indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

DFB-Pokal

unglücklicher Verlierer Greuther Fürth, unglückliche Sieger Bremen und Mönchengladbach – glücklicher Sieger Dieter Hecking (VfB Lübeck) u.v.m.

SpVgg. Greuther Fürth – Werder Bremen 2:3

Bremer Träume

Gerd Schneider (FAZ 5.2.) erlebt unglückliche Verlierer und unglückliche Sieger: „Auf dem Gesicht von Helmut Hack lag alle Bitterkeit, die dieser Pokalabend für Greuther Fürth bereitgehalten hatte – doch Geschäft ist nun mal Geschäft. Also erklomm der Präsident des Zweitligaklubs eine halbe Stunde nach der Partie im VIP-Zelt neben dem Playmobilstadion die paar Stufen auf das Podest und überreichte dem Bremer Trainer Thomas Schaaf ein Geschenk, endgültig das letzte an diesem Abend: eine eigens kreierte Teemischung. Das ist nun nichts Außergewöhnliches, Hack ist im Hauptberuf Geschäftsführer einer Teefabrik und mit dieser Art von Public Relations nicht unerfahren. Doch dieses Mal mußte das Präsent selbst ihm wie blanker Hohn erscheinen. Bremer Träume (…) Es spricht für den Realitätssinn des Werder-Trainers Schaaf, daß er hinterher nicht die üblichen Floskeln (heute zählt nur das Ergebnis) bemühte. Vielmehr sprach er ungeschminkt über die Vorstellung seines Teams, das in der zweiten Hälfte vor lauter Selbstgefälligkeit die Arbeit eingestellt und damit die Gegenwehr des minderbemittelten Gegners erst provoziert hatte. Das war überhaupt nichts, sagte Schaaf, am liebsten würde ich sofort nach Hause fahren und mich ins Bett legen. Allerdings mußte man befürchten, daß ihm die Szenen dieses Spiels den Schlaf geraubt hätten. Sein gefeierter Stürmerstar Ailton etwa fiel nur dadurch auf, daß er so lustlos über das Feld trabte, bis Schaaf ihn in der zweiten Halbzeit auswechselte. Später zeigte sich, daß er Fieber hatte. Keinen guten Eindruck machte auch der Ungar Lisztes, der den Klub verlassen wird und sich offenbar zu Höherem berufen fühlt. Die Geister, die die Bremer Fußball-Konjunktur ruft, setzen der Werder-Führung allmählich zu, und womöglich ist das erst der Anfang einer unvermeidlichen Entwicklung.“

Das ist mehr als ein Sieg, das ist ein Zeichen an die Bremer

Das Streiflicht (SZ 5.2.) versteht die Signale: “Bremen? Was wird dem Menschen in Bremen schon geboten? Ein Leben auf dem 53. Breitengrad, nicht fern vom Meer, aber auch nicht so richtig nah dran. Dauernd stürmt und regnet es. Zum Grünkohl verspeist man eine eigentümliche Grützwurst namens „Pinkel“. Das Bremer Bier, bestes Becks in grünen Flaschen – längst aufgekauft von einer belgischen Großbrauerei. Die Werfthallen sind verwaist, dafür gibt es noch Punks in der Stadt, richtige Achtziger-Jahre-Punks mit zum Himmel gezwirbelten Haaren, die manchmal an Silvester die Schaufensterscheiben einschmeißen, von den paar Geschäften, die noch nicht Pleite gegangen sind. Darüber hinaus werden in Bremen brutale Tatorte gedreht, in denen Menschen an Fleischerhaken ausbluten, und in schlimmen Inszenierungen sitzen Schauspieler nackt auf dem Altar – da schimpfen die Menschen von der Kirche und von der Bild-Zeitung sehr. Kein Wunder, dass Bremen Letzter ist in der Pisa-Studie, Letzter auch in der Iglu-Studie. Wenn man im Internet die Begriffe Bremen und Schlusslicht eingibt, stellt man fest, dass sie fast eine symbiotische Beziehung pflegen, wie Ernie und Bert oder Black Decker. Aber jetzt wird alles anders. Jetzt kommt der Fußball und entfaltet seine heilende Kraft. Man soll ihn nicht überbewerten, den Fußball, aber er kann nun mal ganze Nationen aus der Depression reißen, er kann aus Ghettokindern Helden machen, er kann alles, und alles können bedeutet: den Letzten zum Ersten werden lassen. Werder Bremen, mit seinem leicht kugeligen Brasilianer Ailton und seinem schwer begabten Franzosen Micoud, hat kunstvoll gespielt die ganze Saison, und jetzt ist zur Kunst auch noch das Glück gekommen. In einem Pokalspiel in der letzten Minute ein 1:2 noch fortzuhexen, das Manchester-Trauma des FC Bayern sozusagen umzudrehen – das ist mehr als ein Sieg, das ist ein Zeichen an die Bremer: Hört her, diesmal ist alles möglich! Diesmal brecht ihr nicht ein wie sonst immer, wenn es drauf ankommt, diesmal wird Ailton allen Verteidigern davonrollen und Johan Micoud, Monsieur le regisseur, wird den Ball beherrschen, als wäre der ein gut dressierter Hund.“

Borussia Mönchengladbach – MSV Duisburg 5:4 n.E.

Eine Katastrophe, was wir hier abliefern

Auch Andreas Morbach (FTD 5.2.) beschreibt fast ausnahmslos unglückliche Sieger: “Der Siegesspurt von Holger Fach fiel kurz aus. Sein Innenverteidiger Jeff Strasser hatte beim Elfmeterschießen gegen den MSV Duisburg soeben den entscheidenden Strafstoß verwandelt, da zischte Gladbachs Trainer von der Seitenlinie aus los. Doch nach drei Metern war schon wieder Schluss. Stocksteif blieb er stehen, legte die Hände auf den Rücken und vermittelte mit seiner ganzen gefassten Haltung: Mehr Freude über diesen Sieg wäre doch sehr unanständig. In der Tat sind Mannschaften schon glorreicher in ein Pokalhalbfinale eingezogen als Borussia Mönchengladbach gegen die erstaunlich starken Duisburger. „Eine Katastrophe, was wir hier abliefern“, zischte Sportdirektor Christian Hochstätter, nachdem der erst fünf Tage zuvor in Wolfsburg entliehene Tomislav Maric die klassenhöheren Gastgeber mit seinem 2:2 glücklich in die Verlängerung bugsiert hatte. 45 Minuten später war der Zweitligist im Strafstoßduell mit 4:3 besiegt – und alle Borussen machten drei Kreuze. Aber selbst ein so trüber Fußballabend produziert seine Kurzzeithelden. In diesem Fall Torwart Jörg Stiel, der zwei Elfmeter hielt, und Strasser, der den finalen verwandelte. Vor allem aber: Tomislav Maric, den stürmenden Kroaten mit den pechschwarzen Haaren. Keine Woche ist der Mann auf dem Bökelberg, und nur fünf Minuten war er am Dienstag auf dem Feld, als er den neuen Klub vor einer mächtigen Blamage bewahrte. Jetzt stand Maric zu später Stunde im Plexiglastunnel zwischen Stadion und Umkleidekabinen und erzählte mit müder Stimme von seiner „schlimmen Leidenszeit“. Gelitten hat der 31-Jährige in erster Linie wegen einer ominösen muskulären Erkrankung, die den einst strahlenden Goalgetter beim VfL Wolfsburg böse ins Hintertreffen brachte. Die Krankheit ist bis heute nicht genau diagnostiziert, klar war dagegen: Von dem Stürmer mit der beachtlichen Trefferquote (30 Tore in 78 Bundesligaspielen) wollte in Wolfsburg keiner mehr etwas wissen. Zumal Maric schon vor längerer Zeit mit der Borussia angebandelt hatte. „Wir haben immer schon ein bisschen miteinander geflirtet“, bekannte der kroatische Nationalspieler, „aber jetzt haben wir uns zum ersten Mal geküsst.““

Vorsprung auf die Realität

Stefan Hermanns (Tsp 5.2.) fügt hinzu: „Am Ende eines Abends voll sprachlicher Aussetzer leistete sich Jürgen Post noch eine letzte Peinlichkeit. Der Aushilfsstadionsprecher vom Bökelberg, im Hauptberuf Kneipier, dröhnte ein krawalliges „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ über die Lautsprecher. Doch selbst dieser subtilen Aufforderung folgten die Zuschauer eher widerwillig. Borussia Mönchengladbach hatte zwar gerade das Viertelfinale des DFB-Pokals im Elfmeterschießen 4:3 gegen den Zweitligisten MSV Duisburg gewonnen. Das billige Triumphgeheul aber wirkte völlig deplatziert. Eine Art Ermattung lag über dem Stadion (…) Solch zähe Spiele zeigen den Gladbachern, dass ihre Vorstellungen von einer großen Zukunft inzwischen einen gefährlichen Vorsprung auf die Realität herausgearbeitet haben. Die Vereinsführung träumt vom Europapokal, und nach dem erfolgreichen Jahresabschluss 2003 wollten die Borussen mit dem Abstiegskampf eigentlich nichts mehr zu tun haben. In der nächsten Saison werden die Borussen ein schönes neues Stadion haben; in dieser Saison aber haben sie eben immer noch eine eher biedere Mannschaft, in der zu viele schlechte Fußballer ihr Unwesen treiben.“

TSG Hoffenheim – VfB Lübeck 0:1

Hecking hielt unbeirrt daran fest, eine Bastion gestürzt zu haben

Wenigstens Rainer Seele (FAZ 5.2.) erlebt einen glücklichen Sieger: „Lübeck hat: Marzipan natürlich, das Buddenbrookhaus, reichlich Tradition. Und es hat: einen Fußballklub, der ebenfalls zu einem Werbeträger taugt, der helfen kann, das Renommee der Stadt am Rande der Republik zu mehren. Davon jedenfalls ist ein Mann wie Dieter Hecking überzeugt, der sich am Dienstag abend in dem badischen Örtchen Hoffenheim wie ein Lübecker Marketingexperte gerierte. Hecking, der Trainer des VfB Lübeck, sprach schwärmerisch von einer Signalwirkung für die ganze Region. Was die Lübecker schafften, stellt für Schleswig-Holstein in der Tat ein Stück Sportgeschichte dar. Der Landstrich im Norden Deutschlands war zuletzt vor mehr als sechzig Jahren im Halbfinale des Pokal-Wettbewerbs vertreten: Holstein Kiel war 1941 dieses Kunststück gelungen, doch all seine Hoffnungen wurden in der Vorschlußrunde jäh zerstört mit einem 0:6 gegen den FC Schalke 04. Hecking redete in Hoffenheim auch vom Wunder von Bern. Er hatte den Film zusammen mit seinen Spielern gesehen, und der hatte ihn davon träumen lassen, auch einmal als Außenseiter für Aufsehen zu sorgen, als kleine Schleswig-Holsteiner loszuziehen, um Wirbel zu machen im Lande. Nun ist, das darf nicht vergessen werden, die TSG Hoffenheim noch ein bißchen kleiner als der VfB Lübec, aber der Klassenunterschied schien nebensächlich zu sein für Hecking. Wenn man sieht, wer hier ausgeschieden ist . . ., sagte Hecking, und er hielt unbeirrt daran fest, eine Bastion gestürzt zu haben.“

ToooooorrinDingsbums!

TV-Kucker Christopher Keil (SZ 5.2.) ist Lautstärke gewohnt: “Das Schönste, was man bei einer so genannten Schaltkonferenz von Fußballspielen zu hören bekommt, ist ja der besinnungslose Zwischenschrei: ToooooorrinDingsbums! (…) Fiel ein Tor in Fürth, während Bilder aus Hoffenheim flimmerten, sagte der Kommentator: Wir geben schnell ab nach Fürth. Schnell ertönte zunächst eine Fanfare, es folgte der Umschnitt ins Fürther Stadion, aus dem sich der Kommentator mit tiefer Stimme meldete: Tor. Für Werder Bremen. Tor eben. Besinnungslos hat bis zum Schluss niemand geschrieen, obwohl ja doch immer wieder die „größte Dramatik“ geschildert wurde. Nach weit über drei Stunden und mit reichlich Verspätung kam es zur letzten Überleitung – ans „Nachtmagazin“, informierte gegen halb zwölf ein fehlgeleiteter Trailer. „Wir sind immer noch die Tagesthemen“, erwiderte Anne Will, und das war das Schönste, was man von dieser Schaltkonferenz zu hören bekam.“

Ballschrank

Kevin Kuranyi, die Hoffnung – Bernd Schneider, mannschaftsdienlicher Spielmacher im Schatten Michael Ballacks – Kritik an der Nachwuchsarbeit in Deutschland

Kuranyi ist das größte Versprechen, das die wacklige Nationalelf machen kann

Christof Kneer (BLZ 10.10.) vergleicht Bobic und Kuranyi, die beiden Nationalstürmer: “Man hätte vor einem Jahr nicht gedacht, dass das Wohl der Fußball-Nation einmal beim Barte des Kuranyi bemessen wird. Vor einem Jahr, nach einem Freundschaftsspiel gegen Holland, schwärmte die Nation noch über das Comeback des Fredi Bobic, und vor lauter Schwärmerei überhörte sie den Satz, den Völler am Ende der Pressekonferenz sprach: Wenn Kevin sich in der U21 so weiterentwickelt, wird er bald bei uns dabei sein. Bald ist jetzt. (…) Der Jungspund kann schon jetzt viel mehr, als Bobic je können wird. Kevin Kuranyi ist das größte Versprechen, das diese ansonsten reichlich wacklige Nationalelf für 2006 machen kann, und es spricht für den gelernten Stürmer Völler, dass er sich schon früh in diesen kapitalen Knaben verguckt hat. Kevin Kuranyi, man muss das wohl so sagen, ist ein Gesamtkunstwerk. Die meisten wissen jetzt, dass er über drei Staatsbürgerschaften verfügt (Deutschland, Brasilien, Panama), dass in ihm zusätzlich die Gene eines ungarischen Großvaters sowie eines dänischen Urgroßvaters stecken. Man kann sie gut erzählen, die Geschichte vom jugendlichen Kontinentenpendler, der bis 14 in Rio de Janeiro wohnte, dann ein Jahr in Panama verbrachte und als 15-Jähriger in Stuttgart landete, wo er sich beim Probetraining, in der B-Jugend des VfB, frech als Stürmer meldete, obwohl er bis dahin fast nur Libero gespielt hatte. In Wahrheit aber ist die Geschichte von Kuranyis Herkunft mehr als nur ein flotte Marginalie. Man muss diese Geschichte immer mit erzählen, um Kuranyis Fußball zu verstehen. Auf dem Platz ist er ein wandelnder Ländermix. Er ist geschmeidig wie ein Brasilianer, einsatzfreudig wie ein Deutscher, kantig wie ein Nordländer. In meinen Anlagen bin ich eine gute Mischung, sagt er und erschrickt ein bisschen, weil er sich gerade selber gelobt hat. Er muss das nicht mehr tun, die Branche weiß längst, was sie von ihm zu halten.“

Philipp Selldorf (SZ 10.10.) porträtiert Bernd Schneider: „Vielleicht ist die Einsicht nicht weit genug verbreitet, dass die Nationalelf auf Schneiders Eingebungen ähnlich dringend angewiesen ist wie auf Ballacks Regiearbeiten. Ballack zieht die Blicke auf sich, Schneider ist keine sonderlich öffentliche Figur, und ihm ist das recht so. Er betrachtet sich selbst „als den eher ruhigen Typ“ und versichert: „Ich steh‘ nicht so gern im Mittelpunkt.“ Auch deshalb will er von der These nicht viel hören, dass die Vorstellungen der Nationalelf häufig die Tagesleistungen Ballacks und Schneiders spiegeln – läuft es bei den beiden im Mittelfeld, funktioniert das ganze Teamgefüge. Auf dem Platz ist Schneider zum Glück weniger zurückhaltend. Er gehört der raren Sorte von Fußballern an, die ein Match als Rausch erleben können, so wie vor zwei Monaten beim Test gegen Italien. Und weil er auch die technischen Mittel dazu besitzt, erreicht der Ausdruck seines Spiels hohes Niveau. Trotzdem darf man ihn nicht bei den verletzlichen Ballkünstlern einreihen. Ein Artist wie Pierre Littbarski ließ den Zuschauer nach den ersten drei Ballkontakten wissen, ob er einen guten oder schlechten Tag hat. War ihm das erste, zweite Dribbling gelungen, würde man Spaß an ihm haben. Schneider sagt über sich, er lasse sich „nicht runterziehen, wenn ich mal ein paar schlechtere Szene hatte. Ich bin immer in der Lage, eine Situation zu erkennen, einen Gegner auszuspielen, einen tödlichen Pass zu spielen oder selbst ein Tor zu schießen.“ Womöglich lässt sich auf diese robuste Haltung zurückführen, dass Schneider von seinen Trainern mit einer gewissen Hemmungslosigkeit als taktisches Objekt benutzt wird. Zuletzt hat ihn Klaus Augenthaler in Leverkusen als rechten Verteidiger eingesetzt.“

Tsp-Interview mit Andreas Hinkel

SpOn-Interviewmit Fabian Ernst

SpOn-Interview mit Thordur Gudjonsson

Die Situation des Schweizer Fußballs vor dem entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Irland NZZ

Jan Christian Müller (FR 10.10.) kritisiert, wie Magath, die Nachwuchsarbeit in Deutschland: “Felix Magath hat gestern im kicker eine mutige Meinung vertreten. Der Stuttgarter Trainer hat behauptet, es sei besser, die deutsche Fußballnationalmannschaft qualifiziere sich nicht für die EM im nächsten Jahr. Dann, so Magath, könnte sich die Erkenntnis leichter durchsetzen, dass es grundlegende Änderungen in unserer Nachwuchsarbeit geben muss und wir nicht über eine Begrenzung der Ausländerzahl nachzudenken brauchen. Bundestrainer Michael Skibbe hat Magaths Meinung widersprochen. Spiele auf höchstem Niveau seien die beste Schule. Zudem sei eine Menge passiert, neben der pro Jahr zehn Millionen Euro teuren breiten Talentförderung seien etwa in allen Bundesligaclubs pflichtgemäß Nachwuchs-Leistungszentren eingerichtet worden, seit kurzem gebe es zudem die Junioren-Bundesligen. Magath hat Recht, indem er darauf hinweist, dass eine vom DFB vehement geforderte Ausländerbegrenzung in der Bundesliga das Problem nicht löst. Skibbe gebührt Lob, weil er die dringenden Reformen durchgesetzt hat. Was nichts daran ändert, dass viel verbessert werden muss: Noch wird hier zu Lande bei Kindern zu wenig Spielfreude vermittelt und zu viel Leistungsdruck aufgebaut.“

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1. FC Kaiserslautern

Martin Hägele (SZ 27.8.) meint. „Das Klima in und um den 1. FC Kaiserslautern ist seit der Zeit von Otto Rehhagel vergiftet. Vor allem von jener Clique um den früheren Trainer, die den Verein mit ihrer Selbstgerechtigkeit immer mehr gespalten und von der Basis entfernt hat; also von den Aufsichtsräten und Vorständlern Robert Wieschemann, Jürgen Friedrich, Gerhard Herzog und Hubert Kessler, von deren rhetorischen und strategischen Qualitäten man zuletzt fast täglich einen Eindruck erhielt. Wieschemann und Co. haben sich buchstäblich aus dem Job und aus der Verantwortung geredet. Und nun versucht man, die gesamte Problematik dadurch zu lösen, indem man den Verein dem Schweizer Unternehmer Rene C. Jaeggi wie ein paar Aktenordner in die Hand drückt.“

Roland Zorn (FAZ 27.8.) kritisiert die Oppositionsbewegung Unser FCK. „Die da am lautesten „Unser FCK“ rufen, haben dem Klub inzwischen mindestens so geschadet wie die ängstlich gewordenen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder des 1. FC Kaiserslautern (…) Von außen muten die Profilierungsversuche der Möchtegernputschisten von der Basis fast noch gespenstischer an als die Absetzbewegungen an der Spitze. Es wird Zeit für den Klub, dass ein neuer, in Kaiserslautern nicht einschlägig vorbelasteter Chef neue Maßstäbe für diesen Traditionsklub der Bundesliga setzt. Andernfalls droht auf Dauer auch der sportliche Abstieg. Zum Roten Teufel mit dem FCK? Das wollen weder die noch regierenden Funktionäre im Verein noch deren anscheinend regierungsuntaugliche Gegenspieler. Ein „Retter“ muss her, und der darf ruhig so bald wie möglich aus der Schweiz kommen.“

Zur Entlassung von Teamchef Brehme heißt es in der NZZ (27.8.). „Dass die joviale Masche, der zweifellos angeborene Instinkt und der Kontrasteffekt des Rehhagel-Nachfolgers schon nach einem halben Jahr aufgebraucht waren, hätten gewissenhafte Kontrolleure bereits im Frühjahr 2001 feststellen müssen, als die Pfälzer Equipe im Saisonfinish regelrecht zusammenbrach. Ein Malheur, das sich in dieser Runde wiederholte und erneut die aus finanziellen Gründen geradezu lebensnotwendige Qualifikation fürs internationale Geschäft kostete. Dennoch wäre es unfair, den Mann, der nach seiner imponierenden Startserie sowie im vergangenen Herbst mit sieben Siegen in Folge an der Tabellenspitze wahlweise als „lieber Andi“ oder „Big Brehme“ in allen Boulevardmedien gefeiert wurde, nun allein als Symbol für den Niedergang hinzustellen. Auch ein Mann wie Brehme könnte in dieser Branche funktionieren, sofern sein Umfeld stimmte. Nur: Das ganze Vereinsgefüge in der Pfalz ist morsch und brüchig geworden, und dieser Zustand spiegelt sich in der psychischen und körperlichen Verfassung der Lauterer Professionals wieder.“

Jürgen Ahäuser (FR 27.8.) zum selben Thema. „Der Rausschmiss von Andreas Brehme gehört ganz sicher nicht zur Sorte unnötiger, voreiliger oder gar dummer Trennungen. Die Entlassung des Weltmeisters von 1990 war längst überfällig. Viel zu spät hat sich der 1. FC Kaiserslautern von seinem Ex-Spieler getrennt. Als der 41-Jährige vor knapp zwei Jahren sein Amt antrat, waren es vor allem Emotionen und eine gehörige Portion Nostalgie, die Brehme auf den Gipfel des Betzenbergs spülten. Das Vertrauen in die pädagogischen Fähigkeiten des Hobby-Trainers war damals schon nicht sehr groß (…) Die offenkundigen Schwächen des Andreas Brehme sind aber nicht alleine für die Chaos-Tage in der Pfalz verantwortlich. Über der einstigen Trutzburg braute sich ein unheilvolles Gemisch aus Unfähigkeit und Trotz zusammen.“

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Entlassung Jupp Heynckes’: Gegen Hoeneß‘ Überzeugung

Der Spiegel (42/1991) über die Entlassung Jupp Heynckes’ – vor 12 Jahren (mehr …)

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Themen heute: vor dem Länderspiel – Generation 2006 – Eintracht Frankfurt siegt in Freiburg – peinlicher TV-Auftritt – Trainerentlassung in St. Pauli

Jan Christian Müller (FR 21.8.) meint vor dem Länderspiel in Bulgarien. „Die spürbare Unlust der etablierten Kräfte, sich in weniger bedeutenden Spielen gegen die Schienbeine treten zu lassen, macht Sinn: Die Alten können sich ausruhen, die Jungen ihren Spieltrieb befriedigen und sich weiterentwickeln. Jetzt, da sich in der EM-Qualifikation inklusive Bertis Schotten nur mittelmäßige Gegnerschaft in den Weg stellt, ist ein guter Zeitpunkt zumindest für kleinere Experimente. Dass Völler ankündigte, im Bedarfsfall auf den 33-jährigen Thomas Linke zurückgreifen zu wollen, ist indes reichlich verwunderlich und strategisch wenig ratsam, selbst, wenn dies kurzfristig eine Schwächung in der zentralen Abwehr bedeuten würde. Auch eine Rückkehr von Ziege, Wörns und Heinrich wäre das falsche Zeichen an die aufstrebenden Talente.“

Friedhard Teuffel (FAZ 21.8.) über den neuen Jahrgang der DFB-Auswahl. „Die Generation WM 2006 bestätigt spielend die aktuellen Ergebnisse der Shell-Jugendstudie, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde. In den achtziger Jahren waren Fleiß und Ehrgeiz noch für 62 Prozent der Jugendlichen bedeutend, inzwischen sind es 75 Prozent. Rebellion und Widerrede sind dagegen nicht mehr schick. Das lässt sie bisweilen glatt und angepasst erscheinen, macht es dem Teamchef und seinen Trainerkollegen in der Bundesliga aber leichter. Überhaupt kann Völler von der Integration der jungen Spieler fast nur Vorteile erwarten. Sie kann ein motivierendes Zeichen für die älteren Spieler sein, die Zeit nach der Weltmeisterschaft als Zeit vor der Europameisterschaft zu betrachten.“

Javier Cáceres (SZ 21.8.) sieht das ähnlich. „Arne Friedrich gilt schon jetzt als dankbarer, zurückhaltender, abwägender Gesprächspartner; er kann geradeaus denken und formulieren. Damit steht er, so Völler, ähnlich wie Metzelder oder Kehl stellvertretend für einen neuen Typus Nachwuchsspieler. Kennzeichnend sei, dass sie eben nicht nur fußballerisch beschlagen, sondern auch „professionell und mediengewandt“ seien. Weit mehr als die Generation Matthäus. Das sei, so Völler, eine Konsequenz der Evolution der Berufssparte Fußball; seit jenen Tagen, in denen er seine ersten Bundesligatore schoss, habe sich eine Menge verändert. In den Vereinen werden die Fußballer der Moderne früh im Umgang mit den Massenmedien geschult und wissen offensichtlich dadurch richtig einzuschätzen, was ihnen in jungen Jahren widerfährt.“

Jörg Marwedel (SZ 21.8.) kommentiert St. Paulis Trainerentlassung. „Das Bild von der alternativen braun-weißen Kampfgemeinschaft, deren Präsident Koch dem Trainer in der vergangenen Saison sogar 34 Niederlagen verzeihen wollte, hatte schon vorher Risse bekommen. Interne Scharmützel und Intrigen entlarvten auch die Medien, die ja so gern an möglichst bunten Klischees schnitzen, als hemmungslose Übertreiber. Doch Demuth, der „sture Hund“ (Selbstbeschreibung), hat selbst genug zu seiner Demontage beigetragen. Er schickte bewährte Spieler fort. Er verweigerte die Kooperation mit dem neuen Sportdirektor Gerber, weil er dessen Bestellung als Misstrauensvotum deutete. Die Zusammenarbeit mit Torwarttrainer Volker Ippig endete gar vor dem Arbeitsgericht. Demuth, dünnhäutig geworden, hatte dem einstigen Idol Kritik an seiner Arbeitsweise übel genommen. Dies alles stimmt uns ein bisschen traurig. Hatte nicht jeder ein bisschen von einer Idylle im gnadenlosen Business Fußball geträumt?“

Thomas Kilchenstein (FR 21.8.) beschreibt den 2:0-Auswärtssieg der Frankfurter in Freiburg. „Eintracht Frankfurt, im Juli der Regionalliga näher als der Zweiten Liga, präsentierte sich an diesem schwül-heißen Sommerabend am Fuße des Schwarzwaldes als kompakt stehende Einheit, taktisch brillant eingestellt, laufstark und mit einer Kondition, die wahrscheinlich auch gereicht hätte für den jüngsten Ironman-Triathlon in Frankfurt. All das sind Tugenden, die man bis vor kurzem beim besten Willen nicht mit Eintracht Frankfurt in Verbindung hatte bringen können.“

Michael Eder (FAZ 21.8.) resümiert den Freiburger Saisonauftakt. „Schon die ersten beiden Spiele lassen den Schluss zu: Die Freiburger werden sich schwer tun in dieser Liga, in der sie sind, was so gar nicht zu ihrem Image passt: der wohlhabende Klub mit dem großen Etat, der Favorit in jedem Spiel.“

Martin Hägele (NZZ 21.8.) kommentiert den viel diskutierten TV-Auftritt Wieschemanns, dem Aufsichtsratsvorsitzenden des 1. FC Kaiserslautern. „Dass solch ein macht- und medienverliebter Anwalt, der früher wegen seiner cholerischen Anfälle auf FCK-Generalversammlungen bekannt war, mittlerweile aber als einer der härtesten und prominentesten Konkursverwalter im Südwesten eine saubere Wirtschaftskarriere hingelegt hat, so ohnmächtig daherstammelt und wichtigste Klubpersonalien grundlos preisgibt, so schlimm, dass er sich öffentlich für seine Fernseh-Blamage entschuldigen muss – so etwas kann unterhalb des Betzenberg-Stadions niemand begreifen (…) Jedenfalls werden er und die anderen Mitglieder vom Vorstand und Aufsichtsrat bei der gemeinsamen Sitzung der zwei Gremien am Donnerstag mehr reden – nachdem der starke Robert jetzt nur noch ein Papiertiger oder ein Patient ist. Womöglich wirft er am Ende der Sitzung ganz hin oder wird dazu gezwungen.“

Öffentliche Entschuldigung von Dr. Robert Wieschemann: „Für die peinliche Vorstellung, die ich am 18.08. im Fernsehen geboten habe, entschuldige ich mich. Sie ist zurückzuführen auf vorübergehende gesundheitliche Probleme, die zunächst von mir unbemerkt blieben. Inzwischen weiß ich, was es war und werde mich entsprechend einrichten. Die Äußerungen (…) bedaure ich. Sie sind mit einer Ausnahme ohnehin nicht gehaltvoll. Die Ausnahme – die Ankündigung des vermeintlichen Rücktritts von Jürgen Friedrich – werde ich kommentieren, wenn ich Gelegenheit gehabt habe, die Vorgänge (…) zu beraten.“

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Vor dem Start der Rückrunde (25.2.)

Roland Zorn (FAZ 25.2.) vergleicht die beiden Kontrahenten. „Selbst wenn der Titelverteidiger in dieser Zwischenrunde ausschiede, bliebe das Renommee von Real Madrid unangetastet und unvergleichlich. Präsident Florentino Pérez, ein steinreicher Bauunternehmer, sieht sich aufgerufen, das Erbe der di Stefano, Puskas oder Gento aus den goldenen fünfziger und sechziger Jahren immer wieder frisch und zeitgemäß aufzupolieren. Unsere Strategie ist klar: Wir, als der Klub Real Madrid, müssen immer die Besten sein. Das ist auch eine Garantie dafür, daß sich unsere Investitionen auszahlen – nicht nur auf dem Fußballplatz. Dabei denkt Pérez mit Freude an die bisher mehr als 300 000 Trikots, die mit der Rückennummer 11 und dem Namen Ronaldo verkauft worden sind. Die Ausgabe von 45 Millionen Euro für den brasilianischen Weltmeister, der zu Saisonbeginn von Inter Mailand in die spanische Kapitale kam, scheint sich zu amortisieren bei einem Trikotstückpreis von 60 Euro. Auch vom Arbeitshemd des 2000 für 58 Millionen Euro verpflichteten Luis Figo, des filigranen Portugiesen auf dem rechten Flügel, kursieren Hunderttausende Duplikate. Zu schweigen von Raúl, dem Local Hero, oder von Zinedine Zidane, mit dem zum Weltrekordeinkaufspreis von 75 Millionen Euro 2001 französische Weltmeisterspielkunst nach Madrid importiert wurde. Das Kapital von Real, das seine Betriebsschulden mit dem Verkauf des alten Trainingsgeländes abbaute, ist der Name des spanischen Rekordmeisters (28 Titel) und Rekordgewinners der europäischen Landesmeistertrophäe (neunmal); das Pfund, mit dem der Tabellenzweite der Primera División wuchert, sind seine Stars. Das Image von Real Madrid, sagt Pérez, muß mit dem seiner Spieler übereinstimmen, denn das Beste, was wir haben, ist unser Markenname. Daran kann und will Borussia Dortmund überhaupt nicht kratzen. Michael Meier als Spitzenrepräsentant des deutschen Meisters, der nationalen Nummer zwei hinter Bayern München, zieht deshalb gern eine Parallele zum FC Barcelona. So wie die Katalanen in Spanien der ewige Herausforderer von Real sind, so bekämpft der BVB daheim die Bayern. Der BVB hat eine auf hohem Niveau wettbewerbsfähige Mannschaft, baut sein Westfalenstadion von 68.000 auf 83.000 Zuschauer aus und ist dabei, seine sportaffinen Geschäftsfelder (ein Sportausrüster sowie Beteiligungen an einer Internetagentur, einem Reisebüro, einem Rehazentrum) von Jahr zu Jahr besser zu bestellen (…) Das Welttheater der Fußball-Megastars hat seinen Sitz in Madrid und seine Fans überall. Auf dieser Basis blüht das globale Geschäft – unabhängig davon, ob Real in Dortmund gewinnt oder verliert.“

Zur Situation in Dortmunds Mannschaft heißt es bei Felix Meininghaus (Tsp 25.2.). „Das Revierderby machte deutlich, woran es den Dortmundern mangelt: an einem intakten Mannschaftsgefüge. Es fehlt ein Spieler, der unmissverständlich die Richtung vorgibt – und zwar nicht auf die Art und Weise eines Jens Lehmann. Nach dem Ausstieg von Jürgen Kohler ist im BVB-Team ein Führungsvakuum entstanden, das bislang nicht gefüllt werden konnte. In der Führungsetage des Klubs haben sie das längst erkannt und suchen Abhilfe: In der Winterpause wurde Stefan Reuter als starker Mann ausgeguckt. Der 36-Jährige, so der Plan von Trainer Matthias Sammer, Manager Michael Meier und Michael Zorc, solle die Rolle des Leitwolfs stärker repräsentieren. Grundsätzlich wäre das in Ordnung, schließlich bezeichnet sich Reuter als Profi, der „gerne Verantwortung übernimmt“. Allerdings mit der Einschränkung, er wirke „lieber nach innen“.Bliebe Sebastian Kehl, der zwar mehrfach Führungsansprüche formuliert hat, jedoch noch nicht in einem Alter ist, um diese durchzusetzen. Zudem hat er momentan keinen Stammplatz. Auch Kehls Nationalmannschaftskollegen Christoph Metzelder und Torsten Frings sind noch nicht in einem Karriereabschnitt, in dem sie tragende Funktionen übernehmen könnten. Und die beiden Tschechen Jan Koller und Tomasz Rosicky wären auf Grund ihrer Leistung zwar in der Lage, als Lokomotive aufzutreten, vermögen dies jedoch von ihrem Charakter her nicht: Viel zu ruhig, viel zu bescheiden. Und so fehlt den Dortmundern derzeit spürbar der Effenberg-Faktor.“

Jan Christian Müller (FR 25.2.) schreibt über die derzeit wichtigste Personalie beim BVB. “Amoroso gilt nicht erst seit dem Wochenende als schwer erziehbar. Öffentlich sagte der Dortmunder Trainer Sammer gestern: Es ist mein Ziel, ihn hinzukriegen, nicht, ihn zu opfern. Das wäre zu einfach. Es spricht tatsächlich einiges dafür, dass Amoroso wenig gegen eine einfache Lösung auszusetzen hätte. In einem Stern-Interview in den Tagen kurz vor der Meisterschaft im vergangenen Jahr hat der gleichwohl geniale wie selbstgefällige Fußball-Ästhet Sätze wie diesen formuliert: Mein Vertrag hier läuft noch drei Jahre. Verträge werden heute über einen längeren Zeitraum als früher abgeschlossen, aber selten eingehalten. Sein Arbeitgeber, die Borussia Dortmund Kommanditgesellschaft auf Aktien, hat für die Primadonna im Sommer 2001 rund 25 Millionen Euro an den AC Parma überwiesen. Die Marktlage und die aktuelle Leistung des für Defensivarbeit unbrauchbaren Spaßfußballers lassen einen Verkauf unter Berücksichtigung einer angemessen Verzinzung des Kapitals nicht zu. Also werden sie beim BVB weiter verzweifelt versuchen müssen, den der deutschen Sprache nach wie vor nicht ansatzweise mächtigen Torschützenkönig der vergangenen Saison abwechselnd mit Zuckerbrot und Peitsche zu dressieren. Das Credo des viel gescholtenen 28-Jährigen lässt indes kaum Spielraum für Kritik. Es gebe normale und außergewöhnliche Spieler, findet der nach verpasster WM just wieder in die brasilianische Nationalmannschaft Berufene, ich wünschte mir, dass Sammer auf diesen Unterschied mehr achten würde. Es sei nun einmal so, dass es keinen Sinn macht, wenn wir Brasilianer dazu gezwungen würden, wie die Deutschen zu spielen. Wir sind nur stark, wenn wir mit Leichtigkeit und Fröhlichkeit spielen. Mit Leichtigkeit und Fröhlichkeit, so viel steht fest, hat der Vorgesetzte Sammer, einst Vorzeige-Nationalspieler der DDR, sein Profidasein nie verbunden. Mit dem extrem ehrgeizigen Jens Lehmann verbindet Sammer eine enge Geistesverwandtschaft, und im Grunde hat der heißblütige Fußballlehrer durchaus Verständnis für den Ausraster des Torhüters beim 2:2 in Gelsenkirchen. Es würde nicht überraschen, hätte Sammer innerlich mit Amoroso schon weitgehend abgeschlossen.“

Christoph Kneer (FTD 25.2.) porträtiert Christoph Metzelder. “Deutschland sucht den Superstar in diesen Tagen, aber natürlich ist der Fußball wieder einmal schneller gewesen. Der Fußball sucht schon länger. Spätestens seit die WM 2006 übers eigene Land kam, werden sämtliche Talente umgehend auf ihre Startauglichkeit überprüft. Man hat schon ein paar kommen und wieder gehen sehen, wie Lars Ricken, Gerald Asamoah oder auch Sebastian Kehl, die zumindest vorerst ausgeschieden sind. Und Metzelder? Bei ihm kann man sich nicht so sicher sein. Er ist einerseits nicht mehr der heißeste Anwärter auf die Titelseite von Bravo-Sport, wo jetzt Spieler wie Benjamin Lauth strahlend die Herzen der Mädchen beglücken. Andererseits hat er sich seine Nach-WM-Krise auf einem derart hohen Niveau genommen, dass fast keiner gemerkt hat, dass es eine Krise ist. In Dortmund haben sie natürlich registriert, dass ihrem begabten Verteidiger die Arbeit nicht mehr so lässig von der Hand geht. Er hat hier und da ein paar Fehler gemacht, aber sie waren nie so groß, dass sie sich überregional besonders herumgesprochen hätten. Es hat erst Raúl kommen müssen, um Metzelders kleiner Schaffenskrise ein Gesicht zu geben. Am heutigen Dienstag, in der Champions League, steigt nun das dritte Duell zwischen den beiden innerhalb von zwei Wochen. Gegen Raúl hat er nicht allein versagt, sondern stets in Kooperation mit Christian Wörns, einem erfahrenen Nationalverteidiger. Und dass er nicht so recht voraus ahnen kann, wohin ein Stürmer läuft und was der wohl mit dem Ball anstellen wird, ist eine Frage der Erfahrung. Vermutlich ist Metzelder nur so etwas wie eine Symbolfigur für Rudi Völlers neues Fußball-Deutschland: Er ist jung und schon ziemlich gut. Aber er ist noch nicht alt genug, um sehr gut zu sein. Klüger werden mit Raúl – die Generation 2006 tourt jetzt durch Europa, um zu lernen.“

Walter Haubrich (FAZ 25.2.) porträtiert den spanischen Superstar Raúl. „Vor der Sportstadt Real Madrids, der Ciudad Deportiva an der breiten Castellana-Allee, stehen fast jeden Vormittag mehrere teure Sportwagen deutscher oder italienischer Machart. In den glänzenden Karossen sind die Stars des erfolgreichsten Fußballklubs der Welt vorgefahren. Zwischen den roten und schwarzen Sportwagen steht ein eher biederes Familiengefährt. Das gehört Raúl González, dem seit Jahren wichtigsten Spieler des neunmaligen Europapokalsiegers. Es ist der Mann, der zuletzt zwei deutsche Renommiermannschaften besonders nachhaltig ärgerte. Raúl schoß zwei der drei Treffer zum 3:1-Sieg der Spanier über die deutsche Nationalelf und ein Tor beim 2:1-Erfolg von Real in der Zwischenrunde der Champions League gegen Borussia Dortmund. An diesem Abend gibt es das Wiedersehen im Westfalenstadion, und aufs neue müssen die Deutschen das Schlimmste befürchten, da Raúl mit nun 39 Treffern der Rekordschütze der Champions-League-Geschichte ist und dazu ein Schlitzohr, von dem Real-Manager Jorge Valdano behauptet: Raúl läuft sich so geschickt frei, daß er seinem eigenen Schatten entwischt. Der nur unter seinem Vornamen bekannte Stürmer gibt sich immer zurückhaltend und bescheiden. Er will diese angenehmen Charakterzüge wohl auch in der Wahl seines Autos demonstrieren. Und so vermeidet er auch in seinem Privatleben die von den oberflächlichen Gesellschaftsgazetten ausgebeuteten Gelegenheiten. Er war bisher nie in Skandale verwickelt. Unauffällig bewegt er sich auch auf dem Spielfeld, so daß manche Zuschauer hin und wieder glauben, er habe wenig zum Spiel seiner Mannschaft beigetragen. Doch bringt er schon allein durch seine ständigen Standortwechsel die gegnerische Verteidigung aus dem Konzept, erscheint plötzlich da, wo ihn die Abwehrspieler am wenigsten erwarten, und schießt oft aus schwierigstem Winkel die entscheidenden Tore. Alfredo di Stefano, in der Gründergeneration der großen Real-Europacupmannschaften der Star und verläßlichste Torschütze, schwärmt von seinem Erben: Raul spielt vor 100.000 Zuschauern so, als wäre er daheim auf dem Bolzplatz. Er gebe erst Ruhe, sagt Valdano, wenn er sein Ziel erreicht hat: das Spiel zu gewinnen.

Vor dem Duell Deportivo La Coruna – FC Basel NZZ

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Sieg für Werder im Spitzenspiel – Hintergrundberichte aus Stuttgart, Bremen, Leverkusen, Unterhaching u.a. – der Schauspieler Jimmy Hartwig u.v.m.

Werder Bremen – VfB Stuttgart 3:1

Olaf Dorow (FR 3.12.) erläutert die Stimmung in Bremen. “Woran denkt der Bildungssenator der Freien Hansestadt Bremen beim Blick auf die aktuelle Bundesliga-Tabelle? Er denkt, ganz klar, an einen Fleischfabrikanten aus München. Das kann gar nicht anders sein, denn der Senator heißt Willi Lemke und der Verwurster Uli Hoeneß. Als Manager ihrer Vereine Werder Bremen und Bayern München befeuerten sie Jahr für Jahr ein Duell, aus dem die Liga einen Großteil ihrer Spannung sog. Arm gegen reich, rot gegen schwarz, Nord gegen Süd, Herz gegen Rechenschieber, Asterix gegen Römer. Fast schon drohte dieser Kampf in den Geschichtsbüchern zu vergilben. Aber nun ist er wieder da. Werder jagt die Bayern (…) Es häufen sich die Indizien, die für die eindeutig hohe Qualität des Bremer Spieles sprechen. Im zentralen Mittelfeld grätscht, kombiniert und lupft sich die Achse Ernst – Micoud – Lisztes an die Spitze der Liga. Kein zentrales Trio kann momentan mehr bieten. Abwehrchef Frank Verlaat steht, mit 34 Jahren, im Zenit seiner Schaffenskraft. Mladen Krstajic ist einer der besten Kopfballspieler. Paul Stalteri, ein Kicker mit überschaubaren Dribbelkünsten, weckt Einnerungen an den wichtigsten Bremer Wasserträger des letzten Jahrzehnts, Dieter Eilts. Thomas Schaaf knüpft an die Zeiten des Übervaters Otto Rehhagel an, ohne so zu sein wie Otto Rehhagel. Und wie heißt noch mal der erfolgreichste Stürmer der Liga? Ach ja, Ailton. Mehr noch als vor Torwartfehlern fürchten sich die Bremer Fans vor der Winterpause. Vorige Weihnacht wähnten sich viele an der Weser schon einmal am Eingang zur Champions League, als nach der Unterbrechung der Faden verloren ging und für (zu) viele Spiele auch nicht mehr auftauchte.“

Frank Heike (FAZ 3.12.) schreibt von der gelungenen Revanche Ailtons. „Dezent, aber doch für jedermann sichtbar, ballte der Brasilianer am Sonntag abend beim 3:1 von Werder Bremen gegen den VfB Stuttgart die Fäuste und drehte sich in Richtung Stuttgarter Bank, nachdem er gerade das letzte Tor erzielt hatte. Das war sein spezieller Gruß an den Trainer, der ihn beinahe um seine doch ziemlich erfolgreiche Laufbahn in der Bundesliga gebracht hätte. Ailtons 3:1 per Foulelfmeter war sein zweiter Treffer an diesem hochklassigen Fußballabend vor 32.000 Zuschauern im Weserstadion; insgesamt sind es jetzt schon zwölf Tore von Toni, wie sie ihn hier nennen. Er war es, der Bremen nach 27 Minuten in Führung brachte. Den Paß zum Tor gab der andere Hauptdarsteller des Abends, Krisztian Lisztes. Er ist, vorsichtig gesagt, auch kein Fan von Magath. Der Ungar floh seinerzeit vor Magath vom Neckar an die Weser, 18 Monate ist das jetzt her. Lisztes blühte bei Werder auf. Soeben haben ihn Ungarns Sportjournalisten zum Fußballer des Jahres gewählt. Für seine Abrechnung mit dem Coach von damals fielen Lisztes genug deutsche Worte ein: Das war die richtige Antwort für das, was Magath Toni und mir angetan hat. Wir haben gezeigt, daß wir besser sind, als er uns gemacht hat. Wem das Nachkarten der beiden eine Spur zu weinerlich vorkam, dem sei verraten, daß sowohl Torjäger Ailton als auch Zulieferant Lisztes zur Spezies zartbeseelte Gemüter im Unterhaltungsbetrieb Bundesliga gehören und für gute Leistungen gestreichelt werden wollen. Undenkbar in der alten Welt des Felix Magath. Wahrscheinlich würde der veränderte Magath sie heute loben und streicheln.“

Jörg Marwedel (SZ 3.12.) dazu. „Womit aber kann man den 29-Jährigen vergleichen? Mit einer Zwölf-Volt- Batterie, die in Wirklichkeit mit 100 Volt aufgeladen ist? Mit einem dieser kompakten Sportwagen, denen man nicht ansieht, dass sie es locker auf 260 Sachen bringen? Oder gar mit einer Sturmflut, deren Wucht kein Deich standhält? Womöglich ist die Sturmflut ein passendes Bild. Denn Ailton ist wie ein Naturereignis über die Stuttgarter gekommen. Wenn er zum Spurt ansetzte, Beinschüsse und Körpertäuschungen inklusive, gab es nur eine Alternative: „Entweder man lässt ihn laufen und schießen, oder man foult ihn.“ So hat es später Bremens Sportdirektor Klaus Allofs in einem Anflug von Schwärmerei beschrieben. Doch keine der beiden Alternativen erwies sich als erfolgreich. Als man ihn schießen ließ, traf Ailton mit der Präzision eines Bogenschützen zum 1:0 ins Toreck. Als Carnell ihn foulte, weil er anders nicht zu bremsen war, verwandelte Ailton auch den Elfmeter zum 3:1.“

Hintergrundberichte aus deutschen Ligen

Wolfram Eilenberger (Tsp 1.12.) porträtiert Felix Magath. „Der alte Magath war in der Tat ein einziges Missverständnis. Da wäre zunächst jener Abgrund, der sich zwischen seiner kreativen Ausrichtung als Spieler und seinem rein reaktiven Ansatz als Trainer auftat. In großen HSV-Zeiten setzte Magath die Fußballwelt noch durch die Originalität seiner Ideen in Erstaunen. Wie kein Zweiter konnte er eine Partie lesen und erfolgreich gestalten. Blickte man aber auf seine Ergebnisse als Übungsleiter, so zeigte sich seine Karriere als Abfolge hoffnungsloser und ärgerlich anzusehender Unentschieden, die ihm schon bald den Ruf eines vorsichtigen, unergründlichen und trockenen Trainers eintrugen. Magath, das ist bekannt, liebt Schach. Und auch als Fußballtrainer scheint er sich stets nach den klaren Gliederungen und den analytisch überschaubaren Risiken des königlichen Spiels gesehnt zu haben. In diesem Streben nach Kontrolle und Struktur lag auch der Grund seiner einzig verbürgten Qualität, der des Retters. Magaths Sehnsucht nach einem schwarz- weiß karierten Weltbild zeigte sich dabei nicht zuletzt im herrischen Umgang mit seinen Spielern. Hart und ausdauernd trainieren zu lassen ist eine Sache. Aber von Magath immer wieder ernsthaft an die Öffentlichkeit getragene Sätze wie „einem Spieler, der so viel verdient, darf ein solcher Abwehrfehler nicht unterlaufen“, oder „dass er den Ball hat, muss ich bei dieser Bezahlung einfach verlangen können“ ließen auf mindestens drei fundamentale Missverständnisse schließen. Denn nicht die Spieler, nur ihre Verträge sind besser geworden. Magath hatte also – im krassen Gegensatz zu seinen Profis – den bedeuteten Unterschied zwischen Qualität und Professionalität nicht ausreichend verinnerlicht. Er erwartete so, wie sich nach einigen Monaten vor Ort deutlich zeigte, tatsächlich zu viel und das Falsche von seinen Figuren. Außerdem ist Fußball kein Schach. Dumme Fehler sind ein wesentlicher Teil des Spiels. Auch in einer perfekt durchdachten Partie hätte man mit ihnen zu rechnen. Drittens war Magath einfach nie der harte Hund, der zu sein er vorgab, was sich daran zeigte, dass er diese Vorwürfe vollkommen ernst meinte. Sie hatten bei ihm noch die rührende Qualität eines Appells an das Berufsethos.“

Christian Eichler (FAZ 30.11.) schreibt. „Längst spricht Magath nicht mehr wie der Holzfäller, als den man ihn in seinen Traineranfängen darstellte, sondern wie der liebevolle Gärtner. Eine Klasseleistung nannte er die Steigerung in der zweiten Halbzeit, mit der sie die Belgier unter Druck setzten und aus einem 0:1-Pausenrückstand einen verdienten Sieg machten. Platz drei in der Bundesliga, das Achtelfinale im Uefa-Cup zum Greifen nahe – wo soll das hinführen? Magath hat zuletzt bekannt, daß er mit dieser Mannschaft einmal um die deutsche Meisterschaft und den Europapokal spielen will. Noch aber mag er nicht so weit denken: Für uns ist jede Runde ein Geschenk. Die nächste Runde wäre ein geldwertes Geschenk – es gäbe die ersten Siegprämien für die Spieler. Der klamme Klub hat diese Saison noch keine einzige Prämie ausgezahlt. Die Mannschaft siegt trotzdem. Wie der Siegeszug der Elf von Lazio Rom, die seit Monaten nicht einmal Gehälter bekommt, wirft das ein überraschendes Licht auf das Verhältnis von finanziellen Anreizen und fußballerischem Ertrag. Nun aber, wenn das Rückspiel gegen Brügge erfolgreich verläuft, will der VfB sich erkenntlich zeigen. Es sind immer noch schwierige Zeiten, sagt Manager Rolf Rüßmann. Doch wenn wir zahlen können, dann machen wir das auch gern. Deutscher Fußballmeister im Prämiensparen, diesen Titel kann man nur im Schwäbischen gewinnen. Magath zeigt sich heilfroh, daß die Mannschaft endlich bekommt, was sie verdient.““

Frank Heike (FAZ 30.11.) kommentiert die Bremer Torwartdiskussion. „Die Geschichte von Borel ist ungewöhnlich für Werder Bremen, wo alles ruhiger zugeht als an anderen Schauplätzen der Liga, und sie gehört doch zu den Eigenheiten des Klubs. Denn die Torhüter waren bei Werder immer etwas Besonderes. Hier sind die Handschuhe für den Nachfolger besonders groß, die Last auf den Schultern besonders schwer, weil sich alle so an den Vorgänger gewöhnt haben: In vierzig Jahren Bundesliga hat der SV Werder nur vier Stammtorhüter beschäftigt; Borel ist der fünfte. Zwischen 1963 und 1972 stand Günter Bernard in 287 Spielen im Tor der Bremer. Dann kam Dieter Burdenski – 444 Spiele bis 1988. Die nächsten zehn Jahre gehörten Oliver Reck, und hier kommt auch die Gegenwart wieder ins Spiel, denn Reck war ja vor allem: Pannen-Olli. Trotz seiner diversen Fehlgriffe war er ein Muster an Zuverlässigkeit in 345 Spielen. Als vor drei Wochen die Diskussionen um Borel zum ersten Mal hochkochten, wählte der Bremer Trainer Thomas Schaaf Reck gar als Vorbild für Borel: Oliver ist bei allen Fehlern, die er gemacht hat, immer wieder mutig herausgelaufen, hat hohe Bälle abgefangen. Das will ich auch bei Pascal sehen. Er soll so mutig sein. Recks Ablöse durch den äußerst ehrgeizigen Rost hat Borel noch miterlebt; er ist seit 1998 bei Werder unter Vertrag. Von Rost habe er sich vier Jahre lang viel abgeschaut, sagt Borel. Es war sein Glück, daß Rost in diesem Sommer zu Schalke ging. Plötzlich hatte Werder keinen unangefochtenen ersten Mann mehr, weder er, Borel, noch Jakub Wierzchowski schienen die Tradition der Bremer zwischen den Pfosten fortführen zu können. Der Verein schaute sich um. Robert Enke war im Gespräch, Roman Weidenfeller auch. Der eine ging zu Barcelona, der andere nach Dortmund. Und plötzlich war Borel Stammtorhüter. Auch in der Regionalliga Nord bei Werders Amateuren hat er manches Mal danebengegriffen, aber das sahen nur 100 Zuschauer auf Platz zwölf, und es stand montags erst auf der fünften Sportseite im Weserkurier. Heute sagt Borel: Bei den Amateuren habe ich vieles ausprobiert. Da waren Fehler normal. Überhaupt ist der junge Schlußmann bei der ganzen (von einer Boulevardzeitung unsachlich geführten) Diskussion um ihn erstaunlich ruhig, ja kühl geblieben. Nur soll ihm das bloß keiner als Arroganz auslegen. Er wolle nur die Lockerheit behalten. Den Glauben ans eigene Können hat er selbst im größten Wirbelsturm der öffentlichen Kritik nicht verloren.“

Jörg Marwedel (SZ 30.11.) porträtiert den Trainer Werders. „Thomas Schaaf lacht nie laut. Und er nimmt nichts so richtig ernst in dieser Branche der Aufgeregtheiten. Meistertitel? Okay, sollen die Leute darüber reden. Das lässt sich nicht vermeiden, wenn man plötzlich Tabellenzweiter der Fußball-Bundesliga ist. Aber im Grunde seines Herzens findet er es „gar nicht schön, was wir in unserer Gesellschaft zurzeit erleben“. Diese Entwicklung, dass nur noch die Extreme zählen und das Normale nichts mehr gilt. Er nippt an seinem Pfefferminztee und sagt: „Es ist nicht alles so schrill oder so schwarz, wie es gemacht wird. Das Leben besteht vor allem aus Grauzonen.“ Selbst wenn man, wie er mit seinen Bremern, derzeit die erfolgreichste Phase seit Otto Rehhagel erlebt. Natürlich träumt auch Schaaf davon, einmal die Meisterschale als Trainer in die Höhe zu recken und den wirtschaftlich ganz anders aufgestellten Bayern oder Borussen ein Schnippchen zu schlagen. Er ist ehrgeizig. Aber er taugt nicht zum Verkäufer seiner Träume. Thomas Schaaf ist der Gegenentwurf zu den Marktschreiern des Fußballs. Einer, der sich ständig die Frage stellt, „wie weit man bereit ist, das mitzumachen, ohne seinen Typ zu verlieren“ an „diese Oberflächlichkeit im Blitzlichtgewitter“. Vor allem aber hat ihn das Leben gelehrt, dass er zwar „eine Richtung vorgeben muss, aber es nie so kommt, wie ich es plane. Erfolg im Fußball“, sagt Schaaf, „ist nicht planbar. Aber wer nicht plant, ist fahrlässig.“ Das könnte fast eine dieser Rehhagel- Weisheiten sein, und viele vermuten ohnehin, der frühere Rehhagel-Spieler Schaaf sei gar nicht Schaaf, sondern in Wirklichkeit ein etwas brummeliger Rehhagel mit akkurat gestutztem Schnauzer. Damit tut man ihm Unrecht. Schaaf ist offener, weniger misstrauisch und ein absoluter Teamarbeiter. Während Rehhagel äußerste Distanz zum damaligen Manager Willi Lemke hielt und sogar seinen langjährigen, loyalen Assistenten Karl-Heinz Kamp der Weitergabe von Interna verdächtigte, tauscht sich Schaaf mit Sportdirektor Klaus Allofs aus, als seien die beiden ein altes Ehepaar.“

Marko Schumacher (NZZ3.12.) analysiert die Lage in Leverkusen. „Nicht das Geringste ist geblieben im Team der taumelnden Rheinländer von der Euphorie und der Form des Vorjahres. Mit mitreissendem Fussball stürmte die Equipe von Trainer Klaus Toppmöller damals in den Final der Champions League und wurde erst am allerletzten Spieltag der Bundesliga von Borussia Dortmund am erstmaligen Titelgewinn gehindert. Umso ernüchternder stellt sich nun im grauen Herbst die Lage dar (…) Den Ernst der Lage scheint der volksnahe Fussballlehrer Toppmöller dennoch nicht verinnerlicht zu haben. Allzu gerne nämlich verweist er auf äussere Einflüsse, um die rasante Talfahrt zu begründen. Vom “unglaublichen Verletzungspech” spricht er dann und davon, dass sein Team in Bestbesetzung „wieder unter den ersten fünf“ mitspielen werde. Dass die Qualität der Mannschaft in Wahrheit aber in keiner Weise mit derlei Versprechen korrespondiert, diese Erkenntnis scheint noch nicht zu Toppmöller durchgedrungen zu sein. Sicher: Den Verantwortlichen des Klubs war von vornherein klar, dass die Abgänge der vom FC Bayern abgeworbenen Stars Ballack und Zé Roberto nur schwierig zu kompensieren sein würden. Dass sie in der Wahl der Ersatzleute nun aber dermassen daneben liegen, müssen sie sich selber zuschreiben – zumal Mitleid angesichts der investierten 15 Millionen Euro nicht angebracht ist. Als fast beispiellose Geldvernichtung jedenfalls erweisen sich mehr und mehr die im Sommer getätigten Transfers. Der getrübte Sinn für die traurige Realität mag daher rühren, dass Bayer mit einer gehörigen Portion Glück die Zwischenrunde der Champions League erreichte und sich dort nun mit der europäischen Elite aus Barcelona, Mailand und Newcastle messen darf. Der schnöde Abstiegskampf in der Bundesliga passt da einfach nicht ins Weltbild einer vermeintlich internationalen Spitzenmannschaft. Möglichst bald aber müssen sich die Rheinländer der veränderten Wirklichkeit stellen. Sonst drohen nicht nur Schmährufe und Bierbecher der Fans – sonst droht im schlimmsten Fall die zweite Liga.“

Zur Lage in Dortmund heißt es bei Freddie Röckenhaus (SZ 30.11.). „Möglicherweise ist die Amoroso-Krise die einzig wahre Dortmunder Krise. Im Meisterjahr holte der Brasilianer manche Punkte allein durch seine Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor. Zudem verschaffte er den Mitspielern mehr Raum, weil er Aufmerksamkeit auf sich zog. Jetzt nervt Amoroso mit aufreizender Lustlosigkeit und Lauffaulheit. Und das bei einem Spielsystem, bei dem die Stürmer extrem in die Defensivarbeit einbezogen sind und Mittelfeldspieler wie Frings oder Ricken oft mehr Torchancen bekommen als die nominellen Stürmer. Dieses aufwendige Spiel hat im vergangenen Jahr den Meistertitel eingebracht – doch es ruft immer wieder Fragen hervor, ob Stürmer nicht in der Chancenverwertung besser wären, wenn sie ihre Kräfte mehr schonten. So wie Amoroso seine Rolle also offenbar interpretiert. Sturmpartner Jan Koller dagegen bekommt viele Fleißkärtchen für seinen unglaublichen Aktionsradius – über seine Torausbeute aber sagt er selbst: „Vielleicht bin ich einfach vom Charakter her zu wenig Egoist.“ Die Verantwortung fürs Toreschießen übernimmt er nur auf Aufforderung.“

„Hertha BSC gilt immer noch als Verein mit großen Wachstumschancen aber das hilft dem Klub in der Gegenwart herzlich wenig“, heißt es im Tsp (3.12.).

Zur Lage beim SSV Reutlingen SZ

Gerald Kleffmann (SZ 3.12.) beleuchtet die Hachinger Situation. „Und Unterhaching hat in den vergangenen Jahren viel verloren. Zuerst waren es die Spiele in der Ersten Bundesliga, dann in der Zweiten, dann verlor man den Gerichtsstreit mit der Frankfurter Eintracht, die anfangs die Auflagen des Deutschen Fußball-Bundes nicht erfüllen konnte, und schließlich, als Folge des doch noch bestätigten sportlichen Abstiegs in die Regionalliga, verlor man Geld und Zuschauer. Engelbert Kupka, Präsident der SpVgg, befürchtete daraufhin den völligen Absturz des Vereins. So weit kam es aber nicht. Im Gegenteil. Die Mannschaft hat sich mit ihrem neuen Trainer Wolfgang Frank nach einem schwachen Saisonstart in der dritthöchsten Klasse gefestigt, spielt attraktiven Offensivfußball mit Dribbelkünstlern wie Francisco Copado oder dem jungen Angelo Vaccaro, momentan ist man Zweiter in der Tabelle. Und am heutigen Dienstag tritt Unterhaching im Achtelfinale des DFB-Pokals an – als einzige Amateurmannschaft im deutschen Fußball. Weil mit Hansa Rostock ein Bundesligist in denSportpark kommt und somit ein Stück eigener Vergangenheit, freut man sich doppelt.“

Buntes

Volker Stumpe (FAS 1.12.). „Schlagt euch! Boxtraining ist eine anerkannte Methode, um mal ordentlich Dampf abzulassen. Manager tun es, um beruflichen Streß und Frustrationen abzubauen. Fußballer manchmal auch, allerdings unter ihresgleichen. Da müssen sie etwas falsch verstanden haben. Dieser Tage war mal wieder schlagzeilenträchtiges Promi-Boxen beim FC Bayern München angesagt. Nicht zum ersten Mal. Und glücklicherweise hielt auch diesmal wieder ein Kameramann drauf, als Samuel Kuffour, nachdem er sich zuvor mit Jens Jeremies gerangelt hatte, seinem schlichtenden Mitspieler Thorsten Fink ein Veilchen verpaßte. Das war nicht schön, technisch nicht einmal einwandfrei, sondern eher verwerflich. Das soll ein Vorbild sein? (…) Schlagt euch! Die Lust der Box-Dilettanten, tüchtig auszuteilen und sich verprügeln zu lassen, ist schon erstaunlich. Promi-Boxen ist derzeit ganz schwer in Mode. Vor ein paar Wochen hieben live auf RTL Schauspieler, Fernsehmoderatoren und andere Möchtegern-Haudraufs aufeinander ein. Zwar verstand kaum einer der angeblichen Boxer sein Handwerk, was die Sache wohl um so reizvoller machte. Es war zum Wegschauen, aber die Einschaltquoten der lachhaften Jahrmarkt-Prügeleien waren erschütternd gut. Und sie werden es auch sein, wenn die erst gescheiterte, dann vorbestrafte und nun umgeschulte Eiskunstläuferin Tonya Harding am 22. Februar in den Ring steigt, um ihr Profi-Debüt im Vorprogramm von Mike Tyson zu bestreiten. Wir halten fest: Boxen ist offenbar auch eine anerkannte Methode, Schlagzeilen zu machen, wieder in sie kommen oder aber in ihnen zu bleiben.“

Thomas Klemm (FAS 1.12.) erzählt vom Theaterengagement Jimmy Hartwigs.

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Das Wesen des Fußballs

Über das Wesen des Fußballs sinniert Dirk Schümer (FAZ 29.6.). „Fußball inszeniert eben keineswegs die Schönheit menschlicher Bewegungsabläufe und die Akrobatik von Ballkünstlern, sondern gestattet solche erhabenen Momente allerhöchstens hier und da, um dadurch das vorherrschende Gefüge von Taktik, Destruktivität und Opportunismus nur um so sichtbarer zu machen. Bestünde der Fußball aus einer Abfolge von Geistesblitzen und Jahrhundertschüssen, er wäre ebenso wenig bei voller Gesundheit zu ertragen wie ein neunzigminütiger Orgasmus. Gerade weil er so hässlich, ungerecht und gemein sein kann, wurde der britische Fußball – weit vor der amerikanisierten Popkultur – zum einzig relevanten globalen Massenspektakel. Im Kicken offenbaren sich die gesetzliche Fehlerhaftigkeit des Lebens und die Unwahrscheinlichkeit des Gelingens (…) Gerade das hässliche, das auf Abwehr basierende Brasilien ist nun der Beweis dafür, dass das deutsche Prinzip des errechneten Erfolgs gesiegt hat. Es treffen also nicht zwei Welten aufeinander, sondern die pragmatische Welt des globalen Kapitalismus begegnet sich selbst – hier in der an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit bolzenden und köpfenden Erscheinungsform Linke, dort in der weit unter ihren Möglichkeiten gebändigten Erscheinungsform Roberto Carlos.“

Mark Siemons (FAZ 29.6.) wagt einen Vergleich. „Es ist eine verblüffende Koinzidenz, dass diese machtvolle Manifestation des Postkolonialismus zeitlich mit der Documenta 11 zusammenfällt, die bekanntlich keine anderen Ziele verfolgt. Auch dort zeigte sich, dass der Glaube, dass die Welt sich adäquat nur aus dem Blickwinkel der westlichen Kultur verstehen lasse, anachronistisch geworden ist. Bisher glaubte man, mit einer gewissen gönnerhaften Geringschätzung auf die „interessanten“ Kulturen der „Dritten Welt“ blicken zu können, nicht ohne die stillschweigende Überzeugung, dort wiederholten sich im exotischen Gewand ja ohnehin bloß die westlichen Muster. Aber diese Vorstellung von reinen autochthonen Kulturen war eben auch nur ein westliches Phantasma; die Realität, die sich nun kraftvoll Bahn bricht, ist, dass man sich inmitten der vielfältig verflochtenen Mischungsverhältnisse der Gegenwart auf einmal gezwungen sieht, die Blickrichtung zu verändern, die Welt von der anderen Seite anzuschauen.“

Die Polarität der beiden Fußballstile relativiert Thomas Kistner (SZ 29.6.). „Hier das Land, das für höchste Effizienz und maschinelle Präzision geachtet und zuweilen beargwöhnt wird, und das einen Ballfänger als einzigen Heros der Gegenwart vorzeigt; dort ein Volk, das mit Klängen und Bewegung betört und alles was es tut, liebt, hasst mit Saudade unterlegt – diesem Lebensgefühl, das mit Sehnsucht unzureichend umschrieben ist. Hier Ramelow. Dort Denilson. Spricht das nicht für sich selbst? Es gibt längst innige Verschmelzungen. Die natürlichen Künstler haben sich alles Wichtige abgeguckt von den nüchternen Siegkonstrukteuren. Auch die Gabe ist angelegt in dem einzigartigen Ethno-Mix aus indianischen Ureinwohnern, versklavten Afrikanern und Portugiesen, der im zweiten Schritt von Einwandererströmen ergänzt wurde: Japaner, Italiener und Deutsche. Brasilien kann europäisch spielen. Dass sie es muss, um erfolgreich zu sein, hat die Seleçao aber erst in den letzten Jahren begriffen (…) Nun rätseln die Experten, worin das deutsche Erfolgsgeheimnis liegt. Aber es gibt keines, dies war ja vor allem die WM der verschlafenen Konkurrenten. Das deutsche Rezept ist das alte, und Völlers Vorgaben an seine tapferen 1:0-Fabrikanten blieben bis ins Finale dieselben.“

Der Essener Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz (NZZ 29.6.) sucht nach dem deutschen Erfolgsgeheimnis. „Wenn man sich nicht mit magischen Wegerklärungen wie Losglück, Fortuna und „typische Turniermannschaft“ begnügen will, muss man die entscheidende Information in dem suchen, was dem Geist des Feuilletons am fernsten ist: in der Kultur der Mittelmäßigkeit. Politisch ist sie uns ja schon längst vertraut. So wie die „Politik der Mitte“ unter ihrem Teamchef Gerhard Schröder uns alle entscheidenden Fragen erspart und „hot issues“ in Konturlosigkeit versinken lässt, so formiert sich offenbar auch im Fußball unter Teamchef Rudi Völler die gut organisierte, zu allem entschlossene Mittelmäßigkeit (…) Eine mittelmäßige Mannschaft, die das eigene Leistungsvermögen realistisch einschätzt, ist stärker als eine gute Equipe, die sich für eine sehr gute hält. Deutschland hatte während dieser Weltmeisterschaft den Vorteil, durch die unbarmherzige Kritik des In- und Auslandes gegen Selbstüberschätzung imprägniert zu sein. Dagegen tapsten Länder wie Portugal und Frankreich in die Success-Trap, in die Falle des (früheren) Erfolgs. Die WM 2002 war ein Triumph der Lernbereitschaft – auf Seiten der Spieler genauso wie auf Seiten der Beobachter. Nie zuvor sind Expertentipps so gründlich desavouiert worden; nie zuvor haben „exotische“ Mannschaften ein derartiges Chaos in der Hierarchie dieses Sports angerichtet. Rückblickend wird man kaum ein Spiel finden, dem eine Equipe ihren „Stempel aufgedrückt“ hätte. Und in fast jedem Spiel war jedes Ergebnis möglich. Mit anderen Worten, es gibt – zum Schrecken aller aggressiven Fußballästheten – keine „Dominanz“ mehr. Oder um Philosophen verständlich zu bleiben: Der Fußball hat in Korea und Japan endlich das Niveau der modernitätsspezifischen Kontingenz erreicht: Alles, was geschehen ist, hätte auch anders laufen können – aber nicht beliebig anders. Und damit haben wir eigentlich erst sachlich eingeholt, was institutionell schon lange Wirklichkeit ist: Weltfußball.“

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Arbeitstag Jürgen Kohlers in Leverkusen

Christoph Biermann (SZ 1.4.) beschreibt den ersten Arbeitstag Jürgen Kohlers in Leverkusen. „Gerne werden in Leverkusen große Dinge, ideale Lösungen und zukunftsweisende Konzepte mit großem Trommelwirbel verkündet. Das kennt man schon. Doch Jürgen Kohler gelang es bei seiner Vorstellung als Sportdirektor von Bayer, die Fanfaren besonders ermutigend klingen zu lassen. So viel Schwung wie gestern war selten in Leverkusen, als Kohler in die Heimstatt von Trübsal und Depression hineinwehte. Aufgeräumt, munter und entschlossen wirkte er. Ich habe alles im Griff, signalisierte er mit jeder Äußerung und der vollen Kraft seiner Stimme. „Das ist eine Situation, wie wenn man zum Arzt kommt“, sagte Dr. Kohler, der in seinen ersten Tagen die Diagnose stellen soll, um dann die notwendige Therapie einzuleiten. Muss operiert werden? Wird mit Placebos gearbeitet? Reicht gutes Zureden und Handauflegen? Der neue Sportdirektor weiß es noch nicht, aber er vermittelte den entschlossenen Eindruck eines erfahrenen Intensivmediziners, der schon so manch moribunden Patienten geheilt hat. „Ich weiß, wie die Spieler denken und fühlen“, sagte er mit Hinweis auf seine persönlichen Erfahrungen im Abstiegskampf. Wenn man ihn so hörte, musste man an Trainer Thomas Hörster denken. Der hatte im Gegensatz zu Kohler wie ein Rettungssanitäter gewirkt, der sich am Unfallort zwar viel Mühe gab, aber nun war man doch froh, dass langsam mal der Chefarzt kommt. Freunde psychosomatischer Ansätze werden demnächst genauer nach Leverkusen schauen, denn Kohler wirkte schon durch die Ankündigung seiner Anwesenheit. „Obwohl er noch gar nicht da war, wurde das sehr positiv aufgenommen“, berichtete Torhüter Butt von der Krankenstation im Kabinentrakt. Nur fragte man sich, warum das eigentlich so ist? „Dazu braucht man kein Professor zu sein, schon mein sechsjähriger Sohn erkennt, dass er ein guter Mann ist“, sagte Bayer-Manager Reiner Calmund über seinen „absoluten Wunschkandidaten“. Dann rasselte er die sportlichen Erfolge des 37-Jährigen herunter, als wäre es die Liste seiner erfolgreichsten Eingriffe. Kein Wort davon, dass Kohler bislang immer auf dem Rasen notoperiert hatte und nicht als Trainer oder Sportdirektor. Und was ist eigentlich die Arbeitsplatzbeschreibung des neuen Mannes bei Bayer?“

Richard Leipold (FAZ 1.4.) meint dazu. „Fachkreise halten es auch für möglich, daß der frühere Weltmeisterspieler, der bis vorigen Freitag die Juniorenauswahl des Deutschen Fußball-Bundes betreute, im Laufe der Zeit in Leverkusen Cheftrainer werden könnte. Am ersten Arbeitstag wurden solche Spekulationen heftig dementiert. Die Frage stellt sich nicht, sagte Kohler. Wir haben in Thomas Hörster einen guten Trainer. Ein Mann dieser Klasse wird selbstverständlich nicht in seinen Kompetenzen beschnitten, nur weil jemand kommt, der im Fußball so gut wie jeden Titel gewonnen hat. Wenn Hörster Probleme sehe, werde er natürlich mit ihm darüber sprechen, sagt Kohler, aber für die Taktik und die Aufstellung der Mannschaft ist der Thomas zuständig. Hörster denkt, Kohler lenkt: So könnte man auch das Wortspiel einer Regionalzeitung deuten, die kürzlich meldete, Bayer suche einen Oberhörster. Der neue Sportdirektor lobte den Trainer beinahe so, wie Calmund zuvor Kohler selbst gepriesen hatte. Allerdings konnte der Laudator Kohler sich ein wenig kürzer fassen; er brauchte nicht so viele Erfolge aufzuzählen. Bei aller zur Schau gestellten Wertschätzung für den spröden Sportkameraden Hörster: Will Kohler wirklich ausschließen, daß er nicht eines Tages selbst das Training übernimmt? Letztlich wehrte er diese Frage ab wie alle anderen, die ihm unangenehm waren. Die Frage ist hypothetisch. Was in zwanzig Jahren sein wird, weiß ich nicht. Kohler behauptete, er habe genug Angebote gehabt, Trainer in der Bundesliga zu werden. Aber ich habe mich entschlossen, den Sportdirektor bei Bayer zu machen. Trotz der gegenwärtig mißlichen Lage überzeuge ihn das Konzept des Klubs. So reizvoll der Job des Sportdirektors bei diesem Klub sein mag, einen Mann wie Kohler stellen sich viele eher als Trainer vor, zumal Calmund mit seiner Beschreibung richtig liegt. Jürgen steht für Fleiß, Leidenschaft und Disziplin. Wenn Training und Taktik Hörsters Domäne bleiben sollen, was macht dann eigentlich Kohler? Calmund erwartet von ihm nicht nur Strategien für die Zukunft, sondern eine Initialzündung für die letzten acht Spiele der Saison. Also soll er doch ins Tagesgeschäft eingreifen, wenn auch nicht als Trainer.“

Von Erik Eggers (FTD 1.4.) lesen wir. „Warum diese überraschende Verpflichtung ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt erfolgt, das offenbarte der Geschäftsführer erst am Ende der Präsentation. „Das war mehr oder weniger ein Verzweiflungsakt nach den Absagen Rettigs und Bratseths“, sagte Calmund, es erscheint demnach als purer Aktionismus in einer fast aussichtslosen Situation. Calmund aber wirkte gestern sehr viel gelassener als in den letzten Wochen. Diesmal, wird er sich gedacht haben, werden sie ihm nicht wie bei der Toppmöller-Entlassung vorwerfen können, zu spät gehandelt zu haben. Jürgen Kohler wirkte während dieser Anfangspredigt fast abwesend. Sein Blick schweifte ab und richtete sich auf einen imaginären Punkt irgendwo zwischen den zahlreichen Kameras. Erst als Calmund überraschend zügig das Ende seiner Rede kundtat, erwachte Kohler. „Ich freue mich, diese Aufgabe anzugehen“, waren die ersten Worte des Sportdirektors. Es folgte eine unglücklichere Wortwahl: „Das Schöne ist“, so Kohler, „ich habe diese Situation, die Leverkusen gerade durchmacht, mit Dortmund schon einmal erlebt.“ Doch im Anschluss machte er sofort klar, dass er anders als der stets hölzern wirkende Trainer Thomas Hörster um einiges souveräner mit den Medien umzugehen versteht.“

Michael Ashelm (FAS 30.3.). „Ob der Sportdirektor Kohler in der Praxis die Aufgabe des Trainers bei den abstiegsbedrohten Leverkusenern übernehmen wird, muß man abwarten. Vielleicht als Supervisor des glücklosen Fußballehrers Thomas Hörster, der dem Neuen übrigens den Platz auf der Bank schon angeboten hat – neben ihm.Ganz sicher ist, daß der Weltmeister in den verbleibenden Wochen im Tagesgeschäft ein gewichtiges Wörtchen mitreden wird. Das erwarten auch die Spieler, einer wie Hanno Balitsch, der am Freitag bei Kohlers Abschiedsvorstellung dabei war und ihn zu Wochenbeginn in Leverkusen wiedersehen wird. So, wie ich das verstanden habe, soll er sehr nahe an der Mannschaft sein, sagte der Mittelfeldspieler über die Rolle von Kohler. Mit seiner Erfahrung könnte das einen Schub für die letzten Spiele geben. Andere, die den ehemaligen Nationalspieler aus langjähriger Zusammenarbeit kennen, glauben, daß er sich schnell in seine Rolle einfinden wird. Ich gratuliere Bayer zu der Entscheidung, sagt Michael Meier, der Manager von Meister Borussia Dortmund. Der administrativ unerfahrene Kohler wie gemacht für das Anforderungsprofil des Sportdirektors? Die Leverkusener haben versucht, die erfolgreiche Personalentscheidung mit Rudi Völler zu kopieren. Der Jürgen verfügt über enorme Kontakte, beherrscht die italienische Sprache und ist ein ehrlicher, konsequenter Arbeiter.“

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Fazit einer komischen Saison

Ralf Wiegand (SZ 12.5.) sah zwei Trainer, die über vergeben Chancen räsonierten. „Es war der dümmste Zeitpunkt für eine Niederlage. Das Gottlieb-Daimler- Stadion war mit 51.000 Zuschauern fast ausverkauft, was in Stuttgart so gut wie nie vorkommt. Magath hatte Anfang der Woche ein neues Ziel ausgegeben: Der VfB, das Überraschungsteam der Saison, will in die Champions League, es ist nun eine ganz offizielle Anordnung des Trainers. Schließlich war da die Statistik, seit acht Jahren zu Hause gegen Werder nicht verloren zu haben. Das alles weckte Erwartungen. Aber dann schoss doch nur Rui Marques den Ball ins eigene Tor. So ist das mit dem Anspruch und der Wirklichkeit, sie wollen zu selten zueinander finden. Die Bremer kennen das auch. „Realistisch betrachtet“, sagte deren Trainer Thomas Schaaf, „spielen wir eine gute Saison innerhalb unserer Erwartungen.“ Und trotzdem: „Wenn ich die Chancen sehe, die wir hatten, könnte ich verrückt werden.“ Er meinte nicht diese vergänglichen Chancen eines Spiels, von denen der SV Werder viele bei seinen späten Kontern in Stuttgart vergab; Schaaf meinte die Chancen eines Jahres, das große Ganze, das Fazit einer komischen Saison. Errechnete man eine Tabelle der besten sieben Mannschaften untereinander, Werder wäre Erster. Zweimal gegen die Bayern gewonnen, zweimal gegen Hertha, nun auch zweimal gegen den VfB. Die Bremer siegten in Dortmund und gegen den HSV. „Man denkt mit Wehmut daran, wo wir stehen könnten“, seufzte Manager Klaus Allofs. Werder hat gegen Wolfsburg verloren, in Nürnberg, gegen Cottbus, Hannover, in Kaiserslautern.“

Zum Reden brauchen wir kein Licht

Oskar Beck (FTD 12.5.) erklärt die Bedeutung einer möglichen Stuttgarter Qualifikation für die Champions League. “In Stuttgart empfing der VfB-Präsident Manfred Haas kürzlich seinen Torjäger Kevin Kuranyi zum Vertragsgespräch, sie setzten sich, und Haas blies die Lampe aus und sagte: „Zum Reden brauchen wir kein Licht.“ Warum erzählen wir die Geschichte? Weil sie, selbst wenn sie in weiten Teilen schamlos erfunden ist, der letzte und endgültige Beweis dafür ist, dass dem VfB gar nichts anderes übrig bleibt, als sich für die Champions League zu qualifizieren. Schlagartig müssten die Schwaben am Strom nicht mehr sparen, wären ihre 16 Mio. Euro Schulden los und könnten mit den jungen Wilden von Kuranyi über Hleb bis Hinkel verlängern. Mit diesem Anreiz hat Trainer Felix Magath seine Rasselbande am Samstag hoch motiviert in das Spiel gegen Werder Bremen geschickt – doch es hat sich herausgestellt, dass so ein „Traumziel“ (Magath) schnell zum Albtraum geraten kann. Wie ein voller Rucksack hat der Stress die Schwaben in die Knie gezwungen. „Wir spielen“, sagt Jungnationalspieler Andreas Hinkel, „nicht mehr unbefangen und unbeschwert.“ Nichts ist gelungen, und der einzige gut vorgetragene Konter kam auch noch zu spät – das war in der Pressekonferenz, als Magath die Vorlage des Bremer Kollegen Thomas Schaaf („Wir fahren zufrieden nach Hause“) mit Leichtigkeit zu Ende führte: „Und wir bleiben unzufrieden daheim (…) Hält der VfB dem Druck nicht stand? Der Grat ist schmal. Denn wenn er doch noch platzt, der Traum vom Geld und Segen der Königsklasse, steht der VfB am Ende womöglich wieder dort, wo er vor einem halben Jahr stand – als Manfred Haas angeblich mit dem Gedanken spielte, auf ein Stück Pappe „Ich bin der VfB-Präsident“ zu kritzeln, sich mit der Gitarre in die Fußgängerzone zu setzen, „Hey Joe“ von Jimi Hendrix zu singen und um eine milde Gabe zu bitten.“

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 12.5.) höhnt. „Das Ergebnis diente im nachhinein als Beweis, zu den ganz Großen der Bundesliga zu gehören, denn diese unberechenbaren Norddeutschen haben doch tatsächlich bei Bayern München, Borussia Dortmund und nun auch noch beim VfB Stuttgart gewonnen. Der Berufsberater beim VfB Stuttgart heißt Felix Magath. Es hat mir noch nie so viel Spaß gemacht, Trainer zu sein, wie beim VfB, hat Magath unlängst gesagt. Weil dieser Mann über den Tag hinaus denkt, Platz drei für die Schwaben ja immer noch aller Ehren wert ist, war er gut beraten, trotz dieses Rückschlages zuversichtlich in die nahe Zukunft zu blicken. Vor dem Spiel mußten wir noch sieben Punkte haben, jetzt müssen es sechs sein. Damit diese Rechnung zum direkten Einzug in die Champions League aufgeht, muß am kommenden Samstag beim deutschen Meister Bayern München und zum Abschluß daheim gegen den VfL Wolfsburg gewonnen werden. Seitdem die Stuttgarter mit dem Zutritt zur Elite der europäischen Extraklasse etwas zu verlieren haben, ist ihnen die Unbeschwertheit abhanden gekommen. Die Herrschaften verkrampfen. Der Gegentreffer in der 51. Minute, den sie sich selbst ins Tor legten, paßte zu diesem für den einstigen Tabellenzweiten rundum verkorksten Samstag.“

Was gibt es Schöneres als jetzt in München zu spielen?

Oliver Trust (FR 12.5.) referiert Stuttgarter Reaktionen. “Trotz schwer verdaulicher Wahrheiten will die schwäbische Fußballfamilie von ihren Träumen nicht lassen. Konkurrent Borussia Dortmund, dem die Schwaben bereits drei Punkte enteilt waren, steht nun auf Rang zwei. Stuttgart hätte als Dritter schlechtere Karten, müsste die Champions League, die Millionen garantiert, die dringend zur Sanierung der Clubfinanzen benötigt werden, über die Qualifikation erreichen. Und Magath müsste sich im Fall des Scheiterns von Plänen verabschieden, seine Mannschaft mit spielstarken Fachkräften zu verstärken, um, wie er es vorgab, nächste Saison um die Meisterschaft mitzubieten. So klang er am Tag der Enttäuschungen wie einer, der laut im dunklen Wald pfeift, um die Furcht zu vertreiben. Ich weiß nicht, ob Borussia Dortmund auch noch sechs Punkte holt, sagte Magath. Und Torwart Timo Hildebrand äußerte vollmundig: Was gibt es Schöneres als jetzt in München zu spielen. Die kriegen die Schale und wir die Punkte. Sie müssen auf einen Patzer der Dortmunder hoffen. Kein sehr schönes Gefühl. Vielleicht denken wir zu viel darüber nach, was passieren könnte, sagte Kevin Kuranyi, der hochgelobte Torjäger mit Ladehemmung. Eigentlich fühlen wir uns scheiße, sagte Hildebrand, noch bevor Magath zur brauchbaren Analyse antrat. Es läuft nicht mehr rund. Es hat den Anschein, als hätten die Spieler den Kopf nicht mehr frei, sagte er. Angst vor dem großen Sprung.“

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England – Ungarn (3:6) vor 50 Jahren

zur Erinnerung an das epochale Spiel England – Ungarn (3:6) vor 50 Jahren stöbern FAZ und NZZ in den Geschichtsbüchern – SpOn-Interview mit Christoph Daum, Trainer in diplomatischer Mission – Ausschreitungen in Aachen kräftigen das „Chaotenimage“ (taz) – aufregende Mitgliederversammlung bei Hertha BSC Berlin u.v.m.

Sonnenbrand auf der Zunge

Sehr lesenswertes aus dem Nähkästchen! Christian Eichler (FAZ 25.11.) berichtet vom „Tag an dem die Fußball-Welt eine Kugel geworden ist“: „Es war eine Demonstration: die Entwicklung des Fußballs vom Positions- zum Raumspiel, von einer statischen zu einer dynamischen Struktur. Die Ungarn ließen es beim 6:3 bewenden. Mehr noch als das Ergebnis zeigte die Zahl der Torschüsse (35:5) ihre Überlegenheit. Ein halbes Jahr später gewannen sie in Budapest sogar 7:1, und der Engländer Broadis beklagte, weil er seinen Gegnern so hinterherhecheln mußte, einen Sonnenbrand auf der Zunge. Seit Wembley galten die Ungarn als Wunderteam, unschlagbar. Daheim jubelten die Landsleute, für die der Sieg im Jahr von Stalins Tod als Zeichen des Aufbruchs galt. Man glaubte noch an eine menschliche Form des Sozialismus. Trainer Gustav Sebes nannte das frei wechselnde Positionsspiel, dieses Beispiel für Genialität des Kollektiven, sozialistischen Fußball. Daß dieser schöne Traum zerplatzte, daß Ungarn die beste Elf wurde, die nie den WM-Titel gewann – das lag auch daran, daß an jenem Novembermittwoch in London zwei Männer aus Deutschland auf der Tribüne saßen. Auch sie waren beeindruckt. Und doch sagte Sepp Herberger auf der Rückfahrt mit der Fähre über den Ärmelkanal zu seinem Spieler Jupp Posipal: Ich weiß, wie es geht. Herberger hatte schon vor dem Krieg in seiner berühmten Breslau-Elf mit einer Art hängendem Mittelstürmer operiert, dem früh verstorbenen Otto Siffling (er schoß 1937 fünf Tore beim 8:0 gegen Dänemark). Deshalb wußte er, daß Mittelläufer Liebrich nicht gegen Hidegkuti spielen müßte, sondern gegen Puskas, weil sonst die Abwehr entblößt würde – dafür Außenläufer Eckel gegen Hidegkuti. Er sah auch, wo die Schwäche der Ungarn lag: auf deren rechter Seite, wo Bozsik mit seinen Attacken als sechster Stürmer Lücken öffnete. Alle drei deutschen Tore im WM-Endspiel 1954 sollten auf dieser Seite vorbereitet werden. Vor dem Spiel in Wembley hatten die Ungarn alles getan, um die Engländer zu studieren: den Platz vermessen, englische Bälle besorgt, Trainingsspiele gegen Teams mit WM-System arrangiert, Informationen über Gegenspieler beim Kulturattaché ihrer Londoner Botschaft beschafft; schließlich im Spiel gegen Schweden die englischen Beobachter getäuscht, mit einer ganz anderen Taktik als der für Wembley längst geplanten. Nach dem Triumph aber begannen sie, sich dem Gefühl der Überlegenheit hinzugeben – so daß sie, wie die Engländer vor Wembley, vor dem WM-Finale von Wankdorf ihren Gegner nur flüchtig, nur ein einziges Mal studierten. Während die Fußballgeschichte ihren großen Wendepunkt genommen hatte, arbeitete der kleine, schlaue Mann aus Ludwigshafen schon an einem neuen, an seinem Meisterwerk. Die Ungarn hatten ihr Wunder vollbracht, es trug schon den Keim des Scheiterns in sich. Das der Deutschen stand noch bevor.“

Heinz Stalder (NZZ 26.11.) ergänzt: „Auch noch fünfzig Jahre nach dem ersten wirklich denkwürdigen Match im Wembley wird immer wieder der Name eines Mannes genannt, den unverbesserliche Chauvinisten in der bitteren Stunde der Niederlage Verräter schimpften: Jimmy Hogan aus Lancashire. Er spielte zu Beginn des 20.Jahrhunderts bei Burnley, Bolton, Swindon und Fulham, machte von sich reden, weil er der Begabteste am Ball war, aber mit seinen Forderungen nach mehr Flexibilität auf dem Feld auf den Widerstand der Trainer stiess. Als Coach begann er zuerst in Holland zu arbeiten und sah sich von allem Anfang an in erster Linie als Fussball-Pädagoge, der seine Spieler lehrte, dass Fussball auch Intelligenz und eine gesunde Ernährung voraussetzt. Er unterrichtete erfolgreich in Österreich, Ungarn, Deutschland, Frankreich und Afrika. Helmut Schön spielte unter Trainer Jimmy Hogan in Dresden und nannte später den vielleicht innovativsten und wegweisenden Coach „mein leuchtendes Vorbild“. Dass Hogan den Ungarn lange zuvor all das beigebracht hatte, womit sie an diesem späten Novembertag die Engländer deklassierten, wurde von der Football Association erst wahrgenommen, als es zu spät war. Seine frühen Warnungen, das englische Spiel entwickle sich nicht, wurden belächelt. Als er 1974 einundneunzig Jahre alt starb, erschienen auf dem europäischen Festland unzählige ergreifende Nachrufe. In England hatte man seine revolutionären Trainingsmethoden bis 1953 abgelehnt und ihm danach übel genommen, dass er die europäischen Gegner auf die Überholspur coachte.“

Die Lage in Brasiliens Liga NZZ

Ich möchte zu einem besseren Verhältnis zwischen Türkei und Deutschland beitragen

SpOn-Interviewmit Christoph Daum, Trainer von Fenerbahce Istanbul und Diplomat in aller Bescheidenheit

SpOn: Herr Daum, wie geht es Ihnen als Deutscher inmitten der türkischen Fußball-Kultur?

CD: Sehr gut, danke. Die Leute hier sind unheimlich freundlich und liebenswert. Die Begeisterung für den Fußball ist riesig. Ich fühle mich grundsätzlich sehr wohl. Die Stimmung in der Stadt ist nach den schlimmen Bombenanschlägen natürlich gedrückt.

SpOn: Stimmt es, dass Sie sogar türkischer Staatsbürger werden wollen?

CD: Also ich möchte nicht in die Türkei auswandern, übersiedeln oder ähnliches, sondern lediglich zur deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft annehmen. Die wurde mir angeboten und ich dachte, warum sollte ich neben dem deutschen Pass nicht auch den türkischen haben? Ich möchte damit zu einem besseren Verständnis und Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland beitragen. Es wäre auch ein Dankeschön für die Gastfreundschaft, die mir in der Türkei entgegengebracht wird. Und es soll ein positives Zeichen für die EU-Mitgliedschaft der Türkei sein.

SpOn: Die Aufnahme der Türkei wird kontrovers diskutiert. Trotz vieler politischer Veränderungen im Land zögert die EU immer noch. Ist das Land noch nicht soweit?

CD: Das ist der falsche Denkansatz. Die Voraussetzungen der Türkei sind besser als die in Bulgarien, Estland oder Lettland. Die Türken wollen in die EU und haben bereits viele ihrer Rahmenbedingungen geändert. Ich lebe lange genug hier, um sagen zu können, dass ich kaum Unterschiede feststelle, ob ich in Köln oder Istanbul bin. Ich sehe mich durchaus als Fürsprecher der Türkei.

SpOn: Kann man bei Ihnen zwischen den Zeilen auch ein wenig Deutschland-Verdruss durchhören?

CD: Verdruss würde ich das nicht nennen. Aber die Frage muss erlaubt sein, wie toll die Situation in Deutschland derzeit ist. Mir als Bürger gefallen einige Dinge genauso wenig wie anderen auch. Politische Blockaden, fehlende Entscheidungen, der Arbeitsmarkt leidet – alles Dinge, die einen Bürger beschäftigen. Vielleicht wäre beispielsweise mal eine Große Koalition sinnvoll, damit wichtige Reformen endlich auf den Weg gebracht werden.

SpOn: Sie sagen, Sie fühlen sich in Istanbul wohl. Wie leben Sie dort?

CD: Ich habe es vorgezogen, mich nicht in eine Ausländer-Siedlung einkasernieren zu lassen. Ich wohne in einem türkischen Viertel. Wir gehen gemeinsam mit türkischen Freunden aus. Ich habe mich auf das Land eingelassen und teilweise gut integriert. Das ist quasi das Gegenstück zu vielen Türken, die sich in Deutschland bewusst abschotten und unter sich bleiben wollen. Diese Haltung habe ich immer wieder kritisiert.

SpOn: Finden sie Gehör?

CD: Ich bin einer der wenigen Deutschen, der einem Türken so etwas auch mal sagen darf. Bei einem richtigen Deutschen wäre so etwas undenkbar. Die Abgrenzung ist der völlig falsche Weg. Die Türken in Deutschland müssten viel mehr auf Ihre Nachbarn eingehen. Sonst bleibt es letztlich nur bei einem Nebeneinander, mir schwebt ein Miteinander vor. Ich bin multi-kulturell aufgewachsen und denke, man muss in dieser Sache aufeinander zugehen.

Nach den Ausschreitungen in Aachen (Alemannia Aachen – 1. FC Nürnberg 1:0) , bei denen Nürnbergs Trainer Wolfgang Wolf verletzt wurde, fordert Thomas Kilchenstein (FR 26.11.), dass das Spiels neuangesetzt wird: „Als urplötzlich an diesem Montagabend ein Hagel aus Feuerzeugen, Nägeln und so genannten Flachmännern ein zweitklassiges Fußballspiel zerstörte (und einen Fußballtrainer am Kopf traf), ist Jörg Berger auf schreckliche Art und Weise bestätigt worden. Der Coach der Alemannia hat, vor allem aus Gründen der eigenen Sicherheit, zuletzt öfter den Finger warnend gehoben: Dass die Trainerbänke direkt vor den Block der Hardcore-Fans gerückt wurden, ohne Fangzäune und besondere Schutzmaßnahmen, weil der finanzklamme Club ein paar Werbebanden ordentlich ins TV-Bild rücken mochte, birgt ganz einfach ein erhebliches Sicherheitsrisiko. Dass da irgendwann mal was passieren würde, hätte man sich ausrechnen können. Berger hatte davor gewarnt. Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen, flugs werden die Trainerbänke wieder auf die andere Spielfeldseite versetzt, auf die deutlich sicherere. Zu spät. Die schnelle Reaktion ehrt die Alemannia, allein es wird ihr nicht viel helfen. So wie es aussieht – und vergleichbare Fälle zeigen das – wird der ermittelnde DFB-Kontrollausschuss kaum umhin können, diese Partie zu annullieren und ein neues Spiel, womöglich auf neutralem Platz, anzusetzen. Tatsächlich war der 1. FC Nürnberg nach der Wurfattacke gegen Trainer Wolfgang Wolf erheblich benachteiligt. Wolf musste in der Kabine bleiben und ärztlich versorgt werden. Ihm war die Möglichkeit geraubt worden, weiterhin sein Team zu coachen.“

Das Chaotenimage will nicht weichen

Bernd Müllender (taz 26.11.) fügt hinzu: „Das Chaotenimage will nicht weichen. Die Aachener ermitteln nun bei sich selbst wegen der passiven Security. Der Manager, sonst der Unaufgeregtesten einer, tobte in den Tumultminuten brüllend über den Platz, weil die Sicherheitsleute sich lieber selbst in Sicherheit brachten. Schlagzeilen aus Altlastenzeiten bleiben sowieso. Seit Monaten durchleuchtet Aachens Staatsanwaltschaft die Hintergründe einer 100.000-Mark-Spende der Firma Babcock an den Club in Zusammenhang mit dem Müllverbrennungsskandal. Und es läuft derzeit der Geldkoffer-Prozess, rund um die maximal viertelseidene Ex-Clubführung vor drei Jahren, als Unterlagen manipuliert und Urkunden gefälscht wurden, wo Bargeld verschwand, Scheinablösen in die eigene Tasche wanderten und der Verein fast ruiniert zurückblieb. Noch 182 Tage hatte ein friedlicher Fan am Montag per Transparent angezählt. Eine Wiederkehr in die Bundesliga nach 1967-70 schüfe Raum für zwei gravierende Besonderheiten: Willi Landgraf (35), der halbhohe Publikumsliebling, der am Montag Nürnbergs Toresammler Jacek Krzynowek spektakulär souverän abmeldete, würde den ewigen Einsatzrekord für Zweitligaspiele um wenige Partien verpassen. Für Jörg Berger (59) könnte der Aufstieg zur großen persönlichen Nummer werden. Falls er später erfolglos entlassen wird, wäre er mit sieben Erstliga-Rausschmissen alleiniger deutscher Rekordhalter. Derzeit teilt er sich die Pole-Position des häufigsten Extrainers noch mit Gyula Lorant. Bis dahin wollen sie in der Ulla-Schmidt-Stadt noch oft frohe Kunde vom neuen Torsponsor hören. Zu Alemannia-Toren erklärt der Stadionsprecher am Tivoli: Plötzlich liegt der Gegner hinten, alles nur durch Nobis Printen.“

Javier Cáceres (SZ 26.11.)berichtet die aufregende Hauptversammlung bei Hertha BSC Berlin: „Wenn es jemanden gab, der Groll auf sich vereinigte, ob eines für Hertha „unbekömmlichen Jahres“, wie es der frühere Clubpräsident Wolfgang Holst nannte, wenn es also einen gab, der einen eher unschönen Abend verbringen musste, dann er: Huub Stevens. Denn als ein Mitglied bekannte, einstmals „Stevens raus!“ gebrüllt zu haben, dann aber hinzufügte, sich nun dafür zu schämen, erntete es Pfiffe, ebenso für seine Beobachtung: „Herr Stevens, sie gehören zu unserer Familie!“ Applaus bekam hingegen einer, der garantierte, dass Stevens seine Gunst „nie“ kriegen werde; des weiteren ein Mitglied, das meinte, dass Stevens gut zu Gelsenkirchener Barock passe. „Zu Hertha passt er nicht.“ Einen anderen Beifall wird Dieter Hoeneß als noch perfider empfunden haben. Denn dieser setzte ein, als der Manager erklärte, dass andere Vereine in vergleichbarer Lage ihren Trainer längst gefeuert hätten. Es war auch sonst ein bitterer Abend für Hoeneß, frustriert prangerte er den Populismus und die mangelnde Fairness einzelner Einlassungen an. Manche Mitglieder hätten wohl „seit sieben Jahren nur darauf gewartet, ihren Schmarren loszuwerden“. So sehr sich Hoeneß auch gemüht hatte, die Erfolge der Vergangenheit herauszustreichen, um Kredit für Gegenwart und Zukunft zu fordern – so wenig gelang es ihm, Kritik auch an seiner Person zu verhindern. Jedoch: Wenn sie geäußert wurde, wurde sie von der Mehrzahl der Anwesenden missbilligt, zumal dann, wenn sie der Form und dem Inhalt nach über das Ziel hinausschoss. Ein Widerspruch war das nur bedingt. Denn im Großen und Ganzen goutiert die Hertha-Familie Hoeneß’ Wirken und Werk. Im konkreten Gegenwartsfall aber wird ihm das Festhalten an Stevens tendenziell negativ ausgelegt, und auch die Einkäufe Niko Kovac, Artur Wichniarek und Fredi Bobic boten Anlass für kontroverse Zwischenrufe. Sie kamen, wie Hoeneß zu Recht beklagte, von denselben, die sich noch vor sechs Monaten von ihren Plätzen erhoben hatten, um über die Verpflichtungen von Bobic und Wichniarek zu jubeln.“

Tsp: „Nach dem Geheimtreffen der Spitzenklubs muss die DFL vermitteln“

Leserbriefe an die FR-Sportredaktion zum Thema Eintracht und die Schiedsrichter

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Themen: Bauernschlauheit in Barcelona beim Mitternachtsspiel – neuer Skandal in Italien

Bauernschlauheit in Barcelona! Ronald Reng (BLZ 4.9.) berichtet. „80 200 Barça-Fans waren zur ersten Spätvorstellung des internationalen Fußballs gekommen. Keiner wollte den Moment verpassen, wenn ein neues Barça, mit neuem Präsident (Joan Laporta), neuem Trainer (Frank Rijkaard) und neuem Idol (Ronaldinho), aufbricht. Selbst wer die spanische Liebe zur langen Nacht kennt, wurde vom Anblick des vollen Camp Nous um Mitternacht überwältigt. Seit vier Jahre hat der 16-malige Spanische Meister keine Trophäe mehr gewonnen – so ausgehungert sind sie, dass Präsident Laporta nicht mehr tun musste, als Elan auszustrahlen, um den Klub in einen Zustand permanenten Überschwangs zu versetzen. 80 200 beklatschten das 1:1 gegen Sevilla. Sie unterstützen Laportas Entscheidungen bedingungslos, mögen sie auch noch so zweifelhaft sein wie jene, ein Fußballmatch zu dieser Zeit anzupfeifen. Barça hat neun ausländische Nationalspieler unter Vertrag, die am Wochenende bei Länderspielen im Einsatz sind und daher von ihren Nationaltrainer spätestens am Mittwoch in den Trainingscamps erwartet wurden. Also wollte Laporta das für Mittwoch festgesetzte Ligaspiel um einen Tag vorverlegen lassen. Doch jeder Elf stehen laut spanischem Fußballrecht mindestens 48 Stunden Pause zwischen zwei Partien zu – und Sevilla hatte erst am Sonntag gegen Atletico Madrid gespielt. Als sich sein Kollege in Sevilla, Jos del Nido, geweigert hatte, das Atletico-Spiel um einen Tag vorzuverlegen, schlug Laporta zurück: Gut, dann werde halt am Mittwoch gespielt – aber um Mitternacht, also faktisch am Dienstag. Das ist ein Rückfall ins Spanien der Gitarre und des Tamburins, wo jeder Trick legitim war, klagte Sevillas Kapitän Pablo Alfaro, doch je wütender sich der Gegner beschwerte, desto toller fanden sie in Barcelona ihre Idee.“

Die SZ teilt dazu mit. „Niemand würde kommen, aus Angst vor den Frauen. Gegen 22, 23 Uhr zu Hause aufbrechen, sich verabschieden mit den Worten, „ich gehe zum Fußball“ – Javier Irureta, der Trainer des spanischen Spitzenklubs Deportivo La Coruña, war sich sicher, dass das keiner bringt: „Was erzählt dir denn dann deine Frau? Um Mitternacht ins Fußballstadion. Bah! Da ist sie sich doch sicher: ,Du betrügst mich.’““

Peter Hartmann (NZZ4.9.) meldet. „Kein Tag ohne neuen Skandal im Calcio. Die Tageszeitung La Repubblica dokumentiert ein weiteres Kapitel der Misswirtschaft im italienischen Fussball: Rund 3000 von 5760 Profispielern, hauptsächlich aus den unteren Ligen, müssen um ihre Rente nach Karrierenende fürchten. In der Versorgungsdecke bei der staatlichen Altersversicherung Enpals klafft ein Loch von wahrscheinlich 50 Millionen Euro. 61 der 128 Klubs zahlten ihre obligatorischen Beiträge nicht mehr, wie aus einem Dossier des zuständigen Ministers Maroni hervorgeht. Als Hauptsünder wird in diesem Papier Luciano Gaucci genannt, der Rädels- und Streikführer des lärmigen Aufstands der Serie-B-Klubs. Gaucci, ein reicher römischer Reinigungsunternehmer mit einer Leidenschaft für Fussballer und Rennpferde, ist Besitzer von gleich drei Klubs: Perugia in der SerieA (6 Millionen Euro Zahlungsrückstände), Catania (in die SerieB zurückgeputscht) und Sambenedettese in der SerieC. Vier Klubs in der SerieA (Perugia, Lazio, die Aufsteiger Ancona und Siena) sind ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen. In der SerieB sind es 11 von 24, in der Serie C1 sogar 22 von 36 und in der Serie C2 immerhin die Hälfte, 27 von 54.“

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