Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
Der Unterhaltungswert von „BVB(ohlen)“ (FAZ) – Ärger über elitäre Zusammenkunft der „großen“ Vereine
Dortmunder Modern Talking
Richard Leipold (FAZ 21.11.) ergründet den Unterhaltungswert von „BVB(ohlen)“: “Die Dortmunder sollten eine eigene Seifenoper produzieren, eine Doku-Soap, wie so ein Format im Neudeutsch der Fernsehmacher heißt. Für die Hauptrolle wäre der auch als Stürmerstar bekannte Brasilianer Marcio Amoroso prädestiniert – wenn er sich denn dazu bewegen ließe, wenigstens zu einem Teil der Dreharbeiten aus seiner Heimat nach Dortmund zurückzukehren. Manche Folgen könnten auch an der Copacabana gedreht werden oder auf Capri, dem von Amoroso bevorzugten Schauplatz für Aqua-Jogging. Das Privatfernsehen wäre sicher interessiert. Gerd Niebaum, der präsidiale Geschäftsführer des BVB sieht die Gefahr, die Handlung und die Dialoge könnten auf das Niveau einer Auseinandersetzung zwischen den Popstars Dieter Bohlen und Thomas Anders abgleiten. Ist das Dortmunder Modern Talking nicht längst soweit? Doch – dank Nivaldo Baldo (kein Künstlername!). Ihm fällt die Rolle des Fieslings zu. Der engste Vertraute Amorosos läßt keine Gelegenheit aus, die medizinische Abteilung, den Trainer und andere Führungskräfte der Borussia als inkompetent hinzustellen. Derzeit müßten die Szenen mit dem Bösewicht allerdings außerhalb des Klubgeländes gedreht werden. Baldo hat Hausverbot. So hübsch der Denkanstoß mit der Seifenoper ist, an ihren eigenen Rollen sollten die Dortmunder vielleicht noch ein wenig feilen. Ihr Medienauftritt in diesen Tagen wirkt nicht so souverän, wie es das Publikum von einem Klub mit internationalem Anspruch erwartet.”
Klaus Hoeltzenbein (SZ 21.11.) bemängelt Kooperation deutscher Funktionäre: „Eine Nachricht, die in zweierlei Hinsicht Beruhigendes birgt: Zum einen folgt sie dem Massentrend, China als Wachstumsmarkt zu sehen, zum anderen wird in der Otto-Fleck-Schneise 6a in Frankfurt/Main offenbar weiter gearbeitet. Dort nämlich werden die Auslandsrechte der Bundesliga gemakelt. Das allein aber kann jene selbst erwählten Liga-Größen nicht beruhigen, die sich am Mittwoch zu konspirativen Sondierungen in einem Münchner Hotel versammelten. Drei Jahre ist es her, seit mit ihren Stimmen in der 6a die Deutsche Fußball Liga (DFL) angesiedelt wurde. Von der ist bis heute nicht viel mehr bekannt, als dass ihr Präsident Hackmann pünktlich zum Saisonende die Schale in das Stadion des neuen Meisters bringt – und dabei lustvoll ausgepfiffen wird. Warum, wissen die wenigsten, handelt es sich bei der DFL doch um einen weitgehend anonymisierten Beamtenapparat. Womit das Kernproblem dieser Organisation bereits beschrieben wäre: Ihr fehlt ein Gesicht (Hoeneß), ein Bauch (Calmund) und reichlich Dampf (Assauer). Die geballte Gewichtigkeit der Liga hätte am Mittwoch also zunächst über sich selbst richten müssen: Über die fehlende Bereitschaft ihrer Prominenz, in einem von Personalflucht gebeutelten Dachverband die eigenen Interessen durchzusetzen. Stattdessen wurde Leid geklagt.“
Ärger und Argwohn bei den Ausgegrenzten
Philipp Selldorf (SZ 21.11.) berichtet den Hintergrund: „Was ist passiert am Mittwoch im Hotel „Kempinski“ am Franz-Josef-Strauß-Flughafen? Nichts Besonderes, wenn man den Teilnehmern glauben möchte, „wir haben uns informell in kleiner Runde getroffen, um einige Probleme zu besprechen“, fasste der Geschäftsführer von 1860 München, Karl-Heinz Wildmoser junior, zusammen. Aber da sich diese „kleine Runde“ aus lauter Größen des Profibetriebs zusammensetzte, betrachten die Nicht-Eingeladenen das Treffen mit Misstrauen und Sorge. Sie fürchten, dass die acht Teilnehmer ihre eigene Interessengruppe neben dem allgemeinen Dachverband Deutsche Fußball Liga (DFL) bilden möchten. Die Gästeliste erlaubt solche Schlussfolgerungen. Eingeladen hatte der FC Bayern, und erschienen sind die Chefs der tonangebenden Vereine in der Liga: Borussia Dortmund, Schalke 04, Werder Bremen, VfB Stuttgart, Hertha BSC, Bayer Leverkusen sowie, als Juniorpartner der Bayern, die Münchner Löwen mit Vater und Sohn Wildmoser. Beredet wurden vor allem wirtschaftliche Themen: Die Frage der Vermarktung von Lizenzen im Zusammenhang mit den neuen Techniken der Telekommunikation, die Verwertung der Auslandsrechte und die möglichen Berührungen mit dem europäischen Wettbewerbsrecht. Auch um den Grundlagenvertrag zwischen der Liga und dem Deutschen Fußball-Bund ging es, und am Rande der Debatte hat man schließlich noch über die Besetzung der vakanten Posten in der DFL gesprochen, die durch den Abschied der Geschäftsführer Michael Pfad und Heribert Bruchhagen frei werden. Die Auswahl eines elitären Teilnehmerzirkels bei der Besprechung von Fragen, welche die gesamte Solidargemeinschaft Bundesliga betreffen, ruft unter den ausgegrenzten Klubs der ersten Liga Ärger und Argwohn hervor.“
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Situation Leverkusens
zur Situation Leverkusens siehe auch die Nachbetrachtung des Pokalfinales
Die Erfahrungen mit Auseinandersetzungen mit deutschen Teams werden Real Madrid, nach Auffassung von Roland Zorn (FAZ 15.05.02), wenig hilfreich sein. „In Glasgow bekommt es der Favorit auf jeden Fall mit einer deutschen Spitzenmannschaft zu tun, die anders, nämlich leidenschaftlicher und spieltechnisch ausgefeilter, als der im Viertelfinale besiegte FC Bayern zu Werke geht.“
Harald Irnberger (Tsp 15.05.02) referiert die facettenreiche Geschichte Reals. „Für politisch sensible Fußballfreunde ist die bisherige Vereinsgeschichte trotz beispielloser Erfolge freilich nicht ohne dunkle Flecken. Fiel die bislang triumphalste Epoche doch ausgerechnet mit dem Höhepunkt der Franco-Diktatur zusammen, als Real Madrid autoritär von einem Präsidenten Santiago Bernabeu geführt wurde, der schon im Bürgerkrieg an der Seite der Putschisten stand. Der Traummannschaft mit der legendären Angriffsformation Kopa, Rial, Di Stefano, Puskas und Gento haftete somit der üble Geruch an, die Regime-Elf zu sein: Opium für das Volk zum Nutzen einer faschistischen Diktatur. Diese Einschätzung ist nicht gänzlich gegenstandslos – aber keineswegs rundum richtig. Das geht aus einer Reihe von seriösen historischen Studien hervor, die pünktlich 100. Geburtstag eben in Spanien veröffentlicht wurden. Demnach verlief die Geschichte des Vereins stets zuverlässig parallel zur spanischen Politik im 20. Jahrhundert. Im Gegensatz zum Vorurteil, ein Instrument des militant-provinziellen kastilischen Zentralismus zu sein, der seit der Reconquista im 15. Jahrhundert in Spanien meist unduldsam den Ton angab, war der Verein indes von Anfang an ein Schmelztiegel für alle Facetten des vielfältigen Landes. Und dazu weltoffen.“ (Volltext)
Roland Zorn (FAZ 14.05.02) beschreibt Chance und Strategie von Bayer Leverkusen nach zwei vergebenen Titelchancen. „Endlich kann der Beinahe-Meister und verhinderte Deutsche Pokalsieger wieder in seiner internationalen Lieblingsrolle auftreten: als furchtloser Herausforderer der wahren wie der eingebildeten Größen des europäischen Fußballs (…) Immerhin treffen die Leverkusener einen weiteren Fußkranken des europäischen Fußballs: den zweimaligen Champions-League-Gewinner Real Madrid. Die Spanier wurden im Jahr ihres hundertjährigen Geburtstages weder Landesmeister noch Pokalsieger. Unter Leidensgenossen wollen die Leverkusener nun wenigstens den Part des kleinen Bruders spielen.“
Ronald Reng (FR 14.05.02) hat ein paar taktische Tipps für Bayer parat. „Das Wichtigste für Leverkusen wird sein, das Spielfeld auf 40 Meter zu reduzieren. Soll heißen, zwischen Bayers Abwehrreihe und den Stürmern darf der Abstand nicht größer als 40 Meter sein: Dazwischen bleibt Real dann wenig Platz, sein Passspiel aufzuführen. Reißt das Spielfeld jedoch auf 50 oder 60 Meter auf, sind in diesem Freiraum Techniker wie Zidane oder auch der Argentinier Santiago Solari nur schwer zu bremsen. Dabei sollte Carsten Ramelow, der zuletzt als wenig überzeugender Ersatz des verletzten Jens Nowotny den Innenverteidiger gab, auf seine angestammte Position im defensiven Mittelfeld zurückkehren. Es braucht dort zwei Bodyguards wie Ramelow und Michael Ballack, die Zidane, Solari und den zurzeit die rechte Form suchenden Figo auf die Flügel drängen. Auch lässt ein Partner wie Ramelow Ballack mehr Möglichkeiten, sich in den Angriff einzuschalten. Mit ziemlicher Sicherheit wird es eine ungleiche Partie werden, aber nicht was die Spielanteile zwischen diesen gleichermaßen offensiv ausgerichteten Teams betrifft, sondern was den Verkehr auf den beiden Flügeln angeht: rechts, aus Bayers Sicht, wird deutlich mehr Betrieb sein, deshalb sollte Toppmöller diese Außenseite auf jeden Fall doppelt besetzen, mit Zoltan Sebescen als Verteidiger und davor Bernd Schneider. Denn Real greift vermehrt über diese Flanke an, im Wechsel mit Solari weicht Zidane oft und gerne vom Zentrum auf den linken Flügel aus, zudem sucht dort Verteidiger Roberto Carlos permanent den Weg nach vorne. Ein Leverkusener alleine wäre überfordert. Schneider wiederum, von Sebescen gut abgesichert, könnte den Raum für Vorstöße nutzen, den ihm der notorisch vorwärtsdrängende Carlos anbietet. Schafft er es, exzellent zu verteidigen und gleichzeitig die Attacke anzukurbeln, ist viel gewonnen.“
1960 standen sich die Mannschaften von Real Madrid und Eintracht Frankfurt im Finale des Europapokals gegenüber. Spielstätte war – so will es der Zufall – ebenfalls der Hampden Park in Glasgow. Mit 7:3 bezwangen die hoch favorisierten Königlichen den Außenseiter aus Deutschland. Das mitreißende Match, in dem die Spanier sich zum fünften Mal in Folge zu den Königen Europas krönten, wählte das englische Fachmagazin Four-Four-Two zum „Spiel des Jahrhunderts“.
Walter Haubrich (FAZ 14.05.02) erinnert an die politische Bedeutung der goldenen Ära Reals. „Spanien hatte damals während der engstirnigen Diktatur des Generals Franco international wenig vorzuzeigen. Bekannt und geschätzt in Europa, ja in der ganzen Welt, war eigentlich nur der spanische Fußball und da vor allem Real Madrid. Der nach irgendeiner Anerkennung im Ausland gierige Diktator Francisco Franco und seine militärischen und zivilen Hofschranzen schmissen sich an Real Madrid ran, wollten unbedingt mit den Spilern aufs Foto. Doch wurde Real Madrid keineswegs zur Mannschaft des Regimes, wie man sich das jetzt noch in der Umgebung des CF Barcelona fälschlicherweise erzählt. Dem alten Republikaner und Vereinspräsidenten Bernabéu, der im Bürgerkrieg auf der Seite der Gegner Francos gestanden hatte, passten die Annäherungsversuche der Diktatur keineswegs; er ließ Minister und Generäle Francos häufig nicht auf die Ehrentribüne, doch eine offene Opposition kontte auch er sich nicht erlauben.“
Christoph Biermann (SZ 14.05.02) befasst sich mit dem deutschen Verliererteam. „Die Eintracht schrieb dieses Kapitel der Geschichte zwar nur im Windschatten von Real Madrid mit, trug aber auch ihren Teil dazu bei. Zudem kamen die Frankfurter aus einem Fußballdeutschland, wo der Profikick noch nicht erlaubt war. Stein etwa arbeitete als technischer Angestellter in einem Konstruktionsbüro, während die argentinischen, ungarischen und spanischen Wunderspieler in Reals Weltelf alle Vollprofis waren. „Wir waren damals viel zu brav“, sagt Stein, „wenn Alfredo di Stefano zu mir gesagt hätte, ich soll seinen Koffer zum Auto tragen, hätte ich das gemacht.“ Diese Ehrfurcht legten viele Spieler auch auf dem Rasen nicht ab, und nach Abpfiff wies Trainer Paul Oßwald sein Team sogar an, für Real Spalier zu stehen und ihnen beim Verlassen des Platzes zu applaudieren.“
Erik Eggers (Tsp 14.05.02) fragt, ob sich Geschichte wiederholen kann. „Die Klasse etwa, mit der Real Madrid seinerzeit auftrat, wird kaum zu überbieten sein. Auch wenn morgen mit Roberto Carlos, Raul, Zidane und Figo die zweifellos teuersten Spieler der Welt auflaufen, erscheinen sie doch nicht derart übermächtig wie die Koryphäen vor knapp einem halben Jahrhundert, die den fünften Europapokalsieg in Folge anstrebten und diesen zum Teil lediglich als Pflichtübung ansahen. Nach dem Spiel holten sich die Frankfurter von ihren Gegnern Autogramme. Über allen thronte Alfredo di Stefano, der argentinische Stürmerstar, unter dem sogar Mitspieler wie Ferenc Puskas verblassten. Dazu kamen schnelle Außenstürmer wie Gento und der uruguayische Verteidiger Santamaria, genannt „die Wand. Vermutlich wünscht sich die Mannschaft von Trainer Klaus Toppmöller morgen exakt jene Überheblichkeit, die Real seinerzeit auszeichnete. Beim Ergebnis indes werden die Leverkusener vorzugsweise auf die Unwiederholbarkeit historischer Tatsachen verweisen.“ (Volltext)
Felix Reidhaar (NZZ 02.05.02) über die „unmögliche Mission“ von Barcelona, das 0:2 aus dem Hinspiel wetzumachen. „Die Katalanen und ihr Coach Charles Rexach hatten wenig gelernt aus dem ersten Match vor acht Tagen. Xavi, Puyol und Coco standen wieder in der Startformation, Overmars dagegen hatte auf der Bank Platz nehmen müssen, und Rivaldos Absenz belastete das Rendement Barças. So fehlte denn etwas Geniales auch diesmal in dieser ziemlich hausbackenen Mannschaft, in der sich Fehlpass an Ungenauigkeit reihte und die spielerischen Schematas kaum Variationen kannten. Die Madrilenen liessen dem Gegner in der ersten Halbzeit mit aggressivem Pressing nur wenig Zeit und Raum zur Entfaltung und demonstrierten ihre schon am Mittelmeer mannschaftlichen Vorteile. Obwohl Barça fünf Minuten nach Wiederbeginn auf glückhafte Weise der Ausgleich gelang und die Real-Innenverteidigung darauf alles andere als einen sicheren Eindruck hinterliess, erwies sich das Unterfangen der Katalanen als unmöglich. Erstens hatte Real überhaupt noch nie auf europäischer Ebene ein Heimspiel mit mehr als zwei Toren Differenz verloren, zweitens blieb der Auftritt der auch im eigenen Land sehr instabilen Barcelonesen zu fahrig, zu enttäuschend. Der Einzug in die vorletzte Champions-League-Runde war für sie ein Optimum.“ (Volltext)
Walter Haubrich (FAZ 03.05.02) zum Spiel und zu einem Sieger, der nicht übermächtig spielte. „Madrid zeigte sich schwächer als sonst; die Pässe von Zidane und Figo landeten häufig beim Gegner – vielleicht, weil diese beiden teuersten Spieler der Mannschaft ihre Verletzungen noch nicht ganz ausgeheilt haben. Sie wurden in der zweiten Halbzeit denn auch ausgewechselt. Ohne den Dirigenten Zidane im vorderen Mittelfeld ist der Madrider Angriff aber nur halb so gefährlich. Und so lag die Stärke des achtfachen europäischen Meisterpokalgewinners diesmal vor allem im Kampfeswillen der Mannschaft. Barcelona griff nämlich wie in dem glücklich von Madrid gewonnenen Hinspiel häufiger an und war längere Zeit als der Gegner im Ballbesitz.“
Mit dem Besuch Toppmöllers in Madrid und den daraus erwachsenen Erkenntnissen beschäftigt sich Ronald Reng (taz 03.05.02). „Ins Bernabéu wollte Toppmöller schon die ganze Saison, um Real Madrid zum 100. Geburtstag zu gratulieren, wie er immer sagte. Der Spruch wurde zum Sinnbild für Leverkusens Ambitionen in der Champions League: einfach was erleben, so viele berühmte Gegner und Stadien wie möglich kennen lernen. Nun kam Toppmöller in die spanische Hauptstadt, um zu sehen, ob vielleicht mehr drin ist für seine Mannschaft, als Real nur die Hand zu schütteln beim Champions-League-Finale am 15. Mai in Glasgow. Die Quintessenz seiner Studienreise kannte er jedoch schon, bevor er erlebte, wie sich Real Madrid, einen Tag nach Leverkusens Triumph über Manchester, im anderen Halbfinale mit einem 1:1-Unentschieden dank eines 2:0-Sieges im Hinspiel seines ewigen Nebenbuhlers FC Barcelona entledigte: Gegen den spanischen Meister wird Leverkusen einen Tag brauchen, an dem ihnen schon morgens beim Frühstück das Ei runterfällt und nicht zerbricht; an dem ihnen einfach nichts schief geht. Ich war im Stadion, als Dortmund 1997 im Champions-League-Finale Juventus Turin 3:1 besiegte, sagte Toppmöller: An hundert Tagen hätte 99-mal Juve gewonnen. Aber es gibt immer diesen einen Tag. Ob ihm das Spiel am Mittwoch viel mehr Detailerkenntnis gebracht hat, darf bezweifelt werden. So wie gegen Barça wird Real wohl nie wieder spielen. Ihr 2:0-Vorsprung aus dem Hinspiel machte ihnen Angst. Sie trauten sich nicht zu stürmen. Ungewollt ließen sie sich von Barça das Spiel diktieren.“ (Volltext)
Michael Horeni (FAZ 02.05.02) weiß, wem die europäische Aufmerksamkeit nunmehr gehört: „einer Mannschaft und ihrem Trainer, die einen belächelten und oftmals sogar verlachten nationalen Gernegroß in einer unglaublichen sportlichen Metamorphose zu einem stolzen Angehörigen des europäischen Fußball-Hochadels verwandelten.“
Erik Eggers (Tsp 02.05.02) über die eine sphinxhafte Mannschaft, deren Leistungen in Bundesliga und Champions League unvorhersehbar geworden sind. „Eine rätselhafte Verwandlung vollzog sich in einem Team, das drei Tage zuvor in Nürnberg die Initiative in der Meisterschaft aus der Hand gegeben hatte. „Der Trainer hat uns durch seine Mimik und Gestik das Selbstvertrauen zurückgegeben“, sagte Bernd Schneider. Eine Sphinx ist dieses Team, ein unerklärliches, charismatisches Gebilde. Der verzückende Beweis dafür, dass Erfolg im modernen Fußball noch immer nicht gekauft werden kann.“ (Volltext)
Thomas Kistner (SZ 02.05.02) freut sich, dass Erfolg nicht immer nur mit Geld zu tun hat. „Bayer erwächst, sobald der Druck des Siegen-Müssens fehlt, zu imposanter Größe. Wenn es dann all die für viel (zu viel) Geld zusammengerafften Ensembles aus England und Spanien mit Lupfern, Hackentricks und einer Eleganz vorführt, die schon an Arroganz stößt, dann ist das als Triumph für den Fußball an sich zu werten: Seht alle her, es geht mit etwas weniger Geld. Das ist ohnehin die Zukunftslosung für die in ökonomische Anarchie abgedriftete Branche.“
Christoph Biermann (SZ 02.05.02) musste erneut seinen „Blick ändern“ über den „Meister der Schmerzen“, der „in den letzten Wochen so viel Ratlosigkeit ausgelöst hat. Irgendwann schien sich Bayer Leverkusen allen Analysen entzogen zu haben. Denen für solch hinreißende Leistungen wie gegen Liverpool und in Manchester ebenso wie für die Einbrüche gegen Bremen und in Nürnberg. Doch als Toppmöller endlich sagen durfte, „unser Traum ist wahr geworden“, waren all diese Exegesen nebensächlich geworden. Der Erfolg über Manchester United und die Reise zum Finale im Hampden Park haben eine neue Realität geschaffen. „Selbst wenn wir keinen Titel holen sollten, können wir stolz auf uns sein“, sagte Michael Ballack. Im Licht des Spiels gegen Manchester United waren auch alle Spötteleien über Bayer Muffensausen oder Bayer Neverkusen hinfällig geworden.“
Thomas Kilchenstein (FR 02.05.02) zu Bayers Imagewandel: „Wenn es eine Mannschaft verdient hat, um die höchste Krone im Vereinsfußball zu spielen, dann Bayer Leverkusen. Denn der große Klub aus der kleinen Stadt hat als einziger nahezu alle europäischen Spitzenvereine aus dem Weg räumen müssen. Bayer, das sich als letztjähriger Tabellendritter gar noch zu qualifizieren hatte für einen Wettbewerb, den es jetzt womöglich gewinnt, musste sich durchsetzen gegen: Olympique Lyon, Fenerbahce, FC Barcelona, Juventus Turin, Deportivo La Coruña, FC Arsenal, FC Liverpool und jetzt Manchester United. Das ist die Crème de la Crème des europäischen Fußball-Hochadels (…) Mit den Einzug ins Finale dürfte Bayer Leverkusen auch langsam, aber sicher das Negativimage loswerden: Es wird schwer fallen, künftig von einem Plastikklub, Pillendreherverein oder von einer Betriebsmannschaft zu reden, wenn man gesehen hat, mit welchem Herzblut, welcher Leidenschaft, mit welcher Hingabe und welchem unbändigen Einsatz sich diese von Minute zu Minute mehr abbauende Elf ins Zeug legte. In diesem Spiel besonders, aber auch in vielen vorangegangenen hatte das Team, dessen spielendes Personal begrenzt ist, immer am Limit oder sogar noch drüber agieren müssen. Am Ende einer Kräfte raubenden Runde tanzt Bayer noch immer auf drei Hochzeiten.“
Michael Horeni (FAZ 02.05.02) weiß Leverkusens Siegeswille historisch einzuordnen und sorgt sich um den WM-Auftritt Deutschlands. „Der Blick in die Leverkusener Kabine und auf die Kämpfernaturen gegen Manchester auf dem Platz erinnerte an die letzte große und erfolgreiche Kraftanstrengung des deutschen Fußballs: Bei der Europameisterschaft 1996 war die Nationalmannschaft nach dem Halbfinalsieg gegen England auch nicht mehr gut zu Fuß, aber Wille und therapeutische Höchstleistungen reichten, um auch sportlich ein letztes Mal zum europäischen Maßstab zu werden (…) Der Ausfall von Nowotny, den Leverkusen gegen Manchester jetzt sogar zum zweiten Mal dank seiner Ausländer verkraften konnte, dürfte für den deutschen Fußball bei der WM zu einem konventionell kaum mehr zu behebenden Fall werden. Bayer siegt – und Völler leidet.“
Christian Eichler (FAZ 02.05.02) über die Ursachen des Misserfolgs von Manchester United. „Unverkennbar wurde, dass sich die stärkste englische Mannschaft nicht weiterentwickelt hat, dass entscheidende Spieler stagnieren und neue sich nicht zurechtfinden. Einzige Ausnahme ist der famose Ruud van Nistelrooy (…) Die erste Kritik (der englischen Öffentlichkeit, of) richtete sich vor allem gegen zwei Stellen: die Abwehr und Juan Verón.“
„Manchester hatte in der BayArena sein Unterhaching zelebriert“, schreibt Bernd Müllender (taz 02.05.02) zum selben Thema. „Manchester kopierte an diesem Abend Leverkusens Drama in Deutschland: versagen, wenn es drauf ankommt, durch unangemessene Vorsicht, gepaart mit Arroganz. Manchester musste gewinnen. Und wartete ab.“ (Volltext)
Von einem „Kulturschock in der Fußballwelt“ berichtet ein vom Leverkusener Spiel restlos begeisterter Christoph Biermann (SZ 26.04.02). „Die Mannschaft von Klaus Toppmöller kombinierte mit einer fein ineinander greifenden Reihe kurzer Pässe erfolgreich gegen das nicht nur auf der Insel tief verhaftete Bild des deutschen Fußballs an (…) spätestens am Mittwoch dürfte Bayer für einen nicht zu unterschätzenden Wandel der Wahrnehmung gesorgt haben. „Man muss schon sehr weit zurückspulen, um eine deutsche Mannschaft zu finden, die so viel Geschmack für guten Fußball hat“, schrieb El País , die gegenüber deutschen Kickern stets äußerst kritische spanische Tageszeitung in einer ausufernden Eloge. Auch die italienische Gazetta dello Sport bejubelte „die Mannschaft des rotierenden Kombinationsfußballs, die Europas Fußballadel die Schamröte ins Gesicht schreibt“. Selbst aus Holland gab es Beifall, De Telegraaf lobte zurückhaltend, aber immerhin „den gepflegten Fußball der Deutschen“. Auf der ganz großen Bühne eines europäischen Semifinals in Manchesters Theatre of dreams entpuppte sich das Team von Klaus Toppmöller gleich in doppelter Hinsicht als Idealbesetzung: Es gab den Underdog und war zugleich Bannerträger des schönen Spiels (…) Bayer begegnete dem großen Favoriten mit fußballerischen Mitteln und agierte am Ende nicht nur auf Augenhöhe. Gegen die zunehmend verwirrten und müde gespielten Engländer hätten überlegene Kreativität und Ballsicherheit schließlich sogar zum Sieg führen können. Schön war das anzuschauen, leicht, elegant und so undeutsch, dass Manchester United daneben fast schwer wirkte (…) Trotz aller Konzentration, trotz des unbeugsamen Kampfeswillen, den Leverkusen ebenfalls aufbrachte, hatte dieser Teilerfolg für Bayer eine fast leichte Note und wurde mit einem Lächeln auf den Lippen errungen.“
Michael Horeni (FAZ 26.04.02) über Bayers „rauschhaftes Erlebnis“. „Von der ersten Minute an hatte sich Leverkusen darangemacht, seinen wundersamen Aufstieg in die europäischen Höhen von Manchester, Madrid und Barcelona spielend auf die Spitze zu treiben. Von Ehrfurcht gegenüber der englischen Fußball-Großmacht oder von Selbstzweifel nach dem letzten Bundesliga-Rückschlag war rein gar nichts zu spüren. Zur allgemeinen Verblüffung brachte erst der unglückliche Rückstand nach einer knappen halben Stunde durch Solskjaer, dessen Schuss von Boris Zivkovic ins eigene Tor abgefälscht wurde, das Beste hervor, was Bayer zu bieten hat. Das exzellente Mittelfeld mit einem diesmal besonders beeindruckenden Bastürk sowie Schneider, Zé Roberto und Ballack trieb mit Manchester dann sein atemberaubend schnelles und sicheres Kurzpaßspielchen, bei dem die englischen Seriensieger nicht mehr mitkamen (…) Nach knapp einer Stunde jedenfalls, als die Leverkusener Kombinationen in der Hälfte von Manchester kein Ende nehmen wollten, war auch atmosphärisch ein Punkt erreicht, den weder Borussia Dortmund noch Bayern München bei ihren Erfolgen auf dem Weg zum Sieg in der Champions League in Old Trafford zu erleben vergönnt war. Mit jedem Leverkusener Ballkontakt wurde die dröhnende Masse immer ruhiger, bis für einige Sekunden im Stadion nur noch Raum war für ein unheimliches, stilles Staunen.“
Die Engländer scheinen „die Konkurrenz aus Deutschland nicht richtig für voll genommen“ zu haben, schreibt Martin Hägele (NZZ 26.04.02). „Manchester United erweckte nicht den Eindruck, als sei der Leader der Bundesliga eine besonders hohe letzte Hürde vor dem Final in Glasgow. In Old Trafford hat man diesen deutschen Vertreter empfangen, als gehörten die Professionals aus der 160000 Einwohner zählenden Stadt und mit einem 22 000 Zuschauer fassenden Stadion nicht in eine Kategorie mit den europäischen Superschwergewichten. Weiss der Teufel, wie diese Deutschen ohne Superstars auf ihrer Reise durch Europa deren Hautevolee geschockt hatten wie beispielsweise den FC Barcelona oder gar aus dem Geschäft eliminierten wie Arsenal, Juventus und den FC Liverpool. An der prominentesten Fußball-Adresse des Mutterlandes würde der Marsch der deutschen Aufsteiger, die noch nicht einmal einen einzigen nationalen Meistertitel besitzen, deren Nerven man blosslegen kann, indem man sie nur mal nach ihrer Niederlage in dem bayrischen Dorf Unterhaching fragt –, was die englischen Reporter in der Pressekonferenz am Tag vor dem Spiel auch fleißig getan haben – hier würde die Fußball-Filiale vom Weltkonzern ihre Grenzen aufgezeigt bekommen.“
Nach den Spiel gab es jedoch reichlich Anerkennung für die Bayer-Elf seitens der Engländer, erfahren wir von Raphael Honigstein (FR 26.04.02). „You‘ll never walk alone, ausgerechnet die Hymne des Rivalen FC Liverpool, schallte fast akzentfrei aus der Ecke der Bayer-Fans. Selbst auf der gegenüberliegenden Seite des Stadions, über dem Spielertunnel, wurden die Deutschen gefeiert. Ein paar Tausend United-Fans hatten extra ausgeharrt, um Michael Ballack und Carsten Ramelow mit Ovationen im Stehen zu verabschieden. So viel Anerkennung für die Leistung des Gegners hatte es in Old Trafford zuletzt vor zwei Jahren gegeben; damals hatte Real Madrid hier auf dem Weg zum Gewinn der Champions League mit 3:2 gewonnen.“
„Fulminante Angriffsoperationen“ hat Erik Eggers (taz 26.04.02) gesehen. „Es war nicht anderes als eine veritable Sensation, die sich der Welt des Fußballs am Mittwoch in Old Trafford bot, in diesem von Bobby Charlton einst als Theater der Träume bezeichneten Stadion. Mit einem breiten Kreuz und einem famosen Willen ausgestattet, hatten die Leverkusener zweimal einen Rückstand in einer Art und Weise aufgeholt, die ein großes Team von einer gewöhnlichen Fußballmannschaft unterscheidet. Zweimal zogen sie völlig unbeeindruckt weiterhin ihr fantastisches Kombinationsspiel durch und kamen so zu derartig klaren Möglichkeiten, dass eine Niederlage an diesem Tage im Bereich des Unmöglichen lag.“ (Volltext)
Martin Hägele (NZZ 26.04.02) über mögliche Auswirkungen auf Bayers Meisterschaftschancen. „In aller Euphorie schwebte auch Trainer Toppmöller temporär auf Wolke sieben, den Bodenkontakt verlor er trotzdem nie. Weil im Bayer- Team die Bundesliga absolute Priorität geniesse, habe er Nowotny, Berbatow und Bastürk ausgewechselt: Sie wurden im Hinblick auf Nürnberg geschont. Möglicherweise sieht die fränkische Metropole am Samstag ja den neuen deutschen Meister. Das 2:2 vom Mittwoch könnte nämlich bei Ballack und Kollegen die entscheidende Portion Selbstvertrauen freisetzen.“ (Volltext)
Mit der schwierigen Aufgabe Bayer Leverkusens bei Manchester United befasst sich Michael Horeni (FAZ 24.04.02). „Trainer Klaus Toppmöller konnte auf der internationalen Pressekonferenz am Tag vor dem größten Auftritt des fast einhundert Jahre alten Werksklub richtig ärgerlich werden, als er sogar auf englisch auf die vermeintlich notorische Versagensangst von Bayer angesprochen wurde: Wir stehen im Halbfinale der Champions League, sind Tabellenführer der Bundesliga und stehen im Pokalfinale. Nennen Sie mir einen Matchball, den wir in dieser Saison nicht verwandelt haben, sagte Toppmöller, nachdem das Schreckenswort Unterhaching sogar den Sprung über den Kanal bis vor die Tore von Old Trafford geschafft hatte. Der Unmut ist verständlich für einen Trainer, der seine Mannschaft in Europa auf eine Stufe mit Manchester United, Real Madrid und dem FC Barcelona geführt hat, aber für den die aktuelle Bezugsgröße immer noch ein Münchner Vorort sein soll – und nicht etwa der Finalort Glasgow. Also erhofft sich Toppmöller, als wäre nichts gewesen, dass sein Team beim großen Favoriten die Basis schafft, um im Heimspiel die große Sensation zu packen. Aber auch wenn sich der Trainer bei der prickelnden Bayer-Dienstreise am liebsten nur mit den Stars wie Barthez, Blanc, Verón, Giggs und van Nistelrooj befassen würde – die Bundesliga holte ihn in Manchester ein.“
Christoph Biermann (SZ 24.04.02) zum selben Thema. „Nach der Niederlage gegen Werder Bremen hat sich beim Tabellenführer der Bundesliga wieder ein wenig Zauber der großen, weiten Welt eingestellt. Doch das Spiel bei Manchester United ist kein isolierter Feiertag, sondern Teil einer schwierigen Dialektik auf der Zielgerade der Saison. Gerard Houllier, der Coach des FC Liverpool, hatte nach dem Ausscheiden seines Teams aus der Champions League gegen Leverkusen die Niederlage auch damit erklärt, dass der Gegner fliegen würde. Bayers spektakuläre Ergebnisse der letzten Wochen entsprangen einer Art von Dauerrausch, bei dem sich die Erfolge wechselseitig anstießen: Siege in der Bundesliga sorgten für Sicherheit in den internationalen Spielen, Triumphe in der Champions League beeindruckten die Gegner in der nationalen Konkurrenz. Dieser Mechanismus ist nach der Niederlage gegen Bremen zumindest ausgesetzt.“
Martin Hägele (FR 24.04.02) über die möglichen Wechselwirkungen von Champions League und Bundesliga. „Bayer darf nicht hoch verlieren in Old Trafford und keinesfalls seine Moral, denn sonst setzt sich schon vor der Weiterreise nach Nürnberg ein psychologischer Prozess in Gang, den nicht einmal die wortgewaltigen Toppmöller und Calmund stoppen können. Wenn dieses bayerische Dorf Unterhaching die Gedanken der Bayer-Kicker besetzt, ist es nicht mehr weit bis zum nächsten Meister der Herzen. Bei Schalke gibt man den Titel gern zurück.“
Raphael Honigstein (taz 24.04.02) beschreibt, wie Manhester Unitend seinen deutschen Gegner wahrnimmt. „Trotz bestechender Leistungen in der Bundesliga und einem famosen Sieg gegen Liverpool im Viertelfinale weiß man auf der Insel mit dem Team von Trainer Klaus Toppmöller noch immer nichts Rechtes anzufangen. Mit seinem eleganten Angriffsfußball und dem Ruf des ewigen Zweiten mag das Team so gar nicht in das in England gepflegte Klischee von den Deutschen – ergebnisorientierte Kämpfer mit eisernem Siegeswillen, aber beschränkten spielerischen Möglichkeiten – passen.“ (Volltext)
Manchesters Trainer Alex Ferguson „sieht nun Hände reibend, wie sich nach Ruud van Nistelrooy und Laurent Blanc auch seine dritte große Akquisition zu amortisiern scheint“, schreibt Christian Eichler (FAZ 24.04.02). „Nun kann der 27jährige Argentinier ein Zauberkunststück vollenden, das, weil der Cupsieger-Wettbewerb ausgestorben ist, wahrscheinlich keinem anderen mehr gelingen wird: den Gewinn aller drei Europapokale. Dazu muss Verón mit Manchester United die Champions League gewinnen, an diesem Mittwoch also das zentrale Mittelfeldduell mit dem Leverkusener Ballack für sich entscheiden. Für den Argentinier ist es die Chance, die englischen Fans zu versöhnen am Ende einer Saison, in der er die Transfersumme von 90 Millionen Mark, die höchste des britischen Fußballs, nicht immer rechtfertigen konnte. Alex Ferguson sieht die Kosten-Nutzen-Rechnung seines teuersten Einkaufs anders, schließlich ist Kritik an Verón auch Kritik an ihm (…) Der Trainer des englischen Meisters hat vor zwei Wochen von einer Hexenjagd gesprochen; einer Hexenjagd der englischen Medien. Er bediente sich dabei eines bewährten, bequemen Erklärungsmusters: der argentinisch-englischen Animosität. Seit England gegen Argentinien für die WM gelost wurde, gibt es eine Kampagne gegen Seba. Natürlich haben, mehr als die WM-Auslosung, Verón und Ferguson selbst zu der negativen Rezeption beigetragen: Verón, weil er mit dem Tempo und der Intensität des englischen Fußballs zunächst nur schwer zurechtkam, weil er überdies in seiner kühlen, kontrollierten Art nicht dem auf der Insel populären Beißertyp entspricht; Ferguson, weil er lange brauchte, um für Verón die passende Rolle zu finden.“
„Die Essenz des Fußballs heißt Real Madrid gegen den FC Barcelona“ weiß die FAZ (23.04.02) über die Stimmung im Land im Vorfeld des spanischen Duells CF Barcelona gegen Real Madrid zu berichten. „Noch nicht einmal im heimischen Stadion gilt Barcelona als Favorit. Die Katalanen haben in diesem Jahr sehr unterschiedlich gespielt (…) Für die „Königlichen“ (Real, of) wäre es unerträglich, wenn sie sich im Rückspiel am 1. Mai im heimischen Bernabeu-Stadion ausgerechnet zum hundertjährigen Vereinsbestehen dem alten Rivalen geschlagen geben müssten.“
Barcas introvertierter Abwehrspieler Patrick Andersson muss im Hinspiel verletzungsbedingt pausieren, könne sich jedoch der Faszination des Spiels nicht entziehen, schreibt Ronald Reng (taz 23.04.02). „Niemand in Spanien kann diesem geschichtsbeladenen Spiel entkommen, auch Andersson nicht, der sagt, er lebe im Tunnel: „Ich schaue nur nach vorne, einzig darauf konzentriert, dass ich wieder fit werde.“ Aber ein bisschen von dem Wirbel um Barça gegen Real, Katalonien gegen Spanien, Eigensinn gegen Hochmut, ist auch durch seine selbst errichteten Schutzwände gedrungen. Der Glaube, die eleganteste Elf der Welt zu haben, gegen die Meinung, das beste Team der Galaxis zu sein. „Es gibt kein vergleichbares Spiel“, sagt Andersson.“ (Volltext)
Über Alex Fergusons – Manager von Manchester United – einprägsames Kindheitserlebnis im Glasgower Hampden Park berichtet Erik Eggers ( Tagesspiegel 23.04.02). „Im Mai 1960 gewann hier Real Madrid zum fünften Mal in Folge den Europacup der Landesmeister. Angeführt vom argentinischen Strategen Alfredo di Stefano, gewann Real 7:3 gegen Eintracht Frankfurt. Vier Tore schoss di Stefano, drei sein kongenialer Partner Ferenc Puskas. Reals Spielkunst war derart überragend, dass die BBC dieses Spiel 30 Jahre lang zu Weihnachten wiederholte – und die britischen Fußballfans haben dieses Geschenk immer als solches zu würdigen gewusst. Am Ende des 20. Jahrhundert wählte es das Fachmagazin Four-Four-Two zum „Spiel des Jahrhunderts. Gento, Puskas und Santamaria wirkten damals so überirdisch, dass sich selbst ihre Gegner nach dem Spiel von ihnen Autogramme erbaten. Jeder Spieler von Real Madrid war eine Legende, und Alex Ferguson hat diese lebende Legenden bewundern dürfen. Als einer von über 130 000 Zuschauern im ausverkauften Hampden Park. Jetzt träumt Ferguson, einen Sieg im Halbfinale gegen Bayer Leverkusen vorausgesetzt, von einem Finale gegen eben jenen Klub. Aber diesmal soll Real Madrid verlieren.“ (Volltext)
Walter Haubrich (FAZ 25.04.02) über die Ursachen des Erfolgs von Real. „Real Madrid gewann, weil es Stärken aus seinen traditionellen Schwächen – Torwart und Abwehr – ziehen konnte (…) El Mundo Déportivo, eine dem CF Barcelona eng verbundene Sporttgeszeitung, schrieb hämisch, Madrid habe nach seinen vielen Spielen gegen die Bayern von diesen wohl endlich das Verteidigen gelernt.“
Ronald Reng (taz 25.04.02) über ein Kompliment, das die Madrilenen jedoch nicht als Kompliment begriffen. „Real Madrid war Bayern München an diesem Abend. Das war die Ironie des Spiels – und natürlich wollte sie kein Madrilene erkennen. Achtmal in den vergangenen drei Jahren spielte Real gegen Bayern, jedes Mal blickten sie herab auf den Münchener Hang zur Defensive. Bayern verteidigt nur, das ist primitiver Fußball, sagte etwa Abwehrspieler Francisco Pavón, als sich vor zwei Wochen im Viertelfinale die Wege kreuzten. Am Dienstag spielte Real mit fünf Verteidigern und begnügte sich mit vereinzelten, dann aber hinreißend schönen, meist von Stürmer Raúl González initiierten Kontern: Genauso wie der FC Bayern, als er vergangenes Jahr im Halbfinale 1:0 in Madrid gewann. Noooooo!, rief Sportdirektor Jorge Valdano, geradezu erschrocken über den Vergleich. Bayern hatte damals eine einzige Torchance, sagte er und streckte einen, den Zeigefinger, geradezu anklagend aus. Wir hatten heute sieben Torchancen, er streckte fünf Finger aus. Dabei war es doch als Kompliment gemeint: Dass Real schönen Angriffsfußball spielen kann, ist bekannt; mit ihrem Verteidigungsakt in Barcelona bewiesen sie aber, dass sie eine rundum starke Elf sind. Aber es war unmöglich, ihnen das zu sagen.“ (Volltext)
Felix Reidhaar (NZZ 25.04.02) über den Unterschied der beiden spanischen Klubs an diesem Abend. „Oberflächlich betrachtet sehr schwungvoll und tempostark im Angriffsspiel, bestechend im Raum organisiert und mit individuellen Vorzügen, fehlten ihr Ideengeber wie Vollstrecker. Je länger das Geschehen dauerte und je ungünstiger es sich für die Barcelonesen entwickelte, desto mehr wurde man der Gleichförmigkeit und Umständlichkeit im Vorgehen nach vorne gewahr (…) Wie viel zielstrebiger und direkter gingen da doch die Madrilenen vor! Wann immer sie es für ratsam erachteten, beschleunigten sie das Spiel in die Tiefe oder verlangsamten es mit Quer- und Rückpässen. Dank diesen Tempovariationen, aber ohne je überzeugen und sich beeilen zu wollen, bestimmten sie gegen einen zunehmend angeschlagenen Rivalen den letzten Drittel der Partie. Dass Barça auch in der zweiten Halbzeit ungleich mehr und länger in Ballbesitz blieb, änderte an dieser Aussage nichts.“ (Volltext)
Die NZZ (24.04.02) über das Zustandekommen des Madrider Auswärtserfolgs. „Der in der ersten Halbzeit hochklassige, überdurchschnittlich schnelle und fast ausschließlich von den Barcelonesen bestimmte Match erfuhr zehn Minuten nach Wiederbeginn die entscheidende Zäsur – wie ein Blitz stellte sich die Real-Führung ein, unvermittelt legte sich betretene Ruhe über die Arena. Zidane, bisher so wirkungsvoll kontrolliert, entwich erstmals seinem Bewacher und lupfte den Ball überlegt über den auf dem Torraum postierten Goalie Bonano -Verlauf und Kräfteverhältnis bis zu diesem Zeitpunkt waren auf den Kopf gestellt. Unvermittelt büßte der FC Barcelona an Unwiderstehlichkeit ein, er griff zunehmend ideenloser an, erwies sich im Abschluss als zahm und kaum durchschlagskräftig, auch weil Leute wie der Nachwuchsstar Saviola keine Entfaltungsmöglichkeiten gegen die Abwehrrecken Reals fanden. Bestärkt durch die Führung und wegen der Reaktion des Gegners mit mehr Freiheiten zur Angriffsauslösung, blieb die Mannschaft Del Bosques fortan effizienter mit Gegenstößen und stand weiteren Treffern ungleich näher als die umständlichen Katalanen, die an Elan und Esprit verloren.“ (Volltext)
Mit der Situation des mittlerweile wieder favorisierten Klubs Manchester United befasst sich Christian Eichler (FAZ 22.04.02) und nimmt insbesondere einen Spieler ins Visier, der in der Zwischenzeit bereits als Fehleinkauf gehandelt wurde. „Längst hat United zur alten Abwehrstärke zurückgefunden. Die große Konstante heißt Blanc (…) Seine staatsmännische Ruhe machte die Viererkette der Franzosen mit den Kollegen Desailly, Lizarazu und Thuram von 1994 bis 2000, bis zu Blancs Rücktritt nach 96 Länderspielen, zur sichersten in der Geschichte des Fußballs. Wer die meisterlichen Auftritte der „Bleus“ sah, musste sich immer wieder wundern, wie das mit einem derartig bewegungsökonomischen Abwehrchef möglich war. Der Präsident der Equipe Tricolore schien den profanen Regeln des Verteidigerlebens enthoben. Es war ein Wunder des modernen Fußballs: Im imme ratemloser gewordenen Spiel stand Blanc für die Wiederentdeckung der Langsamkeit.“
Die deutsche Presse bezeichnet den Sieg Real Madrids über den FC Bayern als gerecht und sieht im Ausscheiden des Champions-League-Siegers das Ende einer Ära eingeläutet, das mit dem Namen Stefan Effenbergs verbunde ist.
Philipp Selldorf (SZ 12.04.02) über das Spiel zweier ungleicher Mannschaften. „Die Bayern haben mit all ihren störrischen Mitteln eine letzte Anstrengung unternommen, den übermächtigen Gegner verzweifeln zu lassen. Aber was waren das für bescheidene Mittel? Die Mannschaft wirkte wie programmiert, ohne Geist und Leben, und so bestand ihre einzige Methode darin, sich mit maschineller Routine gegen die stürmischen Spanier zu verteidigen. Wo Real dank überlegenem Pass-Spiel Meter für Meter vorwärtsdrängte, das Mittelfeld in einer Weise beherrschte, die schon unfair wirkte, gaben bei den Bayern nur die beiden Spieler eine gute Figur ab, die per Definition für den Kampf ums reine Überleben ausersehen sind: Die beiden Innenverteidiger Robert Kovac und Thomas Linke.“
In Anbetracht der Tabellensituation in der Bundesliga sieht er die europäischen Ambitionen der Münchner in Gefahr:
„Werden die Europacup-Abenteuer des FC Bayern demnächst dienstags um 14.15 Uhr schwarz-weiß in Craiova aufgeführt?“
Rainer Seele (FAZ 12.04.02) zum Spiel und zur Lage der Bayern. „Nahezu ständig mußten sie Angriffe der Spanier über sich ergehen lassen, und sie selbst waren kaum einmal imstande, zu kontern – auch deshalb, weil ihre Mittel am Mittwoch sehr begrenzt waren. Immerhin hielt der Deckungsverbund des FC Bayern fast 70 Minuten lang dem enormen Druck von Real Madrid stand (…) Der FC Bayern steht ein Jahr nach den Triumphen in der nationalen Meisterschaft und im wichtigsten europäischen Vereinswettbewerb mit nichts da als dem Weltpokal, der zu nichts berechtigt; der keine Türen öffnet zu Bühnen des Fußballs, die Geld und Glanz verheißen. Harte Zeiten also für einen zuletzt vom Erfolg verwöhnten Klub. Das ist die neue, ernüchternde bayerische Realität (…) Die Zeit der Festspiele ist erst einmal vorbei für den FC Bayern München.“
Im Leitartikel des Sportbuchs skizziert Seele (FAZ 12.04.02) die Zukunftsaussichten der Münchner. „In Madrid endete gleichwohl eine Ära. Den Meistern von gestern fehlte die Willenskraft, es sich und aller Welt noch einmal zu zeigen. Von der einstigen Stärke, in dem Moment der Bewährung besser als die anderen zu sein, war nichts mehr zu sehen. Auch in der Liga ist die Verwundbarkeit der in die Jahre gekommenen Stars deutlich geworden (…) Fest steht, dass der Umbruch schnell vollzogen werden muss, da der Erfolg bald wieder zum Dauerbegleiter des deutschen Fußball-Rekordmeisters werden soll. Das ist jetzt die große Herausforderung für Trainer Ottmar Hitzfeld. Eine schwierige Mission.“
Thomas Kistner (SZ 12.04.02) zum selben Thema. „So uninspiriert das Gekicke des teuren Personals zuletzt war, das in der Vorsaison alles erobert hatte, was es zu erobern galt (und danach prompt im Motivationsloch versank), so meisterlich sind die Geschäftsabschlüsse der neuen Bayern AG. Auch abseits des Transfermarkts wurde jetzt die Ernte aus den jüngsten Erfolgsjahren eingefahren (…) Dass nach den Triumphen des Vorjahrs nicht sofort der radikale Schnitt gemacht wurde (wie nun viele fordern), hat dem Klub kaum geschadet. Tiefer wären die Kratzer am Image gewesen, hätten sie die Helden des rauschhaften Fußballsommers 2001 gleich nach dem Abpfiff – ja: abserviert. Nun konnten sich alle erholen von der Münchner Siegmaschine.“
Michael Witt (Die Welt 12.04.02) über „die Bruchlandung der Bayern“. „Mutig hatte Hitzfeld vor der Saison sechs Trophäen als Ziel ausgegeben: Meisterschaft, DFB-Pokal, Champions League, Ligapokal, Supercup und Weltpokal. Letzterer wurde es dann – immerhin.“ (Volltext)
Ronald Reng (FR 12.04.02) über „die internationale Abschiedsvorstellung von Stefan Effenberg“. „Zwar hatte der 2:1-Sieg über Real im Hinspiel Illusionen geweckt; doch schon da waren die Grenzen der Münchener sichtbar geworden. Nur mit einer herkulischen Kraftanstrengung hatten sie die Madrilenen niedergerungen. So etwas lässt sich nicht jede Woche wiederholen. All das ist am Mittwoch bestätigt worden. Das Ausscheiden war ganz logisch. Engagiert und geschickt tat der FC Bayern, was er immer noch kann: Verteidigen (…) Das Publikum in den großen Stadien Europas wird Effenberg vermissen: seinen liebsten Bösewicht (…) Die Zuschauer warfen alles. Gummibärchen, Feuerzeuge, Tonbänder, ihre Brillen. Man muss ihn nicht mögen, aber das sagt alles: Wie viel Effenberg als Fußballer erreicht hat. Für welchen Spieler sonst reißen sich Zuschauer ihre Brille von der Nase, werfen sie aufs Spielfeld und verfolgen den Rest der Partie kurzsichtig? (…) 90 Minuten lang hatte Effenberg Real Madrids Verteidiger Roberto Carlos einfach weggerempelt, Luís Figo angebrüllt, Fernando Morientes brüsk gefoult; all die Sachen, die Effenberg immer macht, um sich aufzupuschen. Und auf einmal lag er denen, die er angepöbelt hatte, in den Armen. Er klammerte sich an Reals Spieler, als spüre er, dass er sie nicht mehr wieder sehen würde; sie, die Spieler und sie, die große Zeit. Ein Team ist in der Mittwochnacht im Bernabeu-Stadion am Ende seiner Zeit angekommen.“
Alexander Steudel (Die Welt 12.04.02) spricht bezüglich des personellen Umbruchs vom „Ende einer Monarchie“. „Die sorgfältig entwickelte, hierarchische Struktur bricht auf einen Schlag zusammen. Ein Machtvakuum entsteht. Ballack ist kein Monarch wie Effenberg und muss klein anfangen. Wenn Effe schrie, schwiegen die anderen. Wenn Ballack gleich schreit, werden sie erst mal lachen. So ist das eben bei den Bayern.“ (Volltext)
Die NZZ (12.04.02) über das Duell. „Das Duell auf dem Rasen war ein Abnützungskampf mit komplementären Rollen. Auf der einen Seite die Madrilenen, pfeilschnell, gereizt, in zyklischen Schüben auf das Bayern-Tor stürmend; auf der andern ein stolzer deutscher Riese, wankend in der Abwehr-Festung. Vereinzelten Vorstössen Vorwärtsdrang des Platzklubs gegenüber.“ (Volltext)
Reiner Wandler (taz 12.04.02) sah einen „spielerischen Insolvenzantrag“. „Nach vielen großen Worten lässt Bayern München die entsprechenden Taten vermissen (…) Egal, wer ins Finale der Champions League einzieht. Der Gewinner in Europa ist einmal mehr der spanische Fußball, der mit drei Mannschaften im Viertelfinale stand und zum dritten Mal in Folge mindestens einen Klub im Endspiel hat.“ (Volltext)
Philipp Selldorf (SZ 12.04.02) kommentiert die Abgesänge auf die Bayern. „So spricht man über einen einst famosen Schauspieler, der seine Rolle nicht mehr erfüllen kann, weil ihn die Zeit überholt hat. Man lobt ihn – und wünscht ihn in den Ruhestand. Aber vielen Fußballern, und besonders den Größten, fällt es schwer, den richtigen Punkt für den Rückzug zu treffen. Dieser Tage hat der Nationalspieler Marco Bode seinen Abschied nach der WM versprochen, im relativ geringen Alter von 32 Jahren, und dann denkt man an Stefan Effenberg und dessen letztes Jahr beim FC Bayern, das eines zu viel war. Immer noch sucht Effenberg, bald 34, ein berühmtes Theater, das ihn beschäftigt; doch die Adressen, die sich für ihn finden, bleiben bescheiden. Was für ein Jammer, dass große Spieler wie Effenberg für das Geschäft ihren Ruf und ihr Ansehen als Legende vergeuden.“
Jörg Hanau (FR 12.04.02) über den verspäteten Abgang Effenbergs. „anstatt abzudanken, erfüllte er seinen Vertrag. In gutem Glauben sicherlich – heute, elf Monate nach dem Triumph von Mailand, wissen er und die sich stets schützend vor ihn stellenden Ottmar Hitzfeld und Uli Hoeneß um das falsche Timing. Mit ihm – und nur mit ihm, hieß es damals, sei der FC Bayern in der Lage, die Champions League zu gewinnen. Der Erfolg gab ihnen recht. Der Glaube aber, nur mit dem international angesehenen Effenberg könne der Klub den Titel wiederum verteidigen, führte die Bayern ins Abseits.“
Christoph Kieslich (Tagesspiegel 12.04.02) über Bayerns Konkurrent aus Leverkusen. „Bayer hat dem FC Bayern auf dem Fußballplatz den Rang abgelaufen, was an der Bundesligatabelle abzulesen ist und spätestens mit dem hinreißend herausgespielten 4:2 gegen Liverpool auch einem breiteren Publikum bewusst geworden sein dürfte.“ (Volltext)
Peter Burghardt (SZ 12.04.02) über den engagierten und bisweilen aggressiven Auftritt Reals. „Real entledigt sich des Angstgegners souverän, aber stillos (…) Real Madrid wollte Rache mit allen Mitteln, statt gegen seinen Angstgegner wieder in Schönheit zu sterben. Also wurde nicht bloß gedribbelt und kombiniert, sondern auch gegrätscht und getreten.“
Spanische Pressestimmen
As: Die 9. Sinfonie. 50 Sturmläufe, 16 Ecken, 2 Tore. Übermächtige Überlegenheit von Real. Ein Schlag gegen die Arroganz. Die feige Taktik der Bayern wurde brutal zerstört. (…) Es wird kein Viertes Reich geben!
Marca: Das habt ihr nun davon. Real zerquetschte die Bestie. Adios Bayern, die ihren Stolz schlucken mussten. 2:0 – und das Großmaul Kahn als Torwart (…) Dieser Kahn sollte lieber nicht als Hellseher arbeiten. Man hatte nie das Gefühl, dass die Bayern den Ball kontrollieren wollten.
Sport: Bayern übergab das Kommando an Real. So ist bei den Weißen nichts zu holen. Jetzt Barcelona gegen Real: Das Duell des Jahrhunderts.
El Mundo Deportivo: Bayern zerbricht. Real schlägt schwache Bayern in einem epischen Spiel. Reals Offensivtaktik ging voll auf. Der deutsche Meister kam inKriegsstimmung und verlor.
Ronald Reng (SZ 11.04.02) lobt die risikohafte Spielweise des FC Barcelona im Halbfinale gegen Panathinaikos Athen (3:1). „Nach sieben Minuten bereits 0:1 durch eine feine Einzelaktion des griechischen Stürmers Michalis Konstantinou im Rückstand, trieb Barcelonas Trainer Carles Rexach das Risiko in ungeahnte Dimensionen: Er spielte, was es kaum einmal auf diesem Niveau gegeben haben dürfte, mit fünf Stürmern. Rivaldo, Kluivert und Saviola in vorderster Reihe, Overmars und Enrique leicht zurückversetzt auf den Flügeln. Der wunderbar energische spanische Nationalspieler Luis Enrique mit zwei Treffern sowie der Argentinier Saviola brachten Barca den notwendigen Zwei-Tore-Vorsprung. Und dann standen sie da, mit all ihren Weltklasse-Angreifern, und mussten auf einmal verteidigen, eine halbe Stunde lang. Wie Barca litt! Am Ende kam es mit dem Schrecken davon; was so langsam das Leitmotiv ihrer Saison wird. Dieses Barca, das sich nach der individuellen Stärke der Spieler gemessen mit jeder Elf der Welt vergleichen könnte, ist ein Synonym für Wahnwitz. Große Momente wechseln permanent mit kläglichen Spielen. Mit der Qualifikation fürs Halbfinale bekommt die Saison wenigstens etwas Versöhnliches.“
Die NZZ (11.04.02) berichtet von den Gerüchten um einen dortigen Trainerwechsel. „Angeblich kann selbst ein Triumph in der Champions League den umstrittenen Coach, der in der Mannschaft wenig Rückhalt hat, nicht mehr retten. Nachdem Wunschkandidat Fabio Capello seinen Vertrag in Rom kürzlich verlängert hat, werden nun Xavier Irureta von Deportivo La Coruña, der Argentinier Carlos Bianchi und auch Jupp Heynckes in den spanischen Medien als mögliche Nachfolger von Rexach gehandelt.“ (Volltext)
Die deutsche Presse stimmt Lobeshymnen auf das Team von Bayer Leverkusen an, nachdem dieses im Rückspiel des Champions-League-Viertelfinals den FC Liverpool in einem dramatischen Spiel mit 4:2 bezwingen konnte und damit das Halbfinale der Champions League erreichte.
Thomas Kilchenstein (FR 11.04.02) schreibt. „Bayer Leverkusen im Halbfinale der Champions League. Daran mochte vorher kaum einer glauben. Und hat wahrscheinlich auch keiner – außer vielleicht Klaus Toppmöller, dieser langsam immer unheimlicher werdende Zampano, und seine Spieler. Vier Tore gegen den FC Liverpool? Undenkbar eigentlich (…) Der Sieg gegen Liverpool war tatsächlich eine Sternstunde des Fußballs, ein nahezu „perfekter“ (Michael Ballack) Abend, in der den Leverkusenern praktisch alles gelang. Vor allem im zweiten Abschied, als ich so oft wie nie die Taktik ändern musste (Toppmöller), spielte sich Bayer in einen Rausch und die „Reds“ schwindelig. Hoch und runter wogte die bemerkenswerte Partie, 1:1 zur Pause, raus aus dem Wettbewerb, 3:1 binnen vier Minuten, wieder drin, 3:2 zehn Minuten vor Ende, wieder raus, dann kommt Lucio, dieser momentan beste Spieler in der Liga, und hämmert den Ball von schräg ins Tor. Weiter. In Leverkusen machen sie derzeit alles richtig, macht Klaus Toppmöller alles richtig. Was dieser, zu Unrecht von vielen noch immer nicht ganz für voll genommene Trainer, aus Bayer Leverkusen binnen eines Dreivierteljahres gemacht hat, ist imponierend.“
Udo Muras (Die Welt 11.04.02) zum Leverkusener Triumph. „Ein paar Unverbesserliche mögen ruhig noch widersprechen, aber spätestens seit Dienstag hat der Verein Bayer 04 Leverkusen eine Seele. Wer in einem derart wichtigen Spiel einen so grandiosen Fußball bietet und ihn auch noch mit dem, was man deutsche Tugenden nennt, verbindet, verdient hier zu Lande endlich höchste Beachtung. Verdient Zuneigung. Verdient Sympathie. Und verdient, nicht länger Plastikklub gescholten zu werden (…) Wer Fußballästhet ist, muss Leverkusen sehen, jeden Samstag. Wer leiden will, guckt die Bayern.“ (Volltext)
Uwe Marx (FAZ 11.04.02) über Leverkusens hierzulande ungewöhnichen Offensivstil. „Diesmal schwärmte niemand von hochgekrempelten Trikotärmeln, umgepflügtem Rasen oder eingedrückten Schienbeinschonern. Vielmehr war der Sieg von Bayer ein Erfolg des schönen, des offensiven, des technisch guten Fußballs. Wer den Fußball auch als ein ästhetisches Vergnügen versteht und nicht als bloße Torezählerei, durfte sich an diesem Abend als Gewinner fühlen (…) Die Anerkennung wächst. Keine unwichtige Entwicklung für einen Verein, der seit Jahren um ein Stück mehr Popularität und öffentlicher Anerkennung kämpft (…) denn national wie international gibt es derzeit nur wenige Konkurrenten, die zu dieser Spielkunst fähig sind.“
Christoph Biermann (SZ 11.04.02) zum selben Thema. „Es war vor allem ein Sieg des besseren Fußballs, von dem sich Bayer in keiner Phase abbringen ließ, und der einer Fülle von taktischen Volten (…) Bayer verdiente sich das Weiterkommen über beide Partien betrachtet durch den Willen zum Offensiv- und Kombinationsfußball.“
Bernd Müllender (taz 11.04.02) erinnert dabei gleichzeitig an „tragische Züge“ und meint damit Bayers Verlust vermutlich einiger Stars an die Konkurrenz. „Allmählich wird es Zeit, erste Seiten im Geschichtsbuch des deutschen Fußballs für dieses Bayer Leverkusen zu verfassen: Soll man den permanenten Angriffswirbel, diese zweimal wöchentliche wundervolle Demonstration von Raffinesse, leichtfüßigem Spielwitz und dynamischem Ballstreicheln allmählich auf eine Stufe stellen mit Mönchengladbachs Konterkicken der 70er? Oder ist es, in Zeiten nüchternen Erfolgsfußballs, längst viel mehr? Ein ekstatisches Aufbegehren gegen die kalte Rationalität zeitgenössischen Ballbewegens (…) Ballack lässt sich ab Sommer an den fetten Brüsten des FC Bayern nähren. Für Dynamikmonster Lucio, der zum entscheidenden 4:2 eindrosch (84.), hat halb Fußball-Europa die Netze ausgelegt. Und Zé Roberto, der derzeit unstoppbare Linksfuß mit den Körperdrehungen jenseits aller Gravitationsgesetze, ist angeblich auch mit den hemmungslosen Wilderern aus dem Hause Hoeneß handelseinig. Toppmöller verriet in einem konjunktivischen Nebensatz den wahren Stand der Dinge: Wir hätten gerne mit beiden weitergearbeitet. Das ist das Traurige am Fußball und an Bayer 2002. Das Diktat des Geldes macht ein wunderbares Team kaputt. Und das Groteske: Früher, zu Werksclubzeiten, stand gerade Bayer 04 für grenzenlose Zahlungsmöglichkeiten.“ (Volltext)
Christoph Biermann (SZ 11.04.02) über die Perspektiven des Klubs nach dessem „melancholischen Flug zu den Sternen“. „Noch ist nicht entschieden, was diese Mannschaft in diesem Jahr alles erreichen wird. Calmund räumt ihr auch in den Halbfinalspielen der Champions League „eine Chance von 40 Prozent“ ein, das Finale in Glasgow zu erreichen. In der Bundesliga geht das Team mit vier Punkten Vorsprung in die letzten vier Spiele, und fürs Pokalfinale in Berlin ist es qualifiziert. Schon jetzt kann man sagen, dass es eine großartige Mannschaft ist. Aber auch, dass es sie in der nächsten Saison so nicht mehr geben wird.“
Martin Hägele (NZZ 11.04.02) erkennt in dieser tragischen Situation auch eine Chance für den Klub. Andererseits kann diese Stimmung auch helfen. Langfristige Ziele wurden bisher nur selten erreicht. Die Leverkusener sind nicht nur seit Christoph Daum und dem Trauma von Unterhaching oder seit Berti Vogts theoretischen Planspielen auf diesem Gebiet gebrannte Kinder. Toppmöller wäre deshalb gut beraten, wenn er sich an dem weisen Spruch von Winston Churchill, den er der Delegation aus Liverpool mit auf den Heimweg gab, orientieren würde. Der für seine Wortgewalt bekannte englische Premier war einst in einer Schule als Festredner angekündigt worden. Doch sein Vortrag bestand nur aus wenigen Worten: «Never, never, never give up.»“
und richtet einen Blick auf die Verlierer:
„Für die Spieler des FC Liverpool waren die Geschehnisse dieser Nacht schwer zu begreifen, und wahrscheinlich müssen sie erst einmal selber ihre Gesichter im Fernsehen oder in den Zeitungen gesehen haben: Wie sie dastehen in der BayArena, erst in der Mitte und später am Rande des Rasens, mit konsternierten Blicken, und einfach nicht glauben können, dass soeben ihre Europatournee zu Ende gegangen sein soll. Von draussen prasselte nicht endender Applaus, tönten «Football´s coming home» und «We are the champions». Ihre Lieder, englische Songs – nur leider vom falschen Chor vorgetragen.“ (Volltext)
Über den Imagewandel des ehemaligen Plastikklubs notiert Ralf Wiegand (SZ 11.04.02). „Seit Dienstagabend kann man es einfach nicht mehr leugnen, und, ganz ehrlich, man möchte auch nicht mehr. Widerstand ist zwecklos. Der TSV Bayer 04 Leverkusen ist ein richtiger Fußballverein (…) Wer schenkte uns Rudi Völler? Leverkusen. Wo trainiert die deutsche Nationalelf während der Weltmeisterschaft 2006? Leverkusen. Wer schießt die meisten Tore der Bundesliga? Leverkusen. Bei wem bedient sich der FC Bayern München am liebsten?“
Real Madrid beneide den FC Bayern um seinen Torhüter, meint Peter Burghardt (SZ 10.04.02). „Wenn sich Real Madrid in seiner Funktion als Monarch des Weltfußballs mal wieder über das unverschämte Fußvolk der Bayern aus München aufregt, dann steht im Zentrum meistens ein großer, blonder Mann. Er verkörpert für die Spanier so ziemlich alles, was sie für deutsch halten: Ehrgeiz, Zuverlässigkeit, Kälte. Ein Bauernschrank, mit dem diese Bajuwaren ihr Tor verrammeln, ein Schreihals, der seine Arbeiter notfalls zum Sieg brüllt und gegnerische Künstler zu Boden rammt. In den örtlichen Sportzeitungen heißt er in Verwirrung der Schreibweise öfter mal „Khan“, als handle es sich um einen Mongolenfürsten. Doch wer ehrlich ist, der muss zugeben, dass der teuersten Fußballmannschaft der Welt niemand besser zu Gesicht stünde als eben dieser Oliver Kahn.“
und zitiert Reals Ehrenpräsident und Fußballlegende Alfredo di Stefano:
„dass die Torleute Bälle ins Tor fliegen lassen, das mache ihm (di Stefano, of) nichts aus, daran habe er sich gewöhnt, aber sie sollten sich die Bälle bitte nicht selbst ins Tor hauen.“
Raphael Honigstein (FR 05.04.02) hat eine überzeugende Leistung der Bayer-Elf gesehen. „Leverkusen, von den englischen Medien als vermeintlich leichter Gegner belächelt, zeigte in Anfield die Qualitäten, die das Team von Klaus Toppmöller zum deutschen Meister in spe gemacht haben. Flüssig liefen die Kombination, schlaue Doppelpässe ließen das sonst so kampfstarke Mittelfeld der Hausherren ins Leere laufen, es gab kaum Ballverluste. Selbst die mitgereisten Fans zeigten Kreativität und Einfallsreichtum. „Ihr werdet nie Deutscher Meister“, riefen sie in Richtung der Liverpooler. Schade nur, dass die Gäste neben hoher Spielkultur eben auch ein altes, längst überwunden geglaubtes Manko mit auf den Platz gebracht hatten: Im Strafraum des Gegners fehlte jegliche Durchschlagskraft (…) Liverpool ist das defensivste Spitzenteam der Premier League, aber die Beschränkung auf Konter im eigenen Stadion hatte diesmal, versicherte Houllier, keineswegs Methode gehabt; Bayer hätte einfach nicht mehr zugelassen.“
Erik Eggers (taz 05.04.02) geradezu entsetzt über die unasehnliche Mauertaktik der Gastgeber. “ „True Heroism“, hatte der von ihnen so verehrte französische Trainer Gerard Houllier vor dem Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League gegen Bayer Leverkusen formuliert, ein wahres Heldentum werde sich gewiss auszahlen. Sie lieben solche Sätze auch dann noch, wenn sich die eingeforderte Übermenschlichkeit selbst an der heimischen Anfield Road nahezu ausschließlich auf eine brachiale Defensivarbeit beschränkt, auf ein substanzraubendes Ablaufen jedes Balles, auf die erbitterte Verteidigung des eigenen Strafraums, die blanke Zerstörung des gegnerischen Spielaufbaus. So wie Mittwochabend, als den deutschen Gästen ein Defensivmonster in Rot gegenüberstand (…) Es steht zu vermuten, dass es vor allem der süße Nektar des Sieges ist, von dem die Fans der Reds so gern naschen, ein Saft, der in dieser tristen Gegend wahrlich nicht in Strömen fließt.“
Ähnlich sieht Uwe Marx (FAZ 05.04.02) „eine Abwehr, die etwas von der Undurchlässigkeit und Sicherheit ausstrahlt, die sonst Tresore vermitteln (…) Der FC Liverpool, instruiert von seinem französischen Trainer Gérard Houllier, kümmerte sich nicht um Fußball fürs Auge, sondern um eine makellose Bilanz in der Abwehr. Vorne zwei, manchmal sogar nur ein schneller Konterstürmer, hinten der große Rest zum Schutz des eigenen Tores: So spielte die defensiv wohl beste Mannschaft Europas.“
„Kein bisschen schön“ findet auch Christoph Biermann (SZ 05.04.02) und sorgt sich über Leverkusens Chancen auf ein Weiterkommen. „Die Aussichten von Bayer Leverkusen aufs Halbfinale kommen nach dem 0:1 der Besteigung eines Achttausenders ohne Sauerstoffgerät gleich. Toppmöller nannte es „ein ganz gefährliches Ergebnis“. Dass man es auch für fast aussichtslos halten könnte, belegt nicht nur die Statistik, die den FC Liverpool zur gefürchtesten Gastmannschaft des internationalen Fußballs macht. Seit November 1998 sind sie vom europäischen Kontinent nicht mehr als Verlierer zurückgekehrt (…) Es wäre schon verblüffend genug, wenn Bayer Leverkusen überhaupt ein Treffer gegen die Betonierer in den roten Trikots erzielen würde. Es gibt derzeit in Europa wohl keine Mannschaft, gegen die zu spielen so frustrierend ist wie gegen Liverpool. Selbst das 1:0 im eigenen Stadion verteidigte das Team mit erschütternder Konsequenz, oft zogen sich acht, neun Spieler hinter den Ball zurück. Eine Freude für den Zuschauer ist das nicht (…) Der FC Liverpool wird spätestens seit dem letzten Jahr wieder von dem Gefühl getragen, Anschluss an eine Vergangenheit gefunden zu haben, in der er Europa von der Anfield Road aus dominierte (…) bei aller Anerkennung fantastischer Physis, äußerster Geschlossenheit und fast perfekter Defensivordnung. Der alte Fußballadel aus Liverpool mag seine Dekadenzphase überwunden haben. Aber er hat auf dem Spielfeld den Charme eines Maschinenparks.“
Jörg Hanau (FR 04.04.02) kommentiert das Spiel zweier Mannschaften unähnlicher Spielanlage. „Es ist dem deutschen Rekordmeister ein weiteres Mal gelungen, mit schnöder teutonischer Effizienz die königliche Magie zu entzaubern. Und das nach einer ersten Halbzeit, in der die Madrider Varietékicker um Zinedine Zidane die Gastgeber nach allen Regeln der Kunst vorführten. Schön anzusehen, aber unter dem Strich eben wenig effektiv. Sie beherrschten den Ball, nicht aber das Spiel. Künstler eben, die den Sinn eigenen Tuns gerne vergessen.“
Thomas Becker (taz 04.04.02) über die Siegermantalität der Münchner. „Das Phänomen FC Bayern: Egal wie schlecht und magensäuretreibend die Mannschaft auch spielen mag, sie ist jederzeit in der Lage zurückzukommen, das Spiel zu drehen (…) Gerade noch rechtzeitig wurde dann der Sieger-Automatismus aktiviert, ein Chip, der jedem Bayern-Spieler bei Ankunft an der Säbener Straße implantiert wird und auf dem steht: „Du kannst immer und gegen jeden gewinnen – du musst es nur wollen.““
Ralf Wiegand (SZ 04.04.02) über die uneffektive Spielweise der Spanier. „Trotz aller Warnungen vor dem Kollektiv der Deutschen waren die Madrilenen mit dem Selbstverständnis von Hollywoodstars kurz vor der Oscar- Verleihung nach München gekommen. Sie planten eine Gala – einfach dieses Spiel zu gewinnen, wäre wohl unter ihrer Würde gewesen (…) Vor allem um den bedauernswerten Franzosen Willy Sagnol tanzten Zinedine Zidane, Santiago Solari und Roberto Carlos so ausgelassen herum wie die Dorfjugend um den Maibaum (…) Klar war, dass Real Madrid aus den zauberhaften Ansätzen viel zu wenig machte; so wenig, dass die Statistik später Zahlen ausspuckte, als seien die Spanier hergespielt worden und nicht die Bayern. Nur zwei Torschüsse in 90 Minuten registrierten die Erbsenzähler der Uefa für Real, acht für die Münchner.“
Die NZZ (04.04.02) über die „Mentalitätsgeschichte“ beider Vereine. „Fleiß konkurriert hier mit Schönheit, Effizienz mit Selbstverliebtheit; Im Betriebswirtschaftlichen vielleicht auch Vernunft mit Verschwendung.“
Rainer Seele (FAZ 04.04.02) erinnert das Spiel an die letzte Saison. „Real zeigte hohe Fußballkunst, aber es vernachlässigte dabei Wesentliches – es vergaß zu stürmen. Das taten schließlich die Münchner, als sie sich neu gesammelt, als sie sich zu einer Trotzreaktion aufgerafft hatten und jene Passion wiederentdeckt hatten, mit der sie einst im Mai ihre Gegner niedergekämpft hatten.“
Stimmen aus Spaniens Presse:
„Madrid hielt der Strumflut der Bayern nicht stand.“ (El País)
„Wir warten hier auf Euch! (Ass)
„Die Bayern machen sich lustig über Real. Madrid macht sich in die Hosen, sagt Salihamidzic.“ (Marca)
Die NZZ (04.04.02) sieht den Sieger nunmehr in einer Favoritenrolle des Wettbewerbs. „Stilsicher und schnell in der Angriffsauslösung, ungewohnt solide in den hiteren Reihen (…) Sir Alex Ferguson bescheinigte seinen Spielern die beste Leistung seit 1999, als in Barcelona der Champions-League-Final gegen Bayern München, wenn auch mit Glück, gewonnen wurde. Aus dem Herbst waren noch zwei Rechnungen offen. Deportivo hatte den keinesfalls enttäuschenden Favoriten in der Vorrunde zwei Mal besiegt und und seine Limiten über die Außenseiten aufgedeckt. Zur Überraschung vieler Beobachter änderte Ferguson das System. Linksaußen Giggs musste im Mittelfeld auch defensiv arbeiten, sein
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Bundesliga
Hertha BSC Berlin überrascht erneut; dieses Mal unangenehm – „Was ist in der Winterpause aus der Frankfurter Eintracht geworden?“ (FAZ) – in Dortmund wird die Laune allmählich besser, doch nicht kontinuierlich – „Hat es schon trostlosere Langeweiler gegeben in dieser Runde?“, fragt die FR nach dem Bayern-Sieg gegen den HSV u.v.m.
Mit neuen Frisuren und neuen Jacken
Javier Cáceres (SZ 24.2.) sorgt sich um Hertha BSC Berlin: „Es war wohl strategischen Überlegungen geschuldet, dass sich Hans Meyer, der Trainer von Hertha BSC Berlin, bemüßigt sah, das Ende seines Vortrages nach der 1:2-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt mit einer vergleichsweise überflüssigen Auskunft zu beschließen. „Hertha“, sagte also Meyer, „ist noch nicht abgestiegen, und Eintracht Frankfurt ist noch nicht durch.“ Unter anderen Bedingungen hätte für diese Auskunft der Verweis auf die Bundesligatabelle gereicht. Oder auf den Umstand, dass erst 21 Runden absolviert sind. Doch in Anbetracht der Art und Weise, in der die Hertha sich am Sonntagabend im Olympiastadion gegen die Frankfurter präsentierte, musste man wohl derart deutlich darauf hinweisen, dass der Klub dreizehn Spieltage vor Schluss tatsächlich noch nicht abgestiegen ist. Zwecks Abwendung allzu resignierender Schlagzeilen der lokalen Presse. Denn so, wie Hertha das Spiel führte, „wird es ganz schwer, die Klasse zu halten“, sagte Manager Dieter Hoeneß. So: das heißt ohne Aggressivität und Ordnung, besonders in der Defensive. Dass Meyer die Wechselwirkungen zwischen Medien und Mannschaft besonders interessieren, konnte man auch am gestrigen Montag erfahren; im täglichen Pressegespräch hielt er den Journalisten vor, den U20-Nationalspielern Malik Fathi und Sofian Chahed nach zwei guten Spielen zu große Aufmerksamkeit geschenkt zu haben: „Nicht zufällig kommen sie mit neuen Frisuren und neuen Jacken daher“, sagte Meyer. Dass die Berliner Massenblätter sich nun auf Marcelinho, den Artisten im Mittelfeld, einschießen, hat der Trainer ebenfalls registriert. „Hat er alles verlernt?“, sorgte sich die Bild-Zeitung, derweil die BZ mit der Note 6 aufwartete und sich fragte, wann Meyer den Regisseur auf die Bank setzt.“
„Was ist in der Winterpause aus der Frankfurter Eintracht geworden?“ Michael Eder (FAZ 24.2.) reibt sich die Augen: „Für den überraschenden Aufschwung des Frankfurter Abstiegskandidaten gibt es eine ganze Reihe von Gründen, vor allem die gelungene Personalpolitik in der Winterpause, vorgegeben von Trainer Willi Reimann, umgesetzt vom neuen Vorstandsvorsitzenden Heribert Bruchhagen. Ingo Hertzsch kam von Bayer Leverkusen, Ioannis Amanatidis vom VfB Stuttgart, der eine hält hinten die Abwehr zusammen, der andere sorgt vorn für Wirbel und Tore. Um die beiden Zugänge herum hat Reimann eine Taktik gebastelt, die auf Sicherheit gerichtet ist, aber auch spielerische Elemente nicht aus den Augen verliert. In der Abwehr läßt er seit der Winterpause eine variable Fünferkette spielen, mit Hertzsch und dem Brasilianer Chris als Innenverteidiger und dem jungen Christoph Preuß als Libero – eine Formation, die sich bei Ballbesitz sofort auflöst. Preuß wird dann zum zweiten Spielmacher hinter dem Albaner Ervin Skela, und auch der technisch starke Chris wagt immer wieder gefährliche Ausflüge bis weit in die gegnerische Hälfte. Für die zweite Halbzeit steht als Joker der flinke und ballgewandte Österreicher Stefan Lexa bereit, und weil auch die Außenverteidiger Günther und Bürger weit besser mit dem Ball umgehen können als ihre Vorgänger aus der traurigen Vorrunde, Bindewald und Wiedener, sind die Frankfurter zur Überraschung ihrer Gegner nun auch in der Lage, den Ball mit ansehnlichem Kombinationsfußball zu ihren Angreifern Cha und Amanatidis zu bringen. (…) Wenn die Eintracht den Klassenverbleib nach ihrer desaströsen Hinrunde tatsächlich noch schaffen sollte, und zwar mit Reimann, dann wäre auch dies für Frankfurter Verhältnisse ganz und gar ungewöhnlich. Die letzte Bundesligasaison ohne Trainerentlassung liegt bei der Eintracht ein halbes Fußballerleben zurück – dreizehn Jahre.
Gut geölte Dementiermaschine BVB
Freddie Röckenhaus (SZ 24.2.) kann sich nicht richtig über Dortmunds Sieg gegen Köln freuen: „Über Dortmunds Gesamtstimmung lag an diesem Abend allerdings der Mehltau der finanziellen Schieflage des Klubs – und der daraus resultierenden immer neuen Verstimmungen. So hatte die „gut geölte Dementiermaschine BVB“ (Die Welt) eben erst aus der Welt zu schaffen versucht, dass Torsten Frings und drei andere Spieler vor wenigen Wochen bei Bayern München angeboten wurden. Offenbar hatte man aber vergessen, Trainer Matthias Sammer über das Dementi zu informieren, denn der mokierte sich noch lauthals über „diese Unverschämtheit der Münchner“, als schon mit viel Mühe über die ganze Aktion das Mäntelchen von Münchner Gefälligkeits-Dementis und Versöhnungen gedeckt war. Dann platzte als nächstes die überraschende Meldung heraus, Schatzmeister Hans-Joachim Watzke sei zurückgetreten. Watzke, seit gut zwei Jahren im Amt, werde als „Informant von Journalisten“ verdächtigt. Das Lokalblatt Westfälische Rundschau, oft zuerst und exklusiv durch die Klubführung informiert, hatte bei dem im Sauerland aktiven Unternehmer Watzke angefragt, ob „diese Gerüchte“ stimmen würden. Watzke dementierte gereizt. BVB-Manager Michael Meier dementierte dagegen gegenüber dem Kicker, dass Watzke auf diese Weise der Rücktritt nahe gelegt worden sei: „Das stimmt nicht.“ Zugleich beklagte Meier: „Wir geben in der Öffentlichkeit ein erschreckendes Bild ab.“ So blieb das magere Sonntagsspiel ein wenig im Schatten. Dortmund notierte nüchtern den dritten Sieg hintereinander. Schon werden die Champions-League-Plätze für sichtbar erklärt. Trainer Sammer soll das dementiert haben – aber gesichert ist dieses Dementi nicht.“
Thomas Klemm (FAZ 24.2.) sucht nach Trost für die Kölner: „Während die Jecken um 11.11 Uhr spaßeshalber auf den Zoch warteten, herrschte beim 1. FC Köln längst ernstes Treiben. Für zehn Uhr morgens hatte Trainer Koller seine Mannschaft am Rosenmontag in den Stadtwald bestellt, um jenseits der Spaßkultur im Stadtzentrum am Klassenverbleib zu arbeiten. Dabei war das Motto des Umzuges wie für den Tabellenletzten der Fußball-Bundesliga gemacht: Laach doch ens, et weed widder wäde! lautete es auf gut kölsch; oder in der hochdeutschen Variante: Lach doch mal, es wird schon wieder! Etwa in diesem Sinne hatte sich am Vorabend, als die Kölner 0:1 in Dortmund verloren und sich der Abstand auf den 15. Platz auf fünf Punkte vergrößert hatte, auch Koller geäußert. Entscheidend sei, sagte der FC-Coach, mit erhobenem Kopf weiterzumachen. Erstaunlich, wie der Schweizer den Kölnern Mut machen will, während ringsherum rheinische Melancholie herrschte – zwischen niedergeschlagen (Manager Rettig) und einfach nur bitter (Mittelfeldspieler Kringe) bewegten sich die Gefühlsäußerungen.“
Hat es schon trostlosere Langeweiler gegeben in dieser Bundesligarunde?
Beim Sieg der Bayern gegen den HSV gähnt Ingo Durstewitz (FR 23.2.): “Begegnungen beider Mannschaften waren mal ’ne große Nummer, ist aber inzwischen schon ein paar Jährchen her. Wer wissen will, wie ein Bundesligaspiel zwischen den Nord- und Südlichtern heute aussieht, hätte sich am Samstagnachmittag auf einen der gut und gerne 20 000 leeren grünen Plastiksitze in der Betonschüssel Olympiastadion hocken und sich das Trauerspiel ansehen sollen. Hat es schon trostlosere Langeweiler gegeben in dieser Bundesligarunde? Es steht zu bezweifeln. Einzig und allein die Kälte verhinderte bei vielen Zuschauern das Nickerchen am Nachmittag. In der Form der Bayern vom Samstag könnten sich Rensing und Kahn gemeinsam in den mehr als sieben Meter breiten Kasten stellen – die Münchner hätten gegen Real dennoch nicht den Hauch einer Chance.“
Europas Fußball vom Wochenende NZZ
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Themen: Saufen für St. Pauli – Euphorie in Briegels Albanien – Nobby Stiles, “der grinsende Inbegriff des bad guy, der Gesäßentblößer”
Oke Göttlich (taz 11.6.) referiert teilenehmende Beobachtung. „Na klar, auch das Sailors Inn ist dabei. Hier gibt es Whiskey-Cola für 3,50 Euro, und sowieso ist die Welt noch in Ordnung: Die Kneipe wird geschlossen, wenn der letzte Gast geht. Und das dauert häufig länger als ein Tag Stunden hat. Man könnte auch sagen: Im Sailors spielt das wahre Leben -und die Jukebox gern Herbert Grönemeyers Mensch, ohne Probleme neunmal am Tag. Vielleicht setzen sich deshalb manche Gäste jetzt im Sommer nach draußen. Freiwillig verlässt nämlich sonst niemand die aschduftende Luft, die den klassisch fahlen Teint auf die Gesichter zaubert, der St. Paulianern gesünder erscheint als die Färbung durch ultraviolettes Licht. Gut, dass der FC St. Pauli für jedes Getränk 50 Cent bekommt, die zuvor draufgeschlagen wurden. Im Sailors Inn wird ausschließlich Schnaps getrunken. So gehört sich das für echte Seefahrer, die täglich die Wogen des Lebens umschiffen. Auch mit ihrer Hilfe versucht der Kiez-Club die Lizenz für die Regionalliga zu erhalten. 1,95 Millionen Euro fehlten dem Verein noch vor zwei Wochen. Nun heißt es: Bier trinken, St. Pauli retten. Der lokale Bierpartner des Vereins kann sich gut mit dieser Kampagne identifizieren und hat bereits die Zusammenarbeit für die Regionalliga zugesichert. Gleich wurde der ganze Stadtteil mit Plakaten zugekleistert: 168 Bierkästen stapeln sich darauf im Tor vor der Südkurve des Millerntors. Ein Ball kommt da nicht mehr durch. Grund genug für viele Sympathisanten, sich ebenso breit zu machen für ihren Verein (…) Auf der Suche nach Entspannung am Strand von St.-Peter-Ording sollen die bösen Gedanken endlich Ruhe geben. Eis essen für St. Pauli, flasht mir ein Schild beim Strandverkäufer entgegen. Rette sich, wer kann!“
Zur Lage in Albanien schreibt Dario Venutti (NZZ 11.6.). “Die Menschen in armen Ländern taufen ihre Kinder seit je auf die Namen von bedeutenden Persönlichkeiten, in der Hoffnung, dass sich auf diese Weise ein wenig von deren Grösse auf die eigenen Kinder übertragen lässt. So war es auch in Albanien Ende März dieses Jahres. Die Albaner nannten ihre Kinder aber nicht nach dem Präsidenten Fatos Nano, der das Land durch die Eröffnung einer Zuglinie von der Hafenstadt Shkoder nach Montenegro gerade an den internationalen Eisenbahnverkehr angeschlossen hatte. Ein anderes Ereignis schien ihnen in jenen Tagen eher von historischer Tragweite zu sein. Der 3:1-Erfolg der Fussballnationalmannschaft in der EM-Qualifikation gegen Russland provozierte eine Eruption der Gefühle, und so wurden auffallend viele Kinder, die in jener Zeit geboren worden waren, auf den Namen des Nationalcoachs getauft. Briegel ist seither ein geläufiger Vorname im Land. Seit dem Tag des Sieges gegen Russland, dem 29.März, ist der Deutsche Hans-Peter Briegel ein Nationalheld in Albanien. In seinem ersten Spiel als Nationalcoach führte Briegel die Fussballauswahl zum ersten Erfolg überhaupt gegen ein namhaftes europäisches Team. Bis dahin waren Albaniens Fussballer einer breiteren europäischen Öffentlichkeit nur dann ins Bewusstsein gelangt, wenn sie gegen Deutschland spielten und den übermächtig erscheinenden Gegner nicht selten an den Rand einer Niederlage oder eines Unentschiedens drängten. Am 29.März aber war der Anlass gross genug, dass der Ministerpräsident den Erfolg zusammen mit den Spielern in der Kabine tanzend feierte und der Menschenauflauf auf den Strassen von Shkoder dem Mannschaftsbus die Durchfahrt versperrte. Das Team erreichte das Hotel in der Hauptstadt Tirana erst weit nach Mitternacht. So überraschend der Sieg gegen Russland ausfiel, ein Produkt des Zufalls war er nicht.“
Das Streiflicht (SZ 11.6.) ist uns immer Pflichtlektüre. „Die wichtigste Lehrmeisterin in der höheren Schule der Menschenkenntnis ist die britische Krone. Zwar verdankt sie ihre Virtuosität in der Kunst, zwischen Sein und Schein zu unterscheiden, der Erfahrung von Jahrhunderten. Aber sie ruht sich gerade nicht auf den Einsichten der Königsdramen Shakespeares aus, in denen hinter dem Lächeln Richards ein Abgrund an Bosheit lauert. Queen Elizabeth II. hat früh begriffen, dass seit dem zwanzigsten Jahrhundert der umgekehrte Fall ins Zentrum gerückt ist: In der modernen Kultur gähnen hinter dem Schein von Unbotmäßigkeit und bösem Außenseitertum wahre Abgründe an Harmlosigkeit. Die Queen hat darum schon die Beatles in den Adelsstand erhoben, als noch einige Lords dagegen protestierten. Sie hat sich von irgendwelchen obszönen Fingergesten nicht täuschen lassen und Mick Jagger zum Ritter gemacht. David Beckham hat zwar ein Spice-Girl geheiratet und mit auffälligen Haarschnitten einigen Wirbel entfacht. Aber dass die Queen sich durch derlei nicht täuschen lassen würde, war abzusehen. Also hat sie Beckham, der nicht raucht, nicht trinkt, nie über die Stränge schlägt und seine Abende zu Hause verbringt, nun zum „Officer of the British Empire“ ernannt. Wer aber war 1989 bis 1993 Jugendtrainer bei Manchester United und also Führungsoffizier des jungen David Beckham? Nobby Stiles, der grinsende Inbegriff des bad guy, der Gesäßentblößer und Weltmeister von 1966 mit der Aura Richards III. Beckham, o.k, geht in Ordnung. Aber nachdrücklicher hat die Queen ihre Kunst der Menschenkenntnis schon im März 2000 bewiesen, als sie Nobby Stiles die Auszeichnung „Member of the British Empire“ verlieh.”
Gewinnspiel für Experten
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Lage der Liga nicht mal Schadenfreude ist einem gegönnt
1. FC Nürnberg – Bayer Leverkusen 0:1 Erleichterung
Borussia Mönchengladbach – Werder Bremen 4:1 familiäre Atmosphäre
Arminia Bielefeld – Hannover 96 0:1 widerstandsloser, routinierter Abstieg
VfB Stuttgart – VfL Wolfsburg 2:0 Magath verstärkt Verhandlungsposition
Borussia Dortmund – Energie Cottbus 1:1
Hamburger SV – Hansa Rostock 2:0
Hertha Berlin – 1. FC Kaiserslautern 2:0
FC Schalke 04 – Bayern München 1:0
Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse, Tabellen, Torschützen NZZ
Gewinnspiel für Experten
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Retorten-Begeisterung in Tokio
„Retorten-Begeisterung in Tokio, eine überschwappende rote Welle in Seoul – der Fußball zog die beiden organisierenden Länder unterschiedlich in seinen Bann.“ (NZZ)
Roland Zorn (FAZ 1.7.) fasst zusammen. „Zwei Länder, eine Weltmeisterschaft – keine Verbindung? Gar so weit voneinander getrennt, wie Pessimisten befürchtet hatten, haben die Japaner und die Koreaner ihren halben Anteil am ganzen Fußballfest nicht in Szene gesetzt. Am Ende des 31 Tage dauernden Turniers überwiegen sogar die Stimmen, die der ersten Weltmeisterschaft auf asiatischem Boden gute Noten geben. Die Wirtschaftsweltmacht Japan und das Schwellenland haben den sportlichen und organisatorischen Kraftakt mit 32 Mannschaften gemeinsam gemeistert. Diese Erfahrung hat beide Nationen einander näher gebracht. Beide Gastgeber durften sich zudem in ihrem Stolz auf die Leistungen ihrer Nationalmannschaften bestätigt sehen.“
Mark Schilling (NZZ 29.6.). „Man wappnete sich gegenüber den Unwägbarkeiten eines „westlichen“ Großanlasses mit einem eindrücklichen Organisationsapparat. Gerade in den ersten Tagen der Veranstaltung wirkte Letzterer ziemlich überladen, um nicht zu sagen reziprok zur anfänglich höchstens diffus wahrnehmbaren Begeisterung. Und wahrscheinlich wäre einem diese WM-Endrunde auch fürderhin als krampfhafter Bekehrungsversuch, als Retorten-Event in Erinnerung geblieben, hätte das Korea Fighting Team in der Vorrunde dreimal sec den Kürzeren gezogen (…) Diese Euphorie darf aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in erster Linie als ein Bekenntnis zur nationalen Identität und nicht als Ablegen eines Gelübdes zu verstehen war, sich für Fußball auch weiterhin zu interessieren. Hier macht sich bemerkbar, dass der Fußball nicht wie in Europa zur Kulturgeschichte und ein minimaler Fußballsachverstand nicht zur Allgemeinbildung zu zählen sind.“
Peter B. Birrer (NZZ 29.6.). „In Nippons Metropole hat der Fremdling das japanische Fußball-Fieber jedenfalls vergeblich gesucht. Dieser Moloch von einer Stadt schien die WM schlicht und einfach zu schlucken (…) In den Stadien wirkte die Atmosphäre oft künstlich und klinisch. Im Besucher setzte sich das Gefühl fest, eine Art Retorten-Begeisterung zu erleben. In Japan erfuhr man nur in Fragmenten, was sich gleichzeitig in Südkorea ereignete (…) Ein Anlass, zwei Realitäten. Fast an jedem WM-Ort auf der Inselkette schoss einem dieselbe Frage durch den Kopf: Wurden diese wunderschönen Stadien nur für drei WM-Spiele gebaut? Das Gefühl der Japanerinnen und Japaner für den Tanz mit dem runden Ball kam selten direkt aus dem Bauch. Japan und Fuß ball, das scheint eine (noch?) sprunghafte Liebesbeziehung zu sein. Vielleicht belehrt uns die Zukunft eines Besseren.“
Anne Scheppen (FAZ 1.7.). „Die einzigen Misstöne, die zu hören waren, wurden nach Einschätzung der Veranstalter nicht auf eigenem Boden erzeugt: Dass trotz ausverkaufter Stadien einige tausend Plätze leer blieben, lasten die Organisationskomitees Kowoc (in Südkorea) und Jawoc (in Japan) dem Internationalen Fußballverband (FIFA) und ihrer britischen Agentur an. Das Beste an dieser WM aber ist für Koreaner und Japaner nicht die Leistung als Ausrichter, sondern der Erfolg als Teilnehmer: Der Ruf Asiens als Fußball-Niemandsland ist widerlegt. Das Turnier hat, vor allem wegen der eigenen Leistungen, dem Fußballsport in beiden Ländern einen enormen Auftrieb verschafft (…) Die Veranstalter haben sich vorgenommen, das entzündete Feuer am Lodern zu halten. Südkorea und Japan wollen gemeinsam mit dem früh ausgeschiedenen WM-Neuling China zusammenarbeiten, um den Fußball in Asien weiter zu etablieren. China ist im übrigen für 2014 als WM-Ausrichter im Gespräch. In den kostspieligen neuen Stadien beider Länder sollen Spiele unter Klubs und Nationalmannschaften ausgetragen werden. Weil das Niveau der Nationalmannschaft und der Vereinsteams der koreanischen K-League weit auseinander klafft, soll die Nachwuchsförderung in den nächsten Jahren verbessert und der Ligawettbewerb erweitert werden. Geplant wird eine asiatische Liga nach dem Vorbild der europäischen Champions League.“
Über asiatische Fankultur berichtet Urs Schoettli (NZZ 2.7.). „Sieht man einmal davon ab, dass „crowd control“, das Verhalten und Benehmen in großen Massen, in Asien generell viel höher entwickelt ist als im Westen, so hat sich für die WM auch positiv ausgewirkt, dass der Fußball in Japan und Südkorea nicht die lange Geschichte hat wie in Europa und Südamerika. Er wurde und wird entdeckt zu einer Zeit, da beide Länder stark mittelständisch geprägte Gesellschaften haben. Bis heute gilt beispielsweise in England, im Mutterland dieses Sport, dass die „besseren Schichten“ sich mit anderen Disziplinen, Tennis, Cricket und Rugby, vergnügen und im Fußball der soziale „Underdog“ seine billige Unterhaltung findet. Es mag sich besonders in Kontinentaleuropa in den Jahren der allgemeinen Wohlstandssteigerung einiges geändert haben, doch noch immer hängt dem Fußball zumindest der Geruch einer eher rauen Freizeitaktivität an. Beim genaueren Blick auf die Zuschauerränge von Yokohama bis Seoul musste auffallen, dass der Anteil der jungen Frauen im Vergleich mit Europa sehr viel größer war. Es wurde unter Girls, die sonst eher an teuren Modeartikeln und hochklassigen Restaurants ein Interesse haben, plötzlich chic, einem Match beizuwohnen oder sich für die WM zu interessieren.“
Zur Wahrnehmung der Fußball-WM in Nordkorea, dem wohl traditionsreichsten asiatischen Fußballland, schreibt Jutta Lietsch (taz 22.6.). „Die Weltmeisterschaft ist eine willkommene Abwechslung im faden nordkoreanischen TV-Alltag, das Zirkus und Reden, Loblieder auf die Armee und Huldigungen auf den „Großen“ Kim Il- Sung und seinen Sohn, den „Lieben“ Führer Kim Jong-Il, bis zur Erstarrung wiederholt (…) In Nordkorea sind die Spiele ein Politikum. Jahrzehntelang hat die Regierung in Pjöngjang ihren Untertanen erklärt, dass die Landsleute im Süden viel schlechter dran sind als die Menschen im Arbeiterparadies der Kim-Dynastie. Direkte Kontakte sind bis heute nahezu unmöglich. Nichts fürchten die nordkoreanischen Machthaber daher so sehr wie Fernsehbilder von der WM aus einem wohlhabenden und erfolgreichen Südkorea, dessen Fußballteam in luxuriösen Stadions vor jubelnden Massen spielt – und auch noch gewinnt.“
Die Stimmung in Südkorea beleuchtet Ralf Wiegand (SZ 27.6.). „Das Land Korea, das sich von dem Stimmungshoch nun sogar eine noch schneller wachsende Wirtschaft erhofft, ist sicher der Hauptprofiteur des vierwöchigen Fußballrausches im Reich des „Kleinen Tigers“; der Imagegewinn weltweit ist enorm. Ob allerdings der Fußball selbst zu den langfristigen Gewinnern der WM zählen wird, bleibt fraglich. Die K-League, Koreas Profi-Spielklasse mit zehn Mannschaften Arbeitgeber für 16 der 23 koreanischen WM-Spieler, hat nach europäischen Maßstäben nur drittklassiges Niveau. Zudem wird auch die Nationalelf ab Juli wieder sich selbst überlassen, wenn Hiddink mit seinem holländischen Trainerstab und geschätzten 4,5 Millionen Euro Honorar wieder das Weite suchen wird.“
Martin Hägele (FR 27.6.) beschreibt, wie das Ausscheiden Südkoreas in Japan aufgenommen wird. „Nicht dass nun etwa die geschichtsträchtige Allianz zwischen Berlin und Tokio neu aufgelebt wäre, die Deutschen sind auf dem Inselreich traditionell gern gesehen, aber wohl noch nie im Verlauf ihrer Beziehungen war Nippon den alten Freunden gegenüber so dankbar, wie in jener Nacht, da Kahn und Ballack ihren Besuch in Yokohama buchten. Es hätte ja auch zur Invasion der roten Armee und einer Luftbrücke zwischen Seoul und den Flughäfen Narita und Haneda kommen können, und solch eine koreanische Party hätte die übers Turnier hinweg sorgfältig gepflegte Harmonie der Organisations-Partner doch stark strapaziert. (…) Allerdings sollte man auch erwähnen, dass sich gerade im Verlauf dieser WM die Fußball-Anhänger beider Nationen einander schon angenähert haben. Der Hass bezieht sich vor allem auf die Großväter und Väter; die jüngere Generation unter der Dreiviertel Million Koreaner, die ursprünglich als Zwangsarbeiter, später als Gastarbeiter in Osaka und Sapporo, Tokio und Kyoto gelandet sind geht viel unbefangener miteinander um.“
„Ganz Südkorea sieht rot“, lesen wir von Anne Scheppen (FAZ 25.6.) über die Bedeutung des sportlichen Aufschwungs. „die Genugtuung, es der Welt einmal gezeigt zu haben, verbunden mit dem schlecht übertünchten Zweifel an der eigenen Leistungskraft; ein übergroßes Bedürfnis, von den führenden Wirtschaftsnationen als ebenbürtig anerkannt zu werden, und ein tiefsitzendes Minderwertigkeitsgefühl, das von Stolz überlagert wird. Südkorea sieht sich selbst noch immer als den kleinen Bruder, der endlich mit den Erwachsenen am Tisch sitzen will (…) Sehr defensiv reagieren die Medien auf die ausländischen Vorwürfe, Südkorea habe nur mit Hilfe der Schiedsrichter das Halbfinale erreicht. Man sieht darin die Missgunst der Verlierer. Wenn überhaupt, dann sind höhere Mächte im Spiel: Die Schiedsrichter seien möglicherweise unbewusst vom Eifer der koreanischen Spieler und Fans geleitet worden.“
Henrik Bork (SZ 25.6.) zum selben Thema. „Die jungen koreanischen Fans wollen Partys feiern, keine Schlachten schlagen. Dasselbe gilt für die jungen Japaner. Bisher haben die asiatischen Ausrichter dieser WM den an Fußball-Rowdys und Straßenschlachten gewöhnten Europäern eine Lektion erteilt. Der sich momentan am Fußball entzündende Nationalismus der Asiaten mag überraschend und auf manche auch übertrieben wirken. Aggressiv ist er bislang nicht. Sollte das auch dann noch so bleiben, wenn Südkorea ausscheiden sollte, hätten die Koreaner wirklich Grund, stolz zu sein. Die Aufwallungen der Koreaner, deren Präsident Kim Dae Jungvom „glücklichsten Tag in der fünftausendjährigen Geschichte“ des Landes schwadronierte, wecken Erinnerungen. Etwa an das deutsche „Wir sind wieder wer“ nach dem WM-Sieg von 1954 in Bern. Oder an das vom Nationalismus trunkene Argentinien nach dem 78er Finalsieg auf heimischem Boden. Genau wie damals in Deutschland oder Argentinien erfüllt der Fußball auch in Südkorea eine Ventilfunktion. Die Freude über ein paar Tore ist immer dann umso größer, je weniger das Volk sonst zu lachen hat.“
Wie wird eigentlich der südkoreanische Erfolg in Japan aufgenommen? Henrik Bork (SZ 25.6.) dazu. „Seit dem Ausscheiden der japanischen Mannschaft am 18. Juni jubeln viele Japaner für die „asiatischen Tiger“ aus Südkorea. Natürlich hat die WM-Begeisterung der Japaner seit dem Ausscheiden des eigenen Teams nachgelassen. Doch zumindest die bisweilen nationalistischen japanischen Medien haben sich diesmal keinerlei Neid oder Missgunst anmerken lassen (…) Die sportliche Unterstützung der Japaner für ihre Nachbarn verwundert manche Beobachter, die um die historisch gespannten Beziehungen zwischen dem einstigen Kolonialherren Japan und Korea wissen. Gerade die Fußball-Geschichte zwischen beiden Ländern war jahrzehntelang von einer verbissenen Rivalität geprägt.“
Die französische Tageszeitung Le Monde (22.6.) meint zur Begeisterung in Südkorea: „Seitens der Medien werden die Feiern auf den Straßen mit den großen Stunden der nationalen Geschichte verglichen, so zum Beispiel mit dem Ende der japanischen Besatzung im August 1945. Die Begeisterung spielt sich dabei auf drei Ebenen ab: Zunächst im Bereich der nationalen Einheit, die in einem geteilten Land und einem von Seoul zentralistisch regierten Südkorea bislang schwerlich zu generieren war. Durch den Erfolg der Nationalmannschaft sind nationaler Stolz und kollektives Selbstvertrauen in ungeahntem Maße gestiegen. Von der Mobilisierung der Massen könnte der Chef des koreanischen Organisationskomitees Chung Moong-Joon profitieren, der angesichts der aktuellen Krise der Partei des Präsidenten, sich als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen bewerben wird. Dem Erben der Hyundai-Dynastie wird bereits das Image desjenigen verliehen, der die Südkoreaner geeint hat. Der zweite Bereich, der die nationale Begeisterung begründet ist eher nationalistischer und chauvinistischer Natur. Jüngere Südkoreanern erfreuen sich aufgrund antiamerikanischer Ressentiments über die Niederlage der USA, während sich bei allen Südkoreanern eine überwältigende Freude über das Ausscheiden Japans breit macht. Der dritte Aspekt der Begeisterungswelle ist ein panasiatischer. Nachdem Südkorea als einziger asiatischer Vertreter das Achtelfinale überstanden hat, vertritt das Land, nach eigener Einschätzung, nun die Hoffnungen eines Großteils derjenigen, die Asien bevölkern. Hiermit misst sich Südkorea die Rolle des derzeit zentralen Repräsentanten des bevölkerungsreichsten Kontinenten zu.“
Zum Stellenwert des Fußballs in Südkorea heißt es bei Holger Gertz (SZ 24.6.). „In den Fußball wird eine Bedeutung hineingelegt, die vielen abenteuerlich vorkommt, der deutsche Sieg 1954 in Bern ist ein Beispiel, das 1:0 der DDR-Mannschaft über die BRD 1974; das rote Fußballwunder von Korea wird künftig als ein anderes genannt werden können. Von 1910 bis 1945 waren die Koreaner in japanischer Gewalt, wurden drangsaliert und vergewaltigt. Die Elite wurde eliminiert, das Volk zu Bauern gemacht, nach der Befreiung dann die Teilung, derKorea-Krieg, Militärdiktatur, schließlich das mühsame Heranrobben an die Wirtschaftskraft des verhassten und bewunderten Nachbarn. Die Financial Times hat, zu Beginn der WM, eine Beilage herausgebracht, darin abgebildet eine Karikatur mit einem südkoreanischen Fußballer und einem japanischen, die sich, Wut im Blick, am Trikot zerren. Dasselbe Spiel, unterschiedliche Ziele, so kann man es sehen, denn Japan und Korea, die diese WM gemeinsam ausrichten, die Feinde von damals, sind unterschiedlich noch immer. Man hat das in den Fußballstadien gut beobachten können, die Japaner mit ihrer bunt frisierten Mannschaft, als wären die Spieler gecastet wie die Kandidaten für Popgruppen in Amerika. So spielten sie auch, um Schönheit bemüht, launisch (…) Die Koreaner rennen und werkeln wie eine Armee von Ameisen, sie erlauben sich keine Auszeit, keinen Luxus, keine Eigenheiten. Die Japaner haben seit Jahren alte Fußballer aus Südamerika oder Europa in ihre Liga gelockt, Buchwald und Littbarski, Toninho Cerezo und Zico: um von ihnen zu lernen, aber auch, um etwas westliches Flair in ihre Stadien zu holen. Die Südkoreaner sind in ihrer Liga unter sich geblieben, verließen sich auf ihre eigenen Stärken, die Show war dem Ergebnis untergeordnet.“
Ein großes Lob für die Organisatoren hat Felix Reidhaar (NZZ 21.6.) übrig. „es gibt definitiv keinen Grund, den Schritt auf neues Fußball-Territorium weit entfernt von den Wurzeln des Turniers in Europa und Lateinamerika zu bereuen. Japaner und Koreaner sind auf Grund ihrer typischen Verhaltensmuster prädestiniert, dem Großanlass ein freundliches Gesicht zu verleihen. Sie brauchen in organisatorischen Belangen keinen Vergleich zu scheuen und arbeiten auf einem ungleich höheren Level als Holländer und Belgier vor zwei Jahren an der Europameisterschaft. Ihr Geschick, Sicherheitsvorkehrungen immensen Ausmaßes so unauffällig wie nur möglich zu handhaben, wird man dankbar in Erinnerung behalten. Stadieninfrastruktur und Rasenbeschaffenheit sind vom Feinsten. Jetzt kommt ihnen auch noch das Verdienst zu, durch ihre Fußballauswahlen besonders inspirierenden Momente auf dem Rasen geliefert zu haben – und weiter zu liefern.“
Zur euphorischen Stimmung in Südkorea meint Felix Reidhaar (NZZ 22.6.). „Älteren kritischen Beobachtern in Korea kommen die Straßenbilder dieser Tage seltsam vor. Nicht nur nehmen für sie die Ausschweifungen überschwänglicher Jugendlicher gar chauvinistische Züge an und warnen sie vor dem Danach. Auch haben sie ordentlich Mühe, sich mit der Einheitsfarbe anzufreunden. Noch vor bolschewistischer Revolution und Kommunismus stand Rot für Krieg (…) Es sehen aber noch andere rot bei diesem Anblick dieser nicht enden wollenden Masse wippender, kreischender und fähnchenschwingender Menschen. Etwa jener ergraute Mann, der nicht einschwenken will in die nächtelang anhaltenden Lobpreisungen, weil ihn der Auflauf irritiert und an dunkle Stunden koreanischer Geschichte erinnert. Kwangju, Schauplatz des Viertelfinals der Einheimischen gegen Spanien und Herkunftsort des jetzigen Staatschefs Kim, war 1980 Brutstätte des Studentenprotests gegen die Diktatur von Chun Do-Hwang und für mehr Demokratie. Zehntausende junger Leute hatten sich damals in der südwestlichen Universitäts- und Kulturstadt den schwer bewaffneten Sicherheitskräften entgegengestellt. Hunderte starben im Hagel von Kugeln, Molotowcocktails und anderen Wurfgeschossen. Gedanken an diese selber erlebten Bilder lassen den Rentner erschaudern und Abstand nehmen vom heutigen Jubilieren.“
Zum Verhältnis zwischen den beiden Gastgebernationen meint Thomas Kistner (SZ 19.6.). „Während Japan an der Türkei zerschellte, die bisher nirgendwo ernsthaft im Kalkül stand, zwang der Erzrivale Südkorea das (gar nicht so) große Italien in die Knie – und bleibt als letzter Vertreter Asiens im Turnier. Schlimmer kann der Gesichtsverlust wohl nicht sein am Ende eines Jahre langen Kalten Fußballkriegs, den die zwei verfeindeten Stämme seit dem Zuschlag für ihren Doppelevent ausgefochten haben. Mal sehen, wie bekömmlich diese Entwicklung dem Binnenklima in den Gastgeberländern ist. Seit Beginn der WM wurde ja mit wachsender Irritation registriert, dass sich hier in den Straßen und Stadien gern ganz besondere patriotische Energien entladen. Und die Fifa selbst schloss vorsorglich über die Setzliste aus, dass beide Teams vorm Finale aufeinander treffen könnten – also gar nicht, die stille politische Vorgabe ließ sich leicht erfüllen.“
“Die Fußballbegeisterung befreit eine Farbe vom stalinistischen Stigma” bemerkt Anne Scheppen (FAZ 17.6.) zur Stimmung in Südkorea. “Wie schon die Olympischen Spiele 1988 soll auch die Fußball-Weltmeisterschaft als Schaufenster genutzt werden: Das Land will sich als jung, energiegeladen, vibrierend präsentieren, weg von den alten Metaphern der Morgenstille, des Einsiedlerstaates, des Kalten Krieges. Koreanische Analysen über die koreanische Fanbegeisterung spannen fast alle den großen Bogen, bemühen die Geschichte, die Volksmentalität. Mit dieser Kraft habe man Jahrhunderte der Invasion überstanden, mit dieser Energie habe man sich nach dem Korea-Krieg vom Agrarstaat zur Industrienation emporgearbeitet. Mit persönlichem Einsatz vieler habe man auch die Währungskrise 1998 gemeistert, die Zweifler im Ausland überzeugt. Damals hatten Millionen Koreaner sogar ihren Goldschmuck dem Staat gegeben, um die nationalen Reserven aufzustocken. Zusammen ans Ziel, gemeinsam stark für Korea – dieses patriotische Credo gilt auch jetzt, für die Fußball-Weltmeisterschaft. Beeindruckend sind das Farbenmeer der T-Shirts, die Schlachtgesänge, die Trommelwirbel. Doch die Fußballekstase, so uniform und synchron sie zum Ausdruck kommt, trägt schon Züge der Hysterie – als wäre es eine religiöse Bewegung, deren gedrillte Anhänger einer neuen Gottheit huldigen: dem koreanischen Fußball.”
Zur Stimmung in Japan bemerkt Lukas Schwarzacher (FR 17.6.). „„Was sich hier abspielt, ist eine radikale soziale Wende auf psychologischer Ebene“, urteilt ein europäischer Diplomat mit langer Japan-Erfahrung über die spontanen Gefühlsausbrüche. Etwas, das in Japan bisher negativ beurteilt wurde. Der Fußball hat das, zumindest einstweilen, verändert. Hatten Medien, Werber und Sponsoren vor Beginn der WM-Endrunde noch einen Mangel an Enthusiasmus gefürchtet, steht nun fest, dass Fußball in Japan demnächst Baseball als Nationalsport ablösen könnte – und ein offener Umgang mit den eigenen Gefühl die japanische Zurückhaltung.“
Von der „Massenhysterie“ in Südkorea berichtet Ralf Wiegand (SZ 16.6.). „Die Spirale des Wahnsinns dreht sich weiter, und langsam sollte in Korea mal jemand auf den Gedanken kommen, ob die Sache nicht außer Kontrolle geraten könnte. In einer für Europäer nicht nachvollziehbaren Bereitschaft zur totalen Aufgabe der eigenen Identität, um Teil eines unglaublichen, uniformierten Jubels zu werden, berauschten sich die Koreaner an einem Fußballspiel, das für ihre Mannschaft zum Triumphmarsch geriet und für die Portugiesen in einem Drama endete (…) Der rote Rausch, der gleichzeitig ein Jugendkult ist – man sieht fast nur Teenager im Stadion und auf den Straßen – hat auch groteske Züge. So reagierte die aufgedrehte Menge im Stadion wie programmiert auf die Anzeigentafel, buhte die in Großaufnahme gezeigten Portugiesen aus und bejubelte die eigenen Helden – mitten im Spiel, und wenn Hiddink eingeblendet wurde, „der Fußball-Messias“ (Korean Herald), brach ein Begeisterungssturm los, selbst wenn der Ball gerade ins Aus gerollt war. Mit diesen Leuten könnte Hiddink alles machen, sie würden ihm bedingungslos folgen.“
Zur öffentlichen Euphorie in Japan bemerkt Anne Scheppen (FAZ 15.6.). „Das Stadion in Osaka – blau wie die See. Blau sind die Straßen in Tokio, in Yokohama, in Sendai. Zehntausende in den Trikots der Nationalmannschaft, lachend und singend. Manche weinen. Wer wird jetzt noch behaupten dürfen, die Japaner seien ein kontrolliertes Inselvolk, das nichts vom Feiern, nichts vom öffentlichen Freuen versteht? Wer wird jetzt noch das Vorurteil bemühen können, die Koreaner wären die Italiener und die Japaner die Eskimos Asiens? Japan freut sich ungezwungen über einen Erfolg, den es sich lang ersehnt und redlich erspielt hat. In nur einer Woche ist die Fußballwelle über das Land geschwappt, hat alle mitgerissen: Alte und Kinder, Männer und Frauen. Menschen, die den Ballsport lieben, und Menschen, die ihr Land lieben und es siegen sehen wollen. Ob es ein Omen war, dass am Mittag unter Tokio die Erde wackelte, erschüttert von einem – glücklicherweise harmlosen – Beben der Stärke fünf?“
Von der Atmosphäre in Japan nach dem Sieg gegen Russland berichtet Martin Hägele (FR 11.6.). „Viele Japaner sind dann doch erschrocken über sich selbst: Dass sie einem Gaj-jin, einem Ausländer also, den Blick in ihre Gefühlswelt preisgegeben haben, indem sie von ihren Tränen erzählten. Dass einander unzählige wildfremde Menschen in den Armen lagen, wo sie doch für ihre distanzierte Etikette und körperliche Berührungsängste berühmt sind. Diese Emotionen hatten nichts mehr mit ihrer Mentalität zu tun. Zum erstenmal empfanden nicht die Besucher Nippons einen Kultur-Schock, jetzt kam der Impuls von innen. Und sie selbst hatten ihn ausgelöst. Das blaue Fieber. Ein Land entdeckt seinen Patriotismus in einem neuen Sport (…) Vielleicht ist nach jener historischen Nacht überm Land der aufgehenden Sonne nicht nur eine rote Kugel, sondern tatsächlich ein Fußball aufgegangen.“
Der FR (11.6.) verdanken wir diesen Hinweis. „Niemanden auf diesem Planeten trifft es indes unvorbereitet zu hören, dass der Reinlichkeits-Preis dieser WM an die braven Helden des Gastgeberlandes Japan geht. Tipptopp habe man die Umkleide der Elf Nippons nach dem Sieg über Russland vorgefunden, heißt es bei der Fifa. Kein Tape, keine Bananenschale, nicht mal ein in die Ecke gepfeffertes Pflaster, nada. „Es sah aus, als ob überhaupt niemand da gewesen sei“, staunte Fifa-Mediendirektor Keith Cooper. Der Putzfimmel der Profis habe dem Reinigungspersonal alle Arbeit abgenommen.“
Anne Scheppen (FAZ 11.6.) berichtet von nahezu „südländischen Verhältnisse“ in Japan. „Die Freude in Japan mag im Vergleich zu koreanischen und europäischen Gefühlsausbrüchen immer noch sehr zurückhaltend wirken, doch für die junge Fußballnation war dies schon eine Nacht der Ekstase. In Japan stellt man Gefühle nicht öffentlich zur Schau, den Polizisten vor dem Sports Cafe ist die Verwunderung über das Spektakel anzumerken. Zum Schluss bleibt alles so brav, wie man es gewohnt ist: Den Ordnungshütern, die hauptsächlich damit beschäftigt waren, zu verhindern, dass freudestrunkene Fans auf die Straße stolpern, wird artig gedankt. Bei aller Begeisterung will niemand ein Ärgernis sein, anderen unnötig Arbeit machen. Kellner und Fans kehren noch vor ein Uhr früh den Gehweg, der Unrat kommt ordentlich in Plastiktüten. Zwei Stunden nach Spielende ist Ruhe eingekehrt.“
Anne Scheppen (FAZ 10.6.) zum selben Thema. „Wenn sich Südkorea und Amerika in Daegu gegenüberstehen, ist mehr im Spiel als Fußball. Das Kräftemessen geht über die sportliche Konkurrenz hinaus: das kleine, geteilte Korea gegen die Übermacht des großen Amerika. Für die koreanischen Medien ist die Partie am Montag das Spiel der Spiele. Amerika ist für Südkorea Beschützer und Besatzer, ein bewunderter Bruder, dessen Dominanz auch Ablehnung weckt. Südkorea verdankt den Vereinigten Staaten die Freiheit und hat doch, nach fast einem halben Jahrhundert, den Schmerz der Teilung nicht überwunden (…) Die Ressentiments gegen die Amerikaner sind nicht zu übersehen, an Universitäten gibt es immer wieder antiamerikanische Proteste, die sich mit nationalistischen Parolen mischen, das Verbrennen des Sternenbanners ist ein politisches Ritual. Die Gegner kommen aus den konservativen Reihen, aber sind ebenso in linken Kreisen zu Hause. Sie verlangen eine Reduzierung oder den Abzug der Truppen, erheben den Vorwurf, dass die Amerikaner in Südkorea nur ihre eigenen Interessen vertreten, sehen sich als Partner an den Rand gedrängt.“
Die Umgangsweise des US-Teams mit solchen Situationen beschreibt Roland Zorn (FAZ 10.6.). „Claudio Reyna, der von einer Muskelverletzung wieder genesene Kapitän der amerikanischen Auswahl, hält die heiße Diskussion der vergangenen Tage über Ressentiments bis hin zur Feindseligkeit gegenüber der Schutzmacht, die noch immer 37.000 Soldaten in Südkorea stationiert hat, für aberwitzig (…) Wie er teilen seine Kollegen die Ansicht, dass das Straßentheater zum Vorspiel auch dazu dienen soll, die Begegnung selbst zu einer patriotischen Demonstration koreanischer Stärke auch auf den Rängen zu stilisieren. Wer aber wie das Team von Arena in den Qualifikationsspielen der Nord- und Mittelamerikazone daran gewöhnt ist, antiamerikanische Schmähungen, ob in Mexiko, Jamaica oder Trinidad/Tobago, auszuhalten, den schreckt die Kraftprobe von Daegu auch nicht mehr.“
Das ambivalente Verhältnis zwischen Südkorea und den USA skizziert Ralf Wiegand (SZ 10.6.). „Rund 37.000 US-Soldaten sind in Südkorea als Außenposten der westlichen Welt gegen die Kommunistische Volksrepublik Nordkorea stationiert. Das schätzen die Südkoreaner einerseits, andererseits fühlen sie sich mit den geknechteten Nachbarn in der Seele verbunden. Viele verwandtschaftliche Beziehungen wurden durch die Teilung Koreas auf genauso dramatische Weise abgeschnitten wie beim Mauerbau 1961 in Deutschland. Beide Länder feiern den 15. August zudem als Jahrestag der Unabhängigkeit von Japan (1948). Die südkoreanische Bevölkerung befürwortet deshalb die „Sonnenscheinpolitik“ genannte Annäherung von Präsident Kim Dae Jung an den Norden. Die allerdings liegt in Trümmern, seitdem der amerikanische Präsident Georg W. Bush Nordkorea in die Reihe der Schurkenstaaten einreihte. Bei einem Besuch an der Demarkationslinie im vergangenen Februar streifte Bush Regime in Pjönjang ausdrücklich noch einmal als „böse“.“
Völkerverbindende Ambitionen der WM stellt Ralf Wiegand (SZ 8.6.) in Abrede. „Vielleicht hatte ja jemand in der Fifa insgeheim darauf gehofft, für den Friedensnobelpreis in Betracht gezogen zu werden durch diese WM. Es ist nämlich in der Sportpolitik eine populäre Schwärmerei, die einigende Kraft des Sports möge auf Länder wirken, die ein paar Probleme mit sich selbst oder mit anderen haben. Auf diese Weise gelangte China an die Olympischen Spiele 2008, deshalb flatterten Friedens-tauben durchs schwerst- kommunistische Moskau, und gerne glauben die Sportführer der Welt, der Ausschluss Südafrikas vom Rennen, Laufen und Springen habe geholfen, die Apartheid zu überwinden. Friedensstifter Sport – welch’ eine Vision.“
Die Reaktionen der japanischen Medien auf das 2:2-Remis ihrer Mannschaft gegen Belgien analysiert Anne Scheppen (FAZ 8.6.). „Die Presse betätigt sich als Cheerleader für die Nation. Wieder und wieder werden die beiden Tore von Junichi Inamoto und Takayuki Suzuki im Fernsehen bejubelt. Nachdem sich die Gegner der nächsten Begegnung erstmals beim Training einem größeren Publikum gezeigt hatten, stellte die Zeitung Sankei Sports voller Genugtuung fest, die russischen Eisbären hätten offensichtlich größere Schwierigkeiten mit den hohen Temperaturen in Japan und der großen Luftfeuchtigkeit: Die Siegeschancen stehen also gut, denn der Wetterbericht sieht für Sonntag in Yokohama Hitze voraus. Die nicht zu ekstatischer Begeisterung neigende, überaus seriöse Yomiuri Shimbun vermerkte immerhin, es gebe keinen Grund, warum die Japaner sich nicht gegen die wechselhaften Russen durchsetzen sollten. Schließlich zögen Troussiers Soldaten mit etwas ins Stadion ein, das vor vier Jahren unter dem unerfahrenen Okada noch gefehlt habe: Vertrauen. Die Asahi Shimbun orakelt mit Weitblick: Japans Schicksal steht auf dem Spiel.“
In Südkorea hat sich Helmut Schümann (Die Zeit 6.6) auf Spurensuche begeben und nur das „Imitat einer Weltmeisterschaft“ vorgefunden. Er berichtet vom Eröffnungsspiel in Seoul. „Knapp 64.000 Menschen sind im Stadion, ein paar Franzosen sind da, ein paar Senegalesen, insgesamt vielleicht 1.000 Menschen. Die singen, schreien, stöhnen. Die anderen schauen auf die Anzeigentafel, wo eine digitale Farbskala die Lautstärke im Stadion anzeigt und auffordert zu singen: »La, la, la!« Die Fans bleiben stehen nach dem Abpfiff, die Zuschauer gehen.“ Und die Unterstützung der teilnehmenden Mannschaften durch 32 koreanische Konzerne gestaltet sich derart: „Sie haben Nationaltrikots angefertigt, den Firmennamen mit aufgeflockt und verdienten Mitarbeitern ausgehändigt. Und die sitzen dann mit Freikarten im Stadion und entrollen große Transparente, auf denen zum Beispiel steht: “Ulsan citizen supports Denmark. Hyundai.” Wenn dann der Uruguayer Rodriguez einen langen, aber doch völlig harmlosen Pass auf den Flügel schlägt und die südkoreanischen Dänen entsetzt aufschreien, dann wird der Verdacht Gewissheit, dass das Gros dieser Supporter noch nicht viele Fußballspiele gesehen hat.“
Über die „ausgiebigen Feiern“ der Gastgeberländer nach deren überaus gelungenen Turnierauftakten berichtet Anne Scheppen (FAZ 6.6.). „Wenn bisher abseits der Stadien noch weitgehend Ruhe herrschte, so ist mit dem gelungenen Auftakt gegen Belgien in Saitama auch bei den Baseball-Fans das „Sokka“-Fieber ausgebrochen. Am Dienstag Abend war Tokios gewöhnlich überfüllte Flanierstraße Omotesando menschenleer. Vor überfüllten Sportlerkneipen standen Fernseher, weil man des Andrangs im Inneren nicht anders Herr werden konnte. Sogar Ministerpräsident Koizumi, der es erst zur zweiten Halbzeit ins Stadion nach Saitama schaffte, zeigte, ein wenig verblendet allerdings, Begeisterung: Das war das bewegendste Spiel, das ich je gesehen habe“ (…) „Endlich Sieg!“ Die Schlagzeile der KoreaTimes spiegelt die Gefühle einer stolzen Nation, die es satt hat, immer nur die zweite Geige zu spielen.“
„Blaues Fieber, was ist das eigentlich?“ fragt Holger Gertz (SZ 6.6.) bezüglich der Fußballbegeisterung in Japan. „Also, blaues Fieber ist erst mal eine Marketingidee einer großen Sportartikelfirma, die in diesem Jahr in ihren Werbespots die Begeisterung für den Fußball in der Welt als eine Art Krankheit darstellt, besser gesagt als Macht, der sich niemand entziehen kann. Sie nennen das „Footballitis“. Das blaue Fieber ist eine Vorstufe der Footballitis, und es greift um sich in Japan, dessen Nationalspieler blaue Trikots tragen, wie auch deren Fans. „I got blue fever“, steht auf den Reklameplakaten in der Stadt, und nach einer Woche Weltmeisterschaft kann man schon sagen, dass aus der Werbeidee ein Teil der Wirklichkeit geworden ist. In den Zügen zum Beispiel, die in und um Tokio fahren: die Yamanote line ist grün eingezeichnet im Bahnplan, die Ginza line orange, die Hanzomon line rosa – aber die Reisenden darin sind blau, japanblau, fantrikotblau, fieberblau. Und die, die ins Büro fahren, die anzugschwarzen Manager, sie schauen fragend und etwas ratlos. Wohin? Ins Blaue.“
Über die Stimmung in Südkorea schreibt Christoph Biermann (SZ 6.6.). „Nach Abpfiff hatte es im ganzen Land so enthusiastische Siegesfeiern gegeben, als hätte die Nationalmannschaft den WM-Titel gewonnen. Die sonst so kontrollierten Koreaner wurden erstmals der gerne kolportierten Behauptung gerecht, dass sie die Italiener des Fernen Ostens sind. Während des Spiels war bereits das Unvorstellbare geschehen: Die Straßen von Seoul, Busan und überall sonst im Land waren leer, wie die staunenden Koreaner am Fernseher sehen konnten. Als das Spiel vorbei war, stürzten die Leute nach draußen, um mit südländischen Autokorsos den Sieg zu feiern. In der Innenstadt von Seoul brach selbst auf den zehnspurigen Straßen der Verkehr zusammen. Noch süßer machte den Erfolg, dass am asiatischen Tag der 17. Weltmeisterschaft weder Japan noch China ein Sieg gelungen war.“
Die beiden Gastgebernationen greifen erst zum Schluss ins Geschehen ein. Anne Scheppen (FAZ 4.6.) dazu. „In Europa oder Südamerika mag diese Terminplanung die ohnehin knisternde Spannung nochmals künstlich anfachen, für die beiden fernöstlichen Gastgeber wird sie aber zur Qual. Man ist sich der Leistungskraft der eigenen Mannschaft eben nicht so sicher. In beiden Ländern hat es der Fußball in den vergangenen Jahren zwar weit gebracht; im Vergleich mit den Großnationen dieses Sports aber ist die Außenseiterrolle geblieben.“
Die Anteilnahme der beiden Gastgeber am Turniergeschehen kommentiert Roland Zorn (FAZ 3.6.). „In Seoul und in vielen anderen Städten des Landes schauten sie am Freitag Abend stolz auf ihr Land. Bei den zahlreichen Begegnungen im öffentlichen Raum scharten sich die Menschen vor Großleinwänden in den Zentren der Kommunen oder in den mit Fernsehgeräten reichlich ausgerüsteten Bars und Kneipen zusammen. Als dann der spezielle Alltag dieses Turniers am Samstag in Japan und Korea begann, waren die ersten ernüchternden Beobachtungen ausgerechnet beim Blick auf die Tribünen zu machen. Keines der Stadien war zu hundert Prozent ausgelastet.“
Georg Blume (Die Zeit 29.5.) berichtet vom Schattendasein des Fußballs in Japan. „Fußball ist in Japan ein Sport der Unangepassten, der Außenseiter (…) Anders als in Europa ist er nicht Volks-, sondern Subkultur, Fluchtstätte für Pubertierende, für Außenseiter oder für solche, die zumindest am Wochenende am Rande der Gesellschaft stehen wollen.“ Dies gilt auch für Hidetoshi Nakata. „Der 25-jährige Spielmacher der Nationalelf ist bisher der einzige Japaner, der im Fußball auch auf internationaler Ebene mit seinen Leistungen auffällt: zuletzt beim Pokalfinale in Italien, als er seinem Verein, dem AC Parma, mit einem spektakulären Volleytor den Sieg über Juventus Turin sicherte (…) Nakata, der Mann mit den rot gefärbten Haaren, gilt als Einzelgänger.“ Auf seiner Homepage gibt er zu, wie er „beim jüngsten Gastspiel der Nationalelf in Warschau Hotel und Mannschaft am Abend allein ließ, um die polnische Küche auszuprobieren.“
Die Stimmung in Sapporo – Austragungsort des Spiels Deutschland gegen Saudi-Arabien – ist getrübt, was durch die Intensität der dortigen Sicherheitsvorkehrungen zusätzlich verstärkt wird. Anne Scheppen (FAZ 1.6.) dazu. „Kurz vor dem ersten Spieltag in Japan herrscht im hohen Norden mehr Unsicherheit als Freude. Aus Angst vor den Gästen werden Geschäfte geschlossen, Kinder im Haus gehalten. Die Aussicht auf Horden betrunkener Fußballfans hat den Enthusiasmus gebremst, noch ehe er richtig ausbrechen konnte. Seit Wochen berichten die Medien landauf, landab über ein Schreckensgespenst: den Hooligan. Kaum ein Tag verging, ohne dass die Polizei mit großem Aufgebot an einem der zehn Austragungsorte den Ernstfall probte und mit Helmen und Schlagwaffen zum Einsatz schritt. Die Bilder sollten beruhigen, sie bewirkten aber das Gegenteil (…) Die Ängste – zumindest vor den Hooligans – wirken so überzogen, dass sogar Prinz Takamado, der als Mitglied der kaiserlichen Familie für die Eröffnung nach Seoul gereist ist, warnt, bei all den Sicherheitsvorkehrungen könnte die Freude auf der Strecke bleiben.“
Die Eröffnungsfeier kommentiert Andreas Burkert (SZ 1.6.). „Die Gastgeber haben wie gewohnt den Anspruch, die Bestmarken der Vorgänger zu übertreffen. Bei den Kosten ist ihnen ein Rekord bereits sicher: Einen Etat von 560 Millionen Euro hat der Weltfußballverband Fifa für die erste WM in Asien veranschlagt, womit sich das Budget im Vergleich zur WM ’98 in Frankreich verdoppelte. 50 Millionen Euro sind allein für die massiven Sicherheitsvorkehrungen verplant, welche die Fifa nach den Terroranschlägen des 11. September anordnete. Trotzdem soll diese WM ein Fest des Sports, der Farben und der Verständigung werden. Da passte es gut, dass ein Friedensnobelpreisträger vor dem Auftaktspiel die Eröffnungsformel sprach: Kim Dae Jung, Südkoreas Staatspräsident, der den Versöhnungsprozess mit dem kommunistischen Nordkorea in Gang gebracht hat. „Durch die Fußballspiele wird sich die ganze Welt vereinen, unabhängig von Abstammung und Religion“, sagte er.“
Für die beiden Ausrichternationen gelten jedoch andere Voraussetzungen, wie Henrik Bork (SZ 31.5.) bemerkt. „Die Wunden, die Japans brutale Okkupation der koreanischen Halbinsel zwischen 1910 und 1945 geschlagen haben, liegen so offen wie lange nicht mehr. Ein Grund ist die Weigerung vieler Japaner, ihre historische Verantwortung einzugestehen. Selbst während der gemeinsamen Vorbereitung der WM hatte es im vorigen Jahr einen neuen Streit über japanische Geschichtsbücher gegeben. Viele historische Gräuel der Japaner in Korea, etwa die Zwangsprostitution koreanischer Frauen in japanischen Bordellen, waren geschönt oder ausgelassen. Seoul war empört.“
Über die Motivlage der Fifa, eine WM erstmals nach Asien zu vergeben, schreibt Ralf Wiegand (SZ 31.5.). „Für die Machthaber dieses Sports, die gerade in Seoul beim Wahlkongress des Weltverbandes Fifa eindrucksvoll bewiesen haben, wie selbstherrlich sie die Befehlsgewalt zu verteidigen bereit sind, wird ein durchorganisierter Spielbetrieb auf diesem Kontinent einen enormen Machtzuwachs bedeuten. Fußball steht mit anderen globalen Sportverbänden im Wettstreit um Absatzmärkte und Einflusszonen. Außerdem brauchen die Sportartikelhersteller neue Kundschaft für Stollenschuhe und Kunstfaser-Trikots. Die so genannten Weltstars des Fußballs, Werbe-Lokomotiven ihrer Ausrüster, sind ja so lange nicht wirklich welche, wie man sie in Gwangju und Oita nicht kennt.“
Ob des Vorhabens, die Interessen beider Länder konfliktfrei vereinbaren zu können, ist Roland Zorn (FAZ 31.5.) skeptisch. „Erstmals nämlich versucht die Fifa in zwei Ländern gleichzeitig, ans Ziel ihrer Wünsche zu kommen. Ausgerechnet in Südkorea und Japan, wo die gemeinsame Geschichte die Menschen eher trennte, als sie einander näher zu bringen, soll ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter sportlichen Vorzeichen wachsen. Wenn sich die Fifa da mal nicht übernimmt. Tatsächlich war die Vergabe der WM an Südkorea und Japan vor sechs Jahren nicht etwa das Ergebnis eines großen, historisch gemeinten Wurfs, sondern ein Formelkompromiss unter den schon damals nahezu verfeindeten Spitzen der auf Japan fixierten Fifa einerseits und der mit Südkorea verbündeten Europäischen Fußball-Union andererseits.“
Nicht zuletzt ringen Japan und Südkorea um wirtschaftliche Überlegenheit. Anne Scheppen (FAZ 31.5.) sieht jedoch Möglichkeiten zur Überwindung nationaler Schranken. „Daneben steht aber auch die natürliche Rivalität von großem und kleinem Bruder, von wirtschaftlicher Weltmacht und aufstrebendem Tigerstaat. Überlegenheitsgefühl und Minderwertigkeitskomplex, Neid und Überheblichkeit erschweren den Dialog von zwei Nationen, die ebenso viel gemeinsam haben, wie sie trennt (…) Doch die junge Generation überwindet die Gräben schneller als die Älteren. Junge Japaner finden Korea cool und haben die koreanische Mode und Küche für sich entdeckt. Junge Koreaner folgen den Trends aus Tokio. Noch nie haben so viele junge Japaner Koreanisch gelernt wie in den vergangenen Jahren. Und die japanische Popmusik, die Kulturwächter in Seoul zu bannen versuchen, holen sich die Fans aus Korea ohnehin schon aus dem Internet.“
Über die ökonomische Bedeutung, die der Ausrichtung der Fußball-WM im Gastgeberland Südkorea beigemessen wird, schreibt Felix Reidhaar ( NZZ 31.5.). „14 Jahre nach den Olympischen Sommerspielen, die für das isolierte und von seinen Nachbarn in der Geschichte wiederholt angegriffene Land wirtschaftlich wie politisch bahnbrechenden Charakter bekamen, ist die Chance günstig, sich ins Gedächtnis einer Weltöffentlichkeit zurückzurufen. Wichtig für die Imageförderung und den ökonomischen Einfluss. Denn die Milliardeninvestitionen in Sportinfrastruktur sind zu amortisieren.“
Holger Gertz (SZ 29.5.) über japanische Wahrnehmungsmuster. “Eine ferne Galaxie ist dieser Spielplatz hier sowieso, für jemanden, der Fußball in Deutschland gewohnt ist, und Fußball in Deutschland heißt doch: Sich einen Fan-Schal umbinden, sich eine Bratwurst kaufen im Stadion und mehrere Biere, sich gepflegt gehen lassen, den Schiedsrichter ein dummes, womöglich blindes Schwein nennen; heißt schließlich reden und reden und reden, im Stadion schon und in der Kneipe danach. Reden über einen Ball, der drin war oder nicht; eine ganze Woche lang reden, palavern, schwätzen bis zum nächsten Spiel. In Japan debattieren sie ganz anders über Fußball, man hat das in den letzten Tagen im Fernsehen hier beobachten können, wo es vorkommt, dass ein am Tor vorbeigeschossener Ball nicht besprochen, sondern analysiert wird, mit minutenlangen Wiederholungen in Zeitlupe und Superzeitlupe und Standbild, mit Schaubildern und Grafiken, auch dann, wenn es um eine ziemlich simple Aktion geht. Ein Stürmer zum Beispiel, der aus fünf Metern den Fußball nicht in den Kasten tritt, wird in Deutschland verhöhnt, dass es kracht. Als bei der vergangenen WM in Frankreich der Japaner Masashi Nakayama aus fünf Metern gegen Kroatien versagte, spürten japanische Reporter, auf der Suche nach Ursachen für seinen Fehlschuss, seine Familie und seine Nachbarn auf, recherchierten, dass der Kellner im Hotel des japanischen Teams Kroate war, fanden, da müsse doch ein Zusammenhang bestehen, fragten Experten für solche Zusammenhänge, wollten schließlich ermitteln, was nicht zu ermitteln ist: Die Gründe dafür, dass einer manchmal vor dem Tor alles vergisst, was er gelernt hat.”
Die FAZ (28.5.) befasst sich mit dem Prestigewert Fußball-Weltmeisterschaft in Südkorea. „Das größte Sportfest, das zusammen mit Japan ausgetragen wird, hat in Südkorea nationalen Ehrgeiz entfacht, als hätte man nur diese dreißig Tage, um sich der Welt zu beweisen. Vierzehn Jahre ist es her, dass Südkorea ähnlich hell im Rampenlicht stand. Die Olympischen Spiele in Seoul waren ein Wendepunkt für das kleine Land, das sich unter den Augen der Welt von der Militärdiktatur löste und zu einer demokratischen Industrienation aufstieg. Mit einem Schlag wurde Südkorea wahrgenommen – ein „Tigerstaat“, der anderen Furcht und Respekt einflößte. Doch mit der Finanzkrise 1997 nahm auch das koreanische Selbstbewusstsein Schaden. Nun erhofft man sich von der WM zumindest wirtschaftlich ähnliche Impulse wie von den Sommerspielen 1988. Während Japan von Großereignissen verwöhnt ist, hat Südkorea erst jetzt wieder eine Chance, sich international zu präsentieren. Das ist ein nationales Anliegen (…) In den südkoreanischen Enthusiasmus mischen sich viele Emotionen: ein ungewöhnlich starker Nationalstolz, Minderwertigkeitsgefühle und Rivalität gegenüber Japan, der Wunsch, als erfolgreiche Wirtschafts- und Technologienation wahrgenommen zu werden.“
Anne Scheppen (FAZ 28.5.) berichtet über die Stimmung im anderen Gastgeberland. „Wenn Japan etwas macht, dann richtig und ohne Kosten und Verschwendung zu scheuen. Für seine zehn Stadien und die Infrastruktur hat Tokio umgerechnet fünf Milliarden Euro ausgegeben – Südkorea etwa 1,9 Milliarden. Und dennoch: Wer in beide Gastgeberländer einreist, mag in Japan den kindlichen Patriotismus der Koreaner vermissen, für die eine WM noch immer ein Beweis der eigenen Wettbewerbsfähigkeit ist. Japan hingegen hat das nicht mehr nötig, die zweitgrößte Industrienation der Welt braucht nach drei Olympischen Spielen – 1964, 1972 und 1998 – sowie ungezählten Meisterschaften nicht mehr den Sport, um sich auf der internationalen Bühne Anerkennung zu verschaffen. Nationalstolz findet andere Ventile, Fußballbegeisterung wird in Japan nicht mehr von der Regierung verordnet (…) Die größte Begeisterung für die Weltmeisterschaft 2002 pflegten in den vergangenen Monaten jene, die von dem Fußballturnier zu profitieren hoffen: Japans High-Tech-Industrieunternehmen.“
Auch Lukas Schwarzacher (FR 28.5.) ist bezüglich japanischer Begeisterungsfähigkeit skeptisch. „Was noch fehlt, ist landesweiter Enthusiasmus für das bevorstehende Großereignis. Inzwischen werden an die 3 000 Produkte mit einem lizenzierten WM-Logo verkauft, von der Papiertüte über Sake(Reiswein)-Flaschen bis zu Maskottchens aus Plüsch und sogar einem „WM-BH“, doch Japan ist vom WM-Fieber noch weit entfernt.“
Martin Hägele (NZZ 27.5.) schreibt über die Methoden der Nationaltrainer aus den beiden Ausrichterländern. „Mit Sicherheit ist kein Kader an diesem Turnier so fit wie jenes Troussiers (Trainer Japans). Dafür hat der Franzose mit einem äußerst strikten Ernährungsplan gesorgt. Sollte er ein Fitzelchen Fett auf dem Teller der Spieler entdecken, wäre wohl einer der elf Küchenchefs, die in dem japanisch aufgezogenen Hotel im WM-Quartier exakt nach den Vorschriften des Konditionstrainers kochen, sofort seinen Job los (…) In der Endphase der Turniervorbereitung hat Troussiers holländischer Kollege Guus Hiddink im Nachbarland Südkorea mit noch viel mehr Tradition gebrochen. Nicht n ur, was die Ernährung betrifft, hat Hiddink seine Klientel kaserniert wie Klosterschüler: keine Interviews mehr, Natel-Verbot im Camp, das wie Fort Knox bewacht wird. Ausgerechnet Hiddink als Korporal, der früher mit seinen Holländern immer auf die lockere Tour gereist ist. Plötzlich aber scheinen all diese Maßnahmen zu fruchten.“
Michael Ashelm (FAS 26.5.) bezeichnet das Weltturnier als Ausdruck einer „Welle kommerzieller Expansionspolitik des Fußballs (…) Seit dem vergangenen Fest vor vier Jahren in Frankreich, als der Boom so richtig in Schwung gekommen war, hat sich im Weltfußball viel verändert. Bis zum letzten Cent ist das Produkt auf dem Kernmarkt Europa ausgequetscht, sind alle Möglichkeiten der Vermarktung ausgeschöpft worden. Die Krise, die mit dem Bankrott des FIFA-Partners ISL/ISSM begann und sich mit der Kirch-Insolvenz fortsetzt, hat viele Beteiligte eines maßlos überstrapazierten Systems in existenzielle Nöte gebracht (…)Wenn der Ball die nächsten Wochen zig Stunden durch die zwanzig Stadien rollt, dann sollen via Fernsehen die Märkte zwischen Japan und Arabien stimuliert werden.“
Der Oman Daily Oberserver (25.5.) berichtet von einer Untersuchung über den Stellenwert des Fußballs und der Weltmeisterschaft in den beiden Gastgeberländern. Man hat festgestellt, dass der Engländer David Beckham den Brasilianer Ronaldo als beliebtester Spieler Asiens abgelöst hat. „Ronaldo Co sehen die asiatischen Fans hingegen als Favorit auf den WM Titel, gefolgt von Titelverteidiger Frankreich. Nur in Thailand liegen die Engländer als erster Titelanwärter vorne, da englischer Fußball dort einen hohen Stellenwert genießt und Beckham den Status einer kleinen Gottheit besitzt.“ Eine deutliche Differenzierung führt der „Oman Oberserver“ (Ausgabe vom 25. Mai) an: „Die asienweite Umfrage fand heraus, dass 89% der Koreaner an der WM interessiert sind, hingegen nur jeder Dritte Japaner angab, an dem Fußballfest interessiert zu sein.“
Ralf Itzel (SZ 27.5.) hat bei einem Testspiel einen Vorgeschmack auf japanische Stadionatmosphäre bekommen. „Im Stadion gilt es auch einiges zu beachten, aber immerhin wird man per Leuchtanzeige stets höflich gebeten: Zu sitzen, wenn die Teams den Rasen betreten, aufzustehen bei den Hymnen, nicht zu rauchen, keine Gegenstände auf den Rasen zu werden, den Abfall zu trennen und doch bitte nach Spielende mit auf zu räumen! Schließlich gilt es, das Gesamtbild zu wahren.“
Zu den Sicherheitsbedenken und -vorkehrungen in Japan und Südkorea bemerkt Roland Zorn (FAZ 27.5.). „Für den harten Kern der europäischen Fußball-Krawallbrüder dürfte diese WM zu teuer und zu weit weg sein, um ihr nachhaltig schaden zu wollen. Ernster zu nehmen sind da schon die Vorkehrungen vor möglichen terroristischen Anschlägen auf die WM, gegen die man sich im Fernen Osten mit Überwachungsflügen und militärischer Prophylaxe bis hin zu möglichen Raketenschlägen wappnet.“
Ein Zwischenfall illustriert die problematische Beziehung der beiden WM-Gastgeberländer Südkorea und Japan. Es ist nicht der erste. Henrik Bork (SZ 22.5.) berichtet. „Japan und Südkorea richten diese WM gemeinsam aus. Und da wollen beide Länder zumindest für die Dauer des Turniers gute Nachbarn sein (…) Dass es da noch viel Nachholbedarf gibt, ungeachtet all des Übens und des guten Willens, hat sich schon im Vorfeld dieser ersten Fußball-WM, die auf zwei Länder aufgeteilt worden ist, gezeigt. Japan und Südkorea hatten sich ursprünglich getrennt um die WM beworben. Als der damalige Fifa-Präsident Joao Havelange am 31. Mai 1996 überraschend verkündete, beide Länder sollten sie gemeinsam bestreiten, war man weder in Tokio noch in Seoul erfreut. Die Ränkespiele im Exekutivkomitee der Fifa hatten zwei Rivalen ins Rennen geschickt, deren gegenseitiges Misstrauen aus einer schmerzhaften Vergangenheit gespeist wird (…) Auf Regierungsebene sind sich beide Länder bislang kaum näher gekommen. Der Ballkünstler Koizumi hat hier das größte Eigentor geschossen. Vergangenen Monat, also bereits mitten in der WM-Vorbereitung, besuchte der Premier erneut den umstrittenen Yasukuni-Schrein. Dort gedenkt Japan seiner Kriegstoten, leider auch einer Reihe toter Kriegsverbrecher. In Korea, das von 1910 bis 1945 unter einer brutalen japanischen Besatzung gelitten hat, wird das als Affront gesehen. Erboste koreanische Veteranen hackten aus Protest auf offener Straße ein quiekendes Schwein zu Tode, auf das sie „Koizumi“ gepinselt hatten. Die alten japanisch- koreanischen Wunden klaffen so offen wie eh und je, Fußball-WM hin oder her.“
Anne Schneppen (FAZ 11.4.) berichtet von der Angst des WM-Veranstalters Japan vor britischen Fußballfans und der “Jagd auf das Ungetüm Hooligan”. “Den Anwohnern empfiehlt die Polizei, alles, was als Waffe dienen könnte, wegzuschließen: Blumenkübel, Fahrräder, Besenstiele. Gegen das Ungetüm Hooligan entwickelten japanische Forscher einen ultraleichten, ultramodernen dreiteiligen Schutzanzug aus Plastik und Duraluminium. Kleine Gruppen unkontrollierbarer Hooligans will die größte Walfangnation nicht torpedieren, sondern mit einem sanften Netz zur Räson bringen. Erfunden wurde die Netzpistole, die gleichzeitig drei Menschen zu Fall bringen kann. Für den Schützen fand die heimische Presse schon einen passenden Namen: Spiderman. Von den Sportjournalisten des Landes werden all diese Bemühungen um die nationale Sicherheit allerdings kaum gewürdigt, sie machen sich eher darüber lustig und verweisen auf den – wenig geliebten – südkoreanischen Partner, dessen Waffen größeres Kaliber haben. Südkoreas Militär wird Flugabwehrraketen in der Nähe der Stadien positionieren.”
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Verlust
Tim Bartz (FTD 22.4.) meldet Verlust. „Verabschieden muss sich die Liga am Saisonende von einigen Kickern, die wegen ihrer Spielkunst im Beruflichen und Schrägheit im Privaten im Gedächtnis haften bleiben. Während Stefan Effenberg bereits in Florida weilt und Frau Strunz den zarten Rücken einkremt, haben Mario Basler, Andreas Möller und Icke Häßler noch fünf Spieltage Zeit, dem Publikum ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten zu demonstrieren. Alle drei wurden am Wochenende nur eingewechselt, was daran liegt, dass es für ihre Klubs noch um zu viel geht, als dass die Trainer ihren Altstars 90-minütige Abschiedsvorstellungen gewähren könnten. Nicht ausgeschlossen aber, dass die Jungs ihre Pirouetten bald in Katar drehen, wo ein der Pferdezucht und Falknerei überdrüssiger Scheich derzeit Kicker im Dutzend billiger einkauft. Ein paar Scheine obendrauf legen sollte Jassim Bin Hamad al-Thani für Ansgar Brinkmann. Der Bielefelder hätte einen würdigen Lebensabend am Golf schon allein deshalb verdient, weil er seine besten Jahre nicht mit dem Unterschreiben von Millionenverträgen, sondern in den Kneipen und Spielhallen der Republik verbracht hat. Dass er immer noch ehrgeizig ist, hat der Zauberfuß eben erst im „Sport-Studio“ deutlich gemacht. „Meine Körpersprache will gewinnen“, erläuterte Brinkmann dem verblüfften Moderator. Dennoch scheint der gute Ansgar um die Fährnisse der Realität zu wissen. „Das Leben ist kein bunter Teller“, räsonierte er vor einem Millionenpublikum.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Die Fußball-Öffentlichkeit sucht derzeit nach neuen Nationalstürmern
In den Vordergrund drängt sich dabei – neben den beiden Youngstern Kuranyi (VfB Stuttgart) und Lauth (1860 München) – insbesondere Hannovers routinierter Goalgetter Fredi Bobic. In der Presse teilen sich die Meinungen über die Forderungen, den 30-Jährigen zu einem Comeback in die DFB-Elf zu berufen, um die dortige Sturmflaute zu beheben. Die FAZ meint, auf die Konkurrenz verweisend: „Ein Versuch mit Bobic wäre immerhin ohne Risiko – schlechter als Jancker könnte er es nicht machen.“ Dahingegen befindet die FR ihn für zu alt: „Nun ist es natürlich völlig absurd, den Ex-Nationalstürmer, der nach Ansicht von Matthias Sammer nicht mehr gut genug für Borussia Dortmund war, wieder in die Nationalmannschaft zu schreiben oder zu reden.“
Jedoch ist Bobic mitverantwortlich dafür, dass das Team Ralf Rangnicks in der Bundesliga konkurrenzfähig geworden ist und darüber hinaus attraktiven Fußball bietet. „Hannover begeistert die Fans – und verzweifelt an sich selbst“, bewertet die FAZ das irre 4:4 der 96er gegen Werder Bremen, zweifellos das interessanteste Spiel des zurückliegenden Spieltags. „Das eigentliche Spitzenspiel“, schreibt die taz über den 1:0-Sieg der Bayern beim Tabellenfünften Hansa Rostock, „war ein einziger Langweiler.“
Zur wirtschaftlichen Situation der Bundesliga bemerkt Gerd Schneider (FAZ 21.10.). „Die Wirtschaftsnachrichten, die das Fußballgeschäft gerade in der vergangenen Woche produzierte, paßten so ganz zu dem armseligen Gekicke, das die deutsche Nationalmannschaft gegen die Auswahl der Färöer produzierte. Der 1. FC Nürnberg, auch in puncto sportlicher und finanzieller Turbulenzen ein Traditionsverein, gab den Blick frei auf auf den Schiefstand, in dem er sich befindet. Der „Club“ hat fast fünf Millionen Euro Schulden angehäuft und sorgt sich schon jetzt um die Lizenz für die nächste Saison. Vermutlich sind die Sorgen unbegründet. Schließlich hat ja auch der 1. FC Kaiserslautern die Lizenz erhalten, und gegen dessen Verbindlichkeiten in Höhe von fast achtzehn Millionen Euro, die jetzt zutage traten, ist der Nürnberger Schuldenberg eher ein sanfter Hügel. Auch beim Hamburger SV und beim VfB Stuttgart ist die Lage, wie man hört, mehr als angespannt. Wer glaubt, diese Klubs seien die schwarzen Schafe in einer blühenden Branche, ist auf dem Holzweg – die Bundesliga ist tief im roten Bereich. Wie eine vor ein paar Tagen veröffentlichte Studie der Münchner Universität belegte, hat die Mißwirtschaft im deutschen Fußball System. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen, darunter selbstredend Branchenprimus Bayern München, lebten und leben die meisten Klubs auf Pump. Gewiß hat die Kirch-Krise, die sich in diesem Jahr recht unvermittelt zuspitzte, ihren Teil zur Notlage beigetragen. Aber offenbar fand der simple Gedanke, sich in den fetten Jahren der wundersamen Geldvermehrung ein Polster anzulegen, kaum Anhänger im (un)bezahlten Fußball. Daß gerade Vereine mit eigentlich idealen Bedingungen wie Kaiserslautern oder Nürnberg derart massiv in Schwierigkeiten geraten sind, ist jedenfalls kein gutes Zeichen.“
Hannover 96 – Werder Bremen 4:4
Peter Hess (FAZ 21.10.) sah ein mitreißendes Spiel. „Seit 13 Jahren warten die Fußballfans von Hannover 96 auf einen Heimsieg in der Bundesliga. Wenn alle weiteren Spiele in der früher als Niedersachsenstadion bekannten AWD-Arena so verlaufen würden wie das am Samstag gegen Werder Bremen, geduldeten sie sich auch gerne noch etwas länger. Mit frenetischem Beifall verabschiedeten die 46.000 Zuschauer ihre Mannschaft in die Kabine. Das 4:4 erfüllte nicht die Hoffnungen auf drei in Hannovers Abstiegskampf dringend benötigte Punkte. Es ließ aber sonst keine Wünsche offen. Kunst, Handwerk und Siegeswillen fügten sich in einer perfekten Dramaturgie zu einem Spitzenprodukt deutscher Fußball-Unterhaltung.“
Dirk Susen (SZ 21.10.). „Das so fußballverrückte Hannover jedenfalls muss weiterhin auf den ersten Bundesliga-Heimsieg seit inzwischen 13 Jahren warten. Wer es genauer wissen will: Der ereignete sich am 25. Februar anno 1989 gegen den VfB Stuttgart. Und von allen, die dabei mithalfen, werden sich die Älteren unter uns wohl nur noch an einen gewissen Dieter Schatzschneider erinnern können.”
Jan Christian Müller (FR 21.10.) kritisiert die Rufe nach einem Comeback Fredi Bobic´ im DFB-Dress. „Nun kann man durchaus argumentieren, unglücklicher als Jancker könne sich Bobic vorm Tor auch nicht anstellen. Was zwar höchstwahrscheinlich stimmt, jedoch außer Acht lässt, dass Fredi Bobic (wie auch der Münchner Martin Max, derzeit dort noch nicht mal Stammspieler) seine Stärken vor allem im gegnerischen Strafraum auszuspielen vermag. So einer aber passt nicht sonderlich gut zu Miroslav Klose. Klose, ein bekennender Jancker-Fan, sagt das immer mal wieder leise, Rudi Völler weiß das. Und Bobic, immerhin schon im vierten Lebensjahrzehnt, wenn auch erst am Anfang, ist nicht unbedingt ein Mann für die Zukunft. Viel hätte nicht gefehlt und er wäre einer der bekanntesten Frühpensionäre dieser Republik geworden. Dem stand sein Ehrgeiz im Weg, was für ihn spricht. Es steht aber deshalb kaum zu erwarten, dass der Teamchef ernsthaft in Erwägung zieht, Bobic mehr als jene 19 Einsätze im Nationaltrikot zu gönnen, die er bislang schon auf dem Buckel hat und allesamt im vergangenen Jahrtausend unter den allseits geschätzten Fußballlehrern Vogts und Ribbeck absolvierte (…) Immerhin, dem Kollegen Jancker könnte der Fredi ein Videoband nach Udine schicken. Als Beweis, dass in Hannover im Stadion zweiTore stehen.“
Peter Hess (FAZ 21.10.) meint dazu. „Der gebürtige Schwabe versucht die Tatsache zu verwischen, daß er der Star der Mannschaft ist. Sei es aus Intelligenz, weil er den Neid der Kollegen nicht hervorrufen möchte, oder aus Demut, weil er im vergangenen Jahr erfahren hat, wie schnell sich das Glück eines Stürmers wenden kann. Nach vielen guten Jahren beim VfB Stuttgart kam er bei Borussia Dortmund erst durch Verletzungen außer Tritt und wurde dann angesichts der Konkurrenz eines Amoroso, Koller und Ewerthon aussortiert. Als Leihgabe an die Bolton Wanderers lief es für ihn wieder ganz ordentlich. Doch als es um eine Festanstellung ging, war Bobic den Engländern keine Ablösesumme wert. Erst kurz vor Transferschluß zeigte sich Borussen-Manager Meier willens, den Stürmer kostenlos ziehen zu lassen – und Hannover schlug schnell zu. Genauso schnell kehrte der Erfolg zurück (…) Sechs Tore in fünf Punktspielen sind auch ein schlagendes Argument pro Bobic. Für seine letzten sechs Treffer benötigte Jancker fast zwei Jahre und darf trotzdem bei Völler mitspielen. Aber könnte Bobic wirklich die Sturmprobleme der Nationalelf lösen? Zweifel sind angebracht. Sein Hannoveraner Erfolgsmuster läßt sich nicht ohne weiteres auf die Nationalelf übertragen. Dort trägt er den Makel des oft Gescheiterten. Den aufgeregten Aufsteigern von Sechsundneunzig bedeutet der frühere Nationalspieler die ersehnte Anspielstation im Sturm, an die sie den Ball und die Verantwortung übergeben können.“
Spielbericht FR
Energie Cottbus – Hertha Berlin 0:2
Friedhard Teuffel (FAZ 21.10.). „Fünfundvierzig Minuten lang haben sich am Samstag die positiven Effekte des Ausgleichssports bemerkbar gemacht. Die Profis des FC Energie Cottbus, sonst nicht als Erfinder der Fußballästhetik bekannt, präsentierten eine Halbzeit lang einen dynamischen und kreativen Spielaufbau mit Kurzpaßspiel und allem Drumherum. Unter der Woche hatte ihr Trainer Eduard Geyer mit ihnen eine Fahrradtour gemacht, Tennis stand auch auf dem Programm. Die Beine seiner Spieler wollte der Trainer damit lockern und den Kopf durchlüften, damit der FC Energie sich überhaupt noch eine Chance auf den Klassenverbleib erhalte. Sein alternatives Konzept hat in der Tat für eine ansprechende erste Halbzeit gereicht und auch dafür, die zuletzt miesepetrigen Zuschauer im Stadion der Freundschaft wieder auf die eigene Seite zu ziehen. Nur für einen Punkt war es nicht genug.“
André Görke (Tsp 21.10.). „Hertha hat in Cottbus endlich so gespielt, wie man es eigentlich erwartet. Sieht man von der ersten Viertelstunde ab, dann hat die Mannschaft einen schwachen Gegner routiniert besiegt.“
Spielbericht SZ FR
1860 München – Schalke 04 3:0
Elisabeth Schlammerl (FAZ 21.10.) über den Münchner Matchwinner. „Lauth überzeugte stets durch intelligente Spielweise, Engagement und gutes Stellungsspiel, aber weitere Treffer blieben trotz vieler Möglichkeiten zunächst aus. Auch beim 3:0-Sieg am Samstag gegen Schalke 04 vergab er drei gute Chancen, ehe er seinen großen Auftritt hatte. Es gelangen ihm zwei Tore innerhalb von nur 16 Minuten, auf einen dritten Treffer verzichtete er zugunsten von Markus Schroth. Lauth hatte sich bei dem Konter zehn Minuten vor Abpfiff selbst in guter Schußposition befunden, spielte den Ball jedoch quer zum mitgelaufenen Sturmpartner, der den Ball am Schalker Torhüter Rost vorbei ins Tor schob.“
Spielbericht und Rudelbildung FR
Hamburger SV – Borussia Mönchengladbach 1:0
Frank Heike (FAZ 21.10.). „Für eine Woche dürfen sich Kurt Jara und Cristian Raul Ledesma als Sieger auf Zeit fühlen. Der Trainer, weil er dem Spieler vertraute, den er nicht haben wollte, der dann aber für vier Millionen Euro trotzdem verpflichtet wurde. Der Spieler, weil er trotz einer vereinspolitischen Posse, die auf seinem Rücken ausgetragen wurde, eine solide Leistung im defensiven Mittelfeld brachte. Nach dem 1:0 des Hamburger SV gegen Borussia Mönchengladbach wollte Trainer Jara allerdings nicht mehr allzu viele Worte über die Affäre um den 23 Jahre alten Argentinier verlieren. Den hatte der ehemalige Sportchef Hieronymus im Juli von River Plate Buenos Aires gekauft, ohne ihn oft genug beobachtet zu haben – als Jara vor der Saison sagte, Ledesma spiele in seinem Konzept eine untergeordnete Rolle, kam plötzlich die Frage auf, wer für die Verpflichtung eigentlich verantwortlich sei. Es fand sich niemand. Auf einem „Krisengipfel“, bei einer „Gegenüberstellung“ aller Verantwortlichen, sollte Mitte der vergangenen Woche der gordische Knoten durchschlagen werden. Heraus kam: Keiner will’s gewesen sein. Der Spieler Ledesma, der kein Deutsch spricht, sein Gesicht unter großen Schlagzeilen aber jeden Tag in der Zeitung sah, war bis dahin durch das unprofessionelle Verhalten der Bosse schon derart zum Fehleinkauf gestempelt, daß es ein kleines Wunder war, wie kühl und fehlerfrei er am Samstag spielte.“
Jörg Marwedel (SZ 21.10.). „Die Realität in Hamburg aber sieht trotz des vorläufigen Sprungs auf Rang neun weiter grau aus. Und das nicht nur, weil nun wieder zwei Spiele in der Fremde anstehen, aus der man bislang null Punkte mitbrachte. Als weitere Bürde erweist sich ausgerechnet die ungebrochene Treue des Publikums. Das kommt noch immer mit einer Erwartungshaltung, die das längst auf unteren Durchschnitt herab gewirtschaftete Team mit seinen „Kampfsiegen“ (Kapitän Hoogma) kaum erfüllen kann.“
Reaktionen der HSV-Fans FR
Bayer Leverkusen – 1. FC Kaiserslautern 1:0
Christoph Biermann (SZ 21.10.). „Der Erfolg über den Vorletzten der Tabelle löste in der BayArena nämlich kaum Überschwang aus, sondern passte eher ins aktuelle Eichhörnchen- Schema. Bekanntlich ernährt sich der possierliche Nager mühsam, und auf genau diese Weise hat Leverkusen in dieser Saison bislang die Punkte gesammelt. Elf sind es nun, und bis zum Winterschlaf sollen zumindest so viele hinzukommen, dass ein Platz zur Qualifikation zur nächstjährigen Champions League noch mit dem bloßen Auge und nicht allein mit Hilfe eines Fernglases zu erkennen ist (…) Freude an diesem grauen Fußballnachmittag machte eigentlich nur, man höre und staune: Mario Basler. Von einigen albernen Kabbeleien mit Schiedsrichter Kemmling abgesehen verbreitete Basler die Aura eines gereiften Meisters im Herbst seiner Tage. Mit etlichen wunderschönen Anspielen versorgte er seine Kollegen, und einem Flachpass über 40 Metern, der mit eisiger Präzision die Mitte des Platzes durchschnitt, durfte man zweifellos das Etikett „Weltklasse“ anpappen. Doch für seine Mannschaft änderte die gute Form von Basler vorerst wenig. Seit vier Spielen hat sie auswärts keinen Treffer mehr erzielt, und die sechs Punkte aus den ersten neun Bundesligaspielen sind ein historischer Minusrekord für den 1. FC Kaiserslautern. Auch die Pfälzer führen das mühselige Leben der Eichhörnchen. Nur sind sie noch damit beschäftigt, überhaupt einmal auf den Baum zu kommen.“
Reaktionen nach dem Spiel FR
Erik Eggers (taz 21.10.) kommentiert die momentane Bescheidenheit in Leverkusen, wo man auf bessere Zeiten wartet. „Im Umkehrschluss bedeutete die Hoffnung auf gesündere Zeiten eine grausame Erkenntnis: Bayer Leverkusen ist derzeit nicht in der Lage, mit spielerischen Mitteln die Abwehr vermeintlich schwächerer Mannschaften zu filettieren; sie ist vielmehr angewiesen auf Zufallsprodukte wie am Samstag, als Brdaric den Ball nach Rettungsversuch von Lauterns Kapitän Hengen in das Tor grätschen konnte. Eines ist offensichtlich: Nach epischen Niederlagen wie dem 2:6 in Piräus konzentriert sich der Werks-Klub momentan nicht selten auf die Verbarrikadierung des eigenen Gehäuses, und trotz aller defensiven Bemühungen brauchte es selbst gegen ein äußerst schwaches Kaiserslautern eine gehörige Portion Glück (…) Es ist bezeichnend, dass auch Toppmöller, dem der Ruf eines Fußballästheten vorauseilt, seine Mannschaft nach der niveaulosen Partie ausdrücklich für ihre Destruktivität und Zerstörungswut lobte. Sie habe, den Ernst der Lage begreifend, so der Trainer in bester Vogtsscher Fußball-Diktion, „die Räume sehr gut zugemacht“.“
Jörg Stratmann (FAZ 21.10.). „Wenn der Vorletzte der Bundesliga-Rangliste beim Viertletzten antreten muß, dann schwingt auch so früh in der Saison schon das bange Gefühl mit, dauerhaft ins Hintertreffen geraten zu können. Deshalb geriet auch dieses Spiel auf beiden Seiten zu einer Belastungsprobe für die angeschlagene Psyche (…) Angesichts des glücklichen Erfolgs beließ es Toppmöller dagegen bei vagen Ankündigungen. Froh, daß Sebescen und Placente im ersten Spiel nach langer Pause gezwungenermaßen schon wieder neunzig Minuten lang mitgehalten hätten. Von alter Größe sind auch die Sieger vom Samstag noch ungewohnt weit entfernt.“
Hansa Rostock – Bayern München 0:1
Christian Ewers (FAZ 21.10.). „Überragend hatte der FC Bayern im Ostseestadion nicht gespielt. Es war ein nüchterner, ökonomischer Sieg gegen den FC Hansa Rostock. Eine halbstündige Tempoverschärfung in der zweiten Halbzeit genügte, um einen dreifachen Punktgewinn in der Fremde sicherzustellen.“
Dirk Böttcher (taz 21.10.) blickt auf die nächste Münchner Aufgabe in Mailand. „Dort werden sie anders auftreten müssen. Auch wenn Ottmar Hitzfeld in Rostock von einem „hochverdienten Sieg“ sprach, das eigentliche Spitzenspiel war ein einziger Langweiler. Ballack machte nur durch die mit Abstand meisten Foulspiele auf sich aufmerksam, ansonsten fiel ihm und seinen Kollegen nicht viel ein. Die wenigen Chancen vermasselte dann Elber.“
Borussia Dortmund – Arminia Bielefeld 0:0
Richard Leipold (FAZ 21.10.). „Exemplarisch für das Betriebsklima war ein Zerwürfnis zwischen Mittelfeldspieler Frings und Torjäger Amoroso. Frings gab dem exzentrischen, oft egoistischen Stürmerstar zu verstehen, daß er mit dessen Arbeitsmoral nicht einverstanden war. Auch am frühen Abend, als alles vorbei, aber nicht vergessen war, stand Frings zu seiner Kritik. „Wenn einer noch grinst, nachdem er das Tor nicht getroffen hat, dann weiß ich: er spielt nur für sich selbst und nicht für die Mannschaft.“ Amoroso hatte seinen ersten Auftritt über die volle Spielzeit herbeigesehnt und öffentlich gefordert. Gegen die respektlosen Bielefelder mußte er alsbald feststellen, wie schwer es ist, nach langer Verletzungspause zu alter Stärke zu finden. Von einer Vollzeitkraft erwarten Arbeitgeber und Kollegen mehr als ein paar lichte Momente. Amoroso hat an diesem kühlen Herbstnachmittag früh gemerkt, daß ein sonniges Gemüt und ein gewinnendes Lächeln noch keine Lichtgestalt ausmachen, auch wenn der Brasilianer sich nach einigen vielversprechenden Kurzauftritten schon wieder so gefühlt haben mag.“
Zum enttäuschenden 0:0 des Meisters schreibt Freddie Röckenhaus (SZ 21.10.). „Der Gradmesser für die Verstimmtheit von Matthias Sammer ist noch immer die Anzahl der Worte, die er nach Spielen sagt. Und am wenigsten sagt Sammer, wenn ihm selbst noch nicht klar ist, was schief läuft – und welchen Anteil womöglich er selbst daran hat (…) Meister Dortmund lieferte eine weitere Version des bereits bekannten Spiels ab: Defensiv steht die Mannschaft gut, im Spielaufbau dagegen knarzt und malmt es und vorne werden die wenigen, mit allzu viel Aufwand erkämpften Chancen wie beim Kinderfußball vergeben (…) Als Dortmunder Trend nach einem Viertel der Saison fällt also als Quintessenz auf: Oft ist dem spielerisch vermeintlich so stark besetzten Spitzen-Ensemble erst durch Beharrlichkeit und Energie in der Schlussphase ein Tor gegen massierte Abwehrreihen gelungen. Manchmal, wie gegen Bielefeld, gelingt dies nicht – und dann sind auch keine anderen spielerischen Mittel zur Verfügung, um einen biederen Gegner aus den Angeln zu heben. An der vielleicht etwas zu bärbeißigen Defensiv-Philosophie gibt es schon seit Wochen leise grummelnde Kritik in der Mannschaft.“
Europäischer Fußball: Ergebnisse, Torschützen, Tabellen NZZ
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„Es gibt kein Zurück mehr zum Ballbeamtentum der Öffentlich-Rechtlichen“
Georg Diez (FAS 07.04.02) über den Mythos Sportschau, das ausgestorbene Programmformat der ARD, und ran, der Nachfolger von SAT1:
„Die Zeit war eine andere damals, als sich jeden Samstag um kurz vor sechs Uhr am Abend die so genannte deutsche Familie in ihrem so genannten Wohnzimmer versammelte und einen Fernseher einschaltete, der meistens noch seltsam zischelnde Geräusche machte, bis endlich ein Bild zu sehen war, das dann erst einmal überraschend lange stehen blieb, denn es war, kurz vor sechs, nur ein Standbild, auf dem die magischen Zahlen zu lesen waren, und Millionen von Augen starrten gemeinsam und duldsam auf diese Zahlen in einem Akt kollektiver Wochenendmeditation. 18 Uhr Tagesschau stand da zu lesen, 18.05 Uhr Sportschau, und die Welt war in Ordnung (…) Es müssen einem die wieseligen Sportjungs von ran gar nicht sympathisch sein – aber wenigstens können sie halbwegs frei sprechen und stehen nicht wie ihre ARD-Kollegen im Studio herum wie eine Drahtpuppe, die man mit einem Pflock festgeschlagen hat und die vor lauter Bedeutung keinen geraden Satz herausbekommt. Wenigstens traktieren sie uns nicht mit ihrem Hobby, wie das in der Sonntags-Sportschau imme rgeschah, jener hässlichen Schwester des Fußball-Samstags, als endlose Trabrennen gezeigt wurden und iregdnwann der Galopper des Jahres oder ein ähnlicher Unsinn gekürt wurde. Wenigstens lassen sie uns in Frieden mit Sportarten wie Radball oder Rhönradrollen (…) Wenn es etwas genauso wenig gibt wie die „gute alte Zeit“, dann ist das die „gute alte Sportschau“ (…) Die Sendung ran hat den Fußball den Wahrnehmungs- und Erzählweisen unserer Zeit angepasst.“
Jörg Hahn (FAZ 30.04.02) über den Unterschied zwischen den verschiedenen Berichterstattungsformaten:
„Als Fußball noch einfach war, reichten als Information Ergebnis, Torschützen – und zwar schön der Reihe nach –, Zuschauerzahl, Tabelle. Ein Spiel hatte einen Anfang und ein Ende, eine Chronologie. Längst zählt (nicht nur) fürs private Fernsehehen vor allem das, was vorher und nachher passiert. Und wenn nichts passiert, macht man sich eben ein Thema. Der doch ein bisschen rätselhafte Erfolg der fußball-philosophischen Kommentare des ARD-Duos Gerhard Delling und Günter Netzer, wie der Bestand des Sportstudios (ZDF), dass sich selbst nach stundenlangen Gottschalk-Exzessen noch sein Publikum erkämpft, erklärt sich wohl auch aus dem Überdruss, den SAT1 oder das Deutsche Sportfernsehen verursachen.“
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Heute: Italien ist empört, Brasilien spielt mit China, Winnie Schäfer u.a.
Die Sportseiten der italienischen Tageszeitungen am Sonntag sind beherrscht von den Lamenti über die als ungerecht empfundenen Schiedsrichterentscheidungen, aber auch harscher Kritik an Trapattoni und den Azzurri. „Zwei Tore annuliert und drei Minuten Krise: Azzurri KO“ und „Italien in Schwierigkeiten“ heißt es im Corriere della Sera (9.6.), der die Agonie Tommasis, Zanettis und Panuccis an den Flügeln konstatiert, die Isolation Vieris beim Spiel nach vorn, den ebenso verzweifelten wie glücklosen Angriff der Azzurri bei Spielende. La Repubblica (9.6.) dämpft den Aufschrei der Tifosi: Auch wenn die Annulierung zweier Tore durch den Schiedsrichter mehr als „discutibile“ sei, solle sich die Squadra italiana lieber in Selbstkritik üben. Die Niederlage habe in Wahrheit aber bereits vor dem Spiel begonnen, mit Trapattonis Entscheidung, dieselbe Mannschaft antreten zu lassen wie beim Spiel gegen Ekuador, und nur Zanetti (gegen Di Biagio) auszutauschen. „Die einzige Gewissheit auf dem Spielfeld ist die Konfusion (…) Das Wunderduo Totti-Vieri leidet unter Einsamkeit. Der Ball findet außer Di Biagio nie jemanden, der ihn spielt. Maldini ist in Schwierigkeiten und sogar Doni hat Mühe, die richtige Position zu finden.“ Nach Trapattonis Motto „Entweder – Oder“ bleibe nun das „Warten auf die Entscheidung“.
Vincenzo Delle Donne (Tsp 9.6.) zum Spiel der Italiener. „Dass die 1:2-Schmach der Squadra azzurra ausgerechnet unter der Ägide des Defensivfetischisten Giovanni Trapattoni passieren sollte, ist womöglich Ironie des Schicksals. Trapattoni verlor angesichts der unglücklichen Niederlage vollkommen die Fassung, hatte das Gesicht verzerrt, Tränen vor Wut in den Augen, die sonst immer korrekt sitzende Krawatte war völlig verdreht. Schon nach der ersten Halbzeit hatte es aber Pfiffe von den Fans gegeben. Trapattoni sprang immer wieder wild gestikulierend von der Bank auf und versuchte, seine Mannschaft aus der Lethargie zu wecken. Aber die Offensive der Italiener funktionierte gegen aggressive Kroaten nicht.“
Offenbar sind Italiens Journalisten sangesfreudiger als seine Fußballer. Andrija Kacic-Karlin (Vjesnik 8.6.) berichtet von der Pressekonferenz vor de Spiel Italien gegen Kroatien. „Die italienische Arroganz vor dem Spiel mit Kroatien kannte keine Grenzen. Während das Überlegenheitsgefühl von Trainer Trapattoni durchaus verständlich war, der auf Grundlage des Spiels gegen Mexiko die kroatische Mannschaft für langsam und ungefährlich hielt, verhielten sich die italienischen Journalisten gegenüber ihren kroatischen Kollegen und den Fans unverschämt herablassend. Als die kroatischen Reporter das Pressezentrum anlässlich der Pressekonferenz betreten wollten, sorgten deren italienische Kollegen für eine unschöne Überraschung: Beflügelt vom Sieg der italienischen Mannschaft gegen Ekuador stimmten sie in Richtung der Kroaten ein spöttisches Siegeslied an. So wie es scheint, werden die italienischen Spieler wohl mit einer ähnlichen Einstellung in das Spiel gehen. Schließlich bleibt es, abzuwarten und zu sehen, wer letztlich für eine Überraschung sorgen wird. Diese gab es bei dieser WM bereits zuhauf.“
Über die mögliche heilsame Wirkung einer Niederlage sinniert Michael Ashelm (FAS 9.6.). „Wie im richtigen Leben können Rückschläge zu neuer Stärke führen; man muss nur wissen, mit ihnen umzugehen. Wer sich zwischenzeitlich also auf einem Irrweg wiederfindet, kann mit einheitlicher Geschlossenheit und festem Willen ins Hauptgeschehen zurückkehren. Aus den vielen kleinen Zwischenprüfungen bei einem WM-Turnier, die nicht immer mit Bestnote abgeschlossen werden müssen, können die Spieler großen Nutzen ziehen. Nur wen fortan die Versagensängste plagen, wer im Nervenspiel zu oft die Kontrolle verliert, wird sich hoffnungslos verlaufen. Der Champion, wer kennt heute schon seinen Namen, ist jedenfalls gerade dabei, sich sein widerstandsfähiges Nervenkostüm für den finalen Schlagabtausch anzueignen.“
Vom 4:0-Sieg Brasiliens gegen China berichtet Roland Zorn (FAS 9.6.). „Auch Fußball-Weltmeisterschaften bieten Gelegenheit zu angenehmen Trainingsspielchen. Der viermalige Weltmeister Brasilien hatte am Samstag auf der Ferieninsel Cheju in Seogwipo die Chance, ganz entspannt und doch konzentriert genug seine zweite Probe aufs Exempel locker zu bestehen. WM-Neuling China tat den Stars auch Südamerika nie weh, und die waren so freundlich, die Asiaten nicht vorsätzlich zu demütigen.“
Die Anteilnahme der englischen Öffentlichkeit beim Erfolg gegen Argentinien beschreibt Christian Eichler (FAS 9.6.). „Am Morgen danach strahlte David Beckham von allen Kiosken ein Volk an, das einen solchen Feiertag lange nicht mehr erlebt hatte. Auch sein Vorgänger als Charismatiker des englischen Fußballs, Paul Gascoigne, trug das Trikot mit den drei Löwen – er hatte sich unter Tausende feiernde Fans auf dem Londoner Trafalgar Square gemischt. Am Freitag Mittag war England praktisch zum Erliegen gekommen, hatten sich zwanzig Prozent der Arbeitnehmer frei genommen, siebzig Prozent das Spiel während der Arbeitszeit angeschaut und die meisten anderen sich krank gemeldet. Volkswirte befürchteten bis zu vier Milliarden Mark (sic!) an Produktivitätsverlust, aber das wäre nichts gegen den nationalen Gefühlsgewinn, den das 1:0 gegen Argentinien bedeutete.“
Vor dem entscheidenden Spiel der gegen Kamerun reflektiert Christian Eichler (FAS 9.6.) den internationalen Stellenwert der deutschen Nationalmannschaft. „Ein 0:0, und wir sind mal wieder wer; ein 0:1, und wir sind nur noch irgendwer. Seltsam, wie abhängig deutsche Selbsteinschätzung von äußeren Einflüssen geworden ist. Uns kann keiner was, diese in Mimik und Körpersprache übersetzte Arroganz einer Fußballmacht, jahrzehntelang von Titel zu Titel zu tragen, verschwand mit dem späten Lothar Matthäus in der Mottenkiste; tatsächlich hat sie ja am Ende längst nicht mehr funktioniert. Nur hat sie immer noch keine passende Nachfolge gefunden, keine Neudefinition eines modernen Selbstbildes als Team; bisher nur eine allzu jugendliche Wankelmütigkeit von Leistung und Selbsteinschätzung.“
Georg Nolte (WamS 9.6.) übe die Karriere von Winnie Schäfer. „Sein steiler Abstieg begann jedoch früher. Nach zwölf erfolgreichen Jahren wurde er am 25. März 1998 in Karlsruhe entlassen, und es folgten zweieinhalb düstere Jahre. Beim VfB Stuttgart mobbten die Fans ihn nach fünf Monaten weg, die Schwaben wollten eben keinen Badener. Im März 1999 begann bei Zweitligist Tennis Borussia Berlin die wohl schwärzeste Zeit seines Trainerlebens. Für 5,76 Millionen Euro hatte er neue Spieler gekauft und besaß den teuersten Kader der Liga (Etat: 20 Mio. Euro). „Wir steigen auf“, lautete Schäfers Marschroute, er erwartete sogar den ersten Platz. Doch der Charlottenburger Nobelklub wurde nur Meister der Roten Karten und internen Suspendierungen. Schäfer fehlte es an Autorität, mit kuriosen Übungen gab er sich der Lächerlichkeit preis. So mussten die Spieler mit verbundenen Augen am Boden kriechen und eine Raupe bilden, nur der Vordermann hatte freie Sicht. Das stärke das Zusammengehörigkeitsgefühl, versicherte Schäfer. Tatsächlich brach alles auseinander. Die Spieler tanzten ihm auf der Nase herum, gaben ihm böse Spitznamen wie „Konfusio“. Ein Mal passierte es, dass er seinem Spieler Sasa Ciric Kommandos gab, obwohl der neben ihm auf der Bank saß. Ansgar Brinkmann sagte ihm in der Kabine: „Trainer, Sie können ja nicht mal einen Kiosk leiten.“ Als Schäfer ein anderes Mal eine Strafpredigt halten wollte, verzettelte er sich. Brinkmann riet ihm süffisant: „Trainer, gehen Sie doch nochmal vor die Tür. Und sobald Sie einen geraden Satz herausbringen können, dürfen Sie wiederkommen.“ Die Saison endete im Chaos, TeBe wurde mit der teuersten Mannschaft der Vereinsgeschichte Vierzehnter, verlor später gar die Lizenz. Schäfer reflektiert die Intermezzi in Stuttgart und Berlin mit Sätzen wie „Mein Ruf hat gelitten“ und „Ich habe zweimal in die Scheiße gegriffen“. So war der Ruf aus Kamerun eine echte Wohltat für Schäfer, hier begegneten ihm keine Vorurteile. Hinzu kam, dass der Deutsche rein optisch etwas Einzigartiges zu sein schien. „Blonde Haare sind für Afrikaner vor allem etwas Anziehendes, weil sie das nicht kennen. Ständig werde ich gefragt, ob man sie anfassen dürfe.“ Sollte er am Dienstag gegen Deutschland bestehen, wird er das wohl noch öfter hören. Es wäre nicht nur ein Sieg gegen das Heimatland, sondern auch gegen alle Kritiker.“
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Gruppenspiele (GER, CAM, IRL, RSA)
Hintergrundberichte ber Deutschland
Hintergrundberichte ber die Nationen Kamerun, Irland und Saudi-Arabien
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Ajax- Anhänger
„Nach Erkenntnissen des Innenministeriums gehören die Ajax- Anhänger zu den „brutalsten Hooligans“, und Amsterdams Bürgermeister Joob Cohen hat angekündigt, er werde Fußballspiele künftig nur noch genehmigen, wenn die Sicherheit garantiert werde. Klubchef Michael van Praag kündigte an, dass Hollands Meister künftig vor leeren Tribünen spielen werde, sollten sich die Fans noch einmal der Schlägereien schuldig machen. Per Notrecht sah sich Cohen vor zwei Wochen gezwungen, 670 Anhänger des FC Utrecht, die sich auf dem Weg zum Ajax-Stadion befanden, zur sofortigen Abreise zu zwingen. Weil sie antisemitische Parolen wie „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ skandierten und gegnerische Fans mit dem Hitler-Gruß begrüßten; die Hooligans verwüsteten zudem auf der Rückreise die Züge. Beunruhigt ist Cohen vor allem über den zunehmenden Rassismus. Dazu muss man wissen, dass sich die Amsterdamer Supporter seit Jahren als jüdischer Klub stilisieren und mit Davidstern, israelischer Fahne und philosemitischen Slogans auflaufen. Ihnen antworten die Fans der anderen Vereine mit einem lang gezogenen Zischgeräusch, das sich wie austretendes Gas anhören soll. „Die Entwicklung in dieser Saison enttäuscht mich sehr“, sagt Henk Kesler, Direktor im Fußballverband KNVB. Erstmals in dieser Saison kam es auf sogenannten „Familientribünen“ zu Gefechten, bei denen Väter, Frauen und Kinder gewaltsam von den Tribünen vertrieben wurden.“ (Volltext)
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