Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
Aufregendster Reviergipfel seit Menschengedenken
Die Fußball-Bundesliga – so lautet ein derzeit kursierendes Urteil – sei angesichts des uneinholbar anmutenden Vorsprungs der Bayern langweilig geworden? Am vergangenen Spieltag geschah jedoch derart viel Aufregendes abseits der Meisterfrage, dass man auf Spannung im Titelrennen nicht angewiesen scheint. Wo anfangen, um das Erzählenswerte aufzuarbeiten?
Im „aufregendsten Reviergipfel seit Menschengedenken“ (FR), beim 2:2 zwischen Schalke und Dortmund, boten die Beteiligten auf und neben dem Rasen den zwischen Begeisterung und Empörung hin und her gerissenen Beobachtern die ungeschminkte Essenz menschlichen Mit- und Gegeneinanders. „Ach, die Bundesliga: ein verläßliches Volkstheater, mal zum Vergnügen des Publikums, mal zornerregend, gefüllt am vergangenen Wochenende auf alle Fälle mit allem, was den Fußball reizvoll macht“, resümiert die FAZ begeistert und ist gleichzeitig erleichtert: „Die Mutter aller Regionalderbys schien alt geworden in den vergangenen Jahren, als der Ruhrgebietsklassiker mehr und mehr wie ein Treffen unter Geschäftspartnern oder eine folkloristisch verbrämte, sonst aber überaus gewöhnliche Bundesliga-Begegnung anmutete. Bis zum Samstag, dem Tag des Revivals der alten Rivalität. Die Historie lebt also doch.“
Im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit ließ sich in Gelsenkirchen aber ein Sieger ausmachen. Zwar prägte sich zum einen die „Rumpelstilzchenfraktion von der Dortmunder Bank“ (SZ) dank zahlreicher Zeitlupen stark ins Gedächtnis des Fernsehzuschauers ein. Zum andern gefielen die wiederholter Schiedsrichtermissgunst geschuldeter Verschwörungstheorien des gockelhaften Schalke-Managers Rudi Assauer. Den Hauptpreis hingegen errang, wenn auch unfreiwillig, der Dortmunder Keeper Lehmann, nachdem er ein Scharmützel mit dem offensichtlich in mannschaftsinternen Misskredit geratenen Ex-Torjäger Amoroso angefacht hatte. Auf die Frage, warum er dabei erneut des Feldes verwiesen wurde, hat die SZ im Vergleich mit Schiedsrichter Fandel eine einleuchtendere Erklärung parat: „Jens Lehmann holt sich all die Roten Karten ab, die die Schiedsrichter dem Titanen Oliver Kahn nicht zu geben wagen.“
„Selten hat man Sieger so geschockt gesehen, so traumatisiert von dem eigenen, seltsamerweise nicht bestraften Unvermögen“, fasst die Financial Times Deutschland die Reaktionen der Leverkusener nach dem 2:1 bei Konkurrent Hannover zusammen. Der Erfolg war auf „wundersame Weise“ (FAZ) zustande gekommen, denn eigentlich schien die nervlich angeschlagene Werkself mit einer Niederlage unter fünf Toren Differenz gut bedient, was die taz unnachahmlich kommentiert: „Wer tief in der Krise steckt, kann nur hoffen, möglichst bald ein Auswärtsspiel gegen Hannover 96 zu haben. Dort ist einem das Glück hold.“ Man müsste das dicke Buch der Fußball-Kapriolen um ein Kapitel erweitern, würde die vor Jahresfrist noch brillierende Elf aus einer solchen (letztendlich erfolgreichen) Vorstellung Selbstbewusstsein für den anstehenden Abstiegskampf entwickeln können.
Des Weiteren im Blickpunkt: „Das Projekt Fußball in Wolfsburg droht zu scheitern“ (SZ). Ciriaco Sforza gibt ein unerwartetes Comeback. Die schwächste Mannschaft des Jahres aus Bremen verliert gegen die stärkste aus Cottbus. Und nicht zuletzt: die „heimlichen Doppelpässe“ (SZ) zwischen Kirch und Bayern sind weiterhin auf der Agenda . Wer braucht eigentlich ein Titelrennen?
Schalke 04 – Borussia Dortmund 2:2
Christoph Biermann (SZ 24.2.) rezensiert die Vorstellung „auf Schalke“. „Die Schalker Wutausbrüche entzündeten sich an zwei Szenen. „Hat der junge Mann beim Tor von Waldoch den Heiligen Geist gesehen?“, fragte Assauer, weil der Linienrichter zehn Minuten vor Schluss den dritten Treffer der Gastgeber wegen Abseits aberkannte. Die Entscheidung war so falsch, wie jene richtig, Agali sieben Minuten vor der Pause die Rote Karte zu zeigen. Allerdings hätte Dortmunds Dedé sie ebenfalls sehen müssen, denn seinen Befreiungsschlag nutzte er, um dem Nigerianer seinen Ellenbogen an den Hals zu schlagen. Das jedoch übersah der Linienrichter, der sowieso erst intervenierte, als die Rumpelstilzchenfraktion auf der Dortmunder Bank empört aufsprang. Der Dortmunder Trainer Matthias Sammer („Ich sehe das neutral“) fand bei der Gerichtsshow in der Arena eine Rote Karte für Dedé „Auslegungssache, ich hätte sie aber nicht gezeigt“. Doch das Unterhaltungsangebot des Nachmittags beschränkte sich nicht auf eine Abwandlung von „Richterin Barbara Salesch“, sondern reichte bis zur Psychoshow „Lämmle Live“. Bei der löwenmähnigen Seelenberaterin im dritten Programm könnte vielleicht mal Jens Lehmann durchklingeln und über sein hartes Leben zwischen den Pfosten sprechen. Dortmunds Torhüter flog am Samstag bereits zum vierten Mal in seiner Karriere vom Platz. Das ist eine Quote, die selbst manchen Eisenfuß der Liga vor Neid wird erblassen lassen. Außerdem ist Lehmann nach dem zweiten Platzverweis in einer Saison der erste Keeper, dem das in der Bundesliga gelang und endgültig eine erratische Figur geworden. Dabei hatte Schiedsrichter Fandel in der Halbzeitpause noch „ein nettes, kurzes Gespräch“ mit dem Keeper geführt und ihm zu dessen Gelber Karte erklärt, dass er halt nicht immer aus dem Strafraum rennen dürfe. Doch zehn Minuten vor Schluss, just als Schalkes Siegtreffer aberkannt wurde, flitzte Lehmann erneut los. Im Mittelfeld rüffelte er Amoroso, der rempelte zurück, wodurch Fandel den Ausflügler bemerkte und ihm die zweite Gelbe Karte zeigte. „Fußball ist ein seltsames Spiel geworden“, fand Lehmann, was man auch umgekehrt betrachten kann. Lehmann ist ein seltsamer Spieler mit der Selbstkontrolle eines hyperaktiven Kindes.“
Roland Zorn (FAZ 24.2.) kommentiert die Dortmunder Scharmützel. „In diesem Kessel der Emotionen fühlen sich die Besucher auf Schalke oft genug heimischer als die Gelsenkirchener selbst, auch weil sich die Schiedsrichter besondere Mühe geben, unbeeindruckt von der Masse Mensch zu bleiben. Nicht jeder aber, der hierher kommt oder zurückkehrt wie der frühere Schalker Torwart Jens Lehmann, glänzt in der prächtigen Freilufthalle mit den allerbesten Manieren. Am Samstag ging Lehmann nach Waldochs Kopfballtor ohne Folgen ein paar Schritte zu weit, verließ seinen Strafraum und stürzte sich auf seinen zunächst verdutzten, danach aber wehrhaften Dortmunder Kollegen Marcio Amoroso. Dem brasilianischen Stürmer hielt Lehmann unübersehbar vor, daß er zum wiederholten Mal seine Verteidigungsaufgaben – Amoroso sollte Waldoch nicht aus den Augen lassen – geschwänzt habe. Die betriebsinternen Händel der Borussen waren Fandel ein solcher Dorn im Auge, daß er dem aus einem vergleichbaren Anlaß schon verwarnten Lehmann mit der Gelb-Roten Karte endlich Einhalt gebot. Es ist nicht möglich, erklärte Fandel seine Entscheidung, daß er ständig aus seinem Tor rausläuft. Ich habe ihm schon in der Halbzeit in einem netten, ruhigen Gespräch gesagt, daß das nicht geht. Das ist eine Unsportlichkeit. Die Lehmann nicht einsehen wollte. Ich kannte diese Regel nicht, sie muß wohl heute erfunden worden sein, der Fußball ist komisch geworden. Das Derby war heiter und ernst zugleich, denn es wurde neben allen Nickligkeiten und Animositäten auch richtig guter Fußball gespielt. Die Schalker sprachen von einem verpaßten Sieg, die Dortmunder auch. Die Arena bebt, das Derby lebt. Es war am Samstag nach inhaltsarmen Jahren wieder einmal romanreif.“
Thomas Kilchenstein (FR 24.2.). „Es muss sich in den vergangenen Wochen eine ganze Menge angesammelt haben bei Jens Lehmann. Und da kann einen ein Spieler wie Marcio Amoroso, meilenweit von seiner Form entfernt, durch seine egoistische und wenig mannschaftsdienliche Art, Fußball zu spielen, gehörig aufregen. Ich hatte Amoroso was zu sagen, meinte Lehmann hinterher. Dass die beiden keine Freunde mehr werden und vermutlich auch nie waren, dürfte spätestens seit diesem Samstag, 17.06 Uhr, klar sein. Aber Freunde, gute Freunde, könnte Jens Lehmann gerade jetzt dringender denn je gebrauchen.“
Felix Meininghaus (FR 24.2.) zum Spiel. „In der Realität bleibt der BVB die Nummer eins im Pott. Zu Recht, denn selbst wenn man berücksichtigt, dass die Borussen vom Schiedsrichter über Gebühr bevorzugt wurden, stellte der Meister im Derby das stärkere Team. Allerdings mit der Einschränkung, dass es die Dortmunder in Überzahl versäumten, das Spiel für sich zu entscheiden. Eine Viertel Stunde wirbelten Rosicky und Co. ihre Widersacher nach dem Seitenwechsel dermaßen fulminant durcheinander, dass ihnen Hören und Sehen verging. Doch nach dem Ausgleich beschränkte sich der BVB darauf, das Resultat zu verwalten. Ein Umstand, der Trainer Matthias Sammer ratlos zurückließ.“
Über das Image von Jens Lehmann heißt es bei Josef Kelnberger (SZ24.2.). „Die Grünen-Politikerin Claudia Roth wollte ihn für ihre Partei abwerben, wenn auch aus ziemlich unpolitischer Bewunderung für den Fußballprofi („Ohne Wenn und Aber: Der Schönste und Spannendste, das ist Jens Lehmann“). Lehmann lehnte ab, weil er nach einem seiner ungezählten Platzverweise noch hoffte, sein Image als Torwart irgendwie reparieren zu können. Diese Hoffnung hat sich nun wohl erledigt. Mäße man eine Zustimmungsquote für Jens Lehmann, wäre er in etwa bei der aktuellen Bundesregierung angelangt. Zeit für einen Wechsel also. Zwei Seelen wohnen halt in seiner Brust, aber auf dem Fußballfeld will sich bloß mehr die eine zeigen. Vermutlich ist das schon eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Lehmann rastet aus. Vielleicht ist es auch so: Jens Lehmann holt sich all die Roten Karten ab, die die Schiedsrichter dem Titanen Oliver Kahn nicht zu geben wagen. Und so prügeln nun wieder alle auf Lehmann ein, die Moralisten, die Fußball-Hygieniker, die Chefankläger. Wir hören schon die Waffen klirren, mit denen sie auf ihn losgehen: .. .arroganter Schnösel … hat seiner Mannschaft geschadet … Wiederholungstäter … muss hart geahndet werden …hohe Geldstrafe seitens des Vereins … unwürdig eines Nationalspielers … hoffnungsloser Fall. Man sollte sofort einen Jens-Lehmann-Fanklub ins Leben rufen. Oder doch gleich eine Jens-Lehmann-Partei gründen, für alle Unverstandenen dieser Welt.“
Richard Leipold (Tsp 24.2.) schreibt über das Verhalten des Keepers. “An Lehmann bleibt der allseits, auch aus dem eigenen Lager erhobene Vorwurf hängen, sich undiszipliniert verhalten und die Mannschaft auf diese Weise in Schwierigkeiten gebracht zu haben. Die Ursache seiner jüngsten Entgleisung, der Konflikt mit Amoroso, ist mit dem Platzverweis noch nicht aus der Welt. Der brasilianische Stürmerstar, in dieser Saison nur ein Abklatsch des einstigen Torschützenkönigs, ruft durch sein Auftreten bei den eigenen Mitstreitern inzwischen mehr Verdruss hervor als bei Gegnern. Lehmann sieht sich dem berechtigten Vorwurf ausgesetzt, auf diese Art der Provokation unprofessionell reagiert zu haben, zumal als Spieler mit seiner Vorgeschichte. Der Schlussmann gerät hauptsächlich deshalb in die Kritik, weil er aus seinen Strafen nicht gelernt hat. Lehmann gerierte sich in Schalke als unbeherrschter, vielleicht unbelehrbarer Spieler. „Das war ein klares Fehlverhalten“, sagte Manager Michael Meier. Aber die Wurzel des aktuellen Dortmunder Übels scheint Amoroso zu verkörpern. Was sein schärfster Kritiker Lehmann zu viel an Erfolgsbesessenheit hat, das hat der exzentrische Brasilianer zu wenig. Insofern war ein Zusammenstoß wie in Schalke nur eine Frage der Zeit. „So etwas baut sich manchmal über Tage und Wochen auf, und dann kommt eben eine etwas doofe Reaktion“, sagte Lehmann. Wie es scheint, müsste in Dortmund jemand die Diva Amoroso verwarnen und bei anhaltender Nachlässigkeit vom Platz stellen. Diese Aufgabe kann den Borussen kein Schiedsrichter abnehmen.“
Hannover 96 – Bayer Leverkusen 1:2
Angesichts der „wundersamen“ Ereignisse in Hannover schlüpft Jörg Marwedel (SZ24.2.) in eine andere Haut. „Stellen Sie sich vor, Sie sind Reiner Calmund. Sie sitzen auf der Tribüne eines großen Fußballstadions. Auf dem Rasen scheitern hoch bezahlte Angestellte der Bayer Leverkusen Fußball-GmbH daran, den Ball zum drei Meter entfernten Mitspieler zu passen. Sie erleben, wie der Stürmer Thomas Brdaric sogar bei dem Versuch, einem ins Aus geflogenen Ball nachzulaufen, stolpernd zu Boden geht. Sie verfolgen hilflos, wie der Gegner Hannover 96 derart mühelos durch die konfuse Bayer-Abwehr spaziert, dass seiner 1:0-Führung in der Logik des Spiels ein 2:0 und ein 3:0 folgen müssten. Dann ist es 16.40 Uhr und es wird ein Tor gemeldet. Auf dem Betzenberg steht es 1:0 für den 1. FC Kaiserslautern gegen den HSV. Bayer Leverkusen, der Champions-League-Finalist und Bundesliga-Zweite des vergangenen Jahres, ist Tabellenletzter. Sie sitzen noch immer auf Ihrem Platz. Gelähmt und ganz in Schwarz, wie Ihr eigener Beerdigungsunternehmer. Die Rufe werden zum Orkan im Stadion: „Bundesliga zwei, Bayer ist dabei.“ Wahrscheinlich sehen Sie jedes einzelne Gesicht dieser Rufer in Ihrer Nähe. Höhnische Fratzen, die den Zerfall Ihres Lebenswerkes bejubeln. Und dann ist er plötzlich vorbei, dieser Höllentrip. Sie erwachen am Samstag um 17.16 Uhr, und Bayer hat 2:1 gewonnen, zum ersten Mal nach fünf Pleiten hintereinander. Die Mannschaft ist nicht mehr Letzter, sondern Vierzehnter, erklären können Sie es nicht. Ein eingewechselter Nachwuchsspieler namens Sebastian Schoof (Rückennummer 57) hat zehn Minuten vor Schluss das eine Tor erzielt, ein gewisser Jan Simak das andere. Simak, vergangenen Sommer nach einer Serie von Eskapaden aus Hannover geflohen, in Leverkusen als „Pflegefall“ verflucht und von den 96-Fans bei jeder Aktion mit Pfiffen bestraft. Das nennt man Pointe.“
Dietrich zur Nedden (taz 24.2.) wundert sich. „Hätte sich ein Autor die Dramaturgie dieses Spiels ausgedacht, man hätte den Plot als ziemlich weit hergeholt bezeichnet: Das gibts doch nur im Film. Eben nicht. Noch immer stimmt der banale Satz, dass die Realität seltsamer ist als jede Fiktion. Ähnliches muss 96-Trainer Ralf Rangnick im Sinn gehabt haben, als er nach der plötzlichen 1:2-Niederlage meinte: Ich muss mich nachher noch mal zwicken, ob das hier heute wirklich stattgefunden hat. (…) Schon ein Unentschieden wäre nach so einem Spielverlauf eine maßlose Enttäuschung für 96 gewesen, aber es wartete auf die beinahe paralysierten Fans noch der finale Hammer. Die Nachspielzeit war angebrochen, Neuville trickste flink durch die Mitte, der Ball fand Simak an der Strafraumgrenze, und geradezu genießerisch verwandelte er zum 2:1 für Leverkusen. Wenn auch im Grunde trotzdem nichts bei Leverkusen funktioniert hatte, die Calmundsche Schwatzroutine tat es: Wir müssen jetzt n Telegramm an den lieben Gott und an nen Papst schicken, quallte er, dass wir hier das Spiel gewonnen haben. Sollte es von höchster Stelle eine Antwort geben, stünde vielleicht darin: Nicht ich wars, sondern der Terminplan. Denn wer tief in der Krise steckt, kann nur hoffen, möglichst bald ein Auswärtsspiel gegen Hannover 96 zu haben. Dort ist einem das Glück hold.“
Erik Eggers (FTD 24.2.) beobachtete die siegreichen Leverkusener nach dem Spiel. „So sehen Verlierer aus, Spitzensportler frei von jedwedem Selbstbewusstsein. Nationalspieler Carsten Ramelow etwa schlängelte sich, nachdem er nach einer denkwürdigen Partie den engen Spielertunnel hinauf gehastet war, mit tief gesenktem Haupt vorbei an den wartenden Journalisten, Boris Zivkovic eilte ihm ähnlich deprimierter Pose hinterher, und auch ein peinlich berührter Marko Babic verspürte keine Lust, auch nur ein Wort über die vergangenen 90 Minuten zu verlieren. Dabei hatte Bayer Leverkusen, das war das Bizarre an diesen Szenen der Flucht, ja das erste Mal nach fünf Niederlagen wieder gewonnen (…) Vor allem die Art und Weise des Leverkusener Auftritts war Ausdruck der ganzen Verstörtheit einer ehemaligen Spitzenmannschaft gewesen, die vom nackten Ergebnis nun einigermaßen überdeckt werden wird. Der Zustand des Jammers jedoch zog sich durch nahezu alle Mannschaftsteile: Die Abwehr verdiente ihren Namen nicht, die völlig verunsicherten Zivkovic, Placente, Kaluzny und Balitsch nämlich wurden, wenn überhaupt, allenfalls als lästige Slalomstangen wahrgenommen von den heimischen Angreifern, und nur der diesmal überragende Torhüter Jörg Butt hielt mit seinen sechs, sieben fantastischen Paraden das zerlegte Team im Spiel. Das Mittelfeld ließ sich in der ersten Minute schon den Schneid abkaufen; die gefühlte Zweikampfquote lag hier bei maximal 20 Prozent, ein Wert, der kaum reichen wird im kommenden sportlichen Überlebenskampf. Und auch Stürmer Franca, der gegen Newcastle United noch Hoffnung auf Besserung verkörperte, stolperte wie Falschgeld über den Platz.“
Peter Heß (FAZ 24.2.) analysiert die Bedeutung des Leverkusener Erfolgs. “Was in der Schlußphase geschah, wird mit Fußball-Weisheiten wie: Der Ball ist rund, Im Fußball ist immer alles möglich, Fußball ist das unwägbarste aller Spiele nur unzureichend beschrieben. Die Mannschaft, die bis dahin, gefangen in einem Netz aus Unfähigkeit und Verunsicherung, dem Bodensatz der Liga entgegentorkelte, nur durch einen überragenden Torwart Jörg Butt im Spiel gehalten, gelangte auf wundersame Weise zu einem 2:1-Sieg, der nun die Rettung aus dem Elend verheißt. Ein Erfolg, herausgeschossen von den Spielern, von denen man es am wenigsten erwarten konnte (…) Dieses 2:1 bildete genau das Fußballwunder, das Bayer Leverkusen benötigte, um wieder aufgerichtet zu werden. Sich selbst aufzubauen, dazu waren die Spieler nicht in der Lage. Der neue Trainer Thomas Hörster maß dem Sieg eine ungeheure Bedeutung zu: Jetzt sind wir aus dem Gröbsten raus. Die Köpfe sind wieder frei, jetzt können wir wieder in Ruhe arbeiten. Wenn er das wörtlich meinte, überschätzte der 46 Jahre alte Essener den Wert. Das Erfolgserlebnis bedeutete lediglich den ersten von zwei notwendigen Schritten weg vom Abgrund. Das Abrutschen bis auf den Boden wurde vermieden, aber noch nicht der Aufstieg begonnen. Dazu gehört eine Mannschaft, die ohne Panikanfälle ein Bundesligaspiel bestreiten kann. Es ist keine böswillige Unterstellung, daß der erzitterte Sieg kaum als dauerhaftes Beruhigungsmittel taugt. Ein frühes Gegentor im nächsten Bundesligaspiel gegen Bremen nähme dem Sieg in Hannover wohl jeden psychologischen Effekt. Worauf Leverkusen hoffen kann im Abstiegskampf, ist ein Konkurrent wie Hannover 96. Der Aufsteiger wird in dieser Spielzeit von einer Pechserie gepeinigt, die schon ins Tragikomische spielt. Spielerisch dem oberen Drittel der Bundesliga zuzuordnen, kämpferisch fast immer überzeugend, versteht es die Mannschaft von Trainer Ralf Rangnick, fast jede Gelegenheit zur Niederlage wahrzunehmen. Der sonst so gerne fußballphilosophierende Trainer Rangnick enthielt sich nach dem Spiel jeden Fachkommentars: Da gibt es nichts zu analysieren. In meiner Profilaufbahn hat noch nie eine Mannschaft von mir einen Gegner über 90 Minuten so beherrscht wie heute. Ein Hauch Verzweiflung schwang mit. Die Leverkusener konnten gut mitfühlen.“
1. FC Kaiserslautern – Hamburger SV 2:0
Zur Situation in Kaiserslautern meint Hans-Joachim Leyendecker (FAZ 24.2.). „Der aktuelle Stand im Keller der Tabelle ist immer noch alarmierend; wie der Klub bei den Banken in der Kreide steht, sowieso. Aber so stabil, wie der 1. FC Kaiserslautern neuerdings in den Stadien auftritt, animiert er zu der gar nicht mal mehr so riskanten Wette: Der FCK bleibt drin. Die Kette der Indizien ist so überzeugend wie der neuerliche Auftritt der Viererkette vor Torhüter Tim Wiese (…) Wohin man auch hörte, jeder erzählte vom bewährten Rezept, wonach jeder zu ersetzen sei. Inzwischen aber hat der 1. FCK ein paar Fixpunkte, die nicht mehr aus dem Team wegzudenken sind: Torhüter Wiese, der mit jeder Partie an Souveränität hinzugewinnt, der Kameruner Bill Tchato, an dem es für keinen Hamburger ein Vorbeikommen gab, die Torjäger Lokvenc und Klose, dazu die Wiederentdeckung von Sforza und die Entdeckung Markus Anfang. Wie dieser vor dem 2:0 Klose in Szene setzte, erinnerte an einen Mario Basler in seinen besten Tagen. Die Aufbruchstimmung dürfte auch das Klima bei den Gläubigerbanken des FCK beeinflussen.“
Hans-Joachim Leyendecker (FAZ 24.2.) über Ciriaco Sforza, den Mann des Tages. „Er war mit mehr Pfiffen als Beifall begrüßt worden. Als Ciriaco Sforza den Rasen im Fritz-Walter-Stadion verließ, umhüllte ihn rauschender Applaus. Der vom kritischen Publikum auf dem Betzenberg erst unlängst ausgegrenzte Schweizer ist im Schnellverfahren wieder in die Schicksalsgemeinschaft der Pfälzer Fußballgemeinde aufgenommen worden. Weil er beim 2:0 über den Hamburger SV als Mann vor der Abwehr genau dorthin ging, wo es weh tut. Er scheute keinen Zweikampf, rackerte mit und ohne Ball, hatte die meisten Ballkontakte und lebte somit die Tugenden vor, die man ihm in der Vergangenheit aus gutem Grund so oft an gleicher Stätte abgesprochen hatte. Trainer Erik Gerets hatte den am kommenden Sonntag Dreiundreißigjährigen zur allgemeinen Überraschung für die Startelf nominiert. Und vom Anpfiff weg nutzte Sforza die Chance, ein anderes Bild von sich zu zeichnen als dem lamoryanten Dirigenten. Gerets feierte ihn in der Nachbetrachtung als den besten Mann auf dem Platz. Im Überschwang meinte der Belgier eine sensationell gute Leistung im Mittelfeld gesehen zu haben. So beurteilt man leitende Angestellte, die man innerlich schon abgeschrieben hat, an die man aber unverdrossen glauben möchte.“
Werder Bremen – Energie Cottbus 0:1
Raimund Witkop (FAZ 24.2.) erkennt Gegensätzliches. „Die Bremer stolpern derzeit, wenn nicht über die eigenen Füße, dann über die Krater ihres wüsten Rasens. Das negative Spiegelbild der Serie des Gegners – nämlich vier Niederlagen bei einem Remis seit der Winterpause – kam für die Bremer vor allem deshalb zustande, weil Charisteas in der zweiten Hälfte den Ball aus drei Metern Entfernung dem auf der Torlinie stehenden Verteidiger da Silva zuschob – dabei wären links und rechts je drei Meter leeres Tor gewesen. Der Grieche barg sein Gesicht lange in den Händen, wie es nahezu alle Bremer immer wieder hätten tun mögen: ein Bild von tiefer Verunsicherung. Wie ein Stürmer auftrumpfen kann, der auf der Höhe seines Selbstvertrauens ist, das bewies Marko Topic schon in der fünften Minute. Der Bosnier hatte die ganze Woche wegen Muskelbeschwerden nicht trainieren können, spielte aber mit und zeigte mehr Entschlossenheit und Esprit als alle Bremer zusammen. Beim entscheidenden Tor umkurvte er zwei Bremer, etwas später gleich vier. Auf die Frage, was solche Bravourstücke im besonderen und die Cottbuser Wiederbelebung im allgemeinen bewirkt habe, hat Topic die inzwischen oft wiederholte Antwort parat: Da gibt es nicht viel zu erklären. Hier will jeder erste Liga spielen, und wir hatten nichts mehr zu verlieren. Worüber sollten wir uns noch Sorgen machen? Vielleicht ist es wirklich so einfach. Um das mit hoffnungslosen zehn Punkten aus der Hinserie bezogene Wintertrainingslager in Dubai ranken sich nach jedem weiteren Energie-Erfolg mehr Mythen. Das Resultat nach dem Aufenthalt am Arabischen Golf ist jedenfalls beeindruckend. Es ist gar nicht so, daß die Cottbuser nun mit dem Mut der Verzweiflung rackern würden. Vielmehr wird eine Freude sichtbar, sich noch in der höchsten Klasse präsentieren zu dürfen. Altgediente Cottbuser mußten über Jahre mit der beschwörenden Formel leben, sie spielten für die ganze Region, nämlich die wirtschaftlich gebeutelte und nach Identifikation lechzende Lausitz. Die aktuellen Spieler, viele junge darunter, wirken wie von jeder Last befreit: sie spielen nicht für die Region, nicht für den auch auswärts treuen Fanclub namens Senfgurkenmafia, sondern für sich selbst.“
Zur Krise in Bremen wirft Dirk Susen (SZ 24.2.) ein. „Am Brasilianer, mit14 Treffern immer noch die Nummer eins der Bundesliga-Torjägerliste, ist der Bremer Niedergang am deutlichsten auszumachen. Ailton trifft nicht mehr, hat seine alte Vorliebe zum Abseitslaufen wiederentdeckt und saß in diesem Jahr schon zweimal auf der Bank. Gegen Cottbus stand er nur in der Anfangsformation, weil die Sturmspitzen Daun (gesperrt) und Klasnic (Kreuzbandriss) zu ersetzen waren, doch außer großen Worten vorher („Ich werde Werder wieder nach oben schießen“) hatte er nichts zu bieten. Das galt auch für die meisten Mitspieler. Das Selbstbewusstsein des einstigen „Bayern-Jägers“ ist dahin. Nur ein Punkt (2:2 gegen Bielefeld) aus fünf Spielen sprechen eine deutliche Sprache. Das Torwart-Problem der Hinrunde war zwar gegen Cottbus keines mehr, der für Borel ins Team gekommene Wierzchowski macht seine Sache gut. Doch dafür hat Schaaf nun neue Probleme zu lösen. Etwa in der Innenverteidigung, wo Baumann und Krstajic fehlten, was die Langsamkeit der Jung-Senioren Verlaat und Skripnik sehr deutlich werden ließ. Im linken Mittelfeld ist das Defizit so groß, dass Schaaf den Regionalligaspieler Christian Schulz einbaute, der sich recht erfolgreich bemühte, keine Fehler zu machen. Erstaunlich, dass Werder immer noch im oberen Drittel steht. Aber vielleicht sieht die Welt ja schon am Samstag wieder besser aus, nach einem Spitzenspiel der anderen Art: Werder, nun schwächste Mannschaft des Jahres, hat bei Vorgänger Leverkusen anzutreten.“
Bayern München – 1. FC Nürnberg 2:0
(FAZ 24.2.) hat sich beim Bayern-Derby gelangweilt. „Es wurde wieder Fußball gespielt. Allerdings nur von einer Mannschaft, dem FC Bayern. Und deshalb blieb der Unterhaltungswert der Vorstellung am Samstag weit hinter dem der Generaldebatte um Macht und Moral, die sich in den Tagen zuvor in der Bundesliga abgespielt hatte. Die abstiegsbedrohten Nürnberger verweigerten so konsequent ihren Dienst, daß gar der Eindruck entstand, sie seien an diesem Tag als sportliche Amigos nach München gekommen: im Gepäck drei Punkte, eine Gunsterweisung für den designierten deutschen Meister. Vielleicht hatte ja ausgerechnet Club-Trainer Klaus Augenthaler, ein furchtloser Mann, zur Nürnberger Kollektivangst beigetragen. Wenn die Bayern-Maschine mal anläuft, fühlt man sich wie im Gruselfilm, hatte er in einem Zeitungsinterview gesagt. Doch am Samstag mußten die Bayern auf dem Spielfeld gar nicht Angst und Schrecken verbreiten, um ein weiteres Etappenziel auf dem Weg zum Titel zu erreichen. Auch mit halber Kraft spielten sie das verängstigte Club-Ensemble an die Wand (…) Als hätte die Fußball-Kundschaft aus dem Freistaat etwas geahnt, wohnten gerade 45.000 Zuschauer dem Süd-Derby bei: geradezu eine Gespensterkulisse für den einstigen Fußballklassiker Bayern gegen Club. Sie langweilten sich frierend, und manche von ihnen haben womöglich bereut, auf dem Weg ins Stadion nicht in die Körperwelten-Ausstellung im früheren Rad-Stadion abgebogen zu sein. Im Gegensatz zu der umstrittenen Leichenschau verspricht der Titelkampf dieser Bundesliga-Serie das Gegenteil von Aufregung. Schon das Münchner Stadt-Derby eine Woche zuvor hatte das Olympiastadion nicht füllen können; auch die begrenzte Anziehungskraft des Duells der beiden Vereine mit den meisten Meistertiteln dürfte eine Folge der geschäftsschädigenden Bayern-Dominanz sein.“
Klaus Höltzenbein (SZ24.2.) kommt eine Idee. „Allen Frühresignierern, Tabellengläubigen (sie lügt nie!) und Schicksalsergebenen zum Trost: Es ist auch nach dem 22. Spieltag nicht Schluss mit dieser Saison, weiterhin besteht Hoffnung für all jene, die es ablehnen, bei zehn Punkten Vorsprung zum Meisterschaftsgewinn zu gratulieren. Denn die Ideen, wie der FC Bayern in seiner Dominanz noch zu behindern ist, die liefert der FC Bayern selbst. Es sind nicht wenige Anregungen zum eigenen Sturz, einige davon sogar ausgesprochen unterhaltsam. So auch jene Halbzeiteinlage beim 2:0 im Bayernderby, in der das Modell der Pärchenbildung vorgestellt wurde. Je zwei Kandidaten aus dem Publikum wurden an je einem der Fußknöchel zusammengebunden, mit auf den Schultern gekreuzten Armen stabilisierten sie diese Positur, und dann ging’s los: Hupfdohlengleich wurden Fußbälle über den Rasen getrieben, und wer’s am schnellsten konnte, der gewann eine Reise zum Auswärtsspiel zu Hertha BSC Berlin. Einzulösen am Wochenende des 10./11. Mai, drei Spieltage vor Saisonende – hochgerechnet, Stand heute, reisen die Bayern als Meister in die Hauptstadt. Es sei denn, Trainer Hitzfeld verteilt die Fußfesseln demnächst in der Kabine. Heraus kämen dann der Lizarazu, der versuchen könnte, seinen Partner, den Dauerläufer Zé Roberto, enger an die linke Außenlinie zu binden, Elber dicht gedrängt mit Pizarro, die beiden Stürmer, die ihr Verständnis schulen sollten, oder Scholl/Ballack, dicht verbandelt zum absoluten Rhythmus fürs Mittelfeld strebend. Dies haben sie am Samstag auch getan, nur eben noch frei laufend.“
René Hofmann (SZ 24.2.) kommentiert die Position des FCN-Trainers. „Es braucht viel, bis Klaus Augenthaler die Geduld verliert. Gegen den FC Bayern brauchte es 78 Minuten. Zwei Tore hatten seine Spieler zugelassen, sich selbst nur eine winzige Chance erarbeitet, als der Ball vom Bein eines Bayern-Spielers Augenthaler vor die Füße hüpfte. Zwölf Minuten blieben seiner Elf noch, einer seiner Spieler stand schon zum Einwurf bereit. Doch Augenthaler lupfte ihm den Ball vom Rand der Coaching-Zone nicht in die Hände, er drosch ihn mit dem Spann hinter die Werbebande. Ein deutliches Zeichen. Der Trainer hatte offensichtlich den Glauben an seine Mannen verloren, und was er nach dem Spiel von sich gab, lässt ahnen: Der Riss könnte über die 90 enttäuschenden Minuten in München hinausgehen (…) Inzwischen ist er 45 und leitet bald seit drei Jahren die Nürnberger an. Ein Job, der viel Gram bringt, und Augenthaler ist einer, dem man das ansieht. Wie früher Ottmar Hitzfeld, dem der Druck in Dortmund tiefe Falten ins Gesicht fräste. Nach zwei Jahren Auf- und zwei Jahren Abstiegskampf erinnert Augenthalers Antlitz mittlerweile an den Steinbeißer aus der Unendlichen Geschichte: zerfurcht von Rissen, die wie Gletscherspalten wandern, wenn er spricht. Klaus Augenthaler redet langsam, vor allem nach Niederlagen. Das Andante verleiht seiner Stimme so viel Bedrohlichkeit, als würde er nach jedem Satz ein Ausrufezeichen setzen. „Es kann nicht sein! Drei Minuten nach dem Spiel sehe ich lachende Brasilianer in der Dusche!“, hat Klaus Augenthaler am Samstag gesagt. Und: „Wenn nach so einem Spiel keiner einen Verband braucht, läuft etwas schief!“ Er weiß, dass seinen Brasilianern Cacau und Carlos de Jesus Junior der Ball nie so eng an den Fuß wachsen wird wie Elber und Zé Roberto, aber deswegen können sie sich trotzdem bemühen, laufen und raufen. Augenthaler selbst hat ja auch nicht ein überragendes Talent sieben Meistertitel beschert. Er hat sie sich erkämpft.“
VfL Wolfsburg – 1860 München 1:1
Christian Zaschke (SZ 24.2.) sieht schwere Zeiten für den VfL Wolfsburg entgegenkommen. „Vielleicht ist das Wolfsburger Humor: Dass der Stadionsprecher der neuen Arena die Mannschaften des VfL und des TSV 1860 München am Samstag auf dem „Heiligen Rasen“ begrüßte. Rasen? Meinte er jenes Stückchen Acker, das wie frisch gepflügt zwischen den Tribünen lag und darauf wartete, dass nun vor 15.000 Zuschauern die Aussaat begänne? Man hätte einen feinen Weizen säen können oder Kartoffeln in die offenen Furchen streuen. Gut, es ist nicht die Zeit der Saat, aber wissen sie das in der Autostadt Wolfsburg? Vielleicht war es Humor, dann wäre es ein schöner Witz gewesen. Es ist jedoch zu befürchten, dass der Stadionsprecher das völlig ernst meinte, und das sagt zur Zeit alles über den Fußball in Wolfsburg. Sie haben sich ein Stadion gebaut für ihre Träume von der Champions League, mit Vip-Logen und ein paar Fans darin, und sie haben das Wichtigste nicht beachtet: den Rasen, das Herz des Stadions. Sie haben eine Mannschaft in dieses Stadion gestellt, die einen – wenn auch alternden – Star in ihren Reihen weiß, eine Mannschaft voll von begabten Einzelspielern, und sie haben das Wichtigste nicht beachtet: dass so eine Elf mehr sein muss als die Summe ihrer Spieler, dass sie einen Mannschaftsgeist braucht, das Herz des Spiels. Am Samstag wurde deutlich, dass das Projekt Fußball in Wolfsburg zu scheitern droht.“
Achim Lierchert (FAZ 24.2.). „Fans haben oft das beste Gespür für die Situation. Das Spiel in Wolfsburg war gerade einmal eine halbe Stunde alt, Tore waren noch nicht gefallen, da stimmten die Anhänger des VfL hinter dem Tor ein Lied mit der bitteren Wahrheit an, die nun auch der letzte im Lager der Niedersachsen einsehen muß: Uefa-Cup, Uefa-Cup ade . . .. In ihrer Woche der Wahrheit drohte den Wolfsburgern statt dessen lange ein kapitaler Tiefschlag. Den beiden Niederlagen in Hamburg und am Mittwoch in Mönchengladbach folgte nun gegen München 1860 ein mühsames 1:1. Nur einen statt der erwarteten fünf Punkte geholt, das war es mit den hochgesteckten Zielen der ambitionierten Niedersachsen (…) Unweigerlich rückt Trainer Wolf, dessen Vertrag am Saisonende ausläuft, in den Mittelpunkt. Nicht seine mögliche vorzeitige Entlassung jedoch, sondern vielmehr seine umstrittene Maßnahme, dem seit der Winterpause formschwachen Effenberg die Führungsrolle zu übertragen, stieß auf Kritik. Effenberg aber, der abermals lediglich bei Standardsituationen sein Können aufblitzen ließ, mußte sich von den Fans erstmals im eigenen Stadion Pfiffe anhören. Seine Auswechslung, bedingt durch eine Wadenverletzung, wurde dagegen mit zustimmendem Applaus bedacht. Es ist eine Frage der Zeit, wann Volkes Stimmung auf die auf den teureren Plätzen sitzenden Vertreter des mächtigen Sponsors Volkswagen übergreift und es zu einschneidenden Maßnahmen kommt, die auch der bislang noch mächtige Manager Pander nicht mehr alleine beeinflussen kann.“
Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ
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Profiteure der Nachspielzeit
Peter Hartmann (NZZ 15.4.) berichtet von einem weiteren Turiner Ausgleich in der Nachspielzeit. „Wenn die Sekunden stocken, wenn der Schiedsrichter unsicher auf die Uhrzeiger am Handgelenk schaut, wenn das Stadion den Siedepunkt erreicht hat, wenn alles zu Ende sein müsste – dann erwacht die „alte Dame“. Wie jetzt wieder in Bologna. Noch in der 87.Minute lag Juventus 0:2 im Rückstand. Dann unterlief dem Bologna-Verteidiger Paramatti ein Eigentor. (So ein Zufall: Paramatti spielte früher für die Juve.) Das Spiel schien nie mehr aufzuhören, der Juventus-Spieler Zambrotta suchte im Sechzehnmeterraum mit einem Theatersturz den Penalty, aber Schiedsrichter Paparesta fiel nicht darauf herein. Doch plötzlich, die fünfte Nachholminute war fast schon um, warf sich der kleine Camoranesi in einen Flankenball und erzielte, in allerletzter Sekunde, noch den Ausgleich zum 2:2. Wieder eine glückliche Fügung: Trainer Lippi hatte Camoranesi erst nach dem 1:2 eingewechselt. Er musste weiterhin auf den verletzten Mittelstürmer Trézéguet verzichten, und Del Pieros Form lässt sehr zu wünschen übrig. Die beiden sind das Hoffnungskapital der Juve. Ist der unbeugsame Charakter („cuore e coraggio“, Herz und Mut nennt es der Trainer), der nie nachlassende Kampfgeist, die mentale Brechstange der Turiner Meistermannschaft ausschlaggebend für die finalen Resultatkorrekturen? Oder stellen die Schiedsrichter, ohnehin unter dem Dauerverdacht des vorauseilenden Gehorsams gegenüber der „alten Dame“, die Sanduhr ein, bis noch ein spätes Tor fällt? Ist es bloss dauerhafter Zufall? Die Statistik dieser Saison zeigt auf, dass dies das sechste Remis war, das Juventus in den letzten Minuten erreichte, immerhin schon das vierte in der Nachspielzeit. Das sind genau sechs gewonnene Punkte – und mit sechs Punkten führt Juve die Serie A vor Milan und Inter an.“
Ich leide, wenn ich Milan ohne ein gutes Spiel im Mittelfeld sehe
Birgit Schönau (SZ 14.4.) sah einen knappen Sieg Milans beim Mailänder Stadtderby. „Il Trap hatte es im Gefühl, wenigstens so halb. „Reine Nervensache“ lautete die Prognose von Nationaltrainer Giovanni Trapattoni vor dem Mailänder Derby: „Ein psychologisch sehr schwieriges Match. Zuerst werden sie sie sich zurückhalten, dann nach und nach auftauen und uns Spektakel bieten.“ Darauf warteten 79.000 Zuschauer und knapp 700 Journalisten im Meazza-Stadion allerdings vergeblich: Aus dem Derby wurde kein großes Spiel. Vielleicht aber meinte Trapattoni, der Erfahrene – Trainer zuerst bei Milan und dann bei Inter – mit dem Spektakel ja gar nicht das Geschehen auf dem Spielfeld, sondern die Ereignisse nach dem Schlusspfiff. Da endlich betraten die Akteure aus der zweiten Reihe den Platz und spielten das Programm, das in Italien calcio parlato genannt wird: gesprochener Fußball. Den Ton gab, wie so oft, der Presidentissimo an, und für Einen, der soeben das zweite Derby der Saison gewonnen hatte, klang es ziemlich düster. „Ich leide, wenn ich Milan ohne ein gutes Spiel im Mittelfeld sehe“, sprach Silvio Berlusconi in einen Wald von Mikrofonen, und er verzog dazu das Gesicht, als habe ihm soeben jemand einen Hieb in die Magengrube versetzt. „Bis zum Champions-League-Spiel gegen Real Madrid spielten wir den spektakulärsten Fußball in Europa, jetzt sind die Spanier an uns vorbeigezogen. Nein, enttäuscht bin ich nicht, aber es tut mir weh.“ Weil italienische Sportreporter wissen, wie man nach einem eher müden Match ein packendes Melodram inszeniert, überbrachten sie die Worte des Chefs brühwarm Carlo Ancelotti und verhagelten dem Milan-Coach damit folgerichtig den Sieg. „Wir kennen unsere Straße sehr gut“, knurrte Ancelotti gereizt, und behauptete kühn: „Wir haben Inter wenig übrig gelassen und einfach nur Fußball gespielt.“ Und die verletzten „Meisterspieler“ Pirlo, Redondo und Seedorf, deren Ausfall Berlusconi beklagte? „Ich habe schon genug damit zu tun, eine Mannschaft aus den Spielern aufzustellen, die ich zur Verfügung habe, da möchte ich nicht auch noch an die denken müssen, die ohnehin nicht mitmachen können.“ Eins zu Null – für Ancelotti.“
Fußball in Europa: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen – Zuschauer NZZ
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Panathinaikos Athen – VfB Stuttgart 1:3
nach dem 3:1 in Athen sagen die Chronisten dem VfB Stuttgart nachhaltigen Erfolg voraus – „Welch Chance für das provinzielle Ländle!“ (SZ) – Claudio Ranieri, Römer im Dienst von Chelsea London, siegt in Rom – Matthäus und Partizan im Pech – Real Madrid, das „Disneyland des Fußballs“ (Zeit)
Panathinaikos Athen – VfB Stuttgart 1:3
Welch Chance für das provinzielle Ländle!
Ludger Schulze (SZ 6.11.) sagt den Stuttgartern Gutes voraus: „Noch nie hat ein Neulings-Team, dessen Mitglieder mehrheitlich froschgrün hinter den Ohren sind, sich mit einer derartigen Leichtigkeit den Weg durch das Dickicht des anspruchsvollsten Klubwettbewerbs gebahnt. Den Heldentaten aus der Bundesliga folgen spektakuläre Auftritte in der Europaliga. Beides zusammen weist darauf hin, dass es sich nicht um einen kurzfristigen Höhenflug handelt, sondern um die Entstehungsphase einer großen Mannschaft. Die ganze Sache erinnert an den FC Bayern oder Borussia Mönchengladbach in den späten Sechzigern, die Europas Fußballfelder regierten. Mit einem Unterschied: Während den oben Genannten vielerorts Ablehnung entgegenschlug, reitet der VfB auf einer Sympathiewelle, die von Niebüll bis Bayerisch Gmain reicht. Das ist das Werk des Trainers Felix Magath, der das Opus VfB dann vollenden kann, wenn ihm die Hauptfiguren Kuranyi, Hinkel und wie sie alle heißen, bleiben. Dazu fehlen dem tief verschuldeten Klub die Mittel, was nicht so bleiben muss. Die Champions League spült Millionen in die Kassen, obendrein hat der industrielle Ballungsraum Stuttgart genug Potenz, den talentierten Laden zusammenzuhalten. Mit dem Slogan „911 Freunde müsst Ihr sein“ hat sich Porsche als neuer Sponsor zum schwäbischen Fußballmodell bekannt. Der Hersteller von schnellen Autos hat mitbekommen, welch Chance der Aufschwung des VfB für das als provinziell geltende Ländle bietet.“
Martin Hägele (Tsp 6.11.) führt den dauerhaften Stuttgarter Erfolg auf gutes Training zurück: „Zum Beweis seiner körperlichen Fitness hätte der Tabellenführer der Fußball-Bundesliga nicht unbedingt in die Nähe des Orakels von Delphi reisen müssen; aber wenn nun alle Welt nach dem Geheimnis fragt, wie frappierend und bei welch hoher Drehzahl die Stuttgarter Profis ihre griechischen Kollegen beim 3:1-Sieg im letzten Drittel ausgespielt hatten, dann hängt das nicht allein am frischen Selbstbewusstsein der Stuttgarter. Von Ausbilder Magath lernen die jungen Profis nicht nur, wie man besser Fußball spielt und individuelle Qualität ins Teamwork einbringt. Wer vom Trainer des Jahres ein Trikot bekommt, muss beweisen, dass er auch ein richtiger Athlet ist. Andreas Hinkel hat im kicker beschrieben, was es heißt, Magath zu erleben: „Ich wusste vorher nicht, was ein menschlicher Körper leisten kann. Magath gab gleich richtig Gas. In manchen Einheiten war ich kurz vor dem Kotzen. Aber irgendwann tragen einen die Beine wie von selbst.“ So war das auch am Dienstag in Athen.“
Diese Mannschaft macht keinen Fehler zweimal
Christof Kneer (BLZ 6.11.) lobt und lobt: “Mit Wundern ist das so eine Sache, aber es fällt einem bald kein anderes Wort mehr ein für das, was der VfB Stuttgart in Europa gerade anrichtet. Ein einziger Punkt trennt den VfB noch vom Einzug ins Achtelfinale der Champions League, und er ist jetzt schon so weit gekommen, dass er sich locker eine uninspirierte erste Halbzeit leisten kann. Wenn wir wie in Athen in Rückstand geraten, sagen wir uns: Jetzt erst recht. Und dann klappt es eigentlich immer, sagt Hinkel. Es ist wahrscheinlich diese unverschämte Selbstverständlichkeit, die den Betrachter frösteln macht. Diese Mannschaft macht keinen Fehler zweimal, und sie lernt so erschütternd schnell, dass schon keiner mehr sagen kann, wo ihre natürliche Grenze liegt. Alle Welt wundert sich, bis auf den Experten Uli Stielike, Trainer der deutschen U 21- und U 20-Nationalteams: Die Qualität dieser Mannschaft überrascht mich nicht, sagt er. Mich überrascht höchstens, dass es Trainer wie Felix Magath gibt, die der Jugend auch wirklich eine Chance geben. Dass die Jungen ihre Chance dann auch nutzen, war mir immer klar. Für Stielike ist das nur die Bestätigung eines Trends. Es macht sich jetzt langsam bezahlt, dass die Vereine nach dem Bosman-Urteil in die Qualität der Jugendtrainer investiert haben. Das Beispiel Stuttgart zeigt, dass wir es künftig wieder mit individuell besser ausgebildeten Jahrgängen zu tun bekommen werden.“
„An der Grenze zum Leichtsinn aufgewacht“, schreibt Torsten Haselbauer (FAZ 6.11.): „Wenn eine Fußballmannschaft nicht mehr weiß, was es heißt, einmal als Verlierer in die Umkleidekabinen gehen zu müssen, wenn zudem die Gefahr besteht, daß ihr starkes Selbstbewußtsein zu einigen groben Nachlässigkeiten führt, dann ist die Niederlage nicht mehr weit. Den VfB Stuttgart hätte es fast erwischt. Doch konnte das Team, wie schon beim letzten Fußball-Bundesligaspiel gegen den SC Freiburg, dank zehn beachtlich starker Spielminuten noch die ganze Partie drehen und für sich entscheiden.“
Lazio Rom – Chelsea London 0:4
Birgit Schönau (SZ 6.11.) schildert Erörterungen in Rom: „Ausgerechnet gegen Chelsea London, die Mannschaft des römischen Trainers Claudio Ranieri. Zum ersten Mal zeichnete Ranieri für ein offizielles Match in Italien, und nun verlässt er das Olympiastadion als Triumphator, fünf Tage vor der heißesten Partie im römischen Kalender. Fünf Tage vor dem Derby, die ganze Stadt fiebert schon, und alle wissen: Ranieri träumt davon, den AS Rom zu trainieren. Der Mann mit dem perfekt-näselnden Oxford-English ist tief in seinem Herzen ein „romanista“, ein glühender Tifoso der Wölfin. Hätte es eigentlich schlimmer kommen können? Roberto Mancini stellt sich solche Fragen lieber nicht. Mit Müh’ und Not hat er sich in den Pressesaal gerettet, vorbei an den wütenden Maßanzügler-Fans der Vip-Tribüne, die ihn schubsten und beschimpften. Jetzt drückt er sich, aschfahl im Gesicht, in eine Ecke: „Nach der Roten Karte für Mihajlovic waren wir vollkommen geknickt. Ich habe den Jungs schon gesagt: Denkt nicht mehr daran, geht raus heute Abend, amüsiert euch, damit ihr den Kopf frei habt für’s nächste Spiel. Rausgehen? Amüsieren? Schon für den Mannschaftsbus brauchte Lazio gehörigen Polizeischutz, und Sinisa Mihajlovic tat mit Sicherheit gut daran, seine Spaghetti zu Hause zu essen. Treffsicherer als der smarte Mancini hatte das Publikum im Olympiastadion den rüden Abwehrspieler als den Hauptverantwortlichen des Desasters ausgemacht. Dass der russische Schiedsrichter Nikolai ihn nicht sofort herauswarf, als Mihajlovic Chelseas Stürmer Adrian Mutu bespuckte, verstand der wilde Serbe offensichtlich als Aufforderung zum Weiterpöbeln. Mutu hatte ihn zuvor ins Gesicht geschlagen. Aber beim nächsten bösen Foul, kurz nach der Pause, flog Mihajlovic vom Platz. Anstatt sich kleinlaut in die Kabine zu verziehen, streifte er sich einen schwarzen Mantel über und setzte sich mit provozierender Gelassenheit auf das Krankengefährt neben der Lazio-Bank. Einen Uefa-Delegierten, der ihn aufforderte, das Gelände zu verlassen, bewarf Mihajlovic mit einer Plastikflasche. „Dabei ist er sonst ein braver Junge“, seufzte später Mancini, was bei den britischen Reportern helle Empörung auslöste. „Braver Junge? Haben Sie vergessen, was der vor drei Jahren gegen Arsenal angestellt hat?“ Damals hatte Mihajlovic den Franzosen Patrick Vieira übel beleidigt. Später musste er sich für seinen rassistischen Affront entschuldigen –Lazios Ruf blieb beschädigt.“
Partizan Belgrad – Real Madrid 0:0
Michael Martens (FAZ 6.11.) beleuchtet das Ergebnis aus der Perspektive des Außenseiters: „Das torlose Remis schien am Ende fast zu wenig. Bei etwas mehr Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor hätten die Spieler aus Serbien durchaus gewinnen können. Nach der 0:1-Hinspielniederlage in Spanien hatte Partizans Trainer Lothar Matthäus noch geklagt, seine Spieler zeigten zu viel Respekt vor den Real-Stars, sie hätten sich quasi vor ihnen verbeugt. Doch von diesem vorauseilenden Gehorsam war bei der zweiten Begegnung nichts mehr zu spüren. Die Heimmannschaft spielte so selbstbewußt, als stünden ihr nicht die Weltstars Zidane, Ronaldo und Beckham, sondern ihre üblichen fußballerischen Sparringspartner aus der nationalen Liga von Serbien und Montenegro gegenüber. Sie erspielte sich mehrere Großchancen, scheiterte aber im Abschluß entweder an sich selbst oder an Torwart Casillas.“
Die Dagobert Ducks, Roy of the Rovers und Harry Potters des Fußballs
Sehr lesenswert! Ronald Reng (Zeit 6.11.) zeichnet das Leitbild Real Madrids: „Nicht Beckenbauer oder Pelé, sondern der Comic-Zeichner Walt Disney ist das Vorbild des gelernten Bauingenieurs Pérez beim Versuch, aus dem Fußballclub Real die größte Freizeitattraktion im Lande zu machen. „Es gibt eine Idee, die mich unglaublich begeistert“, sagt er: „Eine große Stadt zu bauen, eine Art Disneyland, besucht von Millionen Menschen.“ Ein Stadt, gewidmet der Huldigung Reals und Madrids. Und so lockte Pérez sie in den drei Jahren, seit er die Präsidentschaftswahlen gewann, nach und nach alle nach Madrid: Luís Figo, Zinedine Zidane, Ronaldo, vergangenen Sommer auch David Beckham: die Dagobert Ducks, Roy of the Rovers und Harry Potters des Fußballs, Comic-Helden unserer Zeit, hysterisch verehrt von Millionen. Selbst von denen, die Figo oder Beckham nie Fußball spielen gesehen haben. „Unser Projekt“, sagt Pérez, „ist, den Mythos Real Madrid in jeden Winkel der Erde zu tragen.“ Die Welt will er „evangelisieren“, zum Glauben an Real bekehren, so spricht er gerne und deutet ein Lächeln an. Die Angelegenheit ist ihm aber sehr ernst. Pérez ist 56 Jahre alt, kämmt die Haare seit Jahrzehnten gleich, streng seitlich gescheitelt, die Firma ACS hat er als Vorsitzender zum größten Baukonzern des Landes gemacht. Die Leute sagen, er habe die Präsidentschaft bei Real aus unternehmerischem Kalkül übernommen, in der Ehrenloge ließen sich bestens Geschäfte machen. Geschäfte? „Junge, ich erinnere mich an ein Spiel in den fünfziger Jahren, 1:0 gegen Sevilla, es regnete in Strömen.“ Vermutlich macht Pérez den Job ja tatsächlich auch aus der kindlichen Freude heraus, den Klub seiner jugendlichen Träume führen zu dürfen. Man merkt es ihm bloß nicht an. Ohne Regung sagt er, Real müsse mehr gewinnen als Pokale: „Die Herzen der Menschen, das Lächeln der Kinder.“ Noch nie hat es weltweit eine Elf wie die von Pérez zusammengestellte gegeben; die strahlendsten Sterne des Fußballs allesamt in einem Team vereint. Und vielleicht wird es auch nie wieder eine solche Elf geben. Das hängt nicht zuletzt vom Erfolg des Projekts ab. Der Weg ist kurz von der Genialität zum Größenwahn, von der Großmachtsstrategie zur großen Pleite, gerade im Fußball, wo Winzigkeiten Welten teilen, nur eine Unebenheit, ein kleiner Hopser (…) Früher hieß es über die reichen, mächtigen Klubs wie Real oder Bayern München: Man liebt sie oder hasst sie. Dieses Real ist das erste Team, das jeder Fan liebt und hasst. Jeder will Real verlieren sehen, weil es doch nicht gerecht ist, dass einer einfach all die Besten kauft, auch weil es niemandem einleuchtet, wie das finanziell überhaupt funktioniert. Jeder will Real siegen sehen, weil das Team dabei dem Fußball eine unentdeckte Schönheit geben kann, weil die Zidanes, Raúls und Figos einen glauben lassen, das Paradies gebe es doch. Zumindest auf dem Fußballfeld.“
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Damenfinale
Josef Schmitt (FAZ 2.6.) berichtet das Damenfinale. „Zum fünften Male in Folge hat der 1. FFC Frankfurt das deutsche Pokalfinale der Frauen gewonnen. Trainerin Monika Staab sprach nach dem knappen 1:0 gegen den FCR Duisburg von einem historischen Sieg. Kein anderer Verein, die Männer eingeschlossen, hat eine solche Pokal-Erfolgsserie aufzuweisen. Und so waren die Worte der Sieger durchaus nicht zu hoch gegriffen. Das Olympiastadion in Berlin betrachten die Frankfurter Fußball-Frauen inzwischen als ihr sportliches Wohnzimmer, wie es der umtriebige Manager Siegfried Dietrich formulierte. Sie kennen sich aus mit dem Siegen und möchten es nicht missen. Es gibt nichts Schöneres, als hier zu gewinnen, sagte Nationalspielerin Renate Lingor nach der obligatorischen Ehrenrunde vor den fast 70.000 Zuschauern, die den Frauen den verdienten Beifall spendeten. Da machte es ihr und ihren Kolleginnen rein gar nichts aus, daß der Erfolg sehr glücklich und zudem durch ein Eigentor der Duisburgerinnen eineinhalb Minuten vor dem Spielende zustande gekommen war. Renate Lingor vermied auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions tröstende Worte oder Gesten für ihre langjährige Nationalmannschaftskollegin Martina Voss, der das Mißgeschick des Eigentores unterlaufen war. Es blieb bei einem kurzen Handschlag. Martina kann jetzt sowieso niemand trösten, sagte die Frankfurter Spielmacherin, damit muß sie ganz alleine fertig werden. Gleich nach dem Spiel begann die 35 Jahre alte Spielführerin des FCR Duisburg mit diesen persönlichen Aufräumarbeiten ihres Gemütszustandes. Zwar sei es ganz schlimm, durch ein Eigentor zu verlieren, aber besser es ist mir passiert als einer unserer jungen Spielerinnen. Die Nationalspielerin wird in zwei Wochen am Ende der Bundesligasaison ihre Karriere beenden. Sie ist überzeugt davon, daß die Erfahrung helfen wird, den bittersten Moment meiner Laufbahn bald vergessen zu können.“
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Heimkehr Armin Vehs nach Augsburg, Enttäuschung und Ärger darüber in Rostock – Kritik an TV-Sportberichterstattung – mangelnde Wirkung englischer Doping-Kontrollen – FAZ-Interview mit Wolfgang Holzhäuser, DFL
Das Hinterhältigste und Feigste, was ich je im Fußball erlebt habe
Nadeschda Scharfenberg (SZ 17.10.) berichtet die Heimkehr Armin Vehs nach Augsburg: „Der verlorene Sohn ist heimgekehrt, beim FC Augsburg hat Veh in den siebziger Jahren das Fußballspielen gelernt, von 1990 bis 1995 war er dort Trainer. Dann machte er sich auf, die Welt des Fußballs zu erkunden, führte den SSV Reutlingen und Greuther Fürth von der dritten in die zweite Liga und heuerte im Januar 2002 bei Hansa Rostock an. „Wir haben immer mit Stolz auf ihn geguckt“, sagt Augsburgs Geschäftsführer Markus Krapf, „seine Vita beeindruckt uns.“ Seit Montag ist Veh nun wieder bei seinem Heimatklub beschäftigt – eine Woche nach seinem Rücktritt in Rostock, zwei Wochen nach dem Rauswurf Ernst Middendorps in Augsburg. Als die Verpflichtung publik gemacht wurde, tummelten sich 120 Hoffnungsfrohe im Augsburger Internet-Forum. „Das ist ein genialer Schachzug unseres Präsidiums“, schrieb einer. Und viele tippten: „Willkommen daheim.“ In Rostock können sie mit dieser Freude wenig anfangen. Ein paar Fans des Bundesligisten haben sich in die Diskussion im Internet eingeklinkt und geben sich „maßlos enttäuscht“. Hansa-Profi René Rydlewicz, in dieser Saison aus dem Kader gerutscht und ohnehin nicht gut auf Veh zu sprechen, sagte neulich: „Dass er in Augsburg unterschrieben hat, ist das Hinterhältigste und Feigste, was ich je im Fußball erlebt habe.“ Bei Hansa fühlen sie sich im Stich gelassen von „einem Trainer, der“ – so schreibt ein Fan – „endlich wieder mal Fußball bei uns spielen ließ“. Aber im Grunde hatte sich das angedeutet. Armin Veh fühlte sich eingeengt in der Bundesliga, einmal hat er gesagt: „Das ist kein Traumjob, weil immer wieder Dinge über einen geschrieben werden, die nicht in Ordnung sind. Das steckt keiner so einfach weg.“ Im Nordosten war er nie richtig heimisch geworden, nach Auswärtsspielen fuhr er oft nicht mit der Mannschaft zurück, sondern nach Augsburg zu Frau und zwei Söhnen. „Und er hat immer zuerst gefragt, wie Augsburg gespielt hat“, erzählt Krapf (…) Dass das „sicherlich keine normale Entscheidung“ war, hat Veh selbst zugegeben. Aber präzisiert hat er das nicht. Er scheint nicht gerne zu sprechen, denn er weiß wohl, dass die Frage nicht ausbleiben wird, ob er in Rostock auch dann zurückgetreten wäre, wenn Middendorp noch immer den FC Augsburg trainieren würde. Und so hat er zu den vereinbarten Terminen entweder doch keine Zeit oder sein Telefon ausgeschaltet. Als könnte man es ihm zum Vorwurf machen, dass er sich gegen Geld und für die Familie entschieden hat. Ungewöhnlich ist das im Millionengeschäft Fußball.“
Jutta Heess (FR 17.10.) beklagt den Qualitätsmangel der Sportberichterstattung im Fernsehen: “Was haben eigentlich Kultur, Musik und Wissenschaft, was haben Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, was der Sport nicht hat? Richtig. Ausdrücklich themenbezogene Magazine oder Reportageplätze im Fernsehen, die Hintergrundinformationen liefern. Gibt’s im Sport nämlich nicht. Und das, obwohl der Anteil der TV-Sportberichterstattung in den letzten Jahren immer mehr zugenommen hat – sowohl in den privaten als auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Man muss allerdings gar nicht so genau hinschauen, um festzustellen, dass bei der Ausweitung der Wettkampfzone eigentlich nur eine Disziplin triumphiert: die Live-Sendung. Schlagworte wie Supersportjahr, Großevents, Alle Spiele live locken die Zuschauer, die fundierte Reportage über Doping-Machenschaften hingegen, das Porträt eines Leistungssportlers, der nicht nur mit dem Gegner, sondern auch mit dem Leistungsdruck seines Umfelds kämpft oder der Bericht über den Einfluss mächtiger Sponsoren auf den Profisport: Das alles ist so gut wie verschwunden (…) Josef Hackforth, Dekan der Fakultät für Sportwissenschaft und Leiter des Lehrstuhls für Sport, Medien und Kommunikation an der Technischen Universität München, ist der Auffassung, dass ARD und ZDF eine Pflicht vernachlässigen: Die öffentlich-rechtlichen Sender haben den Programmauftrag, einer Grundversorgung nachzukommen, erklärt er. In dieser Grundversorgung müssten normalerweise solche Magazinsendungen, Analyse- und Kritiksendungen im Sport angeboten werden – auch wenn die Quoten geringer sind als bei Live-Sendungen. Themen wie Sport und Medizin, Ernährung, Leistung, Korruption spielten im Fernsehen eine völlig untergeordnete Rolle. Hackforth spricht von einer zunehmenden Boulevardisierung der Sportberichterstattung seit Beginn des dualen Fernsehsystems und dem Beginn der Konkurrenz zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Wo finden diese Themen also statt? Wo gibt es eine Berichterstattung, die Sport abseits von Zeiten und Weiten untersucht? In der es nicht nur um Tore, sondern auch mal um Randsportarten oder gar um Sportpolitik geht? Die Verlierer und Versager zeigt? Im Deutschlandradio zum Beispiel. Immer sonntags um 17.30 Uhr wird in einem halbstündigen Feature über den Spielfeldrand geschaut. Und in den Zeitungen. Wobei auch die Printmedien dazu übergegangen sind, Analyse, Kritik und Hintergrund zurückzunehmen und stattdessen die bunte Berichterstattung weiter nach vorne zu bringen, wie unsere Inhaltsanalysen zeigen, sagt Hackforth.“
Martin Pütter (NZZ 17.10.) ermittelt die schlechte Schlagkraft englischer Doping-Kontrollen: „Der englische Fussballprofi Rio Ferdinand hat im Moment allen Grund, besorgt zu sein. An ihm will die Football Association (FA) im Kampf gegen Doping anscheinend ein Exempel statuieren, weil er am 23.September einen Dopingtest verpasst hatte: Fazit der harten Linie der FA, nachdem sie Ferdinand deswegen nicht für Englands EM-Qualifikationsspiel in der Türkei aufgeboten hatte. Nun will zudem die Fifa verhindern, dass der englische Verband eine Kehrtwende macht und den Verteidiger von Manchester United mit einem blauen Auge davonkommen lässt. Laut der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) zieht das Verpassen eines Dopingtests eine zweijährige Sperre nach sich. Die Wada-Regeln seien für den Fussball-Weltverband nicht bindend, weil von ihm nicht mitunterzeichnet, wurde Michel D‘Hooge, der Vorsitzende der medizinischen Fifa-Kommission, in der englischen Presse zitiert. „Diesen Fall bearbeiten wir individuell. Die Strafe könnte eine Sperre von weniger als zwei Jahren sein, aber auch mehr“, sagte der Belgier, fügte aber an: „Es ist ein ernster Fall. Ferdinand muss bestraft werden. Wir lassen aber zuerst den englischen Verband entscheiden. Wenn alles korrekt läuft, werden wir nicht eingreifen.“ Nach bisherigen Gepflogenheiten hätte sich Ferdinand kaum Sorgen machen müssen, denn noch mehr als in anderen Ländern gleicht der Kampf gegen Doping im englischen Fussball einer Farce. Noch nie ist ein Dopingtest bei einem Spieler der Premier League positiv ausgefallen. Überdies können englische Fussballer nicht wie andere Sportler unangekündigt zu Hause getestet werden. Bei Proben nach Trainings, von denen die Klubs vorzeitig erfahren, stehen die Spieler nicht unter ständiger Aufsicht der Tester, und wer einmal einen Test verpasst, kommt mit einer lächerlichen Geldstrafe davon, so wie Christian Negouai von Manchester City letzte Saison.“
FAZ-Interview (16.10.) mit Wolfgang Holzhaeuser, DFL
FAZ: Der Pay-TV-Sender Premiere hat gerade festgestellt, dass die Liga von ihm abhängig ist – und will deswegen in Zukunft weniger bezahlen. Wie sollte die Liga reagieren?
WH: Mir gefällt überhaupt nicht, wie das abläuft. Die Aussagen von Premiere-Chef Kofler sollten dazu Anlaß geben, um grundsätzlich über die Zusammenarbeit mit Premiere nachzudenken. Pay-TV ist ein Standbein der Bundesliga, keine Frage. Aber man darf nicht in totale Abhängigkeit geraten. Wenn jemand diese Position öffentlich nutzt, indem er erklärt, man wolle weniger bezahlen – und dies zu einem Zeitpunkt, wo es der Liga ohnehin schlechtgeht –, da muß man sich auch eine entsprechende Reaktion gefallen lassen: ‘Wissen Sie was, Herr Kofler? Ohne Fußball gibt es auch kein Premiere. Aber wir werden ohne Premiere überleben.’
FAZ: Die Vermarktungsagentur Infront hat doch schon gezeigt, wie man mit der Liga umspringen kann.
WH: Das ist doch genau das gleiche. Ich habe bis heute nicht verwunden, daß uns die Kirch-Gruppe mit ihrer Insolvenz locker um viele Millionen betrogen hat – und wir bis heute keinen Pfennig aus der Insolvenzmasse gesehen haben. Das Ganze hat uns 480 Millionen D-Mark gekostet. Im letzten Jahr hat sich Infront dann hingestellt und gesagt: ‘Wir haben euch zwar eine gewisse Summe garantiert, koennen sie aber nicht refinanzieren, uebernehmt bitte 10 Millionen Euro.’ Ich war damals dagegen und bin es heute noch immer. Wenn Infront sagt, sie gingen sonst in Insolvenz – dann sollen sie eben in Insolvenz gehen. Wenn uns Infront eines Tages wieder erpressen sollte, werde ich nicht mehr mitmachen. Wir müssen die Sache selbst machen, wir können selbst mit den Sendern verhandeln. Die Zeit der Agenturen ist vorbei. Die Bayern oder Dortmund sehen das ähnlich.
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Mika, wir schenken dir ein Zuhause
Zum Bemühen der Gladbacher Fans um ihren finnischen Goalgetter heißt es bei Jörg Stratmann (FAZ 12.5.). „Die Geste war spektakulär inszeniert, aber zugleich von rührender Hilflosigkeit. Mika, wir schenken dir ein Zuhause, so hatten Fans des Fußball-Bundesligaklubs Borussia Mönchengladbach ihre Aktion überschrieben, bei der sie Mikael Forssell, den finnischen Mittelstürmer ihrer Mannschaft, mit einem Fahnenmeer in den Farben seines Heimatlandes zum Spiel gegen Hansa Rostock begrüßten. Der gastfreundliche Hinweis kam an. Forssell bedankte sich, indem er mit seinem fünften Saisontor zum 3:0-Sieg beitrug, der den ebenso spielfreudigen wie kampfstarken Gladbachern ein wenig Luft zu den Abstiegsrängen verschaffte. Doch gerade damit wird zunehmend unwahrscheinlich, daß ihr finnischer Star über die Saison hinaus bleiben wird. An Forssell selbst soll es nicht liegen. Bewegt von einer derart aufwendigen und doch so persönlichen Choreographie, zeigt er sich zunehmend beeindruckt. Die Fans sind einfach unglaublich, sagte er und räumte ein, daß Borussia eine Alternative sein könne – wenn denn sein eigentlicher Arbeitgeber aus der englischen Premier League, der Londoner FC Chelsea, mich weiter ausleihen oder verkaufen will. Dort hat er noch einen Vertrag über zwei Jahre. Doch so oder so werden die Borussen dem Handel wohl nur tatenlos zuschauen können. Für 500.000 Euro hatte Chelsea den 22 Jahre alten Angreifer den Borussen vorübergehend überlassen, damit Forssell nach langwieriger Knieverletzung wieder Spielpraxis sammeln könne. Das hat sich für den Bundesligaklub längst ausgezahlt. Und wie sich der junge Profi einsetzte und dem neuen Team weiterhalf, überzeugte auch das Publikum (…) Kein anderer Borusse ist derart beliebt. Doch zugleich warb der Finne natürlich für sich selbst. Ende des Monats läuft die Ausleihfrist aus. Gerne würden sie Forssell, in Steinfurt im Münsterland geboren, in Helsinki aufgewachsen und mit 16 Jahren nach London gewechselt, dauerhaft Heimat bieten. Doch die Aussicht, ihn zu halten, so sagte Sportdirektor Christian Hochstätter, bewegen sich im Promillebereich.“
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In Hollerbachs Welt sind Muskeln wichtig und Boxer Idole
Jörg Marwedel (SZ 19.4.) porträtiert Bernd Hollerbach (HSV). „Sein Lebensmotto liest sich wie die Botschaft für eine friedliche Gesellschaft. „Leben und leben lassen“. Wäre Bernd Hollerbach irgendein Angestellter, zum Beispiel in einem Handelsunternehmen, die meisten würden ihm das sofort abnehmen. Schließlich kann er breit und freundlich grinsen, ist gerade heraus und wird von seinen Kollegen als „guter Kumpel, der keine linken Dinger macht“, beschrieben. Doch Hollerbach ist Fußballprofi, und als solcher hat der stämmige Verteidiger des Hamburger SV eine Furcht einflößende Bilanz aufzuweisen. 74 Gelbe Karten hat er seit 1995 in der Bundesliga gezeigt bekommen – einsamer Spitzenwert im tretenden Gewerbe. Am Saisonende wird er voraussichtlich zum dritten Mal hintereinander die Tabelle der Raubeine anführen. Und seitdem er vergangenen Samstag Dortmunds Spielmacher Tomas Rosicky per Ellenbogencheck beinahe schwer verletzt hätte, scheinen sich Liga, Fans und Medien endgültig einig zu sein in ihrem Urteil über den „schmutzigsten Spieler“ (Bild). Die User des Fanportals www. blutgraetsche.de wählten Hollerbach jedenfalls mit großer Mehrheit zum „Sack der Woche“ – wegen „drei rot-würdiger Fouls in zwei Monaten“. Ist das alles „Hetze gegen einen Typ, den jede Mannschaft sucht“, wie HSV-Trainer Kurt Jara behauptet? Ist Hollerbach ein Opfer der „Heuchler und der Heulerei“, typisch für „diese jammerige Gesellschaft heute“, wie der Angeklagte selbst glaubt? Für Hollerbach ist die momentane Debatte vor allem Ausdruck eines Generationenkonflikts. „Die alte Generation“, sagt er, „fand ich besser. Weniger Schauspieler, mehr Ehrlichkeit.“ Da habe ihm keiner, wie Rosicky, nach Spielende versichert, alles nicht so schlimm, um kurz darauf vor der TV-Kamera „Rot“ für ihn zu fordern. „Das“, sagt Hollerbach, „macht man nicht.“ Um das Weltbild des rauen Profis zu verstehen, muss man eintauchen in die elterliche Metzgerei im fränkischen Würzburg. Schon der kleine Bernd musste mit zupacken. Wenn er von einer Rauferei heimkam und sich beim Vater über die Gangart seiner Gegner beschwerte, hieß es: „Heul’ nicht rum, sieh zu, dass du zurecht kommst im Leben.“ Man hat ihm beigebracht, dass das Leben ein Kampf ist, man seine Meinung direkt sagt und der Mensch im Erfolg zur Bequemlichkeit neige, weshalb er Druck brauche. „Mit diesen Werten“, sagt Bernd Hollerbach, „kann ich etwas anfangen.“ Auch deshalb mag er vor allem Typen, die unbequem sind und nicht immer zimperlich. Karl-Heinz Wildmoser, der Präsident des HSV-Gegners am Samstag, 1860 München, ist für ihn so einer: „Der redet keinem nach dem Mund.“ Oder Bayern-Manager Uli Hoeneß: „Warum ist Bayern so erfolgreich? Weil der Uli sein Ding knallhart durchzieht.“ Oder Felix Magath, den andere „Quälix“ tauften, während Hollerbach zu dem strengen Trainer „aufschaute“, weil der ihm „beibrachte, was ein richtiger Profi ist – nicht aufhören, wenn’s wehtut, sondern über den Punkt hinausgehen“. In Hollerbachs Welt sind Muskeln wichtig und Boxer Idole.“
Häßlers Abschied
Elisabeth Schlammerl (FAZ 19.4.) bedauert die Art und Weise des Bundesligaabschieds eines Weltmeisters. „Wer Häßler beim Training beobachtet, bekommt nicht unbedingt den Eindruck, daß es sich dabei um jemanden handelt, der nicht mehr so richtig dazugehört. Häßler muß nicht den Balljungen spielen in seinen letzten Tagen an der Grünwalder Straße. Er darf sogar manchmal beim Trainingsspielchen in der Mannschaft mit den gelben Leibchen mitmachen, in die normalerweise Stammspieler eingeteilt werden. Götz ist offenbar um einen halbwegs ehrenhaften Abschied bemüht für den Welt- und Europameister. Im Gegensatz zu Präsident Karl-Heinz Wildmoser. Der gibt seit ein paar Monaten dem verdienten Spieler und Publikumsliebling immer wieder zu verstehen, daß dessen Zeit vorbei sei. Einmal schlug er vor, Häßler könne ja noch in Österreich oder in der Schweiz spielen. Dann verweigerte er ihm ein Abschiedsspiel. Das lohnt sich nicht. Da kommen nur 20.000 Zuschauer. Wenigstens will er sich beim Deutschen Fußball-Bund dafür einsetzen, daß der seinem 101maligen Nationalspieler eine gebührende Gala bereitet, obwohl es eigentlich gar keine Abschiedsspiele mehr gibt. Und nun hat Wildmoser auch noch die letzte Tür für Häßler zugeschlagen. Der schweigsame Icke tauge nicht für repräsentative Aufgaben, sagt der Löwen-Chef. Er ist nicht der Typ, der sich unter vielen Leuten wohl fühlt. Ihm einen Job anzutragen, bei dem er nicht an vorderster Front und in der Öffentlichkeit steht, sondern eher im Stillen wirken kann, aber dem an Identifikationsfiguren armen Klub erhalten bliebe, daran dachte Wildmoser nicht. Es heißt, das Verhältnis der beiden ist seit längerem nicht das beste. Womöglich, weil Häßlers frühere Frau und Managerin, Angela, einst bei Vertragsverhandlungen sehr unnachgiebig aufgetreten ist und die Löwen seitdem jährlich ein für ihre Verhältnisse sehr stattliches Salär bezahlten, angeblich 1,7 Millionen Euro.“
Christoph Biermann (SZ 17.4.) schreibt eine sehr lesenswerte Sammelrezension. „Verschiedene Bücher würdigen die Pionierarbeit von jüdischen Funktionären, Fußballern und Journalisten.“ Darin wünscht er sich abschließend auch von DFB, dem FC Bayern oder dem kicker-Sportmagazin, „die auf unterschiedliche Art und Weise Juden viel zu verdanken haben, deutlichen Zeichen des Respekts.“
„Die Fußballer-Gewerkschaft VdV kritisiert den Musterarbeitsvertrag für Profis und setzt auf eine tarifliche Regelung“ FR
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Amoroso tanzt auf Dortmunder Nasen u.a.
Freddie Röckenhaus (SZ 19.11.) hält uns auf dem Laufenden über den Streit zwischen Dortmund und Amoroso: „In Dortmund hatten sie sich an die freundlichen Eskapaden des notorischen Zuspätkommers Julio Cesar gewöhnt, doch der ist längst wieder weg – und Amoroso schlägt alles. Seit mehr als acht Wochen ist Amoroso in der Heimat. Eigentlich, um einen Innenbandriss im Knie auszukurieren, den Dortmunds Vereinsarzt Markus Braun durchaus korrekt diagnostiziert hatte. Inzwischen aber hat Amorosos Leibarzt und selbst ernannter Berater Nivaldo Baldo festgestellt, dass das Knie des Verletzten instabil ist. Offenbar eine Folge einer Reihe von Vorschädigungen. „Dass das so sein kann, darüber besteht gar keine Meinungsverschiedenheit“, sagt BVB-Sportdirektor Michael Zorc, sichtlich um Contenance bemüht, „nur müssen wir als Arbeitgeber verlangen können, dass der Spieler bei so einem Befund zurück kommt, sich noch einmal vom Vereinsarzt untersuchen lässt – und wenn es dann nötig ist, kann er sich operieren lassen, wo er es für richtig hält.“ Doch gegen eine Rückkehr nach Dortmund sträubt sich Amoroso mit immer absurderen Methoden. Zuerst fauchte der 29-Jährige, er lasse sich „nicht in Dortmund kaputtmachen, so wie sie Evanilson und Metzelder kaputt gemacht haben“. Dann schob er hinterher, er habe nie der zwanzigprozentigen Gehaltskürzung beim BVB zugestimmt – obwohl Manager Meier für Amorosos „Ja“ mehrere Zeugen benennt. Angefeuert werden die Monologe des verhinderten Torjägers vor allem von seinem neuen Rechtsanwalt Pedro Adib. Der soll ein Vetter des Arztes Nivaldo Baldo sein und beklagt sich schriftlich: „Wenn Dortmund die Fifa über diesen Fall informiert hat, ist das für uns erst recht ein Grund, mit Dortmund nicht mehr über eine Rückkehr von Amoroso zu sprechen.“ (…) Das ganze Seifentheater geht weiter. Auf „hunderttausend Euro Geldstrafe“ könne sich Amoroso allmählich gefasst machen, auf „Schadenersatzforderungen“ für den Fall, dass „er seinen Marktwert weiter mutwillig nach unten treibt“. Doch die Waffen gegen den Publikumsliebling sind alle ein wenig stumpf. Für einen, der zwischen drei und vier Millionen Euro im Jahr überwiesen bekommt, relativieren sich viele Realitäten des Lebens.“
Das Streiflicht (SZ 19.11.): „Ob mit dem Tod alles vorbei ist oder der Ärger erst richtig losgeht – Hölle, Fegefeuer, Jüngstes Gericht –, weiß keiner so genau, weshalb der Spekulation Tür und Tor geöffnet ist. Optimisten glauben gar an ein irgendwie erfreuliches Weiterleben, sei es vor dem Throne Gottes und der vierundzwanzig Ältesten, sei es in Gesellschaft schwarzäugiger Jungfrauen. Letzteres wäre in Ordnung, sofern Naddel nicht darunter ist. Weil aber wenig Verbürgtes aus dem Jenseits dringt, wappnen sich die Menschen für alle Eventualitäten, getreu dem Bekenntnis Woody Allens: „Ich glaube an kein Leben nach dem Tode, obwohl ich immer Unterwäsche zum Wechseln dabei habe.“ Dies bedenkend, haben die ägyptischen Pharaonen auf die letzte Reise erlesene Weine, Obst, Bier und Kosmetika mitgenommen, während es der chinesische Kaiser Qin Shi für nötig hielt, mit einer schlagkräftigen Terracotta-Armee in die Grube zu fahren. Heute ist man bescheidener, wie der Hymne des sauerländischen Fußballclubs SV Heggen zu entnehmen ist: „Und wenn ich einst gestorben bin,/ so tragt mich hoch hinauf./ Begrabt mich auf dem Sportplatz hin,/ sonst steh ich wieder auf./ Legt auf mein Grab ein’ Fußball hin!“ Bei allem Respekt vor den Heggener Kickern: Der Ball gehört ins Grab, nicht obendrauf. Nur so ist eine Fortsetzung des Spielbetriebs in der Ewigkeit gewährleistet.“
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Themen: Collinas Autobiografie ist lesenswert – Ende für Wusa, die amerikanische Frauen-Liga
Ein echter Romantiker
Axel Kintzinger (FTD 17.9.) las Collinas Autobiografie mit Interesse und Vergnügen. „Wie hat er das nur gemacht? Nach dem Achtelfinalspiel Japan gegen Türkei bei der Fußball-WM im vergangenen Jahr ging Schiedsrichter Pierluigi Collina zum Kapitän der gerade unterlegenen Heimmannschaft – und brachte ihn zum Lächeln. Die japanische Elf, wegen des überraschenden Erfolges in der Vorrunde euphorisch gefeiert, verlor 1:0, war ausgeschieden. Die Riesenparty Fußball-Weltmeisterschaft musste ohne die Gastgeber weitergehen. Aber Tsuneyasu Miyamoto sah gar nicht mehr betrübt aus. „Ich glaube“, hatte Collina zu dem Spieler gesagt, „ihr solltet stolz sein auf das, was ihr erreicht habt. Nicht traurig. Stolz.“ Wir wissen das jetzt, weil Collina es aufgeschrieben hat in seinem autobiografischen Buch „Meine Regeln des Spiels“. Und wir wissen jetzt über Collina, dass er ein echter Romantiker sein kann. Diesen Eindruck hatte man nicht immer. Dank seiner psychischen und physischen Präsenz auf dem Rasen, aber auch dank seines energischen Minenspiels hatte sich der Italiener seit Jahren gehörigen Respekt erworben bei den Profikickern – und das weltweit. Spieler, die sonst keiner Konfrontation mit einem Unparteiischen aus dem Weg gehen, die lamentieren und maulen ob einer Schiedsrichter-Entscheidung, sie alle beugen sich der Regelauslegung Collinas. Klaglos. Dem Respekt folgte der Ruhm. Fünf Mal wurde Collina zum besten Schiedsrichter der Welt gekürt, er pfiff bei diversen Welt- und Europameisterschaften, er leitete spektakuläre Spiele wie das Champions-League-Finale 1999 zwischen Manchester United und Bayern München. Collina wurde zum Star, zum ersten Schiedsrichter, der einen Bekanntheitsgrad besitzt wie die Spieler. Ein Promi, mit dessen Konterfei globale Sportartikelhersteller für ihre Produkte werben.“
Matthias Kittmann (FR 17.9.) kommentiert das Ende der amerikanischen Frauen-Profi-Liga. „Aus der Traum? Nur fünf Tage vor dem Start zur Frauenfußball-WM in den USA hat die dortige Profiliga Wusa ihren Betrieb eingestellt. Der Grund: Sie ist pleite. Ein schwerer Schlag für das erst vor drei Jahren gestartete Projekt, aber auch ein Schlag für den Frauenfußball weltweit, der in diese erste Profiliga für Frauen große Hoffnungen gesetzt hatte. Doch wenn man genau hinschaut, ist die Wusa nicht über mangelndes Interesse am Frauenfußball gestolpert, sondern über ein hausgemachtes Problem, das in den USA keiner erwarten würde: Planwirtschaft. Ausgerechnet im Land des Freien Marktes haben es die Macher der Profiliga mit den Methoden des einst real existierenden Sozialismus probiert. Zum Start vor drei Jahren stellten sie einen Fünf-Jahres-Plan auf. Die Wusa-Verwaltung fungierte als Zentralkomitee, das Gelder und Spielerinnen an die acht Clubs verteilte. Individualität, Kreativität und Findigkeit, die Stärken der US-amerikanischen Wirtschaft, waren damit praktisch lahm gelegt (…) Der real existierende Fußball-Sozialismus US-amerikanischer Prägung hat sich als untauglich erwiesen, doch was kommt danach? Das Aus kurz vor der WM war kein Zufall. Zu einem Zeitpunkt maximaler Aufmerksamkeit hoffen die Protagonisten des US-Frauenfußballs, die immerhin für sich reklamieren können, dass das Spiel unter Mädchen landesweit Teamsport Nummer eins ist, Interessenten und Sponsoren für eine neue Liga zu finden. Diesmal ohne Zentralkomitee und nach den Grundsätzen der Freien Marktwirtschaft.“
Hintergrund taz
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“Trostlosigkeit” (SZ) in Berlin – hängende Köpfe in Kaiserslautern
Selten hat eine Fußball-Woche so wenig schönes zu berichten – und so viel Misere und Bedauern: Trainer-Entlassung in Mönchengladbach, unerfüllte Ansprüche in Schalke, auf Zorn folgt in Dortmund Jammer über die „die unheimliche Geschichte der Dortmunder Knie-Fälle“ (FAZ), hängende Köpfe in Kaiserslautern, „Trostlosigkeit des Berliner Fußballs“ (SZ) und eine insgesamt schwache erste Runde nahezu aller deutschen Teilnehmer im Uefa-Cup.
Einzige Ausnahme: Borussia Dortmund gewinnt in Wien mit 2:1 – und verlängert seine Liste der Knieverletzten um Addo und Dedé. Die taz mutmaßt: „Findet sich der Verein als Hauptfigur einer biblischen Parabel wieder, in der er für ein bestimmtes Vergehen mit einer Abfolge von Plagen bestraft wird?“ Pech verschleiert derzeit den sportlich matten Saisonverlauf und die finanziellen Sorgen; Mitleid der Fans und Berichterstatter verdrängt Wut und Enttäuschung. Doch die Financial Times Deutschland hält fest: „Längst hat das Bild einer Mannschaft, die nach der unverhofften Meisterschaft 2001 glänzende Perspektiven zu haben schien, arge Kratzer erhalten.“
Überall verwelken die Visionen
Katrin Weber-Klüver (SZ 26.9.) erläutert die traurige Lage des Fußballs in Berlin: „Wider Erwarten haben noch nicht alle alles aufgegeben in der Hauptstadt. Die Sonne lässt sich nicht unterkriegen. Sie strengt sich an, den Herbst freundlich zu gestalten. Es mag kalt geworden sein, aber deshalb muss der Himmel über Berlin nicht gleich grau werden. Es ist ja schon trist genug, dass inzwischen fast ganzjährig die Novemberstimmung des Verdorrens über dem Fußball dieser Stadt liegt. Überall verwelken die Visionen, bevor sie erblüht sind. Etwa Tennis Borussia Berlin: In den 90er Jahren mit Winfried Schäfer und im Irrgarten des Profisports unterwegs, bringt der Klub seine Saat heute bescheiden auf Oberligarasen aus. Oder brandaktuell der Zweitligaletzte Union Berlin: kündigt seit einer Woche öffentlich an, bei einer Niederlage an diesem Freitag in Unterhaching seinen Trainer zu feuern. Weshalb sich mit diesem Trainer dann ein zweiter Kämpfer – neben der Sonne – gefunden hat: „Ich lasse nicht alles über mich ergehen“, hat Mirko Votava gesagt, „ich werde um meinen Job kämpfen.“ Beim ersten Klub der Stadt sollten sie auch schleunigst den Kampf aufnehmen, und zwar gegen rasanten Verfall von Image und Zuschauerzahlen. Dabei kommen Ansehen und Zuspruch bei Hertha BSC Berlin nicht mal von hohem Niveau. Gerade hat die erste Mannschaft in ihrem achten Pflichtspiel der Saison das vierte 0:0 verbucht. Sie hat überhaupt erst einmal gewonnen, in der ersten DFB-Pokalrunde gegen das viertklassige Reutlingen. Jüngster Gegner am Mittwoch im Olympiastadion war der polnische Erstligist Groclin Dyskobolia aus Grodzisk Wielkopolski. Das Städtchen hat 18 000 Einwohner, Berlin ist 150 Mal größer. Aber es gibt ja keine Kleinen mehr im internationalen Fußball. Man erfährt das immer öfter.“
Zu guter Letzt erwischt es dann doch den Trainer
Jörg Hanau (FR 26.9.) durchschaut die Ankündigung von Hertha-Manager Dieter Hoeneß, einen Spieler rauszuwerfen, als leere Drohung: „Den Trainer rauswerfen, das kann jeder. Sogar in Mönchengladbach haben sie das hinbekommen. Den Spielern den Laufpass zu geben mangels mangelhafter Laufbereitschaft, kommt selten vor. Eigentlich nie. Nicht, dass es Manager jedweder Coleur nicht schon angedroht hätten. Ist es aber wirklich schon passiert? Große Namen waren nie darunter. Es wird die Kleinen unter den Großen treffen. Die nennen sich dann Bauernopfer. Wir dürfen gespannt sein, wen in den nächsten Tagen oder Wochen der Bannstrahl treffen wird. Die Herren Millionäre zittern schon vor Angst. Und selbst wenn es wirklich mal einen der Großkopferten erwischt. Sie fallen weich. Erst gibt’s eine satte Abfindung, dann einen neuen Vertrag bei irgendeinem anderen Proficlub. Selbst in Polen, haben wir gelernt, lässt sich mittlerweile gutes Geld verdienen. Zu guter Letzt erwischt es dann doch den Trainer. Das Gesetz des Marktes. Eine Phrase mit Substanz.“
BLZ-Interviewmit Fredi Bobic
Die gefühlte Souveränität ist wieder dahin
Thomas Klemm (FAZ 26.9.) kann den Kaiserslauterern nicht Trost spenden: „Am Sonntag war die Krise weg, seit Mittwoch ist sie wieder da – so sieht es in der ersten englischen Woche des 1. FC Kaiserslautern dieser Saison aus, bevor sie an diesem Samstag in der Bundesliga gegen das auswärtsstarke Team von Hannover 96 fortgesetzt wird. Klar, das Krisengerede geht nun weiter, sagte FCK-Trainer Erik Gerets nach dem blamablen 1:2 gegen FK Teplice. Drei Tage zuvor, als die Roten Teufel noch um Bundesligapunkte und für ihren Trainer gespielt und 3:1 bei Eintracht Frankfurt gewonnen hatten, meinten die Pfälzer Fußballprofis wieder Selbstvertrauen geschöpft zu haben; doch nach nur sechs Minuten im europäischen Erstrundenspiel und dem ersten Gegentreffer durch den Tschechen Jan Rezek war die gefühlte Souveränität wieder dahin.“
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VfB Stuttgart nimmt sich ein altes Feindbild zum strategischen Vorbild Bayern München – Timo Hildebrand, wachsender Hänfling – das „magische Abwehrdreieck“ – Ronaldo, Shooting-Star von Manchester United
Martin Hägele (SZ 1.10.) würdigt die Strategie des neuen VfB-Präsidenten: „Obwohl Erwin Staudt erst seit ein paar Monaten den Kurs vorgibt, hat er schnell einen Orientierungspunkt gefunden. Auf allen Ebenen könne der VfB Stuttgart vom FC Bayern München lernen, beim Rekordmeister könne man vieles kopieren. Staudt stellt sich dabei nicht so ungeschickt an wie sein Vorvorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder, der glaubte, mehr vom Fußball-Geschäft zu verstehen als die sportlichen Lenker von der Säbener Straße. Anders als MV zeichnet der neue VfB-Chef seinen Landsleuten auch nicht das Feindbild von den arroganten, reichen Münchnern hin, die von allen möglichen Großkonzernen gestopft werden. Staudt versucht, in einer aus dem Verein ausgelagerten Kommanditgesellschaft potenzielle Investoren als strategische Partner zu gewinnen – ähnlich wie die FC Bayern AG, an welcher sich der Sportartikel-Konzern Adidas mit zehn Prozent und einer Einlage von 76,7 Millionen Euro beteiligt hat. Staudt hat im VfB-Umfeld, vor allem von „entscheidungsfreudigen Unternehmern“ des im Wirtschaftsland Baden-Württemberg überwiegenden Mittelstands, „Signale“ auf seine Idee vernommen. Offenbar aber auch aus dem fränkischen Herzogenaurach und dem Haus des Adidas-Konkurrenten Puma, seit anderthalb Jahren Schuh- und Bekleidungssponsor der Cannstatter. Zuletzt hatte das kleinere der beiden Weltunternehmen Timo Hildebrand und Kevin Kuranyi unter Vertrag genommen, weil die beiden Symbolfiguren der „jungen Wilden“ als ideale Modelle für die Puma-Zielgruppe taugen. Nicht ganz zufällig wird deshalb der Vorstandsvorsitzende Zeitz heute in der VfB-Loge neben Staudt sitzen. Offiziell, sagt der, sei über diese Sache noch nicht gesprochen worden. Doch wer weiß, was alles passieren kann, wenn das Licht zum großen Champions-League-Kino erst einmal angeht. Helden können entdeckt werden; ein Team, das in jahrelanger Kleinarbeit Sympathiepunkte in der Bundesliga gesammelt hat, kann über Nacht zu Deutschlands Mannschaft der Herzen werden. Die Kontraste für solch ein Film-Programm könnten nicht idealer sein: die Geld-Maschine von Old Trafford gegen das Stuttgarter Sparmodell; England gegen Deutschland; die Trainer-Legende Sir Alex Ferguson gegen Felix Magath, Superhirn der Bundesliga.“
Ein Torwartchen im Land der Riesen
Christof Kneer (BLZ 1.10.) verweist auf die Größe Timo Hildebrands, Torhüter des VfB Stuttgart: „Erst wenn man Hildebrand mit Kahn vergleicht, merkt man, was er für ein außergewöhnlicher Torwart ist. Man könnte ein Hildebrand-Bild und ein Kahn-Bild nebeneinander schneiden, und man würde meinen, hier ginge ein Mannsbild mit einem Jugendkeeper zum Training. Gefühlt liegen mindestens 10 Zentimeter zwischen den beiden, dabei sind sie fast gleich groß. Nur ist es so, dass Kahns 188 Zentimeter 93 Kilogramm wiegen, während es Hildebrands 185 Zentimeter gerade mal auf 78 Kilo bringen. Timo Hildebrand ist ein Torhüter neuen Typs. Er ist kein Rambotorwart, er fällt keine Stürmer an wie Kahn, und er hat keine Pranken wie der Schalker Frank Rost, der mit einer Hand die Sonne verdunkeln kann. Er ist ein schnellkräftiges, reaktionsstarkes Leichtgewicht, ein Fäustling unter lauter Fäusten (…) Aber noch immer ist es so, dass sie so ein Torwartchen im Land der Riesen ein bisschen verdächtig finden. In Deutschland müssen Torhüter seit jeher von Furcht erregendem Wuchs sein, und so hat Teamchef Rudi Völler schon mal wissen lassen, dass er 2006 auf die breiten Schultern von Kahn, Lehmann (1,90 m/87 kg) und Rost (1,93/95) bauen wolle. Das erste Fernduell mit München hat Timo Hildebrand jetzt schon mal für sich entschieden: Die VfB-Fans haben ihn gerade zum Sexsymbol gewählt. Das könnte Oliver Kahn nicht passieren.“
Magisches Abwehrdreieck
Über die Abwehr des VfB lesen wir von Oliver Trust (FR 1.10.): “Die Vorbereitung besteht darin, sich die eigenen Stärken vorzubeten. Und da hat das magische Abwehrdreieck einiges zu bieten. Da ist die Speerspitze Soldo, der Kapitän, der vor Bordon und Meira im Mittelfeld agiert und sich in die Angriffe einschaltet. Der alte Soldo (Trainer Felix Magath über den Kroaten, der im November 36 Jahre alt wird) bereinigt viele Gefahrenmomente, bevor die Kollegen eingreifen müssen. Den größten Leistungssprung aber hat das Duo Bordon/Meira hinter sich. Einst galten sie als Konkurrenten, die sich nicht viel zu sagen haben. Als Meira in der Winterpause 2002 nach Stuttgart kam, beeilte sich Bordon zu verkünden, er spiele lieber mit Rui Marques an seiner Seite. Marques spielt heute keine Rolle mehr. Bordon und Meira wohnten zwar in der selben Straße, fürchteten aber vom jeweils anderen aus dem Team gedrängt zu werden. Heute treten sie fast wie ein Brüderpaar auf. In der Hotellobby warten sich gemeinsam auf dem Sofa auf die Abfahrt, schwatzen munter über Gott und die Welt, obwohl der Portugiese Meira nicht die tiefe Hingabe Bordons zum christlichen Glauben teilt, der sonntagvormittags in jener Kirche in Bietigheim-Bissingen auftaucht, die viele brasilianische Bundesligaprofis besuchen. Meira ist eher der Technikfreak, der mit einem DVD-Player dem Rest der Mannschaft die neuesten Kinofilme vorführt.“
Mehr Tricks drauf als ein Fass voller Zirkusaffen
Raphael Honigstein (FTD 1.10.) porträtiert den Shooting-Star von Manchester United, Gegner des VfB: „Der schüchterne Mittelfeldspieler Ronaldo wollte das Trikot mit der „28“, United aber gab ihm die „7“, die Nummer von Beckham, Eric Cantona und George Best. Am Abend schob ihm ein Mann vom Boulevard einen Zettel unter der Hotelzimmer-Tür durch: 100 000 £ für ein exklusives Interview, lautete die Offerte. Der 18-Jährige musste leider ablehnen, Trainer Alex Ferguson verbietet Medienauftritte seines Schützlings. „Er ist ja ein kleiner Junge“, sagt Sir Alex über seinen 12,2 Mio. £ teuren Einkauf von Sporting Lissabon. Nach sechs furchtlosen Spielen in der Premier League steht Ferguson mit dieser Einschätzung ziemlich alleine da. Ronaldos Flügelstürmer hat zwar noch kein Tor geschossen, aber den Kritikern gehen schon die Superlative aus. Besonders seine vielen Übersteiger haben es ihnen angetan: „Der Mann hat mehr Tricks drauf als ein Fass voller Zirkusaffen“, staunte der Guardian, und der Daily Telegraph war „auf den ersten Blick hingerissen: Cristiano Ronaldo macht mit dem Ball Sachen, die andere Spieler nicht mal im Traum versuchen würden.“ Selbst United-Legende George Best ist überzeugt: „Es wurden schon viele Spieler mit mir verglichen, doch bei ihm verstehe ich das zum ersten Mal als Kompliment für mich.““
Christian Eichler (FAZ 1.10.) ergänzt: „Ein Achtzehnjähriger, der sich am liebsten in schrille Designerklamotten wirft – trägt der freiwillig ein Hemd, das ihm ein Opa gab? Kein Problem für Cristiano Ronaldo. Schließlich ist es die coolste Arbeitskleidung der Welt. Der junge Portugiese kam diesen Sommer von Sporting Lissabon zu Manchester United, und Trainer Alex Ferguson gab ihm das rote Trikot mit der Nummer sieben. So etwas ist im Mutter- und Mythenland des Fußballs alles andere als eine belanglose Zahlenzuteilung. Es ist fast schon ein politisches Statement.“
Die Aktie Manchester United rentiert sich NZZ
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Fußballromantische Adventgeschichte
Seitz und Asamoah erleben „fußballromantische Adventgeschichte“ (FAZ), hält sich Falko Götz zu gut für 1860 München; Juri Schlünz, Pfundskerl; Thomas Schaaf tritt aus „König Ottos“ Schatten (mehr …)
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