu nehmen ist. Die Flugbahn erahnte dieses Mal Fredi Bobic. In seinem 250. Bundesligaspiel erzielte er seinen 104. Treffer. Sogar Stuttgarts Trainer Felix Magath war gerührt, obwohl seine Mannschaft durch die Niederlage nunmehr sieben Punkte hinter Tabellenführer Werder Bremen liegt und auf Rang drei zurückfiel: „Es beruhigt mich, dass Einsatz und Kampf in der Bundesliga noch belohnt werden.““
Jeder glaubt, wenn man vorn steht, geht es von allein
Christian Ewers (FAZ 10.2.) berichtet Stuttgarter Nachlässigkeit: “Sie blieben bei aller Begeisterung über den Sieg über einen schwachen Titelkandidaten aus gutem Grund bescheiden. Noch immer ist die Hertha auf dem letzten Tabellenplatz, punktgleich mit Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Köln. Doch die Partie lieferte genug Szenen, die der Hertha Mut machen werden im Kampf gegen den Abstieg. Diese Momente der Zuversicht spielten sich vor allem im Mittelfeld ab, wo sonst die Stuttgarter, allen voran Aliaksandr Hleb, Akzente zu setzen pflegen. Am Sonntag aber gelang Hleb, den Bobic für den besten Spieler der Liga hält, nahezu nichts. Das war das Verdienst von Sofian Chahed, einem 20 Jahre alten Nachwuchsspieler. Selten wohl verlief ein Bundesliga-Debüt so frech und respektlos wie das des bei Hertha Zehlendorf in die Lehre gegangenen Chahed. Von der ersten Minute an trat der Berliner tunesischer Abstammung seinem Gegenspieler auf die Füße. Wo immer Hleb auftauchte, Chahed war schon da. Ohne verwarnt zu werden, wurde er zum eindeutigen Punktsieger über den Stuttgarter Spielmacher. Aliaksandr war heute total abgemeldet, sagte VfB-Flügelspieler Philipp Lahm, das hat uns hart getroffen. Nicht nur der Weißrusse verzettelte sich am Sonntag, die gesamte Mannschaft des VfB blieb zu passiv, so daß Trainer Felix Magath später sagte: Jeder glaubt, wenn man vorn steht, geht es von allein. Der richtige Siegeswille war nicht da.“
Weiteres
Leibhaftige, reiche und grosskotzige Fussball-Teufel
Martin Hägele (NZZ 10.2.) schildert die paradoxe Lage in Bremen: „Am Montag hat Klaus Allofs die Lektüre des Medienspiegels besonders Spass gemacht. Kein Kritiker quer durchs Land, der dem überraschend souveränen Bundesligaleader Werder Bremen am Zeug flicken wollte. Aus dem Süden der Republik, wo Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger im Palazzo Prozzo an der Säbener Strasse noch leibhaftige, reiche und grosskotzige Fussball-Teufel gewohnt haben müssen, aus München also, gratulierte die grösste überregionale Tageszeitung dem SV Werder zum vierten Meistertitel nach 1965, 1988 und 1993. Nun gilt der Bremer gemeinhin schon als vorsichtig. Erst recht, wenn er mit solch voreiligen Glückwünschen aus Bayern bereits einmal leidvolle und tränenreiche Erfahrungen gesammelt hat. Aber wo sollte sich hinter so einer Grussadresse auch nur der leiseste Verdacht oder Argwohn verstecken? In der Tat sind die Indizien mittlerweile erdrückend: Zu den sechs Punkten und sieben Toren Vorsprung vor dem FC Ruhmreich gesellt sich die Tatsache, dass sich die Bremer im Gegensatz zum Titelhalter mit keinen grösseren Problemen mehr herumschlagen müssen. Sie haben praktisch alle Krisen, die ein Verein überhaupt aushalten kann, gemeistert. Sie fanden nach ein paar Tagen voller Selbstmitleid ihre fast schon stoische Contenance wieder, nachdem ihnen ausgerechnet ihr ehemaliger Manager Rudi Assauer den Goalgetter Ailton und den Abwehrchef Kristajic, zwei entscheidende Teamstützen, für den nächsten Sommer abgekauft hatte. Und sie haben ganz entscheidend das Vorurteil widerlegt, wonach Werder-Professionals, die auf einem Spitzenplatz in der Tabelle Weihnachten und Silvester gefeiert hätten, jedes Mal leistungsmässig zurückfielen, sobald im neuen Jahr wieder der Ball rolle (…) Nun befindet sich die Werder Bremen GmbH Co. KG an der Schnittstelle zu einem Champions-League-Unternehmen. Und es ist ein schmaler Grat, auf dem die Belastung von einigen Millionen Euro gegen künftige Tore kalkuliert werden muss. Schaaf und Allofs würden sich gerne im Kreis der Grossen etablieren und sind auch der Meinung, dass bei einer Investition in dieser Richtung durchaus ein Stück Risiko eingegangen werden muss. Ausgerechnet Willi Lemke spielt nun im Aufsichtsrat den Bremser. Dabei hätte der ehemalige Manager zu Rehhagels Zeiten jeden Vertrag unterzeichnet, wenn „König Otto“ nur mit den Augenbrauen gezwinkert hätte. Allein der Hinweis darauf, dass „Werder-Willi“ schon früher auf dem sportlichen Sektor nicht viel zu melden hatte, sollte reichen, den Profilierungsversuch des Bremer Bildungssenators in einer doch stark veränderten Szene entsprechend zu werten.“
Dann stehe ich bei den Rentnern und meckere
FR-Interview mit Reiner Calmund
FR: Herr Calmund, Sie haben immer gesagt, Sie seien ein Frust- und Stress-Esser. Da dürfte jetzt doch wenig auf ihren Teller kommen?
RC: Es war für mich in erster Linie die pure Erleichterung, dass wir dieses Seuchenjahr gerade noch so hingekriegt haben. Die tödlichste Annahme war nach dem Superjahr 2002 gewesen, dass wir gesagt haben, auch wenn es aufgrund der Abgänge und Verletzungen nicht mehr so gut laufen sollte, Fünfter oder Sechster werden wir allemal. Und dann ging nichts. Nach dem Horrorjahr hat bei allen der Wecker geklingelt. Aber bis der Stress weg war, das hat gedauert. Richtig Freude hatte ich erst im letzten Hinrundenspiel nach dem Sieg in Stuttgart, da konnte ich mal durchpusten.
FR: Nach Ihrer Hochzeit im Herbst mit ihrer dritten Frau Sylvia hatten Sie angedeutet, kürzer treten zu wollen.
RC: Ich bin seit mehr als 25 Jahren im Geschäft, habe Kontakte, ein gewisses Know-how, Routine, ich weiß, wie Sponsoren, Medien, Fans, Berater, Verbände ticken, ich habe einen absoluten Kenntnisstand im Sportlichen und in der Betriebswirtschaft, auf der Klaviatur spiele ich blind alle Oktaven. Doch dann kommt der Samstag, das Spiel und die Ergebnisse. Und Niederlagen. Während du in allen anderen Bereichen immer abgebrühter wirst, immer mehr chemisch gereinigt, immer eiskalter, aber die Ergebnisse – da gibt es keine Medikament. Diese innere Anspannung hört nie auf. Ich fühle sogar, sie wird immer schlimmer.
FR: Also können Sie nie abschalten?
RC: Das ärgert mich ja. Dass ich mit dieser Erfahrung, in diesem Alter Ergebnisse immer noch nicht gelassen hinnehmen kann. Ich werde nach einer Niederlage nachts zwei, drei Mal wach und grüble drüber nach.
FR: Dann können Sie ja nie etwas anderes machen als Geschäftsführer bei Bayer Leverkusen?
RC: Wenn ich sage, ich will kürzer treten, kommt sofort die Anfrage: Willst du nicht bei uns was machen? Ich habe natürlich eine absolute Verbindung zu Bayer Leverkusen. Und es gab früher Anfragen aus Schalke und Köln, Hertha wollte mich mal unbedingt haben. Aber das Thema ist jetzt durch. Ich werde höchstwahrscheinlich noch mit 70 Jahren zu Bayer gehen, dann stehe ich bei den Rentnern und meckere.
FR: Erklären Sie uns mal, warum die Liga finanziell so unter Druck gerät?
RC: Nehmen wir doch mal das Beispiel Stuttgart: Die stehen jetzt oben, aber das Problem beginnt ja erst, wenn die sich nicht erneut für die Champions League qualifizieren. Champions League heißt: Vertragsverlängerungen mit Gehaltserhöhungen für Top-Spieler wie Hildebrandt, Hleb, Hinkel und Kuranyi. Dazu kaufst du neue Leute, steigerst dein Budget. Mit altem kaufmännischen Kalkül, nur Geld auszugeben, das man eingenommen hat, kann man nicht regelmäßig Champions League spielen.
FR: Wohin steuert die Liga? Sogar Anstoßzeiten am Samstagmittag werden diskutiert.
RC: (Wütend, haut mit der Faust zwei Mal auf den Tisch) Bei allem Kommerz haben wir zwei Dinge zu erfüllen. Erstens: Wir können nicht die Chinesen am Fernseher bedienen und unsere Leute sind noch am Arbeiten. Zweitens: Die Amateurclubs sind unsere wichtigsten Partner – da kommen alle Spieler her, da sind Hunderttausende Ehrenamtliche tätig. Und deshalb sind das gleichberechtigte Partner. Die können wir nicht unkontrolliert abgrätschen.
FR: Sondern was tun?
RC: Wenn mich einer zu den Spieltagen fragt: erste Liga zwei Mal Freitag, sieben Mal Samstag, zweite Liga Sonntag und Montag – Ende der Vorstellung. Aber da wir nicht auf einer Insel leben, ist das im internationalen Vergleich nicht leicht umzusetzen. Das muss die DFL prüfen, was umzusetzen ist. Eine Doktorarbeit ist das ja nicht.
FR: DFL-Geschäftsführer Wilfried Straub hat viel zu tun dieser Tage. Er handelt die neuen TV-Verträge aus. Vertrauen Sie ihm?
RC: Ich fühle mich von ihm gut vertreten. Er hat die Kompetenz und das Vertrauen der Liga, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Er darf aber nicht wie früher sich alleine den Zaubermantel überwerfen, dann fällt der Vorhang, dann ist Hokuspokus – und am Ende schauen wir alle gespannt zu, was herauskommt. Diese Zeit ist vorbei.
FR: Die Liga will über den bald selbstständig arbeitenden Michael Pfad die TV-Bilder selbst produzieren.
RC: Eine eigene Produktion der Bundesliga-Bilder kann ich mir gut vorstellen. Ich sage aber auch: Schuster bleib bei deinen Leisten. Bei allen Fernsehdiskussionen dürfen wir nicht vergessen, dass ARD/ZDF, Premiere und DSF sehr gute Partner sind.
FR: Herr Calmund, zuletzt in Freiburg haben alle wieder gesungen: Ihr werdet nie Deutscher Meister. Schmerzt Sie das?
RC: Das ist einem nicht gleich. Letztens in Köln war ich unter den Fans. Die sangen auch wieder dieses Lied. Und da hab ich mir die hergeholt und gesagt: Als Ihr zum letzten Mal Deutscher Meister geworden seid (1978, d. Red.), ist mein Opa mit zur Kinderkommunion gegangen. Dann haben sie gelacht, du gehst weiter und dann singen sie wieder. Das gehört dazu. Aber diese Häme musst du dir hart erarbeiten, wir waren vier Mal Vizemeister. Mir ist lieber, sie schütten Häme über uns aus, als wenn sie gar nichts rufen.
FR: Ist das Ihr größter Erfolg: Dass Sie aus einem gesichtslosen Plastikverein, einer besseren Betriebssportgruppe, einen europaweit respektierten Club gemacht haben?
RC: Plastikverein stört mich, weil wir nie einer waren. Die Nähe zu Bayer hat mich nie gestört, weil wir als Werksclub enorme Werbung für das Unternehmen machen. Inzwischen haben wir eine Traditionsmannschaft, und gerade jetzt bei der Karnevalssitzung waren bestimmt 80 Prozent der Spieler dabei, die vor 25 Jahren den Aufstieg in die Bundesliga geschafft haben.
FR: Das heißt: Bayer Leverkusen hat inzwischen eine Tradition?
RC: Ja, und gucken Sie sich unsere Jugendabteilung an. Da gibt es bestimmt 40, 50 Leute, die mit Idealismus auch in diesem Verein für drei Mark fuffzig arbeiten. Und für die alle, für die Jugendlichen, die Fans, die Traditionsmannschaft, tut es mir weh, wenn da von Plastikscheiße die Rede ist. Das ist nicht in Ordnung.
Ballschrank
Interviews mit Joseph Blatter, Fifa-Generalsekretär über Macht, Geld, das Böse und die Ware Fußball – Kommentare über den Machtkampf Blatter contra „G14“
Die G14 ist keine anerkannte Organisation des europäischen Fußballs
FR-Interview mit Joseph Blatter
FR: Die in der G 14 zusammen geschlossenen mächtigsten und finanzstärksten europäischen Clubs erwarten Entschädigungszahlungen seitens der Fifa für die Abstellung ihrer Nationalspieler. Zuletzt war die Rede von 122 Millionen Euro für ein WM-Turnier. Sind Sie kompromissbereit?
JB: Ich rede nicht mit der G14. Ich habe das einmal gemacht, und das war nicht gut. Die Fifa ist ein offenes Haus. Jeder Club kann hereinkommen. Aber nicht die G 14 als Gruppe. Die G14 ist keine anerkannte Organisation des europäischen Fußballs.
FR: Die G 14 denkt jedoch darüber nach, zur Not Klage gegen die Fifa einzureichen, um ihr Ansinnen durchzusetzen.
JB: Wegen was sollte sie das tun? Es ist doch so: Wir laden die Landesverbände zu einer WM ein, zahlen Reise und Unterkunft sowie Preisgelder. Was die Landesverbände damit machen, ist deren Angelegenheit. Sie können das Geld den Spielern geben, den Clubs oder sie können dafür Trainingsplätze für die Jugend bauen. Die Clubs können bei ihrem Verband Beschwerde führen, nicht bei der Fifa.
FR: Sie werden nicht verhehlen, dass die Clubs immer mächtiger werden?
JB: Da haben Sie Recht. Da müssen die Verbandspräsidenten reagieren. An der Spitze der Nationalverbände dürfen keine Funktionäre sitzen, sondern professionelle Wirtschaftsführer. In den meisten Ländern haben inzwischen die Ligen das Sagen, und die Verbände stehen hinten an. So darf es nicht sein. Denn Profifußball spielen nur einige wenige im Vergleich zu den vielen, vielen Amateuren.
(…)
FR: Sie fordern die nationalen Ligen auf, sich auf höchstens 16 Clubs zu begrenzen. Da gibt es erheblichen Widerstand auch aus der Bundesliga.
JB: Es wird auf Clubebene zu viel Fußball gespielt. Nicht mit den Nationalmannschaften. Das Angebot ist zu groß, die Nachfrage geht zurück und die Einnahmen sinken. Die Spieler haben ja gar keine Zeit mehr, sich zu erholen. Und was passiert? Plötzlich haben wir Doping im Fußball. Wenn ich die Spieler zu sehr belaste, dann passiert so etwas. Wer das nicht zugibt, verschließt die Augen vor der Realität.
FR: Da verwundert es allerdings, dass Sie die geplante Club-WM unbedingt durchführen wollen.
JB: Ich finde es nicht solidarisch, dass sich, wie auch diesen Monat wieder, die Meister aus Südamerika und Europa ihren Weltpokalsieger ausspielen und alle anderen Kontinente nicht dabei sind. Der internationale Terminkalender lässt es zu, dass in der zweiten Hälfte des Monats Juli 2005 in Südostasien eine Club-Weltmeisterschaft mit zwölf oder 16 Mannschaften gespielt wird. Die Begeisterung bei einigen Clubs ist groß, bei der Uefa aber nicht.
FR: Im Juni 2005 findet der Konföderationen-Cup in Deutschland statt. Da kann man von Erholung nun ganz bestimmt nicht sprechen.
JB: Der Konföderationen-Cup wird auf alle Fälle nicht mehr alle zwei Jahre durchgeführt. Die Deutschen hätten ihn als Generalprobe für die WM 2006 nicht gebraucht. Aber Afrika braucht das Turnier als Generalprobe für die WM 2010.
Tsp-Interview mit Blatter
Tsp: Karl-Heinz Rummenigge, der Vizepräsident der G14, fordert 70 Millionen Euro für die Klubs von der Fifa, wenn die Spieler zur Nationalmannschaft reisen. Ist das der Grund?
JB: Ich verstehe die Debatte nicht. Sollen sie sich an die Landesverbände wenden, die sind zuständig, die bekommen Geld von uns und entscheiden, was sie damit tun. Die G14 ist keine anerkannte Institution in Europa und im Fußball.
Tsp: Sie sind verärgert.
JB: Wissen Sie, wir haben uns getroffen. Die haben aber nicht ihre Manager oder Präsidenten geschickt. Stattdessen kam das Sprachrohr der G14. Das hatte keinen Anstand.
Tsp: Wie deuten Sie die Provokation?
JB: Die Klubs werden mächtiger. Und deshalb werden wir Verbände uns in Zukunft ändern müssen. Wir dürfen keine Funktionäre im klassischen Sinne mehr sein, sondern führende Manager. Der Fußball steht nicht nur für die Reichen, nicht für 100000 Profis weltweit, sondern auch für 250 Millionen normale Fußballer.
Tsp: Das hört sich idealistisch an.
JB: Neulich habe ich mit dem Präsidenten eines italienischen Klubs gesprochen, der hat gesagt: Ihr seid zu romantisch. Ja, vielleicht ist das so. Aber es nutzt auch nichts, wenn Klub-Gewaltige in die Welt hinausschmettern, dass sie vors Gericht gehen. Wir sollten uns an einen runden Tisch setzen. Das kommende Jahr wird nicht nur Festlichkeiten mit sich bringen.
Tsp: Kritisiert wird von den großen Klubs auch Ihr Konzept einer Vereinsweltmeisterschaft. Ist das nicht zu viel Fußball?
JB: Wir überlegen, den Konföderationscup nur noch alle vier Jahre auszutragen. Der Fußball muss sich rar machen, um attraktiv zu sein.
Blatter-Bashing ist out
Roland Zorn (FAZ 3.12.) blickt ins Welt-Zentrum der Fußball-Macht: „Zufrieden wie ein Patriarch, in dessen vier Wänden fast alles zum besten steht, präsentiert sich Joseph Blatter dieser Tage. Der Präsident der FIFA ist stolz darauf, daß wir wieder die Einheit der Familie haben, froh darüber, daß Zucht und Ordnung geschaffen wurde in der Verwaltung der FIFA und dazu erleichtert, daß er nicht mehr der Buhmann der internationalen Medien ist. Das Böse, sagt der im Vorjahr nach einem tumultartigen Vorspiel eindeutig wiedergewählte 67 Jahre alte Schweizer, kam meistens von den britischen Inseln. Blatter-Bashing ist inzwischen out, der Mann ist heraus aus seiner splendid isolation, und so kann der 67 Jahre alte Walliser kraftvoll und energisch wie noch nie seine weltumspannende Organisation anführen. Selbst der alte Streit mit seinem schwedischen Gegenspieler Lennart Johansson ist ausgestanden, dem Präsidenten der UEFA. Wunderbare große weite Welt des Fußballs? Mitnichten. Der Kämpfer Blatter, der die Harmonie sucht und die Konfrontation nicht scheut, hat einen neuen Herausforderer gefunden: die sogenannte G14, die Gruppierung der stärksten und einflußreichsten europäischen Fußballklubs. Diese G14 fordert seit längerem FIFA und UEFA dazu auf, bei Welt- und Europameisterschaftsturnieren Abstellgebühren an die Vereine für die Teilnahme der Profis zu überweisen. 70 Millionen Euro ruft beispielsweise Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München und Vizepräsident der G14, als Entschädigungszahlung für die kommende WM in Deutschland auf. Lächerlich, findet Blatter, der es inzwischen als Fehler ansieht, überhaupt einmal ex officio diesen Großkopferten-Klub zu sich nach Zürich eingeladen zu haben. Die FIFA, hob Blatter hervor, ist ein offenes Haus. Wir können wohl mit den Klubs im einzelnen reden, aber mit der G14 als Gruppierung rede ich nicht mehr. Schließlich handele es sich immer noch um eine weder von der FIFA noch von der UEFA anerkannte Organisation (…) Die G14 möglichst klein zu halten und statt dessen, etwa über das Klubforum der UEFA, im Konsens mit den Vereinen zu leben, ist ein Kernanliegen Blatters und Johanssons. Nahezu süffisant kommentiert der FIFA-Präsident deshalb auch die von Rummenigge artikulierte Drohung, daß die G14 die FIFA wegen ihrer Weigerung, Abstellgebühren zu zahlen, notfalls vor den Europäischen Gerichtshof zerren werde. Die Mitglieder der FIFA, klärt Blatter seine Widersacher auf, sind die Landesverbände und Konföderationen. Nur mit ihnen und nicht etwa mit den Klubs seien die Verträge zur Teilnahme an einer WM ausgehandelt. So gesehen, könne ein Klub die FIFA gar nicht angreifen, es sei denn über das Strafrecht. Hier aber geht es nicht um Straftaten.“
Faktisch sind die Großvereine längst dabei, die Regie zu übernehmen
Thomas Kistner (SZ 3.12.) ergänzt: „Dass er einmal eine Abordnung der G14 am Fifa-Sitz in Zürich empfangen hatte, bedauert er heftig. „Das war ein Fehler. Ich werde nicht mehr mit der G14 reden.“ Gleiches erwartet er von der Uefa, die mit G14-Sprecher Karl-Heinz Rummenigge im Dialog ist – und überhaupt, „die G14 ist ja gar keine anerkannte Organisation im Fußball“. Formal nicht. Faktisch sind die Großvereine längst dabei, die Regie zu übernehmen, vorbei an den meist „nicht von gestandenen Managern, sondern von Volontär-Funktionären“ (Blatter) geführten Verbänden. Hier zu Lande fand so eine Revolution von unten jüngst sogar auf nationaler Ebene statt, als eine aus dem Nichts kreierte G 8 (acht einflussreiche Bundesligaklubs) ohne Vorwarnung und an der DFL vorbei neue Vermarktungsstrategien für den Profibetrieb erörterte. Es geht ums rar gewordene Geld und damit um die künftige Macht im Fußball (…) Es gebe ein Überangebot an Vereinsfußball, klagt Blatter, das schade der Nachfrage, den Einnahmeflüssen – und den Akteuren selbst: Sogar die jüngst wieder häufigeren Dopingfälle führt er auf solche Überbelastungen zurück. Der Fußball als Ramschware der Zukunft – das Thema macht dem Fifa-Chef ähnlich zu schaffen wie der Machtkampf mit den Vereinen. Insofern hat ihn die Preisgestaltung des deutschen WM-Organisationskomitees für 2006 „nicht ganz zufrieden“ gestellt. Das OK nämlich hat eine vierte, preiswerte Kategorie im Ticketverkauf festgesetzt und wird sie mit Stolz in Frankfurt präsentieren – was Blatter wurmt. „Ich habe es zur Kenntnis genommen, wir sind ja ein demokratisches Gebilde. Aber ich finde, jedes WM-Spiel ist etwas Besonderes, und wer an etwas Besonderem teilhaben will, sollte besonderen Aufwand treiben.“ Dass sich dies vielleicht nicht mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Fußballbasis deckt, also mit dem Gros jener 250 Millionen Fußballbegeisterten, mit denen sich der Weltpräsident gerne schmückt, passt in die neue, raue Zeit.“
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Südkorea gegen Italien
Christoph Biermann (SZ 19.6.) zum Spiel Südkorea gegen Italien (2:1 GG). „Lange ähnelte die Partie dem Nachmittagsspiel der anderen Gastgeber-Mannschaft. Wie schon Japan schien auch Korea im vierten Spiel des Turniers der Kraftvorteil abhanden gekommen zu sein, der in den vorherigen Partien so geholfen hatte. Verschwunden waren die gewaltigen Wellenbewegungen, in der sich alle Spieler nach vorn bewegt und wieder zurückfallen hatten lassen. Zaghaft wirkten sie, unpräzise und nicht mehr von der wilden Entschlossenheit, die das Etikett des „Korea Team Fighting“ mit Leben erfüllt hatte. Doch es war vor allem ein schon früh vergebener Elfmeter, an dem sich die koreanische Mannschaft lange abarbeiten musste. Leicht sah es nun mitunter fast aus für eine italienische Mannschaft, die zwar keine Schönheit, aber doch Klasse zeigte. Die zur Hälfte neuformierte italienische Abwehr hatte mit den Koreaner relativ wenig Probleme. Allerdings bewegten sich die Italiener mit ihrem Spiel auf zunehmend dünnem Eis.“
Italienische Reaktionen auf das Aus
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Themen
Themen: Gladbach setzt auf Tradition – was kann Möller ? – Mittelmaß in Wolfsburg – Völlers Wutrede und die Bundesliga – sehr lesenswert! Hitzfeld-Anhänger und Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann deutet das Wesen des Fußballs u.a.
Mythos Borussia
Daniel Theweleit (FR 13.9.) erklärt die Kraft der Gladbacher Tradition. „Zur kommenden Saison wird der Club in ein neues Stadion umziehen, und die Verantwortlichen begreifen die mehr oder weniger schlummernde Zuneigung der vielen Romantiker, die wie Reitmaier in den 70ern begeistert waren von dem bezaubernden Offensivfußball der Mannschaft, als großes Potenzial für die Zukunft. Schon jetzt wird kräftig erinnert an den Mythos Borussia. Die Titelseiten der Stadionzeitung widmen sich in dieser Saison allesamt großen Spielen aus großen Zeiten, und Heimspiel für Heimspiel wird an den nahenden Abschied vom Bökelberg erinnert, der für die jeweilige Gastmannschaft ein endgültiger ist. Ein Abschied von der wohl letzten Bundesliga-Arena, in der sich das Flair der 70er und 80er Jahre mit der Erinnerung an magische Momente mischt. Hier gab es den legendären Büchsenwurf gegen Roberto Boninsegna beim unglaublichen, aber anullierten 7:1 gegen Inter Mailand 1971, hier ereignete sich der unvergessene Pfostenbruch, und hier wurde die vielleicht am leidenschaftlichsten geliebte Mannschaft des deutschen Clubfußballs mit Günther Netzer, Jupp Heynckes, Berti Vogts, Rainer Bonhof und all den anderen geboren. Sie prägten das erfolgreichste Jahrzehnt des deutschen Fußballs und machten den Hügel mitten in einer Mönchengladbacher Wohngegend zu einem der bekanntesten Berge Deutschlands. Nun ist die Erinnerung an diese Zeit eine wichtige Ressource, die auch bei der Vermarktung der neuen Arena am Nordpark ausgeschöpft werden soll. Das neue Stadion wird 53 000 Zuschauer fassen, es wird dort 42 Logen geben und einige hundert Business-Seats. Die Borussia baut das Stadion selbst, will es aus dem Fußballbetrieb refinanzieren und muss die Einnahmen mit niemandem teilen. Möglich ist das, weil die Baukosten statt 120 bis 180 Millionen wie bei den Arenen in Köln, Gelsenkirchen, Düsseldorf oder Frankfurt insgesamt nur 85 Millionen Euro betragen. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche, erklärt Sportdirektor Christian Hochstätter die erstaunliche Diskrepanz und meint vor allem, dass weite Bereiche unter den Tribünen nicht mit Büros, Hotels, Sitzungsräumen und Ähnlichem zugebaut werden. Der Atmosphäre im Innern wird das keinen Abbruch tun, und die Anhänger scheinen an die Vision von der goldenen Zukunft zu glauben. Trotz mäßigen sportlichen Erfolges meldet der Club ständig neue Rekorde: Nie wurden so viele Dauerkarten verkauft, nie hatte man so viele Sponsoren, nie so viele Mitglieder.“
Möller-Mania
„In Frankfurt wissen sie alles über Andreas Möller – nur nicht, ob er der Eintracht noch einmal helfen kann“, schreibt Ingo Durstewitz (SZ 13.9.). „Seit Möller vor zwei Wochen zur Eintracht zurückgekehrt ist, um seiner alten Liebe zu helfen, den nach vier Spieltagen unvermeidlich erscheinenden Wieder-Abstieg aus der Beletage zu vermeiden, ist in Frankfurt der Ausnahmezustand ausgebrochen. Möller, 36, kann keinen Schritt machen, ohne mit Argusaugen verfolgt zu werden. Die Zeitungen sind voll, berichten von dem ersten Möller-Opfer (Markus Kreuz), decken auf, ob der Heilsbringer ein Schnellduscher ist (absolut, ja), Marke und Farbe seines Autos (BMW, schwarz), wie breit die Reifen sind (sehr breit), Marke und Farbe seines Handys (Nokia, schwarz), undsoweiterundsofort. Auf dem Boulevard ist eine wahre Möller-Mania ausgebrochen, eine Titelgeschichte jagt die andere; Fernsehteams tauchen beim Training auf und bestechen durch präzise Fragen: „Herr Möller, wie viele Tore schießen Sie in Gladbach?“ Möller lacht sich kaputt, die Mitspieler auch. Andreas Möller, der als Fußballer alles gewonnen hat, was man gewinnen kann, ist den Hype gewohnt, er kennt es nicht anders. Wo er war (Eintracht Frankfurt, Juventus Turin, Borussia Dortmund, Schalke 04, Frankfurt), da haben sich alle um ihn gerissen; Möller ist nicht der Typ, der polarisiert, unfreiwillig tut er es trotzdem. „In den ersten zwei Wochen ist das mit dem Trubel halt so“, sagt er im Stile eines Hollywood-Beaus (…) Der Hoffnungsträger sieht sich nicht unter Druck, will versuchen, der Mannschaft durch seine bloße Präsenz beizustehen. Auf dem Spielfeld sieht er sich eher wie ein Großmeister im Schach, der das Spiel mit Köpfchen in seine Bahnen lenkt, sozusagen als Quarterback auf dem Fußballfeld. „So habe ich in Schalke in den letzten drei Jahren gespielt.“ So will er in Frankfurt die letzte Saison seiner Karriere spielen. Auch aus eigenem Interesse, denn der Anschlussvertrag bei der Eintracht als Assistent des Vorstandes (vor allem als Repräsentant) gilt nur für die erste Liga. „Sollten wir in die zweite Klasse gehen, müssen wir neu verhandeln“, sagt Möller. Andi Möller als Absteiger – irgendwie schwer vorstellbar.“
FR-Interview mit Möller
In Bremen geht es nach wie vor weniger aufgeregt zu
Frank Heike (FAZ 13.9.) lobt Bremens Sportdirektor. „Natürlich ist Klaus Allofs auch ein bißchen stolz auf seine kluge Einkaufspolitik – oder genauer: Ausleihpolitik. Nur würde der 46 Jahre alte Sportdirektor des SV Werder Bremen das nie zugeben. Das Wort zufrieden ist aus seinem Munde schon ein Superlativ. Dabei darf der SV Werder doch mehr als zufrieden mit den drei Spielern sein, die Allofs in den Sommermonaten verpflichtete: den Torwart Andreas Reinke und die Verteidiger Valérien Ismael und Ümit Davala. Alle drei gehören schon zu den Stützen der grün-weißen Gesellschaft; sie haben mitgeholfen, den Bremern den besten Saisonstart seit vielen Jahren zu ermöglichen. Doch wenn Allofs vom täglichen Geschäft erzählt, klingt es so, als sei es am allerwenigsten sein Verdienst, daß sie nach Bremen gekommen sind. Reinke habe ohnehin zurück in die Heimat gewollt, Davala sei eben gerade auf dem Markt gewesen, nun gut, bei Ismael hätten wohl seine guten Beziehungen nach Frankreich geholfen, wo Allofs einst die Karriere beendete. Dann schaut der Sportdirektor, dieser höfliche, distinguierte Mann, dem man kein lautes Wort zutraut, als wolle er fragen: Und was ist das Besondere daran? In Bremen geht es eben nach wie vor etwas weniger aufgeregt, etwas weniger marktschreierisch zu als an anderen Standorten des Unterhaltungsbetriebs Bundesliga.“
Wieder nur Mittelmaß in Wolfsburg?, fragt Thorsten Stegemann (SpOn). „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit können manchmal Welten liegen. Diese leidvolle Erfahrung machen derzeit renommierte Bundesliga-Größen wie Borussia Dortmund oder der Hamburger SV. Doch die wirklichen Dramen spielen sich in der niedersächsischen Provinz ab. Beim VfL Wolfsburg gehört die Enttäuschung über verfehlte Zielvorgaben mittlerweile zum Vereinsalltag. Trotz nagelneuer Arena, des potenten Hauptsponsors VW und spektakulärer Spielertransfers ist es den Niedersachsen auch in dieser Saison bisher nicht gelungen, in die Spitzengruppe der Bundesliga vorzudringen. Die Chance, in Europa Aufmerksamkeit zu erregen, hat sich nach dem verlorenen UI-Cup-Finale gegen Perugia erledigt. Trotzdem macht man in Wolfsburg keinerlei Anstalten, die Ansprüche zu mindern. Trainer Jürgen Röber, der schon Hertha BSC ins internationale Geschäft führte, hat in dieser Spielzeit die Uefa-Cup-Ränge fest im Visier. Manager Peter Pander glaubt selbstbewusst an die Erfüllung eines Fünfjahresplans: In der Saison 2007/08 soll der VfL Wolfsburg die Teilnahme an der Champions League anpeilen. Das klingt verrückt, und vielleicht ist es das sogar. Andererseits wäre vermutlich auch derjenige als Traumtänzer belächelt worden, der vor zwölf Jahren behauptet hätte, der VfL würde einmal in der Bundesliga spielen. Damals kickten die Grün-Weißen vor 1000 Zuschauern in der Oberliga. Mitte der siebziger Jahre hatten sie zwei Spielzeiten in der Zweiten Liga verbracht und verschwanden dann auf vermutliches Nimmerwiedersehen in den Untiefen des Amateurlagers. Doch Manager Peter Pander, der seinen Job im März 1991 auf der alten Geschäftsstelle am Elsterweg antrat, wollte sich mit dieser Situation nicht abfinden. Er hatte große Pläne, als VW-Mitarbeiter einen starken Partner an der Hand – und das nötige Quäntchen Glück. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt stieg der VfL in der Zweite Liga auf. Dort verbesserten sich die Wolfsburger mit Ausnahme der verunglückten Saison 1995/96 (Rang 12) von Spielzeit zu Spielzeit. 1995 erhöhten die Provinzkicker ihren Bekanntheitsgrad, als sie das Finale im DFB-Pokal erreichten. Zwei Jahre später gelang nach einem dramatischen 5:4-Sieg gegen Mainz 05 am letzten Spieltag der Aufstieg in die Bundesliga. Sogar in der höchsten deutschen Spielklasse ging es weiter aufwärts. 1999 führte Trainer Wolfgang Wolf die Mannschaft in den Uefa-Cup, wo sie erst in der dritten Runde an Atletico Madrid scheiterte. Seitdem allerdings ist der Erfolgsbilanz nichts mehr hinzugefügt worden. So als hätte der Verein die Vorliebe seines Hauptsponsors für die Mittelklasse übernommen: Zu mehr als gelegentlichen Teilnahmen am UI-Wettbewerb, dem Cup der guten Hoffnung, reichte es nicht. Auf dem Weg nach ganz oben ist der VfL Wolfsburg im Stau stecken geblieben. Damit sich der 53 Millionen Euro teure Stadionbau (Volkswagen-Arena) rechnet, muss der VfL Wolfsburg seinen hohen sportlichen Ansprüchen aber so schnell wie möglich gerecht werden.“
Der öffentlichen Meinung gerecht werden
Sprach Völler im Sinne der Bundesliga-Trainer? Richard Leipold (FAZ 13.9.) antwortet. „Rudi Völlers verbaler Feldzug gegen die angeblichen Fußballgurus und deren publizistische Plattformen hat sich fürs erste in Wohlgefallen aufgelöst: Der Teamchef schützt die Nationalelf, und die Auserwählten danken ihrem Patron mit einem Sieg über Schottland. So einfach ist das. Die kickende Gesellschaft könnte also einigermaßen beruhigt wieder in den Bundesligabetrieb eintauchen und sich lustvoll ihren Alltagssorgen hingeben. Aber ist es wirklich so einfach? Nicht, wenn Völler in allen Punkten recht hat. Seine sogenannte Brandrede in Reykjavík enthält auch eine Bemerkung zur Lage der Liga; diese Passage war vom lauten Getöse vor dem Schottlandspiel zunächst übertönt worden. Die Meinungsmacher setzten auch die Vereinstrainer unter Druck, fürchtet Völler. Mancher Klub lasse sich sogar zu Alibi-Aktionen hinreißen, um den Medien zu gefallen und sich auf diese Art Ruhe zu verschaffen oder wenigstens eine kleine Verschnaufpause. Geldstrafen oder personelle Bauernopfer dienen nach dieser Theorie hauptsächlich dazu, der öffentlichen Meinung gerecht zu werden. Die Stimmen der Gurus wachsen sich zu Stimmungen aus, denen die Trainer oft hilflos ausgesetzt sind: Wenn der Teamchef Völler in seine These von der öffentlichen Miesmacherei die Bundesliga einbezieht, läßt er auch seinen Trainerkollegen in den Vereinen ein wenig Schutz angedeihen. So kommen die Institutionen Bundesliga und Nationalmannschaft in diesen Tagen als eine Solidargemeinschaft daher, die nicht zuletzt von den Medien oft vergeblich angemahnt worden ist (…) Der Stuttgarter Trainer Felix Magath hält die Wechselwirkung zwischen den Meinungen sogenannter Experten und dem Geschehen rund um die Mannschaft für ein mittlerweile selbstverständliches Phänomen der Mediengesellschaft. Die Bundesligatrainer werden ohne Ende unter Druck gesetzt, aber ich habe mich damit arrangiert. Die Medienwelt wird sich nicht ändern, sagt er. Die Aufstellung lasse ich mir nicht vorschreiben, doch wenn massiv eine Meinung gebildet wird, kommt man nicht daran vorbei, dann muß man sie in seine Überlegungen einarbeiten. Das Einarbeiten könne aber auch darin bestehen, daß er genau das Gegenteil dessen mache, was die Gurus forderten, sagt Magath. Das Ballyhoo um Völlers Brandrede hält er für eine flüchtige Erscheinung, ohne große Auswirkung auf den Bundesliga-Alltag.“
Evi Simeoni (FAZ 13.9.) klagt. “Start in den Tag. Der Motor springt sofort an. Das Losfahren gelingt reibungslos im schumacherschen Sinne. Volle Traktion, kaum Schlupf der Reifen. Sattes Geräusch. Die Katze hat sich schon vorher im Gebüsch versteckt. An der nächsten Kreuzung Bremsen, Quietschen, der Gegner läßt die Scheibe herunterschnurren und erinnert daran, daß er eigentlich Vorfahrt hat. Das lasse ich mir nicht länger gefallen. Also, ich weiß nicht, woher der überhaupt das Recht nimmt. . . Ja gut, okay, es stimmt, er kam von rechts. Das ist ja auch alles in Ordnung. Aber ich kann diesen Käse nicht mehr hören. Von jetzt an machen wir für euch alle den Rudi. Der Mann läßt sich nicht alles gefallen, das ist ihm die Geschichte nicht wert. Er ist der wahre Guru und bekommt am Ende recht. Nur, wo findet unsereins ein Spielfeld, auf dem alle bohrenden Sinnfragen binnen vier Tagen umfassend und zufriedenstellend beantwortet werden? Wo können wir unsere Tore und Elfmeter schießen, um den Frust der alltäglichen Hilflosigkeit loszuwerden? Wer das Pech hat, eines Vormittags das wahre Ausmaß seines eigenen Nicht-Völler-Seins zu erkennen, läuft bestimmt mit gesenktem Kopf auf den gläsernen Aufzug zu und kann nur noch zuschauen, wie der langsam mit anderen Leuten (doch wohl keine Isländer und Schotten?) davonschwebt. So ein Sch. . .! Sind wir, die wir nach individueller, nach edlerer geistiger Nahrung streben, also auch diesmal darauf angewiesen, uns von Typen läutern zu lassen, die wir eigentlich für verwöhnte, kickende Schnösel im Nationaltrikot halten?“
SpOn-Interview mit Ralf Zumdick, Trainer Ghanas
Im Unwägbaren des Spiels berührt die Sphäre meine Seele
Thomas Hürlimann (FAZ 13.9.) deutet Wesen und Wirken des Fußballs. „Zug, das Schweizer Städtchen, aus dem ich stamme, ist im Gang der Geschichte dreimal durch Klugheit aufgefallen. Im Mittelalter öffnete es der erstarkenden Eidgenossenschaft die Tore; in der Neuzeit senkte es den Steuerfuß, und 1983 machte Zug einen deutschen Fußballspieler zum Trainer seines Clubs: Ottmar Hitzfeld. Mit Hitzfeld, dessen Qualitäten ich lange vor anderen erkannt habe, wechselte ich die Städte, und als wir mit Borussia Dortmund zum ersten Mal Meister wurden, saß ich vor dem Fernseher, schluchzend wie ein Kind. Da betrat meine Frau das Zimmer. So hatte sie mich noch nie gesehen. Was ist denn mit dir los! stieß sie hervor. Fußball. Der Fußball hatte es geschafft. Ich war ihr zum Rätsel geworden (…) Ein Spiel dauert neunzig Minuten, also in etwa so lange wie ein Pontifikalamt oder ein klassischer Hollywood-Western, und wer je mit seinem Club lebte, litt und unterging, weiß, daß der Blick mit wachsender Spieldauer immer öfter nach oben geht, zur Stadionuhr. Die Zeit vergeht, und sie tut dies auf gespaltene Weise. Den Young Boys läuft die Zeit davon, den Grasshoppers fliegt sie zu. Was auf dem Platz geschieht, ist spannend, weil es dem agonalen Prinzip untersteht, die wahre Agonie jedoch erleben wir da oben, auf der runden Uhr. Im Fußball spielen die höheren Mächte mit, und nicht immer, wie wir wissen, gerecht. Ihr Vertreter auf dem Platz hat es in der Hand, über die Zeit hinaus nachspielen zu lassen. Auch kann er ein Foul übersehen oder eine Schwalbe mit einem Elfmeter belohnen, und wiewohl ich schon wie ein Hund unter falschen Pfiffen gelitten habe, bin ich entschieden gegen eine Oberaufsicht durch Kameras. Die Unwägbarkeit gehört zum Spiel. Wir wollen erleben, wie die Götter – moderner gesagt: die Zeit und die Pfeife – die Ballspieler zu Spielbällen degradieren. Auf diese Weise wird uns Spaltwesen bewußt, wer uns den Urknall verpaßt, wer uns in die Teilung und in den Kampf verstoßen hat. Indem wir spielen, sagt Platon, setzen wir uns in das richtige Verhältnis zu den Göttern. Das heißt, im agonalen Spiel rennen wir nicht nur gegen die andere Platzhälfte an, sondern zugleich gegen die höchste Instanz, gegen die Zeit. Sie kann nicht besiegt werden, natürlich nicht, allerdings trifft sie in jedem Spiel ihre Entscheidung, den einen gibt sie ihre Gunst, den andern nicht, und spielt sie mal mit meinem Verein, wölbt sich über dem Stadion oder über dem Ikeamief meiner Wohnwabe der Götterhimmel und lächelt mir zu. So wird in der Freude oder in der Verzweiflung die Traumkugel für Augenblicke sichtbar – im Unwägbaren des Spiels berührt die Sphäre meine Seele (…) Der Schiedsrichter blickt auf die Uhr. Die Nachspielzeit läuft. Auf Schalke feiern sie bereits den Meistertitel. Da ich mit Hitzfeld zu den Bayern übergelaufen bin, verkrieche ich mich todtraurig in den Ikeakissen auf dem Sofa. Ein Tor, nur ein einziges, fehlt uns zum großen Sieg. Wieder geht die Tür auf: meine Frau. Sie lächelt, ich leide. Da gibt der Schiedsrichter den Bayern einen Freistoß. Äußerst zweifelhaft, zugegeben, doch liegt es in seinem Ermessen. Ich wage kaum zu atmen. Kahn stürmt aus seinem Tor, will sich den Ball greifen. Effenberg schubst ihn weg. Dieser Wahnsinnige! Anderson hat für Bayern noch nie ein Tor erzielt, aber Effenberg schiebt den Ball zu Anderson, Anderson schießt, er ist drin. Er ist drin! Bayern, Hitzfeld und ich sind Meister. Ich tanze, ich schreie. Meine Frau schließt das Fenster – zu spät. Ein auf der Straße sich langweilendes Kind dürfte das Geheul aus dem Innern gehört haben – und wird gepackt sein. Für immer. Wie ich. Wie die Welt. Sepp Herberger sagte einmal: Ich war ein Besessener. Einer, der auf die letzte Erkenntnis aus war. Die letzte Erkenntnis war schon die erste. Unser Acker hat vier Ecken, aber die Sphäre, die Seele, der Ball sind rund.“
Gewinnspiel für Experten
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Der „gute Mensch“ Stange in Irak, Europäer in Asien
Themen: Kreative Buchhaltung in Italien – “der gute Mensch” Stange in Irak – Europäer in Asien – Portraits aus Malaga und Waalwijk u.a. (mehr …)
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Willi Reimann, Dickkopf auf der Frankfurter Trainerbank – Franz Beckenbauer, der „Liebes-Logiker“
Ich decke meinen Rücken selber
Thomas Klemm (FAZ 5.11.) erlebt den Trotz Willi Reimanns, Trainer von Eintracht Frankfurt: „Eineinhalb Stunden stand Reimann am Dienstag scheinbar gelassen am Frankfurter Waldstadion, verfolgte ungerührt wie immer das Trainingsspielchen seiner Fußballprofis. Nur selten griff er zur Pfeife, um das Geschehen auf dem Rasen zu unterbinden; so, als spare er sich seine Luft für die Zeit nach der Übungseinheit auf. Dann aber, als die Fußballprofis der Frankfurter Eintracht in die Kabine trotteten, die Kiebitze in der Herbstsonne gemächlich das Weite suchten, ließ der Trainer aus heiterem Himmel Dampf ab. Als wittere er in jeder Ecke des Waldstadions Gegner, wetterte der Dreiundfünfzigjährige gegen alle, die angeblich seine ehrliche Arbeit nicht zu würdigen wissen. Ein Teil der Anhängerschaft hatte am Samstag mit Reimann raus-Rufen auf die abermals schwache Vorstellung der Frankfurter Bundesligamannschaft bei der 1:3-Niederlage in Bremen reagiert. Wenn der Verein dieser Einschätzung folgt, sagte Reimann am Dienstag unwirsch und ultimativ, muß er einen anderen Trainer installieren. Dann habe ich wieder Zeit. Spricht so ein Trainer, der beinahe im gleichen Atemzug von sich behauptet, ich bin jeden Tag kämpferisch? Meistens wirkt Reimann so, als schere er sich weder um die interne Kritik noch um die öffentliche Meinung. Seine Welt ist es, tagtäglich mit der Mannschaft zu arbeiten; seinen Weg geht er gewöhnlich, ohne viele Worte zu machen. Er weist nur immerzu darauf hin, daß er den Verein, der vor eineinhalb Jahren noch um die Lizenz für die zweite Liga gebangt hatte, umgehend in die höchste Spielklasse geführt hat. Seine demonstrativ zur Schau gestellte Selbstbestimmung, die nicht selten in Sturheit ausartet, betonte Reimann auch am Dienstag nachdrücklich: Ich brauche keine Rückendeckung, ich decke meinen Rücken selber.“
Jan Meyer-Veden (Zeit 6.11.) erläutert die „Liebes-Logik“ Franz Beckenbauers, „dem deutschen Fußballwesen Lichtgestalt vom Dienst. „Das will ich nicht überstürzen“, lautet dessen Moratorium bezüglich der Hochzeit mit seiner Lebensgefährtin Heidi Burmester; die erstaunliche Begründung: „Mit der Scheidung habe ich mich konsequent zu uns bekannt.“ Scheidung heißt hier „Auflösung der Ehe mit Nochgattin Sybille“; „zu uns bekannt“ heißt „Affirmation des Verhältnisses zur Lebensgefährtin Heidi“; „konsequent“ ist mit „in genügendem Maße“ zu übersetzen. Mit jenem Logion reiht sich Beckenbauer ein in die stolze Gemeinschaft der Philosophenkaiser, ergreift das ehrenvolle Zepter, das vor ihm ein Marc Aurel, ein Friedrich II. gehalten haben, und nötigt selbst den Ethikrat zum konsequenten Bekenntnis seiner philosophischen Inferiorität. Es ist diese Liebeserklärung ex negativo ein dialektisches Juwel sondergleichen; zum ersten Mal in der langen und ereignislosen Geschichte der Logik ist es hier gelungen, die Bejahung einer Sache aus der Verneinung einer anderen, also ein B aus Nicht-A, direkt herzuleiten! Bisher folgte aus bloßem Nicht-A nichts anderes als ebenso bloßes Nicht-A. Nun kommt des Kaisers „erlösende Tat“ (Kierkegaard) keineswegs überraschend. Man erwäge nur folgende Hegelworte: „Das Ding ist gesetzt als für sich seyn, oder als absolute Negation alles Andersseyns.“ Es ist „für sich, in sich reflectirt, Eins; aber diß für sich, in sich reflectirt, Eins seyn ist mit seinem Gegentheile dem Seyn für ein anderes in einer Einheit, und darum nur als aufgehobenes gesetzt.“ (…) Die Folgen dieser logischen Revolution sind unabsehbar: Millionen Bankkunden werden demnächst ihr Konto ausgleichen, um zu reichen Leuten zu werden, der 1. FC Köln stellt den Spielbetrieb ein und wird auf diese Weise Deutscher Meister, denn nach dem neuen Kalkül muss gewinnen, wer nicht verliert.“
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Babbels Premiere in Blackburn, urbayrisches Burghausen
Themen: Wacker Burghausen, bayerischer Zweitligist – Babbels Premiere in Blackburn u.a. – Image als urbayerischer Verein (mehr …)
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Sonstiges
erneut Schiedsrichterdiskussionen in Italien: „wo war Pierluigi Collina, der E.T. der Fussballstadien, an diesem verhexten Wochenende?“ (NZZ) – „das Verschwinden der Soccer Moms“ (NZZ) erklärt den schweren Stand des Fußballs in den USA u.v.m.
Zweite Liga – Markus Schäflein (SZ 8.3.) berichtet das 2:2 im Franken-Derby: „Football is coming home, dröhnte es aus den Boxen. Zum ersten Mal seit 25 Jahren fand ein Treffen zwischen der Spielvereinigung Greuther Fürth und dem 1. FC Nürnberg wieder in Fürth statt. Um sich im Kampf gegen den Abstieg den Heimvorteil zu sichern, hatte die Spielvereinigung diesmal auf einen Umzug ins Frankenstadion verzichtet – und auf viel Geld. Die Entscheidung lohnte sich nicht. Das Spiel endete 2:2; Fürth befindet sich nun auf einem Abstiegsplatz. Einen Teil der entgangenen Einnahmen schoss ein Sponsor zu; eine weitere Maßnahme brachte den Fürthern ein bisschen Geld und viel Ärger: Eine Karte für das Spiel gegen den Club verkauften sie am Ende des Vorverkaufs nur noch zusammen mit einem Ticket für das anschließende Treffen mit Rot-Weiß Oberhausen. Der Eintritt für einen normalen Stehplatz kostete plötzlich 18 Euro (zweimal acht Euro plus zwei Euro Top-Zuschlag). Natürlich ließ sich dadurch niemand vom Kauf einer Karte abhalten. Am Samstagnachmittag bot sich in der Fürther Geschäftsstelle aber ein seltsames Szenario: Anhänger des 1. FC Nürnberg kauften Tickets für das Spiel Fürth gegen Oberhausen, um sie an Ort und Stelle zu zerreißen.“
Quatar kauft Nationalspieler, Christian Eichler (FAS 7.3.) zuckt die Achseln: „Wo das nur enden wird? Auf eines, ein letztes im Fußball konnte man sich verlassen: daß Nationalmannschaften Nationalmannschaften waren. Daß Brasilianer Brasilianer waren und Qatarer Qatarer. Nun wird der Brasilianer Ailton ein Qatarer und der Brasilianer Dede vielleicht auch. Dazu müssen sie nicht mal einen arabischen Opa im Stammbaum angeben, nur eine Kontonummer: fürs siebenstellige Handgeld. Vereinsfußball wurde immer vom Gehalt bestimmt, Auswahlfußball aber von der Geburt; dort entschied die Herkunft des Geldes, hier die des Menschen – ein Gegensatz, der einen großen Reiz des Spiels ausmachte. Damit das so bleibt, will der Internationale Fußball-Verband, alarmiert vom Ailton-Fall, nun seine Regeln verschärfen und Nachahmer verhindern. Auf daß der Fußball kein Qatar-Leiden bekomme. Die Globalisierung erreicht hier einen Punkt, an dem die Fußball-Bühne ein Fall fürs absurde Theater wird. Aber auch das Komödiantische kommt nicht zu kurz – die Vorstellung von Ailton als Araber belebt komische Phantasie. Das erlaubt es, die Sache nicht allzu ernst zu betrachten. Denn sein Gang ins Morgenland ist nicht der Untergang des Fußball-Abendlandes.“
Martin Pütter (NZZ 9.3.) bewundert englische Fankultur: „Trotz den ausufernden Spielkalendern gibt es in England jedes Jahr ein oder zwei Spiele, die über das Matchtelegramm hinaus in Erinnerung bleiben, ja Gesprächsstoff auf Jahre hinaus liefern. Als Beispiele können die torreichen Partien zwischen Liverpool und Newcastle United Mitte der neunziger Jahre genannt werden; sie gehören zum festen Bestandteil der TV-Sendungen über Highlights vergangener Saisons. Seit letztem Samstag zählt neu der Viertelfinal im FA-Cup zwischen dem FC Portsmouth und Arsenal dazu, obwohl das Bemerkenswerte nicht auf dem Rasen (klarer 5:1-Erfolg von Arsenal), sondern rund um das Spielfeld herum geschah. Als die Londoner nach dem Schlusspfiff das Spielfeld verliessen, erhielten sie von den 20000 Zuschauern im ausverkauften Fratton Park stehende Ovationen. Ob so viel Anerkennung wurde selbst ein Profi wie Thierry Henry weich. „So etwas habe ich noch nie erlebt“.“
Der E.T. der Fussballstadien
Peter Hartmann (NZZ 9.3.) erlebt wieder einmal Diskussion um italienische Schiedsrichter: „Wo war Pierluigi Collina, der gute Mensch aus Viareggio, der E.T. der Fussballstadien, an diesem verhexten Wochenende? Die italienischen Schiedsrichter, die einen Ruf als pragmatische, situationsnahe Regel-Interpreten zu verteidigen haben, sind in Teufels Küche geraten. War es der Vollmond? Das Wetter (in Bologna musste Referee Messina das Spiel gegen Lazio Rom absagen, der Schneematsch lag zwei Fuss hoch)? Im Römer Stadio Olimpico aberkannte Schiedsrichter Rossetti allein in der ersten Halbzeit drei Tore der AS Roma, und zwei davon waren zweifelsfrei makellos korrekt. Zum Glück, für die Römer und auch ein bisschen für den Unparteiischen, gelang dem Jungstar Cassano noch vor der Pause das 1:0 gegen Inter, und am Ende, in der Euphorie nach dem 4:1-Sieg, waren die Fehlentscheidungen bloss noch Futter für die Hohepriester der Schiedsrichterpolemik in den Fernsehstudios. Die „Moviola“, wie die Zeitlupen-Wiederholung in Italien heisst, offenbarte, dass der Brasilianer Emerson beim ersten aberkannten Treffer nicht im Abseits gestartet war. Und dass der Stopper Walter Samuel bei seinem Kopfball den Inter-Torhüter Toldo überhaupt nicht behindert hatte; der Ball war Toldo vielmehr einfach aus den Händen gerutscht. Am Abend zuvor war die schläfrige Juventus-Meistermannschaft in Brescia 0:2 in Rückstand geraten, aber dann schien sich, einmal mehr, die Legende von der vorauseilenden Unterwürfigkeit der schwarzen Männer gegenüber der „Alten Dame“ zu bewahrheiten. Schiedsrichter Bertini pfiff im Zweifelsfalle immer für die Turiner und fiel auf eine Schwalbe von Nedved herein, liess aber, wie vom schlechten Gewissen gepeinigt, den Elfmeter dreimal ausführen, weil Miccoli bei seinen Anläufen kurze Stopps eingelegt hatte. Miccoli behielt die Nerven und fetzte den Ball jedes Mal ins Netz. Beim zweiten Juve-Tor bewegte sich Di Vaio im Offside. Bertini übersah ferner ein Penaltyfoul am Brescia-Stürmer Mauri. Das Spiel endete 3:2 für Juventus und mit Schmährufen des Publikums: „Moreno! Moreno!“, in Erinnerung an den ecuadorianischen Beelzebub, der Italien aus der WM komplimentiert hatte. In Ancona verwies Schiedsrichter Palanca den Veteranen Ganz vom Platz und nicht den Verteidiger, der ihn umgemäht hatte. In Verona klaubte Pellegrini gerade die gelbe Karte für einen Empoli-Abwehrspieler aus der Tasche, als Chievo ein Tor erzielte. In Udine wurde Karsten Janker, ja, er spielt noch, gelegentlich, um einen klaren Elfmeter geprellt. Ein Tag, der nach der Einführung des Video-Schiedsrichters rief, den Sepp Blatter nicht in die Stadien lässt.“
Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse, Tabellen, Torschützen, Zuschauer NZZ
Das Verschwinden der Soccer Moms
Rod Ackermann (NZZ9.3.) erklärt den schweren Stand des Fußballs in den USA: „Zum Stichwort „Soccer“ fallen dem nordamerikanischen Normalverbraucher zweierlei Dinge ein. Das erste ist der Schnappschuss einer fussballspielenden Frau: von Brandi Chastain, die nach dem Siegestreffer fürs US-Team im WM- Final 1999 entblössten Oberkörpers (aber mit Büstenhalter) über den Rasen der Rose Bowl von Pasadena tollt. Das zweite ist ein in den sechziger Jahren entstandenes geflügeltes Wort und besagt, dass in den Vereinigten Staaten Soccer der Sport der Zukunft ist – und es immer bleiben wird. Diese Zukunft sieht in jüngster Zeit weniger rosig aus als auch schon. (…) Für die Baisse glauben zumindest Sportsoziologen einen Grund entdeckt zu haben – das Verschwinden der sogenannten Soccer Moms. Die Fussball-Mütter, Anführerinnen der landesweit verbreiteten Jugendligen, stellten gewissermassen das Rückgrat der vor allem in den Vorstädten des saturierten weissen Mittelstandes wogenden Begeisterung fürs Spiel mit dem runden Ball dar. Nun hat ein rauer gewordenes wirtschaftliches Klima die aus lokalen Spielplätzen ebenso wenig wie aus den Zuschauerrängen der Profi- und Halbprofi-Ligen wegzudenkenden Muttis in alle Winde verweht. Dagegen bleibt die Zahl der wie eh und je in öffentlichen Pärken mit ihren Boys Baseball oder Football spielenden Väter unverändert. Gegen sozioökonomische Schwankungen sind traditionelle Sportarten offensichtlich besser gefeit. Unverändert geblieben ist auch die seit je grösste Schwierigkeit des US-Soccer: das Unvermögen, die Fussballbegeisterung der Kids im Kindergarten-, Primar- und Mittelschulalter, in dem sie jene für andere Sportarten übertrifft, in ein entsprechendes Potenzial auf College-Stufe oder gar im Betrieb der MLS umzusetzen.“
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