Donnerstag, 25. März 2004
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„Galavorstellung“ der Brasilianer
Thomas Kilchenstein (FR 14.6.) spricht von einer „Galavorstellung“ der Brasilianer. „Nach diesem Spiel hat man so in etwa eine Ahnung, zu was diese Brasilianer fähig sind – wenn sie Lust haben und man sie spielen lässt (…) Es war ein Spiel zweier Mannschaften, die eine fast kindliche Freude an ihrem Tun hatten, die zeigen wollen, was sie können, und die vor allem auch was können, was sich zeigen lässt. Für den ersten „Tunnel“, so nennen Fußballer eine Aktion, bei der sie anderen den Ball durch die Beine schieben, benötigte Cafu keine Minute. Es war das Signal: He, das wird heute ein Riesenspaß.“
Die NZZ (14.6.) dazu. „Die Partie war die bisher attraktivste an dieser Weltmeisterschaft, nicht zuletzt deshalb, weil taktische Überlegungen zu keinem Zeitpunkt eine Rolle spielten. Der Beitrag Costa Ricas zu einem Offensivspektakel war groß, dies wird die Mannschaft indes nur bedingt trösten (…) Der WM-Mitfavorit demonstrierte seine großen und bekannten Stärken in der Offensive, offenbarte aber ebenso in der Abwehr Schwächen. Im Spiel gegen Costa Rica zeigte sich, dass die Brasilianer insbesondere bei hohen Bällen Mühe bekunden.“
Roland Zorn (FAZ 14.6.) über das Comeback eines Phänomens. „Das lächelnde Gesicht des Fußballs hat am Donnerstag niemand so glaubwürdig wie der wiedergenesene Stürmerstar Ronaldo verkörpert. Er hat seinen Gegenspieler Wallace bei Rivaldos Ecke sogar angelacht, ehe er ihm anschließend entwischte und noch zwei Costaricaner auf dem Weg zum 2:0 stehen ließ. Entspannt, entkrampft und endlich beschwerdefrei ist der Weltstar wieder da, wo er hingehört: auf der ganz großen Bühne.“
Helmut Schümann (Die Zeit 13.6.) beschreibt die Sonderstellung Brasiliens bei dieser Fußballweltmeisterschaft. Die „fabelhaften Wesen“ des brasilianischen Teams seien mit einem „Heiligenschein ausgestattet. Einer am Fuß. Einer am Kopf. Einer unter der rechten Hacke. Bei Ronaldo auch noch einer unter der linken. Gut, Torwart Marcos hat keinen, brasilianische Torhüter hatten noch nie einen und brauchen auch keinen, weil Brasilianer davon überzeugt sind, Torhüter seien eigentlich überflüssig. Und Lucio, der für Leverkusen spielende und für die Grobarbeit zuständige Abwehrspieler, hat auch keinen. Die beiden sind sozusagen die Quotenmenschen der Brasilianer.“
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Makaay trifft doppelt und schreibt Geschichte – Fazit des ersten Spieltags
„Geschichte wiederholt sich. Sie wechselt nur manchmal das Trikot.“ Die SZ bringt die Story des vergangenen Mittwochs auf den Punkt: Beim Comeback des FC Bayern München in der Champions League warf die Vergangenheit lange Schatten. Vor genau einem Jahr traf Roy Makaay drei Mal ins Tor – und zwar ins Münchner Tor. Sein damaliger Klub Deportivo La Coruña gewann 3:2 und leitete das sieglose Ausscheiden der Münchner in der Vorrunde ein. Vorgestern hat Makaay erneut zwei Tore geschossen; dieses Mal im Trikot der Bayern. Endergebnis: 2:1 gegen Celtic Glasgow.
Von diesem schönen Märchen abgesehen erzählt die Presse nicht viel Gutes. Der Tagesspiegel kommentiert: „Schwacher Champions-League-Auftakt reicht den Bayern, weil sie mit Makaay den Unterschied gekauft haben.“ Die FAZ stellt „Mangel an Souveränität“ fest. Die FR trägt „ein weiteres Kapitel ein ins schon recht dicke Dusel-Buch“ der Bayern. Makaays Siegtreffer fiel kurz vor Schluss und war eine missglückte Flanke. Die FTD warnt den Favoriten: „Der erste internationale Auftritt nach acht Monaten Zwangspause dürfte den Bayern verdeutlicht haben, wie stark die vermeintlich kleinen Mannschaften geworden sind – Celtic Glasgow zählt gewiss nicht zu den Marktführern der Königsklasse.“
Wieder „business as usual“?
Ist der erkämpfte Sieg ein Grundstein für eine erfolgreiche Saison? Martin Hägele (NZZ 19.9.) mutmaßt. „Das blamable Ausscheiden vor Jahresfrist hat deutliche Spuren in der Psyche aller Münchner Beteiligten hinterlassen. Dass sich die Bayern-Stars über eine Stunde lang so schwer taten im Spielaufbau, dass ihnen so viele Abspielfehler und technische Patzer unterliefen vor der Führung von Celtic, all diese Dinge haben auch mit den angespannten Nerven im FC Bayern zu tun. Die spürten sie an der Säbener Strasse nicht nur, weil mit dem Start in die Königsklasse automatisch die Erinnerung an die grosse Herbst- und Winter-Depression vom Vorjahr gekommen war. Normalerweise gehören Prüfungssituationen zum Alltag für ein Kader mit den internationalen Ansprüchen des Münchner Nobelklubs. Vor dem Hintergrund einer 2:3-Niederlage gegen den VfL Wolfsburg und der Tatsache, dass Kahn nach fünf Runden schon sieben Gegentore kassierte -normalerweise lässt er in einer halben Saison nicht mehr Treffer zu –, standen die Zeichen auf Alarm. Nun könnte der Betrieb in der hoch ambitionierten Firma an sich wieder auf „business as usual“ umschalten. Der Gewinn der ersten drei Punkte sowie die Resultate der kontinentalen Konkurrenz zeigen, dass es in der Gruppe keinen Gegner gibt, vor dem sich der FC Bayern fürchten müsste. Und angesichts der Konstellation in der Bundesliga könnte schon am Samstagabend wieder jenes Bild gelten, das man aus dem vergangenen Jahr kennt: die Bayern als Leader.“
Eines der wichtigsten Tore der Vereinsgeschichte
Klaus Hoeltzenbein (SZ 19.9.) beschreibt die Bedeutung des ersten Treffers. „Das Tor zum 1:1 – bei dem Makaay eine verunglückte Kopfballvorlage des Celtic-Profis Stanislaw Varga aufnahm und nach dem Nicht-denken-Rezept per Volleyschuss verwandelte – wird womöglich als eines der wichtigsten in der Vereinsgeschichte in Erinnerung bleiben. Am Mittwoch hat es jedenfalls eine Gerölllawine ausgelöst: Ottmar Hitzfeld, dem sportlichen Leiter, fiel „ein Stein vom Herzen“, und Karl-Heinz Rummenigge, verantwortlich in Wirtschaftsfragen, rollte einen „ganzen Felsbrocken“ hinterher. Die beiden Abteilungen des Vereins, Sport und Wirtschaft, waren ja über die vergangenen Wochen in eine gefährlichen Abhängigkeit von ihrem Rekordtransfer geraten. Diese wurde größer, je mehr Minuten gegen Celtic ungenutzt verstrichen. Nicht die Münchner, die Gäste hatten mit kluger Kontertaktik den Rhythmus diktiert, was Chef-Psychologe Oliver Kahn auf tief liegende Verklemmungen zurück führte: „In der ersten Halbzeit hatten wir zu viel Angst. Aber das war normal. Das frühe Aus im letzten Jahr steckte noch in den Hinterköpfen.“ Auch Hitzfeld ortete „Symptome, die nachwirken“. Nur, wer war der Urheber? Eben jener Makaay, der mit drei Treffern beim Champions-League-Auftakt 2002 für seinen damaligen Arbeitgeber Deportivo La Coruña die Bayern-Depression ausgelöst hatte.“
Hartelijk welkom, Roy Makaay
Rainer Seele (FAZ 19.9.) fügt hinzu. „Die Sprache hat sich ein wenig geändert auf dem Boulevard in München. Manchmal wird dort jetzt Anleihe beim Niederländischen genommen. Das glaubt man einem Mann schuldig zu sein, der helfen soll, das Ansehen des FC Bayern wieder aufzupolieren, vor allem natürlich auf europäischen Feldern des Fußballs. Also: Hartelijk welkom, Roy Makaay, so lautete eine Schlagzeile am Donnerstag. Das Blatt, das Makaay auf diese Art zu seinen beiden Toren beim 2:1 herzlich gratulierte, hatte auch schon mal zu Ehren des Holländers eine Sportseite ganz in Orange gestaltet. Erst jetzt allerdings, da der Einstand in die neue Saison der Champions League gelang, ist Oranje wirklich Trumpf in München.“
Der VfB Stuttgart, der andere deutsche Teilnehmer, bekommt Lob und Anerkennung. Die Punkte behält der Gegner. „Die jungen Wilden des VfB Stuttgart verlieren bei den Glasgow Rangers unverdient mit 1:2, präsentieren sich dabei aber zur eigenen Verblüffung als echte Champions-League-Mannschaft“, schreibt die taz. Auch dieses Spiel bemüht Erinnerungen am die Fußball-Historie: Herbert Prinz (FAZ 18.9.) . „1:2 im Ibrox Park – der erste Auftritt des VfB in der neuen Champions-League-Saison endete mit dem gleichen Ergebnis wie der bis dahin letzte vor elf Jahren. Damals, 1992 in Barcelona, verlor der VfB nach Christoph Daums peinlichem Wechselfehler von Leeds, das Entscheidungsspiel der ersten Runde gegen Leeds United. Eine schwere Niederlage, die den VfB von den damals noch prall gefüllten Geldtöpfen der Uefa abschnitt und die den Verein um Jahre zurückwarf. Ähnlich gravierende Auswirkungen sind nicht zu befürchten. Aber bitter, sagte Finanzdirektor Ulrich Ruf, der schon 1992 beim VfB tätig war, bitter ist auch diese Niederlage, weil sie so überflüssig war.
Geld schießt sehr wohl Tore
Alles wie gehabt! Andreas Burkert (SZ 19.9.) fasst den ersten Spieltag zusammen. „Viele Fragen und leisen Zweifel vernahm der FC Bayern zuletzt, wenn über den teuersten Einkauf der Klubgeschichte und den parallelen Abschied seines Vorgängers Giovane Elber debattiert wurde. Doch nach nur 90 Minuten in der Euroliga ist den Bayern zu bescheinigen, dass sie mit ihrer Personalpolitik den ersten Trend der jungen Champions-League-Saison mitbestimmt haben: Geld schießt sehr wohl Tore. Souveräner jedenfalls sind die geldschweren Favoriten selten in die Kontinentalklasse gestartet: Manchester, reichster Klub des Planeten, schickt Panathinaikos 5:0 heim auf die olympische Baustelle; die neu gegründete Gelddruck-Firma FC Chelsea kommt ebenfalls zu einem wegweisenden Starterfolg wie Milan, Real und Juventus; für Monaco trifft beim 2:1 in Eindhoven natürlich Fernando Morientes, der dem FC Schalke zu teuer gewesen ist. Es ist offensichtlich, dass sich die Champions League zunehmend spaltet in ultravermögend und fast reich. Der FC Bayern hat sich längst entschieden, das Spiel des vielen Geldes mitspielen zu wollen.“
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TSV 1860 München
Christian Zaschke (SZ 26.5.) teilt die Enttäuschung des Löwen-Coaches über das Spiel. „Erst war Falko Götz noch wütend, da sprang er dann und wann von seiner Trainerbank und schrie und fuchtelte mit den Armen. Er war vielleicht der einzige Angestellte des TSV 1860 München – von der Finanzabteilung abgesehen –, der wirklich mit Leib und Seele die Qualifikation zur Teilnahme am Uefa-Intertoto-Cup schaffen wollte. Er dirigierte die Mannschaft, er brüllte. Nach einer Weile rief er bloß noch, seine Mannschaft hatte gerade spontan die Abwehr abgeschafft. Schließlich redete Götz vor sich hin, ein Selbstgespräch, er dirigierte nicht mehr, er winkte ab. Am Ende des Fußballspiels saß Falko Götz still auf seiner Bank, die Augen geschlossen, den Kopf auf die Hände gesenkt. Seine Wut war verbraucht. Götzens Leiden sind im Stadion nicht weiter aufgefallen, da die 25.000 Zuschauer nicht wegen des ungeliebten UI-Cups ins Olympiastadion gekommen waren, sondern um ein Abschiedsfest zu feiern. Von acht Spielern trennen sich die Münchner, unter anderen von Torwart Simon Jentzsch, vom ehemaligen Torschützenkönig Martin Max und natürlich von Thomas Häßler, der am Samstag sein 400. und letztes Bundesliga-Spiel bestritt. 1860-Präsident Karl-Heinz Wildmoser hatte zur Feier dieses Tages einen hübschen, cremefarbenen Sommeranzug aus seiner nach eigener Aussage sehr großen Kollektion gewählt und übergab derart gewandet Blumensträuße und kleine Porzellan-Löwen an die verdienten Spieler. Diese ließen die Prozedur eher emotionslos über sichergehen, bevor sie eher emotionslos dem VfL Bochum einen schönen Saisonabschluss bereiteten.“
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Flotter Eröffnungsball
Die Beobachter sind sich einig: Die Fußball-Bundesliga ist am vergangenen Wochenende sehr gut aus ihrem Winterschlaf erwacht. „Flotter Eröffnungsball“ titelt die FAS angetan über den ersten Rückrunden-Spieltag. Weiter heißt es dort: „Eine lange Ruhepause birgt üblicherweise die Gefahr, bei Wiederaufnahme der Arbeit nur recht mühsam in Schwung zu kommen. Aber: Von Trägheitsmomenten nach fast sechswöchiger Unterbrechung in der Bundesliga kaum eine Spur.“ 31 Tore zeugen in der Tat von Offensivgeist. (mehr …)
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Harte Urteile der Presse
harte Urteile der Presse: „Abstieg in die Zweitklassigkeit und Fiasko mit Selbstaufgabecharakter“ (FAZ), „Schickt doch besser unsere Frauen zur EM!“ (Bild) – Bewunderung für Zinedine Zidane, Kritik an Christian Wörns und Arne Friedrich – Kritik an deutschen Fans
of „Kleine gibt es vielleicht nicht mehr – aber Große“, teilt die Berliner Zeitung DFB-Teamchef Rudi Völler mit, dessen Lieblings-Satz lautet, es gebe keine Kleinen mehr im Weltfußball und der bei der 0:3-Niederlage Deutschlands gegen Frankreich erneut erkennen musste, einen zweitklassigen Weltmeisterschafts-Zweiten zu trainieren.Die deutschen Tageszeitungen urteilen streng und mit den Händen überm Kopf: „Die Franzosen haben Völlers Auswahl die Hosen herunter gezogen“, schreibt die FR hemdsärmelig; die FAZ hat sehr viel ernstes zu sagen: „Abstieg in die Zweitklassigkeit“ und „Fiasko mit Selbstaufgabecharakter“; die Deutschen seien ein „Spielball für eine Künstlertruppe“ gewesen, „für die Fußball-Nationalmannschaft gibt es nach den vielen scheinbar widersprüchlichen Erfahrungen der letzten Jahre nur noch zwei Kategorien von Konkurrenten auf der Welt: Gegen die einen tun sich die Deutschen schwer, gegen die anderen verlieren sie glatt.“ Der „Wirklichkeitstest“ gegen den Europameister Frankreich „fällt so niederschmetternd aus wie die Pisa-Studie: Von der internationalen Spitze sind die Deutschen erschreckend weit entfernt.“ Puh!
Viel Lob dagegen für die Sieger, für Zinedine Zidane und „seine Ballfertigkeit, die nie ornamental, sondern von mönchischer Ernsthaftigkeit ist“, wie die SZ ihn huldigt. Bild schließt Zidane und „die Füße Gottes“ ins Gute-Nacht-Gebet ein: „Merci, für diese Vorstellung!“ und schlägt nach dem 13:0-Sieg der Weltmeisterinnen gegen Portugal dem DFB vor: „Schickt doch besser unsere Frauen zur EM!“
Auch wenn meine Leser mich in Hunderten von wieder am Ohr ziehen und mir den Vogel zeigen – ich bleibe dabei: Carsten Ramelow ist zwar kein eleganter Fußballer, aber ein wichtiger Spieler der Nationalmannschaft, weil er durch gutes Stellungsspiel viele Pässe des Gegners abläuft und verhindert. Sein unsichtbares Abwehrspiel hat gegen Frankreich gefehlt – und auch gegen England beim 1:5 im September 2001. Vielleicht sollte ich einen Fan-Club Ramelow gründen; Mitstreiter werde ich wohl keine finden.
Im Fußball trennen die führenden Vertreter Welten
Philipp Selldorf (SZ 17.11.) sieht das anders: „Da kaum jemand auf die Idee kommen wird, die alles in allem bestürzende Niederlage auf das Fehlen von Carsten Ramelow zurückzuführen, müssen die Sympathisanten der Nationalelf mit den harten Tatsachen zurecht kommen. Die besagen, dass Deutschland und Frankreich zwar freundschaftlich verbundene Nachbarländer sind, deren Staatsmänner ihre Entscheidungen über gemeinsame Belange in brüderlicher Einheit treffen. Dass im Fußball Welten die führenden Vertreter voneinander trennen, weshalb Gemeinsamkeit nur darin besteht, dass beide Seiten mit elf Mann und in kurzen Hosen antreten. Diese Einsicht hätte sich auch vor der Partie schon gut begründen lassen. Dann hätte man auf das Spiel verzichten und sich einige Minderwertigkeitskomplexe ersparen können, an denen Rudi Völler nun noch viele Monate zu doktern hat.“
Abend der großen Leere
Michael Horeni (FAZ 17.11.) erkennt große Unterschiede: „Dem FC Schalke ist unlängst ein Gästebuch aus Vorkriegszeiten in die Hände gefallen, in dem der Klub alle damaligen Stars unterschreiben ließ. Diese Tradition wollen die Schalker nun in ihrer imposanten Arena fortführen, und dafür haben sie ein königsblaues ledernes Buch angelegt und in die Umkleide der französischen Nationalmannschaft reichen lassen – damit die Leute später mal wissen, wer alles hier war, wenn wir nicht mehr sind, wie der Medienchef, gelassen die Zeitläufte überblickend, ausführte. Die Unterschriften, die aus der Kabine der Franzosen nach einem berauschenden Sieg für die Nachwelt bewahrt werden sollten, waren der Intention angemessen. Auch sie gerieten zu kleinen Kunstwerken. Zinedine Zidane etwa schnörkelte und kreiselte seinen Namen in großen Bögen und Schwüngen ornamentartig über das Papier und arbeitete darin noch seine Rückennummer zehn ein. Auch seine Kollegen fanden die Muße, nach ihren Fußballkunststücken noch das eine oder andere kalligraphische Meisterwerk abzuliefern. Die beiden Seiten, die trotz der lehrstundenhaften Vorführung für die deutsche Nationalmannschaft bestimmt waren, blieben allerdings leer. Die waren alle schon weg, stellten die Schalker Schriftensucher betrübt fest. Was in den eineinhalb Stunden zuvor von den deutschen Flüchtlingen aus der Arena für die Nachwelt rein sportlich festgehalten werden mußte, entsprach aber ziemlich exakt den weißen Seiten im Schalker Fußball-Geschichtsbuch: überhaupt nichts. Den Abend der großen Leere wird die deutsche Fußball-Nationalmannschaft so schnell nicht vergessen.“
OF: Die Arena AufSchalke ist kein gutes Pflaster für Länderspiele. Vor zwei Jahren, beim 0:0 gegen Finnland, klagte Trainer Michael Skibbe über fehlende Unterstützung der Fans. Für Schalke-Fans gibt es scheinbar nichts anderes als Schalke. Nach 20 Minuten riefen sie damals nach Mike Büskens, einem ehemaligen Schalker Recken.
Christoph Biermann (SZ 17.11.) ist auch dieses Mal von den deutschen Fans enttäuscht: „Minutenlang war es so still, dass man einem Bekannten auf der anderen Seite des Stadions etwas hätte zurufen können. Bei den Spielen der deutschen Nationalelf hat sich eine ganz eigene Zuschauerkultur entwickelt, die mit der im Vereinsfußball nicht zu vergleichen ist. Am Verhalten auf den Rängen merkt man, dass der Gelegenheitsbesucher die Szenerie bestimmt. Er kommt und nimmt in der Haltung seinen Platz ein, dass jetzt bitteschön die Unterhaltung beginnen soll. Vom DFB wird solch passives Verhalten gefördert. Das Rahmenprogramm ist prall gefüllt und die Unterhaltungsfilmchen werden so laut eingespielt, dass man sich kaum unterhalten kann. Geschweige denn auf die Idee kommt, Sprechchöre anzustimmen. Höhepunkt der Einstimmung aufs Spiel sind stets die peinlich schlechten Darbietungen des Ensembles eines Freizeitparks, mit dem der DFB zusammenarbeitet. Dann dröhnen große Trommeln und leeres Pathos, es lodern Fackeln und alles ist so übersymbolisch, dass es für nichts mehr steht. Den meisten Zuschauern gefällt das. Seit einigen Monaten gibt es einen so genannten Fan-Club der Nationalmannschaft, „powered by“ einem amerikanischen Limonadenhersteller. 7000 Mitglieder haben sich bei dieser Einkaufsgemeinschaft angemeldet, zu deren Leistungen Vorkaufsrechte für Eintrittskarten, die Streichung der Vorverkaufsgebühr und verbilligte Fanartikel gehören. Wahrscheinlich sieht der DFB den Fan so am liebsten. Wohin das alles führt, konnte man zum Ende des Spiels sehen, als die unterhaltungsbereiten Schnäppchenjäger ins Lager der Franzosen überwechselten.“
Stefan Hermanns (Tsp 17.11.) ergänzt: „Die Arena in Gelsenkirchen wurde am Ende immer blauer. Schon lange vor dem Abpfiff waren in den halb leeren Blöcken immer mehr blaue Sitze zu sehen. Blau wie die Farbe der französischen Nationalmannschaft. Die deutschen Fans hatten gepfiffen, weil sie böse waren über die Hilflosigkeit ihrer Mannschaft. Viele waren schon gegangen. Aber je länger das Spiel dauerte, desto klarer wurde ihnen, dass die Hilflosigkeit der Deutschen vor allem einen Grund hatte: die spielerische Überlegenheit der Franzosen. Als deren Nationalspieler das Feld verließen, standen die deutschen Zuschauer von ihren blauen Sitzen auf und applaudierten.“
Beamtenfußball
Philipp Selldorf (SZ 17.11.) schaut Rudi Völler ins Gesicht: „Rissen vor lauter Trübsal die hängenden Mundwinkel den Schnurrbart mit? Oder war es Täuschung, und der Schnurrbart zog die Mundwinkel nach unten wie es bei Günter Grass immer geschieht? Jedenfalls sah Rudi Völler müder und älter aus als er eigentlich ist. Diese 90 Minuten hatten in seinem Gesicht die Spuren von Jahren hinterlassen, denn es schien ihm wohl, als hätten sie seine im August 2000 begonnenen Arbeiten als Teamchef schlagartig für nichtig erklärt: „Es tut ein bisschen weh.“ Schreie vor Schmerz hätte man aus der Kabine hören müssen, Wehklagen und Heulen, weil die Franzosen in der zweiten Hälfte mit ihrem Gegner gespielt hatten bis zur Demütigung. Es gab Passagen, da liefen die Deutschen zwischen den französischen Quer- und Kurzpässen minutenlang so hilflos umher wie kleine Jungs, die von ihren großen Brüdern geärgert werden (…) Der 24-jährige Berliner Arne Friedrich wird zwar auf dem Transfermarkt hoch gehandelt als Profi „mit Bayern-Qualität“ (Karl-Heinz Rummenigge), erlangt auf dem Fußballplatz aber oft nur Jörg-Heinrich-Qualität. Sein Beitrag erschöpft sich monoton in Pflichterfüllung – für diese Art von Spiel wurde der Begriff „Beamtenfußball“ erfunden. Ein immer wiederkehrendes Motiv in der Geschichte deutscher Nationalteams.“
Martin Hägele (NZZ 17.11.) hätte gerne Christian Wörns nach seiner Meinung gefragt: „Immerhin hatte sich der gefeierte Abwehrchef im letzten Länderspiel, der geglückten EM-Qualifikation gegen Island, in den vergangenen Tagen mehrfach darüber ausgeheult, dass seine Karriere in der deutschen Öffentlichkeit nicht entsprechend gewürdigt werde. Dem 31-Jährigen, der sich selber als exzellenten Nahkampf-Experten betrachtet und im Duell mit Thierry Henry obendrein Rehabilitation erfahren wollte für seine unglückliche Affaire mit Paris St- Germain in der Saison 1998/99, aber blieb nur die traurige Entschuldigung seines ehemaligen Teamkameraden. Im Nachhinein liest sich das Wörns-Konzept („Wir müssen dranbleiben wie die Schmeissfliegen; wichtig ist, dass man sich gegenseitig absichert“) gegen den Superstürmer der Grande Nation wie eine Satire auf alemannischen Sauerkraut-Fussball. Unnötig und ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen stellte der Prototyp der Strafraum-Aufräumer Henry an der Mittellinie. Der liess den Deutschen erst ins Leere laufen, dann ging’s im TGV-Tempo ab zum 2:0.“
Gregor Derichs (FTD 17.11.) hat nach dem Spiel hingehört: „Michael Ballack wurde nach dem Spiel gefragt, wie er die Leistung von Zinedine Zidane bewerte. „Weltklasse, absolute Weltklasse“, sagte Ballack brav. Der Reporter hängte noch eine Frage an: „Und im Vergleich dazu Ihre Leistung?“ Da stapfte Ballack unwirsch davon, kehrte nach wenigen Schritten zurück, hob den Zeigefinger und sagte böse: „Das merke ich mir. Man begegnet sich öfter.“ Wie Frankreichs Spielmacher Zinedine Zidane und Torschütze Henry hinterher das Spiel kommentierten, vergrößerte noch das Leid der deutschen Spieler. Grinsend sagte Henry, die Partie habe ihm so viel Spaß bereitet, als hätte er mit seinen Freunden im Hinterhof gespielt. Und Zidane bedauerte seine Gegner gar, weil das deutsche Publikum am Ende die Franzosen feierte. Man habe in der zweiten Halbzeit nur „das Notwendigste“ getan, sagte Zidane, und macht die Sache für Deutschland damit umso schlimmer.“
sid-Interview mit Rudi Völler
Lag die Niederlage möglicherweise auch daran, dass es in der deutschen Mannschaft ein Führungsproblem gibt?
RV: Ich will die Gründe für die Niederlage nicht auf ein Führungsproblem beschränken. Vielmehr hat sich gerächt, dass wir unsere Chancen nicht genutzt haben. Gegen solche Gegner muss man seine Möglichkeiten einfach nutzen, sonst steht man am Ende mit leeren Händen da. Wenn man die Dinger nicht macht, kann man nicht unentschieden spielen, erst recht nicht als Sieger den Platz verlassen. Zudem wird jeder Fehler gegen solche Teams gnadenlos bestraft. Wir wussten allerdings vorher, dass man Spieler wie Henry, Zidane, Pires oder auch Trezeguet nie ganz ausschalten kann.
Ist es denn nicht frustrierend, dass man zum achten Mal in Serie gegen einen Großen des Fußballs verloren hat?
RV: Wie gesagt, es tut weh, dass wir wieder gegen einen ganz Großen verloren haben und wir erst wieder in drei Monaten das nächste Spiel haben. Aber wir dürfen jetzt den Kopf nicht in den Sand stecken und müssen es gegen die Niederlande wieder versuchen. Das habe ich der Mannschaft auch gleich nach dem Spiel gesagt. Es gibt keinen Grund, in Panik zu verfallen. Zudem gibt es Große und Große. Frankreich steht sicherlich noch über Italien und den Niederlanden. Zudem muss man in Freundschaftsspielen auch was riskieren. Wir hätten uns es auch einfacher machen können, total defensiv spielen und Zidane einen auf die Füße stellen können. Das darf aber nicht unser Anspruch sei. In Freundschaftsspielen müssen wir auch was riskieren. Wenn das dann in die Hose geht, nehme ich es auf meine Kappe.
Wie richten Sie nach dieser Lehrstunde ihre vielen jungen Spieler wieder auf?
RV: Sicherlich haben Sie heute am eigenen Leib erfahren, wo der Unterschied zu den ganz großen Mannschaft liegt. Frankreich und Brasilien sind derzeit nun mal das Maß aller Dinge. Aber gerade unsere jungen Spieler wie Kuranyi, Hinkel oder Friedrich haben hin und wieder angedeutet, dass sie auf einem guten Weg sind. Ich werde auf dieser Schiene bleiben und wir werden weiter konsequent unseren Weg gehen. Die jungen Spieler werden sich bis zur EM weiter verbessern.
(15.11.) Vorberichte
DFB-Elf kämpft gegen Zweitklassigkeit – Christian Wörns findet endlich Anerkennung – Jacques Santini, Trainer Frankreichs, hat die Equipe Tricolore wiederbelebt u.a.
Latent drohende internationale Zweitklassigkeit
Michael Horeni (FAZ 15.11.) bemerkt zur Bedeutung des heutigen Länderspiels für die deutsche Nationalmannschaft: “Auf die aktuelle Weltrangliste des Fußballs gibt der Teamchef nicht viel und eigentlich auch nicht auf Ergebnisse von gestern. Wenn der unberechenbare Fußball in Zahlen gefaßt wird und in Statistiken, die der Vergangenheit ihre mathematisch objektive Form geben, dann ist dies nicht die Sache und die Wirklichkeit Rudi Völlers. Eine Statistik allerdings, die schlimmer kaum ausfallen könnte, spukt ihm ständig im Kopf herum. Es ist auch der einzige Schatten, der auf seine gut dreijährige Zeit als Teamchef fällt: die desolate Bilanz der deutschen Nationalmannschaft gegen die großen Fußball-Nationen. Seit dem 1:0 im Oktober 2000 in Wembley gegen England erlebte Völlers Mannschaft nur noch eine einzige schwarze Serie von Enttäuschungen und Rückschlägen. In den sieben folgenden Duellen gegen das Who’s who des Weltfußballs setzte es sieben Niederlagen – bei einer niederschmetternden Tordifferenz von 3:16. Im achten Versuch, an diesem Samstag gegen Europameister Frankreich, soll in der Schalker Arena aber nun endlich glücken, was dem deutschen Fußball fehlt wie nichts sonst: ein internationales Erfolgserlebnis ersten Ranges, mit dem das Selbstvertrauen für die Europameisterschaft im kommenden Jahr in Portugal erheblich stiege. Wir wollen ein gutes Ergebnis erzielen, um den Zuschauern und Medien zu zeigen, daß wir mithalten können, sagte Völler. Das ist seine moderate Version einen Tag vor dem Spiel über einen Zustand, der stets die latent drohende internationale Zweitklassigkeit des WM-Zweiten anzeigt.“
Nicht nur Philipp Selldorf (SZ 15.11.) lobt Christian Wörns: „Erst allmählich setzt sich wieder die Überzeugung durch, dass Wörns mit Recht einen festen Platz in der Innenverteidigung der Nationalelf beanspruchen darf und in einem zunehmend spielerisch orientierten Team eine wichtige Rolle als Aufräumer bedient. Seine Auftritte mit Borussia Dortmund und der Nationalelf erreichen konstant brauchbares bis gutes Niveau, zuletzt war auch eine von Rudi Völler attestierte „Weltklasseleistung“ darunter: Vor zwei Monaten nach dem Rückspiel gegen Schottland war der Teamchef fast sprachlos vor Begeisterung. Auf die Unterstützung Völlers, den er bei Bayer Leverkusen und im Nationalteam noch als Mitspieler auf seiner Seite hatte, kann sich Wörns verlassen. Die Proteste derer, die sein grobes Spiel nicht schätzen, werden seltener. Wörns registriert „etwas mehr Anerkennung in den letzten Monaten“ und freut sich darüber. „Auch dafür spielt man Fußball“, sagt er, denn nicht nur der Künstler, auch ein rauer Vorstopper braucht den Applaus des Publikums. Allerdings ist er noch ein bisschen beleidigt darüber, dass der Respekt so lange auf sich warten ließ. Die Partie gegen Frankreich beschert ihm die Begegnung mit Thierry Henry. Gegensätze werden sich anziehen: Henry ist ein filigraner Fußballer, geschmeidig, gewandt, voller Finten, intelligent, und vor dem Tor kann er so sachlich und kühl bleiben, dass man beim Zusehen friert. Christian Wörns dagegen beschreibt sein Werk so: „Mir hat es immer mehr Spaß gemacht, mich in die Zweikämpfe und ins Getümmel zu werfen, als eine schöne Flanke zu schlagen.““
Tsp-Interviewmit Michael Ballack
Tsp: Ballack, wer ist der Führungsspieler der Franzosen?
MB: Ich mag das Wort Führungsspieler nicht. Für mich gibt es nur gute und schlechte Spieler. Von den guten haben die Franzosen eine Menge, und sie haben Zinedine Zidane.
Tsp: Was macht ihn zum Führungsspieler?
MB: Man kann ins Schwärmen geraten bei einem solchen Fußballer. Und das tun auch viele. Für mich ist er einfach einer der weltbesten Spieler. Er ist technisch hochbegabt, unheimlich geschmeidig, torgefährlich und ein absoluter Individualist.
Tsp: Diese Beschreibung passt auch auf Sie.
MB: Finden Sie?
Tsp: Finden die meisten Menschen.
MB: Dann muss ich ein Führungsspieler sein.
Tsp: Wie wird man denn Führungsspieler?
MB: Ich weiß, dass man hohe Erwartungen an meine Person hat, sowohl als Spieler des FC Bayern als auch in der Nationalmannschaft. Aber wie man Führungsspieler wird? Ein Handbuch dafür gibt es jedenfalls nicht. Vielleicht sollten Sie diejenigen fragen, die mit diesem Begriff hantieren. Fragen Sie die ganzen Experten.
Tsp: Meinen Sie, dass den Fußballstars von außen die Rollen verpasst werden?
MB: Ja, da ist etwas Wahres dran. Und jetzt diskutiert die Öffentlichkeit, ob ich nun ein Führungsspieler bin oder eher nicht. Ich aber beschäftige mich nicht mit dieser Rollenbeschreibung.
Tsp: Woran haben Sie bemerkt, dass man Sie als Führungsspieler sieht?
MB: Daran, dass ich einer der Ersten bin, der kritisiert wird, wenn es mal nicht so läuft. Dann heißt es, ich kann nicht führen. Das ist Quatsch.
Tsp: Woran ist Ihnen denn aufgefallen, dass Sie eine Mannschaft führen können?
MB: Ganz wichtig ist die eigene Leistung. Ich schieße sehr wichtige Tore und kann mit meiner Art, Fußball zu spielen, der Mannschaft helfen. Das ist beim FC Bayern so, und das gilt auch für die Nationalmannschaft. Das ist aber ein Prozess. Man kann nicht als junger Spieler irgendwohin kommen und sagen, so ich bin jetzt hier der Macher. So etwas muss wachsen und braucht Zeit. Ich brauchte auch meine Zeit.
FR-Portrait Oliver Neuville
Unter Santini wurde die erstarrte Equipe Tricolore wieder eine offene Gesellschaft
Christian Eichler (FAZ 15.11.)porträtiert Frankreichs Nationaltrainer Jacques Santini: „Als Santini im Juli 2002 Roger Lemerre als Nationaltrainer Frankreichs ablöste, befand sich die Grande Nation des modernen Fußballs in tiefer Depression. So saft- und kraft-, tor- und sieglos war der Titelverteidiger bei der WM gescheitert, daß die besten Jahre der Equipe Tricolore auf einen Schlag vorbei schienen. Das Fußballvolk forderte einen totalen Neuanfang, und viele bezweifelten, daß er mit Santini gelingen könnte, einem Mann, der nie Nationalspieler war. Doch der zeigte, daß keine französische Revolution nötig war, nur endlich eine Evolution: kein neues Team, nur eines, das sich selbst erneuerte. Ich habe nichts erfunden, sagt Santini heute, da es gelungen ist, die WM als Betriebsunfall abzuhaken: Jeder weiß ja, daß genug Talent da ist. Dieses Talent war nur ein wenig eingeschlummert, es war quasi verbeamtet worden unter den Nationaltrainern Jacquet und Lemerre, zwei stillen Männern mit lupenreinen Verbandskarrieren, die ihre Equipe und deren innere Hierarchie ganz behutsam pflegten. Santini aber kam aus der Liga, und der Meistermacher von Olympique Lyon brachte jenen Hauch von Ruppigkeit mit, den ein Klubtrainer braucht, um ein Team immer wieder aufzumischen. Gleich im ersten Spiel setzte er den alternden Verteidiger Desailly, als erster dunkelhäutiger Kapitän der Bleus so etwas wie eine Institution, auf die Bank, was wie ein Signal wirkte, eine Fanfare seines Fußballmottos: Nichts ist in Stein gemeißelt. Unter Santini wurde die unter ihrem Ruhm erstarrte Equipe Tricolore wieder eine offene Gesellschaft. Er hat viele junge Spieler eingesetzt. Doch letztlich ist es immer noch die fast identische Mannschaft mit einem Kern aus sieben bis acht Welt- und Europameistern von 1998 und 2000, mit der Frankreichs Glaube an die eigene Stärke zurückkehrte (…) Diskret, aber bestimmt, lobt die Zeitung Le Monde, habe Santini die Ordnung im blauen Haus wiederhergestellt. So einen brauchten sie in Frankreich, der selbstverliebten Eliteschule des Fußballs: nicht noch einen Kunstlehrer oder Philosophen, sondern einen kantigen Hausmeister.“
Frank Hellmann (FR 15.11.)ergänzt: „WM-Sieg 1998 und EM-Titel 2000 verklärten den Blick. WM 2002 in Korea: Arrogant traten die Franzosen auf, wollten ihre Spiele nicht nur gewinnen, sondern den Gegner demütigen. Statt Spielkultur machte sich Bequemlichkeit breit, abseits des Platzes häufte sich unprofessionelles Verhalten. Die Journalisten, die in Seoul mit den Spieler unter einem Dach wohnten, duldeten manchen Exzess in Hotelbar und -zimmer. Doch als das Starensemble nach einer sieglosen Vorrunde in der Realität angekommen war, gaben auch die Berichterstatter ihre Zurückhaltung auf. Der Aufschrei nach dem Ausscheiden war das Ende für Roger Lemerre; und der Anfang für Santini, den Meistertrainer von Olympique Lyon.“
Christian Zaschke (SZ 15.11.) liest französische Presse: “Deutschlands Fußball ist in Frankreich eher gering geachtet. Deshalb unternahm die Sport-Tageszeitung L’Équipe einen Versuch: Sie testete vor dem Länderspiel Deutschland gegen Frankreich das Wissen der französischen Nationalspieler über den deutschen Fußball. Das Ergebnis: Bixente Lizarazu erhielt 6,5 von zehn möglichen Punkten, Willy Sagnol immerhin acht. Am meisten wusste Thierry Henry (10/10) von Arsenal London. So gut wie nichts über den deutschen Fußball wusste Reservetorhüter Gregory Coupet (2,5/10). Das Blatt wollte wissen, wer derzeit Tabellenführer in der Bundesliga ist und für welchen Klub Michael Ballack vor seinem Wechsel zum FC Bayern gespielt hat. Lizarazu: „Scheiße. Das fällt mir jetzt nicht ein. Das war doch für diesen Pharmakonzern, oder?“ Es steht zu vermuten, dass Lizarazu diese Antwort mit einem breiten Grinsen formuliert hat. Schwieriger war die Frage, wer im WM-Halbfinale 1982 in Sevilla im Elfmeterschießen den deutschen Elfmeter verschossen (Stielike) und den zur Endspielteilnahme verwandelt hat (Hrubesch). Den Kapitän der WM-Elf von 1990 kannten die meisten (Matthäus), den Torschützen der beiden Treffer im EM-Finale 1996 auch (Bierhoff). Bei der Aufforderung, fünf Spieler des WM-Finales 2002 zu nennen, tippten die meisten auch auf Ballack, der aber gesperrt war. Schwierig selbst für Franzosen, wer 1996 und 2001 die Tore zum jeweiligen 1:0-Sieg gegen Deutschland erzielt hat (Blanc, Zidane). Mindestens zwei der drei Franzosen bei Borussia Dortmund kannten die meisten (Warmuz, Madouni, Demel), und den Präsidenten des Organisationskomitees der WM 2006 auch (Beckenbauer). Robert Pires (Arsenal London) glaubt, dass das WM-Finale 2006 in Bonn ausgetragen wird.”
Jörg Marwedel (SZ 15.11.) stellt richtig: „Ralf Rangnick, Trainer des Fußball-Bundesligaklubs Hannover 96, hat Darstellungen widersprochen, er habe gegenüber zwei Journalisten ausgeplaudert, der Spieler Mohammadou Idrissou leide unter einer bakteriellen Infektion im Intimbereich (SZ und if vom 13.11.). Vielmehr habe er lediglich von einem Virus gesprochen und gesagt, Genaueres wisse er auch nicht, möglicherweise handele es um „Chlamydien“. Daraufhin habe jemand offenbar in einem Lexikon nachgeschlagen und herausgefunden, dass Chlamydien außer über die Atemwege auch durch Geschlechtsverkehr übertragen werden können. So sei Idrissou mit der falschen Behauptung, der Trainer habe Intimstes von seinem Profi preisgegeben, konfrontiert worden und habe entsprechend aufgebracht reagiert. „Das ist Rufmord“, sagte Rangnick, „ich würde niemals einen Spieler der Öffentlichkeit ans Messer liefern.“ Zudem habe er Idrissou nicht, wie berichtet, verwehrt, seine am Freitag vor der Partie gegen Bremen geborene Tochter „in angemessenem Umfang“ zu besuchen. Recherchen der SZ bestätigten die Aussagen des Trainers. Rangnick sagte, das Missverständnis mit Idrissou sei nun ausgeräumt, auch die Mannschaft sei über den Sachverhalt aufgeklärt worden und empfinde sein Verhalten nicht als Vertrauensbruch. Der Aufsichtsratsvorsitzende von Hannover 96, Harrald Wendt, unterstützte den Trainer des Tabellenzehnten. „Seine hervorragende Arbeit wird vom Aufsichtsrat ausnahmslos geschätzt. Wir stehen zweihundertprozentig hinter Herrn Rangnick“, sagte Wendt.“
Wolfgang Hettfleisch (FR 15.11.) wirft ein: „
Jetzt auch noch ein Regierungschef? Im englischen Profifußball scheint nichts unmöglich. Thailands Premier Thaksin Shinawatra hat Interesse bekundet, Erstligist FC Fulham zu kaufen. Ende Oktober war er beruflich auf der Insel und verfolgte in Old Trafford das Premier-League-Spiel zwischen Manchester United und Fulham. Der 54-jährige promovierte Strafrechtler, der in den USA studiert und bei der Royal Thai Police wie als Unternehmer eine Bilderbuchkarriere hingelegt hat, war angetan – von der Gastmannschaft, die überraschend 3:1 gewann. Und was macht so ein Milliardär, wenn ihm etwas gefällt? Genau, er zahlt und nimmt es sich. Andere haben’s ja vorgemacht. Der russische Ölmagnat Roman Abramowitsch etwa, der das Ruder an der Stanford Bridge übernahm und so viel Geld in den FC Chelsea pumpte, dass das zusammengekaufte Team der Blauen jetzt den Abonnement-Meistern Arsenal und ManU den Titel streitig macht. Eigentlich aber gebührt die Ehre, den englischen Clubfußball als Spielwiese für an Yachten- und Partyüberdruss leidende Superreiche entdeckt zu haben, Mohamed Al Fayed. Der Ägypter mit der Tellerwäscher-Karriere, Inhaber des renommierten Londoner Kaufhauses Harrods, hatte 1997 eben jenen FC Fulham übernommen, an dem Shinawatra nun lebhaftes Interesse zeigt. Damals dümpelten die Cottagers in der vierten Liga vor sich hin. Fortan ging’s steil bergauf.“
Freistoß des Tages
http://www.sueddeutsche.de/sz/sport/red-artikel2178/
http://www.sueddeutsche.de/sz/feuilleton/red-artikel2128/
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Champions League
Mit dem Verlauf der Zwischenrundenspiele in der Champions League beschäftigt sich die deutsche Sportpresse überwiegend kritisch. Nach Stefan Hermanns (Tagesspiegel 15.03.02) hätten sie „den Bewahrern des Echten und Guten im Kommerzsport Fußball die besten Argumente gegen die Zwischenrunde geliefert. Vier Spiele, vier Unentschieden“. „So erfreut sich das Remis, dieser Bastard des Fußballspiels […] einer großen Nachfrage“, meint Philipp Selldorf (SZ 15.03.02) und weiter: „Kein Verein repräsentiert mit seiner Bilanz den Stand der Mode in der CL so erhellend wie Galatasaray Istanbul. Fünf Spiele, fünf Unentschieden, deutlicher lässt sich das Gebot der Zwischenrunde nicht zum Ausdruck bringen […]. Es ist nicht so wichtig zu gewinnen – wichtig ist, nicht zu verlieren.“ „Fußballerische Schmalkost ohne Spektakel“ sah die NZZ (15.03.02) in nahezu allen Begegnungen.
Prototypischen Charakter habe das Match Manchester United gegen Bayern München (0:0). Auf der einen Seite spricht Elisabeth Schlammerl (FAZ 15.03.02) von einem „souveränen Auftritt“ des deutschen Meisters im ehrwürdigen Old Trafford. Dieser zeuge davon, dass man für den Schlussspurt der Saison gewappnet sei. Auch Selldorf zollt dem Ergebnis „allen Respekt“. Auf der anderen Seite jedoch habe das Spiel nichts „zur Erheiterung der Fans“ (Selldorf) beigetragen. „Die Torchancen ließen sich diesmal auf einem Metroticket notieren“ findet Andreas Burkert (SZ 15.03.02). Raphael Honigstein (FR 15.03.02) bringt für die Münchner beide Sichtweisen auf einen Punkt: „Der FCB ist der Fleisch gewordene Pragmatismus. Keine Mannschaft steht in Europa defensiv so gut wie die Bayern und braucht so wenig Tore für den Erfolg.“ Selldorf spricht ebenso von einer „rigiden Blockadepolitik“ beider Teams.
Dem Fazit des Bayern-Managers Uli Hoeneß wollten die Autoren daher nicht folgen, wonach das Spiel „etwas für Feinschmecker“ gewesen sei. „Der Feinschmecker, den sich der schwäbische Wurstfabrikant vorstellte, muss schon ein ziemlich merkwürdiger Mensch sein; einer dem sorgfältige Zubereitung und clevere Verwendung der Zutaten wichtiger sind als der gute Geschmack des Endprodukts“ (Honigstein). Oder Hermanns: „Feinschmecker brauchen demnach keine Tore, keine Chancen, keine flotten Dribblings, keine feinen Pässe und auch keine präzisen Fernschüsse. Feinschmecker begnügen sich im Gourmet-Restaurant ja bekanntlich auch mit dem Lesen der Speisekarte.“ Ernster, aber ähnlich, äußert sich die NZZ: „Der multikulturelle Europa-Vergleich plätscherte in fast schon frustrierendem Stil dahin, Disziplin und Taktik ließen keine Phantasie zu, die großen Stars erzeugten verblüffend keine Wirkung.“
Zudem ist erneut das Argument zu vernehmen, wonach der Modus der europäischen Top-Liga eine Inflation an Ereigniswert verursache; insbesondere an „einst mythenbeladenen Klassikern“ (Burkert). Erstens trafen der englische und der deutsche Primus am vergangenen Mittwoch zum siebten Mal innert drei Jahren aufeinander. „Der Europapokal ist beliebig geworden. Er schafft keine Ereignisse mehr, von denen der Fußball mehr lebt als jeder andere Sport“ (Hermanns). Zweitens ist in der Fußball-Öffentlichkeit der Wunsch nicht zu überhören, zum alten KO-System zurück zu kehren. Schließlich könne man sich dabei nicht von vornherein mit einem Remis begnügen, wie es beispielsweise Alex Ferguson, Manchesters Team-Manager, dem Spiel prophezeite. Den Spielern ist folglich kein Vorwurf zu machen, sondern dem System.
zur Modusreform der CL siehe auch Meinungsumschwung
zur fragwürdigen Integration eines Stücks des KO-Systems siehe auch Paradoxie
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Stimmmen zum dramatischen Finale Zweitliga-Finale mit Frankfurts Aufstieg
Stimmmen zum dramatischen Finale Zweitliga-Finale mit Frankfurts Aufstieg (mehr …)
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Schiedsrichterkritik
Schiedsrichterkritik ist an der Fußballtagesordnung. Das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, keimt schnell auf im emotionalen Treiben des Spielgeschehens und im Anschluss daran. Nicht selten gedeihen in diesem Zusammenhang Mythenbildung und Verschwörungstheorien. Fehlentscheidungen werden als gezielte Handlungen gegen einen Verein oder eine Person angesehen. Derartige Deutungsmuster sind meist nach Misserfolgen zu vernehmen. „Das kann kein Zufall mehr sein“ sagte Ottmar Hitzfeld – und mit ihm weitere Offizielle des FC Bayern – nach einer Serie von vermeintlichen Fehlentscheidungen in verschiedenen Spielen in der Hinserie der Saison 00/01. Anlass der Aufregung war ein in der Tat unberechtigter Freistoß für den SC Freiburg (Sforza soll Iashvili gefoult haben), der zum zwischenzeitlichen 1:0 führte (Endstand 1:1). Dahingegen verzichteten die Freiburger auf solche Einwände, als im Rückspiel die Bayern durch einen „unberechtigten Freistoß“ (O-Ton des angeblich gefoulten Bayern-Stars Mehmet Scholl) mit 1:0 gewannen. Kürzlich waren es Rolf Rüssmann und Felix Magath, Manager und Trainer des VfB Stuttgart, die nach zwei Heimniederlagen gegen 1860 München innert drei Tagen (Meisterschaft und Pokal) deren Ursache in gezielter Benachteiligung des VfB durch die beteiligten Schiedsrichter gefunden zu haben glaubten. Dabei verstieg sich Rüssmann zu der Bemerkung, bei der Spielleitung (Michael Weiner) habe es sich um „ein Verbrechen“ gehandelt. Zwar nahm er diese zwei Tage später mit Bedauern zurück. Jedoch ist dies ein weiteres Indiz dafür, dass der Tonfall zahlreicher Ermahnungen und Bekundungen zum Trotz rauer geworden ist. Gerade im letztgenannten Fall wünscht man sich die Zeiten zurück, in denen gegen solche Wutausbrüche Geldbußen seitens der DFB-Rechtssprechung verhängt wurden: zum Schutz der Schiedsrichter, die immer am kürzeren Hebel sitzen.
Doch auch das Glücksgefühl des Erfolges kann derartige Interpretationen nicht immer verhindern. Carsten Jancker äußerte nach dem entscheidenden Spiel beim HSV (Saison 00/01), in dem einem Tor von ihm die Anerkennung wegen Abseitsstellung verweigert wurde: „Ich hatte das Gefühl, da will jemand verhindern, dass Bayern Meister wird.“ Ein Vorhaben, hätte es in die Tat umgesetzt werden sollen, welchem man zum einen gute Tarnung und zum andern verhängnisvolles Scheitern zu attestieren hätte. Wird Jancker nun behaupten dürfen, dass sein Klub trotz dieser Tendenz zum Benachteiligtwerden Meister geworden ist?
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Schießt “Fantasista” Del Piero Juve zum Titel? – Daum wird österreichischer Meister
Raffinierte Pinselstriche aus Del Pieros Repertoire der hohen Unterhaltungskunst
Durch das 2:1 über Brescia und die Punktverluste der Mailänder Konkurrenz ist Juventus Turin der „scudetto“ einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Peter Hartmann (NZZ 29.4.) skizziert den Stellenwert des zweifachen Torschützen. „Gianni Agnelli, der im Winter verstorbene Padrone, hatte Del Piero schon früh „Pinturicchio“ getauft, nach dem Renaissance-Porträtmaler und Hofkünstler von Papst PiusII. Del Piero ist kein dominierender Anführer wie Zidane, mit dem er fünf Jahre zusammengearbeitet hat, auch kein egoistischer Torjäger wie Pippo Inzaghi, mit dem er jahrelang nicht harmoniert hat (bis Inzaghi an Milan verkauft wurde), sondern ein Spieler der ziselierten Striche, der intelligenten Einfälle, ein „Fantasista“. Del Piero ist in Italien annähernd so beliebt wie Roberto Baggio, dem er in vielem gleicht, auch in der Abgeklärtheit des Charakters – und zufällig standen sie sich im Spiel Juve – Brescia gegenüber: Del Piero, 28-jährig, der sich nach einer langen Verletzungspause wieder in Form tastet; Baggio, der hamletische Zweifler, der Unglücksrabe, der im WM-Final 1994 gegen Brasilien den entscheidenden Penalty verschoss, der bei Juve, bei Milan, bei Inter stets im Unfrieden, als Verkannter wegging und jetzt, mit 36 Jahren, in der Provinz einen seigneuralen Karriere-Herbst verbringt. Zum Vergleich: Den 100 kleinen Meisterwerken Del Pieros (davon 40 mit rechts, 29 Elfmeter, 14 mit links, 9direkt verwandelte Freistösse, 8Kopfbälle) stehen Baggios 191 kapitale Einschüsse gegenüber. Baggio ist der Rekordtorschütze der Aktivgeneration und hätte der „alten Dame“ gerne ein Bein gestellt (wie schon im Hinspiel, das Brescia 2:0 gewann), vor allem dem Trainer Marcello Lippi, den er in seinen Memoiren als nachtragenden Intriganten beschrieb. Aber da waren diese raffinierten Pinselstriche aus Del Pieros Repertoire der hohen Unterhaltungskunst: schon in der 9.Minute ein Freistoss aus fast 30m, von der Mauer abgelenkt, und ein Tennis-Goal zum 2:1, der Volley-Abschluss mit dem linken Fuss, als die Juve-Mannschaft schon unter schwerem Sauerstoffmangel litt. Alles schon da gewesen: Seit den dreissiger Jahren, als Juventus fünf Meistertitel hintereinander gewann, heissen die letzten Spielminuten „Zona Cesarini“. Die Momente, in denen der argentinische Nachtvogel Renato Cesarini zu voller Gefährlichkeit erwachte und seine Tore schoss. Cesarini betrieb einen Tanzsaal und war, auf dem Rasen, ein Meister der Kräfteeinteilung.“
Zur Lage bei PSG NZZ
Zur Lage im brasilianischen Vereinsfußball NZZ
Der Besuch des reichen Onkels
Zum Titelgewinn Austria Wiens, dem Klub Christoph Daums, liest man von Michael Smejkal (SZ 29.4.). „Es war ein Titel, der im Sinne des Wortes teuer erkauft ist. Je nach Quelle soll Stronach in den vergangenen Jahren zwischen 20 und 35 Millionen Euro in den Umbau der Austria gesteckt haben, was vor allem viele Trainer reich gemacht hat. Seit Herbst 2001 hat Stronach fünf verschiedene Übungsleiter beschäftigt: nacheinander Arie Haan, das Duo Pfeffer/Hörmann, Happels langjährigen Co. Dietmar Constantini, Walter Schachner, und nun sitzt gerade Christoph Daum auf dem Rotationsposten. Vielleicht profitiert Daum auch von den Lehren, die sein Arbeitgeber aus seiner Beschäftigungspolitik gezogen hat. „Ich kann nicht nach jeder Niederlage den Trainer wechseln“, teilte Stronach nach dem peinlichen 0:1 gegen die Provinztruppe aus Pasching vor Wochen mit. Vielleicht hält er aber tatsächlich Daum für befähigt, die Wiener Violetten ab Herbst erfolgreich durch die Champions League zu führen, vielleicht traut er dem Deutschen da sogar mehr zu als dieser sich selbst. Denn immer öfter ist Daum in den Kleinkrieg mit Medien verstrickt. Läuft es einmal gut, fühlt sich der Fußball-Lehrer zu wenig gelobt, läuft es schlecht, fühlt er sich von der ewigen Nörglern und Miesmachern verfolgt. „Ich komme mit der österreichischen Mentalität nicht klar“, sagte der in fast allen TV- Interviews sichtlich gereizte Daum – für Beobachter Anzeichen eines möglichen Comebacks in Leverkusen. Kritisch wird es für Daum erst, wenn Mister Frank die Freude am bisher hoch defizitären Investmentzweig Fußball verliert. Denn bis jetzt bekam er immer, was er wollte. Besser gesagt: Er nahm sich, was er wollte. Frank Stronach und der Fußball in Österreich, das erinnert mittlerweile an Dürrenmatts Bühnendrama „Der Besuch der alten Dame“. Irgendwann war der reiche Onkel aus den USA da, mit der Geste des Mäzens finanzierte er erst zahlreiche Vereine (so erhielten Salzburg, der GAK und Innsbruck von ihm stattliche Zuwendungen), sicherte sich die Rechte an einem Wettkanal und als ihm die Vereine den Präsidentenstuhl in der österreichischen Fußball-Bundesliga andienten, war nur ein Zustand auch offiziell festgeschrieben, der ohnedies de facto bereits bestanden hat: Ohne Stronach geht nichts mehr.“
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Unzulässige Einflussnahme
Darf sich der FC Bayern darüber beklagen, wenn Kritiker den Vereinsoffiziellen unzulässige Einflussnahme durch psychologischen Druck auf Schiedsrichter vorhalten? Denken wir an den Fall Strampe: Dieser stand nach zwei Feldverweisen und weiteren angeblichen Fehlentscheidungen gegen die Bayern massiv im Brennpunkt deren Kritik (BVB-FCB, Saison 00/01). Eigentlich schienen die Bayern mit dem Ergebnis (1:1), der Spielleitung und zwei Feldverweisen gut bedient. Doch Uli Hoeneß setzte auf eine einzigartige Gegenoffensive, indem er Strampe vor laufender Kamera beschimpfte, maßregelte und (laut kicker) in seine Kabine folgte, um im dort zu drohen (“Die Rote Karte für Effenberg brauchen Sie erst gar nicht aufzuschreiben. Der wird eh freigesprochen.”). Der daraus resultierende mediale Druck, den Hoeneß übrigens immer wieder geschickt für seine Interessen einzusetzen vermag – was er nicht einmal leugnet, sondern gelegentlich nicht ohne Stolz verkündet – erzielte den offenbar gewünschten Effekt. Die langfristige Wirkung für Strampe ist nunmehr erkennbar. Lange stand er in öffentlicher Kritik, was mit einem rapiden Prestigeverlust einher ging. Am Ende der Saison 00/01 wurde er im kicker (durch eine gemischte Jury) zum schlechtesten Schiedsrichter der Saison gewählt, obwohl er laut den durchschnittlichen kicker-Noten zu den Besten gehörte.
Die Angelegenheit blieb nicht ohne Konsequenzen für seine Karriere, seine Reputation und sein Konto. Mittlerweile ist ihm, der noch vor einem Dreivierteljahr als einer der besten Schiedsrichter Deutschlands galt, nach einer einzigen weiteren unglücklich ausgelegten Partie (FCN-S04) eine Pause im Spielbetrieb verordnet worden. Laut Manfred Amerell, Mitglied des DFB-Schiedsrichter-Ausschusses, führt der Kontrollausschuss Strampes mittlerweile nervöses Auftreten (z.B. zeigte er einem Spieler zwei Mal die Gelbe Karte, worauf er von seinem Assistenten aufmerksam gemacht werden musste) auf den öffentlichen Druck im Anschluss an das Dortmund-Spiel zurück. Das sei ihm früher nie passiert. Noch heute verweisen die “Experten” im einschlägigen Stammtischfernsehen auf diese “katastrophale” Leistung des vogelfreien Strampe. “Wie lange wird der noch sein Unwesen treiben?!” (Karlheinz Wild , Chefreporter des kicker). Strampe wird sich die nächste spielrelevante Entscheidung gegen den FC Bayern wohl drei Mal überlegen müssen.
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„Die sind heute gerannt wie die Hasen. Man hat gesehen: Für die ging es heute um viel Geld.“
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Stadionskandal in Leipzig, Wildmoser, Lienen, Overath
Die Herrschaft des Karl-Heinz-Wildmosers (SZ) – „Stadionskandal in Leipzig“ (BLZ) – Ewald Lienens Debüt in Hannover – Wolfgang Overath beginnt seine Bürotätigkeit – harte FAZ-Kritik an der Uefa für deren Entscheidung, die trauernden Spanier zum Spiel zu zwingen (mehr …)
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