Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
„Ich denke, dass ich es verdient hätte, in der Nationalmannschaft zu spielen“
Jens Lehmann im Interview mit der SZ, über seine Ansprüche, die Liga der Enttäuschten, Dieter Hecking, Kurt Jara (mehr …)
Ballschrank
VfL Wolfsburg – Bayern München 3:2
Wir haben die Schnauze voll
Aus Wolfsburg verbreitet Philipp Selldorf (SZ 15.9.), dass eine Titelstory die andere Titelstory verdrängt hat. „Die Fotografen hinter dem Tor des VfL Wolfsburg freuten sich schon auf ein gutes Geschäft: Mit ausgebreiteten Armen segelte Roy Makaay auf sie zu, das Gesicht ein Gemälde des Glücks – endlich, endlich hatte er getroffen für den FC Bayern München, zum 2:1 auch noch in Wolfsburg. Es würde die Geschichte des Tages werden, „Makaay schießt Bayern an die Tabellenspitze“ oder so etwas, und sie hätten das Foto dazu gemacht. Doch nur ein paar Minuten später mussten sie erkennen, dass sie nicht nur hinter dem falschen Tor gesessen, sondern auch den falschen Stürmer abgelichtet hatten. Der Mann des Spiels hieß Fernando Baiano. Makaay blieb nur „ein Tor ohne Wert“, wie Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld mit der rationalen Kälte eines Generals bemerkte (…) Ballack, Pizarro, Lizarazu, Deisler und Jeremies hatten die Safari in die niedersächsische Steppe bereits verpasst, weil sie ihre vaterländischen Pflichten nicht unverletzt überstanden hatten. Dazu gesellten sich nun Willy Sagnol und Zé Roberto. Zé Robertos Auftritt dauerte nur elf Minuten. Hitzfeld hatte den Brasilianer auf die Bank gesetzt, weil er am Tag vor dem Spiel erst um halbzehn abends wieder in Deutschland eingetroffen war. Dass Zé Roberto nach seiner Einwechslung für den schwer gestressten und daher stark gelb-rot-gefährdeten Tobias Rau so schnell schon wieder abtransportiert werden musste, mag die Wahrnehmung von angeblichen Missständen im Terminkalender noch geschärft haben. Jedenfalls griff Karl-Heinz Rummenigge zu einem Vokabular, das er aus dem Rudi-Völler-Wörterbuch der Fußball-Kritik entnommen haben könnte. „Wir haben die Schnauze voll“, polterte der Vorstand und stellte dem Weltverband Fifa einen Streik der Vereine in Aussicht. So etwas wie mit Zé Robertos verspäteter Heimkehr „lassen wir uns nicht länger bieten“. Unter Weißbier-Verdacht geriet aber niemand.“
Endlich einmal war der VfL die Nummer eins im Norden
Frank Heike (FAZ 15.9.) bestätigt Wolfsburger Ambitionen. „So kraftlose Münchner hat man selten gesehen. Als die Akkus sich leerten, fehlte auch die Ordnung, und Diego Fernando Klimowicz stand plötzlich frei vor Kahn: Klimowicz schoß ins Tor, beendete die Serie und ließ die Wolfsburger Fans jubeln, diese Anhänger, die ja einen ausgebildeten Minderwertigkeitskomplex gegenüber den traditionsreichen Hannover 96 und Eintracht Braunschweig haben. An diesem stimmungsvollen Nachmittag war endlich einmal ihr VfL die Nummer eins im Norden, nicht nur tabellarisch, sondern auch gefühlt. Die Erwartungen an das rundumsanierte Wolfsburger Team inklusive Trainer sind groß. Noch zweimal haben die Verantwortlichen des von VW dominierten Klubs nachgebessert, mit aller Macht will der VfL mit dem teuersten und besten Aufgebot der letzten Jahre in den Uefa-Pokal. Erste Lehren aus dem bitteren Ausscheiden im UI-Cup gegen Perugia sind gezogen – gegen die Münchner wehrten sich alle Wolfsburger bis zum Schluß und ließen sich durch allerlei Imponiergehabe der Bayern nicht einschüchtern. Im nachhinein waren die vielen Gesten und Worte der Münchner in Richtung Gegner und (vor allem) Linienrichter eher ein Zeichen von Unsicherheit.“
Ralf Wiegand (SZ 15.9.) meldet gute Stimmung in Wolfsburg. „Noch nie hatten die Wolfsburger in zwölf Versuchen gegen die Bayern gewinnen können, und fast kam es einem vor, als hätten sie allein zu diesem Zweck ganz Südamerika mit einem Netz von Spionen überzogen. Die Leute haben ihre Arbeit gut gemacht: Schon seit längerem unterhält der Argentinier Klimowicz die Wolfsburger mit Tricks und Toren; sein am Samstag gesperrter Landsmann D’Alessandro weckt sogar Hoffnungen maradonesken Ausmaßes. Gegen die Bayern lernte die Bundesliga die beiden frischesten Importe kennen, die der norddeutschen Sehnsucht nach dem Temperament des Südens entsprungen sind: Juan Carlos Menseguez und Fernando Baiano. Baiano erscheint im direkten Vergleich mit dem mühevoll ins Bayern-Spiel eingebundenen Top-Transfer Roy Makaay als gelungenes Beispiel für die Blitzintegration ausländischer Mitbürger. Der 24-jährige Angreifer aus Rio de Janeiro ist seit noch nicht einmal einer Woche festes Mitglied der VfL-Trainingsgruppe und spricht weder deutsch noch englisch. Dennoch ging er so optimistisch in sein erstes Spiel, dass er sich vor dem Anpfiff noch rasch eine Mütze mit der Aufschrift „Jesus“ in der Unterhose stopfte.“
Hertha Berlin – Hannover 96 2:3
Christian Ewers (FAZ 15.9.) warnt Hertha. “Leverkusen. Dieser Name geisterte am Samstag durch zahlreiche Wortbeiträge zum aktuellen Zustand von Hertha BSC Berlin. Leverkusen steht für den steilen Absturz einer Fußballmannschaft, die antritt, um die Meisterschaft zu gewinnen, tatsächlich aber bis zur letzten Minute des letzten Spieltages um den Klassenverbleib kämpfen muß. Es geht also um die klaffende Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Und in diesem Punkt weist Hertha BSC eine gefährliche Ähnlichkeit zum Leverkusener Team aus der Saison 2002/03 auf. Die Berliner waren mit dem Ziel in die Saison gestartet, einen Champions-League-Platz zu erreichen. Dieses Ziel wurde von der Mannschaft im Trainingslager selbst formuliert. Bereits nach fünf Spieltagen sind die Berliner vom oberen Tabellendrittel weit entfernt. Von 15 möglichen Punkten holten sie nur drei, schossen vier Spiele lang kein Tor, verloren zweimal im eigenen Stadion und legten damit den schlechtesten Saisonstart seit sechs Jahren hin. Was allerdings noch schwerer wiegt, ist die tiefe Ratlosigkeit, die Trainer Huub Stevens und die Elf ausstrahlen. Die Probleme verschieben sich von Spieltag zu Spieltag, ohne daß auch nur eines nachhaltig gelöst wird. So hat Hertha noch immer keine Lösung für die verwaiste Position des Regisseurs gefunden. Marcelinho ist verletzt, und niemand scheint ihn ersetzen zu können. Auch die Defensive ist noch immer ein Experimentierfeld von Stevens. Am Samstag ließ Stevens seinen Abwehrchef Dick van Burik auf der Bank und ließ mit nur zwei Manndeckern ohne Absicherung spielen. Eine mutige Aufstellung, die Stevens wohl so schnell nicht wiederholen wird. Manager Dieter Hoeneß blieb angesichts des spielerischen Chaos erstaunlich gelassen.“
Ein Hauch von Millerntor! In Berlin! Preiset den Herrn!
Javier Cáceres (SZ 15.9.) schildert nicht nur Berliner Frohsinn. „Behaupte keiner, dass die Anhänger des Berliner Fußball-Bundesligisten Hertha BSC frei von Humor seien. Oder bar von Selbstironie. Als am Samstagabend, kaum zwei Stunden nach der 2:3-Niederlage Herthas gegen Hannover, zwei erkennbar durch den Genuss legaler Drogen belustigter Gestalten in einschlägiger Kluft gen Bahnhof Zoo zogen, da trugen sie einen Trauergospel auf den Lippen, „wir steigen ab“ zur Melodie von „Oh When The Saints“. Ein Hauch von Millerntor! In Berlin! Preiset den Herrn. Sie werden kaum geahnt haben, wie sehr sich ihre affirmative Erkenntnis mit den Befürchtungen des neuen Hertha-Wortführers Fredi Bobic deckte. Als dieser nach dem Spiel vom Auslaufen zurückkehrte und sich den Journalisten stellte, brach eine Brandrede aus ihm heraus, die nicht nur in ihrer Galligkeit Völlersche Züge trug. „Jetzt stecken wir mitten im Abstiegskampf“, rief er, „wir brauchen nicht lange drum herumzureden, das ist einfach so. Leverkusen hat letztes Jahr auch 34 Spieltage ’rumerzählt und erst am 30. Spieltag geglaubt, dass es eng wird. Wir müssen jetzt sehen, das wir da unten rauskommen.“ Einem Journalisten war das offenbar nicht deutlich genug; er fragte, ob Hertha jetzt etwa in einer Krise sei, und Bobic antwortete: „Ihr könnt mich am Arsch lecken mit Eurer Krise Ich red’ nicht über Krisen. Es ist ‘ne beschissene Situation. Aus, basta.““
Katrin Weber-Klüver (FTD 15.9.) ergänzt. „Sie hatten mit einigem gerechnet – aber damit nicht. Sie waren sicher gewesen, dass dies der Tag der Wende werden würde: endlich Tore, endlich ein Sieg. Nur ganz verborgen war der schlimmste Fall in Betracht gezogen worden, auch im fünften Bundesligaspiel ohne Torerfolg zu bleiben. Und nur ganz verschämt mag es ein kleines bisschen Angst gegeben haben, im allerschlimmsten Fall zu verlieren. Was dann in der Partie gegen Hannover 96 passierte, übertraf Berliner Befürchtungen. Es kam nicht am allerschlimmsten für Hertha BSC, es kam schlimmer. Dabei hatte es nicht schlecht, sondern richtig gut angefangen. Überraschend locker nahm die Mannschaft die erste Hürde, als Fredi Bobic nach 14 und 21 Spielminuten Herthas Bundesligatreffer eins und zwei in dieser Saison erzielte. Beide Male vertaten sich die Hannoveraner mit dem Abseitsstellen. Seine Spieler hätten sich „aus Faulheit rausgeschoben“, sagte später Trainer Ralf Rangnick und klang dabei lässig. Kein Wunder – sein Team hatte, von den frühen Fehlern unbeeindruckt, das Spiel 3:2 gewonnen. Und zwar verdient. Hertha BSC steht näher und ratloser am drohenden Flächenbrand als je zuvor.“
Borussia Dortmund – Werder Bremen 2:1
Freddie Röckenhaus (FTD 15.9.) bemerkt, dass der Sieg die Dortmunder Finanz-Sorgen nicht vergessen macht. „BVB-Manager Meier ahnte frühzeitig, dass sich kaum jemand für den Sieg und bedauerlicherweise auch nicht für die sagenhafte Zuschauerzahl von 80 500 im nun vollends ausgebauten Westfalenstadion interessieren würde. Die andauernde Debatte um einen Gehaltsverzicht der BVB-Spieler bleibt in Dortmund das Thema Nummer eins. Meier hat inzwischen eine regelrechte Weltanschauung rund um das „Modell Gehaltsumwandlung“ ersonnen. Es sei eine einmalige Chance für die Spieler, auf diesem Wege einen neuen Zusammenhalt zu finden. Das Einfrieren von 20 Prozent der Gehälter bis zum Beweis höherer Erfolge schweiße „unseren Verein zusammen“. Die Botschaft hat Meier am Samstag sehr wohl platzieren können. Ob sie jedoch bei allen Spielern und ihren in der Regel emotionslosen Beratern in all ihrer irisierenden Komplexität verstanden wurde? Meier braucht in seinem 26-köpfigen Kader einen „Konsens“, wie er im Politiker-Vokabular sagt, eine Einstimmigkeit. Denn nicht wenige der vor allem ausländischen Profis identifizieren sich vielleicht mit ihren aktuellen Mitspielern, mit der Stadion-Atmosphäre und mit der Chance, in einer sehr stark besetzten Mannschaft spielen zu können. Zum Absingen des Vereinsliedes aber fehlen nicht nur die Sprachkenntnisse. Das kann man von einer Legionärsauswahl, für die Dortmund sich im Streben nach Höherem entschieden hat, wohl auch kaum verlangen.“
Cullmann-Pass
Ulrich Hesse-Lichtenberger (taz 15.9.) meint zum Spiel. „Vor vielen Jahren führte der Aphoristiker Max Merkel den Begriff Cullmann-Pass ein und meinte damit jenen Fünf-Meter-Sicherheitspass, mit dem es der Kölner Bernd Cullmann einst bis in die Nationalelf schaffte. Auch gegen Bremen bestand der Dortmunder Spielaufbau wieder aus zu vielen Cullmann-Pässen, was beim BVB aber weniger am Sicherheitsdenken liegt, sondern an unkoordinierter Laufarbeit, die dem Ballführenden keine Optionen lässt. Wenn dann noch Jan Koller, wie gegen Werder, einen schlechten Tag hat und kaum eines jener halbhohen, spekulativen Zuspiele (Ramelow-Pass) unter Kontrolle bringt, dann kann der BVB nur mit Glück gewinnen.“
Bayer Leverkusen – Hamburger SV 1:0
Der Verlierer empfand sich als eigentlicher Gewinner des Tages
Erik Eggers (FR 15.9.) bezweifelt den Hamburger Optimismus. „Bekanntlich ist das, was der Deutsche Wetterdienst einst nüchtern aus Offenbach vermeldete, ein Anachronismus. Jörg Kachelmann revolutionierte das Genre, als er Temperaturangaben und Windstärken um neue Faktoren ergänzte. So vermeldet der Schweizer den Windchill, der das subjektive Kälteempfinden beschreiben soll, wenn’s kräftig bläst. Die Rede ist dann von gefühlter Temperatur. Daran fühlte sich der Beobachter am Samstag Abend in Leverkusen erinnert. Beim Hamburger SV sprach man zwar vom nackten Ergebnis (Torwart Pieckenhagen). Und Trainer Jara bekannte: Wenn man die nackten Zahlen sieht, sind wir am Boden. Sprechen ein Punkt nach fünf Spielen und Tabellenplatz 18 doch eine deutliche Sprache. Aber das Gefühl, sagte Nico-Jan Hoogma vor der Abfahrt nach Hamburg, sei anders als bei den anderen Spielen. Der Verlierer also empfand sich, obwohl die Fakten gegen ihn sprachen, als eigentlicher Gewinner des Tages (…) Der HSV erinnerte nicht nur an die moderne Wetteranalysen, sondern auch an den Zustand des Gegners in der vorigen Saison. Damals gerierte sich der Triple-Vize Leverkusen ebenfalls oft als gefühlter Sieger, bis die vielen Niederlagen in eine bedrohliche Eigendynamik mündeten.“
Irrsinn in Leverkusen
Aus Leverkusen wird Christoph Biermann (SZ 15.9.) nicht mehr schlau. „Warum eigentlich, so muss man sich langsam fragen, sollte der Irrsinn in Leverkusen nicht einfach weitergehen? Denn offensichtlich kommt es dort doch mit gnadenloser Konsequenz immer anders als man denkt. Wer hätte gedacht, dass Bayer im Vorjahr fast abgestiegen wäre, davor fast die Champions League gewonnen hätte, fast im Strudel der Daum-Affäre untergegangen wäre oder in Unterhaching noch den Titel verspielte? Und wer hätte gedacht, dass die Schaukler vom Rhein am kommenden Samstag schon wieder als Tabellenführer beim FC Bayern antreten werden? Ob das Leben in Extremen – das der bizarren Logik des Klubs folgend in dieser Spielzeit nur positiv sein kann – wirklich eine Fortsetzung findet?“
Schalke 04 – VfB Stuttgart 0:0
Daniel Theweleit (SZ 15.9.) sah wirkungslose Schalker Offensive. „Es war Glück für die Schalker, dass dem VfL Wolfsburg in letzter Minute noch der Siegtreffer gegen den FC Bayern gelang. Als Schiedsrichter Herbert Fandel die torlose Partie gegen den VfB Stuttgart in Gelsenkirchen abgepfiffen hatte, da erklang wie schon nach dem 0:0gegen den FC Superfund im UI-Cup-Finale ein kollektives Pfeifen in der Arena. Allerdings nur für wenige Sekunden, denn schon einen Moment später erschien auf der Anzeigetafel die Nachricht vom 3:2 der Wolfsburger – und Schalke jubelte. Der Konkurrent aus Niedersachsen verhinderte neuen Ärger über das Verhalten vieler Schalker Zuschauer, das in einem offenen Brief der wichtigsten Fangruppierungen heftig kritisiert worden war. „Man sollte und darf doch NIEMALS die Mannschaft derart fertig machen, wie es gegen Pasching passiert ist!!!“, stand auf einem Handzettel, der vor dem Spiel verteilt worden war. Wenigstens während der 90 Minuten hielt sich das Publikum weitgehend an die Bitte. Die Mannschaft machte einen spielerisch reiferen Eindruck, sie kombinierte vor allem in der ersten Halbzeit flüssig und schnell. „Wir haben über weite Strecken richtig guten Fußball gespielt“, lobte Trainer Jupp Heynckes, er musste aber auch feststellen, dass „wir keine so klare Torchance hatten, dass man sagen kann, das muss jetzt ein hundertprozentiges Tor sein“. Es mangelt eben an Individualisten, denen wie einstmals Jörg Böhme, Andreas Möller oder Emile Mpenza eine überraschende, spielentscheidende Aktion gelingen kann. Dass Hamit Altintop so einer werden kann, zeigten die ersten Spiele, dass er dafür noch Zeit braucht, zeigte die Begegnung mit dem VfB Stuttgart. Glücklich schätzen können sich die Schalker, dass auch den Stuttgartern ein solcher Spieler fehlte. Hätten die Gäste eine ihrer drei guten Chancen verwertet, wäre ihr Auftritt der einer Spitzenmannschaft gewesen.“
Mangel an Kreativität
Richard Leipold (FAZ 15.9.) erlebte einen träumenden Schalke-Trainer. “Seit Jupp Heynckes im Hochsommer seinen Dienst beim FC Schalke 04 angetreten hat, ist im Gelsenkirchener Fußballbetrieb noch kein Fortschritt zu erkennen, jedenfalls keiner, der sich in Punkten oder Toren messen ließe. Der Mann von Welt garantiert noch nicht den Erfolg, aber er hat wenigstens Visionen. Für einen Augenblick der grau-blauen Welt auf Schalke entrückt, faßte Heynckes das krampfhafte Bemühen seines uninspirierten Personals in einem Satz zusammen. Wir haben in der zweiten Halbzeit versucht, das 3:2 zu machen. Das 3:2? In diesem Spiel? Ein Fernsehreporter fügte dezent die unvermeidliche Korrektur an. Sie meinen das 1:0? Heynckes gab seinem Gesprächspartner recht. Er muß für einen Augenblick weit weg gewesen sein, irgendwo in der Zukunft, bei einem Spiel, das seinen Visionen nahekommt. Während Heynckes in Gedanken das dritte Tor vor dem ersten machte, trafen seine Spieler beim 0:0 gegen den VfB Stuttgart überhaupt nicht. Die Schalker mögen einen Hauch besser Fußball gespielt haben als sonst, aber nur bis zum Strafraum. Für einen Mann wie Heynckes muß der Mangel an Kreativität besonders schwer zu ertragen sein. Wenn man Real Madrid und Bayern München trainiert hat, ist man extrem anspruchsvoll, sagte er. Nach fünf Bundesligarunden sind die Schalker von ihren eigenen Ansprüchen weit entfernt und von den Visionen eines Heynckes noch ein Stück weiter.“
Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Holger Pauler (taz 15.9.) fordert von den Stuttgartern mehr Risiko und den Schalkern mehr Realitätssinn. „Immerhin haben die Stuttgarter einen neuen Startrekord aufgestellt: Fünf Spiele ohne Gegentor, das schaffte noch niemand. Leider schien es so, als hätte Trainer Magath alles diesem einzigen Ziel untergeordnet. Das Spiel nach vorne verkümmerte, erst gegen Ende wagten die Stuttgarter sich wieder nach vorne, ohne den Blick zurück zu vergessen: Hauptsache, die Null stand. Fast eine kleine Beleidigung, an diesem, auf die stehende Null bezogen, historischen Ort. Heraus kam ein Null zu Null der schlechteren Sorte, da auch die Schalker ihren Teil dazu beitrugen. Felix Magath rechtfertigte die Spielweise seiner Mannschaft hinterher damit, dass dies für seine Mannen das beste Ergebnis sei, welches in der Arena jemals erzielt wurde. Und Torhüter Timo Hildebrand pflichtete bei: Auswärts auf Schalke muss man auch mal mit einem Punkt zufrieden sein. Doch welchen FC Schalke hatten die Stuttgarter dabei im Hinterkopf. Die aktuelle Schalker Mannschaft ist meilenweit davon entfernt, Angst und Schrecken zu verbreiten (…) Mit zunehmender Spieldauer wurde deutlich: Der FC Schalke 04 des Jahres 2003 verkörpert nur biederes Mittelmaß. Auf Dauer werden Heynckes, Assauer und Co. Probleme bekommen, den Fans derartigen Fußball glaubhaft zu verkaufen. Das Geschehen auf, vor allem aber außerhalb des Platzes hat bei den Zuschauern Spuren hinterlassen. Die gescheiterten Transfers von Morientes oder Forssell, die schließlich in der Verpflichtung des 34-jährigen Österreichers Edi Glieder mündeten, sorgen für eine seltsame Stimmung: Die Einwechselung Glieders wurde mit einem Mix aus wohlwollendem und ironischem Beifall begleitet. Vor dem Spiel mussten die Fans sogar aufgefordert werden, die eigenen Spieler doch nicht schon bei den ersten Fehlpässen auszupfeifen, und auch der 25-jährige Geburtstag des Dachverbandes Schalker Fanclubs ging stimmungsmäßig eher in die Hose. Nicht wenige wünschen sich in solchen Momenten die graue Tristesse der anonymen Betonschüssel Parkstadion zurück, wo die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit nie ganz so offensichtlich wurde wie in der Glamourwelt der Arena.“
1860 München – 1. FC Köln 2:1
Christian Zaschke (SZ 15.9.) reibt sich die Augen. „Es war etwas Außergewöhnliches geschehen: Der TSV 1860 München hatte den 1. FC Köln verdient besiegt und dabei das Spiel gestaltet. Es muss in einer weit entfernten Zeit gewesen sein, irgendwann im vergangenen Jahrhundert, als die Sechziger zuletzt das Spiel selbst, wie man sagt, „gemacht“ haben. Seither tönt die Klage, dass man kontern könne, sehr gut sogar, dass es aber zum Gestalten nicht reiche. Werner Lorant ist daran gescheitert, Peter Pacult ist daran verzweifelt, und er, Falko Götz, hat nun begonnen, den Stil des TSV 1860 München zu ändern. Dazu genügte ihm ein einfacher Kniff. Götz hat Michael Wiesinger auf die Bank gesetzt, „das war verdammt hart, weil der Michael überragend trainiert hat“, und stattdessen Francis Kioyo aufgeboten. Auf dem Papier spielten die Löwen mit drei Stürmern, das ist in der kleinen Welt dieses Vereins eine Sensation. Tatsächlich aber hat Götz Benjamin Lauth hinter die Spitzen Schroth und Kioyo gesetzt, er ließ also 4–3–1–2 spielen statt des gewohnten 4–4–2. Zum einen wollte er die Mannschaft etwas offensiver ausrichten, zum anderen sollte Lauth öfter an den Ball kommen. Im gewohnten System der Löwen war es oft so, dass die Stürmer vorne allein agierten, weil die Bindung ans Spiel über das Mittelfeld fehlte. So waren sie bei Kontern stets gefährlich, verbrachten aber viel Zeit eher nutzlos auf dem Platz. Das ist bei einem Torjäger normal, bei einem Laufstürmer wie Lauth ist es verschenktes Potential. „Lauth muss Bälle bekommen“, hatte Götz während der Saison immer wieder gesagt, und er hat es auch am Samstag wieder gesagt. Dabei lächelte er zufrieden, weil sein Konzept funktioniert hatte. Einzuwenden ist: Wenn nicht gegen Köln, gegen wen sonst hätte man so spielen können? Die Kölner stellten eine der schwächsten Bundesliga-Mannschaften, die zuletzt im Olympiastadion aufgetreten sind. Die taktische Umstellung bei den Sechzigern hat sie verwirrt, bereits nach 24 Sekunden hatte Schroth die erste gute Möglichkeit, ein Tor zu erzielen, nach sieben Minuten besorgte Kioyo nach Kopfballvorlage von Schroth das 1:0 aus vier Metern Entfernung. Es reihte sich Chance an Chance. „Nee“, behauptete Kölns Trainer Funkel, „das hat mich nicht überrascht, dass Falko Götz so aufgestellt hat.“ Vielleicht hätte er seine Mannschaft an seinem Wissen teilhaben lassen sollen.“
Sieh an, die Löwen!, wirft Elisabeth Schlammerl (FAZ 15.9.) ein. „Als Abstiegskandidat waren die Münchner vor Saisonstart gehandelt worden, weil sie mit Thomas Häßler und Martin Max zwei routinierte Profis abgaben, aber aus finanziellen Gründen keinen adäquaten Ersatz besorgten konnten. Der Kader wurde mit jungen und unbekannten Spielern aufgefüllt – ganz nach dem Vorbild des VfB Stuttgart und vermutlich auch in der leisen Hoffnung, ähnliche Husarenstreiche zu vollbringen. Die Rolle von Häßler sollte eigentlich Markus Weissenberger übernehmen, doch der sitzt mittlerweile auf der Bank. Die Akzente setzen tatsächlich die Jungen im Team: Andreas Görlitz zum Beispiel. Der erst 19 Jahre alte Oberbayer hat sich in seinem ersten Profijahr gleich einen Stammplatz erkämpft, weil er auf der rechten Seite defensiv wie offensiv überzeugt. Gerade genesen von einem Bänderriß, lief er unermüdlich an der Außenlinie auf und ab, gefiel mit klugen Pässen und gewann fast jeden Zweikampf. Der andere Spieler, der im System des TSV 1860 eine wichtige Rolle einnimmt, ist Benjamin Lauth, allerdings ein wenig anders als vor der Saison geplant. Der Nationalspieler hat nach dem glänzenden ersten Profijahr nun Schwierigkeiten, den Ball ins Tor zu bringen, dafür überzeugt er immer mehr als Vorbereiter.“
Hansa Rostock – VfL Bochum 0:2
Schmaler Grat zwischen Verehrung und Verachtung
Matthias Wolf (BLZ 15.9.) sah einen verdienten Gästesieg. „Die oft bemühte Szene ereignete sich kurz vor dem Anpfiff. Da nahm Martin Max von drei Herren im feinen Zwirn die Trophäe für seine Wahl zum Spieler des Monats entgegen, welche die Deutsche Fußball-Liga neuerdings veranstaltet. Für Max war es eine Würdigung seiner sechs Tore im August. Die Zeremonie auf dem Rasen wurde von den Spielern des VfL Bochum boykottiert. Während der von den Hansa-Spielern freudig beklatschten Lobeshymnen bildeten die Gäste einen Kreis und steckten verschwörerisch die Köpfe zusammen. Später, nach dem 0:2 des FC Hansa, darf man das Ganze so interpretieren: In Rostock verlassen sie sich zu sehr auf Max allein. In Bochum wird zusammengerückt und das Kollektiv betont. Oder, um es mit VfL-Trainer Peter Neururer zu sagen: Meine Jungs haben Leidenschaft gezeigt und sind als Mannschaft aufgetreten. Genau das habe er gefordert nach dem peinlichen Scheitern im DFB-Pokal bei Jahn Regensburg. Dort sei das Image des VfL beschädigt worden und er habe danach die schlimmsten zwei Wochen erlebt, seit ich beim VfL bin. Im Ostseestadion fand er seinen inneren Frieden (…) Wir sind abhängig von Max und seinen Toren, sagte Vorstandschef Manfred Wimmer: Wenn er nicht trifft, wird es schwierig. Nach dem 0:1 durch Vahid Hashemian begleitete die Hanseaten in vielen Szenen ein Pfeifkonzert ihrer eigenen Fans. Das kam früh, beklagte Trainer Armin Veh die Ungeduld der Masse: Die Jungs waren angeschlagen und hätten Hilfe gebraucht. Nach der zweiten Heimniederlage, die durch den Kontertreffer von Bjarni Gudjonsson besiegelt wurde, zeigt sich, wie schmal der Grat zwischen Verehrung und Verachtung ist. Bei Hansa hatten sie geglaubt, Mannschaften wie Bochum hinter sich zu lassen. In einer Anzeige im Stadionheft wurden die Gäste sogar als elf graue Mäuse begrüßt.“
morgen auf indirekter-freistoss: Pressestimmen zu den Sonntagspielen in Gladbach und Kaiserslautern
siehe auch die Lage der Liga
Gewinnspiel für Experten
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„Nationale Tränen“ (FAZ) fließen, denn Hoffnungsträger Sebastian Deisler fährt nicht mit zur WM
Nach dieser Schreckensmeldung beweist Rudi Völler zwar stoisches Talent und „fernöstlichen Langmut“ (FAZ). Die WM-Aktien Deutschlands scheinen jedoch erneut gefallen. „Unter diesen Umständen wäre das Erreichen des Viertelfinales schon eine veritable Sensation“, schreibt Erik Eggers in der „Tageszeitung“. Für einen „Nachruf“ sei es nach Auffassung Andreas Burkerts (SZ) allerdings zu früh.
Zuletzt wurde an dieser Stelle berichtet, dass Italiens Arbeitgeber und Wirtschaftsbosse durch die arbeitsfeindlichen Anstoßzeiten während der WM Produktivitätsrückgänge befürchten, da die fußballbegeisterten Italiener vermutlich auf keine Fernsehminute verzichten wollen (if 19.5.). Wie praktisch, wenn man über Dauer und Frist seiner Tätigkeit selbst verfügen darf: Die Parlamentarier aus Ekuador beschlossen, während der Weltmeisterschaft nicht regieren beziehungsweise opponieren zu werden.
Außerdem heute in der Fußballpresse: „Blaues Wunder“ für den Weltmeister, neues vom Alternativfußball und Fußball-Poesie.
Nach der verletzungsbedingten Absage Sebastian Deislers rät Andreas Burkert (SZ 21.5.) Deutschlands Anhängern zu Besonnenheit. „Dass wir nicht Weltmeister werden, ist doch schon vorher bekannt gewesen, und ist es nicht ungleich reizvoller, ohne urdeutsche Ansprüche und Erwartungen in Asien anzutreten? Einen Nachruf sollte bitteschön trotzdem niemand voreilig verfassen, dafür ist Völlers Kader weiterhin ausreichend besetzt mit Ehrgeiz und Talent.“
Michael Horeni (FAZ 21.5.) bewundert Rudi Völlers Reaktion. „Man mag sich gar nicht vorstellen, was für schlimme Dinge in Rudi Völlers Fußballwelt eigentlich geschehen müssen, damit die scheinbar unerschütterliche Gelassenheit und Zuversicht des Teamchefs ins Wanken geraten. 48 Stunden vor dem Abflug zur Weltmeisterschaft und gerade einmal elf Tage vor dem ersten Spiel gegen Saudi-Arabien bleibt der deutsche Publikumsliebling jedenfalls seinem fröhlich-optimistischen Lebensmotto weiter treu, das da lautet: Aus jeder Situation das Beste machen. Die schon fast fernöstliche Langmut des Teamchefs kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich an diesem Mittwoch eine deutsche Auswahl auf den Weg nach Asien macht, die eine unzureichende Vorbereitung ohnegleichen hinter sich hat und über deren Formation und Form sich nur hochspekulative Vorhersagen machen lassen. Früher, so kurz vor einer Weltmeisterschaft, diskutierten Millionen von deutschen Fußballexperten nur noch im Detail über die Aufstellung für das erste Spiel, und es war überhaupt keine Frage, wie es um die Fitness der deutschen Profis bestellt sein würde.“
Vom 6:2-Testspielsieg der deutschen Mannschaft gegen Österreich berichtet Erik Eggers (taz 21.5.). „Anders als Wales präsentierten sich die österreichischen Gegner weitaus artiger und offerierten ihre großartigen Qualitäten als Sparringspartner. So unternahm die Mannschaft von Trainer Hans Krankl so ziemlich alles, um das vorübergehende Stimmungstief der Deutschen in Vergessenheit geraten zu lassen. Hinterher wunderten sich alle, dass nicht auch noch Carsten Jancker, der eine weitere Leistungssteigerung hatte erkennen lassen, zu einem Tor gekommen war. Warum hatte ihn nicht einfach ein Österreicher so angeschossen, dass der Ball ins Tor trudelte?“
Die ekuadorianische Zeitung El Universo (18.5.) informiert uns über eine politische Pause in ihrem Heimatland. „Die ekuadorianische Nationalmannschaft nimmt zum ersten Mal in der Geschichte an einer Weltmeisterschaft teil. Aus diesem Grund habe das ekuadorianische Parlament die Tage zwischen dem 4. Juni und 4. Juli als Urlaubstage deklariert, um unentschuldigte Fehlstunden der Politiker während der Weltmeisterschaft zu vermeiden, wie der Präsident der legislativen Kammer Jose Cordero erklärte.“
Martin Hägele (SZ 21.5.) über Vergangenheitsverarbeitung im chinesischen Fußball. „über die jüngere Fußball-Geschichte jenes Landes, das schon allein wegen der mehr als 1,2 Milliarden Einwohnern das weltweit größte Potenzial in diesem Sport besitzt, existieren keine Bücher und nur vage Daten. Man muss sich also mit den Erzählungen von Zeitzeugen behelfen, der ehemalige chinesische Nationaltrainer Klaus Schlappner hat einmal eine solche Runde zusammengestell (…) Es wurde eine lange Geschichtsstunde. Und man hat viel Tee getrunken zu den Erzählungen. Es war spannend und doch immer wieder zäh. Vor allem an jenen Punkten, wo sie nach Erklärungen suchten, nach Ausreden fürs Fußball-Schicksal. Für den Joss. Joss ist ein chinesisches Wort und bedeutet Glück, Pech, Schicksal und noch ein bisschen mehr. Und weil fast alle chinesischen Menschen abergläubisch sind, wird dieser fatalistische Begriff bis zum Geht-nicht-mehr strapaziert (…) Um den Fluch zu besiegen, hat man Bora Milutinovic gebraucht. Den serbischen Trainer-Freak, von dem manche sagen, er sei ein Clown. Und sein Zauber beziehe sich auf WM-Turniere. Andererseits hat wohl auch der asiatische Kontinentalverband bei der Auslosung ein bisschen nachgeholfen, und Boras Leuten jegliche schwere Konkurrenz aus dem Weg gelost. China ist schließlich jener Teil des Weltmarkts, auf dem auch im Fußball-Business am meisten zu akquirieren ist.“
Fifa-Präsident Blatter sieht sich seitens seines Generalsekretärs Zen-Ruffinen unter anderem massiven Bestechungsvorwürfen ausgesetzt. Blatters Verteidigungsrede kommentiert Roland Zorn (FAZ 21.5.). „In seinem ausführlichen Schreiben versucht Blatter, seinen Gegenspieler in der Fifa-Administration Punkt für Punkt zu kontern, und erklärt sich dabei selbst zum K.-o.-Sieger. Allerdings fällt beim Lesen der Erwiderung auf, dass die Argumentation des Fifa-Präsidenten im Fall der ihm von Zen-Ruffinen zur Last gelegten Zahlung eines Bestechungsgeldes an einen ehemaligen afrikanischen Fifa-Schiedsrichter viel Goodwill in die mitmenschliche Wärme Blatters voraussetzt (…) Über sein gelegentlich selbstherrliches Handeln vorbei am Exekutivkomitee, über seine diktatorisch verfügte Suspendierung des internen Untersuchungsausschusses zur Prüfung der Fifa-Finanzen und über die Bildung eines nur ihm verpflichteten Beraterteams an der klassischen Fifa-Administration vorbei erfahren Blatters Leser nichts bis wenig. Und wenn, dann in Form einer geschönten Darstellung.“
Matti Lieske (taz 21.5.) berichtet von der Entscheidung um die deutsche Alternativfußballmeisterschaft. „Alternativfußball, das ist, wenn die Ersatzspieler eines Teams ihren Torwart nach dem gelungenen Einfangen einer Flanke mit dem Chorus Toni, Toni, Fußballschrott anfeuern. Wenn es Einwurf am Mittelkreis gibt, weil man für Zuschauer und Reservisten zwecks Regenschutzes dort einen Baldachin errichtet und den Bereich kurzerhand zu Aus erklärt hat. Wenn jedes Päuschen zu ein paar hastigen Zügen an der Kippe genutzt wird, bevor es wieder ins Getümmel geht. Dass ausgerechnet der Rote Stern Bremen, das älteste aller Teams und in der Vergangenheit zwar durch hohe Sympathiewerte, aber nicht unbedingt sportliche Triumphe aufgefallen, im 28. Jahr seines Bestehens den Titel holte, darf getrost als die Sensation des Berliner Turniers betrachtet werden.“
Ralf Itzel (SZ 21.5.) hat das Testspiel der beiden WM-Teilnehmer Frankreich und Belgien gesehen, in dem der Weltmeister mit 1:2 sein „blaues Wunder“ erlebte. „Zu hoch sollte man die Niederlage sicher nicht hängen, schließlich gilt es, in zwei Wochen in Form zu sein, nicht schon jetzt. Einige der Blauen schleppten sich so kurz nach der Klubsaison müde über den Rasen – wie schon vor den dann erfolgreichen Turnieren 1998 und 2000. Und natürlich waren die Belgier gegen den Weltmeister hoch motiviert, engagierter und aggressiver. Die Schlappe nervt die Franzosen aber zumindest, zumal sie Marc Wilmots von Schalke 04 auf eine Art und Weise herbeiführte, die zuletzt ihnen vorbehalten war: Durch ein Tor in der Nachspielzeit. Spielerisch brillant sind die Belgier nicht, aber sie präsentierten sich gut organisiert, abwehr- und zweikampfstark. Abgesehen von den Russen vor drei Jahren war es bisher niemandem gelungen, Frankreich im Stade de France zu besiegen.“
Spaniens Poeten wissen Heldentaten gebührend zu feiern. Die Schriftsteller Javier Marías und Vicente Verdú (El País 20.5.) widmen Zinedine Zidanes „übernatürlichem Tor“ im Champions-League-Finale hymnische Prosa. „Das Tor von Zidane war so wunderbar, weil es unerwartbar war. Die Spieler von Real Madrid haben damit nicht gerechnet. Flankengeber Roberto Carlos nicht; dieser wollte lediglich vermeiden, dass der Gegner den Ball erobert. Auch Zidane nicht; er stand nur am Rande des Strafraums. Erst als er gesehen hatte, dass der Ball nicht mehr flog, fiel ihm ein, dass es ein Tor werden könnte. Diese Tore haben etwas Undenkbares an sich. Sie sind ein Geschenk, nicht ein Geschenk des Gegners, sondern ein himmlisches Geschenk.“ (Marías)
Verdú spricht über eine zunehmende Verweiblichung des Fußballs. Dabei denkt er an Beinschüsse, Effektschüsse oder Heber. „Dazu gehört auch das Tor von Zidane. Man kann nur von einem perfekten Tor sprechen, wenn der Ball eine Kurve beschreibt. Zidanes Ball entwickelte sich in einer Form, die im Gegensatz zu den Toren der früheren Machos eine Melodie und eine innere Welle beinhalten. Die wertvollsten Spieler haben heutzutage einen milden Stil und strahlen ein weibliches Aroma á la Zidane aus. Es ist ein Fußball mit festen Kurven und Glamour.“
Gewinnspiel für Experten
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Wie lange werden die Sportreporter noch schweigen?
Endlich! Endlich, endlich! Endlich spricht es einer aus: Michael Hanfeld (FAZ 26.2.) kann das „Ausgerechnet Oliver Kahn!“ nicht mehr hören, das man als TV-Zuschauer bei jedem Fehlgriff Kahns, also inzwischen fast wöchentlich, hören muss. Auf der Medien-Seite klagt Hanfeld über Duckmäuser, Schönredner, Lobbyismus und Fliegenfänger: „Schon wider so ein Kullerball! Wie lange soll das noch so weitergehen? Wie lange sollen wir uns das noch mit ansehen? Wie lange werden die Sportreporter noch schweigen und die Kommentatoren es schönreden? Es muß einmal gesagt werden, mehr als zwölf Millionen Zuschauer von Sat.1 stehen schließlich unter bleibendem Schock: Oliver Kahn hat uns zuerst die Weltmeisterschaft gekostet und nun den FC Bayern München einen historischen Sieg über eine der teuersten Mannschaften der Welt, die einen Abend lang spielte wie ein Absteiger in der Kreisklasse. Und dann die Ernüchterung nach dem Motto: Jeder Schuß rechts unten ins Eck ein Treffer. Daß die Mannschaftskameraden, Trainer, Manager und Teamchef Rudi hernach artig sagen, es gewinne oder verliere oder unentschiede immer die gesamte Elf, ist ja gut und schön. Aber auch der Hinweis, dass dieser Tormann schon so viele unhaltbare Bälle gehalten habe, hilft einem nicht weiter, wenn man vor Verzweiflung in den Teppich beißt. Wofür bitte ist der Mann denn sonst da? Doch wohl nicht, um Schlagzeilen in der Boulevardpresse zu machen. Und doch wohl auch nicht, um – wie er es sich zur Gewohnheit gemacht hat – im Fernsehen alle anderen zu beurteilen und immerfort den großen Aufbruch zu fordern, oder? Geht man da am besten nicht nur mit grimmiger Miene, sondern mit haltendem Beispiel voran? Kein Wunder, dass die Nationalnummer zwei, Jens Lehmann, sich nicht anders als mit rhetorischen Ausflügen ins Abseits zu helfen weiß. Doch in Zeiten, in denen sich Fernsehfußballreproter bei Gesprächen einem temperamentvollen Trainer wie – zum Beispiel – Matthias Sammer nach einem verkorksten Spiel nur in Habachtstellung zu nähern wissen, wohl fürchtend, daß er ihnen gleich das Mikro intravenös verabreicht, und in denen neben einem Kommentator mindestens ein alter Kumpel (hier: Oliver Bierhoff) das Urteil über das Spiel mildert, dürfen wir auf klare Bekenntnisse und Analysen nicht hoffen. Allen gegnerischen Stürmern empfehlen wir: Wenn Kahn drinsteht, einfach unten rechts draufhalten!“
Die FR (27.2.) freistoßt: „Die Reaktionen in der deutschen Presse waren durchweg kritischer als die Auswahl auf der Homepage. Der traditionell Kahn-freundliche kicker kam um die Note 5 nicht herum, bediente sich jedoch ansonsten dem Rat von Fachleuten. Dabei wurde deutlich, dass Ex-Nationaltorwart Andy Köpke den Kollegen nicht besonders gemocht haben kann: Er muss sich eingedenk der bisherigen Saison gefallen lassen, dass sein Status hinterfragt wird. Und: Dass er sich unmittelbar nach dem Real-Spiel nicht gestellt hat, werte ich als bedenkliches Zeichen. Nein, Kahn ist in Fußball-Deutschland nicht von Freunden umgeben, sieht man einmal von entscheidenden Männern wie Teamchef Rudi Völler und seine Adjutanten, Bundestorwarttrainer Sepp Maier und Bundestrainer Michael Skibbe (Es gibt überhaupt keine Diskussion um Kahn), ab. Ein paar Gegenbeispiele: Wäre bei uns Andreas Reinke in der Verfassung wie seit einiger Zeit schon Oliver Kahn, müssten wir uns Gedanken machen (Dieter Burdenski, Torwarttrainer von Werder Bremen). Man muss sich fragen, ob Olivers Akku vielleicht leer ist (Toni Schumacher).“
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1:0-Sieg der Türkei über Senegal
Ronald Reng (FR 24.6.) beschreibt das entscheidende Tor beim 1:0-Sieg der Türkei über Senegal. Im Gesicht von Ilhan Mansiz konnte man das Tor schon sehen. Der Fußball war noch unterwegs im Schwebezustand, und im Nagai-Stadion von Osaka herrschte das Schweigen der offenen Münder; jener kurze Moment vor dem Gefühlsausbruch, wenn noch niemand weiß, welche Emotionen der Flug des Balls in uns auslösen wird, Freude oder Ärger, Erstaunen oder Verzagen. Bloß Ilhan Mansiz lächelte schon. Stürmer fühlen das: Ob ihr Schuss ins Tor geht. Stürmer, die, wenn sie es von Natur aus nicht sind, nach ein paar Jahren auf ihrer Position zwangsläufig selbstverliebt werden, verbringen halbe Tage damit, solch ein Tor zu schießen. In ihren Träumen, in ihrer Fantasie. Aber den wenigsten gelingt es in Wirklichkeit: das perfekte Tor. Ilhan Mansiz‘ 1:0 für die Türkei in der vierten Minute der Verlängerung im WM-Viertelfinale gegen Senegal hatte alles: die Schönheit und die Bedeutung.“
Martin Hägele (taz 24.6.) über die türkische Mannschaft. „Dass der Kader nun in zwei Lager gespalten sei, hänge nicht nur an den alten Klubbanden. Auch religiöse Gründe spielten eine Rolle. Die Fraktion der ordentlichen Muslime mit Hakan befolge auch während der WM die Weisungen des Islam. Dagegen stünden jene Profis, die im Ausland aufgewachsen seien und sich wie Ungläubige aufführten. Angesichts solch interner Probleme war es fast schon ein Wunder, wie sachlich die Spieler ihren Plan gegen Senegal durchgezogen haben. Mit einer Ausnahme.“
Die Bedeutung des sportlichen Erfolgs für die türkische Nation beleuchtet Rainer Hermann (FAZ 24.6.). „Wie in wenigen Ländern eint in der Türkei der Fußball die gesamte Nation. Der Fußball stiftet Identität. Er ist nicht allein der Sport der einfachen Leute, sondern gerade der Mittelklasse, aber auch der Oberschicht. Die Wirtschaftskrise, die seit Anfang 2001 auf dem Land lastet, hat viele Türken in große Nöte gestürzt. Mit dem Erfolg bei der WM habe die Türkei ihre Ehre wiederhergestellt, freut sich auch Ahmet Karamercan, Beamter im Erziehungsministerium, der lange in Deutschland gelebt hat. Die Elf wirbt für die Türkei, und sie knüpft Bande des Dialogs. Nach dem Sieg über Senegal verabschiedete sie sich im Stadion von Osaka von den Zuschauern mit dem japanischen Gruß und einer tiefen Verbeugung. Nicht mehr mit gesenktem Kopf werden künftig die Türken in Deutschland mit den Deutschen über Fußball reden. Über den Fußball hinaus werden die Türken darauf bestehen, als Partner ernst genommen zu werden. Die Einstellung beginnt sich zu ändern. Mit der Dankbarkeit des lange Verkannten nimmt die Türkei die Aufmacherüberschriften in den deutschen Zeitungen wahr (…) Die Türkei wünscht sich jetzt, dass auch Europa die Türkei akzeptiert.“
Christiane Schloetzer (SZ 24.6.) wohnte den Feierlichkeiten in Istanbul bei. „Wer jetzt noch eine türkische Fahne will, der muss zum Farbtopf greifen und sich seine Flagge selbst malen. Das rote Tuch mit Halbmond und Stern ist restlos ausverkauft. Friseure haben daher Hochkonjunktur. Sie pinseln ihren Kunden das türkische Sternenbanner gleich aufs Gesicht. Mit dem Schlusspfiff des Spiels der siegreichen türkischen Elf verwandelten sich Plätze und Straßen von Erzurum im Osten bis Edirne im Westen in wogende rot-weiße Tanzflächen. Die Menschen bewarfen sich mit roten Rosenblättern und Konfetti und intonierten die neue Nationalparole: „En büyük Türkiye“ (die Türkei ist die größte). In Istanbul waren fast alle Hauptstraßen in Minuten durch einen endlosen Autokorso blockiert. In den Lärm stimmten tutende Schiffe auf dem Bosporus ein. Fußballsiege werden in der Türkei stets mit Ausdauer gefeiert.“
Nach Aussagen der FAZ (24.6.) leidet der ganze afrikanische Kontinent mit Senegal. „Der Erfolg der senegalesischen Nationalmannschaft war seit dem Erreichen des Achtelfinales eine gesamtafrikanische Angelegenheit geworden, und mit jedem weiteren Sieg jubelte nicht nur Dakar, sondern ebenso Niamey, Abidjan, Lagos und Khartum. Und so wie die Senegalesen die Niederlage ihrer Mannschaft zur Kenntnis nahmen, so trauerte der ganze Kontinent. Selbst aus dem südafrikanischen Johannesburg wurde Niedergeschlagenheit gemeldet.“
Zum epochalen 1:0-Sieg der Türken gegen Senegal heißt es bei Peter B. Birrer (NZZaS 23.6.). „Die Partie gegen Senegal bot dem Publikum zwei Bilder, die sich nicht krasser hätten voneinander abheben können. Auf der einen Seite versuchten sich die Afrikaner erneut positiv in Szene zu setzen, dank ihrer physischen Präsenz, dank ihrer Athletik und dank ihrem auf Intuition ausgerichteten Spiel. Auf der anderen Seite präsentierten sich als Kontrast die Türken, die meisten zwar einen Kopf kleiner als der Gegner, dafür aber äußerst ballsicher, schnell und gewandt (…) Hat der überraschende Halbfinalist auch eine große Equipe? Der Erfolg der Türken basiert auf keiner langen Vorlaufzeit, kommt aber nicht aus heiterem Himmel. Vor zwei Jahren an der Euro 2000 wurde die Türkei mit Trainer Mustafa Denizli erst im Viertelfinal durch Portugal gestoppt. Der Effort folgte unmittelbar auf den Uefa-Cup-Erfolg, den der in diesem Land vergötterte Fatih Terim mit Galatasaray Istanbul nach Hause gebracht hatte (…) Die geschlagenen Senegalesen werden dem Turnier fehlen, auch wenn ihr letzter Auftritt fast gänzlich missriet und nicht mehr viel mit den vorangegangenen Vorstellungen zu tun hatte. Man wird sie in angenehmer Erinnerung behalten.“
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Arroganz in einem frühen Stadium
Wohin strebt der HSV?, fragt sich Raimund Witkop (FAZ 7.4.). „Die seit Januar immer noch in beachtlicher Zahl in Hamburg logierenden japanischen Reporter zogen emsig Erkundigungen ein, wie der Vorfall zu bewerten sei. Sie hatten überhaupt alle Hände voll zu tun, weil ihr Spezialobjekt eindeutig der Mann des Spiels war: seine beste Leistung für den HSV, ein von ihm provoziertes Eigentor des Gegners und ein seltenes Kuriosum zum Finale. In der 90. Minute erlief Takahara einen Steilpaß, spielte Torwart Hain elegant aus – und schob den Ball, ganz unbedrängt, aus sieben Metern am linken Pfosten des gähnend leeren Tores vorbei. Das war ein ebenbürtiges Remake von Frank Mills legendärem Nicht-Tor im Trikot von Borussia Dortmund 1986 – folgenlos, aber sicher ein langlebiges Gesprächsthema. Es überwog sogar die eigentliche Botschaft des Spiels: der HSV samt Takahara schickt sich an, um einen Platz in der Champions League zu konkurrieren. In einer Woche stellt sich der Dritte Borussia Dortmund in der Arena vor. Dann wird das Stadion, diesmal schon mit 46.000 Zuschauern gefüllt, ausverkauft und werden die Erwartungen groß sein. Das Spiel wird die Weichen stellen, sagte Trainer Jara, danach können wir vielleicht über größere Ziele sprechen. Der Österreicher versicherte glaubhaft, er sei heilfroh, es nun mit dem Meister zu tun zu haben: Solche Spiele wie heute, gegen einen nicht so prominenten Gegner mit dem Gefühl, wir gewinnen schon irgendwie: So etwas geht oft nicht gut. Immer wieder hatte Jara seine erst frisch in den oberen Regionen aufgetauchte Mannschaft vor dem Virus der Überheblichkeit gewarnt. Das schien übertrieben, denn der HSV hatte sich im Laufe der Saison nicht immer spielfreudig, aber stets konzentriert und kämpferisch auf der Höhe gezeigt. Und doch erfüllte sich Jaras Prophezeiung: Nach einer akzeptablen ersten Halbzeit überließ man Bielefeld das Spiel; bei künstlerisch veranlagten Typen wie Cardoso und Barbarez war sogar Arroganz in einem frühen Stadium zu erkennen.“
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Magath
„Magath steht nach seiner geschickten öffentlichen Attacke in der vergangenen Woche und dem sportlichen Coup gestärkt da“, teilt Anno Hecker (FAZ 26.5.) mit. „Welcher Trainer würde ernsthaft den Verein wechseln, wenn sein Team in der nun frisch vergangenen Saison beherzt, forsch, schön und schließlich erfolgreich gespielt hat? Wenn diese junge Mannschaft, die der Trainer geformt hat, als Lohn für ein begeisterndes Zusammenspiel nun in der europäischen Meisterliga mitwirken darf? Magath? Die angedichtete Alternative wäre eine Ochsentour mit Schalke 04 im UI-Cup. Aber Felix Magath, den sie einst Quälix riefen, weil er seine Profis angeblich sehr hart rannahm, wird sich wohl nicht selbst geißeln (…) Magath wird von der Vereinsführung eine Risikobereitschaft fordern, wie sie ihm bevorsteht, falls er in Stuttgart am Ball bleibt. Die Erwartungen und die Belastungen an die Mannschaft werden in der kommenden Saison um ein Vielfaches höher sein. Im Streß der Champions League könnte der Neuling gegen die international renommierten Gegner nicht nur Punkte, sondern auch den Mut verlieren. Was sich mitunter verheerend auf das nationale Geschäft auswirken kann. Zudem müßte ein Magath in der neuen Spielzeit ohne den unumstrittenen Chef auf dem Platz auskommen. Krassimir Balakow demonstrierte in seinem letzten Punktspiel für den VfB noch einmal seine Klasse: als trickreicher Spieler und starker Leithammel, für den die Kollegen bis zur letzten Minute ohne Murren springen. Mit Balakows Wechsel in den Trainerstab steht dem Team aber vermutlich ein neuer Machtkampf um die Hackordnung bevor. Manche hoffnungsvolle Teams sind daran zerbrochen.“
Verhältnis zwischen den Zahlenmenschen und dem Fußballexperten wieder gekittet
Zur Stuttgarter Trainerfrage liest man von Martin Hägele (taz 26.5.). „Eigentlich waren die 50.000 Menschen vor allem deshalb gekommen, um noch einmal eine Party und das beste VfB-Jahr seit langem zu feiern. Eigentlich wollte das Publikum der Mannschaft seinen Dank abstatten, es sollte nämlich auch eine Demo sein, dass man im Schwabenland stolz war auf den dritten Platz hinter den neuen und alten Meistern aus München und Dortmund und selbstbewusst genug, zu Beginn der nächsten Saison die Qualifikation für die Champions League nachzuholen. Joachim Löw kannte diese Atmosphäre. Er hatte sie im Mai 1998 verspürt, am eigenen Leib und mehr als jeder andere. Damals standen die Stuttgarter in Göteborg im Europapokalfinale der Pokalsieger. „Doch es ist nicht über den Gegner Chelsea und die große Chance des VfB diskutiert worden“, erzählte Löw fünf Jahre danach. „Man hat eine Trainer-Debatte angezettelt.“ Auch Löw war ein Fußball-Lehrer, wie ihn das Volk in Cannstatt liebte. Er wurde seinerzeit von Gerhard Mayer-Vorfelder, dem alten Klubpatron, auf dem Höhepunkt der letzten VfB-Erfolgsgeschichte gemobbt (…) Es wurde gefeiert in Stuttgart. Die VfB-Macher Manfred Haas und Dieter Hundt fingen Magath gleich am Spielfeldrand ab. Und der, was Emotionen betrifft, sonst äußerst reservierte Zeitgenosse Magath ließ sich herzen und halste selbst zurück. Jene Männer, die er in den Tagen zuvor als Pfennigfuchser, Sparmanager und nur aufs persönliche Image orientierte Wirtschafts-Karrieristen hingestellt hatte, wohingegen er seinen Stellenwert ganz anders sah: „Der Trainer ist hier doch immer der Arsch.“ Die acht, zehn oder noch mehr Millionen Euro, die nun aus der europäischen Königsklasse bald abgebucht werden können, haben das zum Zerreißen gespannte Verhältnis zwischen den Zahlenmenschen und dem Fußballexperten im Klub wieder gekittet. Durch das Zauberwort Champions League sind die Chefs Hundt und Haas von jenen Ängsten befreit worden, die sich vor den Gesprächen mit Felix Magath wie eine Schlinge um unseren Hals gelegt haben. Aber auch Magath selbst hat zugegeben, dass er mit seiner Kritik an den Funktionären und der daraus entstandenen Diskussion um seine Zukunft bewusst gepokert habe – auch um von der im Saisonfinale plötzlich schwächelnden Mannschaft abzulenken. Wenn sich Vorstand und Aufsichtsrat nun dieser Tage gegenübersitzen, muss Magath nicht mehr pokern. Die Herren Hundt und Haas und auch der designierte Vorstandsvorsitzende Erwin Staudt wissen, dass sie Magath entgegenkommen.“
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Alles beim Alten
Nach all dem Theater um den neuen Trainer Wilmots ist Tobias Schächter (taz 7.4.) vom Spiel enttäuscht. „Rudi Assauer, der Manager des FC Schalke 04, war der Mann, der sich Mitte letzter Woche seinen Dez bei einem Treppensturz aufgeschlagen hatte, und das gleich so vehement, dass ein Fernsehreporter auch am Samstag noch mitleidig bemerkte: Ui, das sieht aber schlimm aus. Die Kamera war noch ausgeschaltet, und Assauer, der immer noch aussieht wie ein Boxer nach dem Kampf, nahm einen kräftigen Zug an seiner Zigarre, lächelte – und sagte wie Männer es sagen, die zweifellos Männer sind: Jede Narbe macht mich nur noch interessanter. (…) Es war ein Spiel, bei dem Max Morlock und Ernst Kuzorra, die Heiligen der beiden in Fanfreundschaft verbundenen Altmeister, sich mit Grauen abgewendet hätten. Aber zumindest in Schalke scheint seit dem Trainerwechsel von Neubarth zu Wilmots alles ganz anders zu sein, obwohl alles beim Alten blieb und die ersatzgeschwächte Mannschaft sich auch im sechsten Spiel in Folge zu keinem Sieg rumpeln konnte. Hätte der Nürnberger Müller in der 90. Minute die Kugel aus drei Metern statt in den Himmel ins Schalker Tor gekloppt, die Reden vom positiven Aufbruch hätte dem mitgenommenen Assauer wohl niemand abgenommen. Dass Narben Menschen interessanter machen, muss nicht zutreffen. Die Trainerkarriere des 38-jährigen Frank Neubarth jedenfalls scheint nach der wundenreichen Entlassung durch Assauer vor neun Tagen genauso blitzartig beendet zu sein wie sie vor acht Monaten begann. Nicht mangelndes Fachwissen sei der Grund für Neubarths Demission gewesen, betete am Samstag der Chef der Schalker Lizenzspieler-Abteilung, Andreas Müller, den Reportern erneut vor. Aber es musste ein Schuss neues Leben in die Bude. Neubarth wirkte trotz seiner stattlichen Größe von 1,89 m seltsam unsichtbar im Schalker Theater.“
Alles, was einem der Job jenseits der Seitenlinie bringen kann
Detlef Dresslein (FAZ 7.4.) versetzt sich in das Innere eines Trainerneulings. „Das Trainerleben ist ein hartes Leben. Das durfte Marc Wilmots, seit knapp zwei Wochen im neuen Beruf, gleich beim ersten Auftritt feststellen. Denn er erlebte beim 0:0 des FC Schalke 04 in Nürnberg so ziemlich alles, was einem der Job jenseits der Seitenlinie bringen kann. Die Fassungslosigkeit, wenn ein Einwechselspieler aus sechs Metern das leere Tor verfehlt. Die Wut, wenn der Stürmer immer wieder am gegnerischen Torwart scheitert und der Ball als Krönung am Innenpfosten landet. Die Ohnmacht, wenn schließlich kurz vor Schluß der völlig unterlegene Gegner beinahe noch das Siegtor erzielt. Und daß alle geleistete Arbeit fast nur von derart unbeeinflußbaren Faktoren abhängt und nach ihnen bewertet wird. Und daß er nicht mehr das Kampfschwein geben, sondern nur noch zuschauen, mitleiden, hoffen und bangen kann. Noch mehr solche Spiele, und Wilmots wird sich mit Sicherheit für die avisierte Karriere als Politiker entscheiden.“
Viel biederes Handwerk
Felix Meininghaus (FTD 7.4.) analysiert die Reaktionen nach dem Spiel. „Es wurde vorwiegend gelobt. Der Wohlfühlfaktor scheint im Genesungsprogramm des FC Schalke 04 eine überragende Bedeutung zu haben. Bereits vor Spielbeginn hatte Wilmots verkündet, der Druck liege allein bei ihm, „für die Mannschaft ist es wichtig, die nötige Lockerheit zu bekommen“. Diese Therapie wendet der Trainerneuling seit seiner Inthronisierung konsequent an. Sehr zur Freude seiner Untergebenen: „Willi weiß genau, dass du beim Fußball auch Spaß haben musst“, weiß der Niederländer Marco van Hoogdalem, „nur trainieren und reden, das kann es doch nicht sein.“ Aus diesen Worten spricht die Wertschätzung für den alten Haudegen, sie sind aber auch eine deutliche Spitze gegen Wilmots Vorgänger. Wochen, bevor er ausgetauscht wurde, war Frank Neubarth von Torhüter Frank Rost ein katastrophales Zeugnis ausgestellt worden: „Seit du hier bist, macht Fußball keinen Spaß mehr“, hatte der Sachse gesagt und mit dieser folgenschweren Aussage das vorzeitige Ende eingeläutet. In Nürnberg gab sich der sonst so wortgewaltige Rost rhetorisch ungewohnt defensiv: „Was in der Vergangenheit war, kommentiere ich nicht. Es wird einem doch sowieso jedes Wort im Mund rumgedreht.“ Bestimmt ist das eine weise Erkenntnis, denn so kann sich Rost auf das konzentrieren, was er am besten kann: Seinen Kasten sauber zu halten. Das ist gegen Schalke auch Nürnbergs Torhüter Darius Kampa geglückt, dem Wilmots eine Weltklasseleistung bescheinigte. Das war eine Wertung, die ebenfalls leicht übertrieben anmutete. Wahr ist, dass der Keeper mit Abstand der Beste in Reihen des Klubs war. Eine Einschätzung, die sich relativiert, wenn man bedenkt, dass die Feldspieler so viel biederes Handwerk boten, dass den Freunden des Altmeisters angst und bange werden konnte. Der FCN schrammte nur deshalb an einer Niederlage vorbei, weil die Gäste in der Chancenauswertung katastrophale Schwächen offenbarten. Allein Victor Agali vergab vier hochkarätige Möglichkeiten. So konnten die beiden Klubs mit dem schnöden Remis durchaus leben. Die Schalker auch deshalb, weil sie den ersten Auftritt des Novizen als kleinen moralischen Neuanfang werteten.“
Häufung von Fehlpässen und abgefangenen Flanken
Zur Atmosphäre im Stadion heißt es bei Volker Kreisl (SZ 7.4.). „Die Erwartungen stiegen minütlich. Die Anhänger des 1. FC Nürnberg und von Schalke 04 verbindet eine lange Freundschaft, und die Sitzreihen des Frankenstadions schimmerten eine halbe Stunde vor Anpfiff rot-blau. Die Fans begrüßten sich und sangen in Vorfreude. Die Trainer gingen in Position, mit ihnen keimten Hoffnungen auf einen Aufschwung und einen abwechslungsreichen Nachmittag. Die Zuschauer hielten Pappdeckel hoch und malten ein großes rotblaues Bild auf den oberen Nordrang, die Spieler grüßten, die Manager gaben Interviews, die Lautstärke der Musik steigerte sich, und das Bundesligaspiel Nürnberg – Schalke ging seinem Höhepunkt entgegen wie ein perfekt inszenierter Kindergeburtstag mit Luftballons und Girlanden kurz vorm Wattepusten. Doch inszenierte Kindergeburtstage sind langweilig und Wattepusten macht nur Spaß, wenn man dabei streitet. Im Fußball ist es ähnlich, große Feste lassen sich nicht planen, und wenn zudem zwei Vereine gegeneinander antreten, die soeben die Weichen für die Zukunft neu gestellt hatten, dann erwarten alle besonders viel Einsatz, doch die Anzeigetafel sieht am Ende so aus wie am Anfang. Das Fußballfest Nürnberg – Schalke endete 0:0, und die Trainer erklärten: „Manchmal musst du froh sein, wenn du nicht verlierst“ (Wilmots). Und: „Man muss auch mal mit einem Punkt zufrieden sein“ (Augenthaler). Das Spiel war eine Häufung von Fehlpässen und abgefangenen Flanken, interessant waren höchstens drei Gestalten: Schalkes Stürmer Victor Agali, der vier Mal knapp vorm Tor scheiterte; Nürnbergs Torwart Darius Kampa, der drei dieser Schüsse mit unglaublichen Reflexen parierte; und Marc Wilmots. Er stand 90 Minuten lang mit den Zehenspitzen am Rand der Coachingzone, und es war gut, dass er einen königsblauen Trainingsanzug trug, denn Wilmots führte eine Art Skigymnastik vor. Er fuchtelte mit den Armen, ging in die Knie, verdrehte die rechte Hand und dirigierte sachte von links nach rechts, stieß die Faust rhythmisch vor, als rüttele er an einer klemmenden Schublade.“
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Themen: die Sonntagsspiele in Mönchengladbach und Kaiserslautern – gutes Comeback von Möller – Gerets vor dem Rauswurf – Steuervorwürfe an Manager
Borussia Mönchengladbach – Eintracht Frankfurt 0:2
Ingo Durstewitz (FR 16.9.) sah einen verdienten Auswärtssieg. „Eintracht Frankfurt, vielleicht ist das die Botschaft des fünften Spieltages, ist endlich angekommen in der höchsten deutschen Fußballliga. Imponierend war vor allen Dingen die Ballsicherheit im Spiel der Hessen, die es noch vor gut zwei Wochen im DFB-Pokal nicht mal geschafft hatten, Kickers Offenbach, Platz elf in der Regionalliga Süd, spielerisch zu dominieren. In Gladbach lief der Ball (in Trainerdiktion: patsch, patsch, patsch) direkt: mal kurze Doppelpässe, mal öffnende Seitenwechsel, keine Stockfehler, kaum Alibi-Pässe – das sah richtig nach Fußball aus. Die Eintracht war den Platzherren mit dem Ball in den eigenen Reihen haushoch überlegen. Egal, ob der furios aufspielende Markus Kreuz, Ervin Skela, Möller oder auch Preuß – sie alle sorgten dafür, dass das Spiel der Eintracht wie ein solches aussah und nicht mehr krampfig, zappelig und ängstlich. In der Bundesliga, dies die Erkenntnis, genügt es lange nicht, nur das Spiel des Gegners zu zerstören ohne eigene kreative Impulse entgegenzusetzen. Da trifft es sich gut, dass das Spiel der Eintracht seit der Rückkehr von Preuß und Möller nicht mehr so leicht auszurechnen ist. Es reicht nicht mehr, wenn der Gegner Ervin Skela bekämpft, sagt Reimann. Gerade Möller besticht durch seine Ruhe, verliert kaum einen Ball; was er macht, hat Hand und Fuß. Seine Erfahrung ist Gold wert. Wenn er sagt: ,Nach vorne schieben‘, dann macht man es einfach, erklärt Preuß. Er ist ein absoluter Führungsspieler. So leicht wie in Gladbach werden es die Frankfurter aber nicht mehr haben.“
Möller, der Dirigent, ist zur richtigen Zeit zu seinen Wurzeln zurückgekehrt
Ralf Weitbrecht (FAZ 16.9.) gratuliert Andreas Möller zum Comeback. „Der Plan, den in 85 Länderspielen erprobten, aber seit vier Monaten nicht mehr im aktiven Fußballgeschäft tätigen Möller auf der Bühne Bundesliga zu präsentieren, ist aufgegangen. Die Frankfurter Eintracht hat gegen eine unerwartet harmlose Mönchengladbacher Borussia auch deshalb gewonnen, weil Möllers Mitwirken wie befreiend auf die Mannschaftskollegen wirkte. Man hat sofort gesehen, daß Möller als Führungsspieler schnell Einfluß auf die Mannschaft genommen hat, urteilte der ungewöhnlich ausgelassen wirkende Frankfurter Trainer Willi Reimann. Nach dem Schlußpfiff riß er befreit die Arme in die Höhe und suchte die Nähe zu seinem neuen Star. Möller und Reimann Arm in Arm – die vielen Frankfurter Fans im Bökelbergstadion stimmten freudig in Andy-Möller-Rufe ein. Dabei war gerade in der gespaltenen Frankfurter Fanszene Möllers Rückkehr höchst gemischt aufgenommen worden. Schließlich hatte man nicht vergessen, unter welchen Umständen der damalige Jungnationalspieler die Eintracht 1992 Richtung Turin verließ – drei Jahre vor Ablauf der eigentlichen Vertragsfrist. Andreas Möller, der Dirigent, ist anscheinend genau zur richtigen Zeit zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Schon vor der Partie gegen die Borussen redete er ausgiebig mit seinen neuen Mitspielern, sprach ihnen Mut zu und gab auch während seines 86 Minuten währenden Einsatzes immer wieder Zeichen, wie sich die Mitspieler zu verhalten hätten. Das hatte man in dieser Saison bei der Eintracht von einem anderen Profi noch nicht gesehen.“
1. FC Kaiserslautern – SC Freiburg 2:2
Bald wird Jäggi Gerets die Entlassung präsentieren
Oliver Trust (Tsp 16.9.) sorgt sich um Kaiserslautern und Trainer Gerets. „Erik Gerets wirkte nicht mehr wie ein Trainer, der noch alles im Griff hat. Er stand am Spielfeldrand, fuchtelte mit den Armen und versuchte zu erklären, was ihm selbst unerklärlich schien. Mitten in diesem Spiel gegen den SC Freiburg (2:2) hatte der Coach des 1. FC Kaiserslautern versucht, die Taktik zu ändern. Von 4-3-3 auf 4-4-2. Auf dass die Anweisung auch bei seiner Mannschaft ankomme, schickte er Herve Nzelo-Lembi auf den Rasen. Just jenen Mann aus dem Kongo, der zwar einen belgischen Pass besitzt, aber dafür in der Pfalz als regelmäßiger Schwänzer des vom Klub verordneten Deutschsprachkurses aufgefallen war. Das Ergebnis kann sich jeder vorstellen. Auf dem Spielfeld entwickelte sich nichts von jener Kraft, die nötig gewesen wäre, um den erhofften Sieg zu landen. „Das ist offenbar nicht angekommen“, gestand Gerets später und sah dabei aus wie ein Trainer, der endgültig am Ende ist. Wem Lembi was erzählte, konnte später keiner mehr wiedergeben. Und Gerets’ Chef, dem Vorstandsvorsitzenden René C. Jäggi, war es irgendwann an diesem tristen Abend auch egal. „Wer nicht gegen die beiden Aufsteiger gewinnt, hat in der Bundesliga nichts verloren“, tobte Jäggi. Das Verhältnis der beiden einstigen Freunde Gerets und Jäggi leidet – und bald wird Jäggi Gerets die Entlassung präsentieren. „Auch Herr Gerets kennt die Mechanismen des Geschäfts“, sagte Jäggi, als ginge es um eine schlechte Bilanz eines Großkonzerns. Vor kurzem sind die beiden noch zusammen essen gegangen. Zweimal die Woche. „Jetzt“, sagte Gerets traurig, „findet auch das nicht mehr statt.“ Inzwischen ist Jäggi nur noch Chef von Gerets – und als solcher verlangt er Erfolg.“
Jan Christian Müller (FR 16.9.) befasst sich mit den Steuervorwürfen an Bundesliga-Manager. „Der einstige Klosterschüler Michael Meier ist ein findiger Mann. Bereits Anfang der 90-er Jahre nutzte der diplomierte Kaufmann und ehemalige Wirtschaftsprüfer eine Gesetzeslücke, um hochpreisiges Personal steuergünstig an Borussia Dortmund zu binden. Der BVB, Mitte der 80-er konkursreif, investierte antizyklisch und holte die Auswanderer Stefan Reuter, Matthias Sammer, Karlheinz Riedle und Andreas Möller, dazu den brasilianischen Weltklasseverteidiger Julio Cesar, aus Italien zurück. Die extrem risikoreiche, vor dem Erreichen des Uefa-Cup-Finals 1993 gegen Juventus Turin noch kredit-finanzierte Vereinspolitik, die überdies in einem Umfeld von 18 Prozent Arbeitslosigkeit ein erhebliches Wagnis darstellte, war nur deshalb möglich, weil Manager Meier den Rückkehrern vor ihrem Arbeitsantritt aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und Italien steuerfreie Handgelder in mehrfacher Millionenhöhe ausbezahlen konnte. Schon damals also hatte die Borussia sich ganz legal die (in diesem Punkt längst geänderte) Steuergesetzgebung zunutze gemacht, so wie der Club es auch jetzt wieder tut.“
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Stadionbaupolitik vieler Kommunen
Christian Eichler (FAS 1.6.) referiert die wirtschaftlich fragwürdige Stadionbaupolitik vieler Kommunen. „Der ohnehin nicht rentable Wettbewerb der Hallen, die fast nie Investitions-, allenfalls Betriebskosten einspielen, ist ruinös, findet Günter Vornholz, Branchenexperte der NordLB: Nach dem Bauboom bei Rathäusern und Hallenbädern ist nun die Veranstaltungshalle das Statussymbol von Kommunalpolitikern. Und das auch in immer kleineren Städten, oft unter dem Druck regional einflußreicher Eishockey-, Handball- oder Basketballklubs (…) Ein Coup gelang den Oberhausenern Anfang Mai, als sie das Konzert von Paul McCartney aus der fast viermal so großen Arena Auf Schalke übernehmen und in nur zehn Tagen Umzug und Kartenumtausch organisieren konnten. Begründet wurde der Ortswechsel mit tourtechnischen Problemen. Doch wissen Branchenkenner, daß die Idee, mehr als 50.000 Menschen wären bereit, über hundert Euro zu bezahlen, um aus mehreren hundert Metern Entfernung McCartney zu sehen, voll am Markt vorbeiging.Mit seinem Fußballtempel mit über 50.000 Sitzplätzen hat der FC Schalke 04 den Arena-Boom auf die Spitze getrieben: als Traumkombination von Fußballstadion und Showbühne. Nicht nur der McCartney-Flop zeigt, welch hohes Risiko der Bundesligaklub eingegangen ist. Schätzungsweise ein Drittel der Baukosten von 183 Millionen Euro (115 Millionen vom Land verbürgt) machte, mit Schiebedach und mobilem Rasen, die Multifunktionalität der Arena aus, ohne die Zinsbelastung für die Mehrkosten gegenüber einem reinen Fußballstadion bisher annähernd einzuspielen. Kenner bezweifeln, daß sie das je tun wird, weil die Künstler, die solche Riesenarenen füllen können, immer rarer werden, wie Brill sagt. Und die wenigen, die da sind, kennen ihre Marktmacht. Die sind ja verrückt, urteilte Klub-Manager Rudi Assauer schon nach den ersten Erfahrungen mit der Gattung Künstler. Die verlangen unglaublich viel Geld – und wenn’s geht, ein Jahr im voraus. Schalke ist nicht der Gipfel der Entwicklung, es gibt noch eine Steigerung: In Düsseldorf wird seit Januar für 217 Millionen Euro (150 Millionen vom Land verbürgt) eine ähnlich große Arena gebaut, mit Schiebedach, Winterheizung und der Kalkulation von Betreiber SMG für 63 Veranstaltungen pro Jahr – und das, obwohl die Stadt keinen Profifußball hat, bei der WM 2006 kein Spiel ausrichtet und als Olympiabewerber durchfiel. Eine politische Sache, wirtschaftlich nicht nachvollziehbar, urteilt Vornholz. Großartig, höhnt Marek Lieberberg über das Düsseldorfer Ding. Das wird ein Grabmal. Wenigstens einen Nutzen wird die Sache haben: Der Schutt des alten Rheinstadions, im letzten Jahr gesprengt, um der Arena Platz zu machen, wurde zum Deichbau in die Niederlande verschifft. Ob die Stones noch einmal kommen, weiß kein Mensch. Die nächste Sturmflut kommt bestimmt.“
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Gruppenspiele (ITA, ECU, MEX, KRO)
Hintergrundberichte ber die Nationen Italien, Ekuador, Kroatien und Mexiko
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Forderungen der Spielergewerkschaft – Klose bleibt dem FCK treu – EM-Qualifikation
Droht soziales Elend?
Die jüngsten Forderungen der Spielergewerkschaft stellt Wolfgang Hettfleisch (FR3.4.) in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext. „Es mutet seltsam an, dass die deutsche Profikicker-Vertretung Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV) just jetzt nach einem Tarifvertrag für ihre Klientel ruft. In England, Italien, Frankreich und etlichen anderen europäischen Ländern gebe es den schon, sagt die VdV, und die internationale Spielergewerkschaft Fifpro lote in Brüssel von heute an die Chance für eine europaweit gültige Tarifordnung aus. Nun gut. Aber was soll bloß ein Angestellter denken, dessen Betrieb aus schierer Not gerade die Tarifbindung unterläuft und ihn nur deshalb noch beschäftigen kann, wenn er liest, die Bundesliga-Kicker sollten per Mindestlohn und Pensionskasse vor dem sozialen Elend bewahrt werden? Natürlich ist Stimmungsmache fehl am Platz. Viele der Forderungen, die von der VdV im Bemühen erhoben werden, die Beschäftigungsverhältnisse bei den 36 deutschen Proficlubs auf eine einheitliche und rechtlich unzweideutige Basis zu stellen, sind sinnvoll. Nicht jeder Berufsfußballer ist Kahn oder Ballack. Wer früh zum Sportinvaliden wird oder seine liebe Karriere lang in den Niederungen der zweiten Liga herumdümpelt, wird kein Millionär. Daher ist es richtig, etwa für die Karriere nach der Karriere Standards bei Aus- und Fortbildung einzuziehen, wie die VdV fordert. Wie aber soll ein Tarif, der nach den Vorstellungen der Spielergewerkschaft überdies mit sachfremden Fragen wie dem Doping oder der kartellrechtlichen Absicherung der Zentralvermarktung überfrachtet würde, dort funktionieren, wo außertarifliche Entlohnung auch nach dessen Einführung die Regel bliebe?“
Heimatliebe
Die Absichtserklärung Miroslav Kloses, seinem Klub (1. FC Kaiserslautern) die Treue zu halten, bewertet Michael Ashelm (FAZ 3.4.) skeptisch. „Damit hat sich an der Beziehungskiste Klose/FCK aktuell also kaum etwas oder gar nichts verändert. Findet sich ein zahlungskräftiger Abnehmer, den es derzeit anscheinend in der Größenordnung nicht gibt, ist Klose weg. Und die Entscheidung, auch in der nächsten Saison für die Lauterer auf Torejagd zu gehen, ist ohnehin an zwei Bedingungen geknüpft: Die Mannschaft darf nicht absteigen und muß im internationalen Geschäft vertreten sein. Letzteres dürfte nach dem Einzug ins DFB-Pokalfinale möglich sein, weil man davon ausgehen kann, daß Endspielgegner Bayern München in die Champions League kommen wird. So deutet einiges darauf hin, daß er trotz großer Heimatliebe nach der nächsten Saison den klammen Klub endgültig verlassen wird. Wie sollte der Vorstandschef Jäggi ein Festhalten an Klose auch gegenüber den Gläubigern des Vereins verkaufen? Ein Jahr vor Ablauf seines Vertrages ist jedenfalls die Ablösesumme auf fünf Millionen Euro festgeschrieben, es wäre die letzte Möglichkeit, daß der Verein für seinen Star Geld kassieren könnte. Die fünf Millionen müßte der FCK dann an die Lotto-Gesellschaft Rheinland-Pfalz weitergeben, die für ihren Kredit in gleicher Höhe das Recht auf die Ablösesumme erhalten hatte. Geht Klose erst 2005 müßte der Verein sich etwas einfallen lassen, wie er speziell diesen einen Kredit anders auslösen könnte. An diesem Freitag wird deshalb ein Gespräch zwischen Jäggi, der Lotto-Gesellschaft und Kloses Berater Michael Becker stattfinden. Es geht um neue Modalitäten der Übereinkunft. Insgesamt verbreitet der FCK in diesen Tagen das Gefühl, auf einem guten Wege der sportlichen und finanziellen Konsolidierung zu sein. Mit einem Vergleich endete am Mittwoch der Rechtsstreit zwischen dem Verein und seinem ehemaligen Teamchef Andreas Brehme vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern. Der Weltmeister erhält eine Abfindung in Höhe von 2,1 Millionen Mark, weitere Ansprüche von Brehme seien damit erledigt, heißt es. Auch an seinen früheren Mittelfeldspieler Youri Djorkaeff muß der FCK keine Prämien in Höhe von etwas mehr als 400.000 Euro nachzahlen. Der Fall Klose bleibt weiterhin eine Rechnung mit vielen Unbekannten – also nicht viel Neues.”
Der Spieltag der EM-Qualifikation in der Übersicht NZZ
Spielbericht Georgein – Schweiz (0:0) NZZ
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