indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

Vermischtes

sehr lesenswert! „seit Jahrzehnten strafen die Fußballkünstler von Real Madrid den FC Bayern München mit Verachtung – vor allem deren Torhüter“ (Zeit) – Kahn, Metapher für Deutschland (FAS) – Wolfgang Overath, Hauptdarsteller in Kölner Posse – FAZ-Besprechung zweier sehr interessanter Studien über Nachwuchssport – Palästina sucht Nationalspieler – Profidasein, „Künstliche Verlängerung der Pubertät“ (taz) u.v.m.

Ein Schrank von fast zwei Metern, bei dem man instinktiv den Gehsteig wechselt

Sehr lesenswert! Wolfram Eilenberger (Zeit 4.3.) zeichnet die Rivalität zwischen Real und Bayer nach: „Seit Real existiert, haben zahllose Clubs um die Verachtung der Königlichen gebuhlt. Doch ist sie weltweit nur drei Vereinen ehrlich vergönnt: Abweichend von den im Ursprung lokal bedingten Antipathien gegen Atlético Madrid und den CF Barcelona, hat sich der FC Bayern seinen Ehrenplatz mit rein spielerischen Mitteln erworben oder, präziser, mit deren Abwesenheit. Nach annähernd 30 Jahren geteilter Europapokal-Geschichte stehen die Münchner im sorgsam gepflegten Wertekosmos des Madridismo für alles, was sehenswerten, raffinierten Kombinationsfußball mit System zugrunde richtet. Sie sind das schlechthin Andere eines Vereins, dessen Selbstverständnis darauf basiert, nur an sich selbst oder allenfalls an widernatürlichen, fußballfeindlichen Mächten scheitern zu können. Mächten wie dem Europäischen Verband Uefa, dem Schnee, der Kälte, den Schiedsrichtern, unsagbarem Glück, gewaltbereiten Grobmotorikern oder, in einer Figur verdichtet: dem FC Bayern München. Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass seit Beginn dieser Unglücksbeziehung eine Figur im Zentrum des spanischen Beschreibungsinteresses steht, deren Funktion rein destruktiv bestimmt ist und die sich ferner geradezu dadurch auszeichnet, keinen Fußball spielen zu können: der Torwart. Von Sepp Maier über Jean-Marie Pfaff bis zu Oliver Kahn zieht sich eine weiße Leidenslinie. Und gestand man der legendären „Mittelachse Maier-Beckenbauer-Müller“ von 1976 noch gewisse fußballerische Grundfertigkeiten zu, so gewinnen die Bayern mit den Duellen der Jahre 1987 und 1988 ihr wahres Profil und werden zu dem, was sie heute in Spanien sind: die Pest (bestia negra). Es waren in der Tat legendäre Aufeinandertreffen, Duelle von der Art, wie sie eine ganze Generation prägungsanfälliger Jugendlicher in die Welt des Fußballs einweisen. Gleich im Hinspiel – ein mit Butrageño, Hugo Sánchez, Míchel und Sanchís gespicktes Real lag in München nach 35. Minuten 3:0 zurück – brannten dem impulsiven Real-Star Juanito „nach einem brutalen Foul von Matthäus die Sicherungen durch. Juanito stürmte auf den Deutschen zu, der sich nach einer Attacke von Chendo bereits auf dem Boden wälzte, und trat auf ihn ein“*. Rot, wie später für Verteidiger Mino. Nach dem 4:1-“Massaker von München“ ruhten die spanischen Hoffnungen, einer Sprachprägung des Ex-Real-Stürmers und Aphoristen Jorge Valdano folgend, damit ganz auf „el miedo escénico del Bernabéu“, auf dem magischen Wirken der „Angstkulisse Bernabéu-Stadion“. Nach früher Führung sowie einem anschließenden Feldverweis von Augenthaler, der „wie ein Anfänger auf eine Provokation von Hugo Sánchez einging“, schien tatsächlich „alles nach Plan zu laufen“. Wäre nicht Torhüter Pfaff gewesen. Von der Fankurve der Ultra Sur „mit Eisenstangen, Knüppeln, Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen“, verhielt es sich schlicht so, dass ein Jean-Marie Pfaff, wie er den königlich erbleichten Reportern nach Spielschluss in den Block diktierte, „persönlich nicht weiß, was Angst ist“. Die spanische Überschrift nach dem unbefriedigenden 1:0 las sich dementsprechend: „Pfaff schockiert die Angstkulisse.“ Von Maier vorbereitet, wird mit der „außergewöhnlichen Leistung Pfaffs“ der Torwart endgültig zur „emblematischen Figur der Bayern“ (Javier Marías). Kaum zu bezwingen, furchtlos und durchaus unsympathisch, wagt er es gar, die tabufreien Fans der Ultra Sur „mit obszönen Gesten zu provozieren.“ Bereits das Folgejahr bot die Gelegenheit zur Revanche. Doch als Madrid nach 46 Minuten Münchner Schneegestöber erneut 3:0 in Rückstand lag, sah sich das Spiel vom „Schatten einer weiteren verheerenden Niederlage in deutschen Landen verdunkelt“. Zwei späte Schelmenstreiche eröffneten indes erfreulichste Rückspielperspektiven; einer von Butrageño, der andere von Hugo Sánchez. (…) Die Geschichte der beiden ist überlagert von Spannungen, Ellbogenchecks und Tritten ins Gesicht. Erwartungsgemäß kam es zu „einer Begegnung am Rande des Reglements, dessen überhitzte zweite Halbzeit von den Beteiligten vor allem dazu genutzt wurde, offene Rechungen zu begleichen“. Allen voran Hugo Sánchez. Mit einem Sprung, „der nur ein wenig kürzer war als der eines Edelmannes, hinterließ Hugo einen Stollenabdruck auf dem Oberkörper von Pfaff, womit es ihm gelang, die grimmige Gesinnung der Deutschen auf ein einziges Ziel zu konzentrieren: Fortan wetteiferten Augenthaler, Eder und sogar Flick darum, dem Mexikaner eine Kugel in den Leib zu jagen. Die Partie endete deshalb wie ein Western… Bayern war in Hugos Falle getappt.“ Mit dem 2:0-Heimsieg war die Bestie erstmals bezwungen, der Mythos bekräftigt. Zum Bild der schlechten bayerischen Verlierer, das sich mit den Ereignissen des Jahres 1988 verfestigt, trug insbesondere Torwart Pfaffs skandalöse Verweigerung des Trikottausches mit Butrageño bei. Als der Belgier vor der Partie erklärt hatte, neben Maradona und Platini auch das Trikot von Butrageño in seine Privatsammlung aufnehmen zu wollen, wurde das als Versöhnungsangebot hoch gewürdigt. Doch als selbiger Pfaff „nach Abpfiff damit beschäftigt blieb, den belgischen Schiedsrichter zu beschimpfen“, Butrageño hingegen „genügend Taktgefühl besaß, sein Trikot dem Zeugwart zu geben, um den Austausch doch noch zu ermöglichen“, bekam der Hausgott des Madridismo das Trikot seines ebenso unbedeutenden wie „klettengleichen und überharten Bewachers Hansi Flick“ zurück in die Kabine gesandt. Eine beispiellose, bis heute unvergessene Ehrlosigkeit. (…) Jahr auf Jahr erschien „der Torhüterfels“, „der rothaarige Hitzkopf mit dem Gesicht einer Eidechse“, „gestenlos, mit zusammengekniffenen Augen, blonder Mähne und einem Pony, der fahl auf seine Stirn fällt“, vor der Angstkulisse, „befähigt, jeden Ball zu halten“, während seine Geistesbrüder der neuen Mittelachse, Effenberg („mit dem Haupt eines Raubtiers und der Stimme eines Jünglings“) sowie Carsten Jancker („ein Schrank von fast zwei Metern, bei dem man instinktiv den Gehsteig wechselt, wenn man ihn nachts auf Madrider Straßen begegnet“), „das lebendige Ebenbild der Bayern, das Paradigma ihrer unzweideutigen Absichten“ bildeten.“ (alle Ziate El Paìs)

Man hat ihn nicht aus der Repräsentation gelassen

Albert Ostermaier (FAS 29.2.), Dichter und Torwart, interpretiert das Sein Oliver Kahns: „ Kahn ist zu einer Metapher für Deutschland geworden. Er verkörpert alle deutschen Tugenden: Ehrgeiz, Disziplin, Präzision, Willenskraft. Er sieht aus wie ein Deutscher. Er hat sich dagegen gewehrt, auszusehen wie ein Deutscher. Man hat ihn nicht aus der Repräsentation gelassen. Er ist unser einziger Weltklassespieler. Er steht für Deutschland in der Welt. Aber: Er ist ein Torwart. Deutschland ist nicht mehr Netzer, nicht mehr Beckenbauer. Es öffnet nicht die Räume, schlägt nicht den genialen Paß, kennt nicht die Offensive, die Kreativität, den Mut nach vorne. Deutschlands Superstar steht für die Null, die Bewahrung des Ist-Zustandes, die Abwehr vor jeder negativen Veränderung, die Sicherheit. Das ist die Qualität von Kahn, das ist das Manko von Deutschland. Ein Torwart kann ein Spiel nicht alleine gewinnen, ein Torwart kann alleine ein Unentschieden erzwingen. Während die anderen drei Punkte machen, machen wir einen. Der Torwart hält den Rücken frei. Stürmen müssen die anderen, riskieren, gewinnen. Deutschland kommt nur schwer aus der Defensive. Es muß wieder entschieden nach vorne spielen.Niemand gibt Bayern eine Chance für das Rückspiel. Auch Madrid hat einen Torwart. Er ist auf dem Höhepunkt seines Könnens. Wenn er zum Helden taugt, wird Bayern gewinnen.“

Die Kölner Posse beobachtend grinst Gregor Derichs (BLZ 4.3.): „Der drohende dritte Abstieg nach 1998 und 2002 hat beim 1. FC Köln heftigste Verwerfungen ausgelöst. Seit Dienstagabend steht der Klub nach schweren internen Machtkämpfen vor einem Scherbenhaufen. Der Versuch von Wolfgang Overath, per Handstreich die Vereinsführung zu übernehmen, scheiterte. Das war mein letzter Versuch, eine Aufgabe im Klub zu übernehmen und dem FC zu helfen. Das Thema hat sich für mich erledigt, erklärte der 60-Jährige. Overath hatte darauf bestanden, dass der amtierende Präsident Albert Caspers unverzüglich abgelöst wird – und er selbst die Führung übernimmt. Nun machen sich alle Streitparteien einen Sport daraus, sich in gegenseitigen Vorwürfen zu übertreffen. Overath sollte mit weit reichenden Kompetenzen ausgestattet werden. Doch er strebt nur das Präsidentenamt an und erwartet, dass ich zurücktrete. Das mache ich nicht, sagte Caspers. Der 71-Jährige, einst Vorstandsvorsitzender der Ford Deutschland AG, gilt nach dem Putschversuch als demontiert. Sogar Oberbürgermeister Schramma hatte für Overath Partei ergriffen und Caspers in Frage gestellt. Es brennt an allen Ecken und Enden beim FC, und längst ist auch die Mannschaft betroffen. Bevor der Klub eine schriftliche Erklärung zum Fall Overath an die Medien schickte, war bereits eine Stellungnahme der Spieler verbreitet worden. Sie stellen mit Nachdruck fest, dass die Darstellung falsch ist, dass sich die Mannschaft zum Geheimtreffen mit dem Ziel versammelt habe, die Arbeit von Trainer Marcel Koller oder dessen Autorität in Frage zu stellen, hieß es. Auch Meldungen, wonach man in Zukunft taktische Vorgaben des Trainers nicht beachten werde, seien falsch. Aber es ist kein Geheimnis, dass solche Dementis Nachrichtenwert haben. Ohnehin ist der Widerstand einiger Profis gegen den Trainer verbürgt. In der Halbzeit gegen 1860 München reagierte der ausgewechselte Christian Springer schwer verärgert – allerdings war nicht beabsichtigt, dass der Protest öffentlich wurde. Nun muss Sportdirektor Andreas Rettig also auch noch den Maulwurf im Spielerkreis suchen.“

Die Lichtgestalt hat minge Eff-Zeh einen Bärendienst erwiesen

Jörg Stratmann (FAZ 4.3.) fügt hinzu: „Man kann den Verantwortlichen dieses rheinischen Klubs allerlei vorwerfen. Daß der erste Bundesligameister mittlerweile vor dem dritten Abstieg innerhalb von sechs Jahren steht, kann nicht nur sportlicher Zufall sein. Man hat den Niedergang oft mit der landestypischen Sicht der Dinge begründet, die so oft in die Selbstüberschätzung abgleitet. Doch unter seinem Präsidenten Caspers, dem ehemaligen Ford-Vorstandsvorsitzenden, hat der 1. FC Köln sich immerhin wieder einen Ruf erarbeitet, mit dem die Wirtschaft angesprochen wurde, mit dem ein prächtiges Stadion gebaut werden konnte und der ein mitunter ganzjährig karnevalistisch anmutendes Narrenschiff in ruhige Fahrwasser lenkte. Nur hat die Gratwanderung, mit dem wirtschaftlich Machbaren auch noch sportlich an alte Größe anknüpfen zu wollen, nicht zum erhofften Ziel geführt. Da war der Vorstoß alter Kämpen wie Overath samt Freunden, in Sorge ums Vereinswohl kurz vor dem abermaligen Abstieg helfen zu wollen, verständlich. Klug war er nicht. (…) Er wolle keine Unruhe in den Verein bringen, hatte Overath gesagt. Doch am Samstag setzte es eine womöglich entscheidende Niederlage, dazu wurden die Klubverantwortlichen ohne Not beschädigt. Neuerdings ist sogar wieder der Trainer im Gerede. Bislang hat die Lichtgestalt minge Eff-Zeh einen Bärendienst erwiesen.“

Christoph Biermann (SZ 4.3.) ergänzt: „Selbst in der an bizarren Vorfällen reichen Geschichte des 1. FC Köln, hatte es das noch nicht gegeben: Am Mittwoch vor einer Woche war Wolfgang Overath, 81-maliger Nationalspieler, Weltmeister und Legende des Kölner Fußballs, bei seinem Klub vorstellig geworden, um den Verantwortlichen mitzuteilen: ¸¸Guten Tag, ich würde dann mal den Laden hier übernehmen. Das sagte er nicht wörtlich so, und es war einer seiner Abgesandten, der zu Präsident Albert Caspers sprach: ¸¸Treten Sie zurück. Jetzt! Sechs Tage später endete dieser Vorstoß in einem Nichts aus Vorwürfen und zerdeppertem Porzellan. ¸¸Der Titel Präsident hat Overath den Blick verstellt, teilte Caspers mit. ¸¸Das war unterste Sohle, sagte Overath, weil sich der Klub angeblich entgegen der Absprache zu diesem Fall äußerte. Nun könnte man meinen, dass Overath von Hybris angetrieben oder gar aus ökonomischen Gründen seinen wohl nur Putschversuch zu nennenden Vorstoß unternommen hat. Doch einerseits ist er wirtschaftlich unabhängig und hätte andererseits im Laufe der letzten Jahre mehrfach wichtige Ämter beim 1.FC Köln übernehmen können. Caspers wurde 1997 nur deshalb Präsident des Klubs, weil Overath damals nicht wollte. So geht es weniger um Overath, als um die in Köln nicht nur beim Fußball übliche Vermischung von Sachentscheidungen mit Folklore und Gemauschel. (…) Caspers und Manager Andreas Rettig waren bereit, ihn einzubinden, zumal es im Sportlichen kaum Argumente für sie gibt. Und vielleicht mag die Begegnung mit einem Weltmeister von 1974 auch heute noch den ein oder anderen Profi beeindrucken, mit Sicherheit aber gestandene Geschäftsleute und Freunde des Klubs. Deshalb war es auch kein Taktieren, dass Overath vorgestern gleich drei unterschiedliche Posten angeboten wurden: Vizepräsident des Gesamtvereins, Bevollmächtigter des Vorstands, Geschäftsführer und Vorsitzender der Geschäftsführung der Verwaltungs GmbH. ¸¸Ohne ihn wäre keine einzige Entscheidung gefallen, kein Transfer erfolgt, kein Vertrag verlängert worden, nichts, sagte Rettig. ¸¸Er hätte das alleinige Sagen im sportlichen Bereich gehabt, sagte Caspers. Selbst Overaths drei Spannmännern hätte der Klub Unterschlupf gewährt. Doch Overath wollte alles. Er bestand darauf, Präsident des 1. FC Köln zu werden, und vielleicht muss man doch von Hybris reden. Sicherlich aber von fragwürdigen Einflüsterungen mächtiger Männer in Medien und Politik, von alten Seilschaften, die eigentlich überwunden schienen. Auch wenn dem FC in dieser Saison sportlich wahrlich nicht viel gelungen ist, zumindest davon hatte er sich unter Caspers Leitung befreit. Als Unternehmen präsentiert sich die 1. FC Köln GmbH Co KgaA daher gut strukturiert und wirtschaftlich gesund. Und sollte es für die Fans des Klubs in dieser Saison auch nur eins zu feiern geben, dann ist es, dass ihr Klub nicht wieder in die Strudel des Kölschtums geraten ist. Aber, Sieger hat es in diesen Tagen trotzdem keinen gegeben, nur etliche Verlierer.“

Tsp-Interview mit Peter Neururer über Olisehs Gewalt

Sie sind fröhlich und verletzbar

Michael Reinsch (FAZ 3.3.) hat zwei sehr interessante Studien über Nachwuchssport gelesen: „Die Chance auf eine große Karriere ist um so höher, je später ein Athlet sich (innerhalb eines realistischen Zeitrahmens) ausschließlich für seine Disziplin und für intensives Training entscheidet – womöglich nach jahrelanger Erfahrung in einer anderen Sportart. Emrich, der Sportwissenschaftler Arne Güllich und der Pädagogik-Professor Robert Prohl berufen sich auf das Recht des Kindes auf Gegenwart. Nicht in erster Linie Training braucht ein Kind demnach, sondern eine breite motorische Ausbildung – und ein Selbstbewußtsein, mit dem es Rückschläge und sogenannte Durststrecken überwinden kann. Unter der Devise Erfahrung statt Belehrung empfiehlt Güllich, nicht allein frühzeitige Talentsuche, sondern auch Talent-Recycling, sprich: Hilfe beim Wechsel der Sportart. Die Frankfurter wie die Bremer Wissenschaftler raten dringend dazu, Nachwuchstrainer nicht für kurzfristige Erfolge zu belohnen, die sie mit frühreifen Athleten erreichen können, sondern statt dessen Anreize dafür zu schaffen, daß ihre Talente durchhalten bis zur Aufnahme in einen Bundesliga- oder Olympiakader. Die Fragebogen von Emrich, Prohl und Güllich wurden von 787 LeistungssportlerN von D- bis A-Kader beantwortet. Unter ihnen befinden sich 103 Medaillengewinner bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Die Wissenschaftler sind Sportkenner, ihre Erkenntnisse praxisorientiert. Harttgen ist am Nachwuchs-Leistungszentrum von Werder Bremen beschäftigt, sein Doktorvater Milles ist Präsident des Bremer Tischtennis-Verbandes. Sie befragten schriftlich 331 Fußballspieler der ersten A-, B- und C-Jugendmannschaften von sieben Bundesliga-Vereinen, Spieler im Alter von 13 bis 19 Jahren. Knapp zwei Drittel spielen in ihrer Landesauswahl, jeder dritte in der Nationalmannschaft seiner Altersklasse. 92 Prozent von ihnen gaben an, daß sie unbedingt Profi werden wollen. Eines der Probleme dieser Fußball-Talente: Wer sich nicht auf den Fußball konzentriert, verpaßt den Anschluß und gibt nicht alles für das hoch angesehene Ziel. Die Orientierung auf die Bundesliga allein wird Voraussetzung dafür, daß Spieler die Bundesliga überhaupt erreichen können. Andere gesellschaftliche Bezüge und Wertsetzungen erscheinen als irrelevant und überflüssig. Was aber, wenn es nicht klappt mit dem Vertrag in der ersten Klasse? Dann habe ich verschissen, dann gibt es mich nicht mehr! antwortete einer. Milles und Harttgen zitieren in ihrer Untersuchung einige solcher Antworten und illustrieren damit eine geradezu verzweifelte Einseitigkeit im Leistungsstreben. Dann bringt mich mein Vater um, schrieb ein anderer Fußballspieler. So stark Selbstbezug und Selbstwert ausgeprägt sind – schließlich haben die Befragten die begehrtesten Plätze am Fuß der Karriereleiter inne –, vertrauen sie sich und ihren Fähigkeiten doch nicht. Die übermächtige Zukunft beherrscht die Gegenwart des Nachwuchses durch Ängste, Selbstzweifel und Frustration. In der Tendenz geben die jungen Fußballspieler an, sich nicht als Versager zu fühlen, und haben doch Angst zu versagen. Sie geben an, Probleme zu meistern und zugleich auch leicht den Kopf zu verlieren. Sie haben ihrer Meinung nach eine sichere Einschätzung und entschuldigen sich oft. Sie wollen kein Niemand sein und haben wenig Achtung vor sich. Sie sind fröhlich und verletzbar. Sie haben keine Furcht und keine selbstbewußte Meinung, stellen Milles und Harttgen heraus. In der starken Irritierbarkeit schlägt sich die starke Widersprüchlichkeit in dem sportlichen, auf die Bundesliga fixierten Selbstkonzept nieder. Zwischen möglichem Ruhm und aktueller Leistung liege eine riesige Distanz, welche die jungen Spieler nicht aushielten, sagt Milles.“

Daniel Theweleit (FTD 4.3.) berichtet Palästinas Suche nach Nationalspielern: „Nicht „Deutschland sucht den Superstar“ heißt das Motto dieses Castings, sondern „Der Palästinensische Fußballverband ruft seine Spieler“. Am vergangenen Montag war eine Anzeige im „Kicker“ so überschrieben, und weiter unten hieß es, „alle interessierten palästinensischen/palästinensisch-stämmigen Fußballer sind herzlich zu Tests in Wiehl bei Köln eingeladen“. Damit haben die Initiatoren Träume geweckt, die zunächst einmal von elf Spielern aus Schweden und einem aus Deutschland geträumt werden – sie demonstrieren am ersten Tag des Castings ihre Vorzüge. „Vielleicht geht hier ein ganz großer Wunsch in Erfüllung“, sagt Said Mekahal, der in der dritten schwedischen Liga spielt. Der schüchterne Mann legt seine Hand auf die palästinensische Flagge, die auf seiner Trainingsjacke prangt und sagt: „Ich gebe mein Bestes, der Rest liegt in der Hand von Allah.“ In der Hand von Riedl wäre wohl richtiger, denn der bildet die sportliche Führung eines groß angelegten Projektes. „Wir suchen Spieler, die uns helfen können, keine, denen wir helfen sollen“, verkündet er kühl. Denn natürlich stecken hinter dem Projekt auch politische Interessen. Völkerrechtlich gibt es keinen Staat Palästina, trotzdem wurde das Land 1998 vom Fußballweltverband Fifa aufgenommen. Es ist also eine Nationalmannschaft ohne Nation, was die Bedeutung des Teams noch erhöht. Taysir Barakat, ein erfolgreicher Reiseunternehmer aus Kuwait mit palästinensischen Vorfahren, hat eine Gruppe reicher Geschäftsleute um sich geschart, die den Fußballern zum Erfolg verhelfen soll. Man hofft auf weltweite Aufmerksamkeit, auf positive Schlagzeilen über Palästina, die gegenwärtig so rar sind wie Eis in der Wüste. „In den vergangenen Jahren gab es für die Palästinenser nichts zu lachen, wir wollen ihnen ein Lächeln schenken. Und vor allem auch einmal Aufmerksamkeit, die nichts mit Attentaten zu tun hat. Das ist auch schon gelungen. Barakat erzählt es so: Normalerweise, wenn in Fernseh-Nachrichtenkanälen „Breaking News“ gesendet werden, dann seien Menschen umgekommen oder Häuser zerstört worden. „Als wir aber im Februar mit 8:0 gegen Taiwan gewonnen haben, wurde jedes Tor als ‚Breaking News‘ vermeldet, positive ‚Breaking News‘ gab es noch nie. Wir haben das gleich achtmal geschafft.“

Wolfgang Hettfleisch (FR 4.3.) meldet: „Wo war Rudolph Brückner? Als DSF am Sonntag um Elf live zum Fußballtalk Doppelpass ins Kempinksi-Hotel am Münchner Flughafen schaltete, begrüßte anstelle des DSF-Chefmoderators Kollege Frank Buschmann Zuschauer und Gäste. Nun sind derlei Vertretungen nicht ungewöhnlich. Doch die Sportbild war mal wieder besser informiert und verkündete, dass hinter Brückners Absenz mehr steckte als Skiurlaub oder ordinäre Grippe: Zwei Tage vor der Sendung hatte das DSF dem verdienten Frontmann, der einst auch dessen Chefredakteur war, den Laufpass gegeben. Brückners zum 30. Juni auslaufender Vertrag wird nicht verlängert. Statt seiner wird sich von der kommenden Saison an TV-Passepartout Jörg Wontorra mühen, Fachjournalisten und Fußball-Promis auf den roten Plüschsesseln zu grillen. Aufschlussreicher als die nackte Nachricht sind die Begleitumstände der überraschenden Umbesetzung. Denn Brückner, den alle Welt Rudi ruft, geht nicht aus freien Stücken. Das Angebot zur Vertragsverlängerung, das der Sportsender seinem sonntäglichen Anchorman unterbreitet hatte, sei finanziell so dürftig gewesen, dass er es logischerweise nicht annehmen konnte, sagt der 48-Jährige. Während er die Summe nicht nennen will, wird auf den Fluren des Senders in Ismaning lästerlich kolportiert, dass Wontorra künftig womöglich als Tagesspesen abrechnen könnte, was Brückner als Monatssalär angeboten worden war. Wie auch immer. Jedenfalls fühlt sich Brückner hintergangen und aus dem Job gemobbt: Verträge laufen aus, dagegen ist nichts zu sagen. Aber die Frage ist immer, wie man so etwas macht. Es ist kein Geheimnis, dass DSF-Geschäftsführer Rainer Hüther und Brückner nicht miteinander können.“

Künstliche Verlängerung der Pubertät

Christoph Biermann (taz 4.3.) notiert Christian Hochstätters (Sportdirektor Borussia Mönchengladbachs) Plaudereien aus dem Nähkästchen: „So wurde zu Zeiten von Jupp Heynckes als Trainer am Bökelberg freitags vor Heimspielen stets Kinogeld verteilt. Damit ausgestattet zogen die Filmfreunde im Team gemeinsam los, um am Abend vor dem Spiel ins Kino zu gehen. Oder genauer: Sie taten es nicht. Nur Jungprofi Hochstätter saß vor der Leinwand, nachdem er seine Kollegen bei ihren Frauen, Freundinnen oder Geliebten abgeliefert hatte. Nach dem Kino sammelte er sie wieder ein und erzählte auf dem Rückweg den Film, damit sie auch was zu sagen hatten, wenn Heynckes fragte, wie es denn gewesen wäre. Man muss sich das Leben von Profifußballmannschaften wohl wie eine künstliche Verlängerung der Pubertät vorstellen. Die Gruppendynamiken entsprechen ungefähr denen von Schulklassen, und ähnlich schlicht ist der Humor strukturiert, weshalb immer wieder etwas eine Rolle spielt, das man am besten mit dem altväterlichen Begriff Streiche spielen umschreibt. Und in Mönchengladbach war ein großer Streichespieler offensichtlich der Miller, wie Hochstätter den Stürmer nannte, den wir alle als Frank Mill kennen. Der Miller also schickte einmal einen Spieler, der zum Probetraining gekommen war und sich dazu umziehen wollte, aus der Kabine in einen Nebenraum, der dafür vorgesehen sei. Der junge Mann fand dort auch einen Trainingsanzug vor und zog ihn an, als die Tür aufflog und Jupp Heynckes empört rief, was er denn im Trainerzimmer machen würde. (…) So richtig lustig ist das Fußballerleben nicht mehr. Dazu ist die ganze Angelegenheit viel zu ernst geworden, und wer schmiert mittwochs vergnügt Zahnpasta auf Türklinken, wenn ständig signalisiert wird, dass samstags Überlebenskämpfe zu bestreiten sind. Also gibt es heute keinen Pubertätszuschlag für Profis mehr. Und wenn doch, in ganz anderer Form, wie Hochstätters ehemaliger Mannschaftskameraden Jörg Neun erleben musste, als er bei einem benachbarten Zweitligisten gemütlich dem Ende seiner Karriere entgegenkickte. Da übernahm ein neuer Coach, dessen Trainingsbeginn früh um acht Jörg Neun schon arg grenzwertig fand, noch mehr aber, auf einem Bein stehend mit der rechten Hand am linken Ohrläppchen ziehend die Energien zu wecken. Irgendwann wurden er und seine Kollegen von ihrem esoterischen Trainer bei einem Waldlauf dazu aufgefordert, sich jeder einen Baum zu suchen, ihn zu umarmen und seine Kraft zu spüren. Das war für Neun, der in seiner Karriere bestimmt viel Unsinn gemacht hatte, des Guten zu viel. Unter diesen Bedingungen mochte er kein Fußballprofi mehr sein. Bäume umarmen, nicht mit ihm! Er gab seinen Vertrag zurück, hörte mit dem Fußballspielen auf und begann endlich ein Erwachsenenleben.“

Uefa-Cup-RückspieleNZZ

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Englands Fußball schweigt zum Krieg

„Dass sich der moderne Fußball mehr und mehr von der Welt abnabelt und eine eigene bildet“, findet Erik Eggers (taz 3.4.) durch die Analyse der momentanen Sprachlosigkeit des englischen Fußballs angesichts der Kriegsbeteiligung bestätigt. „Der ergriffene Leitartikler der Evening Post ließ nach dem Kriegseintritt der Engländer anno 1914 keine Zweifel aufkommen. Jetzt ist keine Zeit für Fußball, so das Credo, die Nation hat sich um wichtigere Dinge zu kümmern. Die jungen Männer, welche Fußball spielen, und die jungen Männer, welche zuschauen, haben Besseres zu tun. Das Vaterland ruft sie. Sie sind aufgefordert, am großen Spiel teilzunehmen. Dies Spiel ist der Krieg, auf Leben und Tod. Zuvor schon hatte die noble Times gedichtet: Der Hauptmann sagt, kein Tor wiegt das jemals auf, was nun benötigt wird. Zieh die Sportjacke und die Mütze aus. Das bezahlte Fußballspiel galt also als unpatriotisch in einer Zeit, in der die ersten Freiwilligen auf den flandrischen Feldern fielen. Die englische Football Association (FA) beugte sich dem Zeitgeist – und stellte Plätze und Stadien militärischen Zwecken zur Verfügung. Doch der Spielbetrieb lief vorerst weiter. Fortan aber stand der Generalverdacht des Vaterlandsverrates im Raum. Selbst dann noch, als sich in den folgenden Monaten 2.000 von 5.000 britischen Berufsspielern freiwillig zur Front meldeten und sich dort teilweise in reinen Fußballbataillonen wiederfanden. Ein Regiment wurde später berühmt, weil es bei Sturmangriffen durch das Niemandsland Fußbälle vor sich her trieb. Erst die Einstellung des Ligabetriebs am Ende der Saison 1914/15 beruhigte die Kritiker an der Heimatfront. Und diese Erfahrungen wirkten nach: Als Hitler-Deutschland im September 1939 den Zweiten Weltkrieg provozierte, ruhte der Ball auf der Insel unverzüglich. Wie aber reagiert der britische Fußball heute? Die Lage stellt sich völlig anders dar. Der britische Fußball wirkt vielmehr geradezu autistisch: Nichts in den Stadien deutet darauf hin, dass parallel zum Spiel ein Krieg mit britischer Beteiligung stattfindet, kein Transparent, kein T-Shirt unter dem Trikot eines Profis, keine friedensfordernde Gesichtsbemalung eines Zuschauers. Allenfalls indirekt: Den Kommentatoren, die sonst allzu gern das klare Vokabular des Krieges zur journalistischen Zuspitzung benutzen, verzichten nun darauf. Und auf den Sportseiten der großen englischen Zeitungen keimt keinerlei Diskussion.“

Leeds United vor der Insolvenz?

Raphael Honigstein (FTD 3.4.) berichtet. „Wenn der neue Vorstandsvorsitzende eines englischen Traditionsklubs wie Leeds United bei seinem Antritt erklärt, dass für ihn nicht der sportliche Erfolg, sondern ausgeglichene Bilanzen die absolute Priorität haben, läuten bei den Anhängern gemeinhin die Alarmglocken. Auch John McKenzie, ein 65-jähriger Universitätsprofessor ohne jegliche Fußballerfahrung, wird angesichts von 79 Mio. £ (114 Mio. Euro) Schulden das weiterführen müssen, womit sein Vorgänger Peter Ridsdale am vergangenen Wochenende aufgehört hat: mit dem systematischen Ausverkauf einer sehr talentierten Mannschaft. McKenzies Namen wird im Stadion an der Elland Road so schnell niemand singen, aber für den Klub dürfte die Amtsübernahme durch den ehemaligen Rektor der Liverpooler Universität und Wirtschaftsexperten keine Sekunde zu früh kommen. Ridsdale hatte Leeds seit 1997 mit Bravour, aber ohne jegliche Rücksicht auf schwarze Zahlen in der Bilanz erst zum englischen, dann zum europäischen Spitzenteam hochgezüchtet. Die Mannschaft konnte 2001 bis ins Halbfinale der Champions League vorstoßen. Nachdem jedoch in den letzten Jahren die Qualifikation für die europäische Königsklasse verpasst wurde, konnte sich der Klub sein Starensemble nicht mehr leisten. Rio Ferdinand, Robbie Keane, Robbie Fowler, Lee Bowyer und Jonathan Woodgate wurden für insgesamt 56 Mio. £ veräußert. Dennoch machte die Aktiengesellschaft Leeds plc im vergangenen Halbjahr immer noch einen Verlust von über 17,2 Mio. £ – kein britischer Fußballklub hat je rote Zahlen in solcher Höhe melden müssen.“

Gewinnspiel für Experten

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Zur Lage in Leverkusen

„Anfängerfehler“, lautet die wohlwollendste Bilanz Kohlers erster Wochen

Frank Schneller (FTD 8.5.) kritisiert die Verpflichtung Jürgen Kohlers. „Calmund hatte sich offenbar nicht genügend über Kohlers Reputation informiert und auch dessen Kompetenzen innerhalb des ohnehin überbesetzten Bayer-Führungsstabs nicht klargemacht. Der DFB jedenfalls hatte seinen U-21-Trainer ohne weiteres aus einem bis 2007 laufenden Vertrag herausgelassen. Man war von der Arbeit und Menschenführung im Umgang mit dem jungen Personal nicht mehr überzeugt. „Mit mir hat er monatelang kein Wort gewechselt“, sagt ein U-21-Nationalspieler, der aktuell auch in der Bundesliga große Aufmerksamkeit erregt. Kein Einzelfall: Als die Kunde von Kohlers Jobwechsel Leverkusen erreichte, hielt sich die Begeisterung der dort unter Vertrag stehenden Jungnationalspieler, die unter Kohler gedient hatten, in Grenzen. Schon nach seiner zweiten Arbeitswoche war es mit der Euphorie vorbei. Nach der 0:3-Niederlage in Stuttgart nämlich distanzierte sich der Welt- und Europameister plötzlich deutlich von der Mannschaft: „Man müsste eigentlich alle 18 wegschicken.“ Seitdem begegnen die Kicker dem ehemaligen Vorzeigeprofi zunehmend argwöhnisch. Kohler düpierte nicht nur die Spieler. Interimstrainer Thomas Hörster regierte er ohne Absprache in den Trainingsplan hinein und nahm eine vom Coach abgesetzte Übungseinheit wieder auf den Dienstplan. Torhüter Jörg Butt verunsicherte ein publik gewordener Anruf Kohlers beim Cottbuser Schlussmann André Lenz. Ganz nebenbei ließ der neue Sportdirektor sämtliche Vertragsverhandlungen mit dem Leverkusener Trainerstab stoppen – womit er nach Hörster auch dessen Zuarbeiter Peter Herrmann und Ralf Minge gegen sich aufbrachte. Kohlers Akzeptanz besonders abträglich war das Theater um Alttrainer Udo Lattek, seinen „väterlichen Freund“, den der Berufseinsteiger als Retter ins Gespräch gebracht hatte und damit ein mehrtägiges Medienspektakel um Halbwahrheiten, Anschuldigungen und Eitelkeiten. Das vergraulte die Bayer-Chefetage. „So was klärt man intern“, kritisierte der Sportbeauftragte des Konzerns, Meinolf Sprink. „Anfängerfehler“, lautet die wohlwollendste Bilanz Kohlers erster Wochen aus Sicht der Leverkusener Führungsetage. Das dürfte untertrieben sein: Anstatt den schwer angeschlagenen Calmund zu stützen, bescherte er dem „XXL-Manager“ nur noch größere Scherereien, indem er ihn in die unheilvolle Posse um Lattek hineinmanövrierte.“

Wir-Gefühl mit der großen Mutter Bayer

Jörg Stratmann (FAZ 8.5.) skizziert die Sponsorentätigkeit der Bayer AG, dessen Fußballbeauftragter Meinolf Sprink, „der auch nach innen den Eigentümern der AG die Absonderlichkeiten des Geschäfts mit dem Fußball vermitteln mußDaß es eben anders funktioniert als die Düngemittelbranche oder der Arzneimittelhandel. Vor allem die ungewohnte Schnelligkeit der Ereignisse muß er den Herrschaften im Konzern oft übersetzen. Zum Beispiel das Phänomen, daß ein Finalteilnehmer der Champions League keine zwölf Monate später derart in Bedrängnis geraten konnte und auf dem Weg dahin den Trainer des Jahres entließ. Bis dahin war ein weiter Weg, seit Carl Duisberg, der Direktor der Farbenfabrik Friedr. Bayer Co. im Jahre 1904 über den am 1. Juli gegründeten allerersten Werksverein TuS 04 befand, man brauche etwas Verbindendes zwischen den verschiedenen Kategorien der in unserer Firma tätigen Beamten und Arbeiter. Seitdem, so lautet ein Grundsatz, ist der Breitensport mit seiner enormen integrativen Kraft eine der drei Säulen des Bayer-Sports neben dem Leistungssport und dem Behindertensport geblieben. Vor allem damit habe sich, heißt es, ein Wir-Gefühl mit der großen Mutter Bayer entwickelt. Den gemeinnützigen Vereinssport läßt sich die AG jährlich fast 14 Millionen Euro kosten, verteilt auf ihre 29 Klubs im Dunstkreis der vier Werksstandorte Leverkusen, Dormagen, Uerdingen und Wuppertal mit insgesamt 55 000 Mitgliedern, die 50 Sportarten betreiben, unterstützt von 200 hauptamtlichen Mitarbeitern, darunter ein Drittel Trainer. Die größten Vereine sind der TSV Bayer 04 Leverkusen mit 11 000 Mitgliedern und der Schwimmverein Bayer Uerdingen, dem 10 000 Sportfreunde angehören. Dabei wird nicht verschwiegen, daß der Sport, anders als die Chemie, glänzend geeignet ist, mit einer breiten Öffentlichkeit zu kommunizieren. Im Zeitalter des Marketings, dessen Kind der Sportbeauftragte hörbar ist, dient Bayer-Sport weitab aller Vereinsmeierei als Identifikationsobjekt und Werbeträger mit einem streng an Kosten und Nutzen orientierten Sponsoring auf Basis moderner Strategien. Also keine Spur mehr von großzügigem Mäzenatentum.“

Bayer Leverkusen hat sich gegen den Abstieg versichert SZ

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TSG Hoffenheim

TSG Hoffenheim, Regionalligist mit einem Milliardär im Rücken und auf dem Weg nach oben – Freddy Adu, hochbegabter Weltstar der Zukunft? – FR-Interview mit Wolfgang Niersbach über den Ticketverkauf bei der WM 2006 – FR-Interview mit Bernd Stange über die Todesgefahr im Irak

Die Hoffenheimer Verhältnisse sind speziell, dörflich und weltmännisch zugleich

Michael Ashelm (FAS 30.11.) untersucht das Erfolgsmodell der TSG Hoffenheim, Gegner Bayer Leverkusens im DFB-Pokal: „Was heißt hier Hoffenheim? Hoppenheim wäre viel passender. Denn dieser Mann ist allgegenwärtig. Und am besten würde man gleich den ganzen Ort nach ihm benennen. Dietmar Hopp. Milliardär, Mitbegründer der Softwareschmiede SAP und leidenschaftlicher Sportsfreund. Im Wald oberhalb der 3000-Seelen-Gemeinde steht seine Arena und spielt seine Mannschaft, purer Luxus in der dritten Fußball-Liga. Als die Mannschaft der Turn- und Sportgemeinschaft vor zwölf Jahren in die Kreisklasse abgestiegen war, entdeckte der heute Dreiundsechzigjährige das Interesse an dem Verein, bei dem er als Junge selbst gekickt hat. Heute gehört das Team zu den besten Mannschaften der Regionalliga Süd und erwartet im Achtelfinale des DFB-Pokals den Bundesligaklub Bayer Leverkusen. Hopp ist Ehrenmitglied, gibt das Geld und sorgt dafür, daß das Rad nie stillsteht – bei Deutschlands reichstem Dorfverein.Das neueste Projekt entsteht gerade an der Ortsdurchgangsstraße, nur ein paar hundert Meter von dem Haus entfernt, wo der Lehrersohn aufwuchs. Ein neues Trainingszentrum für die erste Mannschaft. Ein moderner einstöckiger Bau mit viel Stahl, Glas und Granit. Die 15 Doppelzimmer für die Spieler in der ersten Etage, die vor einem Spielwochenende als Trainingslager bezogen werden sollen, sind schon fertig. Auf der Rasenanlage hinter der Herberge wird schon geübt. Im Januar kann es hier richtig losgehen.Wirkliche Grenzen sind der Entwicklung nicht gesetzt, schon morgen könnte Hopp Ronaldo kaufen, wenn er wollte.Was ihm seine vielen Freizeitaktivitäten wert sind, hat der Milliardär schon eindrücklich bewiesen. Hopp holte vor einigen Jahren als erster den amerikanischen Golfstar Tiger Woods nach Europa, auf seinen Platz nach St. Leon-Rot, zwanzig Autominuten von Hoffenheim entfernt. 1998 rettete er den hochverschuldeten Eishockeymeister Adler Mannheim vor der Pleite.Das Geldquelle sprudelt, und viele profitieren davon. Doch hinter Hopps Großzügigkeit steckt auch beim Fußball eine Philosophie: die Unterstützung junger Talente in seiner Heimat. Im Nachbarort Zuzenhausen entstand schnell mal für vier Millionen Euro das Dietmar-Hopp-Jugendförderzentrum. Zwanzig Kilometer weiter in Walldorf, wo die SAP-Zentrale steht, wurde nachgezogen. Dort wird ein vergleichbares Projekt betrieben. Überall geht es darum, jungen Spielern auf ihrem Weg in den Profifußball Hilfe zu leisten. Die Hoppsche Lieblingsparole heißt: Bei der WM im eigenen Lande möchte ich einen Spieler in der Nationalmannschaft sehen, der in Hoffenheim groß geworden ist. Heimatverbundenheit gilt als Grundprinzip, auch für diejenigen, die das Konzept sportlich umzusetzen haben (…) Eine überbordende Maßlosigkeit soll schon im Keim erstickt werden, auch wenn von außen manchmal ein anderer Eindruck entsteht. Die Hoffenheimer Verhältnisse sind eben ganz speziell, dörflich und weltmännisch zugleich.“

Das Handelsblatt (2.12.) ergänzt: „Dass Hopp aber auch im Tagesgeschäft mit ganzem Herzen bei der Sache ist, bekam unlängst Hermann Gerland zu spüren. Als der Trainer der Amateure von Bayern München nach dem Regionalliga-Spiel in Hoffenheim aus der Rolle fiel, griff Hopp sofort zum Handy und beschwerte sich bei Franz Beckenbauer. Der Bayern-Präsident ist nicht nur Golf-Partner, sondern auch ein Freund des Milliardärs aus dem Kraichgau.“

Ein einzigartiges Gefühl für dieses Spiel

Tobias Schächter (BLZ 2.12.) befasst sich mit einem Hochbegabten: „Freddy Adu ist ein Star bei der U 20-WM, so weit so gut. Das Problem ist nur: Er ist 14. Vor zwei Wochen unterschrieb dieser Teenager in New York einen Vertrag mit der Major League Soccer. Dauer: sechs Jahre. Im Madison Square Garden zelebrierte der Verband vor 150 Journalisten den Verbleib des Immigrantenkindes aus Ghana als Triumph über die europäischen Klubs von Manchester bis Mailand. Freddy Adu ist die große Hoffnung des US-Soccers. In ihm sehen sie die Lokomotive, die Soccer in den USA endlich auf eine Ebene mit den traditionellen Sportarten heben soll. Diese Lokomotive wiegt nur 70 Kilo. Freddy Adu ist vor allem noch ein Kind. Und das Kind will nur eines: Fußball spielen. Ich liebe dieses Spiel. Ich liebe es wirklich, Mann. Hier in Abu Dhabi darf er nur im Training ran. Auch an diesem Dienstagabend, wenn die US-Boys ihre Tabellenführung in der Gruppe F gegen Uli Stielikes DFB-Auswahl verteidigen, sitzt Freddy nur auf der Bank. Rongen, der einst mit Gerd Müller in Fort Lauderdale nicht nur Fußball spielte, sondern mit dem Bomber der Nation auch so manches Steak in dessen Restaurant The Ambry verspeiste, dieser Holländer also sagt: Freddys Anwesenheit beflügelt die anderen. Aber ich werde ihn nicht verheizen. Wer die Aussage von Ray Hudson, einem US-Coach, überprüfen will (Selbst ein Blinder auf einem galoppierenden Pferd erkennt sein Talent), der muss nur zum Training kommen. Wer ihn spielen sieht, bekommt fast so große Augen wie Freddy selbst. Der beidfüßige Techniker besitzt ein einzigartiges Gefühl für dieses Spiel. Er trickst sechs Jahre ältere, körperlich ausgereifte Burschen mit Finten aus, die man glaubt, noch nie gesehen zu haben.“

FR-Interviewmit Wolfgang Niersbach, Vize-Präsident des WM-OK 2006

FR: Viele Menschen hier zu Lande wollen bei der Fußball-WM 2006 live im Stadion dabei sein. Wie kommen sie an Tickets?

WN: Wenn das Exekutivkomitee der Fifa so entscheidet, wie wir es auf der administrativen Ebene vorbereitet haben, dann können wir am Donnerstag damit an die Öffentlichkeit gehen. Danach lohnt es sich jedoch nicht, in große Hektik auszubrechen, denn der Verkauf wird frühestens Weihnachten 2004 beginnen. Wir werden eine Telefon-Hotline einrichten. Sonst brechen uns die Leitungen auseinander. Uns schwebt vor, in einer ersten Verkaufsphase zunächst zwölf Prozent der Karten in der deutschen Fußball-Familie zu verteilen. Aber das müssen wir noch mit der EU abstimmen.

FR: Dann muss man jetzt also jedem, der an WM-Tickets kommen will, den Rat geben, ganz schnell in einen Fußballclub einzutreten?

WN: Da ja allgemein bekannt ist, dass einige Vereine 50 000 und mehr Mitglieder haben, garantiert das auch kein Ticket. Die Verteilung der Eintrittskarten wird mit Sicherheit unser größtes Problem. Es ist schier unmöglich, ein System zu präsentieren, das ein jeder als fair, transparent und ausgewogen ansieht. Wegen der geografischen Lage Deutschlands drängen viele Millionen Menschen auf den Markt. Wir werden es nicht schaffen, alle zufrieden zu stellen. Aber wir wollen auch Fehler vermeiden, wie beispielsweise jene bei der Europameisterschaft 1996, als wir vom DFB nach Rücksprache mit den englischen Organisatoren unseren Fans mitteilen mussten, es gäbe keine Tickets mehr, und in Manchester war dann eine ganze Tribüne völlig leer.

FR: Was tun Sie gegen den Schwarzmarkt?

WN: Nicht jeder wird unbegrenzt Tickets kaufen können. Es wird eine Begrenzung geben. Maximal vier oder in der unteren Kategorie sogar nur maximal zwei Karten, so dass gar nicht erst die Gefahr aufkommen kann, dass Schindluder getrieben wird.

FR: Stimmt es, dass 350 000 Karten an Vips gehen?

WN: Sie sprechen die so genannte kommerzielle Hospitality an. Firmen können sich Logen anmieten, auch Privatleute können das tun. Wir als Organisationskomitee haben mit dem Verkauf dieser Tickets allerdings nichts zu tun. Die Fifa hat dieses Paket erstmals an eine Agentur gegeben, die Agentur ISE, die ihr Deutschland-Büro bereits in Frankfurt am Main eröffnet hat.

Einige Spieler fahren bewaffnet zum Training, weil sie Angst vor Räubern haben

FR-Interviewmit Bernd Stange, Trainer des Iraks

FR: In Bagdad zu leben und zu überleben scheint immer schwieriger zu werden. Wie bewegen Sie sich denn in der irakischen Hauptstadt, wo Anschläge und Schießereien zum Alltag gehören?

BS: Freundlich formuliert, hat sich die Lage speziell für dort lebende Ausländer zugespitzt. Es gibt keine Sicherheit. Ich war jetzt zwei Wochen nicht dort und da kann man sich glücklich drüber schätzen. Als ich zuletzt in Bagdad war, um mit der Nationalmannschaft zu trainieren, habe ich mich nur mit einem Pick-up-Wagen und einem bewaffneten Leibwächter zwischen meinem Hotel und dem Trainingsplatz bewegt. Beides wird bewacht, und es ist unmöglich, sich außerhalb dieser halbwegs geschützten Bereiche aufzuhalten.

FR: Das muss doch ein beklemmendes Gefühl für Sie und Ihre Spieler sein, unter solchen Bedingungen an Fußball zu denken.

BS: Es ist für alle ungeheuer schwierig. Um nur ein Beispiel zu nennen. Mein Fahrer, Siad Tarek, Ex-Asienmeister im Karate, ist wenige Minuten, nachdem er mich im Hotel Sheraton abgesetzt hatte, beschossen worden. Eine Kugel hat seine Hand durchschlagen und durch die geborstene Windschutzscheibe erlitt er eine Verletzung am Kopf. Er hat das einzig Richtige getan, er hat Gas gegeben, um sein Leben zu retten. Die Täter waren vermutlich Iraker, die das Auto klauen wollten. Auch einige meiner Spieler fahren bewaffnet zum Training, weil sie Angst vor Räubern haben. Wie ich hier in Australien gehört habe, ist das Hotel ja kürzlich auch mit Raketen beschossen worden. Es gibt hier kein Recht und keine Ordnung.

FR: Sie haben also Angst und fürchten um Ihr Leben?

BS: Ganz klar: Ja. Aber mittlerweile steckt so viel Herzblut gegenüber dem Team in meinem Engagement. Wir sind zusammengewachsen. Wenn ich aufhören würde, könnte das einen Zusammenbruch geben.

FR: Nicht gerade das Umfeld, um an fröhliches Sporttreiben zu denken.

BS: Das ist wohl wahr, aber ich fühle zuallererst eine große Verantwortung für meine Mannschaft. Die ist momentan mein Ein und Alles. Das sind normale Menschen und Fußballer wie überall auf der Welt, aber ich habe zu ihnen ein viel persönlicheres Verhältnis. Dieses Team hat sich nach dem Ende des Krieges unter den fürchterlichsten Bedingungen im Irak auf der Fifa-Weltrangliste von Platz 74 auf 44 vorgeschoben. Wir haben mit Leidenschaft das Unmögliche möglich gemacht. Wir haben uns als Spitzenreiter für die Asienmeisterschaft qualifiziert. Das ist eine Sensation. Das sind die schönen Dinge, deshalb fühle ich Verantwortung für meine Jungs. Aber das Drumherum bereitet mir und meiner Familie doch zunehmend Sorgen.

FR: Denken Sie wirklich an Rückzug?

BS: Ich gebe so schnell nicht auf. Aber ich brauche Hilfe. Alleine schaffe ich das nicht. Hier bei meinen Freunden in Australien musste ich mich wieder strecken, um für meine Jungs Geld von Sponsoren zu bekommen, damit sie sich bei dem Wahnsinnstrip von Amman nach Bagdad etwas zu essen kaufen können. Manchmal wusste ich vor lauter Arbeit nicht, ob ich Mann oder Frau bin.

FR: Es heißt, Sie hätten seit Anfang des Jahres kein Gehalt bekommen?

BS: Das stimmt. Es gibt von irakischer Seite überhaupt kein Geld, weder für mich noch für die Spieler.

FR: Sie leben also von ihrem Ersparten?

BS: Das ist korrekt, darüber hinaus habe ich aber auch sehr, sehr viel persönliches Geld in die irakische Nationalmannschaft investiert. Wir haben sehr viel erreicht und zwar alles mit Auswärtsspielen. Erfolge, zu denen ich sehr viel beigetragen habe, und darauf bin ich sehr, sehr stolz.

Roland Leroi (FR 1.12.) referiert das Comeback Uli Steins: “Belephateke Kuntz musste seinen Freunden genau berichten, wie es denn gewesen sei, als er den Uli Stein persönlich kennen lernen durfte. Mensch, der hat mir sogar vom Boden geholfen, als ich einen Krampf hatte, erzählt der 20-jährige Oberliga-Fußballer der SG Wattenscheid 09. Davor hatte sich Kuntz sogar das größte Erlebnis seiner jungen Karriere bereitet. Denn dem Stein einen Ball ins Tor zu legen, sagt der gebürtige Kameruner, der erst vor drei Jahren nach Deutschland kam, sei eine Geschichte, die er später seinen Enkelkindern erzählen wolle. Der Name Stein habe bis nach Afrika einen guten Klang. Den sah ich schon im Fernsehen, als ich noch ganz klein war, sagt Kuntz und freut sich über die unverhoffte Chance, etwas für sein Familienalbum getan zu haben. Schließlich hatte Uli Stein seine aktive Laufbahn eigentlich schon beendet. In 512 Bundesligaspielen stand der Torwart bis 1997 für den Hamburger SV, Eintracht Frankfurt und Arminia Bielefeld zwischen den Pfosten. Stein wurde Deutscher Meister, Europapokalsieger, spielte sechs Mal für die Nationalmannschaft und war noch im Alter von 42 Jahren und 170 Tagen in der ersten Liga aktiv. Für einen Torhüter ist das Rekord. Trotzdem hat der Mann immer noch nicht genug. Am vergangenen Samstag gab der heute 49-Jährige sein Comeback in der Oberliga Westfalen. Mit dem VfB Fichte Bielefeld holte Stein ein 1:1 bei der Zweitvertretung der SG Wattenscheid und ließ sich nur von Kuntz in der 13. Minute bezwingen. Bis dahin hatte der Torwart noch ein bisschen gefroren. Ich musste erst richtig warm werden, sagt Stein. Geärgert habe ihn der Gegentreffer aber nicht. Der war unhaltbar, sagt er und bedankt sich höflich, als ihm die Zuschauer zur guten Leistung gratulieren. Der alte Mann ist ja richtig gut, staunt mancher der 80 Anwesenden, als Stein einen strammen Schuss aus dem Winkel holt.“

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Sonntagsspiele der Bundesliga in Stuttgart und Berlin – Spielabbruch nach Ausschreitungen in Turin – die Lage in Mainz und St. Pauli u.v.m.

VfB Stuttgart – Borussia Mönchengladbach 4:0

Martin Hägele (SZ 25.2.) vermeldet die Rückkehr der Stuttgart Erfolgsfans. „Alles bestens also? Nicht unbedingt, denn da waren diese Pfiffe im zweiten Spielabschnitt gewesen, die Magath aufs Gemüt geschlagen haben: „Das muss man doch verstehen, dass man nach einem solch harten Programm, wie wir es hatten, einen Gang zurückschaltet bei solch einer Führung.“ Selbst beim FC Bayern würden die Fans im Olympiastadion Ergebnisfußball tolerieren – „obwohl die keine internationalen Partien mehr zu bewältigen haben“. Es war dies die erste Begegnung des gebürtigen Franken mit der Sippe der Bruddler. Deren Mitglieder hatten sich zwei Jahre lang in ihren Kneipen an den Stammtischen verkrochen. Nun aber, da der VfB wieder etwas darstellen möchte, wollten sie auf den besonderen spielerischen Anspruch aufmerksam machen, der im Ländle einst in der Epoche des Magischen Dreiecks gepflegt worden war. Irgendwie reizt der Blick auf die Tabelle zu Illusionen und Irritationen. Vor lauter Freude, oben dabei zu sein, nur einen Zähler hinter Meister Dortmund, und da das nächste internationale Geschäftsjahr womöglich schon schon gebucht werden kann, verkennen manche Anhänger, dass es sich noch immer um eine Mannschaft im Lern- und Entwicklungsprozess handelt. In dieser Phase sei praktisch jeder Profi gefährdet, die Situation nicht verkraften zu können, erklärt Magath (…) Die Reisegruppe aus Mönchengladbach machte sich dagegen mit schlimmen Befürchtungen auf den Heimweg. Diese Borussia ist keine Mannschaft mehr. Es genügt nicht, dass Arie van Lent jedes Kopfballduell gewinnt, und die halbe Liga neidisch auf Mikael Forsell, den finnischen Ausleihstürmer vom FC Chelsea London, blickt. Der einzige Schuss aufs Stuttgarter Tor entsprang eher dem Zufall – als der Ball plötzlich an die Latte krachte, war keiner mehr erschrocken als der, der geschossen hatte: Jeff Strasser, der Luxemburger Mann fürs Grobe. „Unterirdisch“ nannte TV-Reporter Werner Hansch das Gesehene. Sachlicher betrachtet lautet das Urteil: Borussia Mönchengladbach ist derzeit Abstiegskandidat Nummer eins.“

Michael Ashelm (FAZ 25.2.) vermutet eine „aufbauende Wirkung“ für das Stuttgarter Rückspiel gegen Glasgow diese Woche. „Die Wiederkehr des Torglücks beruhigte den VfB und seinen zwanzig Jahre alten Stürmer ungemein. Nach den vergangenen zwei Niederlagen (0:2 gegen Schalke und 1:3 gegen Celtic Glasgow) war im Ländle Unsicherheit aufgekommen. Sorge bestand beim Trainer-Fuchs Magath, daß gerade die jüngeren Spieler möglicherweise von der Spur kommen. Selbst Kuranyi gab zu, die Konzentration etwas verloren zu haben, weshalb er nach dem enttäuschenden Schalke-Spiel von Magath zur Rede gestellt wurde. Ich war im Training zu locker. Aber der Trainer hat mit mir gesprochen und mir geholfen, behauptet Kuranyi. Und wie es so oft ist im Fußball, alles sei nur eine Kopfsache gewesen, so Kuranyi. Also einfach klick – und alles ist wieder in Ordnung. Durch die Stuttgarter Köpfe schwirrt in diesen Tagen vor allem eines: die schwere Aufgabe im Achtelfinale des Uefa-Pokals gegen Celtic Glasgow. Die Niederlage im Hinspiel ist nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung wettzumachen – gerade auf die Treffsicherheit der Stürmer wird es ankommen. Magath testete deshalb im Hinblick auf die erwartete Ausnahmesituation gegen Gladbach schon mal die totale Offensive, ließ nach der Pause gleich drei Stürmer zusammenspielen. Mit Erfolg: Denn nicht nur Kuranyi traf, sondern mit Ioannis Amanatidis und Viorel Ganea gleich alle Vertreter der Offensivabteilung.“

Hertha Berlin – Arminia Bielefeld 0:0

Christian Eichler (FAZ 25.2.). „Hinten rechts, in einem Winkel versteckt, stand der Trostspender. Er leuchtete grell-rot im Baustellengerümpel des Berliner Olympiastadions und strahlte eine frohe Botschaft in die Welt: Noch 1232 Tage bis zum Anpfiff des WM-Finales verkündete die kleine Anzeigetafel und zählte die Minuten und Sekunden zurück. Am Sonntagabend war der Countdown eine willkommene Einladung zum Träumen. Beim Besuch der Bundesligapartie Hertha BSC Berlin gegen Arminia Bielefeld mußte man sich einfach in eine bessere Welt flüchten, denn die Gegenwart war schwer zu ertragen. 0:0 endete das Fußballspiel nach 90 trostlosen Minuten. Während sich die Zuschauer langweilten, hatte Manager Dieter Hoeneß keine Probleme, zum mauen Spiel eine emotionale Beziehung aufzubauen. Nach dem Abpfiff marschierte er wütend Richtung Kabine und sagte: Das war heute zu wenig. Mehr möchte ich nicht sagen. Später, als sich sein Puls wieder etwas beruhigt hatte, ging Hoeneß doch noch zu sachlicher Kritik über. Solch einen Gegner muß man im Vollsprint besiegen, sagte er Wir aber sind heute nur gejoggt.“

Zweite Liga

Thomas Becker (SZ 24.2.) berichtet die Lage in Mainz. „Es muss wie nach Hause kommen gewesen sein. Nach Jahren mal wieder in der Heimat. Wo sich nichts ändert: Die Wohnhäuser hinter der Gegengerade sind noch da, die Stimme des Stadion- sprechers verliert sich wie immer im offenen Rund, genauso die Gesänge der paar Hundert treuen Fans – Verbandsliga-Stimmung. Als die Kicker des FSV Mainz 05 das Reutlinger Stadion an der Kreuzeiche betraten, war es für Sekunden wohl so. Lange ging es ihnen in ihrem 50 Jahre alten Stadion am Bruchweg nicht anders. Doch seit ein paar Monaten laufen die 05er zuhause mit einem neuen Gefühl auf: steile, gut gefüllte Tribünen, Gesänge und in die Höhe gereckte Fanschals inklusive „You never walk alone“ – endlich die gewünschte Hexenkessel-Atmosphäre. Das beflügelt, stärkt das eh schon ordentliche Selbstbewusstsein, auch für Auswärtspartien: Nach dem 2:1 in Reutlingen, dem siebten Sieg in den letzten acht Spielen, liegt Mainz weiter auf Bundesliga-Kurs. Das taten sie schon im vergangenen Jahr. 30 von 34 Spieltagen stand Mainz auf einem Aufstiegsplatz, ein Punkt im letzten Spiel hätte gereicht. 20.000 litten vor der Videoleinwand am Gutenbergplatz, als Union Berlin die Party verdarb, Tränen flossen. Der Neuanfang hatte da schon begonnen: Stadionausbau. Die Haupttribüne verdient nun diesen Namen, statt der Mini-Gegengeraden verstellt eine mächtige Tribüne den Anwohnern den Blick auf den Platz. 20.000 statt bisher 15.000 finden Platz, aber wichtiger ist „der Event-Charakter“ wie Manager Christian Heidel sagt: „Wir wollten diese englische Atmosphäre.“ Wirkung hat er nicht nur beim eigenen Team ausgemacht, sondern auch beim Gegner: „Die gucken erstmal, wenn die hier reinkommen.“ Der Imagegewinn in Zahlen: Obwohl das Team schlechter platziert ist als im Vorjahr, kommen mehr Zuschauer: im Schnitt 12.500 statt 9.000, davon 4.500 mit Dauerkarten. Trainer Jürgen Klopp, mit 525 Spielen im Mainzer Trikot der Rekordhalter, hat sich beim Neujahrsempfang der Stadt beschwert, dass der Ausbau so spät kommt, dass er selbst nicht mehr spielen kann. Aber auch als Coach hat er seinen Spaß: „Es ist einfach geil.“ Klubpräsident Harald Strutz drückt seinen Stolz gewählter aus: „Hier fängt Fußball an.““

Frank Heike (FAZ 21.2.) war am Millerntor. „Schäbiger könnte kein Vereinsheim aussehen. Alles hier erinnert an den verblichenen Glanz früherer Tage: Die gelbstichigen Aufnahmen von Fußballszenen einer Zeit, als die Paraden der Torhüter noch Robinsonaden hießen, gerahmt in dunkler Eiche. Dazu die entsprechenden Stühle, der angestoßene lange Tisch und auch die braunweiß karierte Decke. Die Heizung wummert, als wäre man am Nordpol. Man ist im Herzen des FC St. Pauli am Hamburger Heiligengeistfeld, im Vereinsheim des, so die Selbstauskunft von Klub und Anhängern, “etwas anderen Vereins“. Es waren auch solche Details – daß ein Bundesligaclub ein Clubheim hat, in dem Profis und Fans nach den Partien wirklich bei der Flasche Astra zusammenstehen – die die Hamburger Volkskundlerin Brigitta Schmidt-Lauber dazu bewogen, ein Seminar über einen Fußballverein anzubieten: “Der FC St. Pauli – Zur Ethnographie eines Vereins. Fußball als soziales Ereignis.“ Nach einem Jahr der Feldforschung sitzen die Studierenden (nicht zufällig sind es elf, der Kader hat sich im Laufe der Saison von 36 Interessenten auf ebendiese Zahl reduziert) mit ihrer Spielführerin Schmidt-Lauber nun am langen Tisch mit der braunweißkarierten Decke und müssen sich vorkommen wie die häufig wechselnden Trainer des FC St. Pauli, so viele Fragen gibt es zu beantworten (…) Es gebe auch Modefans, die nur kämen, weil der Club gerade “in“ sei. Sie seien von dem politisch-toleranten Image der anderen Anhänger eher genervt und wollten vor allem eins: Fußball gucken. Oder die ziemlich vielen St. Pauli-Fans aus den noblen Elbvororten. Für sie sei der Stadionbesuch ein Ausbruch aus den Konventionen des Alltags und der Ort, an dem man schreien und sonntags um drei Bier trinken dürfe. Überhaupt der Sonntag. Nicht umsonst spreche man vom Fußball als Ersatzreligion, sagt Brigitta Schmidt-Lauber, allein der Spieltag zeige die religiöse Dimension.“

Interview mit Bernd Hoffmann, Vorstandschef des Hamburger SV, zur Lage der Liga, Fußball als Entertainment und den Versuch, die Bayern nicht ganz so weit davonziehen zu lassen FR

Ausland

Birgit Schönau (SZ24.2.) berichtet den Spielabbruch in Turin. „Nach 45 Minuten stand es 3:0 für Milan, und das erinnerte in fataler Weise an die Begegnung in der Hinrunde, als der Abstiegskandidat Torino Calcio dem Titelanwärter AC Mailand 0:6 unterlegen war. In der Maratona-Kurve begann es zu rumoren. Die Tifosi montierten Plastiksitze ab und warfen sie aufs Spielfeld, bald folgten Steine und zwei Kühlschränke, die sie aus der Kaffeebar des Alpenstadions entwendet hatten. Ein Absperrgitter wurde eingerissen, während die Polizei am Spielfeldrand alles, was von oben kam, postwendend zurückwarf. Nur mit den Kühlschränken hatten die Ordnungshüter Probleme (…) In keinem anderen Land Europas werde so viel über Fußball diskutiert, bemängelte Galliani. Der Profiliga-Chef kennt sich aus – er war früher Manager beim tonangebenden Berlusconi-Fernsehunternehmen Mediaset. Die untereinander zerstrittenen Führungskräfte des Calcio stehen der Welle der Gewalt hilflos gegenüber. Turin gegen Milan ist bereits die dritte Partie in den beiden obersten Spielklassen, die wegen Fanrandale vorzeitig abgebrochen wurde. In der Saison gab es bei gewalttätigen Auseinandersetzungen vor, während oder nach Spielen 800 Verletzte, die Hälfte davon in den vergangenen vier Wochen. Für Ordnungskräfte in den Stadien gab der Staat an 20 Spieltagen 32 Millionen Euro aus, das ist mehr als das Doppelte der staatlichen Zuwendungen für den Breitensport. Die schlimmsten Übergriffe wurden in den Amateurligen registriert; in Süditalien verwüsteten Tifosi ganze Kleinstädte. Fanprojekte gibt es nirgends. Die Fußballbosse brüten zwar ständig neue, absurde Vorschläge aus, um die drohende Pleite von Vereinen abzuwenden, geht es aber um die Betreuung des Publikums, geben sie weiter an den Gesetzgeber und die Polizei. Die antworten mit Repressalien. Am Wochenende wurden in der Region Kampanien rund 500 Begegnungen von Jugendteams verboten, weil die Sicherheit von Publikum, Schiedsrichtern und Spielern nicht garantiert werden konnte. Die Regierung in Rom hat am Freitag per Notverordnung verfügt, dass gewalttätige Tifosi bis 36 Stunden nach der Tat aufgrund von TV-Bildern verhaftet werden dürfen. Stadien, in denen es öfter zu Ausschreitungen kommt, können künftig behördlich geschlossen werden. Vor zwei Jahren gab es schon einmal eine ähnliche Verordnung, deren Wirkung aber verfiel, weil sie nicht in ein Gesetz umgewandelt wurde.“

Zur Situation beim AS Monaco NZZ

Weiteres

Christian Eichler (FAZ 22.2.). „Möge der Schlechtere gewinnen! So bleibt Sport interessant. Jeder Fußballfreund kennt Spiele, die nicht die bessere Elf gewann. Das geht, weil der zählbare Erfolg, das Tor, eine Seltenheit bleibt, die nicht mal jede halbe Stunde geschieht. So bleibt genug Raum für den kostbaren Zufall. Um die Sache gerecht auszugleichen, hat der Fußball die Liga erfunden und dazu einige patente Mischformen von Pokal- und Ligamodus. So finden Unwägbarkeit und Verläßlichkeit zusammen. Am Ende gewinnt meist der Bessere; vorher aber zum Glück oft der Schlechtere. Selbst wenn Bayern München dank noch unbekannter Geheimverträge diesmal mit zweistelligem Vorsprung Meister werden sollte: Fußball bleibt überraschend genug. Er braucht deshalb auch kein Play-off-System; anders als Spiele wie Basketball, in dem der zählbare Erfolg im Durchschnitt nicht mal eine halbe Minute braucht und die Überlegenheit eines Teams schon im Verlauf einer Partie, nicht erst einer Saison belohnt wird. Man darf dem Zufall nicht Tür und Tor öffnen, aber doch ein Hintertürchen. So hat jeder erfolgreiche Sport seinen Unwägbarkeitsfaktor: Boxen den K.o., Tennis das K.-o.-System, Biathlon den Fehlschuß, Skispringen den Wind, Radsport den Wechsel von Tages- und Tour-Rennen. Zufall und Gerechtigkeit, ein perfektes Team.“

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Fußball-Presse

Die deutsche Fußball-Presse kann zwei Wochen vor Beginn des Großereignisses noch einmal Luft holen, denn derzeit passiert wenig auf dem Rasen. Vereinzelte Themen stehen heute auf der Agenda: u.a. die 1:2-Heimniederlage des deutschen Gruppengegners Irland gegen WM-Teilnehmer Nigeria sowie die erneute Niederlage Schottlands, dem Team von Berti Vogts. Das 1:4 gegen Co-Gastgeber Südkorea war die dritte Pleite in seinem dritten Spiel. Außerdem lesen wir vom gesellschaftlichen Stellenwert der deutschen Nationalmannschaft sowie von „gravierenden Auswirkungen“ nach Niederlagen auf die Befindlichkeiten hiesiger Fußball-Anhängern. Der Blick nach Asien zeigt erstens die historische und politische Entwicklung des Fußballsports in China. „Der Fußball soll in China erfunden worden sein“ (Tagesspiegel). Umso überraschender: China ist WM-Neuling. Zweitens wird – so steht es in der „Neuen Zürcher Zeitung“ – in Südkoreas Fußballöffentlichkeit so manches kulturpessimistische Steckenpferd von den Erben Konfuzius´ geritten. Abschließend wird bedauert, dass die „Verfallsgeschichte des Liedschaffens der Nationalmannschaft“ (Die Zeit) um ein Kapitel reicher geworden ist: Wir müssen dieses Jahr auf einen WM-Song verzichten.

Beim 1:2 gegen Nigeria beobachtete Philipp Selldorf (SZ18.5.) Deutschlands WM-Gegner Irland: „Roy Keane von Manchester United, der Antreiber und wichtigste Star der Mannschaft, spielte eine gute Stunde mit, nachdem sich die Nation noch während der vergangenen Tage gesorgt hatte, dass ihn eine alte Bänderverletzung lahm legen könnte. Augenzeuge Rudi Völler durfte auch etwas bestaunen, was er bei seinem eigenen Team eklatant vermissen muss: Die Kunst des Flankens ist für die irischen Spieler nicht mehr als ihr gängiges Handwerk. Das beherrschen sie, wenn sie bedrängt an der Eckfahne hantieren, wenn sie über die Flügel preschen oder wenn sie mit einem Rückpass angespielt werden und den Ball gleich in den Strafraum schlagen. Während der ersten halben Stunde geriet die Innenverteidigung der auch sonst unorthodox organisierten Nigerianer stark unter Druck.“

Die Irish Times (18.5.) berichtet von der überwältigenden Euphoriewelle, auf der die „Squad“trotz der Niederlage nach Asien reitet. „Hunderte von Fans fanden sich am Dublin Airport ein, um den 23 Mann starken Kader tosend zu verabschieden. Ihr Trainer McCarthy rang der Niederlage sogar positive Züge ab: „Die Niederlage gab uns einiges zu denken. Sie wird einige Leute wieder auf den Boden der Tatsachen bringen, da vieles schlicht zu einfach für uns verlief.““

Co-Gastgeber Südkorea bezwang in einem Testspiel Berti Vogts´ Schotten überraschend deutlich mit 4:1. Die schottische Tageszeitung Scotsman (18.5.) zeigte sich vom Spiel der Asiaten angetan und bezüglich der eigenen Perspektiven ernüchtert: „Südkorea spielte niemals besser, Schottland niemals schlechter (…) Das Tempo der Südkoreaner war außerordentlich, ihre Fitness herkulisch und ihre Tore bewundernswert (…) Es mögen vielversprechende Ansätze für die Zukunft vorhanden sein, aber die junge Generation von Vogts ist schlicht noch Meilen von einem Vergleich mit den selbst am meisten watschelnden Auswahlteams der Vergangenheit entfernt.“

Die FR (18.5.) spendet den Bravehearts Trost: „Sei´s drum, das kleine Volk im Norden hat die englische Besatzung überstanden, warum nicht auch einen deutschen Nationaltrainer?“

Mit den Methoden ihres holländischen Nationaltrainers Guus Hiddink zeigen sich Südkoreas Kulturkritiker überfordert, erfahren wir von Martin Hägele (NZZ 18.5.): „Der Fremde habe Koreas Fußball verraten, seine Tradition und Kultur, monieren die Kritiker. Sie stoßen sich beispielsweise daran, dass Hiddink eine neue Tischordnung einführte und damit die Distanz zwischen jungen und alten Spielern reduzierte, die aus der in Asien sehr wichtigen Verehrung der älteren Generation gewachsen ist. Diese von konfuzianischem Einfluss stark bestimmte Denkweise fördert indessen den Fußballnachwuchs ebenso wenig wie das Schulsystem, das im bildungshungrigen Land ungemein hohe Ziele vorgibt.“

Wie sehr Politik und Fußball zusammenhängen, sieht man an der Fußball-Historie Chinas. Martin Hägele (Tsp 18.5.) befragte zwei ehemalige Nationalspieler – Gu und Xu: „Sie seien keine Fußballspieler, sondern Marionetten des Mao-Regimes gewesen, meint Xu. Nachdem sich der eiserne Vorhang zumindest ein Stück gehoben und China der Fifa beigetreten war, merkten Chen und bald darauf auch der junge Gu, dass die herzliche Atmosphäre bei der Aufnahme in die asiatische Fußballfamilie schnell abkühlte. Sobald es um die Qualifikation für Weltmeisterschaften oder um die Tickets zu olympischen Turnieren ging, schloss sich die alte Clique, angeführt von den reichen Arabern und Koreanern, gegen den Neuen zusammen. „Das Geld der Öl-Millionäre hat aus dem Rasen heraus gestunken“, behaupten Chen und Gu. Nur aufgrund eines Komplotts zwischen Schiedsrichtern und einflussreichen Funktionären sei ihr Team in der Qualifikation zur WM 1982 und Olympia 1984 gescheitert.“

Mit den Befindlichkeiten deutscher Fußballfans befasst sich Volker Kreisl (SZ 18.5.) und zitiert den Berliner Sportphilosophen Gebauer: „Dass die Sehnsucht nach dem Symbol immer stärker sein wird als der Realitätssinn, glaubt Gebauer nicht. Die Nationalelf hat sich zwar etwas erholt, neue Peinlichkeiten wie das 0:1 gegen Wales könnten aber gravierende Auswirkungen haben. Der DFB-Erfolg ersetze ein Stück Selbstbewusstsein, breche er weg, dann sei der Fan nicht nur enttäuscht, sondern verletzt, er könnte sich abwenden. Die Nationalelf und ihre Fans stecken in einer gegenseitigen Abhängigkeit. In Frankreich, sagt Gebauer, „wird die Nationalmannschaft beobachtet und genossen, in Deutschland wird sie gebraucht.“

Im sensiblen Sozialsystem Nationalmannschaft hat Michael Horeni (FAZ 18.5.) einen entscheidenden Wandel ausgemacht: „Die einst wohlgeordnete deutsche Fußball-Welt ist ziemlich durcheinandergeraten. Über Jahrzehnte hinweg standen Namen und Begriffe wie Malente oder WM-Trainingslager für eine äußerst freudlose bis asketische Zeit, in der die Tage und Wochen eines Fußballprofis von morgens um 7 bis zur Bettruhe klar geregelt waren. Da lebte eine Fußballfamilie zwangsweise unter einem Dach, und es schien, als wäre dieser Mikrokosmos ein Abbild der patriarchalischen Gesellschaft, in der Familie nur sein konnte, wo der Bundestrainer war und herrschte. Doch im Jahr 2002 unter Teamchef Rudi Völler, der seine leidvollen Erfahrungen mit dieser Vorbereitung alten Stils hinter sich hat (Ich bin auch Malente-geschädigt), erinnert die deutsche Nationalmannschaft vielmehr an eine neudeutsche Patchwork-Familie, in der Familie nur noch danach definiert wird, wo sich an Leib und Seele gesunde Fußballprofis befinden.“

Eine „Geschichte des Verstummens“ erzählt Andreas Höll (Die Zeit 16.5.): „Zum ersten Mal seit 28 Jahren tritt die deutsche Nationalelf ohne eigenes Lied bei der Fußball-WM an. Mit der Bierzelthymne Fußball ist unser Leben war 1974 bei der ersten WM im eigenen Land, eine (west-)deutsche Tradition begründet worden. Dieser „Laienchor hoch bezahlter Profis“, darunter auch der bereits aus dem Jahre 1966 schlagererprobte Franz Beckenbauer (Gute Freunde kann niemand trennen), holte später den Pokal, für die Zukunft jedoch „wollte sich der Deutsche Fußball Bund nicht mehr allein auf die Sangeskraft seiner besten Spieler verlassen.“ Aber weder die Unterstützung von Udo Jürgens für die WM 1978 in Argentinien, noch die von Michael Schanze für die Spiele 1982 in Spanien und auch nicht die von Peter Alexander für die WM 1986 in Mexico brachte sportlichen Erfolg (… Im Jahr 2006) müsste auch Franz Beckenbauer wieder mitsingen, dieses Mal als Präsident des Organisationskomitees. Denn statistisch betrachtet spricht alles dafür, dass Deutschland mit dem singenden Franz Beckenbauer – wie 1974 und 1990 – wieder Weltmeister wird.“

Dass Franz Beckenbauer schon in jungen Jahren ein „Grantel-Meister“ gewesen ist, belegt der Rückblick von Hans Eiberle (FR 18.5.) auf das legendäre Halbfinale der Deutschen gegen Italien bei der WM 1970: „Viel später erst war vom Spiel des Jahrhunderts die Rede. Wer das in die Welt gesetzt hat? Die Presse, steht in Franz Beckenbauers Buch Einer wie ich, ihr Urteil sei übertrieben, wie so oft. Weshalb schwärmen die Freunde des Fußballspiels noch 32 Jahre danach von diesem dramatischen Duell der Deutschen gegen die Italiener bis zum bitteren Ende im Semifinale der WM 1970 – und Beckenbauer nicht? Mag sein, dass der Perfektionist am Ball nicht begreifen mochte, wie zwei Dutzend der besten Fußballer in zwei Stunden mehr Fehler machen konnten als das ganze Jahr über. Vor allem aber: Ein Spiel ohne Beckenbauer – das beste des Jahrhunderts? So einen Blödsinn konnte nur einer der zahllosen ahnungslosen Journalisten erfunden haben. Ohne Beckenbauer? Der geniale Fußballkünstler, schon damals Inbegriff der Leichtigkeit des Seins auf dem Rasenrechteck, hat zwar mitgespielt, aber in der Verlängerung einer Schulterverletzung wegen mit am Körper fixiertem rechten Arm die Hand aufs Herz gelegt. Der Gentleman am Ball als Behinderter, grausam abgestraft vom Schicksal, das sich des Italieners Giacinto Facchetti bedient hatte. Fast tatenlos musste er mit ansehen, wie der Gegner immer noch eins drauf setzte.“

Ob Christoph Daum wieder in Deutschland als Trainer arbeiten können wird, ist nach seinem Freispruch im Koblenzer Kokain-Prozess wieder wahrscheinlicher geworden. Im Gespräch mit Helmut Schümann und Henning Sußebach (Die Zeit 16.5.) äußert er sich über Vergangenheit und Zukunft: „Ich habe Fehler gemacht. Ich habe Kokain konsumiert, ich habe öffentlich gelogen (…) Ich habe ein Gebot übertreten, (…) ich habe der Sache selber den Turbo gegeben und habe das tausendfach bereut – aber glauben Sie mir, was ich in diesem Prozess mitgemacht habe, das war Buße satt: Die haben mich geviertelt, geteert, gefedert (…) Auf jeden Fall geht es irgendwann zurück nach Deutschland.“

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Themen

Themen: Augenthalers Realitätsssinn – Leverkusen und Franca wollen diese Saison einiges wiedergutmachen – eine neue Situation für Elber: die Bank – zur Situation Armin Vehs

Wenn wir weiter so spielen wie in Frankfurt, holen wir keinen Punkt mehr

Richard Leipold (FAZ 16.8.) beschreibt den Realitätssinn Klaus Augenthalers. “Plötzlich taucht im Presseraum der BayArena ein Autogrammjäger auf. Der Mann hat drei alte Sammelalben mit Fußballbildern aus den achtziger Jahren und einen Filzschreiber bei sich. Als Klaus Augenthaler das Podium verläßt, schlägt der Sammler flink die Seiten mit den Spielern von Bayern München auf, legt die Alben auf den Tisch und hält dem Cheftrainer des Bundesligaklubs Bayer Leverkusen den Stift hin. Die Bilder zeigen Augenthaler in jugendlicher Frische, im roten Trikot des FC Bayern; er schaut aus wie heutzutage als Fußball-Lehrer – nicht besonders freundlich, entschlossen, respekteinflößend. Mit den alten Zeiten konfrontiert, sieht Augenthaler sich als Spitzenreiter wie in einem Spiegel. Als er beim FC Bayern gespielt habe, sei es schön gewesen, Tabellenführer zu sein – nach 34 Spieltagen, sagt der einstige Abwehrstratege der Münchner. Als Trainer steht er zum ersten Mal auf Platz eins der deutschen Bundesliga – nach zwei Spieltagen. Ein zusätzlicher Ansporn für die Mannschaft, die in der vergangenen Saison so gelitten hat? Augenthalers Züge verfinstern sich. Davon habe ich nichts gemerkt. Leverkusen hat als einzige Mannschaft der Liga die ersten beiden Spiele gewonnen. Doch Augenthaler läßt sich nicht blenden. Wir haben unsere sechs Punkte gegen zwei Aufsteiger geholt, sagt er. Damit habe die Mannschaft ihre Pflicht erfüllt, mehr nicht, zuletzt in Frankfurt sogar deutlich weniger. Wenn es darum gehe, den Ball hochzuhalten und auf diese Art von einem Strafraum zum anderen zu jonglieren, machten die meisten seiner Spieler sicher eine gute Figur, sagt Augenthaler, aber das ist keine Garantie, daß wir gegen Mannschaften gewinnen, denen der Ball fünfmal runterfällt. Schlecht spielen und trotzdem gewinnen, ist diese Art zu punkten nicht auch ein Zeichen von Qualität? Den Bayern wird nach zweifelhaften Erfolgen zumeist ein hohes Maß an Cleverneß bescheinigt. Wer auch solche Spiele gewinne, werde am Ende Meister, heißt es dann. Doch Bayer ist nicht Bayern. Wenn wir weiter so spielen wie in Frankfurt, holen wir keinen Punkt mehr, sagt Augenthaler. Er habe lange überlegt, ob der mangelhafte Kick außer den drei Punkten irgendeinen positiven Aspekt habe. Die Suche hat viel Geduld erfordert, doch der Trainer ist fündig geworden. Die Mannschaft hat die vergangene Saison abgehakt, sonst hätte sie in Frankfurt verloren.“

Ich wurde angepflaumt wie ein Jugendspieler

Bayer Leverkusen und Fanca wollen diese Saison einiges wiedergutmachen, schreibt Christoph Biermann (SZ 16.8.). „Inmitten dieses Albtraums zuckte França schließlich nur noch zusammen, wenn er seinen Namen hörte. Wieder hatte er etwas falsch gemacht, erneut ermahnte ihn der Trainer. Zu kompliziert hätte er gespielt, den Ball nicht lange genug gehalten oder nicht rechtzeitig abgespielt. In fast jedem Training der vergangenen Saison ging das so, und bei den Spielen war es nicht besser. Wie auf einem fremden Planeten versuchte sich França in Leverkusen an einem Spiel zu beteiligen, das er doch eigentlich beherrschte. Aber seine Ansätze zu Kombinationen verliefen im Nichts, seine Torschüsse kullerten ins Leere und schließlich lachten ihn seine Mitspieler aus. „Ich wurde angepflaumt wie ein Jugendspieler“, sagt França heute und klingt weniger verbittert, als man vermuten könnte. Dabei kannte es der brasilianische Stürmer zuvor nur, dass sein Namen auf den Rängen zur Huldigung gerufen wurde. Mehr als 150 Tore hatte er für den FC São Paulo geschossen und war in die Elf des Jahrhunderts des Klubs gewählt worden, der zu den populärsten Brasiliens gehört. Acht Mal hatte er in der Seleção gespielt und wäre 2002 mit zur Weltmeisterschaft nach Fernost gefahren, hätte er sich nicht verletzt. Während França in Deutschland zum Gespött wurde, sangen die Fans in São Paulo weiter seinen Namen, sobald ihr Team verlor. Was hätte näher gelegen, als dorthin zurückzukehren? „Daran habe ich nie gedacht“, sagt França, „ich will mich hier durchsetzen.“ Das könnte man für eine der üblichen Durchhalteparolen von Fußballprofis halten, in diesem Fall ist es jedoch anders. „Er ist in der vergangenen Saison immer wieder zu uns gekommen und hat versprochen, dass er den Durchbruch noch schaffen würde“, erklärt Ilja Känzig. Fast flehentlich muss das geklungen haben, wenn der 27-Jährige um Vertrauen warb. Der Manager von Bayer vermutet, dass es für ihn eine Frage der Ehre war, aus Europa nicht gescheitert ins Heimatland zurückzukehren.“

Die Verpflichtung von Roy Makaay scheint Elber gelähmt zu haben

Elisabeth Schlammerl (FAZ 16.8.) beantwortet die alles entscheidende Frage. „Claudio Pizarro hat in dieser Woche eine neue Erfahrung gemacht. Er gehörte beim FC Bayern München bisher nicht zu den Spielern, die regelmäßig in den Genuß eines Extrabonus kommen. Am Dienstag aber wurde der peruanische Fußballprofi von der Arbeit befreit. Während die Teamkollegen in Nürnberg antreten mußten, durfte sich Pizarro einen schönen Abend in München machen. Weil er mit zwei Toren in den ersten beiden Bundesligaspielen und glänzenden Leistungen vorgearbeitet hatte, aber auch, um sich für die Partie gegen den VfL Bochum an diesem Samstag zu schonen. Denn es besteht kein Zweifel, daß Pizarro den Platz an der Seite von Roy Makaay erhalten wird – und nicht Giovane Elber. Auch der Brasilianer macht gerade eine neue Erfahrung beim FC Bayern. Er stand in den vergangenen sechs Jahren nur dann nicht in der Anfangself, wenn er in Zeiten größter Strapazen eine kleine Pause bekommen sollte. Zu Beginn von Elbers letztem Jahr in München aber schaut es so aus, als ob er darauf hoffen muß, in die Mannschaft rotiert zu werden. Noch etwas ist anders: Lief Elber früher noch tagelang mit finsterer Mine über das Trainingsgelände, nachdem ihn der Trainer ausgewechselt hatte, gibt er sich nun bestens gelaunt. Ich bin doch selbst schuld. Ich war in den zwei Spielen grottenschlecht, sagt er. Dabei hat er doch immer erklärt, daß ihn der Konkurrenzkampf ansporne, er Druck brauche, um Höchstleistungen zu bringen. Die Verpflichtung von Roy Makaay jedoch scheint Elber eher gelähmt zu haben.“

Wackelt der Rostocker Trainer?, fragt Dirk Böttcher (FR 16.8.). „In der zurückliegenden Spielzeit kam es vor, dass Veh unter der Woche einem seiner Profis glatt die Bundesliga-Tauglichkeit absprach, um ihn am Sonnabend in der ersten Elf auf den Rasen zu stellen. So ist er eben. Wenn Armin Veh meint, die Innenverteidigung habe gegen Stuttgart die Gegentore verbockt, dann sagt er es auch und zwar gleich allen. Und wenn er stinksauer ist, dann muss das raus. Die Aussortierten oder Ausgeschimpften denken sich dazu ihren Teil. Vieles, was aus deren Kreisen zu hören ist, ist daher auch nicht zum Zitat freigegeben. Es sind aber diese Stimmungen aus dem Reich der Namenlosen, aus denen die Presse und das Umfeld ihre Meinungen basteln. So titelte die BamS am zurückliegenden Wochenende nach dem Patzer von Torwart Schober in Freiburg: Veh haut auf Schober ein. Eine Erklärung dieser schlagenden Aussage auf Seite eins fehlte auf den folgenden Seiten allerdings. Die Knüppel fliegen nicht ohne Grund aus dem Blätterwald. So einem wie Veh, der wie der personifizierte Fußballsachverstand daher kommt, gönnt das Umfeld gern einen Fall auf die Nase. Außerdem ist für ihn in Rostock eine gefährliche Zeit angebrochen. Die eineinhalb Jahre, die er jetzt bei Hansa ist, sind an der Küste so etwas wie die Haltbarkeitsdauer für Trainer. Lienen, Zachhuber, Funkel – für alle war nach dieser mystischen Zeitspanne Schluss. Da schaut man nun auch bei Armin Veh etwas genauer auf den Kalender.“

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Japan gegen Türkei

Martin Hägele (NZZ 19.6.) zum Spiel Japan gegen Türkei (0:1). „Die Mannschaft von Coach Günes war die erste dieses Turniers, welche die Taktik des Gastgebers durchschaut hatte und entsprechend auf die verwirrenden und zermürbenden Attacken der Japaner reagierte. Manchmal erweckte es den Eindruck, als treffe ein erwachsenes Team auf eine Jugendauswahl, so clever und stark im Zweikampf begegneten die routinierten Türken den Stars der neuen Fußballnation (…) Irgendwo war es auch symbolhaft, dass die Japaner vom WM-Ausscheiden auf eben jene Art und Weise ereilt wurden, welche man ihnen ständig als schwarze Prognose an die Wand gemalt hatte: durch einen Kopfballtreffer im Anschluss an eine Standardsituation. Dummerweise passierte das aber nicht, weil Torschütze Ümit Davala größer als seine Gegenspieler ist oder als überragender Kopfballspieler gilt – nein, ganz allein deshalb, weil sich die Japaner zum ersten Mal im Verlauf der WM nicht hundertprozentig konzentrieren konnten.“

Zur Stimmung in Japan schreibt Peter Heß (FAZ 19.6.). „Die Wirkung, die der Schlusspfiff von Schiedsrichter Collina hatte, wünschte sich so mancher deutscher Turnlehrer. Wie auf Kommando erstarb im Miyagi Stadium jedes Geräusch. Schweigsam nahmen die 46 000 Menschen das Ende des japanischen Fußballtraums bei der Weltmeisterschaft auf. Kein Aufbegehren, das sich in einem trotzigen Pfeifkonzert oder in einem verzweifelten Aufschrei ein Ventil gesucht hätte, wie in europäischen Stadien üblich. Stille. Erst nach einer halben Minute ertönten ein paar zaghafte Nippon-Rufe. Aber an Stimmgewalt gewannen sie nicht. Nüchtern fanden sich die Fans damit ab, dass man Träume nicht festhalten kann.“

Martin Hägele (NZZ 19.6.) beobachtet japanische Zuschauerreaktionen nach dem Ausscheiden. „Wären diese Leute nicht so mit Dank erfüllt und würden sie noch ein bisschen mehr von diesem Spiel verstehen, so hätte sich Troussier (Nationaltrainer Japans, of) am letzten Tag seines fast vierjährigen Abenteuers durchaus auch noch einige kritische Fragen anhören müssen. Denn irgendwie muss ihn beim Nominieren der Mannschaft sein Gespür verlassen haben.“

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Irland-Spanien

Thomas Kilchenstein (FR 17.6.) zum Spiel Irland-Spanien (3:4 n.E.). „Die ersten 60 Minuten waren die Spanier die bessere Mannschaft. Mit wunderschönem Kurzpassspiel hebelten sie die Abwehr der Iren immer wieder aus. Es war tatsächlich eine spielerisch sehr ansprechende Vorstellung, und zwar beider Mannschaften, was vor allem für die Iren ein Kompliment ist, denn von den Spaniern war eine gewisse Fertigkeit am Ball allgemein erwartet worden. Und sie enttäuschten nicht. Wie an der Schnur lief bei ihnen die Kugel durch die eigenen Reihen, ohne dass die Iren nennenswert und störend hatten dazwischen funken können (…) Die Iren verlangten den Spaniern, die die erste Stunde noch souverän dominiert hatten, alles ab. Wie nahe dran die Spanier am Ausscheiden waren, verdeutlichte auch die Freude, mit der der Favorit sein glückliches Weiterkommen feierte (…) Den Iren bleibt wieder nur der schwache Trost, mit einer engagierten Leistung einen Turnierfavoriten ganz nahe an den Rand einer Niederlage gebracht zu haben.“

Roland Zorn (FAZ 17.6.) dazu. „39.000 Zuschauer im World Cup Stadium von Suwon bekamen das bisher vielleicht am intensivsten geführte Duell auf höchstem europäischen Niveau geboten, und sie gingen begeistert wie in den stimmungsvollsten Arenen Europas mit. Eine Wohltat, nach den Tagen des schrillen koreanischen Dauerjubels wieder so etwas wie Fußball unter Erwachsenen auf dem Platz und auf den Rängen zu erleben. In der Verlängerung spitzte sich die Dramaturgie naturgemäß weiter zu, zumal die Iren in ihrem bissigen Tatendrang nicht nachgaben und die Spanier dazu zwangen, sich nur noch wie ein eisern zusammenhaltendes Verteidigungsbündnis zu geben. Vorbei war es mit dem imponierenden Spielaufbau über Hierro und Baraja aus den ersten 45 Minuten, vorbei mit der unantastbar anmutenden Abwehrarbeit, Spanien konnte nur noch auf das Elfmeterschießen und auf den Wunderknaben Iker Casillas hoffen, der mit seinen 21 Jahren auf dem Weg zu einem der großen Torhüter in der Welt ist.“

Ralf Wiegand (SZ 17.6.) meint. „Wie toll sie sind, wenigstens sein können, das zeigten die Spanier in einer Szene, die nirgends Erwähnung finden wird, weil sie keine Folgen hatte, außer vielleicht: Hochmut. Es war ein Moment reiner Schönheit in der 25. Minute, als Raúl und Fernando Morientes und Luis Enrique einen Angriff auf den Rasen malten, der, könnte man ihn einrahmen, bei Sotheby’s Millionen bringen würde und der dem Wort „Doppelpass“ seine numerische Beschränktheit vorführte. Denn die drei spielten sich den Ball fünf, sechs, sieben Mal zu, bis ihn Luis Enrique persönlich im Tor abgeliefert hatte wie der Postbote ein Einschreiben an der Haustür. Nur das Fähnchen des Linienrichters machte da den Unterschied zwischen dem phantasievollsten Tor des Turniers oder einem ganz irdischen Treffer aus dem Abseits, der es letztlich war. So toll spielt Spanien, wenn man es lässt.“

Mark Schilling (NZZ 17.6.) zeigt sich begeistert. „Es trug sich am Sonntag in der Trabantenstadt Seouls wieder einmal eine dieser Partien zu, deren Verlauf sich nicht wirklich erklären lässt (…) Jedenfalls trauert man diesen Iren nach auf Grund der gelebten Hingabe zu Fußball als Spiel, in dem man mit aufopferungsvollem Kampf so viel bewirken kann. Denn wenn auch kaum Zweifel darüber bestehen, dass die Spanier im Durchschnitt die weitaus besseren Fußballer sind, machten die Iren mit ihrer Einstellung diesen Unterschied mehr als nur wett und hätten den Sieg gar verdient (…) Vielleicht kam beim einen oder anderen Iberer auch die Gewissheit oder die Angst auf, mit der Partie am Sonntag die Portion Glück für das Turnier bereits aufgebraucht zu haben.“

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Hannover 96 – Hansa Rostock 3:1

Zur Bedeutung des Hannoveraner Führungstreffers, dem ein Pfiff vorausgegangen war, wirft Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 11.3.) ein. „Mit dem umstrittenen Treffer hatten die Rostocker zwar ein Alibi für die 1:3-Niederlage in der Baustelle AWD-Arena, aber es änderte nichts an der Tatsache, daß Hannover auch schon vor und erst recht nach der umstrittenen Szene die aktivere, bessere Mannschaft war. Aber der Schock so unmittelbar vor der Pause hat den reichlich zahnlos dahergekommenen Rostockern den letzten Biß genommen. Dabei waren sie nach dem ersten konstruktiven Angriff in der 40. Minute durch Meggle in Führung gegangen, ärgerten sich über ihre eigene Schlafmützigkeit siebzig Sekunden später, als Bobic per Kopf ausglich, und dann das Hörspiel mit dem Pfiff. Viele, wenn nicht alle haben ihn gehört. Vehs Kollege Ralf Rangnick ließ offen, ob er vor oder nach dem Tor erfolgte, auch von wem er kam. Martin Kind, der Klubchef von Hannover 96, verdient sein Geld zwar mit der Herstellung von Hörgeräten, aber bei dieser kniffligen Angelegenheit hätte wohl nicht einmal der Bundesnachrichtendienst mit hochentwickelter Technik zur Aufklärung beitragen können. Steinborn seinerseits legte sich fest: Es gab einen Freistoß für Hannover. Die Ausführung erfolgte auf meinen Pfiff hin. Als der Ball dann die Hansa-Torlinie überschritten hatte, habe ich gepfiffen und das Tor gegeben. Laut Veh aber hätten einige meiner Spieler bei uns auch abgeschaltet, weil sie den Pfiff als Stoppsignal deuteten.“

1. FC Kaiserslautern – 1. FC Nürnberg 5:0

Zur Lage in Nürnberg heißt es bei Martin Hägele (NZZ 11.3.). „Als die Professionals vom 1.FC Kaiserslautern und vom 1.FC Nürnberg gerade dabei waren, die Tabellenplätze 17 und 16 zu tauschen, da entzogen die aus dem Frankenland angereisten Anhänger ihren einstigen Lieblingen demonstrativ die Zuneigung. Erst hängten sie das Plakat „Es brennt kein Clubfeuer in eurem Herzen!“ auf, wobei man wissen muss, dass der Club der einzige Fussballverein Deutschlands ist, der mit C und nicht mit K beginnt. Weil die Repräsentanten des früheren Rekordmeisters von den Professionals des anderen Traditionsvereins aber von Minute zu Minute mehr gedemütigt wurden – am Ende stand es 5:0 und die Nürnberger waren mit elf Toren Abstand Tabellenvorletzter –, verschärfte sich die Tonart der Beleidigungen aus der Ostkurve des Fritz-Walter-Stadions. „Söldner, Söldner“, schallte es durch die Arena und: „Wir haben die Schnauze voll.“ Aber weil vielleicht nicht alle der modernen Legionäre die deutsche Sprache auch verstehen, übermittelte der harte Kern der Fans den hoch bezahlten Angestellten eine Botschaft, die sie in Spanien aufgeschnappt hatten. Sie schwenkten weisse Taschentücher, ein Zeichen, das beim Stierkampf dem feigen Torero gilt. Das kann nur ein schlechtes Omen für die Fortsetzung des Abstiegskampfs sein, denn nirgendwo in Deutschland liegen mehr solcher Tüchlein gestapelt als in Nürnberg, dem Sitz der Firma Tempo (…) Als symptomatisch für die totale Verkennung des Personals muss Dusan Petkovic herhalten, ein ehemaliger jugoslawischer Internationaler, der ausgerechnet auf jener Position spielt, von welcher aus Augenthaler früher für Ordnung verantwortlich gewesen war. Petkovic gibt den Libero nach dem Modell Gigolo aus dem Adidas-Katalog für Bade- und Freizeitmoden: Mit weissen Schuhen, weissen Schweissbändern, die Stutzen übers Knie hochgezogen wie der grosse Ronaldo, tritt er selbst Befreiungsschläge mit Effet und per Aussenrist, als ob es im Überlebenskampf der Bundesliga Haltungsnoten für künstlerische Gestaltung gäbe. Vor dem ersten Tor der Lauterer versuchte er beispielsweise mit akrobatischem Absatztrick zu klären, nachdem er den Torschützen Lokvenc sträflich frei hatte stehen lassen. An der Leihgabe vom VfL Wolfsburg, wo der 28-jährige Petkovic von Trainer Wolf kompromisslos aussortiert worden war, spaltet sich mittlerweile der Club. Es seien nicht allein dessen Fehler gewesen, die zum Debakel auf dem Betzenberg geführt hätten, verteidigte Augenthaler seinen Abwehrchef. Dem Argument eines Nürnberger Reporters, mit ein paar talentierten Amateuren statt einiger satter Söldner hätte man auch nicht höher verloren, konnte der Trainer nicht viel entgegnen: „Wahrscheinlich haben Sie sogar Recht.““

Zur Reaktion des Nürnberger Trainers nach dem Spiel lesen wir von Thomas Klemm (FAZ 11.3.). „Früher, so äußert sich Klaus Augenthaler immer wieder, früher war alles viel besser. Früher, damit meint der Fünfundvierzigjährige jene Zeit, als er noch das Trikot des FC Bayern München trug und als die Arena in Kaiserslautern noch nicht Fritz-Walter-Stadion hieß. Früher, setzte also der Trainer des 1. FC Nürnberg am Sonntag abend an, haben wir uns auf dem Betzenberg bemüht, dagegenzuhalten. Aber heute? Heute scheint seine Mannschaft nach einem Rückstand auseinanderzubrechen, scheint es den Fußballprofis an Mumm und Mitteln zu fehlen, um sich gegen den drohenden Abstieg zu stemmen. Zwar bezeichnete Augenthaler das 0:5 beim 1. FC Kaiserslautern als eine bittere Packung, aber noch weniger schmeckte es dem Club-Coach, daß das Bundesligaspiel nach den ersten beiden Pfälzer Treffern binnen sechs Minuten entschieden schien. Augenthalers Mängelliste könnte kaum länger sein: Zuwenig Gegenwehr, eklatante Fehler in der Abwehr, kein Durchsetzungsvermögen im Sturm. Weil auch das Mittelfeld keine Ordnung fand und auch noch der einzige Patzer des sonst tadellosen Torhüters Darius Kampa zum letzten Gegentreffer führte, wirken die Stirnfalten des Trainers angesichts der aktuellen Lage beim Club noch tiefer als gewöhnlich. In der Krise von heute will es Augenthaler dennoch vermeiden, die Mittel von gestern anzuwenden. Die Frage Zuckerbrot oder Peitsche stellt sich nicht für den Trainer, der selbst zunehmend unter Druck gerät: Wenn ich die Peitsche nehme, habe ich nächste Woche nur noch fünf Spieler. Ein paar mehr waren es noch, für die ausgerechnet beim Konkurrenten im Abstiegskampf eine kleine Welt zusammengebrochen ist, wie Martin Driller behauptete. An den Ausfällen von fünf Stammspielern lag es aber nicht nur, daß wir unsere absolut schlechteste Saisonleistung zum unmöglichen Zeitpunkt gebracht haben, wie der gleichfalls antriebslos auftretende Angreifer in seiner besten Szene sagte. Im Fränkischen scheint die Zeit des allmählichen Verschwindens angebrochen. Nicht nur, weil sich der Club erstmals seit dem fünften Spieltag auf einem Abstiegsplatz wiederfindet. Den Fans, deren in die Pfalz mitgereister Teil sich in Ton und Schrift von dem Team distanzierte, geht die Geduld aus; den Profis mangelt es an Selbstvertrauen, dem Trainer am felsenfesten Grundvertrauen seiner Vorgesetzten.“

Martin Hägele (SZ 11.3.) meint dazu. „Der einzig echte Star ist der Trainer–Weltmeister Klaus Augenthaler. Der ist Sonntagabend in Kaiserslautern gefragt worden, mit welchen Mitteln er denn auf die böse Pleite zu reagieren gedenke, Zuckerbrot oder Peitsche. „Wenn ich die Peitsche nehme, habe ich in der nächsten Woche nur noch fünf Spieler“, hat Augenthaler geantwortet. Das Auditorium jubelte wegen dieses verächtlichen Spruchs, aber es steckt eine bittere Wahrheit dahinter, über die kein Cluberer lachen mag. Es gab auch nur Zustimmung im Saal, als Klaus Augenthaler erzählte, wie man auf dem Betzenberg aufzutreten habe: „Man muss hier dagegenhalten, sonst wirst du abgeschlachtet.“ Das Problem ist nur: Die Zeit von Profis wie Augenthaler ist vorbei. Und für den Charakter und die Zusammenstellung des Nürnberger Kaders ist nun mal der Trainer verantwortlich. Solange Augenthaler aber nur an seiner eigenen Legende strickt, kommt er schwer an seine Spieler ran. Auch der einstige Weggefährte Felix Magath ist erst zum anerkannten Fußball-Pädagogen geworden, als er aufhörte, sich auf Kosten seiner Spieler zu profilieren, indem er diese lächerlich machte. Denn wie will Augenthaler das Selbstbewusstsein seiner desolaten Truppe, die von den eigenen Anhängern als „Söldner“ beschimpft werden, für die entscheidenden Runden des Abstiegskampfes stabilisieren? „Wir haben einen Vorteil“, sagt Augenthaler und scheint zu glauben, ohne psychologische Arbeit auszukommen.“

„Wie Kaiserslauterns Trainer Gerets sein Team neu formte“, schreibt Oliver Trust (Tsp 11.3.). „„Er hat viele riskante Maßnahmen getroffen. Es gab Grüppchenbildungen in der Mannschaft, die er ausgemerzt hat. Er hat aus 28 Leuten eine Mannschaft gemacht“, beschreibt Jäggi den nervenzehrenden Weg des Belgiers. Teile des Aufsichtsrates wollten Gerets abschieben und ihm Kalli Feldkamp vor die Nase setzen. Feldkamp stänkerte aus seiner Wahlheimat Spanien, Gerets sei der Falsche, ihm fehle Erfahrung im Abstiegskampf und mit der Bundesliga. Jäggi schlug die Palastrevolution nieder. „Das war für Gerets ein Tiefschlag. Ich habe die Hand über ihn gehalten, und das hat ihm sein Selbstvertrauen zurückgegeben.“ Jäggi schenkte ihm Zigarren, um ihn aufzubauen. Gerets brauchte lange Wochen, bis er die tief zerstrittene Mannschaft auf Kurs bekam. „Der schlechteste FCK-Trainer“ – so etwas stand in den Zeitungen. Erst als Gerets die Störenfriede Mario Basler und Ciriaco Sforza auf die Bank verbannte, startete der FCK seine Aufholjagd. Heute stören Baslers Eskapaden niemanden mehr. Als er nach dem 3:0-Sieg im Pokalhalbfinale gegen Werder Bremen während des Spiels beleidigt in der Kabine verschwand und später vor der Fernsehkamera fast weinte, stand Gerets neben ihm und sagte trocken: „Ich hätte mir gewünscht, Mario hätte sich mit der Mannschaft gefreut. Was er getan hat, wird es nur einmal geben.“ Gerets führte zwei lange und intensive Gespräche mit Basler. Er machte ihm klar, er habe sich einzufügen oder er sitze bis zum Saisonende nur noch auf der Bank oder der Tribüne. Die Botschaft kam an. Gerets nahm dazu Georg Koch aus dem Tor, der ebenfalls als Unruhestifter gilt.“

Wird Miroslav Klose in Kaiserslautern bleiben? Martin Hägele (taz 11.3.) orakelt. „Miroslav Klose ist kein Mensch, der gerne von seinen Gefühlen redet. Man sieht es ihm an, ob es ihm gut geht oder schlecht. Er braucht Harmonie, ein intaktes Umfeld, dann stimmt auch seine Form. Wenn tausende auf dem Betzenberg diesen banalen Choral Miro Klose Fußballgott anstimmen, dann ist seine Welt in Ordnung – auf diese Weise hat er selbst von einem Stehplatz in der Westkurve jahrelang die Helden der Roten Teufel angehimmelt, Olaf Marschall etwa, seinen Vorgänger als Torjäger. Dessen Treffer haben dem Fritz-Walter-Verein 1998 den Meistertitel beschert, was Experten wie Günter Netzer als bis dato größte Sensation in der Geschichte des deutschen Fußballs einschätzen. Vergleichbare emotionale Wellen schwappen nun durch die Südwestregion, da Klose und Co. das nächste Wunder eingeleitet haben: Seit sieben Partien ist der vermeintliche Abstiegskandidat nun unbesiegt; nach dem 5:0-Erfolg über den 1. FC Nürnberg ist die Rettung wieder zum Greifen nah. Und nachdem sich die Mannschaft von Trainer Eric Gerets vergangene Woche auch noch für das Pokalfinale gegen Bayern München und dank dieses Gegners automatisch für die Teilnahme im Uefa-Cup qualifiziert hat, herrscht nun grenzenlose Euphorie. Diese Stimmung will René C. Jäggi, der gefeierte Sanierer aus der Schweiz, nun nutzen, um den Torjäger der Nation wenigstens für ein weiteres Jahr dem 1. FC Kaiserslautern zu erhalten. Klose müsse nicht weg, es liege kein konkretes Angebot vor, die wirtschaftlichen Umstände ließen einen weiteren Verbleib Kloses zu, erklärte der Vorstandsvorsitzende: Ich gehe davon aus, dass er bleibt. Der Betroffene selbst schlug um diese Fragen Haken wie zuvor um seine Bewacher; nur der Reporter von Premiere erwischte ihn bei der Ehrung zum Mann des Spiels. Die Chancen stehen 50 zu 50, so Klose, er werde sich dazu in nächster Zeit äußern, wichtiger sei jetzt, dass wir nicht absteigen. Intern wertet man solche Zitate bereits als klare Zusage.“

Interview mit René C. Jäggi FR

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Bilanzkosmetik am Wirtschaftsstandort Sport

Matthias Dell (FR 26.5.) sinniert über die rhetorischen Klimmzüge des bayerischen „Außenministers“ Rummenigge. „Denkt man sich den FC Bayern als Firma, war Franz Beckenbauer sowas wie der alte Chef, der mit seiner eigen Hände Arbeit – Weltmeister 1974, Weltmeister 1990, Weltmeisterschaft 2006 – den Laden aufgebaut hat und den solche Verdienste vor allen verbalen Pirouetten schützten, die er seither drehte. Karl-Heinz Rummenigge dagegen kann, obwohl er der deutsche Fußballer der achtziger Jahre war, den Schein des parvenühaften Juniors nicht abstreifen. Im Habitus des Wirtschaftsmachers schmückt er sich mit dem Vokabular des Managerwesens, das vermutlich nicht nur außerhalb von betrieblichen Leitungsebenen ziemlich hohl klingt. Die Kassengeschäfte am Stadiontor heißen da Gate-Revenues, die Bundesliga wird zum Produkt. Unfreiwillig komisch gerieten vor diesem Hintergrund Rummenigges Versuche, die Tatsache zu erklären, dass der FC Bayern in der diesjährigen Champions League in eine Falle gegangen war, die er sich selbst gestellt hatte. Das Schmerzhafte am sieglosen Vorrundenaus, schönredete Rummenigge, bestehe in der sportlichen Schmach und nicht etwa in den entgangenen Millionen, für deren Garantie die Champions League von den Münchnern innig befürwortet wird. Nur im Desaster spricht der Vorstandsvorsitzende der Fankurve aus dem Herzen: So sieht Bilanzkosmetik am Wirtschaftsstandort Sport aus. Für die neue Saison hat Rummenigge die Verpflichtung eines qualitativ hochwertigen Spielers angekündigt. Wohin eine Sprache führt, deren scheinbarer ökonomischer Sachlichkeit die Dinge entgleiten, die sie benennen will, werden wir wohl erst wissen, wenn aus den Lautsprechern des Münchner Stadions der Ruf ertönt: Die qualitativ minderwertigen Spieler bitte zum Duschen.“

Das Orakel vom TV-Stammtisch

Martin Hägele (NZZ 27.5.) resümiert die Berichterstattung über den Saisonabschluss. „In vielen Kommentaren steckt auch verdammt viel Hochmut; so hat der „Altmeister“ Udo Lattek in seine Gratulation an den Meistertrainer auch ordentlich Häme über dessen Karrierestart einfliessen lassen. Um einmal seine Titelbilanz zu erreichen, müsse der Ottmar noch ordentlich strampeln. „Er hat jetzt sechs Meistertitel, ich habe acht. Seine beiden Schweizer Meisterschaften zähle ich nicht, sonst müsste ich meine Titel mit der Universität Köln ja auch aufführen.“ So liess es das Orakel vom TV-Stammtisch in seine Kolumne schreiben – und wahrscheinlich war dabei auch ziemlich Ärger dabei, dass Bayer Leverkusen den alten Grantler nicht noch mal als Retter verpflichtet hat – ein Job, den nun Latteks ehemaliger Spieler Augenthaler erfüllt hat. Irgendwie muss das Finale dieser Runde vor allem die Nostalgiker getroffen haben. Es gab jede Menge Nachrufe auf Krassimir Balakow, Andreas Möller, Stefan Effenberg, Thomas Hässler und Mario Basler. Sicherlich gehört es zum Anstand, die Qualitäten jener Spielmacher noch einmal aufzurufen, die eine Generation geprägt haben, als die Bundesliga noch ein Wertsiegel war, aber wie traten sie zuletzt auf: Nur der Bulgare Balakow hat so aufgehört, dass ihn das Publikum (in Stuttgart) in guter Erinnerung behält. Alle anderen bewegten sich nur noch halbherzig durch die Szene, und man kann ihnen nur wünschen, dass ihr letzter Vorhang im Scheichtum Katar nicht in die Welt übertragen wird.“

See-me-feel-me-like-me-Reinhold-Beckmann

Michael Hanfeld (FAZ 26.5.) sah „ran, wo sie am Samstag geschlagene zehn Minuten brauchten, bevor das erste Mal ein Ball im Flug aufs Tor zu sehen war. Oliver Welke, dem Wigald Boning später am Abend im ZDF in einem seiner dadaistischen Porträts sich zum Weglachen komisch nähern würde, war aller Witz vergangen, kaum einen Hauch unterschied sich seine Miene von der des bartbajuwarischen Sauertopfs Paul Breitner. Doch was würden wir sie vermissen, wenn fortan der aufgekratzte Adept Gerhard Delling beim Oberlehrer Günter Netzer in Sachen Bundesliga vorspräche oder Waldi Hartmann nicht nur Olli Bierhoff (wie am Samstag in der Sportschau geschehen) diminiutierte? Gar nicht zu denken an See-me-feel-me-like-me-Reinhold-Beckmann. Ob man dagegen nicht ein Gesetz einführen sollte? Schließlich wird der Rundfunkstaatsvertrag eh jedes Jahr geändert. Wo waren wir? Bei Sat.1 und Werner Hansch – das Trübe auf der Mattscheibe ist das Spiel von Bielefeld – der seine kleine Taschenlampe weitergab nach Nürnberg und sagte: Am Ende läuft es darauf hinaus, daß wir alle sentimental werden. Wo sich ja auch so viele andere verabschiedeten (Balakow, Basler, Häßler, Möller, Preetz). Da halten wir es lieber mit Oliver Welke, dessen Schlußwort nach einem schön-schwarz-schwermütigen Abgesang auf diese Saison der Fußball-Bundesliga hieß: In diesem Sinne – bis bald.“

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Themen: Union Solingen will sich auf bemerkenswerte Weise finanziell retten – Chaos in NürnbergRudi Kargus , der Maler – DFL-Aufsichtsrat Holzhäuser schlägt in einem SZ-Interview Innovationen fuer Bundesliga-Modus und Fußballregelwerk vor

Marketing-Gag

Jörg Hahn (FAZ 7.5.) meldet einen bemerkenswerten Finanzplan aus dem Amateurfußball. „Im Fußball mag Union Solingen nicht mehr besonders hoch im Kurs stehen, ja, der Verein mit dem altdeutschen Namen dürfte bei vielen sogar schon in Vergessenheit geraten sein. Im Internet dagegen ist der frühere Zweitligaklub dagegen plötzlich ein interessantes Gut im elektronischen Auktionshaus Ebay geworden. Dort, wo normalerweise unter der Rubrik Sport allenfalls Memorabilien wie Nationaltrikots, Schlauchboote Wasserski, Westernsättel oder auch Angelruten fürs Fliegenfischen angeboten werden, findet sich plötzlich dieses: Artikelnummer 3607291744 – Marketingrechte des 1. FC Union Solingen. Startpreis: ein Euro. Not macht erfinderisch. Deshalb werden die Rechte und erhebliche Forderungen in Höhe von 210 000 Euro gegen Union vom derzeitigen Inhaber veräußert. Ein neuer Investor soll den Fortbestand des jetzigen Oberligaklubs, der in der Niederrhein-Staffel auf eine treue und recht beachtliche Fan-Klientel bauen kann, sichern. Ob aus einem Marketing-Gag, der einen ins sportliche wie wirtschaftliche Abseits geratenen Klub wieder ins Gespräch bringt, auch ein gutes Geschäft wird, muß sich noch zeigen. Man kann am Computer zuschauen, wie von Minute zu Minute die Zahl der Interessenten und die gebotene Summe in die Höhe schnellt.“

Wie der Redakteur einer Schülerzeitung

Philipp Selldorf (SZ 7.5.) bemerkt dazu. „Wie rettet man einen maroden Traditionsverein? Dazu findet sich in dieser von Pleiten geplagten und bereits dezimierten Liga viel kreatives Potenzial. Stets ein Vorbild ist Fortuna Düsseldorf, Tabellennachbar der Kölner Fortuna. Der Klub finanzierte vor Jahren den Kauf von Verteidiger Anthony Baffoe mit Konzerteinnahmen der Toten Hosen. Von jeder verkauften Eintrittskarte zweigten die Punkrocker eine Mark für den Transfer ab – und reklamierten später die Ablöserechte an Baffoes linkem Bein. Bei Fortuna Köln (zweites Insolvenzverfahren in Gang) wählte man zuletzt die üblichen Methoden: Während der Marketingleiter Sponsoren sucht, indem er wie der Redakteur einer Schülerzeitung mit dem Fahrrad von Laden zu Laden fährt, leistete die Mannschaft ihren Beitrag, indem sie sich komplett bis auf den letzten Schienbeinschoner auszog, um per Aktfoto Geldgeber zu animieren.“

Mit Bierkästen und Brotzeiten im Kofferraum

Zur Stimmung in Nürnberg heißt es bei Kathrin Zeilmann (taz 7.5.). „Eigentlich ist das Weißbier schuld, dass jetzt beim 1. FC Nürnberg, dem stark abstiegsbedrohten Bundesligisten aus Franken, Chaos herrscht. Besser gesagt: Es herrscht wieder einmal wildes Durcheinander beim Club. Ruhig und beschaulich konnte es eben am Valznerweiher, der Trainingsstätte des Vereins nahe einem idyllischen Naherholungsgebiet in Nürnberg, nicht werden. War es ja auch nie. Der Präsident Michael A. Roth hat in seiner seit 1994 währenden Amtszeit mittlerweile zwölf Trainer entlassen, in der Bundesliga ist das Rekord. Jetzt war der Sportdirektor dran. Am Montagabend verkündete Teppichhändler Roth die Beurlaubung Edgar Geenens. Die Posse dieser Saison wird derzeit in den Blättern eifrig diskutiert: Hat etwa Klaus Augenthaler, bis vorige Woche noch Trainer des FCN, durch übermäßigen Weißbier-Genuss die Misere verschuldet? Auge habe dem Gerstensaft zu sehr zugesprochen, deshalb manch eine Mannschaftssitzung versäumt und stattdessen nächtelang gezecht, heißt es (…) Weiter mit der Geschichte, wie das mit dem scheinbar von den Fans treu geliebten Augenthaler wirklich war. Die Fanbekundungen damals im März, als eigentlich schon klar war, dass der Trainer gehen musste, seien von einem einzigen Block initiiert worden, keinesfalls habe die ganze Anhängerschaft hinter dem Coach gestanden, berichtet Roth nun. Die Fans, die für Augenthaler geschrieen haben, haben dem Verein einen Bärendienst erwiesen. Schließlich hätte man mit einem neuen Trainer das Ruder noch herumreißen können. Er habe sich aber dem Fan-Votum gebeugt und verkündet: Wir gehen mit Klaus Augenthaler auch in die zweite Liga, wenn es sein muss. Hier kommt wieder das Weißbier zurück ins Possenspiel. Denn Augenthaler-Freunde, so verlautet es nun, seien mit Bierkästen und Brotzeiten im Kofferraum zu den Fanclubs im Frankenland gefahren und hätten sie mit diesen Genussmitteln für die lautstarken Sympathiebekundungen geködert.“

Also, die Malerei hört für mich bei van Gogh auf

Frank Heike (FAZ 7.5.) war auf einer Vernissage. „Also, die Malerei, sagt der Fotograf des Blankeneser Wochenblatts, hört für mich bei van Gogh auf. Er sei ja nun kein Kenner, aber das, was er hier heute abend so sehe, das könne er auch. Die paar Striche. Er fotografiert trotzdem, denn der Künstler ist bekannt in Hamburg. Rudi Kargus hat die Kritik an seinen Bildern nicht gehört. Aber ein bißchen muß er sich an diesem Abend doch fühlen wie früher, bei den großen Spielen im Volksparkstadion: Alle schauen auf das Werk seiner Hände. Und so mancher meint, daß er es doch genauso gut und vielleicht sogar besser könne als der frühere Torwart des Hamburger SV, der heute lieber Rudolf Kargus genannt werden möchte und Maler ist. Bei der ersten großen Vernissage des Absolventen der Kunsthochschule Blankenese im Hamburger Gaswerk hat ein Freund aus der Gastronomie geholfen und die Räume bereitgestellt in dem futuristisch anmutenden ehemaligen Gaswerk im Stadtteil Bahrenfeld. Ein wenig PR und ein paar Beziehungen aus den alten Zeiten können nicht schaden, gibt der bescheidene Kargus zu. Vom Verkauf der Bilder kann er nicht leben. Darüber redet er auch nicht so gerne: Das Finanzielle macht meine Frau, sie hält mir den Rücken frei. Vielleicht hätte die Einstellung zum Geld im Leben des professionellen Ballfängers etwas ausgeprägter sein sollen. Viel ist nicht übriggeblieben aus 18 Jahren Berufsfußball und 408 Bundesligaspielen beim HSV, beim 1. FC Nürnberg, bei Fortuna Düsseldorf, beim Karlsruher SC und beim 1. FC Köln. Wir haben nicht so viel verdient wie heute, aber ich habe mir auch viele Verletzungen geholt, sagt Kargus rückblickend und meint nicht nur die an der Hüfte, die ein künstliches Gelenk erforderlich machten, sondern vor allem in sogenannte Bauherrenmodelle gestecktes Geld, das er nie wiedersah.“

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