Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
Schweiß, angereichert mit dem Bierdunst vom Vorabend
In Anbetracht des Todes von Rudi Brunnenmeier spendet das Streiflicht (SZ 23.4.) dem Fußballfreund mit einem sehr lesenswerten Nachruf Trost. „Damals, in den sechziger Jahren, gingen sachverständige Münchner nicht zum FC Bayern – der war Ignoranten und Auswärtigen vorbehalten –, sondern zu den Löwen ins „Sechzger-Stadion“. Die hatten ein wunderbares Team, das den HSV einmal mit 9:2 nach Hause schickte, und noch heute können Zeitzeugen die Meistermannschaft von 1966 im Schlaf aufsagen: Radenkovic, Wagner, Patzke. .. Als neunter Name kommt Rudi Brunnenmeier. Und dann schnalzt man mit der Zunge und erinnert sich, was der für ein Stürmer war. Wenn’s bei dem lief, konnte ihn keiner halten. Der machte sein Tor, der tankte sich durch, und im engen Stadion glaubte man den Schweiß zu riechen, den er vergoss, angereichert mit dem Bierdunst vom Vorabend. 1860 ohne Brunnenmeier, das war undenkbar. Seinerzeit kursierte in München ein Witz, dem der Rang einer höheren Wahrheit gebührt. Vater und Sohn gehen zum Spiel, aber weil sie die Karten vergessen haben, läuft der Bub nochmal heim. Völlig verstört kommt er zurück: „Babba, der Brr, der Brr, der Brr…“ Der Vater erbleicht. „Babba, der Briefträger liegt mit der Mamma im Bett.“ Darauf der Alte: „Gottseidank. I hab scho gfürcht, der Brunnenmeier spielt net.“ Verbürgt ist die Geschichte vom Trainingsspiel zwischen Alkoholikern und Abstinenzlern, das der damalige Coach Max Merkel anordnete. Die Biertruppe, vorneweg Brunnenmeier, siegte mit 7:1, woraufhin Merkel befahl: „Sauft’s weiter!“ Brunnenmeier hielt sich daran, erst recht, als es vorbei war mit der Torjagd. Pleiten, Sauftouren, Knast – er ist abgestürzt und nicht wieder hochgekommen. An Ostern ist Rudi Brunnenmeier gestorben. Ginge es gerecht zu, müsste das Sechzger-Stadion seinen Namen tragen. Stattdessen will man es abreißen. 1860 und der FC Bayern bauen – horribile dictu – gemeinsam die Allianz-Arena.“
Es hat alles nichts genützt
Hans Eiberle (SZ 23.4.) schreibt rückblickend und ohne eine Spur von Verklärung. „Auf dem Spielfeld wusste Rudi Brunnenmeier, wo’s lang geht. Nach dem Schlusspfiff leider nicht. Sein Problem, so Merkel (sein damaliger Trainer, of), sei immer gewesen: „Wenn ich zu dem gesagt habe, da vorn musst du links gehen, und er hat unterwegs einen getroffen, der zu ihm gesagt hat, geh’ mit mir rechts, dann ist der Rudi mit dem gegangen.“ Meistens einen heben, oft in der „Zwickmühle“, dem legendären Fußballertreff. Merkel hielt mit psychologischen Holzhammermethoden dagegen. Er lud Brunnenmeier und Hennes Küppers nach einer Zechtour und entsprechender Trainingsleistung zu sich nach Hause ein, füllte sie mit Gumpoldskirchner ab, machte sie anderntags im Training fix und fertig in der Hoffnung, das sei den beiden Hallodris eine Lehre. Es hat alles nichts genützt. Statt die Gefahr zu meiden, wurde Brunnenmeier Besitzer eines Nachtklubs. Er stand jetzt hinter der Theke, statt davor und konnte sich selber einschenken. Stets beteuerte Brunnenmeier, er sei nicht unzufrieden mit seinem Leben. „Ich war Spielführer der Nationalmannschaft, deutscher Meister, Torschützenkönig der Bundesliga, Pokalsieger und im Europacup-Finale im Wembleystadion. Das kann mir keiner mehr nehmen.“ Glatt gelogen. In den nüchternen Phasen seines verpfuschten Lebens kehrten die Erinnerungen zurück. Daran, wie sein Friseursalon pleite ging, wie seine Frau das gemeinsame Haus verkaufte und verschwand. Wie er sein Geld in der Spielbank verzockte. An die Gefängnisstrafen wegen Trunkenheit und Urkundenfälschung. Dann litt Rudi Brunnenmeier, fürchtete Hohn und Spott, zu Unrecht auch von hilfsbereiten ehemaligen Mitspielern. Beim 30. Jahrestag der Meisterschaft fehlte er – als Einziger.“
In seiner Dorf-Stammkneipe mit guten Freunden feiern
„Er war kein großer Fußballer, aber er wird in Frankfurt unvergessen bleiben“, schreibt Thomas Kilchenstein (FR 23.4.) anlässlich des tödlich verlaufenen Autounfalls von Fred Schaub. „Es war warm am 21. Mai 1980, jenem einzigartigen Tag in der Geschichte der Frankfurter Eintracht. Es war der Tag, da die Hessen Uefa-Pokal-Sieger wurden. Borussia Mönchengladbach war der Gegner, das Finale wurde in zwei Etappen – Hin- und Rückspiel – ausgetragen. Das Hinspiel hatte Gladbach 3:2 gewonnen (…) Dann, endlich, winkte ihn Trainer Rausch herbei. Fredi, mach was, hat er gesagt. 77 Minuten waren da gespielt, als Schaub für Norbert Nachtweih auf den Platz lief. Warum gerade Schaub? Ich wollte einen bringen, der stark am Boden ist, so ein Fummler, der vielleicht aus dem Getümmel einen reinmacht, sagte Trainer Rausch gestern. Die Gladbacher hatten die besseren Kopfballspieler in ihren Reihen, im Grunde war es aber reine Intuition, dass ich den Fred gebracht habe. In den nächsten Minuten hat der bullige Angreifer keinen Ball berührt, der Torschuss vier Minuten nach seiner Einwechselung, war sein erster Ballkontakt. Und die Szene, die sein Leben verändern sollte, hat Schaub so beschrieben. Die 81. Minute lief, da flankte Charly Körbel den Ball in den Strafraum, Hölzenbein lief zum Ball, geriet ins Straucheln. Im Fallen hat er noch zwei Borussen-Spieler geblockt, und den Ball zu mir gekickt. Dann habe ich ihn gestoppt, halb rechts, sieben, acht Meter vor dem Tor von Wolfgang Kneib, völlig frei, der Holz hat ja die Gasse freigeblockt. Der Ball lag auf meinem starken linken Fuß, da war ich mir sicher, dass ich ihn reinmache. Als er dann drin war … es war ein unbeschreibliches Gefühl. Neun Minuten später war klar, dass Fred Schaub der Eintracht zum bis heute größten Vereinserfolg, so die Presseabteilung des Clubs am Dienstag, verholfen hatte. Fred Schaub war ein Volksheld. Vielleicht war es ein zu starker Moment für einen 19-Jährigen aus Heubach: Vom Nobody zum Superstar in vier Minuten. Plötzlich wollte jeder was von ihm, Schulterklopfer, Zeitungen, Fernsehinterviews, 30.000 Menschen anderntags auf dem Römer, die seinen Namen skandierten. Aber Fred Schaub war kein Star, er war ein ruhiger Mensch. Das Bankett hat er um halb Zwei verlassen, um in seiner Dorf-Stammkneipe mit guten Freunden zu feiern.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Die Entwicklungen auf dem Transfermarkt – ein Weltmeister in Berlin – Lizenzverweigerungen in Italien u.a.
Die finanziellen Regressforderungen der beiden Bundesliga-Manager Uli und Dieter Hoeneß, wonach der DFB für die Verletzungen von Deisler und Rehmer aufzukommen habe, kommentiert Philipp Selldorf (SZ 25.7.). „Manchem mag auf den ersten Blick die Forderung der Manager obszön vorkommen, wo sich doch jeder Klub glücklich schätzt, wenn einer seiner Profis zum Nationalspieler befördert wird, und wo doch niemand bestreiten würde, wie die Nationalelf die Fußballbegeisterung des Publikums prägt. Trotzdem ist das Verlangen nicht abwegig, denn der DFB ist finanziell in der Lage, Verantwortung für die Spieler zu tragen (…) Ausnahmsweise könnte die Bundesliga von Amerika lernen. Dort ist es üblich, dass der Verband vor großen Turnieren Basketballer und Eishockeyspieler für den Ernstfall versichert. Eine kluge Regelung würde dem DFB die nächste Debatte mit der Liga erleichtern: Die Vereine wollen die Anzahl der Testländerspiele reduzieren, der DFB möchte sie beibehalten. Schließlich verdient er bestens daran.“
Über die Lizenzverweigerungen in Italien (Lazio Rom und AS Roma) heißt es bei Dirk Schümer (FAZ 25.7.). „Im Falle von AS Rom scheint der blaue Brief eher auf einer internen Intrige zu beruhen. Der neue Liga-Chef, Adriano Galliani vom AC Mailand, zeigte dem nicht gerade befreundeten Vereinseigner Franco Sensi die dunkelgelbe Karte, weil dieser Abgaben an den Verband, die er für überhöht hielt, schuldig blieb. Der pikierte Sensi versprach nun zähneknirschend, seine zwei bis drei Millionen Euro Schulden nachzuzahlen, was für den schwerreichen Unternehmer kein Problem sein dürfte. Sensi selbst hatte noch vor Jahresfrist über die aufgeblähte Misswirtschaft des italienischen Profifußballs gehöhnt und sich über die Tauschgeschäfte zwischen Vereinen zu Phantasiesummen lustig gemacht. Sein Stadtrivale Sergio Cragnotti, ein Finanzjongleur und erwiesener Experte des Transfermarktes, ist nun mit Lazio Rom gerade dadurch in eine echte Krise geraten. Wie Roma ist auch Lazio bei der Börse notiert – eine weitere Geldbeschaffungsmaßnahme der Vergangenheit; beide Aktienkurse wurden durch den vorläufigen Ausschluss vom Spielbetrieb erheblich beschädigt. Auch Cragnotti versprach eilig, mit Hilfe seiner Banken die fehlenden Bürgschaften nachzureichen; doch ist inzwischen amtlich, dass er Gehälter einiger Stars nicht bezahlt hat. Dass es dem trickreichen Cragnotti trotz aller Probleme noch einmal gelingen wird, die Gelder zusammenzubekommen, bezweifeln die Experten freilich nicht ernsthaft.“
Christoph Albrecht-Heider (FR 26.7.) meint dazu,. „Wenn Lazio und AS die Lizenz verweigert würde, dann stünde die italienische Kapitale ohne Erstligist da. Selbstverständlich werden sie die Spielgenehmigung für die Serie A nachgereicht bekommen, und sei es nur, dass irgendein reicher Unternehmer tut, was in seinen Kreisen einem karitativen Akt gleich kommt: Lokale Profis päppeln. Letztlich werden Lazio und AS, mindestens aber einer der beiden Hauptstadt-Vereine, die Lizenz schon allein deshalb erhalten, weil Spitzenfußball in Italien ohne einen Repräsentanten der Hauptstadt undenkbar ist.“
Birgit Schönau (SZ 25.7.) zum selben Thema. „Angesichts dieser Aussichten bewegt sich auf dem Transfermarkt überhaupt nichts. Als einziger möglicher Coup wird Rivaldos Wechsel zum AC Mailand gehandelt – Patron Berlusconi könnte aus Prestigegründen tief in die reich gefüllte Privatschatulle greifen. Ansonsten bleibt wohl alles beim alten, auch die Trainer sitzen so fest im Sattel wie nie.“
Die Entwicklungen auf dem Transfermarkt hat Wolfgang Hettfleisch (FR 25.7.) im Auge. „Sollte mit dem Bosman-Urteil auch beabsichtigt gewesen sein, die perversen Auswüchse des Transfergeschäfts zu kappen, so ging dieser Versuch anfangs voll in die Hose. Die längst offenkundige Krise im europäischen Fußballgeschäft scheint das grundlegend zu ändern. Der Zwang zur betriebswirtschaftlichen Vernunft ist bei den Klubs so stark, dass der FC Barcelona einen 30 Jahre alten Mitarbeiter mit Schlüsselqualifikation namens Rivaldo Vitor Borba Ferreira in den Wind schreibt, solang man damit nur seine exorbitanten Lohnkosten verringern kann (…) Die Zukunft des Berufsfußballs könnte wechselnden Engagements mit kurzer Laufzeit gehören. Der vor Bosman gern beklagte „Sklavenmarkt“ wäre abgeräumt – Vereinstreue der Spieler und Identifikationspotenzial für die Fans wohl gleich mit.“
Über den Berliner Neuzugang lesen wir bei Javier Cáceres (SZ 27.7.). „Die Operation Luizão ist ein hübsches Geburtstagsgeschenk, das sich Hertha macht; der Berliner Bundesligist beging gestern die 110. Wiederkehr seiner Gründung im Beisein von Honoratioren aus Sport und Politik. Doch geht die Bedeutung des Transfers auch darüber hinaus. Die strategischen Ziele (Präsident Bernd Schiphorst: „Endlich die deutsche Meisterschaft“) werden nochmals untermauert. Des weiteren ist die Verpflichtung auch symptomatisch für die Lage des europäischen Fußballer-Marktes – noch nie hat ein Bundesligist einen Weltmeister unmittelbar nach Beendigung der WM unter Vertrag nehmen können. Luizão hat zuletzt mit italienischen und spanischen Klubs kokettiert, doch dort sind die Wechselbörsen abgestürzt (…) Luizão entschied sich für Hertha auch deshalb, weil die Berliner ihm garantieren können, was anderswo in der weiten Fußballwelt weniger gesichert ist: die pünktliche Bezahlung.“
Dirk Graalmann (SZ 26.7.) schreibt über die dritte deutsche Spielklasse. „Die dritte Spielklasse, zu besten Zeiten die Liga mit dem unvergleichlichen Charme des Lokalkolorits, versprüht für das Gros der Fußball-Fans die Attraktivität einer Abrissbirne. Die Liga, vor zwei Jahren von einer Vierteilung auf zwei Staffeln zusammengeführt, leidet unter strukturellen Problemen. „Es ist jedes Jahr wieder ein Kampf“, sagt Essens Geschäftsführer Nico Schäfer. Dabei empfinden sich die Klubs regelmäßig als Don Quichottes, als Kämpfer ohne Aussicht auf Erfolg. Die ohnehin nicht sonderlich erkleckliche Summe an TV-Einnahmen in Höhe von 375.000 Euro je Klub wird den Vereinen in vier Raten bezahlt – die ersten beiden wandern sofort weiter an die Berufsgenossenschaft. Vor dieser Saison entschied der DFB- Bundestag zudem gegen den massiven Widerstand der Klubs eine Zwangsregelung zur Förderung des Nachwuchses einzuführen. Nun müssen in jedem Spiel bei jedem Team mindestens vier deutsche Kräfte unter 24 Jahren auf dem Spielberichtsbogen stehen. „Wir sind das Ausbildungslager für oben geworden“, sagt Schäfer unter deutlichem Grollen. „Nur werden wir für unsere Leistung nicht bezahlt.“ Was bleibt, ist die stete Hoffnung auf das Ticket zur Flucht.“
Die halbjährige Sperre für Jan Ullrich kommentiert Hans-Joachim Waldbröl (FAZ 25.7.). „Der Anfangsverdacht, dass da wohlgesinnte Verbandsjuristen und der positiv getestete Branchenführer unter dem Verhandlungstisch gemauschelt hätten, kann im Keime erstickt werden – zur Beruhigung der Skeptiker und zur Enttäuschung aller Verschwörungstheoretiker: Jan Ullrich ist nach dem eingestandenen Genuss von Partydrogen Gerechtigkeit widerfahren; der Richterspruch ist geprägt von der angebrachten Strenge, aber auch ausgezeichnet durch die vertretbare Milde. Wenn die Verteidigung ihre Bereitschaft, auf ein langwieriges juristisches Gefecht über die volle Länge des Instanzenweges zu verzichten, an ein akzeptables Strafmaß bindet, so ist diese Absprache nicht nur legal, sondern sogar sachdienlich. Im amerikanischen Recht ist das Pre-bargaining, das Vorverhandeln, gang und gäbe. Anrüchig wäre dieser vermeintliche Deal nur, falls sich die Richter durch einen Beschuldigten von der gebotenen Strafe herunterhandeln ließen, damit er ihnen – anders als der Langläufer Dieter Baumann mit seinem zweieinhalbjährigen Gerichtsmarathon – bloß keine Scherereien mache.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Themen: Magath nach Schalke? – weiterhin Gerüchte um die guten Beziehungen zwischen Nürnberg und Leverkusen – Hamburger Finanzsorgen
Ein Wechsel des Trainers liegt auf der Hand
Thomas Kilchenstein (FR 23.5.) kann das beidseitige Interesse zwischen Schalke 04 und Felix Magath verstehen. „Sie ist arg verlockend, die Offerte aus Schalke, keine Frage. Felix Magath hat binnen zwei Jahren einen veritablen Imagewechsel vorgenommen: Vom letzten Diktator Europas (Bachirou Salou, 2001) hin zu einem modernen, innovativen Fußballlehrer, der der Jugend nicht nur eine Chance gab, sondern sie auch spielen ließ, sind gerade mal knapp zwei Jahre vergangen. Vom gnadenlosen Retter zum einfühlsamen Übungsleiter, der auch Aufbauarbeit leisten kann, in 24 Monaten – das ist eine reife Leistung. Sie ist nach menschlichem Ermessen beim VfB kaum zu toppen, selbst wenn Magath im Überschwang der Gefühle schon mal was von der Deutschen Meisterschaft gesagt hat. Ein Wechsel des Trainers läge also auf der Hand. Und die Chance, etwa mit Schalke 04 erneut ganz oben mitzuspielen und endgültig in die Phalanx der Erfolgstrainer aufzusteigen, hat ihren Reiz. Gerade für Felix Magath, der jetzt erst recht allen beweisen will, dass sein wundersamer Wandel von Dauer ist.“
Letzte Spieltage haben es immer in sich
Vor dem Saisonabschluss kommentiert Peter Penders (FAZ 23.5.). „Letzte Spieltage haben es immer in sich, wenn es für die einen um alles, für andere wie Nürnberg (und auch Hannover, das in Bielefeld spielt) um nichts mehr geht. Die pikante Note liegt auch nicht darin, daß Leverkusen ausgerechnet den Nürnberger Mittelfeldspieler Jarolim umwirbt. Solche Situationen hat es schon immer gegeben. Daß aber der gerade in Nürnberg erst entlassene Klaus Augenthaler nun mit der Freigabe des Clubs als flugs in Leverkusen angeheuerter Trainer versuchen muß, das Schlimmste für Bayer noch zu verhindern, gibt der Partie einen schwer bekömmlichen Beigeschmack. So dürfen Spieler zwar nur in zwei Transferperioden den Verein wechseln, um zumindest eine gewisse Chancengleichheit zu wahren, bei den Trainern hingegen enthalten die Statuten keinerlei Beschränkungen. In der freien Wirtschaft würde es große Verwunderung auslösen, wenn ein hochbezahlter leitender Angestellter heute hier und morgen bei einem direkten Konkurrenten arbeitete. Mehr Insiderwissen als Augenthaler kann kein Trainer über Nürnberg haben – die Frage bleibt, ob dieser Vorteil schwerer wiegt als mögliche Ressentiments gegen einen Trainer, den viele Nürnberger Profis nicht mehr haben wollten.“
Nun hat das Gerücht mal wieder die Fußball-Bundesliga überfallen
Erik Eggers (FR 23.5.) blickt zurück. „Das Gerücht besitzt einige eklige Eigenschaften. Ein untrügliches Merkmal ist, dass es plötzlich auftaucht, für gewöhnlich nämlich schleicht es sich in aller Heimlichkeit an. Nur selten gelingt es deswegen, seine Genese in vollem Umfang zu verorten. Nun hat das Gerücht mal wieder die Fußball-Bundesliga überfallen, präziser: jene Regionen, die sich nun, da das Finale Grande ansteht, den Absturz in die zweite Liga befürchten. Es hat sich gemütlich eingerichtet in Bielefeld, Leverkusen und Nürnberg. Vor allem der deutsche Vizemeister hat dabei das Gerücht gewissermaßen zu sich eingeladen, als er zuletzt Trainer Klaus Augenthaler verpflichtete. Der war ja nun erst kurz zuvor beim 1. FC Nürnberg gefeuert worden. Ausgerechnet! (…) Das Gerücht wabert weiter. Vielleicht auch deswegen, weil es sich auskennt in Leverkusen. Das letzte Mal besuchte es die BayArena im Mai 2001, nur haben es damals viele nicht so sehr wahrgenommen angesichts des finalen Duells um die Meisterschaft zwischen Bayern München und dem FC Schalke 04. Der damals noch von Berti Vogts trainierte Werksklub musste damals ebenfalls unbedingt gewinnen, um den vierten Platz und damit die Qualifikation zur Champions League zu sichern. Gegner damals: Der VfL Bochum, der – die erste, verblüffende Parallele – bereits abgestiegen war. Und auch damals sollte der beste Mittelfeldspieler des Gegner, ein gewisser Yildiray Bastürk, nach Leverkusen wechseln, nur um die Höhe der Ablöse stritt man sich noch. Damals zählte Bastürk zum Lieblingsspieler des Coaches Klaus Toppmöller, der bald darauf unter dem Bayer-Kreuz vorgestellt wurde. Das Spiel war grausam, aber Bayer gewann mit größter Mühe und viel Glück 1:0 und ein Jahr später beinahe die Champions League. Bastürk übrigens hatte nicht gespielt, wegen einer Muskelverletzung. So die offizielle Version. Das Gerücht aber erklärte, Leverkusen hätte auf Bastürk (der wohl zu Fenerbahce Istanbul gehen wird) eingewirkt, auf einen Einsatz zu verzichten.“
Bernd Müllender (FTD 23.5.) resümiert die Leverkusener Saison. „Gefehlt hat nur, dass der Klub den Bahnemann Hartmut Mehdorn als Schrankenwärter vor dem Abstellgleis Zweite Liga verpflichtet hätte oder gleich Mohammed Said el Sahhaf als Kommunikationsdirektor. Die untergetauchte Stimme Saddams („Es gibt keine Amerikaner in Bagdad“) hätte den Bayer-Kreuzzug ins Unglück zum Guten gedreht: „Glaubt mir, es gibt gar keine Absteiger. Ich habe Erfahrung in Untergängen, die keine sind. Tabellen sind Teufelswerk der Ungläubigen. Wir werden noch alle Gegner vernichten und Vizemeister. Insh’ allah.““
Axel Kintzinger (FTD 23.5.) recherchiert Hamburger Finanzsorgen. „Fast überall im deutschen Profifußball nimmt man die Bilanzen nun so wichtig wie die Tabelle. Die Liga hat über ihre Verhältnisse gelebt, und ein Blick nach Italien oder Spanien lehrt, wo das enden kann. Bankrotte Klubs hie, Horrorschulden der Liga (1,8 Mrd. Euro) da. Die Bundesliga steht mit derzeit insgesamt 599 Mio. Euro in der Kreide. Auch Hoffmann, 40, im Laufe dieser Saison vom Sportrechtevermarkter Sportfive, wo er Geschäftsführer war, an die Spitze des HSV gewechselt, weiß, wovon er spricht. Sein Klub steckt mitten in einer Sanierungsphase. Dabei sind die sportlichen Perspektiven nicht schlecht. Vor dem letzten Spieltag (gegen Hansa Rostock) steht der HSV auf Platz vier, mit viel Glück kann er morgen sogar noch einen Platz vorrücken und stünde damit in der Qualifikation zur Champions League. Das riecht nach Geld und könnte auch in der Führungsetage Anlass sein für hoch fliegende Träume. Aber Hoffmann plagen noch sehr irdische Probleme. Der Klub hat in der laufenden Spielzeit ein Minus von 12,5 Mio. Euro angehäuft. Und noch immer fehlt dem Traditionsklub ein neuer Hauptsponsor. 5,7 Mio. Euro jährlich hatte der Verlag Milchstraße bislang gezahlt, jetzt ist sein Engagement beendet. Wie es aussieht, stehen die Interessenten nicht gerade Schlange; aber immerhin, einige gebe es, und falls der HSV demnächst europäisch spielt, könnte das die Sache zusätzlich erleichtern. Warum also tut sich der noch nie abgestiegene Bundesliga-Dino HSV, ausgestattet mit einem schmucken Stadion, nur so schwer? „Fragen Sie Alan Greenspan oder Hans Eichel“, sagt Hoffmann, „die mache ich in erster Linie verantwortlich.“ Klingt gut, hilft aber auch nicht weiter. Vielen Branchen, aus denen Sponsoren kommen könnten, geht es selber schlecht. Zahllose Firmen stecken „in der Kernsanierung“, sagt Hoffmann, „die können es dann schwer vertreten, 3000 Leute zu entlassen und gleichzeitig so viel Geld in einen Fußballklub zu stecken“.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Deutschland und England
Deutschland und England stehen als erste Viertelfinalteilnehmer fest; ausgerechnet die beiden alten Fußballmächte, die bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren Anzeichen der Degeneration zeigten und bereits in der Vorrunde ausschieden. Die bisherigen Reaktionen der Presse auf das (gerade in der ersten Hälfte) mäßige deutsche Spiel sind hierzulande wohlwollend. Jedoch wird man den Montag abzuwarten haben, um endgültige Aussagen zu treffen.
Pressestimmen zu den Spielen der Gruppe H (JAP-TUN, BEL-RUS)
Pressestimmen zu den Spielen der Gruppe D (POR-KOR, USA-POL)
if-Dossier
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Zustand deutscher Sportberichterstattung
Roderich Reifenrath (FR 16.7.) bringt den Besorgnis erregenden Zustand deutscher Sportberichterstattung auf den Punkt. „Der Prozess verläuft schleichend, hat nicht erst jetzt begonnen, gewinnt aber immer deutlichere Konturen. Der Prozess hat überwiegend etwas mit Eitelkeiten und Einschaltquoten zu tun, womit dann klar wäre, wovon hier die Rede ist: vom Fernsehen (das Wort natürlich könnte einem da leicht über die Lippen kommen), dem Leitwolf in einer zerklüfteten Medienlandschaft, in der Verlage und Anstalten nun schon drei Jahre in Folge krisengeplagt auf bessere Zeiten warten. Was sich zielstrebig da auszuwalzen beginnt, betrifft einen ganzen Berufsstand mit zigtausenden Journalisten. Unter ihnen befinden sich zugleich viele meist gut ausgebildete junge Frauen und Männer, die zurzeit ohne Festanstellungs-Aussichten auf ihre Lebenschancen warten. Und die deshalb allen Grund hätten, verbittert zu registrieren, wie hier und dort, vor allem aber in der Sportberichterstattung des Fernsehens, viel Geld verpulvert wird, um Prominente als Journalisten-Darsteller in Szene zu setzen. Qualitäts-Zeitungen leisten sich diesen doppelbödigen Luxus so gut wie nie. Und selbst wenn sie es könnten, würden sie im Zweifel auf das häufig geistlose Gerede oder den unredigierbaren Promi-Humbug aus guten Gründen verzichten. Max Merkel als Autor in Bild oder Franz Beckenbauer als Kommentator irgendwo auf der Mattscheibe: Terminatoren der deutschen Sprache, allzeit bereit, zum eigenen Wohl und Nutzen drauflos zu schwadronieren. Wen außer einen Kabarettisten amüsiert das eigentlich? Das Fernsehen vor allem begünstigt die schleichende Entwertung professioneller Standards auf eine Weise, die zur Frage provoziert, warum Leute mit einem korrekt ausgestellten Presseausweis nicht aufbegehren, wenn andere kraftvoll dabei sind, ihr Berufsbild zu schleifen. Bei nahezu jedem wichtigen Sportereignis bekommen neben den moderierenden Journalisten weitläufig vermarktete Experten auf eine Weise die Mikrofone ausgehändigt, das selbst Insider die Orientierung verlieren. Sind das nun Kollegen? Am Sportrechte-Händler Günter Netzer als Analyst von Länderspielen der Fußball-Nationalmannschaft lassen sich zurzeit die unscharfen Grenzen am sinnfälligsten demonstrieren. Neben seinem Alter Ego Gerhard Delling agiert er – ohne Zweifel kenntnisreich – gleichrangig wie der Reporter. Aber ihm fehlen zugleich wesentliche Merkmale, die einen Journalisten neben handwerklichen Fähigkeiten auszeichnen sollten: Unabhängigkeit etwa. Zwar ist nicht zu erkennen, dass sich der Kommentator Netzer ungeniert vor den Karren des Rechtehändlers Netzer spannt, doch damit ist das Problem der doppelten Loyalität und Interessenkollision nicht wegdiskutiert. Es galt und gilt, bereits den Anfangsverdacht einer möglichen Befangenheit zu meiden, wie das in anderen sensiblen Berufen selbstverständlich ist: bei der Justiz zum Beispiel. Aufschlussreich und ärgerlich sind auch die Auftritte des multifunktionalen Kaisers, den Sportjournalisten des bayerischen Fernsehens wie Gerd Rubenbauer in ihren Sendungen mit Franz anreden und damit zu erkennen geben, wie sehr in manchen Sparten der Klüngel das Zepter schwingt. Solange Leo Kirch noch ein mediales Imperium dirigierte, bediente der idiomgehärtete Boss des deutschen Fußball-Meisters im Gestus des Journalisten privates Fernsehen. Es bescherte ihm, Manna fällt bekanntlich vom Himmel, in vier Jahren viele Millionen Euro. Würde ihn das ZDF nun mit sattem Salär ins eigene Fußball-Format einbetten, dann leisteten künftig die Mainzelmännchen mit Reporter Franz der Nivellierung journalistischer Arbeit weiteren Vorschub. Die beiden einstigen Fußballer sind schöne Beispiele für die Deformationen eines Berufs, bei dem es offenkundig gar keine Rolle mehr spielt, was einer gelernt hat, bevor er sich ans Mikro wagt.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Verdachtsmomente gegenüber dem DFB
Angesichts der Verdachtsmomente gegenüber dem DFB, wie der FC Bayern von Kirch verdeckte Zahlungen erhalten zu haben, wirft Wolfgang Hettfleisch (FR 17.3.) ein. „Eine Lappalie? Nein. Aufschlussreich sind nicht die Unterschiede der Nebenabsprachen von DFB und FC Bayern mit Kirch, sondern die übereinstimmenden Rückschlüsse, die sie hinsichtlich der offenkundig verlotterten Sitten der Akteure im Milliardenspiel Bundesliga-Fernsehrechte zulassen. Im Zuge des damaligen 700-Millionen-Mark-Deals mit Kirch klammheimlich einen Millionen-Bonus für einen medialen Restposten zu kassieren, der zwingend Bestandteil des großen Geschäfts hätte sein müssen, das riecht kein bisschen besser als die finanzielle Vorzugsbehandlung des FCB durch den Münchner Medienmulti. Und wenn der heutige Vorsitzende der DFL-Geschäftsführung, Wilfried Straub, der anno ‚92 das Geschäft mit ISPR abgeschlossen hatte, sich damit rechtfertigt, die Zusatzvereinbarung sei formal rechtens gewesen, so erinnert das fatal an die Verteidigungsstrategie der Bayern-Bosse in den vergangenen Wochen. Von Unrechtsbewusstsein hier wie dort keine Spur. Wenn’s hart auf hart kommt, hat man ja seine Juristen. Die aber können allenfalls unmittelbar materielle Verluste abwenden. Nicht aber den Imageschaden. Und der ist gewaltig. Hat Kirch sich den DFB mit Geld gefügig gemacht? So wie später Bayern München? Beckenbauer-Intimus Fedor Radmann desgleichen? Und wen noch?“
Frank Ketterer (taz 17.3.) veranschaulicht. „Uli Hoeneß tat das, was er kann wie auf Bestellung: lächeln. Nicht freundlich und nett, wie es normale Menschen tun, sondern so leicht von oben herab, geprägt von jener ureigenen Arroganz und Feistheit also, wie sie dem Bayern-Manager eigen ist. Dazu ließ der Münchner Wurstfabrikant sein Wurstgesicht blutwurst-rot im Scheinwerferlicht der Fernsehkameras glänzen und sagte, dass er nichts sagen wolle zu der ganzen Angelegenheit, schließlich mangele es ihm an Kenntnis der durchaus pikanten Details. Das dürfte, so sei unterstellt, zum einen glattweg gelogen sein; wenn nicht, wird Herr Hoeneß dem mittlerweile längst Abhilfe geschaffen haben. Montag ist schließlich Spiegel-Tag, und in dem ist ziemlich exakt nachzulesen, was die Liga schon am Samstag in Aufregung versetzt hat.“
Jörg Hahn (FAZ 17.3.) bezweifelt die Wirksamkeit von Trainerwechseln. „Wenn’s gutgeht, haben es viele ja immer schon gewußt. Wenn’s schiefgeht, dann natürlich auch. An Kurt Jara und an Erik Gerets auch in schwierigen Zeiten als Trainer festzuhalten scheint sich für den Hamburger SV und den 1. FC Kaiserslautern nun als genau die richtige Entscheidung herauszustellen. Im Falle Eduard Geyers hat man das nach der Winterpause zunächst auch gedacht, doch nach drei Niederlagen und dem 1:3 gegen den 1. FCK steht Energie Cottbus wieder ganz am Ende. Die Planungen für die zweite Liga sollten beginnen, oder nicht? Einen zweiten Kraftakt wie an den ersten Rückrundenspieltagen erwartet selbst in der Lausitz kaum einer mehr. Wie soll Geyer die Mannschaft denn noch stark reden? Es ist wahrscheinlich alles gesagt. Hilft ein Trainerwechsel überhaupt, gibt es dafür eigentlich einen idealen Zeitpunkt? Blicken wir nach Leverkusen, stellt sich das generelle Problem des Abstiegskampfs in aller Schärfe dar. Ob Klaus Toppmöller, Thomas Hörster oder ein anderer – wenn Bernd Schneider seine Elfmeterchancen nicht nutzt, spielt der Name des Trainers keine Rolle (…) Was kann die Liga noch aufregen? Die Mannschaft, die vollends die Nerven zu verlieren scheint, nicht allein bei internen Zusammenkünften, sondern nun auch noch auf dem Platz, der FC Schalke 04? Der Sieger des Tages, Arminia Bielefeld? Diese beiden Beispiele zeigen ebenfalls, daß Mißerfolg oder Triumph offenbar weniger mit den großen strategischen Überlegungen zu tun haben, sondern stark von persönlichem Unvermögen oder individuellem Können abhängen.“
Marc Schürmann (FTD 17.3.) meint dazu. „Die armen Trainer, das sind doch auch nur Menschen wie du und ich, wie halten die den Druck bloß aus, wie verkraften sie diesen immer neuen Sturz vom Heilsbringer zum Sündenbock? Aber man tut den Trainern Unrecht. Sie sind keine Menschen wie du und ich. Bei der Hochzeit eines Trainers sagt die Frau nicht Ja, wenn die Frage nach dem Lieben und Ehren und BisderTodeuchscheidet kommt. Sie sagt: „Ich stehe voll hinter meinem Mann. Es gibt keine Gattendiskussion. Wir ziehen das gemeinsam durch.“ Zu Hause ist der Mann ständig unruhig. Er stellt überall im Haus rote Hütchen auf und will, dass seine Kinder den Briefträger abgrätschen. Den Hund führt er nur Gassi, wenn der sich an die taktischen Vorgaben hält: ein möglichst früher Haufen, dann die Gegend konzentriert weiter markieren und am Ende noch mal in die Wiese kontern. Aber manchmal hilft auch die größte Mühe des Trainers nicht – trotzdem kommt der Briefträger durch und der Hund kackt ins Wohnzimmer. Dann ist klar, was passiert. Die Frau beteuert, sie habe ihre Meinung seit der Hochzeit nicht geändert, aber in Wahrheit muss sich der Mann nach einer anderen umsehen. Deswegen sind Bundesligatrainer so seltsam. Natürlich ist es ein hartes Los. Und wenn der Spieler den Elfer verschießt, kann der Trainer wirklich nichts dafür. Aber eine Entlassung ist halb so wild. Erst dann kann sich ein Trainer endlich voll auf die Familie konzentrieren.“
1. FC Nürnberg – Hertha Berlin 0:3
Die FTD (17.3.) berichtet aus Nürnberg. „Präsidenten von Bundesliga-Klubs sind nicht nur Chefs von Unternehmen, die den Menschen Freude bereiten sollen. Manchmal sind es einfach nur Mittelständler, denen der erreichte Wohlstand nicht reicht und die nach Höherem streben – öffentlicher Anerkennung zum Beispiel oder Glamour. Michael A. Roth, Teppichhändler aus Nürnberg, ist so ein Mann. Und wenn der Präsident des 1. FC Nürnberg die Angestellten in seinem Teppichhandel so behandeln würde wie den Trainer seiner Profimannschaft, dann wäre er wohl nie zu seinem Reichtum gekommen. Trainer Klaus Augenthaler, verkündete Roth dieser Tage, müsse am Sonntagabend drei Punkte gegen Hertha BSC Berlin holen, um noch weiter sein Gehalt zu beziehen. „Trainer ist der schönste Job, wenn man Erfolg hat“, sagte Augenthaler vor dem Spiel, „und der beschissenste, wenn man keinen Erfolg hat“. Gestern Abend hatte Augenthalers Truppe wieder einmal keinen Erfolg. Mit 0:3 mussten sich die „Clubberer“ der Hertha beugen. Und was passierte nach dem Spiel? Da blieben die Fans auf den Tribünen stehen und feierten Augenthaler so lange, bis der Mann wieder aus der Kabine herauskam, um die Ovationen persönlich anzunehmen. Eine Demonstration gegen einen Vereinspräsidenten, wie sie die Liga lange nicht erlebt hat.“
1860 München – VfB Stuttgart 0:1
Die SZ (17.3.) schreibt zum Spiel. „„Falko, viel Glück + hau rein“, hatten die Fans auf ein Laken gepinselt und im Löwen-Block aufgespannt. Es klingt alles gut, was der junge Mann in der vergangenen Woche erzählt hat, vor allem, dass er sich der Traditionen dieses Vereins erinnerte. Kratzen und kämpfen müssten die Löwen wieder und so ihr Image als Arbeiterverein aufpolieren. Er selbst würde deshalb nicht wie damals in Berlin, als er die Hertha von Sieg zu Sieg führte, im edlen Anzug das Spiel verfolgen, sondern im Arbeitsanzug. Götz trug eine dunkle Hose und einen hellbraunen Pullover, drüber hatte er eine Trainingsjacke gezogen. In Berlin waren Spieltage für ihn Festtage. Bei Sechzig wird die Krawatte noch eine Weile im Schrank bleiben müssen. Falko Götz hat am Mittwoch zum ersten Mal das Training bei den Sechzigern geleitet, am Sonntag musste er erkennen, dass drei Tage zu wenig waren, um den Komplex zu heilen, an dem seine Mannschaft leidet. Im Olympiastadion gelingt es ihnen nicht, das Spiel zu machen, inzwischen glauben sie offenbar auch nicht mehr daran, dass es ihnen überhaupt gelingen könnte – sie versuchen es gar nicht erst.“
Hamburger SV – Schalke 04 3:1
Jörg Marwedel (SZ17.3.) porträtiert einen erfolgreichen Österreicher. „Jara ist ein ausgeschlafener Trainer, kämpft um die Ehre Austrias und macht sich verdient um den Hamburger SV – jenen Klub, mit dem Happel anno 1983 den Europapokal der Landesmeister eroberte. Gut, Jara ist erst auf Bundesliga-Rang vier angekommen, aber das ist viel, wenn man bedenkt, in welchen Tiefen des Raumes er den HSV im Herbst 2001 übernommen hatte. Mit Recht hat Jara deshalb am Samstag darauf hingewiesen, dass „auch Österreicher ordentliche Arbeit abliefern können“. Das war wichtig, weil ihn noch immer Skepsis begleitet, und er unlängst sogar beklagte, er habe beim großen Nachbarn noch längst nicht jenen Status erreicht, den er daheim genieße. Einmal haben die Fans ein Schild an die Straße zum Trainingsgelände des HSV gestellt: „Nach Innsbruck links abbiegen!“, stand darauf. Zuletzt hat Jara der kaum versteckte Flirt des Vereins mit dem in Stuttgart wirkenden HSV-Idol Felix Magath gekränkt. Doch weil Magath vermutlich sein schwäbisches Mirakel über 2004 hinaus fortsetzen will, darf er wohl weiter in Hamburg am Ruf Österreichs arbeiten. Das heißt: mit diesen hartnäckigen Vorurteilen aufräumen, wozu wir an dieser Stelle gern einen Beitrag leisten wollen. Es sei also festgestellt, dass der HSV unter Jara hundertprozentig unösterreichisch spielt: diszipliniert wie ein Kadettenchor, beinhart wie eine Horde kanadischer Holzfäller, nüchtern wie hanseatische Kaufleute.“
Frank Heike (FAZ 17.3.) beschreibt Schalker Reaktionen. „Es ist ein Jammer – die Schalker fühlten sich nach zehn Punkten aus acht Spielen der Rückrunde im allgemeinen und dem 1:3 am Samstag beim Hamburger SV im speziellen betrogen, beschädigt, verurteilt. Verfolgt? Ein wenig wirkte es so, nach dieser harten, schnellen, aber niemals hochklassigen Partie zweier Teams, die der Tabelle nach die erweiterte Spitze der Bundesliga darstellen. Denn mögen die Schalker Klagen über die Fehler der Unparteiischen bei Heimspielen in ihrer Arena zuletzt berechtigt gewesen sein, gab es an den Handzeichen und Pfiffen von Schiedsrichter Jürgen Aust in der AOL-Arena wenig auszusetzen: Sowohl die Gelb-Rote Karte gegen Christian Poulsen als auch die Rote Karte gegen Annibal Matellan waren akzeptabel. Die beiden Schalker hatten es mit ihrem Einsatz übertrieben und den Ellenbogen ausgefahren (…) Ohne die Platzverweise hätten wir hier nie verloren, sagte Manager Assauer, kündigte Strafen an und erklärte, wo denn dieses Mal die Ungerechtigkeit gelegen habe. Nicht etwa bei den Entscheidungen gegen die eigene Elf. Sondern bei den Karten, die der Gegner nicht bekommen habe. Schuldig im Sinne der Schalker Anklage, freigesprochen von Aust, mußte sich Bernd Hollerbach fühlen. Der sei herumgelaufen wie ein wildgewordener Rasenmäher, sagte Neubarth. Wie der Hamburger Verteidiger von Beginn an provoziert, wie er zuerst Asamoah und dann Varela gefoult habe, das hätte allemal einen Platzverweis geben müssen. Dabei hatte Hollerbach doch nur gespielt wie so oft: den Gegner etwa in der dritten Minute überhart angehen, hoffen, daß der Schiedsrichter Gnade vor Recht ergehen läßt, und dann bei jeder Aktion so nah am Mann sein, daß der irgendwann die Lust verliert. Einmal drehte der fränkische Rasenmäher dabei aber zu sehr auf. Als er Varela beim Aufstehen hinterhältig aufs Bein trat, hatte er Glück, daß der Schiedsrichter-Assistent nichts sah. Insofern klagten Assauer und Co. zu Recht. Besonders klug und weitsichtig ist es aber nicht, Platzverweise für den Gegner zu verlangen. Neben dem Rückfall auf Platz sechs war es wohl auch der unangenehme Spielverhinderungsfußball des HSV, der die sich zu Recht als besseres Team betrachtenden Schalker so ärgerte. Mit vollem Einsatz, dem Vertrauen auf die Mannschaft und einer starken Ersatzbank sind die Norddeutschen von Platz 15 nach dem vierten Spieltag auf Rang vier geklettert. Trainer Kurt Jara, der an Profil gewinnt und sich nach achtzehn Monaten als Trainer allmählich von Vereinsführung und Umfeld verstanden fühlt, ist dabei nicht entgangen, daß seine Mannschaft vor allem durch Wucht und Behauptungswillen gewinnt, nicht durch Raffinesse.“
René Martens (taz 17.3.) meint dazu. „Assauers Ärger über das Auftreten des Hamburger Mittelfeldspielers war einerseits verständlich, denn Poulsen hatte seine zweite gelbe Karte für eine Tat gesehen, die einer von Hollerbach an Gustavo Varela 20 Minuten vorher stark ähnelte, verwarnt worden war der Hitzkopf der Gastgeber dafür freilich nicht. Neubarths Gemecker mutete andererseits auch ein bisschen weltfremd an: Wie ein wild gewordener Handfeger – um mal bei diesem nicht hundertprozentig gelungenen Bild zu bleiben –, spielt Bernd Hollerbach seit jeher, und dabei hat er stets von einem höchst liberalen Strafvollzug profitiert. Die 55.000 Zuschauer in der ausverkauften Arena am Volkspark waren sowieso froh gewesen, dass da einer wie Hollerbach auf dem Feld stand. Oder einer wie Frank Rost, der die allgemeine Schalker Gereiztheit der letzten Wochen dokumentierte, indem er zweimal aus dem Tor rannte, um sich an gar nicht mal so dringlichen Diskussionen zu beteiligen. Immerhin fanden die beiden nominellen Spitzenteams so wenigstens über die Hektik zur Unterhaltung. In der ersten Halbzeit hatten sie bestenfalls gepflegte Langeweile produziert.“
Zur Situation von Schalke-Trainer Frank Neubarth heißt es bei Jörg Marwedel (SZ 17.3.). „Die Diskussionen um ihn und die Frage, ob er, der junge Trainer, die Mannschaft im Griff hat. Und Ruhe bei der Arbeit, die sei ebenfalls nicht zu erwarten. „Ruhe“, sagte Neubarth mit feiner Ironie: „Ich will nicht sagen, dass dieses Wort auf Schalke gänzlich unbekannt ist…“ Und weil man die Mannschaft nicht abschirmen könne („Das ist gegen die Vereinsphilosophie“), werden wohl auch die „Konsequenzen“, die man den Rot- Sündern Christian Poulsen und Annibal Matellan für deren „Disziplinlosigkeiten“ (Assauer) in Aussicht stellte (vermutlich Geldstrafen), die Aufgeregtheiten kaum dämpfen. Schließlich waren die beiden Ellbogenchecks von Poulsen und Matellan nur eine Folge der wochenlangen Spannungen und des Frusts. Schalke, das ist weiter ein explosiver Ort. Und man mag Strategie dahinter vermuten oder auch nicht – neben den vielen internen Problemen (zu denen sich in Hamburg der Ausfall von sechs Stammspielern gesellte) hat man längst ein weiteres Thema entdeckt, das den Klub als Opfer höherer Mächte erscheinen lässt: Schalke jammert über die Schiedsrichter, die aus blau-weißer Sicht die Gerechtigkeit außer Kraft gesetzt haben. Einen ganzen Film über die vergangenen sechs Wochen könne er zusammenstellen, hat Manager Assauer im Premiere-Studio behauptet, mit dem ließe sich „genau nachweisen, wie viele Punkte wir durch falsche Schiedsrichterentscheidungen verloren haben“. Auch in Hamburg hat Schalke den Spielleiter Jürgen Aust nicht als Freund und Helfer empfunden, obwohl selbst Assauer die Platzverweise als „absolut korrekt“ einordnete. Torwart Frank Rost hat sich gar gewünscht, „dass wir auch mal so einen Schiedsrichter zuhause haben“. Dabei konnte man Aust entscheidende Vergehen kaum nachsagen.“
Bayer Leverkusen – VfL Wolfsburg 1:1
Christoph Biermann (SZ 17.3.) kommentiert das Dilemma in Leverkusen. „Vielleicht fiel die Ödnis gerade deshalb so deutlich auf, weil eigentlich gar nichts Besonderes passiert war. Das 1:1 gegen den VfL Wolfsburg war für Bayer Leverkusen enttäuschend, aber kein neuer, ungeheurer Tiefpunkt oder gar ein grausames Fiasko. Es war ein Unentschieden, wie es sie in der Bundesliga zu Hunderten gibt. Nach einem irgendwie unterdurchschnittlichen, aber auch wieder nicht komplett ungenießbaren Spiel. Medioker in jeder Hinsicht und provinziell verlief der Nachmittag und war von daher doch dramatisch. Bayer Leverkusen ist nämlich ein Klub, der unterhalten muss, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Als werbetreibende Tochter des Konzerns fliegen der Fußball GmbH nur wenige Herzen einfach so zu. Die Mannschaft muss besonders gut spielen oder besonders schlecht. Dann wird der Klub wahrgenommen, der in den vergangenen Jahren ein Leben in den Extremen geführt hat. Der Samstag, an dem gegen Wolfsburg unentschieden gespielt wurde, markiert jedoch den Beginn einer anderen Zeit. Wo jahrelang alles strahlend weiß oder tiefschwarz war, hat nun offenbar die graue Phase begonnen. Am kommenden Mittwoch wird gegen Inter Mailand die Champions League abgeschlossen, der DFB-Pokal ist es längst. Es bleibt allein der Kampf um den Klassenerhalt. Das mag anderswo das Publikum elektrisieren, in der BayArena war davon nichts zu spüren. Gegen Wolfsburg kamen nicht einmal alle Inhaber einer Karte ins Stadion, wie man an den vielen leeren Sitze im nominell ausverkauften Stadion sehen konnte. Bayer hat die Mühen der Ebene erreicht, eigentlich sind es die der Tiefebene. Und niemand illustriert die damit verbundene Tristesse besser als Trainer Thomas Hörster. Um ein Interesse für den Klub zu wecken und für die Mannschaft und ihr Ringen zu werben, ist er die größtmögliche Fehlbesetzung. Man spürt jedes Mal, wie sehr ihn der Gang vor die Mikrofone quält. Dort presst er sich spröde Statements ab, um sich bei Nachfragen daran festzuklammern, als hätte er gerade die Weisheiten eines Zen-Meisters hervorgebracht.“
Thomas Kilchenstein (FR 17.3.) meint dazu. „Goldig, diese Wolfsburger Fans. Wedelten ein bisschen mit ihren Schuhen, ehe sie anfingen, so richtig schmutzige Schmähgesänge auf Bayer Leverkusen anzustimmen. Ihr werdet nie deutscher Meister, nie deutscher Meister, ihr werdet nie deutscher Meister. Ach Gottchen, wie lang liegt das eigentlich zurück, dass Bayer Leverkusen was mit dem Titel zu tun hatte? Es muss Dekaden her sein. Heute stoppelt sich der Club, der mal ewiger Zweiter und begeisternden Fußball zu spielen in der Lage war, zu einem mickrigen 1:1 gegen einen in der Fremde gewohnt leblosen VfL Wolfsburg zusammen, und hinterher tun alle so, als sei das eine Riesenleistung. Ordentlich und vernünftig habe sich die Mannschaft präsentiert, befand Manager Reiner Calmund, gar Charakterstärke gezeigt. Darauf müsse man aufbauen können, blies Kapitän und Torschütze Carsten Ramelow ins selbe Horn, dieweil Trainer Thomas Hörster alles, was ich sehen wollte, gesehen hatte – Leidenschaft, Wille, Disziplin. Vielleicht muss man die Leverkusener Weichspüler verstehen. Vielleicht sind sie wirklich schon zufrieden mit so einer mäßigen Vorstellung ihrer Mannschaft. Vielleicht haben sie ja tatsächlich befürchtet, dass es noch schlimmer hätte kommen können – etwa so wie in der Champions League, an deren Schauplätzen sich die Bayer-Spieler zuletzt derart lustlos übern Rasen schleppten, dass selbst Calmunds Duz-Freund Sepp Blatter, Fifa-Boss, not amused war (…) Mit der Darbietung von Samstag wird sich Bayer Leverkusen schwer tun, den Abstieg zu verhindern. Selbst Ramelow schwante: Es wird knapp. Es wird deswegen eng werden, weil Bayer Leverkusen eine Mannschaft ist, die immer spielen will, und keine, die kämpfen kann, zumindest nicht so wie ein Abstiegskandidat kämpfen muss. Alle waren sehr bemüht, sprach Hörster nach dem Spiel. Bemüht? Das klingt nicht wirklich zuversichtlich, es klingt vor allem nach: so reicht es nicht. Eine Reihe von Spielern, etwa die Nationalspieler Balitsch, Bastürk und Neuville, hinken meilenweit hinter ihrer Normalform her. Neuville hatte seine beste Szene nach 35 Sekunden, als er eine schöne Flanke auf Daniel Bierofka schlug. Später bekam er noch mal Beifall, als er an der Außenlinie einen Gegenspieler angeschossen hatte.“
Christoph Bertling (Tsp 17.3.) berichtet aus Leverkusens Katakomben. „Offiziell geben die Spieler noch Solidaritätserklärungen für Thomas Hörster ab: „Der Trainer steht bei uns nicht in der Kritik“, sagen Bernd Schneider und Hanno Balitsch. Intern sieht es anders aus. Aus dem Spielerkreis verlautete, dass 90 Prozent nicht mehr hinter dem Trainer stehen. Dabei hat Thomas Hörster alle seine Mittel eingesetzt. Mit Kampf, Maloche und Knochenarbeit versucht er, die Mannschaft irgendwo zwischen Schweiß und Tränen auf den Abstiegskampf einzustimmen. Doch dies sind Tugenden, die den Spielern des Millionenunternehmens Bayer Leverkusen noch immer fremd scheinen. In den Niederungen, wo Fußball nur noch Kampf bedeutet, sind die meisten Spieler mental noch immer nicht angelangt. So scheint es, als sei Hörster am Ende seiner Mission. Angeblich hat Pagelsdorf schon einen Vertrag für die kommende Saison unterschrieben, könnte aber schon kurzfristig einspringen. Der frühere Hamburger scheint besser zu Leverkusen zu passen als der medienscheue, manchmal etwas unbeholfene Hörster. Pagelsdorf hat beim HSV immerhin schon mal ein Millionenunternehmen betreut. Bedrohlich haben sich die Zeichen zugespitzt, dass Hörster eben doch nur eine Interimslösung auf Abruf ist.“
Von Jörg Stratmann (FAZ 17.3.) lesen wir. „Dem Meisterschaftszweiten der vorigen Saison bleibt in diesen Tagen keine Zeit, zu Atem zu kommen. Das liegt nicht so sehr daran, daß am Mittwoch Bayers wohl auf lange Sicht letzter Auftritt in der Champions League gegen Inter Mailand ansteht. Die Gelassenheit, die Trainer Thomas Hörster zu vermitteln versuchte, kann flatternde Nerven nicht verbergen. Sein Fazit blieb zwiespältig. Das 1:1, sagte er, bringt uns jetzt nicht nach vorn, wirft uns aber auch nicht zurück. Doch übersah er, daß diese Standortbestimmung gar nicht mehr allein in Leverkusener Händen lag. Es sind auch solche ungeschickten Bemerkungen, die den Neuling, der bislang keine Erfahrung im Medientheater Bundesliga besaß, schon wieder ins Gerede bringen. Sei es, daß sich angeblich Spieler auf dem Boulevard auslassen, neunzig Prozent aller Kollegen hätten keinen Bock auf den schroffen Übungsleiter. Oder sei es, daß Frank Pagelsdorf schon als Nachfolger gehandelt wird.“
Energie Cottbus – 1. FC Kaiserslautern 1:3
Christian Ewers (FAZ 17.3.) sah kein schönes Spiel. “Über die wenigen schönen Momente der Begegnung, die 3:1 für den 1. FC Kaiserslautern endete, mochte sich Trainer Erik Gerets jedoch nicht freuen. Wichtig sind nur die Punkte, sagte Gerets nach dem ersten Auswärtssieg der laufenden Spielzeit. Es ist das erste Mal, daß wir etwas Luft im Abstiegskampf haben, seit ich in Kaiserslautern bin. Das ist ein gutes Gefühl. Ein Gefühl jedoch, das sich schnell verflüchtigen könnte. Denn der Abstand zur Abstiegszone ist gering. Siege der Konkurrenz und eine Niederlage im nächsten Heimspiel gegen Bayer Leverkusen – und schon finden sich die Pfälzer im Tabellenkeller wieder. Verhaltene Freude äußerte daher auch Präsident René C. Jäggi: Das war heute nur ein kleiner Schritt Richtung Klassenerhalt. Jäggis Cottbuser Kollege Dieter Krein dagegen war tief frustriert und lästerte auch über den Gegner: Die Niederlage war ein Knacks für uns. Wir haben heute gegen eine Gurkenmannschaft verloren. Wie soll das erst nächste Woche werden, wenn wir gegen ein Topteam wie Hertha BSC spielen müssen? Die Gurkenmannschaft Kaiserslautern jedenfalls ist bereits seit sieben Bundesligaspielen nacheinander unbesiegt; eine längere Serie kann nur der FC Bayern München vorweisen. Die Partie gegen Cottbus hat gezeigt, auf welchem Weg die Lauterer dem Abstieg entgehen können. Den wichtigsten Part im System von Trainer Erik Gerets spielt zur Zeit die Abwehr. Sie steht sicher. So sicher, daß sogar schwache Tage einzelner Defensivarbeiter verkraftet werden können. Gegen Cottbus zum Beispiel war Kapitän Alexander Knavs außer Form. Die Viererkette arbeitete dennoch zuverlässig – auch weil sie von Sforza und Anfang im Mittelfeld unterstützt wurde. Die Lauterer Viererkette ist kein Verbund ballwegschlagender Verteidiger. In der Viererkette steht ein Mann wie Mario Basler. Mit seinen Ideen und seiner Gestaltungslust ist er wichtig für die Offensive. Wenn er Luft hat, schafft Basler es, den Ball aus der Abwehr bis in den gegnerischen Strafraum zu schleppen. Und das auch noch im richtigen Moment.“
Roland Zorn (FAZ 17.3.) porträtiert den Lauterer Trainer. „Der unverdrossene Belgier, wegen seiner Glaubwürdigkeit und Bodenständigkeit von den Fans auch in den schlimmen Tagen des Herbstes und Winters geliebt wie einst Karl Heinz Feldkamp, hat im neuen Jahr ein imposantes Aufbauwerk zustande gebracht. Die Konsequenz daraus: neun Pflichtspiele nacheinander ungeschlagen, Abstiegsplatz nach sieben Monaten verlassen, DFB-Pokalfinale erreicht und am Samstag in Cottbus erstmals auswärts erfolgreich. Diesen Umschwung hat Gerets eingeleitet, der den Lauterern die Viererkette beibrachte, die Spielweise der Mannschaft veränderte (forcierte Attacken über die Flügel, zwei defensive Mittelfeldspieler, eine echte, eine hängende Spitze) und vor allem aus Verlierern wieder Gewinner machte. Wie er die zuvor kapriziösen und beim FC Bayern verwöhnten Mario Basler und Ciriaco Sforza in die Gemeinschaftspflicht nahm und ihnen en passant ihre eingebildeten Privilegien nahm, auch das war ein Meisterstück des Mannes, dessen Dienst- und Freizeitkleidung der Trainingsanzug zu sein scheint. Als Gerets am Samstag im Aktuellen Sportstudio über sich und die Seinen redete, wollte er ausnahmsweise im Anzug erscheinen. Pech gehabt. Auf der Dienstreise nach Cottbus merkte der Belgier, daß er die Hose zum Sakko daheim gelassen hatte. Also trat er so auf, wie ihn die Fans sowieso am liebsten haben: im Arbeitsornat, ganz in Rot. Einmal Roter Teufel immer Roter Teufel. Erik Gerets bleibt sich treu.“
Spielbericht taz
Interview mit Eduard Geyer Tsp
Arminia Bielefeld – Borussia Mönchengladbach 4:1
Roland Zorn (FAZ 17.3.) berichtet. „Momo – das ist für die Verantwortlichen des DSC Arminia Bielefeld eine inzwischen schier unendliche Geschichte. Deren wichtigstes Kapitel soll am morgigen Dienstag geschrieben werden. Es wird Momo bleibt oder Momo geht heißen. Passend zum Stichtag produzierte der senegalesische Wunderknabe des ostwestfälischen Fußball-Bundesligaklubs am Samstag eine weitere Schlagzeile. Sie lautete: Momo trifft. Und das gleich dreimal, so oft wie nie in seiner erst siebeneinhalbmonatigen Karriere erster Klasse. Mamadou, genannt Momo, Diabang war mit drei Toren der Spieler des Tages (…) Was nun, Momo? Mamadou lächelt und verweist auf Papa Diabang. Ich möchte gern in Bielefeld bleiben, aber ich lebe in einer anderen Kultur, und darum ist es sehr wichtig, meine Entscheidung mit meinem Vater abzusprechen. Vater Ismail ist die höchste Instanz im Familienclan der Diabangs; dazu hört Sohnemann Momo auch noch auf zwei französische und einen senegalesischen Berater. Guter Rat ist teuer. Das wissen inzwischen auch die Arminen, die für die Dienste eines dieser Berater schon einmal einen sechsstelligen Euro-Betrag zahlen sollten, aber nicht wollten. Der Stürmer geisterte in den ersten sieben Rückrundenspielen wie sein polnischer Partner Artur Wichniarek bemüht, aber nicht bedrohlich durch die Strafräume der Bielefelder Gegner. Erst am Samstag tauten die zwei nach acht sieglosen Spielen des Aufsteigers im Bielefelder Vorfrühling wieder auf.“
Daniel Theweleit (SZ 17.3.) erlebte heiteres. „Es war ein großer Tag in Bielefeld, an dem Benno Möhlmann sogar über die Posse um die Vertragsverlängerung von Mamadou Diabang scherzen konnte: „Wichtig ist, dass Momo die Leistung der letzten 14 Tage bringt. Ob er das dann bis zum 30. Juni 2003 oder bis zum 30. Juni 2010 macht, entscheiden allein Momo, sein Vater, seine Berater, seine zukünftige Frau und was weiß ich, wer noch alles.“ Die Reporter im Presseraum lachten laut– so locker können sogar die Menschen in Ostwestfalen nach ein paar Toren werden.“
Spielbericht FR
VfL Bochum – Bayern München 1:4
Andreas Burkert (SZ 17.3.) zeigt sich von den Gästen beeindruckt. “Es ist ja auch ein schöner Nachmittag in Bochum gewesen, Bayern- Manager Uli Hoeneß hatte ihn sogar schön „wie im Traum“ empfunden. Firmenvorstand Karl-Heinz Rummenigge wiederum wähnte sich 90 Minuten verzaubert im Manegenzelt, „das hatte schon zirkus-artistische Züge“, formulierte er und erschauerte nochmals. Der Genuss wirkte nach. Sogar das Bochumer Publikum verzichtete nach dem 1:4 gegen den Tabellenführer auf Empörung und goutierte den anspruchsvollen Vortrag der Münchner Tricksertruppe. Als Zé Roberto nach 86Minuten vom Platz ging, erhielt er stürmischen Beifall. Er hatte brillant gespielt, gut wie nie für die Bayern. Brillant, so muss man den gesamten Auftritt der Münchner in Bochum nennen. Sie gaben „eine Demonstration ihrer Klasse“, wie VfL-Coach Peter Neururer fand, gefangen zwischen einem seltsamen Gefühl aus Begeisterung und Schmerz. Sie beeindruckten die 32.645 Bewunderer mit ihrer Raumaufteilung und ihrem Eifer, und sie verzückten allesamt mit ihrem Passspiel und den zauberhaften Einlagen. Einmal spitzelte Zé Roberto den Ball einem Bochumer Statisten (Name der Redaktion bekannt) mit der Hacke durch die Beine, und selbst Christian Vander, Reservekeeper beim tapferen VfL, scheute sich nicht zu gestehen, das Lehrstück gerne konsumiert zu haben. Er sagte: „Ich hab’s zwar nur von der Bank gesehen, aber das ist schon toll anzuschauen.“ Mehr als Hochachtung blieb dem VfL nicht.“
Richard Leipold (FAZ 17.3.) schreibt. “Die Bayern plagen sich mit Sorgen, die andere gern hätten. Sie spielen und klagen auf so hohem Niveau, daß die Konkurrenz aus dem Staunen nicht herauskommt. Nach dem 4:1 über den VfL Bochum haben sie sich sogar ein wenig geärgert, wenn auch nur kurz. Im Ruhrstadion hatte Oliver Kahn doch tatsächlich ein Gegentor hinnehmen müssen. Trotzdem hatte der Schlußmann wenigstens einen neuen deutschen Rekord aufgestellt: 549 Minuten auswärts ohne Gegentor. Wäre Thomas Christiansen nicht in letzter Minute mit einem Freistoß erfolgreich gewesen, hätte Kahn sogar von sich behaupten können, in sechs aufeinanderfolgenden Bundesliga-Auswärtsspielen zu null gespielt zu haben. Ein Fernsehreporter hatte den Torhüter trösten und ihm eine CD überreichen wollen. Doch Kahn lehnte ab. Die hab‘ ich schon. Es ist eben schwer, den Bayern eine kleine Freude zu machen. Sie schießen ein paar Tore, nehmen routiniert drei Punkte mit, das reicht ihnen. Sie sind der Konkurrenz enteilt und wirken manchmal wie entrückt.“
Spielbericht FR
Hansa Rostock – Werder Bremen 1:0
Matthias Wolf (FAZ 17.3.) verfolgte die Schiedsrichterdiskussion um Weiner. “Um 20.10 Uhr kam endlich auch der Beteiligte aus der Kabine, der laut Thomas Schaaf die Partie entschieden hat. Das Spiel lief so vor sich hin, nichts wäre passiert, schimpfte der Trainer von Werder Bremen, wenn nicht ein Mann etwas dagegen gehabt hätte. Nicht Dietmar Hirsch, der Torschütze für Hansa Rostock war gemeint, sondern Michael Weiner. Fast drei Stunden hatten Journalisten geduldig auf den Schiedsrichter gewartet, doch der sagte nur en passant: Wir haben eine Videoanalyse gemacht und festgestellt, daß es eine gute Leistung war. Manfred Amerell, Schiedsrichtersprecher und Spielbeobachter, sprach davon, Weiner habe die Anforderungen voll erfüllt. Dennoch schien es, als habe da gerade ein junger Mann eine Strafarbeit über sich ergehen lassen müssen. Nachsitzen in den Katakomben, Amerell spulte gnadenlos vor und zurück. Als ob 90 Minuten live allein nicht schon Strafe genug nach einem Duell voller Fouls und laienhafter Schauspieleinlagen gewesen wären. Amerells Urteil: Das war Kampf und Krampf, wenig Disziplin. Das sollten die Trainer mal aufarbeiten. Geschickt spielte er den Ball zurück zu Schaaf. Der sonst so besonnene Trainer war außer sich wegen der Gelb-Roten Karte gegen Johan Micoud und der Roten Karte für Krisztian Lisztes. Spieler beider Teams empfanden die Entscheidungen als zu hart, aber andererseits hatte der Unparteiische die Provokateure oft ermahnt. Sieben Gelbe Karten zeigte Weiner zur Abschreckung, dann entschied der Polizist: Wer nicht hören will, muß fühlen! (…) Die Spieler nutzten geschickt das Alibi, das ihr Trainer ihnen gab. Weiner sei der Situation nicht gewachsen gewesen, sagte Schaaf. Er habe versäumt, Micoud auszuwechseln und vor diesem Schiedsrichter zu schützen. Kaum zu glauben, über welch bissige Ironie dieser sonst so kühle Nordländer verfügt: Ich sehe schon die Schlagzeilen: Überhartes Spiel, brutale Fouls, Wahnsinnsgrätschen. Das muß ja so gewesen sein bei so vielen Karten, zischte Schaaf. Am Tag der Unsachlichkeit forderte er Weiner noch auf, gleich in unseren Bus zu steigen, da fällt er nicht auf – seine Leistung war indiskutabel wie die unserer Spieler.“
In der Berliner Zeitung (17.3.) liest man dazu. „Die Anschuldigungen gipfelten in der abstrusen Theorie von Schaaf und Sportdirektor Klaus Allofs, Weiners Pfiffe seien Konzessionsentscheidungen wegen Hansas Protest gegen den Phantom-Pfiff von Hannover gewesen. Veh bezeichnete das als absoluten Blödsinn, doch Allofs blieb dabei: Die Verhandlung kann sich das Sportgericht sparen, heute ist alles gut gemacht worden.“
Borussia Dortmund – Hannover 96 2:0
Freddie Röckenhaus (SZ 17.3.) über die Siegerreaktionen. „Matthias Sammer bleibt dabei: Schönspielen ist Luxus und manchmal sogar kontraproduktiv. Und von hinten schießt man am besten durch die Brust ins Auge. Die durchwachsene Qualität von Borussia Dortmunds 2:0 gegen Hannover 96 wollte Sammer deshalb am liebsten damit erklären, dass seine Mannschaft am Mittwoch zuvor gegen Lokomotive Moskau viel zu gut gespielt hatte. „Ein richtig geschmackloser Sieg gegen Moskau“, tüftelte sich Sammer eine Erklärung zusammen, „wäre mir deshalb fast lieber gewesen.“ So sehr sich Dortmunds Trainer auch miserable Vorstellungen seiner Mannschaft (mit gutem Ausgang) wünschen mag: Ganz von der Hand weisen lässt sich seine vertrackte Logik nicht. Während also Kollege Ralf Rangnick eine Spur zu blasiert mit der Niederlage haderte („Der Spielstand bei Halbzeit war ein Treppenwitz, wir hatten ein Chancenübergewicht, wir haben versäumt, 1:0 oder 2:0 in Führung zu gehen“), konterte Sammer mit der Kühle des Siegers: „Optische Überlegenheit interessiert hinterher nicht mehr, wenn der andere die Tore macht. Wir waren letzte Woche in Gladbach ja auch überlegen.“ Hannover 96 führte in der Tat eine Halbzeit lang schön einstudierte Laufwege und Spielzüge vor.“
Peter Heß (FAZ 17.3.) berichtet den glücklichen Sieg des Meisters. „Welch ein Fußball-Nachmittag im Westfalenstadion! Einfach wunderbar? Nein, nein, Borussia Dortmund hat das Publikum beim 2:0 über Hannover 96 nicht mit einem Fußballfest verwöhnt. Der deutsche Meister lieferte eine Vorstellung ab wie so viele zuvor. Engagiert, aber wenig inspiriert. Effizient, aber schmucklos. Es war die Frühlingssonne, die die Bundesligapartie zum Erlebnis werden ließ. In ein mildes Licht getaucht, wirkte die Inszenierung im mit 68.000 Zuschauern voll besetzten Westfalenstadion noch bewegender als sonst: Der inbrünstige Gesang zum eingespielten Fußball-Hit You never walk alone, die wogenden überdimensionalen Fahnen der Fanklubs, die Architektur der Südtribüne, die wie eine aus gelb-schwarzen Leibern bestehende Mauer bedrohlich aufragt. Sogar Borussen-Trainer Matthias Sammer, oft als notorischer Nörgler bezeichnet, fällte ein gnädiges Urteil über seine Mannschaft, nahm die drei Punkte wohlgestimmt entgegen, ohne wie sonst größer auf die Defizite einzugehen. Dabei hatte sein Team – bösartig formuliert – durch einen Glücksschuß und ein irreguläres Tor gewonnen. Und dies gegen einen in der Spielanlage und im Kombinationsfluß überlegenen Gegner, der sich zudem den Luxus leistete, einen Elfmeter zu verschießen und zwei weitere große Torchancen zu vergeben (…) BVB-Trainer Sammer gab den Vorteil vor Teams wie Hannover gerne zu: Vor einem Jahr wären wir vielleicht in so einem Spiel nervös geworden, jetzt sind wir uns unserer Mittel bewußt. Die individuelle Klasse ist einfach gegeben. Einem bescheinigte Sammer sogar Extraklasse: Wenn man Spieler wie Torsten Frings in den Reihen hat, gibt das einfach Sicherheit. Der frühere Bremer sei unser wichtigster Mann, er leistet Unglaubliches. Mit so vielen Einzelkönnern gesegnet, hätte sich die Frage aufdrängen können, wieso die Borussen so oft als Kollektiv Wünsche offen lassen und sich spielerisch sogar von Hannover Dinge abschauen könnten. Aber solche Gedanken mochten in der milden Frühlingssonne über dem Westfalenstadion einfach nicht aufkommen.“
Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Lämmer in roten Trikots
Real Madrid-Bayern München (1:0): „Lämmer in roten Trikots“ (SZ) – FC Chelsea-VfB Stuttgart (0:0): „ereignisloses, lustfeindliches Scheingefecht“; „so war es ein wenig, als spielte der VfB gegen sich selbst“ (FAZ); „ebenbürtig und trotzdem ohne Chance“ (FAZ); „die Stuttgarter haben gezeigt, daß sie dazugehören. Aber auch, was ihnen noch fehlt“ (FAZ) – Manchester United ausgeschieden „Der rote Kopf Alex Fergusons schien vor Wut und Frust fast den Bildschirm zu sprengen“ (FAZ) u.v.m.
Real Madrid – Bayern München 1:0
Lämmer in roten Trikots
Klaus Hoeltzenbein (SZ 11.3.) ist von Bayern München enttäuscht: „Der FC Bayern der Gegenwart stand am Mittwoch vor seinem Richter, und was verblüffte, war, wie er sich in sein Schicksal ergab. Wenig war zu sehen vom Schneid des Hinspiels, in dem viele einen Erweckungsimpuls erkannt haben wollten. Wenig von jener Chuzpe, mit der sich die Münchner einst unter dem Befehl von Effenberg im Bernabeu-Stadion zeigten. Wo war die ¸bestia negra, die schwarze Bestie, die die Madrilenen seit Jahren fürchteten? Unter dem neuen Herdenführer Ballack mutierten Bestien zu Lämmern in roten Trikots. Gewiss, die Elf von Real ist die teurere, die prominentere, aber komponiert wurden beide Teams mit einem identischen Ziel, nämlich die Champions League zu gewinnen. Während Real seinen Weg weiter geht, wird Bayern ähnliche Debatten führen wie Manchester United oder Juventus Turin, die sich ebenfalls verabschiedeten. Eingeschlossen darin die zentrale Frage: Sind die Trainer, sind Ferguson, Lippi, Hitzfeld noch inspiriert und am richtigen Ort? Die Bayern haben ihre Antwort gegeben, sie wollen, glaubt man den Bekenntnissen, mit Ottmar Hitzfeld bis 2005 ans Vertragsende gehen. Vor der Bestätigung dieser Absicht sollten sie den lethargischen Auftritt in Madrid erneut diskutieren.“
L‘art pour l‘art
Claudio Klages (NZZ 11.3.) findet, dass Real gut gespielt hat: „Die warmen Frühlingstage in der spanischen Metropole haben dem letzten in einem europäischen Wettbewerb verbliebenen deutschen Team, Bayern München, weit mehr Schweiss auf die Stirn getrieben, als ihm lieb war. In einem qualitativ nur selten der Affiche entsprechenden, vom Schweizer Referee Urs Meier mit wenigen Vorbehalten hervorragend geleiteten Match konnten die nach dem 1:1 im Hinspiel erstaunlicherweise sehr zuversichtlich nach Madrid gereisten Deutschen die Königlichen in deren eigenem Stadion – nicht ganz unerwartet – nicht in Bedrängnis bringen. Den ersatzgeschwächten Madrilenen reichte zur Viertelfinal-Qualifikation eine bestechend spielerische und läuferische Leistung zum letztlich entscheidenden Ein-Tor-Vorsprung, den sie in der Folge, wenn auch mit etwas Glück, behaupteten. Nach durchzogener Darbietung vor zwei Wochen in München raffte sich die Ansammlung kosmopolitischer Spitzenfussballer unter Führung des überragenden Zidane in einer Art und Weise auf, die eben der individuellen Klasse gerecht wird, die in diesen Reihen auch ohne Ronaldo und Roberto Carlos am Mittwochabend in ausserordentlich hohem Masse vorhanden war. L‘art pour l‘art wurde zwar oft reichlich übertrieben, aber Herr im Haus blieben die Madrilenen. Der Stolz und das Selbstwertgefühl hatten es ihnen schlicht verboten, diesen zum High Noon hochstilisierten Match trotz der guten Ausgangslage nur als reagierende Partei in Angriff zu nehmen. Und nach dem Führungstreffer nahmen Selbstbewusstsein und Siegesgewissheit in demselben Masse zu wie taktische Disziplin und kollektives Handeln. (…) Wie erwartet liessen die Spanier niemanden im Zweifel über ihre Absichten, mit anhaltend vorwärts gerichteten Tempo- und Kombinationsspiel den Gegner vorzeitig zu zermürben und möglichst schnell einen Torerfolg zu erzwingen.Exemplarisch des Platzklubs die Movida, das direkte Weiterleiten des Balles auf stets gut positionierte oder in Stellungen gelaufene Mitspieler oder das Pressing zu einem relativ frühen Zeitpunkt. So blieb den Bayern lange nichts anderes übrig, als (hinterher) zu rennen. Zu dieser Demonstration von Fussball als Laufspiel oder Artistik am Ball, von Zidane brillant interpretiert, passte nicht zuletzt die fast lehrbuchmässige Entstehung des nach einer halben Stunden durchaus zwingenden Führungstreffers der Madrilenen: Schiedsrichter Meier, in der Startphase bei einigen Gehässigkeiten und zwei Verwarnungen sogleich zu höchster Konzentration gefordert, liess nach einem Foul an Raúl den Vorteil laufen, Beckhams Zuspiel wurde von Salgado mit dem Kopf direkt zum hinteren Pfosten weitergeleitet, wo Zidane majestätisch verwertete.“
FC Chelsea – VfB Stuttgart 0:0
Ereignisloses, lustfeindliches Scheingefecht
Raphael Honigstein (Tsp 11.3.) hat sich gelangweilt: „Auf dem Papier stand England gegen Deutschland, auf dem Spiel ein Platz im Viertelfinale. Das konkrete Match an der Stamford Bridge aber kam einem in den ersten 45 Minuten vor wie eines dieser gänzlich ereignislosen, lustfeindlichen Scheingefechte, die nur die italienische Serie A so perfekt hinbekommt. Der VfB Stuttgart, der im Grunde nur für Konter konzipierte Bundesligist, mühte sich unter großem Aufwand vergeblich gegen einen FC Chelsea, der sich mit einem in der Premier League bisher einmaligen 8-1-1-System tief in der eigenen Hälfte verschanzte. „Noch tiefer, und sie hätten schon in der Kings Road gestanden“, lästerte der Independent über die Zerstörertaktik des Londoner Klubs. In den Strafräumen passierte also nichts bis wenig; dementsprechend lange musste das Stadion auf den ersten Torjubel warten. Als die 38 000 endlich losbrüllten, hatte Schiedsrichter Kim Milton Nielsen schon eine ganze Weile abgepfiffen – der Stadionsprecher hatte den Ausgleichstreffer des FC Porto im Old Trafford verkündet. Chelsea war weiter, Manchester United draußen. Dann meldete sich eine junge, weibliche Stimme zu Wort: „Liebe Stuttgarter, der FC Chelsea möchte sich für Euer Verhalten bedanken“, kam es in etwas angeknackstem Deutsch aus den Lautsprechern. Ein netter Gruß, wohl für die vorbildlichen Fans der Schwaben bestimmt. Vielleicht aber waren damit in Wahrheit die wieder mal harmlosen Stürmer der Gäste gemeint.“
Verhinderungsfußball
„Die Stuttgarter haben gezeigt, daß sie dazugehören. Aber auch, was ihnen noch fehlt“, teilt Christian Eichler (FAZ 11.3.) mit: „Es blieb nur der in solchen Fällen verdiente Trost, daß man alles versucht hatte. Die Haltungsnoten stimmten. Wäre Pech im Spiel gewesen, man hätte hadern können. Doch die Analyse zeigte, daß ein Defizit vorlag. Hundertprozentig stimmten Einsatz, Organisation, Disziplin, Druck, Initiative. Doch wie einem Bergsteigertrupp, der vorbildlich sein Basislager organisiert, alles Erdenkliche vorbereitet hat und dann doch nicht den Angriff auf den Achttausender schafft, so mangelte es den Stuttgarter Gipfelstürmern am letzten Biß in der Höhenluft der Champions League. Der letzte Paß hat gefehlt, urteilte Silvio Meissner – jener Übergang vom Ballbesitz zur Ballverwertung, der mit wachsender Disziplin und Qualität einer gegnerischen Abwehr um so schwieriger wird. Die defensive blaue Wand von Chelsea zwang die im Strafraum machtlosen Schwaben fast immer, zu früh den Abschluß zu suchen. Von zwanzig Torschüssen waren nur zwei gefährlich: der von Lahm und der von Tiffert. Immerhin, es gab eine Menge, auf die man sich etwas zugute halten konnte. Wäre da nur nicht Meiras Eigentor aus dem Hinspiel gewesen, dem man, so Magath, 160 Minuten lang hinterherlief. Der Respekt vor Stuttgart brachte die international zusammengekaufte Startruppe des russischen Milliardärs Roman Abramowitsch dazu, sich vor eigenem Publikum mit völlig glanzlosem Verhinderungsfußball zu präsentieren wie ein Catenaccio-Ableger aus Italien. Der Respekt vor dem VfB ging so weit, daß zwei von Real Madrid gekaufte Stars wie Makelele und Geremi zu reinen Ausputzern degradiert wurden. Wir hatten sie unter Druck, brachten sie in Verlegenheit, das ist schon sehr viel, sagte Magath. Wenn wir mit unserem Budget gegen diese von Stars wimmelnde Mannschaft ebenbürtig sind, können wir ein bißchen stolz sein. Was fehlte, war nur ein bißchen Durchschlagskraft. (…) So war es in London ein wenig, als spielte der VfB gegen sich selbst – eine Mannschaft, die in der Bundesliga viele Erfolge zu erzielen pflegt, indem sie in der Defensive einfach nichts hergibt. In der Bundesliga aber hat man es oft mit Teams zu tun, die nicht ausgeglichen erstklassig besetzt sind und deshalb unter Druck immer mal ein, zwei Tore hergeben. In der Champions League ist das anders, da erwischt man Gegner, die ein Verhinderungskonzept 180 Minuten fehlerlos durchhalten und gegen die ein einziger Aussetzer wie das Eigentor von Meira zu viel ist.“
Andreas Lesch (BLZ 11.3.) erkennt ein Stuttgarter „Sturmproblem“: „Es wird wohl nie geklärt, ob der Fußballprofi Jeronimo Cacau am Dienstag einen Weltrekord aufgestellt hat. Das Guiness-Buch versammelt zwar allerlei kuriose Bestmarken. Es gibt Auskunft darüber, dass ein Kanadier unübertroffen ist im Kettensägen-Jonglieren (44 Mal, inklusive Rotationen!); dass der größte künstliche Weihnachtsbaum des Planeten 52 Meter in die Luft ragte; dass 46 824 Thailänder an der bestbesuchten Aerobik-Stunde aller Zeiten teilnahmen. Aber die unfreiwillige Leistung des Stuttgarters Cacau ist den Buchautoren bei solcher Konkurrenz vermutlich zu schnöde – dabei hatte sie durchaus Seltenheitswert: Cacau zeigte vermutlich die meisten Stolperer in Serie. Die erste Hälfte neigte sich dem Ende zu im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League an der Stamford Bridge zu London, der VfB Stuttgart griff an, Alexander Hleb trieb den Ball. Cacau lief mit, oder besser: Er versuchte es. Fast fünfzehn Meter haspelte er über den Rasen, die Beine versagten dem Nervösen den Dienst, dann endlich fiel er; der Angriff war dahin.“
Martin Hägele (NZZ 11.3.) vertröstet die Stuttgarter auf die Zukunft: „„Wenn man 180 Minuten nicht in der Lage ist, ein Tor zu erzielen, kann man dieses Manko schon als Grund für unser Ausscheiden anführen“, sagte Felix Magath. Der „Trainer des Jahres“ hatte etwas Ähnliches befürchtet, dass nämlich seinen jungen Offensivkräften die Grenzen gesteckt würden. Sie hätten im Sturm viele Talente, aber das seien noch keine Leute von internationalem Format. Ganz deutlich wurde dieser Unterschied, als in der Schlussphase der 18-jährige Mario Gomes aufs Feld geschickt wurde – im selben Augenblick erhob sich von der Chelsea-Bank Mutu. Der war im Sommer für 18 Millionen Pfund aus Parma engagiert worden. Der rumänische Stürmer, der erst eine Verletzung überstanden hatte, prüfte Timo Hildebrand sofort spektakulär. Der VfB-Keeper bewies auch in seinem vorerst letzten internationalen Spiel, dass er schon bald eine Alternative zu Oliver Kahn sein könnte. Augenzeuge Völler musste auf der Tribüne schnell erkennen, dass ihn die gleichen Probleme plagen wie seinen Branchenkollegen Magath. Von hinten heraus und im defensiven und zentralen Mittelfeld ist die Nationalmannschaft ebenso gut besetzt wie der VfB. Doch wenn die DFB-Auswahl an der EM die Viertelfinals erreichen will, braucht sie dazu ebenso ein paar Tore wie Magaths Musterschüler. Bevor nun in Stuttgart die Debatte losgeht, man könne doch in dieser Richtung ein bisschen Vabanque spielen und den derzeit zusammenbrechenden Transfermarkt nach einem Goalgetter der Extraklasse sondieren, legte Präsident Erwin Staudt den Kurs für die Zukunft fest. Noch im März will er den Vertrag mit Magath bis 2007 verlängern. Die Umwandlung des Traditionsvereins in eine Kommanditgesellschaft soll bis zum Jahresende vollzogen sein. Von den Investoren erwartet der Vorstandsvorsitzende rund 10 Millionen Euro, mit dem grössten Teil dieser Einlage soll eine Fussball-Akademie im Schwabenland entstehen, wie es sie bis jetzt in Deutschland nicht gibt. Das Modell Magath läuft also weiter; es wird jetzt aber noch viel intensiver und wohl auch internationaler nach Talenten gefahndet werden. Seine Zukunft erarbeitet sich der VfB weiter, er will sie sich auf keinen Fall erkaufen – auch wenn die Überweisungen von der Champions League schon verlockend wirken. Und dies ist nicht die schlechteste Überzeugung, die der VfB von der Reise in den Monopoli-Spielpark des Fussball- Zaren Abramowitsch mitgenommen haben.“
NZZ-Bericht AC Milan – Sparta Praha (4:1)
Christian Eichler (FAZ 11.3.) beschreibt das Gemüt Alex Fergusons: „Der rote Kopf schien vor Wut und Frust fast den Bildschirm zu sprengen. Während der Mund tapfer-ratlose Sätze ausstieß wie Solche Dinge passieren halt im Fußball, wirkten die Augen, als könnten sie weder Kamera noch Interviewer richtig fixieren, weil sie offenbar in einer verzweifelten Rückblende jene vertrackte 90. Minute zu fokussieren suchten, in der eine Saison zu Bruch gegangen war – und mit ihr vielleicht das gesamte Spätwerk des erfolgreichsten Vereinstrainers der Welt. Selten hat man Sir Alex Ferguson so hilflos geschockt gesehen wie am Dienstag abend nach dem 1:1 in der Champions League gegen den FC Porto, mit dem Manchester United zum ersten Mal seit acht Jahren das Viertelfinale der europäischen Meisterklasse verpaßte. (…) Es wird deutlich, daß es Ferguson seit über einem Jahrzehnt nicht gelungen ist, eine neue Mannschaft zu formen. Im Kern ist es die alte, die aus einem legendären Nachwuchsjahrgang um Beckham, Scholes, Giggs, die Nevilles, dazu dem Iren Keane bestand – eine bis heute zutiefst britische Mannschaft. Ausländer wie Cantona oder van Nistelrooy gaben ihr ein Extra an Klasse, aber die kunstvolle Legierung einer internationalen Fußballkultur, wie sie der große Rivale Arsène Wenger bei Arsenal London schuf, wollte Ferguson nie gelingen. Zukäufe wie Veron, Kleberson oder zuletzt Cristiano Ronaldo blieben eher dekorativ als effektiv.“
Ballschrank
Bayern München siegt gegen Dortmunder No-Names, Kölner Spott für Kölner Fußball, Gram in Kaiserslautern
Hannover 96 – Werder Bremen 1:5
Peter Heß (FAZ 10.11.) schildert das Arbeitsethos Thomas Schaafs, Trainer von Werder Bremen, „der zur Zeit aufregendsten und unterhaltsamsten deutschen Fußballmannschaft“: “Akribisch, zuverlässig, mit Überblick, integer, ein bißchen langweilig. Wahrscheinlich muß Schaaf auch so sein, um ein Team voller Spielernaturen unter Kontrolle zu haben. Den Stars, Torjäger Ailton und Spielmacher Micoud, sind Stargefühle nicht fremd. Entsprechend diffizil sind sie im Umgang, bilden potentielle Sprengsätze für ein harmonisches Ganzes im Kader. Aber Schaaf schafft es, sie bei Laune zu halten und auch die übrigen Spieler so zu motivieren, daß sie voller Glauben an ihren Aufstiegsmöglichkeiten arbeiten (…) Für das Schmuckvolle sind in Bremen die Spieler zuständig, nicht der Trainer. Besser als umgekehrt.“
Jörg Marwedel (SZ 10.11.) stellt fest, dass sich viele Mannschaften nicht heimisch fühlen: „Der Mensch fühlt sich nicht wohl zwischen Kränen, nacktem Beton und jenen Resten bröckelnder, alter Bausubstanz, die ihn wehmütig machen in der Erinnerung an das Gewesene, während er das Künftige noch nicht genießen kann. Das alles trifft besonders auf die Baustellen von Fußballstadien zu. Von denen gibt es in Deutschland derzeit eine Menge, wegen der nahenden Weltmeisterschaft 2006. Zu beobachten ist dabei ein weiteres Phänomen, das durchaus folgerichtig erscheint: Der Mensch fühlt sich dort nicht nur unwohl, er spielt dort auch schlechter Fußball. Wie anders ist zu erklären, dass beinahe alle Sorgenkinder der Liga ein Problem eint: Sie spielen vor abgerissenen Tribünen und verwaisten Traversen auf, und ihre Mannschaften scheinen sich chamäleongleich diesem Zustand des Unvollendeten anzupassen. Zu nennen wären der 1. FC Köln, Eintracht Frankfurt, Hertha BSC Berlin und Hannover 96 – die drei letztgenannten Teams konnten vor der heimisch-unheimeligen Kulisse erst einmal gewinnen. Nicht zu reden von Fortuna Düsseldorf, dem einstigen Bundesligaklub, dem das Rheinstadion zunächst ersatzlos weggesprengt wurde und der dafür gar mit dem Sturz in die Viertklassigkeit zahlte. Der 1. FC Kaiserslautern wiederum, der nicht nur in mittelmäßige Spieler, sondern auch in die Baustelle Fritz-Walter-Stadion zu viel Geld investierte, hätte wohl schon längst keine Mannschaft mehr, wäre die Politik nicht mit ihren Winkelzügen eingesprungen. Dabei ist auch das verbliebene Team im Grunde nur dies: ein Fall für ein Abbruchunternehmen.“
Peter Heß (FAZ 10.11.) gratuliert dem Mann des Tages: “Bühne frei für die nächste Attraktion, Bühne frei für Nelson Haedo Valdez. In Zeiten, in denen die Bundesliga nach frischen Talenten lechzt, weil die Altstars abgetreten oder in die Jahre gekommen sind und die jüngeren Jahrgänge nur in Stuttgarter Ausnahmefällen Glitzerndes bieten, darf ein Spieler wie er den Fußballfreunden nicht länger vorenthalten werden. So jung, so unverbraucht, so unverkrampft, so gut – Nelson Haedo wirkt wie ein Antidepressivum auf dem Fußballplatz, wenn man nicht gerade zu seinen Gegenspielern zählt.“
Eintracht Frankfurt – VfB Stuttgart 0:2
Claus Dieterle (FAZ 10.11.) staunt über stoische Stuttgarter: „Warum bloß hat man das Gefühl, daß diesem VfB Stuttgart in der Fußball-Bundesliga derzeit einfach nichts passieren kann? Weil der Gegner Eintracht Frankfurt heißt, mit bescheidenem spielerischen Potential ausgestattet ist und folgerichtig gegen den Abstieg kämpft? Nein, das allein kann es nicht sein. Es haben ja schon ganz andere Kaliber versucht, den jungen Routiniers von Trainer Felix Magath Flecken auf die weiße Bundesliga-Weste zu machen. Natürlich haben selbst kühnste Pessimisten nicht erwartet, daß der Spitzenreiter ausgerechnet bei den Biedermännern vom Main eine Auszeit vom Erfolg nehmen würde, aber Glanz verströmte das Schwaben-Ensemble beim geduldig erarbeiteten 2:0 höchstens szenenweise. Bei den Treffern von Szabics und Kuranyi zum Beispiel, als es für die engagierte Eintracht einfach zu schnell ging. Dazwischen beschränkte sich der VfB auf eine Hinhaltetaktik nach dem Motto: Kräfte sparen, Schaden fernhalten – und im richtigen Moment zuschlagen. So hat es früher eine berühmte Mannschaft aus München gehalten. Souverän sieht bisweilen anders aus, aber irgendwie scheint das Tor von Timo Hildebrand eine magische Zone zu sein: Zutritt verboten.“
Christoph Biermann (SZ 10.11.) fordert von den Frankfurter Fans Geduld und Wirklichkeitsnähe: „Viel Geld konnte in diesem Sommer nicht in das Team investiert werden, das wundersamer Weise den Aufstieg geschafft hatte. Denn trotz all der fragwürdigen Förderung der Eintracht durch öffentliche und halböffentliche Gelder verfügt der Klub über eine nur bescheidene Wirtschaftskraft. Folglich ist die Mannschaft von Willi Reimann so zusammengestellt, dass sie nichts besonders gut kann. Die Abwehr ist nicht besonders sicher, das Mittelfeld ist nicht besonders kreativ, der Angriff ist nicht besonders gefährlich. Das einzige, was man von diesem Team erwarten darf – besonderen Fleiß und besonderen Einsatz – hat ihm bislang niemand absprechen können. Für den Aufsteiger ist jedes Punktspiel wie eine Partie im Pokal. Denn Eintracht Frankfurt ist ein Zweitligist, der sich in die Bundesliga verirrt hat, und wird aller Voraussicht nach im kommenden Jahr wieder ein Zweitligist sein, der in der zweiten Liga spielt. Einige Fans der Eintracht scheinen das nicht akzeptieren zu wollen, deshalb forderten sie zuletzt die Entlassung des Trainers. Reimann grummelte zurück, dass man ihn halt rausschmeißen solle, dann hätte er wenigstens wieder Zeit. Daraufhin wurde ein Transparent in der Frankfurter Kurve aufgehängt, in dem Reimann gedroht wurde, seine Zeit würde schnell ablaufen, wenn er Streit mit den Anhängern suche. Das kommt zwar donnernd, ist aber blöd. Eher sollten sie Reimann für jede Minute in der Bundesliga danken und zu jedem Platz jenseits des Tabellenendes gratulieren.“
Christian Eichler (FAZ 10.11.) beklagt rohe Sitten: „Gewiß hat die Rote Karte eine Inflation erlebt, weil das Regelwerk ihre rein disziplinarische Funktion erweiterte: als Gesundsheitschutz (Grätsche von hinten), als Kompensation für geraubte Torchancen (Notbremse, Handspiel), als Addition von zweimal Gelb. Doch nicht solche taktischen Platzverweise, bei denen wenigstens noch ein Ball im Spiel ist, geben der Saison einen Rotschimmer: Es sind die aus blinder Wut. Und die aus kalter Hinterhältigkeit. Notbremsen und Rücklingsgrätschen finden immer seltener statt – Profis meiden Betriebsrisiken. Dafür erlebt man die Inflation der persönlich gemeinten Körperverletzung. In Frankfurt trat Cipi auf den liegenden Amanatidis, in Berlin gingen Aidoo und Marcelinho zum Kampfsport über. Der rote Samstag lag im Trend. Spieltag acht: Tätlichkeit Brdaric; neun: Brutalitäten von Lapaczinski und Placente; zehn: Tätlichkeiten von Christiansen, Meyer, Kehl; elf: Ellbogenschlag Linke. Versteckte Tätlichkeiten ortete man früher nur in südlichen Ligen, etwa bei dem Real-Mexikaner Sanchez oder dem Lazio-Serben Mihajlovic, der zuletzt einen Gegner in der Champions League trat und bespuckte. Weil die Kamera es sah, wird er dank einer Sperre von acht Spielen wohl endlich aus dem internationalen Fußball verschwinden. Doch Hinterhältigkeiten häufen sich längst auch in der Bundesliga. Das übelste Foul des Spieltages blieb ungeahndet: Der Hannoveraner Krupnikovic trat dem liegenden Davala aufs Knie, als wolle er dessen Karriere augenblicklich beenden. Die Vorreiter dieser Verrohung haben nicht viel zu befürchten. Sie behandeln Fußball als blutigen Ernst, wissen aber, daß die Folgen ihres Tuns in den Grenzen eines Gesellschaftsspiels bleiben.“
Bayern München – Borussia Dortmund 4:1
Philipp Selldorf (SZ 10.11.) sah einen verdienten Bayern-Sieg: „Die Abordnung von Borussia Dortmund, die um kurz vor halb sechs im Licht eines prächtigen Vollmonds auf den Rasen des Olympiastadions marschierte, trug zwar das traditionelle Schwarz und Gelb, hatte aber ansonsten wenig mit dem üblichen Erscheinungsbild der Mannschaft zu tun. Spielernamen wie Brzenska, Senesie und Metzelder – Malte, nicht Christoph – machten diese Begegnung der beiden deutschen Vereinsgiganten zu einem Duell mit ungleichen Voraussetzungen. Insofern wäre es wohl übertrieben, nach dem 4:1 der Bayern gegen das tatsächlich letzte Aufgebot der Borussia, das sich im Lauf der Partie obendrein selbst dezimierte, von der Rückkehr zu altem Glanz zu schwärmen. Aber abgesehen von dem dankbaren Gegner waren die spielerischen Fortschritte und vor allem der Wille, sich zu rehabilitieren, nicht zu verkennen. Die Probleme, die Ottmar Hitzfeld veranlasst hatten, seine Spieler in einem Trainingslager am Tegernsee einzuschließen, fanden im Stadion nur noch auf den Fanplakaten ihre Fortsetzung. „Wir stehen zu Euch – kämpft“ hatten Anhänger auf ein Transparent gepinselt – das klang, als ob die Bayern im Abstiegskampf stünden, und so hatten es ja auch Präsident Franz Beckenbauer („Um die Säbener Straße mache ich derzeit einen großen Bogen“) und die Schlagzeilen der Tagespresse („FC Leblos“) zuletzt nahe gelegt.“
morgen mehr zu diesem Spiel und zum 3:1 Leverkusens gegen Schalke
Hamburger SV – 1860 München 3:1
Ralf Wiegand (SZ 10.11.) hört den Verantwortlichen von 1860 München zu und runzelt die Stirn: „Unten im flugzeughangargroßen Keller der AOL-Arena zieht es aus allen Ritzen, aber einem öffentlichen Kranken, wie ihn Karl-Heinz Wildmoser gerade auf der Fußball-Bühne gibt, kommt das nur recht. Kerzengerade stellte sich der Grande des TSV 1860 München in die kalte Abendluft, schlug den Mantelkragen hoch und wartete, wer ihm diesmal die obligatorischen Genesungswünsche überbringen würde. Lange dauerte es nicht, bis Bernd Wehmeyer vom Hamburger SV sich mit dackelhaftem Kondolenzblick dem Sechz’ger-Paten näherte und ihm „alles, alles Gute“ wünschte; wie jeder andere hatte auch er gelesen, wie schwer dieser arme Mann an seinem Klub leidet und ein bisschen wohl auch an seiner Schilddrüse (…) Wildmoser senior zeichnet seine Löwen inzwischen gern als Dorf-Klub, der „in der Bundesliga mitspielen kann, wenn er an die Leistungsgrenze geht“ – als sei 1860 kürzlich erst eher zufällig an einer riesigen Wunderbohne in den Fußball-Himmel geklettert und nicht schon seit knapp zehn Jahren eine feste Größe in der Liga. Starspieler wie Thomas Häßler, Martin Max, Gerald Vanenburg, Abédi Pele, Davor Šuker oder Jens Jeremies hängen noch nicht lange in der Galerie der alten Meister, aber inzwischen redet Wildmoser schon von einem Durchschnittsspieler wie David Jarolim, als handele es sich um Zidane persönlich: „Womit hätt’ ma den bezahlen soll’n, mit Hosnknöpf?“, raunzte Wildmoser. Die neue Bescheidenheit des TSV 1860, der sich jetzt gern als Jugendförderverein verkauft und jede schwache Leistung mit „Unerfahrenheit“ (Wildmoser II) zu begründen versucht, ist offenbar Teil einer Überlebensstrategie, die Opfer auf allen Ebenen fordert. Bei den Physiotherapeuten und in der Presseabteilung sind bereits Stellen abgebaut worden, einst geplante Baumaßnahmen auf dem Vereinsgelände liegen auf Eis, und neue Spieler sollen mit der Moralkeule in den Verein geprügelt werden, weil fürs branchenübliche Wettbieten das Kleingeld fehlt. So buhlen um den Mittelfeldspieler Markus Feulner, 21, vom FC Bayern München, dem der TSV 1860 ein Angebot gemacht hat, neuerdings „ja noch acht andere Klubs, wie man hört“, zischte Karl-Heinz Wildmoser. Man werde ja sehen, „ob er sich fürs Geld entscheidet oder erkennt, wo die Jugend gefördert wird“. Spiele wie die in Hamburg bringen freilich auch den jüngsten Spieler kein Stück weiter.“
Frank Heike (FAZ 10.11.) berichtet die Handhabe Klaus Toppmöllers, Trainer des HSV: „Für den ersten Sieg mit dem neuen Trainer ist auch Sergej Barbarez während der vergangenen Trainingswoche an seine Grenzen gegangen. Er ist nicht mehr gelaufen als sonst, er hat nicht mehr gegrätscht als sonst, nein – er hat seinen Magen malträtiert wie nie zuvor. Ich konnte das Zeug am Ende nicht mehr sehen, sagte der Bosnier schmunzelnd, aber wenn der Trainer meint, dadurch fünf oder zehn Prozent mehr Leistung herauszukitzeln, dann trinken wir es. Toppmöller hatte seinen Profis seit Mittwoch Kraft-Shakes kredenzt, scharfe Sachen, wie der neue Trainer leicht verrätselt später sagte, um damit den von ihm beobachteten schlechten Fitneßzustand seiner Profis auf die Schnelle zu beheben. Den wollte Toppmöller beim innerhalb von wenigen Minuten zustande gekommenen 2:3 des HSV in Dortmund wahrgenommen haben. Das war eine kaum versteckte Kritik an der Aufbauarbeit seines Vorgängers Kurt Jara, die manchen erstaunte, hatte der HSV mit Jara doch in vielen Spielen frühe Rückstände spät und durchaus kraftvoll ausgeglichen und umgebogen (…) Wir haben Kohlehydrate in vernünftiger Dosis eingenommen. Wir haben seit Mittwoch einen Mediziner dabei, der das überwacht. Wir müssen auch außerhalb des Platzes alles Menschenmögliche tun, um fit zu sein. Profis müßten sich professionell ernähren, meinte Toppmöller zur von ihm initiierten Aktion kontrolliertes Essen und Trinken beim HSV. Sergej Barbarez indes wollte das Phänomen der späten Gegentore wie auch die Fünf-Minuten-Lähmung im Westfalenstadion eher einem Körperteil zuordnen, der etwas weiter oben liegt als der Bauch: Kräftemangel würde ich nicht sagen. Bei uns ist es eher ein Kopfproblem.“
VfL Bochum – 1. FC Köln 4:0
Roland Zorn (FAZ 10.11.) hört Spott in der Kölner Fankurve: „In der ersten Halbzeit saß der Schreck bei den rund 7000 mitgereisten Anhängern des 1. FC Köln tief, in der zweiten Hälfte sangen sich die Fans von ihrem Klub los. Sie gaben ein süß-saures Open-air-Konzert, nach dem den Verantwortlichen beim Bundesliga-Aufsteiger die Ohren geklungen haben müssen. Wir sind nur ein Karnevalsverein, lautete einer der Lieblingshits der rot-weißen Kolonne, die tapfer und lauthals gegen die deprimierende 0:4-Schlappe ihres Teams anschmetterten. Viva Colonia gehörte ebenso zum selbstironischen Repertoire der besten Sängerknaben der Liga wie der schon zu fröhlicheren Anlässen angestimmte Fußballplatzchoral So ein Tag, so wunderschön wie heute…. Dazwischen feierten die frustrierten Kölner noch die ehemaligen FC-Angestellten Peter Neururer und Sunday Oliseh, die am Samstag zu den Heldendarstellern des VfL gehörten. Um beim neuen FC-Trainer Marcel Koller aber keinen Irrtum über die wahre Gemütslage der kölschen Seele aufkommen zu lassen, skandierte die trotzige Gefolgschaft des Traditionsklubs auch Unzweideutiges wie Wir ham die Schnauze voll und Wir sind Kölner und ihr nicht. Der Schweizer Meistertrainer, den es nach Titeln und Triumphen in der Heimat zum Tabellenletzten der deutschen Bundesliga verschlagen hat, erlebte einen Einstand, der aber auch gar keine Hoffnung auf bessere Zeiten machte. So wie die Kölner am Samstag spielen sonst Mannschaften, bei denen der Coach kurz vor der Entlassung steht. Der 42 Jahre alte Zürcher hatte sich zur vermeintlichen Feier des Tages, wie sich herausstellen sollte, angemessen eingekleidet. Schwarz die Jacke, schwarz der Anzug, das paßte zum traurigen November-Auftritt der Kölner Profis. Der Mann, der den Offensivfußball liebt, mußte mit ansehen, daß seine Elf nicht einmal bedingt abwehrbereit ist.“
Die Tatsache, dass Manager und Trainer ihre Teams auch nach Niederlagen in die Fankurven schicken, um sich bei diesen für die Schmähungen zu bedanken, wertet Matti Lieske (taz 10.11.) als Zugeständnis an die Fans, die sich Macht zurückerobert hätten: “Eine relativ neue Sitte in der Bundesliga, über welche Fußballer anderer Länder vermutlich nur den Kopf schütteln können. Dort läuft man zu den Fans, wenn man gewonnen hat, um sich gebührend feiern zu lassen. Oder man bedankt sich, wenn man verloren hat, aber tapfer gekämpft, und einen die Anhänger bis zum Ende unterstützt und angefeuert haben. Ganz gewiss begibt man sich jedoch nicht zu einer Horde missgelaunter, selbstgefälliger und Beleidigungen ausstoßender Menschen, die schon eine ganze Halbzeit lang jede gelungene Aktion des Gegners höhnisch beklatscht und den eigenen Spielern mitgeteilt haben, dass diese – im Gegensatz zu ihnen selbst – nicht würdig seien, das Trikot des jeweiligen Vereins zu tragen. Ihre Fortsetzung findet die unsägliche Anbiederung der Vereinsmanager an die Fans inzwischen meist bei den beliebten Sitzblockaden vor dem Mannschaftsbus und den Diskussionen, die arme Spieler und Trainer noch stundenlang mit teils schwer besäuselten Leuten führen müssen, welche die Boulevardschlagzeilen der letzten Woche auf der Zunge tragen und sich zum Beispiel im Glauben wiegen, dass der 1. FC Köln um die Meisterschaft mitspielen müsse oder Hertha BSC eine europäische Spitzenmannschaft sei. Niederlagen können somit bloß dem bösen Willen der Spieler oder der Dummheit des Trainers geschuldet sein. Was diesen natürlich unmissverständlich und prompt mitzuteilen ist. Der verordnete Kotau in hass-brodelnder Kurve ist jedoch nicht nur Martyrium für gedemütigte Verlierer, sondern symbolisiert auch eine erstaunliche Entwicklung: die Renaissance des Fans. Fast schien er schon abgeschrieben in Zeiten der Versitzplatzung, Logenbildung und Durchkirchung. Doch dann meldete er sich mit der 15.30-Uhr-Aktion sowie ultramäßigen Inszenierungen für Auge und Ohr zurück – und scheint plötzlich unverzichtbarer denn je. Je schlechter der Fußball, desto hofierter der Fan.“
Christoph Biermann (SZ 10.11.) ergänzt: „„Wir haben ein schwieriges Spiel erwartet“, sagte Mittelfeldspieler Sunday Oliseh, einst ebenfalls beim FC beschäftigt, „wenn in Deutschland ein neuer Trainer kommt, gehen die Spieler richtig hin, das gibt es in anderen Ländern so nicht.“ Die Kölner gingen auch wirklich richtig mit Lust hin – sieben Minuten lang. Dann griffen die Gastgeber zum ersten Mal an, und Vahid Hashemian konnte den Führungstreffer für Bochum erzielen. Anschließend war alles, was sich die Gäste vorgenommen haben mochten, restlos verschwunden. Mit dem zweiten ernsthaften Angriff stand es nach einer Viertelstunde 2:0, und eigentlich jedes Mal, wenn die Bochumer in Kölns Strafraum kamen, brach dort Anarchie aus. Ein „überragendes Ergebnis bei einer durchschnittlichen Leistung“, konstatierte Bochums Trainer Peter Neururer, und deprimierender für die Kölner konnte man es kaum zusammenfassen. Fast wäre einem sogar in den Sinn gekommen, dass Friedhelm Funkel doch Recht hatte. Der entlassene Trainer hatte in Köln nur mit strikter Defensive gepunktet, und diese gelebte Freudlosigkeit scheint, den Eindruck musste man jedenfalls haben, die einzige Chance dieser Mannschaft zu sein.“
SC Freiburg – VfL Wolfsburg 3:2
Christoph Kieslich (FAZ 10.11.) klopft Alexander Iaschwili, Freiburger Schütze aller drei Tore, auf die Schulter: „Der hat Bewegungen drauf, die gehören eigentlich verboten, hat ein früherer Freiburger, Jens Todt, einmal über Iaschwili und seine begnadeten Dribblings gesagt. Seit 1996 spielt der Georgier in Deutschland, erst beim VfB Lübeck, seit Oktober 1997 beim SC Freiburg. Am Samstag hat der 26 Jahre alte Angreifer seine hundertste Erstligapartie im Trikot der Südbadener bestritten und sein Jubiläumsspiel zur Iaschwili-Gala gemacht. Nach jeweils zwei Treffern zuletzt gegen Bremen und beim Pokaltriumph gegen Schalke gelang ihm nun ein Dreierpack, was vor ihm in zehn Jahren Bundesliga nur drei Freiburger geschafft haben: Uwe Wassmer (einmal gegen die Bayern und in Duisburg), Adel Sellimi bei einem 5:0 gegen Rostock und Soumaila Coulibaly bei einem 4:3 gegen den HSV vor eineinhalb Jahren. Es war ein Sieg quasi im Alleingang.“
Hansa Rostock – 1. FC Kaiserslautern 4:0
Matthias Wolf (FAZ 10.11.) hat Mittel gesehen, die er im Abstiegskampf erwartet: “Schlünz spricht seit seinem Dienstbeginn vom Existenzkampf. Der Trainer hatte aber zunächst alle Mühe, seinem Personal die Anweisungen seines schöngeistigen Vorgängers Armin Veh auszutreiben. Ball und Gegner müssen nicht mehr pfleglich behandelt werden. Wer das mißachtet, dem droht Ungemach. Es kann nur über die kämpferische Komponente gehen, sagt der Trainer, und über die Gemeinschaft. Damit war auch Antonio Di Salvo gemeint. Der Italiener erzielte binnen elf Minuten ebenso viele Tore wie in der gesamten letzten Saison. Bei Hansa hatten sie befürchtet, er sei an der Ostsee schon gescheitert. Weil ihn Veh nicht mehr einsetzte und stetig aufforderte, sich endlich einen neuen Verein zu suchen. So hat er das mit vielen Reservisten gemacht. Schlünz beorderte nun fünf von ihnen in seine Startelf: Ich habe zu allen gesagt, daß sie die Berechtigung haben, in der ersten Liga zu spielen. Eine Prise Psychologie, die am Samstag Wirkung zeigte.“
Ronny Blaschke (SZ 10.11.) schildert Gram auf beiden Seiten: „Auf den ersten Blick war der Sieger kaum zu identifizieren. Im Pressestübchen des Ostseestadions hatten Juri Schlünz, Trainer des FC Hansa Rostock, und Eric Gerets, Berufskollege in Kaiserslautern, gerade begonnen, ihre Kurzvorträge zu halten. Wenige Minuten waren vergangen nach dem 4:0 der Rostocker, es war der erste Sieg seit neun Spielen. Doch von der Eindeutigkeit des Ergebnisses war in den Gesichtern der Trainer nichts zu lesen. Aschfahl, so saßen sie dort, und sprachen über Krisen und Befreiungsschläge. Fast wirkte die Szene wie ein inszenierter Rollentausch. Die Rostocker hatten ihren Gegnern eine Lehrstunde in Sachen Offensivfußball erteilt. Niemand auf den Tribünen war darauf vorbereitet, wie selbstverständlich war die Kunst des Scheiterns zuletzt Teil des Rostocker Systems gewesen, bis der Erfolg zurückkehrte. „Dieser Sieg tut unheimlich gut“, sagte Schlünz nach seinem ersten Sieg als Cheftrainer, „ich hoffe, jetzt geht es in die andere Richtung.“ Über einen Richtungswechsel musste auch Eric Gerets sprechen. Mit düsterem Blick und tiefen Sorgenfalten suchte er nach Erklärungen für die schlechteste Saisondarbietung. Spötter im Stadion sahen Kaiserslautern auf dem Rostocker Niveau vergangener Wochen angelangt.“
Oliver Trust (Tsp 10.11.) kommentiert die Probleme in Kaiserslautern: “Im Team herrschen Neid und Missgunst. Altgediente Spieler sind sauer, weil Gerets auf seine Neueinkäufe setzte und nicht die belohnt, die vergangene Saison den Klassenerhalt gesichert haben. „Die vielen Neuen waren ein Eigentor“, sagte Kapitän Alex Knavs. „Durch die vielen Neuen wurde die Mannschaft extrem verändert, das war ein Fehler. Eigentlich sollte sich der Trainer auf Leute verlassen, die geholfen haben, die Karre wieder aus dem Dreck zu ziehen.“ Die meisten Neuen, bis auf Kosowski, sitzen längst nur noch auf der Bank. Die Käufe von Freund, Nurmela, Vreven und Mettomo entpuppten sich als Fehlschlag. Der Graben zwischen Trainer und den Altgedienten bleibt. Im Team ist keine Hierarchie erkennbar.“
Hertha BSC Berlin – Borussia Mönchengladbach 2:1
Christof Kneer (BLZ 10.11.) berichtet Änderungen in Berlin: “Luizao ist Herthas Krisengewinnler, man kann das Zufall nennen. Aber vermutlich steckt hinter dem Kuriosum eine profane Wahrheit. Vermutlich ist es so, dass sich Huub Stevens selbst zu seinem Glück gezwungen hat. In Krisenzeiten macht man ja oft die besten Erfahrungen, und es spricht einiges dafür, dass das Ultimatum der Vereinsführung den Trainer so unter Druck gesetzt hat, dass er gar nicht anders konnte, als sich selbst zu besiegen. Er hat gewusst, dass jetzt nur noch Siege helfen, er hat gewusst, dass man für Siege Tore braucht – also hat er einfach jene aufgestellt, die am ehesten zum direkten Torschuss taugen. In der Not hat er mit Bobic und Luizao zwei Mittelstürmer zusammenkomponiert, von denen es bei Hertha stets hieß, sie könnten bauartbedingt nicht zusammen spielen. Es ist jetzt nicht mehr zu übersehen, dass Huub Stevens unter dem Eindruck des umstrittenen Ultimatums seinen Stil verändert hat. Er ist kein anderer Trainer geworden deswegen, aber er hat sich im Angesicht der drohenden Entlassung seine personelle Sprunghaftigkeit abtrainiert. Neun Spieltage lang hatte er seinen Kader stets so bunt durcheinander gemischt, dass dieser Flickerlteppich von Mannschaft vor lauter Buntheit den allergrauesten Fußball zusammenstolperte. Ohne Not hatte der Balance-Fanatiker Stevens an neun Spieltagen neun verschiedene Aufstellungen erfunden – erst als die Not kam, vertraute er der Kontinuität. Dreimal in Folge hat er nun dieselbe Hertha an den Start gebracht, und die einzige Veränderung vor dem Gladbach-Spiel war nur der Rückkehr des Kapitäns Dick van Burik geschuldet, der Andreas Schmidt aus der Elf drängte. Fürs Erste hat es Stevens geschafft, dass erste Ansätze eines Koordinatensystems sichtbar werden, wenn auch auf immer noch erschreckend niedrigem Niveau.“
Christian Ewers (FAZ 10.11.) ergänzt: “Vielleicht ist das aus Berliner Sicht der erfreulichste Aspekt: Die Mannschaft hat sich selbst einen Weg gewiesen, wie sie aus der Krise kommen kann. Zwar war die Partie gegen Gladbach wahrlich keine grandiose, doch steht sie für die Rückkehr zu einem nüchternen und sachorientierten Fußball. Einzig Marcelinho, der brasilianische Regisseur, schlug zu Spielbeginn Haken wie ein Kaninchen im Frühling. Hertha BSC, der selbsternannte Anwärter auf einen Champions-League-Platz, kämpft um den Klassenverbleib. Der neue simple Stil der Mannschaft scheint vor allem jenen Spielern Sicherheit zu geben, die zuletzt unter dem Druck hoher Erwartungen eine enttäuschende Partie nach der nächsten abgeliefert hatten. Niko Kovac, vom FC Bayern München als Führungsspieler geholt und in Berlin bislang nicht mehr als ein Mitläufer, bot gegen Mönchengladbach seine bisher beste Saisonleistung. Keine haarsträubenden Dribblings mehr, keine Chefallüren im Mittelfeld. Kovac spielte schnörkellos und beschied sich mit der Rolle des Vorbereiters.“
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Langeweile ist ein Zustand der Erlebnisarmut
Rainer Moritz (FTD 14.4.) langweilt sich. „Mal ehrlich: Wer ist nicht froh, wenn am 24. Mai diese Bundesligasaison vorbei ist? Von Wochenende zu Wochenende wird es mühsamer, den Spieltagen etwas Schönes abzugewinnen. Gewiss, noch ist es nicht sicher, wer Cottbus in die zweite Liga begleiten und ob der ewig beleidigte Matthias Sammer seine überteuerte Truppe noch auf Champions-League-Kurs bringen wird. Doch wie erbarmenswert ist, was diese Spielzeit uns beschert! Wie bezeichnend, wenn das Ballgeschiebe des Hamburger SV ausreicht, um von Barcelona oder Turin zu träumen! Stückwerk, wohin das Auge blickt, und auch das einst als „weißes Ballett“ gerühmte Bayern-Ensemble schleppt sich über die Runden. „Langeweile ist ein Zustand der Erlebnisarmut“, hielt Philosoph Immanuel Kant fest, ohne die Bundesliga gekannt zu haben. Mitleid verdienen Sat-1-Reporter, die müde Kickereien zu Topspielen erklären müssen und uns mit so bedeutsamen Dinge wie der „Urlaubswette“ zwischen Ailton und Elber bei Laune zu halten versuchen. In der Wüste wirkt der Grashalm großartig.“
Tristesse
Christoph Biermann (SZ 12.4.). „Am letzten Sonntag verlor Wolfsburg in Rostock 0:1, und Hansas Mittelfeldspieler Thomas Meggle fand: „Da hat Not gegen Elend gespielt.“ Diese Begegnung steht in der Bundesliga derzeit häufig auf dem Terminplan. Jeden Montag vergibt der kicker den Bundesligapartien Noten, die jenen in der Schule entsprechen. Man mag über den Sinn solcher Bewertungen debattieren, eine Tendenz zeigen sie trotzdem. Am vergangenen Wochenende etwa gab es für die beste Partie, die in Leverkusen, ein glattes Befriedigend (…) Mit mangelnder Spannung hat die Tristesse übrigens nichts zu tun, auch wenn der FC Bayern als Meister und Energie Cottbus als erster Absteiger schon festzustehen scheinen. Eher liegt das farblose Bild in der Liga der Entnervten daran, dass zur Zeit fast alle Klubs unter ihren Erwartungen bleiben. Ein Jahr der Enttäuschungen ist diese Spielzeit für so viele Mannschaften wie selten zuvor. In Stuttgart mögen sie den zweiten Tabellenplatz ihres VfB bestaunen, in Hamburg über die Position des HSV zwei Ränge dahinter jubeln, doch sonst gibt es kaum lachende Gesichter. Nicht mal beim FC Bayern, wo der fast sichere Meistertitel angesichts des frühen Ausscheidens aus der Champions League den Charakter eines Trostpreises behält und das Team nur noch gegen die eigene Langeweile kämpft (…) Kein Wunder, dass die Leistungen unter diesen Umständen immer schlechter werden. Wenn sich berechtigte Erwartungen nicht erfüllen oder Ziele unrealistisch werden, sinkt das sportliche Niveau. Und lausig ist es in der Rückrunde insgesamt, denn in der Not werden die Bälle am liebsten nur noch hoch und weit nach vorne gehauen. Dann sind sie wenigstens nicht nahe des eigenen Tores, und vielleicht hilft vorne ja das Glück. Ohne Esprit und trostlos anzuschauen ist das, und lässt die ohnehin schon bescheidenen Mittel der Bundesligaprofis noch weiter verkümmern. Deren notorische technische Mängel paaren sich mit taktischen Vorgaben von Trainern, die Realismus predigen und damit doch nur irgendwie über die Runden kommen wollen. So fügt sich in der Bundesliga ein Bild zusammen, das zur allgemeinen Krisenstimmung im Land passt: viel Gewurstel und kein Spaß, nirgends. Fußball mag hierzulande immer eine Note von Kampf und Schweiß gehabt haben, doch wer kann schon so viel Angstschweiß riechen?“
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Kampf um die Meisterschaft
„Nachdem der Kampf um die Meisterschaft entschieden ist“, schreibt BVB-Fan und if-Leser Gunnar Ehrke im Hinblick auf die Ereignisse der letzten Tage, „bieten immerhin die mittleren und unteren Regionen Spannung. Der Zeitpunkt der Entlassung Neubarths auf Schalke ist überraschend, und die neue Lösung verwundert. „Willi, das Kampfschwein“ wird vorübergehend Trainer des S04: Bundesligacoach als Parkbucht auf dem Weg vom Auslaufmodell Fußballprofi zum belgischen Politiker. Ein aus Wilmots´ Sicht logischer Schritt. Nachdem Neubarth ihn zunehmend aufs Abstellgleis geschoben hatte, kann er sich nun einen glorreichen Abgang verschaffen. Versagt er, hat er nicht viel zu befürchten. Das internationale Geschäft ist erwünscht, nicht aber verpflichtend. Im Zweifel wertet man ein Misslingen als die Schuld seines Vorgängers. Bereits verloren hat Manager Rudi Assauer. Er war es, der Neubarth verpflichtet und gegen viele Wiederstände durchgesetzt hat. Assauer wollte dem Trainernachwuchs eine Chance geben. Leider ist er damit gescheitert, bzw. hat ihn die Mannschaft scheitern lassen. Ein Team mit einer hohen Dichte an schwierigen Charakteren – allein Böhme und Mpenza können ein Team aus den Angeln heben – hat sich von einem Neuling nicht bändigen lassen. Nun setzt der Verein der Mannschaft die Pistole auf die Brust: Einer aus ihren Reihen soll den Karren aus dem Dreck ziehen. Gelingt dies, so spricht es vor allem für die Mannschaft. Scheitert das Projekt, kann sich der Manager warm anziehen.
Und was verbirgt sich hinter der sofortigen Verpflichtung Jürgen Kohlers in Leverkusen? Scheinbar wird lediglich der vakante Posten des Sportdirektors neu besetzt. Vor allem soll Kohler aber wohl den Druck auf Trainer Hörster verringern. Der neue ist allseits beliebt und wird für seine Verdienste um den deutschen Fußball respektiert. Was jedoch kann er bewirken? Bei einer Niederlage nicht viel, und bei einem Sieg nimmt man Hörster seinen Verdienst. Dann würden Glückwünsche Kohler gelten. Die Bayer-Führung hat die Trainermisere erkannt und gehandelt. Jedoch muss man sich dort die Frage gefallen lassen, ob dies nicht halbherzig geschehen ist. Der Abstieg rückt näher, und Hörster hat bereits alle Trümpfe ausgespielt. Keiner hat gestochen. Calmund schwankt verdächtig. Noch mehr als Assauer ist er das Gesicht seines Vereins. Zu Beginn der Saison zum Geschäftsführer aufgestiegen steht er hilflos vor seinem taumelnden Verein. Der Nobody Ilja Kaenzig wurde sein Nachfolger auf dem Posten des Managers. Kaenzig, zu Saisonbeginn durch etliche Interviews promoted, ist in der Versenkung verschwunden. Warum? Soll er unbeschädigt aus der Krise hervorgehen oder zieht er den Kopf ein, wenn es ernst wird? Leverkusen steht auf der Kippe. Calmund wirft sein Gewicht in die Waagschale um sein Leverkusen zu retten. Wenn er nicht aufpasst, zieht er den Verein in die falsche Richtung.“
siehe auch:
Experiment mit dem hanseatischen Kopfmenschen gescheitert
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Achtelfinale
Mit anderthalb Beinen bereits im Achtelfinale ist die deutsche Elf durch Robbie Keanes Ausgleich in der Nachspielzeit zurückgebunden worden. Von einem für die Iren „hochverdienten“ Ergebnis spricht die NZZ, die taz gar von einem „schmeichelhaften“ Resultat für Deutschland, in dessen Lager nach dem Kantersieg gegen Saudi-Arabien „der Alltag wieder eingekehrt ist“ (NZZ). „Die eigentliche Erkenntnis des Spiels aber war, dass die Mannschaft, die manche deutsche Zeitung nach dem 8:0 gegen Saudi-Arabien schon auf dem Weg ins WM-Finale wähnte, von einer biederen irischen Mannschaft recht problemlos auf Prä-WM-Normalmaß zurechtgestutzt werden konnte“, schreibt Thomas Winkler (taz). In der Tat verweigerten die Iren von Anfang an den Respekt, von dem die Deutschen erhofft hatten, ihn durch die acht Treffer gegen die Saudis in den gegnerischen Lagern verursacht zu haben.
Die Berichterstattung in den Zeitungen trägt teilweise reflexhafte Züge. „Eben noch schien sich die Frage nach dem Lieblingsfinalgegner zu stellen“, liest man in Die Welt. Jedoch bange man nach dem – mit ursprünglichen Erwartungen gemessenen keineswegs enttäuschenden – Remis sogleich um den Einzug in die nächste Runde, lautet der Vorwurf an diejenigen, die durch das Eröffnungsmatch eine Renaissance des deutschen Fußballs eingeleitet sahen. Doch stimmt diese Diagnose, wonach der Auftakterfolg eine allgemeine Euphorie ausgelöst haben soll? In pauschaler Form sicherlich nicht. Vielmehr hatten die Fußballautoren den Sieg gegen die Araber vorsichtig einzuschätzen versucht (if 3.6.). Spielern und Trainern konnte man ebenfalls nicht nachsagen, dem 8:0 zu viel Bedeutung beigemessen zu haben. Allenfalls Mehrheiten der fußballinteressierten Bevölkerung hierzulande sah – Umfragen zufolge – die Elf bereits im Halbfinale. „Das vielversprechende Aufbauwerk von Rudi Völler“ (FAZ) hat nun eine hohe Hürde zu nehmen. Gegen Afrikameister Kamerun darf man sich keine Niederlage erlauben. „Doch Völlers Equipe“, machen uns südliche Nachbarn (NZZaS 2.6.) Mut, „hat während der Qualifikation schon einiges überstanden und weggesteckt.“
Außerdem: „Portugal muss sich vor Amerikas Kickern in acht nehmen; Football, Basketball und Baseball noch nicht“ (FAZ). Aber der 3:2-Sieg des Fußballentwicklungsland war für die Experten keine Sensation. Über Oliver Kahn, Captain der Deutschen, im Vorfeld eines brisanten Duells, wissenschaftlichen Berechnungen über den Turnierverlauf, Japans französischen Trainer, die WM in Nordkorea, die Stimmung in Japan/Südkorea sowie Theatralität im Stadion.
Pressestimmen zum Spiel Deutschland-Irland (1:1)
Pressestimmen zum Spiel USA-Portugal (3:2)
Pressestimmen zum Spiel Russland-Tunesien (2:0)
Pressestimmen zur Stimmung in den Gastgeberländern
Oliver Kahn , Deutschlands Kapitän
vor dem brisanten Duell
Philippe Troussier , Japans Trainer
Über Fußball in Asien berichtet Martin Hägele (taz 6.6.). „Obwohl auch die Länder des Orients zur Asiatischen Konföderation (AFC) gehören, möchten Koreaner und Japaner, aber auch die Chinesen mit den Verbänden aus den Golfstaaten nicht viel zu tun haben. Nur auf dem Papier wird der Einzug der Saudis ins Achtelfinale beim World Cup in USA als größter Fortschritt eines Asien-Vertreters verbucht. Aber nun hat man Angst, mit ihnen über einen Kamm geschoren zu werden. Das 0:8 könnte auch als Blamage der gemeinsamen asiatischen Angelegenheit betrachtet werden, befürchtete die Japan Times. Die Angst, das Gesicht zu verlieren, hat sich über Jahrzehnte hinweg vom Morgenland bis zum Pazifik fortgepflanzt. Weshalb in diesen Regionen Männer gebraucht werden, denen sich Verantwortung aufladen lässt: Guus Hiddink, Trainer der Südkoreaner, der Franzose Philipp Troussier (Japan) und Bora Milutinovic (China). Andererseits funktioniert Fortschritt im Fußball nur über Annäherung.“
Über die Wahrnehmung der WM in Nordkorea informiert uns Henrik Bork (SZ 6.6.). „Anders als die Südkoreaner, die vor allem Baseball lieben, sind die Nordkoreaner seit langem fußballbegeistert. Unvergessen ist der Überraschungssieg des nordkoreanischen Teams gegen Italien bei der WM 1966. Der nordkoreanische Kicker Park Doo Ik, der das Siegestor schoss, gilt noch immer als Nationalheld. Nordkoreas Einzug ins Viertelfinale ist bis heute das beste WM-Ergebnis eines asiatischen Teams (…) Diktator Kim Jong Il, der sich als „Geliebter Führer“ anreden lässt, zeigte sich großzügig. Seit Samstag bekommen die Genossen wenigstens ein bisschen Weltklasse-Fußball zu sehen. „Es gibt jeden Abend eine Zusammenfassung aus zwei oder drei Spielen vom Vortag“, sagt ein deutscher Diplomat in Pjöngjang (…) So kommt ein Volk täglich in den Genuss von 45 Minuten Fußball, das mindestens ebenso nach Unterhaltung hungert wie nach guter Ernährung.“
Richard Kämmerlings (FAZ 6.6.) erkennt Theatralität im Fußballspiel. „Das Wesen des Theaters ist die körperliche Präsenz der Schauspieler. Doch auch in Fernsehübertragungen können besondere Umstände das vermittelte Geschehen zu Erfahrungen unmittelbarer Realpräsenz erheben. Als im Spiel gegen Saudi-Arabien Carsten Jancker das Ende seiner Torflaute mit dem Ausziehen des Trikots feierte, schien er damit beglaubigen zu wollen, dass mit dem Kampfgeist auch das Fleisch wieder auferstanden ist: Seht her, der Körper hat durch die heftigen Attacken der Öffentlichkeit keine Wunden davongetragen. Durch seine Geste wurde er statt des viel besseren Klose zum sinnbildhaften Körper der Nation und der Mannschaft, kurz zur personifizierten Körperschaft.“
La Repubblica (4.6.) berichtet über eine Computer-Berechnung an der Universität Ulster, nach der das WM-Finale von Italien und Brasilien bestritten werden wird. Die Forschergruppe hatte einen PC mit Unmengen von für die Spiele in Korea und Japan relevanten Daten gefüttert: Fifa-Tabellen, Reise-Distanzen, Kollateraleffekte der Reisen zwischen Japan und Südkorea, Ruheperioden zwischen den Spielen, Gesundheitszustand jedes einzelnen Spielers. Nach 2000 Simulationen auf der Basis von mathematischen und statistischen Modellen hat der Computer sein Ergebnis ausgespuckt: Brasilien wird Weltmeister. Ziel des Versuches ist es, herauszufinden, ob Maschinen fähig sind, präzisere Voraussagen zu machen als Menschen. Das Verdikt der künstlichen Intelligenz wurde nämlich der Expertise von fünf Professoren gegenübergestellt, die lediglich über durchschnittliche Fußballkompetenz verfügen. Seltsamerweise kommen diese sowohl bei Besetzung des Finales als bei der Benennung des Siegers zum selben Resultat.
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Angriffsfußball in der Serie A – Zaccheroni löst Cuper bei Inter ab – Doping-Vorwürfe an Rio Ferdinand werden schärfer
Befreiung von der Sklerose der bequemen defensiven Gewissheiten
Peter Hartmann (NZZ 21.10.) erfreut sich an der Entwicklung des italienischen Fußballs: „Ein Vergnügen, Fussball pur: Die AC Milan, beflügelt vom 21-jährigen Brasilianer Kakà mit den „denkenden Füssen“, besiegt im Gipfeltreffen der Serie A in San Siro Lazio Rom 1:0, und das Resultat verrät nichts von der Dramatik, der Intensität und dem Tempo dieses Spektakels. Im Römer Stadio Olimpico spielt die AS Roma mit den 20-jährigen Cassano und De Rossi als Triebfedern die solide Mannschaft aus Parma schwindlig und gewinnt 2:0. Wer es nicht glaubt, muss hingehen und sehen: Der italienische Fussball probt in diesem Herbst eine Revolution. Wie vor 15 Jahren, als Arrigo Sacchi mit Milan das holländische Modell nochmals neu erfand. Wie 1982, als Italien unter dem zuvor ständig angefeindeten Enzo Bearzot Weltmeister wurde. Die Abkehr vom bleiernen Zynismus des Zerstörungs- und Abwartefussballs hat mehrere Gründe. Etwa eine vier Jahre dauernde Phase der Erfolglosigkeit der Klubs in Europa, die in das Debakel der trapattonischen Beton-Taktik am World Cup 2002 mündete (der Nationalcoach selber hat inzwischen mit seiner Flucht nach vorn ein Läuterungs- und Aufklärungssignal gesetzt). Dann das wiedergefundene Vertrauen in die eigenen kreativen Möglichkeiten, vorexerziert von Milan, Juventus und Inter, die unter die letzten vier der Champions League vordrangen. Die kommerzielle Erkenntnis, dass sich mit der offensiven Starparade von Real und Manchester United globale Sympathien und Märkte erobern lassen. Und schliesslich die erdrückende Finanznot: Im Verteilungskampf um den Kuchen der Fernseh- und Sponsorengelder zählt nur die Attraktivität. Milan, die Kombinationsmaschine, und Roma, der Kindergarten der Talente, spielen derzeit den besten Fussball der Serie A. Die Trainer Carlo Ancelotti und Fabio Capello (auch Marcello Lippi beim Meister Juventus, Mancini mit Lazio und, seit zwei Jahren schon, der Aussenseiter Del Neri mit Chievo) befreien den Calcio von den Altlasten des Catenaccio, von der Sklerose der bequemen defensiven Gewissheiten. Wer sich diesem Trend verweigert, macht sich zum Verlierer.“
Birgit Schönau (SZ 21.10.) kommentiert den Trainerwechsel bei Inter – Alberto Zaccheroni löst Hector Cuper ab: „Er hat dann später viele Stunden auf der Trainerbank des Meazza-Stadions gesessen und 1999 sogar einen Meistertitel geholt. Aber für die Falschen, für Milan und für Silvio Berlusconi, der Zaccheroni entließ, weil er ihm zu links war und zu subversiv. Seit Sonntag ist Zaccheroni, 50, nach dem Rauswurf des Argentiniers Hector Cuper neuer Trainer bei Inter. Endlich zu Hause, könnte man sagen. Er wird zwischen Cesenatico und Mailand pendeln. Präsident Massimo Moratti hatte ihn noch in der Nacht angerufen, wenige Stunden nach der blamablen Vorstellung seiner Mannschaft gegen Brescia. Mit viel Glück hatte Inter zwar noch ein Unentschieden ergattert, aber so offensichtlich gegen den eigenen Coach gespielt, dass Moratti endlich Konsequenzen zog. In zwei Jahren hatte Cuper nichts gewonnen, nur den Mythos der ewig leidenden Inter um einige Episoden verstärkt: ein Nullzusechs im Derby gegen Milan, eine am letzten Tag verlorene Meisterschaft (gegen das von Zaccheroni auch nicht sehr glücklich geführte Lazio Rom), ein öffentliches Zerwürfnis mit dem Ausnahmefußballer Ronaldo. „Als Inter-Fan bin ich glücklich, dass Cuper weg ist“, ätzte der Brasilianer. Andere blieben eleganter. „Cuper hat Inter gern gehabt und wir mochten ihn auch“, bemerkte der Schriftsteller Beppe Severgnini. „Unter ihm hat Inter aufgehört, ein Hühnerhaufen zu sein, und ist eine Mannschaft geworden.“ Und Zaccheroni? „Der hat auch nicht diesen militärischen Anstrich wie Capello oder Lippi, der Donald Rumsfeld des Alpenstadions. Alberto Zaccheroni gehört in die Kategorie der poetischen Trainer.“ Wobei er strikt nach dem Versmaß 3-4-3 zu dichten pflegt. Ein richtiger Dreiersturm wäre für Inter eine Revolution. Überhaupt: locker aufspielen, nach vorn spielen, den Ball rollen lassen – unter Cuper alles nicht jugendfreie Obszönitäten. Der Argentinier führte sich in Mailand auf wie der Testamentsvollstrecker des unvergessenen Helenio Herrera. Catenaccio statt Tango, es war die Fortschreibung eines kulturhistorischen Missverständnisses.“
Christian Eichler (FAZ 21.10.) meldet Neues von den Dopingvorwürfen an Rio Ferdinand: “Es könnte die teuerste Handy-Rechnung der Welt werden. Der englische Fußballverband wartete am Montag immer noch darauf, sie vorgelegt zu bekommen: die Auflistung der Verbindungen, die Rio Ferdinand in der Mittagszeit des 23. September hatte. Ein schönes Theater ist das, ein Possenspiel des mobilen Zeitalters. Der teuerste Verteidiger der Welt hatte nach dem Training beim reichsten Klub der Welt vergessen, die geforderte Dopingprobe abzugeben; war danach, während Klubarzt und Dopingfahnder ihn suchten, zwei Stunden unerreichbar; angeblich, weil sein Mobiltelefon ausgestellt war. Doch eine Gesprächsauflistung, die die wacklige Verteidigung des Verteidigers stützen könnte, lag auch fast vier Wochen später nicht bei den Ermittlern vor. Und das, obwohl der Sponsor von Manchester United der größte Mobilfunkanbieter der Welt ist (…) Während die Verbandsermittler immer noch auf Anschluß warteten, gab am Wochenende die Zeitung News of the World Einblick in die Liste der Telefongesellschaft. Demnach hat der vergeßliche Rio während seines Verschollenseins diverse Gespräche geführt und Textmitteilungen gesendet; darunter, so die Recherche, an seine Zweitgeliebte, eine Stewardess der Virgin Airlines. Aber Ferdinand soll auch den Klubdoktor, den Fußballverband und, ein im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Dopingprobe seltsamer Zufall, seinen Urologen angerufen haben. Nun heißt es, die Version des abgeschalteten Telefons sei nicht mehr aktuell. Vielmehr behaupte der Klub, das Handy sei nur auf stumm geschaltet gewesen. Dieser kleine Unterschied in der Erreichbarkeit könnte den großen Unterschied in der Anklage machen: auf unabsichtliches oder absichtliches Versäumen einer Dopingprobe. Absicht liefe auf eine zweijährige Sperre hinaus und wäre für den englischen Meister, der 45 Millionen Euro für den Verteidiger bezahlte, ein Schlag ins Kontor – für Ferdinands Konto und Karriere sowieso.“
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