indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

Nationalmannschaft

Michael Ashelm (FAS 4.5.) diagnostiziert rasch gefallenen der deutschen Nationalmannschaft. „Rudi Völlers Versprechen an eingefleischte Fußballfans in Deutschland klingt wie eine Durchhalteparole. Tolle Fußballfeste kündigt der Teamchef in einer Werbebroschüre für den neuen Fan Club Nationalmannschaft an. Manchmal klafft eben zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine Lücke. Somit wundert es nicht, daß die Begeisterung des Fußballvolkes für das Premiumprodukt des deutschen Sports derzeit als ziemlich gedämpft bezeichnet werden kann. Der Final-Coup des vergangenen Jahres bei der Weltmeisterschaft in Fernost wird nach einigen desillusionierenden Hängepartien viel zurückhaltender bewertet. Wen wundert’s, daß die Schar derer, die sich dem Zuschauen verweigert, mehr wird. So erzielte die ARD am Mittwoch im Länderspiel der Nationalelf gegen Serbien und Montenegro im Vergleich zu vorhergehenden Spielen eine ungewohnt schwache Einschaltquote. Auch wenn es sich hierbei nur um eine Momentaufnahme handelt und auch einige andere Gründe (schwacher Gegner, Testspiel) für die ablehnende Haltung einiger Millionen Konsumenten sprechen mögen, bleibt eine rückläufige Tendenz erkennbar. Der Glanz von Yokohama verliert nach und nach an Strahlkraft, der Spannungsbogen auf dem Weg zur WM im eigenen Lande ist erschlafft.“

Aus Berlin meldet Michael Reinsch (FAZ 5.5.). „Jahrzehntelang war Fußball gespielt worden vor dem leeren Gebäude an der Mauer. Erst nach der Verhüllung des Reichstags durch Christo 1995 wurde der Platz wegen der Um- und Neubauten gesperrt. Anfang des Jahres hat der Bezirk den Rasen von Bund und Land zugeschoben bekommen wie einen Schwarzen Peter. Brav hat er Schilder aufstellen lassen, auf denen Hunde wie Fußballspieler abgebildet, rot umkreist und durchgestrichen sind: verboten. Damit ist er nun angeschmiert. Niemand hat Verständnis, und mit der Androhung einer Strafe von fünfzig Euro pro Kick macht sich das Amt lächerlich. Abgeordnete aller Fraktionen haben sich für Bürger am Ball am Sitz des Souveräns ausgesprochen; nur das Amt bleibt unsouverän und macht die Kicker für das schwindende Grün verantwortlich (…) Bundeskanzler Gerhard Schröder, auf der Westseite Anlieger des Platzes, äußert sich gar nicht. Er hatte einst, bestimmt nicht wegen rasenfreundlicher Spielweise, unter Fußballfreunden den Spitznamen Acker erworben. Im Garten des Kanzleramtes läßt er heute Rasen aus dem Olympiastadion und aus dem Wankdorfstadion von Bern pflegen, auf dem Deutschland 1954 zum ersten Mal Weltmeister wurde.“

Oliver Thomas Domzalski (taz 5.5.) erinnert sich. “Nun, meiner Mutter, die vor fünf Wochen gestorben ist, wäre es vermutlich herzlich wurscht gewesen, ob ich heute einen Press-Schlag schreibe oder nicht. Schließlich verband sie nicht einmal eine Abneigung mit dieser Sportart, sondern fröhliche Ignoranz. Am 4. Juli 1954 nachmittags taten meine frisch verlobten Eltern, was man sonntagsnachmittags eben macht – sie gingen spazieren. Und rätselten, warum die Straßen so leer waren. Sie hatten nämlich keine Ahnung, was sich gleichzeitig im Berner Wankdorf-Stadion tat. Und hätten sies gewusst – sie wären sicherlich trotzdem spazieren gegangen. Spätestens da war klar: Die beiden waren füreinander bestimmt (…) Und doch: Eines hat sie mir für immer voraus. Am 20. Juni 1976 musste ich mit meiner Schwester ins Schiller-Theater – das Schüler-Abo sah die Räuber vor. Es sollte der erste große Raub an meiner Fußballbiografie werden: Als wir heimkamen, saßen mein Bruder und meine Mutter (!) fiebrig erhitzt vor dem eben ausgeschalteten Fernseher, die Luft im Wohnzimmer vibrierte – gerade eben hatte Panenka im Endspiel der EM den entscheidenden Elfer in Sepp Maiers Tor geschnibbelt. Zusammen mit dem WM-Halbfinale 1982 gegen Frankreich ist das der schmerzhafteste Posten in meiner Sammlung versäumter Spiele. Meine Mutter jedoch hatte es gesehen – und wollte seither, dass wir sie herbeiriefen, wenn es Elfmeterschießen gab. Was davor geschah, hat sie nie interessiert.“

Christoph Daum im Interview mit der FAS (4.5.), ein Ausschnitt:

FRAGE: Verlangen deutsche, österreichische und türkische Mannschaften eine unterschiedliche Ansprache?

ANTWORT: Ja, ja und abermals ja. In Deutschland ist es eine absolut sachbezogene Arbeit, die Spieler wollen lernen, wollen weitergebracht werden…

FRAGE: …das ist ja neu. Berti Vogts und andere beschweren sich doch über die Bequemlichkeit und Unaufgeschlossenheit des deutschen Profis.

ANTWORT: Ich kann nur über meine Erfahrungen sprechen. Und gerade in Leverkusen waren die Spieler äußerst wißbegierig. In der Türkei mußt du viel mehr die Herzen der Spieler erreichen, in der Bundesliga genügt Respekt. Du mußt ihr Vertrauen haben, nicht ihr Freund sein. In der Türkei muß sich ein freundschaftliches Vertrauensverhältnis bilden. In Österreich ist es ein Mittelding

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Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten

(23.01.02) Kurt Kister (SZ 04.01.02) hat eine vorzügliche Analyse über das Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten verfasst. „Unter den Berichterstattern sind nicht wenige, die die Dinge nicht nur beschreiben, sondern sie auch verändern, zumindest aber beeinflussen wollen.“ Die Aussicht auf die Gunst eines Politikers könne eine Verlockung sein, dem der Schreiber nur schwer widerstehen kann. Aus berufspragmatischen Gründen sei er erstens in Zukunft auf dessen Informationen und Zusammenarbeit angewiesen. Zweitens könne es den politischen Interessen und Vorlieben des jeweiligen Journalisten entsprechen, eine bestimmte politische Richtung zu unterstützen. Daher bestehe für ihn die Gefahr, „zum Handlanger von Politikern“ zu werden. Zur Gegenleistung sei der Politiker nunmehr geradezu verpflichtet. „Das Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten ist fast immer zweckgerichtet. Häufig handelt es sich um wechselseitig parasitäre Beziehungen, bei denen mal der Reporter, mal der Politiker der Parasit ist.“ Und es versteht sich von selbst, dass die Effektivität der und der Wunsch nach Zusammenarbeit mit der Macht und Prestige des Kooperationspartners wächst.

Eine beliebte mediale Strategie eines in die Schusslinie der Kritik geratenen Politiker sei die Gegenoffensive: „Dementiere öffentlich, was dir vorgeworfen wird, auch und gerade, wenn du es gesagt hast. Begib dich sofort in den Gegenangriff und werfe deinerseits den vermeintlichen Skandalisierern Rufmord vor.“ Dieser rasche Wechsel von der Täter- in die Opferrolle werde meist mit der Klage begleitet, einer Verleumdungskampagne oder einer Verschwörungstheorie ausgesetzt zu sein. Der Journalist hingegen biete dem Politiker ein Forum für seine Posen und begleitet ihn womöglich mit wohlwollenden Kommentaren und Einschätzungen. „Zwar gibt es […] in Deutschland keine Parteipresse mehr. Aber es gibt im Sinne der Politiker noch genug parteiische Journalisten“ (alle Zitate Kister). Kisters glasklare Beobachtungen lassen sich wohl prinzipiell problemlos auf andere gesellschaftliche Bereiche und mediale Allianzen übertragen, auch auf den Fußball.

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In letzter Zeit mehren sich bedauerlicherweise Debatten um Schiedsrichterentscheidungen seitens der Vereine und ihrer Vertreter

Welchen Nachhall findet diese Kritik in der Öffentlichkeit? Wie werden welche Aussagen von der Presse interpretiert?

„Bayer Jammerkusen“ titelte der Express, nachdem die Bayer-Elf durch einen umstrittenen Handelfmeter in der letzten Spielminute auf St. Pauli zwei sicher geglaubte Punkte lassen musste und daraufhin heftige Kritik in Richtung Schiedsrichter Jansen laut wurde. „Immer sind die andern schuld, so wird das nix mit dem Titel“ wurde der Werksklub von dem Boulevardblatt gleichzeitig an sein Loser-Image erinnert. Völlig zu Recht warf Volker Roth, Vorsitzender des DFB-Schiedsrichterausschusses, Reiner Calmund „entsetzliches Benehmen“ vor. Der Bayer-Manager hatte nach dem Spiel – ebenso wie der mittlerweile mit einer Geldstrafe belegte Bayer-Spieler Michael Ballack – zum Teil unsachliche Kritik geübt. Von „Betrug“ war sogar die Rede. Dabei erwies sich die Argumentation Calmunds, wonach es sich beim Handspiel von Bernd Schneider um dessen „Schutzhand“ gehandelt habe als alles andere als wasserdicht. Diesen Begriff gebe es im Regelwerk nämlich gar nicht, so Roth und weiter: „Wenn es um Schutz geht, kann Schneider auch den Kopf zur Seite ziehen.“ Ähnlich rechtfertigte Jansen seine Entscheidung. Der Spieler habe durch seine Körperhaltung in Kauf genommen, an die Hand angeschossen zu werden. Nachvollziehbar, doch wie dem auch sei: Die Elfmeterentscheidung muss wohl eher als eine falsche gewertet werden.

Ein Wochenende später war es brisanterweise Bayers nächster Gegner, der den dieses Mal unstrittig zu dessen Lasten agierenden Schiedsrichter Dr. Fleischer kritisierte. „Die sich sonst so gern besonnen und unangreifbar gebende Führung der Borussia Dortmund GmbH un Co. KGaA“ (Michael Horeni in FAZ 26.02.02) habe dabei die „Contenance“ verloren und einen kausalen Zusammenhang gesehen zwischen der vorangegangenen Leverkusener Schiedsrichterschelte und den Entscheidungen in diesem Spiel. Manager Michael Meier wird nach der 0:4-Niederlage mit den Worten zitiert: „Es ist schon enttäuschend, dass einer über eine Schiedsrichterentscheidung jammert und dann eine Woche später belohnt wird“ und stößt damit ins selbe Horn wie Präsident Niebaum: „Ich habe das Gefühl: Frechheit siegt. Man muss nur laut genug jammern.“ Anlass für die Schelte war ein zu Unrecht aberkanntes Tor des BVB-Stürmers Ewerthon sowie ein Platzverweis für Jan Koller. Gelb-Rot hätte man auch für Bayer-Spieler Ulf Kirsten aussprechen müssen. „Dortmund wittert eine Verschwörung “ schreibt Oliver Müller (Welt 26.02.02) und spricht dieser freilich das Recht auf Geltung ab. Erik Eggers (taz 26.02.02) sah in dem Dortmunder Verhalten „eine Demonstration dessen, was schlechte Verlierer so ausmacht“.

In der Tat nimmt die Diskussion gelegentlich schizophrene Ausmaße an, wenn zB Borussen-Torhüter Lehmann – der sich nach einem Ballwurf gegen Ulf Kirsten in diesem Spiel über eine Rote Karte nicht hätte beschweren dürfen – es schade findet, „dass der Fußball in den letzten Wochen zu einer Schiedsrichter-Diskussion verkommt“, im selben Atemzug jedoch eine Sperre für schlechte Schiedsricherleistungen fordert, womit er die des Herrn Fleischer meinte. Nicht selten seien es Spieler, laut Gregor Derichs (FAZ 23.02.02) gerade diejenigen aus Dortmund und Leverkusen, die auf dem Spielfeld zum „kollektiv heftigen Protest“ (Derichs) neigen. Doch „dass es bisweilen gerade Dortmunder Akteure sind, die bei strittigen Entscheidungen eine bedrohliche Wagenburg um den Schiedsrichter aufbauen, blieb [in den Aussagen Lehmanns] nämlich unerwähnt“ (Eggers). Daher sieht Horeni die Borussia im Jammern weiterhin als „Tabellenführer“.

Doch sollte man – wie für die sportliche Seite vielfach gefordert – den amtierenden Meister auch in dieser Disziplin nicht vorzeitig abschreiben. Momentan dominieren in dieser Wertung zwar unumstritten die Klubs aus dem Westen. Jedoch muss man nicht lange im Archiv suchen, um auf diesbezügliche bayerische Erfolgserlebnisse zu stoßen. Nach dem Spiel gegen Borussia Dortmund (09.02., 1:1) vernahm man äußerst unsachliche Kritik seitens der Münchner Bayern gegenüber dem Schiedsrichter. Karl-Heinz Rummenigge bestätigte dem Spielleiter den „wohl schwärzesten Tag seiner Karriere“. Ottmar Hitzfeld hatte die Ursachen der enttäuschenden Leistung seiner Mannschaft und des unansehnlichen Spiels gefunden: „Ein guter Schiedsrichter hätte mehr aus dem Spiel gemacht.“ Das war wohl nicht mal ironisch gemeint. In Erinnerung wird auch der filmreife Ausritt Oliver Kahns an die Seitenlinie bleiben, mit dem er – wie von der Tarantel gestochen – dem Schiedsrichter-Assistenten mitteilte, was er von seiner Entscheidung gehalten hatte. Nach dem Spiel wiederum mahnte der Bayern-Torhüter mit ernster Miene, man solle auch in Zeiten des Misserfolgs Ruhe bewahren. Bei diesem Ballyhoo wurde nicht einmal klar, worum es eigentlich ging. Die Freistoßentscheidung, die zum 1:0 für die Dortmunder führte, wohl kaum, ging ihr doch ein klares Foul von Robert Kovac voraus (SAT1 wollte das zahlreicher offensichtlicher Zeitlupen zum Trotz nicht einsehen). Außerdem waren die Bayern mit dem Punkt gut bedient, weniger hingegen mit der Bewertung in der Presse die Jammerrangliste betreffend. Seltsamerweise fanden die Beschuldigungen wenig medialen Wiederhall, obwohl sie erstens an Deutlichkeit wenig vermissen ließen und zweitens im Gegensatz zu denjenigen der anderen „Geprellten“ jeglicher Grundlage zu entbehren schienen. Wie ungerecht, hatte man sich doch solche Mühe gegeben!

dazu auch: Schlechte Verlierer und Profiteure

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Die heikle Lage Friedhelm Funkels

Die heikle Lage Friedhelm Funkels – Heynckes’ Ansprüche unerfüllt – im SZ-Interview rechtfertigt Christian Hochstätter die Entlassung Lienens – Spiegel rügt die „kreative Steuergestaltung“ Borussia Dortmunds (mehr …)

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Eine Analyse der taktischen Entwicklungen

liefert uns Ulrich Fuchs (Tsp 20.6.). „Markiert diese WM den Richtungswechsel zurück zur Dominanz der Defensive, die zuletzt bei der EM 1996 in England zu beobachten war? Ein Spiel, das wieder stärker von der Physis bestimmt ist als von der filigranen Technik seiner Protagonisten? Sicher ist jedenfalls, dass mit Frankreich, Argentinien und Portugal schon drei Teams die Heimreise angetreten haben, die nicht nur zum Favoritenfeld gezählt wurden, sondern auch für jene Übereinkunft von Ästhetik und Effizienz standen, die dem Fußball in der Weltspitze in den letzten Jahren ihren Stempel aufgedrückt hat. Im Kreis der letzten acht sind nun Brasilien und – mit Einschränkungen – Spanien und Senegal die letzten Repräsentanteneines Spiels, bei dem eine Ansammlung überragender Individualisten den Stil des Kollektivs prägt. Mit offensivem Spektakel aber haben auch sie sich bisher in Zurückhaltung geübt. Von einer Trendwende zu sprechen, ist trotzdem verfrüht. Weil jenseits des spektakulären Favoritensterbens ein Phänomen zu beobachten ist, das als seine Kehrseite in eine andere Richtung weist. Die so genannten Kleinen haben riesige Fortschritte gemacht, die taktischen Maßgaben des modernen Spiels sind von einem Großteil der Teilnehmer in einerQualität umgesetzt worden, die so nicht unbedingt zu erwarten war.“

Ronald Reng (SZ 14.6.) über die schwedische Taktik. „Die Schweden, genau wie die Iren oder Dänen, laufen mehr als die meisten. Deswegen können sie dem Gegner so gut den Raum zum Spielen zustellen. „16.000 Schritte“, sagte Trainer Söderberg, waren es für seine Spieler bis ins Achtelfinale. 16.000 Meter lief jeder Schwede nach wissenschaftlichen Messungen im Durchschnitt gegen Argentinien; 25 Prozent mehr als der Gegner. Stürmer Henrik Larsson hatte gegen Argentinien keine Torchance, nach klassischen Vorstellungen ein katastrophales Spiel. Tatsächlich bot er eine Weltklasseleistung. Quasi allein beschäftigte er mit seinen Läufen drei argentinische Verteidiger; er war die Spitze der Defensive.“

Thomas Kilchenstein (FR 12.6.) hat einen Trend ausgemacht: die „Renaissance der Torjäger“. „Vieles spricht dafür, dass zumindest die Angreifer auf den Punkt genau fit sind, das spricht für ihre Klasse, das spricht aber auch für die Vorarbeiter, die die Fachkräfte im Sturmzentrum prima in Szene setzen. Oder zeichnet sich ein neuer Trend ab? Zurück zur Spezialisierung? Zuletzt war es ja eher gegenläufig: alle Feldspieler hatten alle Aufgaben übernehmen müssen. Aus den Spezialisten sind Allrounder geworden, die variabel einsetzbar sind im weiten Fußballfeld. Die Fähigkeiten der Fußballer sind besser geworden. Das, was heutzutage Verteidiger können, hat früher ausgereicht, um den filigranen Ballverteiler im Mittelfeld zu geben. Inzwischen ist es ja so: Verteidiger marschieren elegant über die Flügel, Mittelfeldspieler schießen in den Winkel, Techniker pflegen die Grätsche auszupacken und Stürmer dürfen nicht nur vorne stehen, sondern müssen neuerdings auch Räume zustellen und störend in Gegners Aufbauspiel eingreifen.“

Fußball-Fachmann Christoph Biermann („Der Ball ist rund“) referiert (SZ 1.6.) über Fußballtaktik. „Fußball-Weltmeisterschaften haben den Charakter von Fachmessen, bei denen der jeweils neueste Stand des Spiels festgestellt werden kann (…) Beim WM-Turnier in Fernost wird es besonders um die Mischung aus individuellen Qualitäten und überlegener Organisation auf dem Platz gehen (…) Die Mannschaften müssen auf dem Platz eine gemeinsame Antwort auf die beiden wichtigsten Fragen finden, die der moderne Fußball stellt: Wie verwandle ich Defensive in Offensive, und wie entkomme ich in Ballbesitz der Enge des Raums?“

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Eine Woche ohne Fußball-Match

Eine Woche ohne Fußball-Match hat den Journalisten Zeit und Raum gegeben, sich verstärkt mit den Menschen zu befassen, die das Spiel betreiben und beeinflussen: Zum ersten stören sich viele Berichterstatter an den Transfers der Bremer Ailton und Mladen Krstajic nach Schalke; und zwar an der Tatsache, dass Schalke-Manager Rudi Assauer vor mehr als zwanzig Jahren für Werder Bremen spielte und als Manager tätig war. Die Berliner Zeitung ist enttäuscht: „Werder hat zwei Leistungsträger und einen Freund verloren. Aus Rudi Assauer ist ein Rudi Nassauer geworden.“

Zum zweiten schütteln die Journalisten die Köpfe über Nürnbergs Präsident Michael A. Roth, dessen Colt locker sitzt – wie sein Mundwerk. Seine Ankündigung, bei der nächsten Niederlage zu schießen, hat laut taz, „Spekulationen über die Bedeutung des Mittelinitials A. neu entfacht. Ging man bisher davon aus, dass das A für Affenarsch stehe, gehen nun die Mutmaßungen verstärkt in Richtung Amokläufer.“ Die Redaktionen aller Videotexte kennen den Zweitnamen und teilen ihn – wie nach jeder Dummheit Roths – uns gerne mit: Adolf.

Zum dritten porträtieren die Berichterstatter Nationalspieler im Rampenlicht. Zwei wichtige Länderspiele werden am Wochenende stattfinden: Gegen Island kämpfen die Männer mit Kevin Kuranyi um die EM-Qualifikation. Die BLZ schwärmt: „Kuranyi ist das größte Versprechen, das diese wacklige Nationalelf für 2006 macht.“ Gegen Schweden spielen die Frauen um den WM-Titel – und zählen auf Birgit Prinz, „die neue Majestät des Frauenfußballs“ (SZ). Nach dem Trainerwechsel in Rostock hingegen zucken die meisten Redakteure aus Frankfurt, München und Hamburg mit den Achseln.

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Bundesliga

die Sonntagsspiele in München und Wolfsburg; Bremer breite Brüste; Köln leidet u.v.m.

1860 München – Werder Bremen 0:2

Thomas Klemm (FAZ 9.3.) staunt über Bremer Selbstbewusstsein: „Man kann getrost die Augen verschließen, um die Stärke von Werder Bremen zu ermessen. Man muß einfach nur die Ohren weit aufsperren und auf jene wie selbstverständlich vorgetragenen Worte der Selbstgewißheit lauschen, mit denen der Tabellenführer der Fußball-Bundesliga über sich spricht. Souverän gehe die Mannschaft mit der Situation um, sagte Sportdirektor Klaus Allofs nach dem 2:0 beim TSV München 1860. Einfach so weiterspielen, lautete das Wort zum Sonntag von Angreifer Ivan Klasnic. Wir gehen unseren Weg, versprach Trainer Thomas Schaaf trocken. Selbst nach dem jüngsten Auftritt, der nicht gerade die Sinne betörte, beeindruckten die Bremer die Konkurrenz nicht nur mit anhaltendem Erfolg auf dem Platz, sondern mit ihrer nebenbei zur Schau gestellten Gelassenheit. Ausgerechnet im Münchner Olympiastadion, der Heimstatt des ärgsten Verfolgers FC Bayern, sprachen sie geradezu mit sonst nur vom Rekordmeister gewohnter Souveränität vom Weg zur möglichen Meisterschaft. Und selbst die sprachliche Finesse, die Konkurrenz zu loben und sie gleichzeitig ins Abseits zu stellen, kommt einem etablierten Profi wie Valérien Ismael mühelos über die Lippen. Bayern ist eine große Mannschaft, sagte der Bremer Verteidiger, aber dieses Jahr sind wir stark.“

Klaus Hoeltzenbein (SZ 9.3.) fügt hinzu: „Halb zog es ihn, halb blieb er stehen. Grummelnd, schmollend und mitten ins Nichts hinein gestikulierend trottete Ailton davon, so, als mangele es ihm an Orientierung. Als wisse er nicht genau, wo er hingehört. Auf den Rasen, auf dem er am Sonntag sein Wirken zwar stark beschränkt, jedoch mit einer messerscharfen Flanke das 1:0 eingeleitet hatte? Ins grün-orangene Trikot des SV Werder, in dem er in elf Spieltagen vielleicht Deutscher Meister sein, das er danach aber nie wieder überstreifen wird? Oder in den Flieger, der am Münchner Flughafen auf ihn wartete? Das alles mag Ailton im brabbelnden Selbstgespräch erörtert haben, als er seiner Auswechslung entgegenschritt. In Minute 70 wurde der Brasilianer hinaus gebeten, ein Vorgang, den er in der Regel als ehrabschneidend empfindet. Dieses Mal aber war die Gefühlslage zwiespältig – er musste weg, hatte Termine, und das schien ihn zu irritieren. Während seine Teamkollegen das 2:0 abrundeten, hatte sich Werders Wunderknubbel in der Kabine schon fein gemacht, klemmte das Handtäschchen unter den Arm und stolzierte dem Ausgang des Olympiastadions entgegen. Fort in eine fremde Welt musste er, an den Golf nach Katar, wo er am Montag eingebürgert werden sollte. Und so wurden 25 000 Zuschauer auch Zeuge einer kleinen Kuriosität – nämlich einer Auswechslung, die einmal nicht aus Verletzungs- oder taktischen Gründen erfolgte, sondern auch aus verkehrspolitischen Erwägungen. Offiziell hat dies natürlich kein Bremer zugegeben, aber der Weg ist weit hinaus zum Münchner Flughafen und wird oft von Blechlawinen blockiert. Zudem ging Ailton ja auch mit einem Versprechen: ¸¸Ich werde jedem etwas aus Katar mitbringen, vielleicht für jeden ein Kamel. Wer nach den Gründen sucht, warum sich die Bremer ihre Gemütsruhe noch immer nicht nehmen lassen, trotz einer schärfer werdenden Polemik seitens der Verfolger vom FC Bayern, der muss nur ihren Umgang mit dem zum Wüstenscheich mutierenden Brasilianer betrachten. Seit 1998 proben die Hanseaten die Symbiose mit dem Seltsamen aus dem brasilianischen Norden, nie funktionierte sie besser als jetzt, da sein baldiger Wechsel zum FC Schalke 04 fest steht.“

VfL Wolfsburg – 1. FC Köln 2:0

Uli, komm, ich mach dir eine schöne heiße Milch mit Honig

Marc Schürmann (FTD 8.3.) hofft leidend: „Realitätsverlust und Größenwahn sind hässliche Gebrechen, aber recht häufige, und daher ungeeignet zum Beeindrucken von Psychiatern. Trotzdem muss ich auf internationalen Seelenärzte-Tagungen nur eine Plastikkarte schwenken, schon schütteln weise Männer ihr Haupt, murmeln düstere Gebete in ihre Bärte und weinen. Es ist mein Mitgliedsausweis Nr. 24702 vom 1. FC Köln. Als Inhaber dieser Karte bewohne ich eine Welt, die der klinischen Wissenschaft unzugänglich bleibt. In dieser Welt ist alles schön. Zwar sendet die Erde mir üble Signale, der 1. FC Köln sei dabei, seine in den letzten Jahren so mühsam errichteten Grundmauern einzureißen, all das, was sich unter seriös, weitsichtig und stabil fassen lässt. Auch vernehme ich, der Overath habe sich eine Ewigkeit geziert, Verantwortung zu übernehmen, jetzt jage er plötzlich einen rechtschaffenen Präsidenten aus dem Amt, und überhaupt, außer guten Flanken habe er doch nie etwas für den Verein getan. Aber meine Welt hat einen Filter wie die Ozonschicht, und der wehrt alles Gegenwärtige ab. In meiner Welt gibt es nur Vergangenheit und Zukunft, und siehe, beides ist herrlich. Wolfgang Overath führt den 1. FC Köln, einst das Real Madrid der Bundesliga, wieder empor zum Ruhm, ein neuer Trainer wird kommen, sein Name wird Christoph sein, Christoph Daum. Erzittern werden das Stadion und der Dom und das Land, Zinedine Zidane wird nach dem Finale sagen, es sei der Traum eines jeden Spielers, einmal für den 1. FC Köln aufzulaufen, und an einem klammen Morgen im November wird Uli Hoeneß sein Büro räumen, geschlagen, und ich werde ihn in den Arm nehmen und sagen: Uli, komm, ich mach dir eine schöne heiße Milch mit Honig.“

Achim Lierchert (FAZ 9.3.) beschreibt Kölner Verpuffung: „Wie ein Geist war Overath in Wolfsburg eingeschwebt, um seinem einzigen Job an diesem Tage nachzukommen: der Mannschaft vor dem Spiel mit Hilfe seiner Aura, die anderen Kölner Funktionsträgern offenbar fehlt, Mut zuzusprechen, um in der Volkswagen Arena die vielleicht letzte Chance auf den Klassenverbleib beim Schopfe zu fassen. Wir können nur versuchen, der Mannschaft den richtigen Geist einzuhauchen, rechtfertigte der Sechzigjährige sein Erscheinen in der Kabine vor dem Anpfiff. Drei, vier Sätze, erinnerte sich Trainer Koller, seien es gewesen. Davon, daß das Team Gas geben solle, habe die Ansprache des Altinternationalen gehandelt, wie Mittelfeldspieler Alexander Voigt berichtete. Daß aber letztlich auch Idole keine Wunder vollbringen können, zeigten die nachfolgenden neunzig Minuten. Wie schon in vergangenen Spielen trat das Team engagiert auf, hielt mit, scheiterte aber an seinen Unzulänglichkeiten in der Defensive und vor allem der kläglichen Ausbeute vor dem gegnerischen Tor. Selbst mit Overath wird es angesichts von acht Punkten Rückstand auf den rettenden Platz 15 bei noch elf ausstehenden Spielen kaum gelingen, die Klasse zu erhalten. Allein an einen Overath-Effekt, auf einen Ruck zu vertrauen – so blauäugig ist trotz der großen Depression nach dem gerade erreichten Wiederaufstieg in Köln niemand.“

Du sollst dir kein falsches Bild von der kommenden Saison machen

FAS-Interview mit Frank Aufermannvom Kölner Fanklub TORa et labora

FAS: Ihr christlicher Fanklub heißt in etwa Schieße Tore und arbeite. Ist das nicht ein gutes Motto für das Bundesligateam angesichts der Sturmflaute?

FA: Das ist das richtige Motto, seit wir 1999 unseren Fanklub gegründet haben, weil es spielerisch nie reicht. Nach den Ausfällen von Podolski und Ebbers gibt es derzeit nur den kleinen Woronin als Stürmer. Also muß das Mittelfeld Tore schießen.

FAS: Das zweite Ihrer zehn Gebote lautet: Du sollst dir kein falsches Bild von der kommenden Saison machen. Richten Sie sich auf die zweite Liga ein?

FA: Nach jetzigem Stand – ja. Manager Rettig behauptet zwar immer, zweigleisig zu planen, doch finanziell plant der FC meines Erachtens für die zweite Liga. Die Frage ist, wie viele Fans das noch mal mitmachen. Der Verein kann viel verlieren, was er sich aufgebaut hat.

FAS: Ist Wolfgang Overath als Partner des Präsidiums ein Heilsbringer?

FA: Overath schießt keine Tore mehr. Mit seinem Fußballsachverstand kann er dem Verein aber mittelfristig nützlich sein. Das alberne Hickhack in der letzten Woche hätte man sich jedoch sparen können. Aber so ist das in Köln.

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Marmorböden und Mahagoniholz

Doping-Fall Daniel Gomez (Alemannia Aachen) – über den Werbewert westeuropäischer Stars auf dem asiatischen Markt – „Marmorböden und Mahagoniholz“ (NZZ): teure Träume über den Aufschwung in Katar – 2FC Bayschlaf“ (mehr …)

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Eine ganz normale Spitzenelf

Die NZZ (10.4.) berichtet in der ihr eigenen Wortwahl. „Der erste Viertelfinal hat nach spielerisch enttäuschendem Verlauf mit einem Remis geendet, das den Katalanen eher schmeichelt. Mehrheitlich klar kontrolliert von den lange Zeit ausgezeichnet eingestellten, gut organisierten und im Tackling entschlossenen Turinern, sah das Gastteam eine leichte Steigerung in der zweiten Halbzeit zwölf Minuten vor Schluss mit dem Ausgleich belohnt. Gesamthaft taten die minimalistisch veranlagten Italiener offensiv zu wenig, um die während zweier Drittel des Geschehens nicht sonderlich stabilen Barcelonesen vorentscheidend zu distanzieren. Im Delle Alpi standen sich zwei Teams mit national und international heuer divergierenden Resultaten gegenüber. Juventus, inzwischen im eigenen Land überlegener Leader und mit fünf Punkten Vorsprung Hauptfavorit auf den Scudetto, kämpfte sich eher mühsam durch die Vor- und die Zwischenrunde und brachte vor allem auswärts kaum ein Bein vor das andere. Derweil verliert sich Barça in einer für die stolzen Katalanen geradezu desaströsen Meisterschaftssaison in der Anonymität des breiten Mittelfeldes und eilt anderseits in der Champions League von Erfolg zu Erfolg. Elf von zwölf Gruppenspielen wurden gewonnen, nur Inter musste in Mailand ein Unentschieden zugestanden werden, am Mittwochabend nun auch der Juve in Turin. Damit dauert die verblüffende Champions League der Barça an – und damit die Hoffnung, die Saison wenigstens ausser Landes retten zu können. Schon früh konnte nicht verborgen bleiben, dass Harmonie derzeit keine gut entwickelte Eigenschaft im Barça-Team ist. Speziell im Mittelfeld fehlten Ordnung und Linie fast gänzlich, Bälle wurden im Vorwärtsgang häufig retour gespielt, weshalb Stürmer wie Saviola, Kluivert und der links oft aufrückende Riquelme meist isoliert blieben. Nicht verwunderlich unter diesen Umständen, dass kaum Gefahr von Barças Angriffsreihe ausging, die als stärkster Mannschaftsteil angesehen wird (…) Dass anderseits die Stärken der Juve in der Kompaktheit der eigenen Reihen sowie in der Defensivorganisation liegen, kam rasch zur Geltung. Individualisten standen hüben wie drüben, aber wirkungsvoller und nüchterner gingen die Turiner vor.“

Allseitige Begeisterung über den Auftritt Reals gegen Manchester United (3:1)

“United ist eine ganz normale Spitzenelf geworden; immer noch eine der besten, aber längst nicht mehr eine, wie es sie nur alle fünf Jahre gibt“, erkennt Ronald Reng (FTD 10.4.) einen Wandel Manchesters hin zu internationalem Mittelmaß. „17 Minuten vor Spielschluss fand Manchester Uniteds Torwart Fabien Barthez dann endlich eine Antwort auf die ungeheuerlichen Tricks, mit denen Real Madrids Großmeister Zinedine Zidane United nun schon über eine Stunde gequält hatte. Barthez applaudierte ihm. Zidane war nur noch 25 Meter vom Tor entfernt, als er Uniteds Linksverteidiger John O‘Shea mit einem Kunstkniff, den Fußballer Übersteiger nennen, entwischte, höchste Zeit für Barthez, sich auf den Angriff und das Schlimmste vorzubereiten. Aber er klatschte Beifall. Das war der Moment, in dem der Verdacht zur Gewissheit reifte: Der Wahnsinn von United hatte Methode in der Mittwochnacht. Bei ihrer 1:3-Niederlage im Hinspiel des Champions-League-Viertelfinals ließ Manchester die bestbesetzte Elf des Fußballs mit einer Generosität spielen, dass es einem den Atem raubte. Nach all der Marktschreierei, dass dieses Duell der beiden Supermächte des Vereinsfußballs das Spiel der Spiele sei, glaubte der englische Europacupsieger von 1999 offenbar wirklich, er könnte mit dem aktuellen Pokalverteidiger unbesorgt schwungvoll mitspielen. Heraus kam ein Spektakel – und die ernüchternde Erkenntnis, dass diese United-Elf, die seit sechs Jahren durch so viele Europacupnächte tanzte, müde im Morgengrauen angekommen ist (…) Das Wort, das aus dem Trainingsgelände Carrington dringt, besagt, dass Trainer Ferguson dies erkannt hat und bereit ist, den über Jahre gewachsenen Nukleus der Elf zu sprengen. Flankenläufer David Beckham wird bleiben, da Vereinschef Peter Kenyon nicht töricht genug ist, die Ikone, die mehr als jeder andere United personifiziert, ziehen zu lassen. Ryan Giggs dagegen, der seit zwölf Jahren auf Uniteds linkem Flügel Stil mit Wucht vereint, ist nicht mehr unantastbar. Doch vor seiner größten Herausforderung bei der Umstrukturierung, das machte der Abend in Madrid auf dramatische Weise deutlich, steht Ferguson im zentralen Mittelfeld. Dort wacht noch immer Roy Keane, Fergusons Alter Ego, Uniteds Inspiration. Allein, man erkennt ihn kaum wieder. Keane symbolisierte im Bernabéu alles, was mit United falsch war. Es hieß Déjà vu, als Keane erschöpft vom Platz ging, der Gesichtsausdruck ein einziges Eingeständnis von Unterlegenheit. Genauso geschlagen war der andere große Zerberus der Neunziger, Stefan Effenberg, vor exakt einem Jahr im selben Stadion im Champions-League-Viertelfinale für immer von der großen Bühne abgegangen. Es zeichnet sich ab, dass United mit Keane Bayern Münchens Fehler wiederholt, wo man Effenberg noch die zentrale Rolle ließen, als er den Fortschritt des Teams schon hinderte.“

Madrider Spielkunst

Walter Haubrich (FAZ 10.4.) hielt das Team aus Madrid für deutlich überlegen. „Real Madrid hat es am Dienstag bei einer seiner unwiderstehlichen Galavorstellungen in der Hand gehabt, schon so etwas wie eine Vorentscheidung in diesem Duell zweier europäischer Fußballgiganten herbeizuführen. Eine Halbzeit lang triumphierte die Madrider Spielkunst im mit 74.000 Zuschauern ausverkauften Bernabéu-Stadion über ein biederes britisches Ensemble, das nahezu tatenlos dem artistischen Treiben der Zidane, Raúl und Figo zuschaute. Erst als van Nistelrooy den Engländern die Hoffnung zurückgegeben hatte, mehrten sich die Indizien, daß es im Rückspiel noch einmal schwer für Real werden könnte. Die spanischen Zuschauer ärgerten sich sogar nach dem 3:1 – vor allem über Ronaldo, der wieder einmal sein Übergewicht allzu gemächlich über den Rasen spazierenführte. Als Gast auf der Ehrentribüne erlaubte sich auch Argentiniens Staatspräsident Duhalde ein Urteil über den brasilianischen Star: Das Spiel war wunderbar, sagte er, wenn Ronaldo noch etwas abnimmt, dann wird Real Madrid so gut wie unbesiegbar sein. Mit Ausnahme von Ronaldo präsentierte sich die gesamte Madrider Mannschaft am Dienstag in Bestform (…) 5000 Fans waren aus Manchester gekommen, mehr als ein Viertel von ihnen ohne Eintrittskarten. Mehrere hundert britische Hooligans erzwangen sich den Einlaß, indem sie in geballter Form ein Stadiontor stürmten. Die Spanier schauten interessiert auf die ständig singenden, aus großen Pappbechern Bier trinkenden halbnackten Briten, die sich an der Nordseite vor den Pferden der berittenen Polizei plaziert hatten. Bei dem Versuch, ein weiteres Tor zu stürmen, schlug die Polizei zu. Einer der Engländer erklärte im Namen aller britischen Fußballfreunde: Wir sind nie gewalttätig und wurden trotzdem von den spanischen Polizisten, die ja bekanntlich Faschisten sind, verprügelt.“

Markante Unterschiede angelsächsischen und lateinischen Fussballspiels

Felix Reidhaar (NZZ 10.4.) ist auch einen Tag später noch sehr angetan von Real Madrid. „Wo in den letzten Tagen und Wochen vor allem ein möglicher Wechsel des englischen Megastars Beckham nach Kastilien und ein Abtausch mit dem etwas behäbig gewordenen Figo heissen Diskussionsstoff geliefert hatten, sprach unvermittelt niemand mehr von dieser Variante. Von Beckham ging ausser ein paar seiner bekannten Bananen-Flanken keinerlei Wirkung aus. Der Portugiese, zwar deutlich langsamer geworden und im 1:1-Duell nicht mehr mit ausreichender Durchschlagskraft, erzielte nicht nur das sehenswerte Führungstor. Er offenbarte spielerische Genialität und gab präzise kurze wie weite Zuspiele. Obwohl sich der Ausgang dieses Duells in 15 Tagen wieder umkehren kann, wird so schnell kein Real-Anhänger auf einen Abtausch pochen (…) Bei dieser Gelegenheit offenbarten sich ein weiteres Mal die markanten Unterschiede angelsächsischen und lateinischen Fussballspiels, die in solchen Vergleichen fast immer zugunsten der Iberer ins Gewicht fallen. Während die Madrilenen in ihrem besten Saisonspiel, wie einheimische Journalisten bestätigten, zu einer Stärkedemonstration individuell wie als Einheit ausholten, blieb Manchester United trotz gleich zu Beginn unterstrichenen Ambitionen kaum Zeit, auf Schnelligkeit, Phantasie und Direktspiel des Gegners wirkungsvoll zu reagieren. Im Gegenteil: Der Real-Wirbel provozierte Mängel en masse in den Reihen der Briten, deren Deckungsspieler dazu lange Zeit ungewöhnlich unkonzentriert spielten. Die wesentlichste Differenz trennte die beiden hochwertigen Mannschaften im Aufbau. Real Madrid bot geradezu ein Musterbeispiel vertikalen und vornehmlich flach gehaltenen Ballspiels in diesem Bereich, auf das die Mancunians lange kein probates Gegenmittel fanden. Sie rannten Gegner und – zuweilen wie am Schnürchen gezogenem – Ball hinterher oder sahen sich klassisch ausmanövriert. Das führte so weit, dass sie während Phasen vor der Pause gar nicht mehr zu intervenieren wagten. Captain Keane und Butt im zentralen Aufbau waren nicht mehr als brave Mitläufer ohne jede Initialzündungen. Die Partie, in der beide Teams ihrem noch so verschiedenartigen Stil treu blieben, war ein weiterer Höhepunkt, eine Steigerung gar zu den bisher gerade auch in der Zwischenrunde gesehenen Spitzenleistungen dieser Champions League. Weil auch die Briten ungeachtet der für sie früh schon ungünstigen Entwicklung die Offensive suchten, kam das begeisterte Publikum in den Genuss eines Spektakels, das auch 6:4 hätte ausgehen können.“

Reaktionen der englischen Presse Tsp

Defensivspezialitäten beim 0:0 zwischen Ajax und Milan

Christian Eichler (FAZ 10.4.) sieht beim 0:0 zwischen Ajax Amsterdam und dem AC Mailand ein defensiv bestimmtes Match und die Diagnosen vom „neuen holländischen Realismus“ bestätigt. „Die Gründungsväter hofften auf angriffslustige Kämpfer, als sie ihren Klub Ajax nannten. Und hundert Jahre lang haben die Ajacieden dem Namensvorbild, das einst beim Auswärtsspiel in Troja in der Angriffsreihe mit den Weltstars Achilles und Odysseus stand, munter nachgeeifert. 2003 aber hat Ajax eine neue Tugend entwickelt, die eher dem Vorbild des gleichnamigen Putzmittels entspricht. Motto: Hinten sauber ist der Anfang von allem. Am Dienstag traf die junge Amsterdamer Putzkolonne auf die Altväter der modernen Strafraumhygiene, logisches Resultat gegen den AC Mailand: ein blitzblankes 0:0. Neo-niederländischer Minimalismus nach alt-italienischer Art (…) Noch vor wenigen Jahren wäre so viel Vorsicht vom legendenverwöhnten Publikum mit Murren oder Pfeifen quittiert worden. Nun honoriert es auch den weniger unterhaltsamen, aber meist klügeren Fußball. Ajax hat unter Koeman den lähmenden Dogmatismus überwunden, jenen Zwang zum Zwei-Flügelstürmer-System, das auf die glorreichen Cruyff-Tage zurückweist und immer den Ajax-Nachwuchs gelehrt wird. Doch der lernt längst auch die vorsichtigeren Seiten der Fußballstrategie. Lieber schöne Ergebnisse als schöne Tore – mit diesem Motto ist Remis-König Ajax in der Champions League (acht Unentschieden in dreizehn Spielen) zur am schwersten schlagbaren Mannschaft Europas geworden. Nur gegen Inter Mailand verlor man bisher. Seit sieben Spielen ist Ajax unbesiegt. Ein achtes, man wäre im Halbfinale.“

weitere Analysen zum Viertelfinale der Champions League

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Bierhoffs letzte Station – Töfting ins Gefängnis?

Premier League vom Wochenende, die letzte Karrierestation des Oliver Bierhoff, Töfting vor einer Gefängnisstrafe? – “Magier” Berlusconi (mehr …)

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Aufregung über Gewalt gegen deutschen Nachwuchs – sportliche Hoffnung

Fußball mal wieder im Dienst der nationalen Sache

Michael Horeni (FAZ 20.11.) kommentiert die Gewalt beim U21-Länderspiel Türkei gegen Deutschland: “Was in Istanbul geschah, geht über die Grenzen der Fußballgerichtsbarkeit hinaus. Die türkisch-deutschen Reaktionen machten eine Distanz deutlich, die sich aus nationalistischen Gefühlen und Hochmut speist. Aus türkischen Medien klang es, als ob durch übertriebene Freude und beleidigende Gesten der deutschen Spieler die türkischen Zuschauer zu den Ausschreitungen provoziert worden und berechtigt gewesen wären. Politik und Fußball sind, und das hat die jüngste Vergangenheit gezeigt, aber vor allem in der Türkei schwer voneinander zu trennen gewesen. Spiele der Nationalmannschaft im Ausnahmezustand häufen sich, und vor der entscheidenden EM-Qualifikationsbegegnung schikanierte in dieser Woche sogar der türkische Zoll die lettische Nationalmannschaft. Die Spieler mußten wegen ungültiger Visa zwei Stunden in einer Schlange warten, dann wurden sie von Rauschgifthunden beschnüffelt. Der Präsident des türkischen Verbandes hatte sich, wie gemeldet wird, für diese Maßnahme bei der Regierung eingesetzt. 75 Millionen Türken, so sagte er, warteten auf einen Sieg. Fußball mal wieder im Dienst der nationalen Sache – da hat noch nie jemand gewonnen.“

Christoph Schröder (FR 20.11.) hält die Aufregung für übertrieben: „Wer jemals Kontakt mit türkischen Fußballschaffenden hatte, weiß, dass das nichts mit einem politischen System zu tun hat, nichts mit Menschenrechten oder einer bestimmten Auffassung von Staatsmacht, sondern in erster Linie mit Fußball und allenfalls noch mit nationaler Psychologie. Das Zauberwort heißt Respekt, und das gilt für die Türkischen Sportfreunde Usingen in der Landesliga Hessen genau wie für die türkische Nationalmannschaft, nur eben im kleineren Rahmen. Die Deutschen hatten keinen Respekt. Das zeigte sich bereits im Hinspiel, als U 21-Nationaltorhüter Tim Wiese, ein in Fitness-Studios grotesk aufgeblasener und solariumverbrannter Vollprolet, der hin und wieder gut hält und sich ansonsten darauf konzentriert, seinen Gegenspielern die Knochen zu polieren, das türkische Publikum gezielt mit Feuerzeugen bewarf (die freilich zuvor ihn getroffen hatten). In Istanbul stürmte er nach dem Ausgleich quer über das Feld, provozierte das Publikum und verhöhnte, so sah es jedenfalls aus, seine Gegenspieler. Respektlos. Während die türkischen Spieler nach dem Abpfiff auf dem Rasen weinten, sorgte die staatliche Exekutive in ihrer kurzfristigen Funktion als verlängerte Ersatzbank der Jungen Wilden für Satisfaktion und Respekt. Unschön, aber damit hat sich’s auch.“

André Görke Thomas Seibert (Handelsblatt 20.11.) berichten Details: „Die Bilanz sah am Abend so aus: Der Schiedsrichter lag nach dem Abpfiff mit einer Kopfplatzwunde in seiner Kabine, die genäht werden musste. Dem deutschen Abwehrspieler Maik Franz wurde ein Funkgerät über den Kopf geschlagen, so dass er eine Risswunde am Ohr erlitt. Benjamin Auer wurde von einem Polizisten im Kabinengang getreten und der Dolmetscher „mit einem Faustschlag“ (Florin) niedergestreckt. „Das war kein Fußballspiel, das war Krieg“, sagte Trainer Ulli Stielike. Nach dem Abpfiff hatte er einem türkischen Fernsehsender ein Interview gegeben. „Wir geben zwei Millionen Menschen aus der Türkei Arbeit“, hatte Stielike auf unterstem Stammtischniveau herausposaunt. Da sei es nicht zu viel verlangt, dass türkische Fans beim Abspielen der deutschen Nationalhymne Ruhe bewahren. Dem deutschen Trainer warf der Präsident des türkischen Fußball-Verbandes, Haluk Ulusoy, daraufhin Rassismus vor. „Ich glaube, ihm ist rausgerutscht, was er im Innersten fühlt.“ Und der türkische Trainer Rasit Cetiner sagte, Stielike rede nicht wie ein Fußballtrainer, „sondern wie ein Politiker“. Am Tag danach, als auch noch der Stuttgarter Christian Tiffert „über Kopfschmerzen“, klagte, weil ihn „irgendwas“ getroffen habe, machten die türkischen Medien die deutsche Mannschaft verantwortlich für die Ausschreitungen. Deutsche hätten in der Kabine randaliert, heißt es, und die Zeitung Cumhurriyet schreibt, dass „die Fans halt getan haben, was sie nicht sein lassen konnten“. Bedauerlich sei nur, „dass wir wieder als barbarische Türken dastehen“. Angeblich überlegt der türkische Verband, sich über die Deutschen bei der Uefa zu beschweren.“

Man braucht die jungen Deutschen einfach nur spielen zu lassen

Josef Kelnberger (SZ 20.11.) widmet sich dem Sport: „Von den Franzosen lernen heißt – nein, nicht gleich siegen lernen, das ist so eine typische Übertreibung. Von den Franzosen lernen heißt erst einmal: Französisch lernen. Zum Beispiel das Wort espoir, vielmehr den Plural: espoirs. Hoffnungen. So nennen die Franzosen ganz offiziell ihre Nachwuchsauswahl, die man in Deutschland so hässlich U 21 nennt, bloß weil sie alle unter 21 Jahre alt sein müssen. Aber kann man jemanden, der U 21 heißt, hegen und pflegen und lieben? Die deutschen Hoffnungen, wie sie fortan heißen sollen, haben einen bemerkenswerten Aufschwung erfahren. Haben sich nach einem Rückstand nicht hängen lassen wie die Kollegen aus La Mannschaft von Rudi Völler, haben weiter gekämpft und kombiniert und sind belohnt worden. Mit französischem Pathos würde man sagen: Sie haben einer ganzen Generation von Fußballern einen Dienst erwiesen. Es locken Europameisterschaften im eigenen Land, Olympia, einigen vielleicht schon die Europameisterschaften der Großen in Portugal, in jedem Fall tragende Rollen bei der WM 2006 im eigenen Land. Hoffnungen eben. Die Meinung, dass man die Nachwuchsarbeit in Deutschland von Kindesbeinen an reformieren muss, ist jetzt nicht unbedingt widerlegt. Aber es zeigt sich: Man braucht in der Bundesliga die jungen Deutschen einfach nur spielen zu lassen, so wie das – aus Einsicht und auch aus Not – in Stuttgart Felix Magath vormachte.“

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Stellenwert des Fußballs in Südkorea

Vom Sieg der Südkoreaner berichtet Christoph Biermann (SZ 24.6.). „Zwei Tage Regenerationszeit fehlten ihnen im Vergleich zu den Spaniern, und so konnte man sehen, was von dieser Mannschaft bleibt, wenn sie nicht stets doppelt so weite Wege wie der Gegner gehen und doppelt so viele Zweikämpfe bestreiten kann. Eine Ansammlung von Fehlern produzierte das Team, unpräzise Pässe und holprige Ballannahmen, die tapfer wieder ausgebügelt werden mussten. Beeindruckend war diese Tapferkeit, der Wille und der Kampfgeist auch diesmal wieder, trotzdem war dieses Viertelfinale ein Irrtum und passte damit in das seltsame Muster eines immer farbloser werdenden Turniers. Die Leichtigkeit der Vorrunde ist verschwunden, an ihre Stelle ist aber nicht strenge Klasse getreten, sondern ermüdende Diskussionen um schlechte Leistungen, auch wieder der Schieds- und Linienrichter (…) Diese WM ist eine des Durchwurstelns geworden, und so ist das Halbfinale Südkorea gegen Deutschland folgerichtig. Weil deutsche Teams das Durchwursteln zur Kunstform erhoben haben und in den Koreanern die besten Epigonen gefunden hat.“

Felix Reidhaar (NZZ 24.6.) über das einseitige Spiel. „Dort, wo sich mindestens in der ersten Halbzeit das Geschehen hauptsächlich zugetragen hatte, war kaum je koreanischer Einfluss zu verspüren. Umso folgenschwerer, dass sich die individuell und kollektiv klar stärkeren Iberer diese Vorteile nicht zunutze machten. Denn ihnen war es wie bisher keinem anderen Team an diesem Turnier gelungen, die Limiten des Gastgeberteams schonungslos aufzudecken. Mit konsequenter Störarbeit und vortrefflicher Raumaufteilung verhinderten sie, dass des Gegners Linien ineinander griffen und dass dieser mehr als nur sporadisch mit einheitlichem Druck vorgehen konnte. Diese souveräne Suprematie hätte manche Mannschaft frühzeitig resignieren lassen. Nicht so die Koreaner.“

Zum Stellenwert des Fußballs in Südkorea heißt es bei Holger Gertz (SZ 24.6.). „In den Fußball wird eine Bedeutung hineingelegt, die vielen abenteuerlich vorkommt, der deutsche Sieg 1954 in Bern ist ein Beispiel, das 1:0 der DDR-Mannschaft über die BRD 1974; das rote Fußballwunder von Korea wird künftig als ein anderes genannt werden können. Von 1910 bis 1945 waren die Koreaner in japanischer Gewalt, wurden drangsaliert und vergewaltigt. Die Elite wurde eliminiert, das Volk zu Bauern gemacht, nach der Befreiung dann die Teilung, derKorea-Krieg, Militärdiktatur, schließlich das mühsame Heranrobben an die Wirtschaftskraft des verhassten und bewunderten Nachbarn. Die Financial Times hat, zu Beginn der WM, eine Beilage herausgebracht, darin abgebildet eine Karikatur mit einem südkoreanischen Fußballer und einem japanischen, die sich, Wut im Blick, am Trikot zerren. Dasselbe Spiel, unterschiedliche Ziele, so kann man es sehen, denn Japan und Korea, die diese WM gemeinsam ausrichten, die Feinde von damals, sind unterschiedlich noch immer. Man hat das in den Fußballstadien gut beobachten können, die Japaner mit ihrer bunt frisierten Mannschaft, als wären die Spieler gecastet wie die Kandidaten für Popgruppen in Amerika. So spielten sie auch, um Schönheit bemüht, launisch (…) Die Koreaner rennen und werkeln wie eine Armee von Ameisen, sie erlauben sich keine Auszeit, keinen Luxus, keine Eigenheiten. Die Japaner haben seit Jahren alte Fußballer aus Südamerika oder Europa in ihre Liga gelockt, Buchwald und Littbarski, Toninho Cerezo und Zico: um von ihnen zu lernen, aber auch, um etwas westliches Flair in ihre Stadien zu holen. Die Südkoreaner sind in ihrer Liga unter sich geblieben, verließen sich auf ihre eigenen Stärken, die Show war dem Ergebnis untergeordnet.“

Zur Schiedsrichterdiskussion wirft Roland Zorn (FAS 23.6.) ein. „Dem sportlich allenfalls mittelmäßigen Wert dieser andererseits aufregenden WM der Überraschungen haben die erstaunlichen zahlreichen Misstöne der Schiedsrichter und das wilde Fähnchenschwenken der Linienrichter zusätzlich geschadet. Italien ist bei der Weltmeisterschaft schlecht weggekommen, auch Portugal und nun Spanien – und jedes Mal war der Gastgeber Südkorea im Spiel. Vielleicht nur ein Zufall und doch peinlich genug.“

Mark Schilling (NZZaS 23.6.) zum Turnierauftritt des Co-Gastgebers. „Auf Grund des Gezeigten stehen die unglaublich lauffreudigen Südkoreaner nicht zufällig im Halbfinal, doch im gleichen Atemzug darf nicht verschwiegen werden, dass sie sowohl im Achtelfinal gegen Italien als auch im gestrigen Viertelfinal gegen Spanien in entscheidenden Situationen Profiteure einer ihnen sehr wohlgesinnten Spielleitung waren. Drei Siege und ein Remis später sind sie nun am Dienstag Gastgeber – und zugleich Favorit.“

Felix Reidhaar (NZZaS 23.6.) über den Faktor Glück. „Dem Team aus dem Veranstalterland war es im entscheidenden Moment (Penaltyschießen) gut gesinnt, aber zuvor schon hatte es zum dritten Mal hintereinander von indiskutablen Fehlentscheiden des Spielleitertrios – der Linienrichter – profitiert. Auch dieser Umstand beeinflusst die besondere Textdramaturgie des Turniers in Asien. Es sind nicht mehr wie früher die so genannt Kleinen, die von den Schiedsrichtern wegen Hierarchiedenkens benachteiligt werden. Jetzt trifft es das Establishment mit schmerzlicher Wucht. Portugal, Italien und Spanien, der gesamte lateinische Hochadel Europas, wissen davon ein Trauerlied zu singen. Sie waren alle klar favorisiert in die Spiele gegen den Gastgeber gegangen, aber erst die Spanier wurden am Samstagnachmittag dieser Rolle standesgemäß gerecht.“

Zum Sieg der Südkoreaner schreibt die kroatische Tagezeitung Vecernji List. „Mehr als zwei Millionen Menschen kamen auf die Straßen von Seoul und schlugen somit den Rekord von 1987, als eine Million für die Demokratie demonstrierten. Allein um den großen Bildschirm im Zentrum der Stadt sammelten sich 800.000 Fans – Fußball schlägt in diesen Tagen alle Rekorde! „Vorbereitet haben wir uns für Terroristen und Hooligans, aber nicht für so etwas“ – meinte ein Polizist, der Schwierigkeiten hatte, die Menge um das Stadion Gwangju im Griff zu halten. Zwei Söhne des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung wurden kürzlich wegen Korruption verhaftet. Für den Präsidenten ist das jedoch kein Grund, Schwarz zu tragen: Er kam ins Stadion mit einem roten Schal. Auch die Fans artikulierten ihre Botschaft „Der Stolz Asiens!“ Ein Transparent mit der Aufschrift „Danke dem Königreich Niederlande“ erschien während der Intonierung der Nationalhymnen – natürlich für Hiddink, der Ehrenbürger Koreas werden wird und dem die Koreaner ein Denkmal widmen werden. Und die Spanier bleiben seit 1950 im Warteraum – seitdem waren sie nicht mehr unter den ersten vier auf Weltmeisterschaften. Dieses mal jedoch unverdient: Der Schiedsrichter Ghandour erkannte den Spaniern einen gültigen Treffer ab. „Seit den Italien-Spielen waren wir vorgewarnt, aber wir können dagegen nicht ankämpfen. Den Südkoreanern halfen die Schiedsrichter in den Begegnungen mit den USA, Portugal und Italien – und jetzt eben im Spiel mit uns“ schnaubte Torhüter Casillas.“

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