Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
„Ganz und gar italienisch“
„Ganz und gar italienisch“ fand Peter B. Birrer (NZZ 14.6.) die Darbietung von Trapattonis Elf beim 1:1 gegen Mexiko. „Nicht spektakulär zwar, aber eben doch effizient, „italienisch“ halt, defensiv, abwartend, ohne Prunk, aber mit viel Theater neben dem Rasen – und einem Verdikt, das knapper fast nicht hätte sein können. Glück hat, wer sich trotzdem qualifiziert. Und es schummelt sich durch, wer ein Italiener ist (…) Über Francesco Tottis Performance hieß es nach dem ersten Spiel noch: „fantastico“. Nach dem zweiten näherte er sich dem Durchschnitt an, und im Verlaufe des dritten nahm ihn Trapattoni völlig zu Recht (und vielleicht sogar zu spät) vom Rasen. Totti ist wahrscheinlich das Ebenbild dessen, was für die Italiener in Fernost möglich ist. Die Skala ist sowohl gegen oben wie auch gegen unten weit offen.“
Die NZZ (14.6.) zum Spiel Kroatien-Ekuador (1:1). „Kroatien hat das auf dem sprichwörtlichen Silbertablett präsentierte Angebot, den Einzug in die Achtelfinals, ausgeschlagen (…) In der enttäuschenden ersten Halbzeit ließen die erstaunlich defensiv agierenden Kroaten vor 65.862 Zuschauern jeglichen Spielwitz vermissen. Die Ecuadorianer schielten dagegen nach ihrer minimalen Chance, die Achtelfinals entgegen allen Erwartungen doch noch zu erreichen. Die Südamerikaner schienen zwar optisch überlegen, verrieten im Angriff jedoch wenig Durchschlagskraft.“
Peter Heß (FAZ 14.6.) über das Spiel der Kroaten. „Niemand wollte oder konnte die Aktionen ordnen, gestalten, irgendwie in Bahnen lenken. Wer den Ball führte, wurde schnell ratlos, weil sich die Frage stellte: Wohin damit? Kaum ein Mitspieler bot sich zum Mitspielen an (…) Die Altstars taugten nicht mehr zu Führungsfiguren, die Jungen trauten sich nicht recht, die Rolle zu übernehmen. Den Generationswechsel mitten im WM-Turnier vorzunehmen hat sich nicht als brillante Idee erwiesen. Die Enttäuschung von Japan mag sich allerdings als Chance für die Zukunft erweisen.“
Durchaus im Einklang mit den Aussagen der italienischen Medien befindet sich Martin Hägele (Tsp/ NZZ 10.6.) bezüglich der Bewertung der italienischen Niederlage gegen Kroatien. „Wer so pomadig und lässig sein Pensum abspult wie die Mannschaft von Trainer Giovanni Trapattoni, und nach dem 1:0 durch Vieris Kopfball glaubt, nun sei das Tagwerk verbracht, der gehört für seine Borniertheit bestraft (…) Dabei hatten 35 000 Japaner die Partie zum Heimspiel für Italien gemacht. Die Japaner verehren die italienischen Kicker wie Götter; nicht ausgeschlossen, dass eines der italo-fixierten Fußballmagazine von Tokio ein achtseitiges Interview mit dem Platzwart des Meazza-Stadions veröffentlicht. Angesichts solchen Heldenkults sowie des spielerischen Potenzials auf der Reservebank besteht auch eine gewisse Verpflichtung. Oder ist es den Stars einfach verboten, offensiv und fürs Publikum zuspielen, weil so etwas gegen das Credo ihres Trainers verstößt: einen Vorsprung über die Zeit zu mauern; mit diesem hässlichen Catenaccio-System der Sechzigerjahre, das der freundliche Signor Trapattoni nur in Nuancen verfeinert hat.“
Die kroatische Tageszeitung Vecernji List (9.6.) feiert den 2:1-Sieg über Italien. „Die Tradition ist bewahrt: Italien wartet immer noch auf den ersten Sieg gegen Kroatien. Die Kroaten bewahrten mit dem 2:1-Sieg alle Chancen auf einen der beiden ersten Plätze in der Gruppe G. Was war der ausschlaggebende Grund hierfür? Sicherlich die Transformation des Trainers Jozic vom Lamm zum Wolf. Er war so mutig und nahm all die gut gemeinten Ratschläge an, die er seit dem Spiel gegen Mexiko von zahlreichen Experten – und solchen, die es gerne wären – erhielt. Das Glück scheint also mit den Mutigen zu sein: Die beiden Tore von Doni und Vieri wurden vom dänischen Linienrichter Jens Larsen zwar aberkannt, allerdings scheinen diese Fehler gerechtfertigt, denn der englische Schiedsrichter Graham Poll war wohl eher der italienischen Mannschaft zugetan (…) Die italienischen Kollegen der schreibenden Branche waren ziemlich wütend: Während sie uns vor dem Spiel noch mit einem Spottgesang empfingen, überwog gestern die Trauer. Einige klagten Trapattoni an, andere die Schiedsrichter Poll und Larsen. Andere wiederum mussten es wieder übertreiben und fingen im Pressesaal beinahe eine Schlägerei an (…) Auch in Dubrovnik wurde gefeiert: Dort soll sogar der Vorschlag gefallen sein, eine – noch namenlose – Brücke nach dem Linienrichter Jens Larsen zu benennen.“
Die Sportseiten der italienischen Tageszeitungen am Sonntag sind beherrscht von den Lamenti über die als ungerecht empfundenen Schiedsrichterentscheidungen, aber auch harscher Kritik an Trapattoni und den Azzurri. „Zwei Tore annuliert und drei Minuten Krise: Azzurri KO“ und „Italien in Schwierigkeiten“ heißt es im Corriere della Sera (9.6.), der die Agonie Tommasis, Zanettis und Panuccis an den Flügeln konstatiert, die Isolation Vieris beim Spiel nach vorn, den ebenso verzweifelten wie glücklosen Angriff der Azzurri bei Spielende. La Repubblica (9.6.) dämpft den Aufschrei der Tifosi: Auch wenn die Annulierung zweier Tore durch den Schiedsrichter mehr als „discutibile“ sei, solle sich die Squadra italiana lieber in Selbstkritik üben. Die Niederlage habe in Wahrheit aber bereits vor dem Spiel begonnen, mit Trapattonis Entscheidung, dieselbe Mannschaft antreten zu lassen wie beim Spiel gegen Ekuador, und nur Zanetti (gegen Di Biagio) auszutauschen. „Die einzige Gewissheit auf dem Spielfeld ist die Konfusion (…) Das Wunderduo Totti-Vieri leidet unter Einsamkeit. Der Ball findet außer Di Biagio nie jemanden, der ihn spielt. Maldini ist in Schwierigkeiten und sogar Doni hat Mühe, die richtige Position zu finden.“ Nach Trapattonis Motto „Entweder – Oder“ bleibe nun das „Warten auf die Entscheidung“.
Vincenzo Delle Donne (Tsp 9.6.) zum Spiel der Italiener. „Dass die 1:2-Schmach der Squadra azzurra ausgerechnet unter der Ägide des Defensivfetischisten Giovanni Trapattoni passieren sollte, ist womöglich Ironie des Schicksals. Trapattoni verlor angesichts der unglücklichen Niederlage vollkommen die Fassung, hatte das Gesicht verzerrt, Tränen vor Wut in den Augen, die sonst immer korrekt sitzende Krawatte war völlig verdreht. Schon nach der ersten Halbzeit hatte es aber Pfiffe von den Fans gegeben. Trapattoni sprang immer wieder wild gestikulierend von der Bank auf und versuchte, seine Mannschaft aus der Lethargie zu wecken. Aber die Offensive der Italiener funktionierte gegen aggressive Kroaten nicht.“
Offenbar sind Italiens Journalisten sangesfreudiger als seine Fußballer. Andrija Kacic-Karlin (Vjesnik 8.6.) berichtet von der Pressekonferenz vor de Spiel Italien gegen Kroatien. „Die italienische Arroganz vor dem Spiel mit Kroatien kannte keine Grenzen. Während das Überlegenheitsgefühl von Trainer Trapattoni durchaus verständlich war, der auf Grundlage des Spiels gegen Mexiko die kroatische Mannschaft für langsam und ungefährlich hielt, verhielten sich die italienischen Journalisten gegenüber ihren kroatischen Kollegen und den Fans unverschämt herablassend. Als die kroatischen Reporter das Pressezentrum anlässlich der Pressekonferenz betreten wollten, sorgten deren italienische Kollegen für eine unschöne Überraschung: Beflügelt vom Sieg der italienischen Mannschaft gegen Ekuador stimmten sie in Richtung der Kroaten ein spöttisches Siegeslied an. So wie es scheint, werden die italienischen Spieler wohl mit einer ähnlichen Einstellung in das Spiel gehen. Schließlich bleibt es, abzuwarten und zu sehen, wer letztlich für eine Überraschung sorgen wird. Diese gab es bei dieser WM bereits zuhauf.“
Die kroatische Tageszeitung Vecernji List (4.6.) fragte nach der 0:1-Niederlage der Kroaten gegen Mexiko. „Der kroatische Fußball wurde gestern in Niigata beschämt, erniedrigt und zertreten. Ist unser Auftritt bei der WM schon beendet? Wahrscheinlich schon, denn der einzige Mensch, der dies noch verhindern könnte, ist David Copperfield. Der Magier müsste nach Toyama fahren und all das reparieren, was der Trainer Mirko Jozic mit seinem Sicherheitsansatz verdorben hat. Ja, dieses Spiel geht zu einem größeren Teil auf Jozic. Er traute sich nicht, Mexiko anzugreifen, er blieb seinem defensiven, sicherheitsorientierten Fußball treu: ein Fußball, der die Zuschauer aus den Stadien treibt und nur ab und an zum gewünschten Ergebnis führt. Gegen wen können wir eigentlich bestehen, wenn nicht gegen Mexiko, dessen Spieler langsam sind und den gegnerischen Spielfluss erlauben? In ihrer Natur ist die kroatische Mannschaft eine, die spielfreudig und tororientiert ist. All das hat Mirko Jozic? verworfen und die kroatische Mannschaft in ihre dritte WM-Niederlage geführt. Eine Niederlage, die wahrscheinlich auch entscheidend sein wird. In Frankreich verlor der damalige Trainer Miroslav Blacevic gegen Argentinien und den späteren Weltmeister Frankreich, der jetzige verlor gleich das erste Spiel und wir müssen befürchten, dass wir gegen Italien und Ekuador nicht weiterkommen. Jozic ist schuld, denn er hat sich – wieder einmal – mit sieben Stoppern abgesichert, und diese Betonabwehr hat ihren Zweck nicht erfüllt. Durch all diese Mauern brachen die Mexikaner immer wieder durch, und Bourgetti und Blanco schafften es sogar, das Tor zu machen und 10.000 Mexikaner im Stadion zu erfreuen. Jozic versuchte zwar noch, seinen Fehler mit entsprechenden Auswechslungen zu korrigieren, aber am Ende hieß es dennoch 0:1 für Mexiko! Die Chronisten der Fußballnationalmannschaft können sich nicht erinnern, in den zwölf Jahren ihres Bestehens jemals so schlecht gespielt zu haben. Bleibt nur noch die Erinnerung an die Bronze aus Frankreich.“
Frank Ketterer (taz 4.6.) erkannte „spielerische Demenz“ als Ursache der kroatischen 0:1-Niederlage gegen Mexiko. „Die große Zeit des kroatischen Fußballs ist zunächst einmal vorbei. Und an diesem sonnigen Montagnachmittag im Big Swan Stadium zu Niigata konnte die ganze Welt das sehen – und am Ende sogar schwarz auf weiß ablesen in der Statistik zum Spiel: 46. Minute – Auswechslung Robert Prosinecki, 63. Minute – Auswechslung Davor Suker, 66. Minute – Auswechslung Alen Boksic. Die drei waren vor vier Jahren, bei der WM in Frankreich, die großen Helden ihres Landes, Dritter wurde Kroatien damals, mit feinem Kombinationsfußball, der der Mannschaft den Ruf eintrug, die „Brasilianer Europas“ zu sein.“
Matti Lieske (taz 4.6.) über die fulminante Auftaktphase der Italiener beim 2:0-Sieg gegen Ekuador. „Sobald sie den Ball hatten, schwärmten die Italiener jedenfalls von der ersten Minute an in die gegnerische Hälfte aus, als hätten sie nicht etwa den Catenaccio, sondern den Offensivfußball erfunden. Vor allem Francesco Totti, letzte Saison der beste Spieler der italienischen Liga, schoss, wirbelte und passte, dass den Ekuadorianern schwummrig vor Augen wurde. Zudem hatten diese offenbar noch nie etwas von Christian Vieri gehört. Immer wieder flutschte der flinke Stürmer von Inter Mailand, berüchtigt für seine schnellen Vorstöße, durch die Viererkette des Gegners und entschwand im freien Raum, wo die zumeist von Totti servierten Bälle schon seiner harrten (…) Die Mannschaft von Hernán Dário Gomez wirkte dabei zumindest in der Defensive phasenweise so, als hätte ein böser Dschinn die Abwehrspieler allesamt in Saudi-Araber verwandelt.“
(FAZ 4.6.). „Ekuador, das in der WM-Qualifikation sogar Brasilien besiegt hatte, schaffte es nur sporadisch, selbst Akzente im Spiel zu setzen, und immer nur dann, wenn die Italiener zum Zwecke der Schonung das Tempo drosselten. Insgesamt entpuppte sich die Mannschaft aus Südamerika als zu harmlos.“
„La coppia più bella del mondo! – Das schönste Paar der Welt! „Italien spielt, die Show beginnt, alles ganz einfach für die Azzurri“ titelt La Repubblica (4.6.). Francesco Totti und Bobo Vieri – „ein Traumpaar“. Totti, der Regisseur, der die ekuadorianische Abwehr terrorisiert, und Vieri, der Wunderstürmer, der sie umkreist und ständig neue Einfälle und Einlagen auf Lager hat. Totti, der Romanist und Vieri, der Interist, gemeinsam das gefürchtetste Angriffstandem der WM. Trapattonis Rechnung sei aufgegangen, auch wenn es „in Wirklichkeit so läuft, wie die meisten geahnt hatten: Solange die Aktionen von Totti ausgehen, strahlt Italien, sobald der Romanist nicht involviert ist, haben die übrigen Mittelfeldspieler große Mühe, etwas anständiges zustande zu bekommen.“
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Diskussion um WM-Teilnehmerzahl
Sepp Blatter macht mal wieder wilde Vorschläge (mehr …)
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Schalke 04 wird Heynckes‘ Ansprüchen nicht gerecht
Schalke 04 wird den Ansprüchen Heynckes’ und der Fans nicht gerecht – Giovane Elber blickt auf München zurück (und nicht, wie es in anderen Medien heißt: er tritt nach) – das Führungs-Trio von Hannover 96 spricht miteinander – SpOn-Interview mit Sport-Psychologe Strauß über Sinn und Unsinn von Trainerwechseln – Streit über Dortmunder Steuerpraxis und deren Rechtfertigung durch einen Richter u.a. (mehr …)
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Angespannt in die Zukunft
Wie die meisten Beobachter erkennt Peter Heß (FAZ 30.4.) einen Kölner Stilwechsel. “Es ist kein Zufall, daß ein Trainer wie Friedhelm Funkel den Klub zurück in die Bundesliga geführt hat. Der 1. FC Köln hat einen Meistertrainer des Machbaren gebraucht, einer, der keine Stars oder namhafte Spieler fordert, sondern Ruhe zum Arbeiten. Mit Balitsch und Timm verließen vor der Saison die beiden Jungstars den FC – es hat nicht geschadet. Daß mit Donkow und Beranek die Profis mit dem größten Stargehabe gingen, erwies sich geradezu als nützlich für das Betriebsklima. Der Rest bildete eine eingeschworene Gemeinschaft, die zudem das Glück des Tüchtigen hatte. Spielerische Brillanz ist nicht die Kölner Stärke, sondern es sind Robustheit und Willensstärke. Die Kölner blicken etwas angespannt in die Zukunft. Reicht unsere Substanz aus, in der Eliteliga zu bleiben? Die Frage ist überflüssig: Teams der Arbeiterklasse können in der Bundesliga bestehen, wie Rostock und Bielefeld beweisen. Sogar Unterhaching und Cottbus vermochten sich einige Zeit zu halten. Funkel glaubt an seinen Weg. Er hat für die neue Saison vornehmlich hungrige Spieler aus der zweiten Liga verpflichtet. Wenn die Vereinsführung nach den ersten Rückschlägen nicht von ihm abrückt, wird der 1. FC Köln in der Bundesliga der unangenehme Gegner sein, der er in der zweiten Liga war. Der alte FC freilich, der FC, wie ihn die Bundesliga kennt, kehrt nicht zurück.“
Mixtur aus Unansehnlichkeit und Unbeugsamkeit
„Köln mag zwar die Hauptstadt der Hybris sein, doch der 1. FC Köln kehrt vergleichsweise demütig in die Bundesliga zurück“, schreibt Christoph Biermann (SZ 30.4.). „Vor den Bierduschen und Jubelgesängen zur Rückkehr in die Bundesliga ließ der 1.FC Köln am Montag gegen den FC St. Pauli noch einmal seine ganze eigenwillige Zweckmäßigkeit triumphieren: ein Tor nach einem Freistoß, eines nach einem Eckball, zwei oder drei gute Kombinationen, und nach dem Anschlusstreffer des Abstiegskandidaten ein Taumelkurs bis ins Ziel. Wieder einmal hatte das Team seine staunenswerte Mixtur aus Unansehnlichkeit und Unbeugsamkeit angerührt, die es zu einem so seltsamen Aufsteiger macht. Die Mannschaft von Trainer Friedhelm Funkel lud bei aller Dominanz in der Zweiten Liga nämlich stets ein wenig zum Spott ein. Übrigens auch beim eigenen Publikum, das wieder einmal kopfschüttelnd aus Müngersdorf nach Hause fuhr und sich fragte, wie ihr Team das schon wieder geschafft hatte. Vielleicht hilft bei der Beantwortung dieser schwierigen Frage das Nachdenken darüber, wer denn beim 1.FC Köln eigentlich der Spieler der Saison war. Naheliegend wäre, Torjäger Matthias Scherz wegen seiner 18 Treffer zu nennen, für Trainer Funkel ist es Florian Kringe, dem der Sprung aus der Amateurmannschaft von Borussia Dortmund in die Bundesliga gelang, und die Fans lieben noch immer vor allem Dirk Lottner wegen seines phantastischen Passspiels und der spektakulären Freistöße. In Wirklichkeit aber repräsentiert den Geist des Aufsteigers wie kein anderer Thomas Cichon. Des Liberos spielerische Fähigkeiten mögen begrenzt sein, seine Willenskraft, Entschlossenheit und Kampfbereitschaft sind es nicht. Cichon definierte als bedingungsloser Teamspieler den Stil des 1.FC Köln.“
Standards und Ergebnisverwaltung
Welche Rolle wird die Erwartungshaltung der Kölner Fans in der Bundesliga spielen? Eine entscheidende Frage, meint Erik Eggers (taz 30.4.). „Na gut, sagte er ein wenig unwirsch, unser Ziel muss natürlich der Klassenerhalt sein. Und dann folgte ein Satz, den die Kölner Fans, so sehr sie den kölschen Jung Lottner auch verehren, nur äußerst ungern vernehmen: Auch wenn wir der 1. FC Köln sind, müssen wir bescheiden sein. Das ist eine Vokabel, die kaum Platz findet im Wortschatz des Kölner Anhangs, dessen Hingabe an seinen Club so ungebremst ist wie sonst nur auf Schalke. Die Fans träumen nun schon wieder, wie betäubt vom Aphrodisiakum Aufstieg, von den ganz großen Fußballfesten; von sagenhaften Siegen gegen Bayern München und sogar schon von nahenden Triumphen über Real Madrid. Dass der Wiederaufstieg auf wahrlich unprätentiöse Art und Weise zustande kam, dass Lottner, Scherz Co. sich stets auf Standards und Ergebnisverwaltung verlassen konnten, ficht den Kölner Fan dabei nicht an. Das Verlangen nach einer Wiederholung des letzten großen Erfolgs vor exakt 25 Jahren, als der FC unter Hennes Weisweiler mit einem Erfolg gegen den St. Pauli das letzte Mal deutscher Meister wurde, ist größer. An solchen Erwartungen sind nicht wenige Trainer zerbrochen (…) Funkel, lässt die brutale Kölner vox populi stets verlauten, sei der richtige Coach um aufzusteigen, für die Bundesliga indes tauge er nicht.“
Komm loß mer fiere, niet lamentiere
Jörg Stratmann (FAZ 30.4.) führt ähnliche Bedenken ins Feld. „Festliche Vorbereitungen für den vorhersehbaren Fall der Fälle hatten sie nicht getroffen. Aber von so etwas hat sich der Rheinländer noch nie hindern lassen. Also haben sie es am späten Montagabend und in der folgenden Nacht kurzerhand so gehalten, wie es hier nun mal Brauch ist, wenn es spontan etwas zu feiern gilt – sie haben den Karneval aufleben lassen mit reichlich Kölsch und den obligatorischen Liedern. Und weil selbst der zur Leichtfertigkeit neigende Kölner durchaus weiß, daß nicht alles Gold ist, was glänzt, war anläßlich des Wiederaufstiegs seines 1. FC Köln in die Bundesliga der passende Refrain schnell gefunden. Also erklang von den Rängen der mit 30.500 Zuschauern ausverkauften Baustelle Rhein-Energie-Stadion vor allem der Schlager: Komm loß mer fiere, niet lamentiere. Feiern wollten sie also – obgleich es durchaus einiges zu beklagen gegeben hätte. Auch nach diesem 2:1 über die abstiegsgefährdete Mannschaft vom FC St. Pauli (…) Zum glücklichen Ende hielten sie es dann alle aufatmend wie der einstige Kölner Nationalspieler und Trainer Hannes Löhr. Laßt uns erst einmal feiern, bevor wir an die Zukunft denken, sagte er. Denn der Aufstieg ist lebenswichtig für den Verein. Der neuerworbene Sinn für Realität blitzte also nur kurz auf an diesem Abend, der vor allem Labsal für die kölsche Fußballseele war. Für die nämlich die Mitgliedschaft in der Eliteliga immer noch als quasi naturgegeben gilt. So wie es der einstige Weltmeister Wolfgang Overath ausdrückte: Wir sind wieder da, wo wir hingehören. Schließlich zählen wir uns immer noch zu den großen Klubs. Davon ließ er sich nicht abbringen, obgleich er selbst, wie er einräumte, auch einige äußerst schwache Spiele seines Klubs hatte miterleben müssen.“
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Themen: Fedor Radmanns geht aus dem Amt des WM-OK-Vizes – von den Ambitionen Wolfgang Holzhäusers, Finanzexperte Bayer Leverkusens
Ob guter Rat jetzt teurer wird?
Roland Zorn (FAZ 4.6.) kommentiert die angekündigte Lockerung Fedor Radmanns Beziehung zum WM-OK 2006. „Die tröpfchenweise offenbarten Verflechtungen mit dem Kirch-Konzern, der Firma Adidas oder die spät offenbarte Geschäftspartnerschaft mit einer Münchner Agentur, die das WM-Logo kreieren half, haben Radmanns Ruf zweifellos beschädigt. Wer im öffentlichen Auftrag handelt, verliert an Spielraum für private Geschäfte. Es sei denn, er heiße Beckenbauer, präsidiere dem OK ehrenamtlich und bestreite seinen Lebensunterhalt mit einer jedermann bekannten Fülle von Werbeverträgen und Medienpartnerschaften. Dieser Franz Beckenbauer wird letztlich froh sein, daß sich sein Spez‘l in Zukunft wieder als Einmannbetrieb organisieren kann. Die Spritzer, die das OK nach Bekanntwerden der zu spät aufgelösten Radmann-Privatmann-Bindungen abbekam, waren zwar wegzuwischen, hinterließen aber das mulmige Gefühl, daß da jederzeit etwas nachkommen könne (…) Radmanns Einfluß auf die Gestaltung der WM wird kleiner, dennoch wirkt der Bayer als bloßer Ratgeber glaubwürdiger; das OK ist einen kreativen Geist, aber auch einen potentiellen Störenfried los. Ob guter Rat jetzt teurer wird?“
Radmanns Schicksal verbindet sich eng mit dem von Franz Beckenbauer
In dieser Angelegenheit blickt Thomas Kistner (SZ 4.6.) zurück. „Vielleicht das Schönste am Sport ist, dass sich alles daran so schön reden lässt. Sogar eine Demontage, die vor den Augen der Öffentlichkeit stattfindet. Im Fall des gescheiterten Vizepräsidenten des WM-OK sind die Techniken moderner PR-Kommunikation besonders gut zu verfolgen. Schon in März und April musste sich der Aufsichtsrat mit der chronischen Krisenpersonalie befassen. Nach der ersten Sitzung hieß es, alle Geschäftsverflechtungen seien geklärt, gelöst – was sich als falsch erwies. Nach der zweiten entging Radmann sogar nur knapp dem Ritterschlag durch Bundesinnenminister Schily, der dessen saubere Arbeit für die deutsche WM 2006 würdigte, erhielt zugleich aber – ist das der Dank des Vaterlandes? – die Hoheit über das WM-Kulturprogramm entzogen. Der Vertrauensentzug war enorm, daran änderten die bunten Wortgirlanden nichts. Damals kündigte sich Radmanns Abschied an. Dass der nun so verkauft wird, als sei er von ihm selbst erbeten, als habe er mit dem evidenten Geschäftsfilz nichts zu tun, beleidigt vielleicht ein wenig den Verstand, liegt aber andererseits auf der Hand: Im Falle einer offiziellen Abstrafung gäbe es ja keine Möglichkeit mehr, den Kontaktehändler weiter ans OK-Umfeld zu binden. Das wiederum muss sein – schon, weil sich mit Radmanns Schicksal das von Franz Beckenbauer eng verbindet. Der hat den langjährigen Freund und Weggefährten sogar in die Rolle seines verstorbenen Beraters Robert Schwan wachsen lassen. Zugleich war Beckenbauer als OK-Chef der Einzige, dem Radmann bei Amtsantritt alle seine Beraterverträge vorlegen musste. Ein allzu tiefer Fall Radmanns also müsste zwangsläufig auch Beckenbauer beschädigen. Was hier zu Lande immer noch den Tatbestand der Majestätsbeleidigung erfüllt.“
Aus dem breiten Schatten von Manager Reiner Calmund
Jan Christian Müller Erik Eggers (FR4.6.) widmen sich Wolfgang Holzhäuser (noch Bayer Leverkusen). „Vor drei Jahrzehnten hat sich der Betriebswirtschaftsabsolvent, damals Anfang 20, gleichzeitig bei Eintracht Frankfurt, Kickers Offenbach, dem Hessischen Fußballverband und dem Deutschen Fußball-Bund beworben. Vom DFB erhielt er einen Vorstellungstermin und bald darauf einen Arbeitsplatz zur Verfeinerung des Controlling im Lizenzierungsverfahren. Die Kickers schickten eine Absage, der Hessische Fußballverband und die Eintracht reagierten überhaupt nicht. Nun deutet vieles darauf hin, dass der einst verschmähte Diplom-Betriebswirt mit fast einem halben Leben Verspätung und dem Umweg über Bayer Leverkusen zur Eintracht gelangen wird. Der Finanzexperte gilt als Top-Favorit auf die Stelle des Vorstandsvorsitzenden der Eintracht Frankfurt Fußball AG. Lange Zeit war Holzhäuser als Kandidat mit besten Aussichten für die Nachfolge des 64-jährigen Wilfried Straub als Vorsitzender DFL-Geschäftsführer gehandelt worden. Doch die mächtigen Münchner Bayern, denen Holzhäuser jüngst im umstrittenen Kirch-Deal die Stirn geboten hatte, wollten da nicht mitmachen. 23 Jahre lang hatte Holzhäuser treu dem DFB gedient, ehe er 1998 von Bayer Leverkusen abgeworben wurde und die Umwandlung der Profiabteilung in eine Fußball-GmbH betrieb. Zuvor und danach war der angesehene Fachmann von etlichen Klubs umworben worden, unter anderem von Werder Bremen, dem Hamburger SV und dem VfB Stuttgart. Nun zieht es den im südhessischen Crumstadt geborenen 53-Jährigen zurück in die Nähe seiner alten Heimat. Vor fünf Jahren war er zu stark geworden, um sich seinem Entdecker, dem Liga-Direktor Wilfried Straub, weiter unterzuordnen. Jetzt ist es dringend an der Zeit, trotz eines noch bis 2007 laufenden Vertrags bei Bayer, aus dem breiten Schatten von Manager Reiner Calmund zu treten.“
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Funkel in Köln entlassen
Funkel in Köln entlassen, „der 1.FC Köln hat ein Beispiel gegeben, wie sich auch in kritischen Fussballzeiten eine schwierige Personalentscheidung mit Anstand lösen lässt“ (NZZ) – SZ-Interview mit Peter Neuruer über Trainerentlassungen
Die Liaison zwischen dem bärtigen Normalo und dem närrischen FC war ein Missverständnis
Ingo Durstewitz (FR 31.10.) bemerkt zur Entlassung Funkels: “Es ist ohnehin eine mittelgroße Sensation, dass Funkel seine Mannschaft zehn Mal in der Beletage aufstellen durfte. Denn die Liaison zwischen dem bärtigen Normalo und dem närrischen FC war einziges Missverständnis; es gibt nicht wenige in Köln, die den Coach am liebsten schon nach dem Aufstieg in die Wüste geschickt hätten. Funkel, kreuzbrav, sachlich, unaufgeregt, passte so gar nicht zu der als Fußballverein getarnten Skandalkaschemme, die neben Eintracht Frankfurt als einziger Club die Aura des Anrüchigen, des Primadonnenhaften ins neue Jahrtausend gerettet hat. Funkel hat dem berühmten Kölschen Klüngel die Stirn geboten – freilich hat ihm das mehr geschadet denn genutzt. Funkel, ein Sicherheitsfanatiker, der Beton anrührt, bis der Mischer streikt, ließ keinen schönen, sondern zweckorientierten Fußball spielen, und er hatte Erfolg mit dieser hässlichen Variante des schönen Spiels. Aufstieg – vier Spieltage vor Schluss. Sympathien hat das dem selbst einst lieber vor Gegners Tor lauernden Neusser nicht gebracht – schon gar nicht bei den Fans. Die Trennung wirft aber auch Schatten auf den – unter dem öffentlichen Druck eingeknickten – Saubermann Andreas Rettig, der als Manager angetreten war, um dem Verein zu mehr Seriosität und Kontinuität zu verhelfen.“
Einen Gewinner gibt es in der Angelegenheit Funkel
Dahingegen lobt Daniel Theweleit (FTD 31.10.) den Kölner Manager Rettig und stellt dessen Kandidaten vor: „Das soll der Schweizer Marcel Koller werden, den Rettig als „Wunschkandidaten“ bezeichnete. Koller, der am vielleicht höchsten kölnischen Feiertag, dem 11. 11., 43 Jahre alt wird, ist ein Zürcher Urgewächs. Ihm wird die Stärke nachgesagt, einem Verein jene Mentalität einzuhauchen, mit der man stets die höchsten Ziele anvisiert. Damit liegt er auf einer Wellenlänge mit Rettig, der einst die Freiburger Fußballprovinz verließ, um den Kölner Fußball wieder in jene hohen Sphären zu befördern, denen er sich seit jeher zugehörig fühlt. Diesen Schritt hat man dem netten, unaufgeregten und im Unterhaltungsbusiness Fußball stets ein wenig fremd wirkenden Funkel nicht zugetraut. Rettig hat den Kader mit Spielern wie Sebastian Schindzielorz, Andreij Voronin, Mustafa Dogan und Andreas Wessels ergänzt, damit Funkel einen ansehnlicheren Fußball spielen lassen kann. Das gelang zwar, aber die Spiele gingen meist verloren. Erst als wieder die für Funkel seit vielen Jahren typische Destruktionstaktik angewendet wurde, holte man einen Punkt in Stuttgart und besiegte den SC Freiburg. Ein Dilemma, denn dieser Spielansatz ist nicht konkurrenzfähig, und ob es der gegenwärtige Kader ist, wird immer lauter bezweifelt. Einen Gewinner gibt es in der Angelegenheit Funkel aber doch. Während im Tabellenkeller allerorten Ultimaten gestellt wurden, praktizierte Rettig das Prinzip Transparenz. Er verhielt sich äußerst geschickt, versorgte die Öffentlichkeit stets mit griffigen Informationen, stellte sich weder demonstrativ vor den Trainer, noch setzte er ihn stark unter Druck – und ging am Ende als loyaler und korrekter Mensch hervor. Aber wie gut der Reiner-Calmund-Schüler ist, wird man erst sehen, wenn er der Erfolg auch an seiner Person gemessen wird. Lange dauert das nicht mehr.“
Eigentlich müssten wir Solidarität üben
SZ-Interviewmit Peter Neururer über Trainerentlassungen
SZ: Sie haben die Entlassung von Ewald Lienen in Mönchengladbach als „pervers“ und die von Kurt Jara in Hamburg als „unterste Schublade“ bezeichnet. Ist das Verhältnis zwischen Trainern und Vereinen am Tiefpunkt?
PN: Ich kann nicht beurteilen, ob die Beurlaubung eines Trainers richtig oder falsch ist. Mir geht es um die Umgangsformen. Ich rege mich darüber auf, wenn sich Didi Beiersdorfer als Sportlicher Leiter des HSV vor die Kamera stellt und sagt, dass Jara beim nächsten Spiel noch auf der Bank sitzen wird, und er einen Tag später entlassen ist. Oder man Huub Stevens ein Ultimatum stellt, dass er die nächsten beiden Spiele gewinnen muss. Da frage ich mich, wo wir eigentlich angelangt sind.
SZ: War es nicht so, dass im Fall von Stevens bei Hertha BSC wie auch bei Erik Gerets in Kaiserslautern die Ultimaten den gewünschten Erfolg hatten?
PN: Aber welchen Schaden erleidet das Berufsbild, wenn Trainer öffentlich so an die Wand genagelt werden? Für Stevens ist es glücklicher Weise gut gelaufen und bleibt trotzdem sportlich gesehen pervers. Beim Pokalspiel in Rostock war er eine Minute vor Schluss der Verlängerung entlassen, dann fiel ein Zufallstreffer zum Ausgleich, und er blieb erst einmal im Amt. Dann lag Hertha im Elfmeterschießen zurück, und er war wieder entlassen, weil ein Weltklassefußballer wie Marcelinho daneben geschossen hatte. Das kann jedem Spieler passieren, aber die Fans sagen vielleicht: Marcelinho kann Briefmarken aus dem Winkel schießen, der hat doch absichtlich vergeben. Das ist zwar Quatsch, aber solche Spekulationen entfache ich damit.
SZ: Sind Sie schon einmal stilvoll beurlaubt worden?
PN: In der öffentlichen Darstellung des öfteren, aber dahinter waren Geschichten, die eher zum Lachen waren. Wie bei Schalke 04, wo ich vom damaligen Manager Helmut Kremers aus dem Essen mit der Mannschaft gerufen wurde, weil es dem Präsidenten Günther Eichberg ganz eilig war. Wir standen damals auf einem Aufstiegsplatz in der Zweiten Liga, und ich ging davon aus, dass mein Vertrag um mindestens zwei Jahre verlängert würde. Da saß also der Präsident mit einem Glas Wein, und ich sagte: „Gibt’s was zu feiern? Dann trinke ich einen mit.“ Er sagte, es gebe nichts zu feiern. „Gut, ich trinke trotzdem einen mit.“ Dann sagte er, ich sei beurlaubt. Da habe ich ihm auf die Schulter gehauen: „Hören Sie auf mit solchen Scherzen, worum geht es denn?“ Aber er meinte es ernst. Nach außen haben sie es so verkauft, dass ich eine Vertragsverlängerung gültig für beide Ligen haben wollte. Damals war ich nicht lange genug im Geschäft und hab’s geschluckt.
SZ: Wehren sich Trainer zu wenig?
PN: Nach meiner Kritik an Mönchengladbach haben acht Kollegen angerufen und mir beigepflichtet. Aber nur einer hat das öffentlich gemacht, kurioser Weise Berti Vogts, denn wir hatten nie das beste Verhältnis. Den anderen habe ich gesagt: „Für mich seid Ihr riesengroße Arschlöcher. Heute geht es um Ewald Lienen, morgen geht es um jemand anders und irgendwann um Euch.“ Eigentlich müssten wir Solidarität üben und sagen, dass Vereine für uns nicht mehr in Frage kommen, wenn sie sich so verhalten. Aber es gibt 500 Fußballlehrer und nur 36 Profiklubs, und bei weitem nicht alle Trainer haben ausgesorgt.
SZ: Solidarität ist damit unmöglich?
PN: Es scheint so.
Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208
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Der Vergleich zwischen der DFL und dem FC Bayern und die Debatte um die DFL-Pressemitteilung
„Was für ein herrlicher Friedensschluss“, kommentiert die SZ ironisch die Auseinandersetzungen zwischen den Verantwortlichen des FC Bayern München und der Deutschen Fußball Liga (DFL), nach dem sich diese auf einen auf Einklang abgestimmten Vergleich geeinigt hatten, um die Akte „Kirch/Bayern“ zu erledigen. Die Presseerklärung der DFL, worin namentlich Bayern-Manager Uli Hoeneß „moralische Verwerflichkeit“ vorgeworfen wird, werten die Beobachter aus Funk, Fernsehen und Print unisono als Nachtreten sowie als kleingeistige Strategie, eigene Machtlosigkeit zu kaschieren: die Rache des Kanalarbeiters sozusagen. In der Tat mangelt es der Vorgehensweise des „angeschlagenen Spargeltarzan DFL“ (FR) an jeglicher Souveränität. Zudem wirken die Worte hölzern belehrend und in der wissentlichen Vermutung gewählt, dass den Gutmenschen Uli Hoeneß – nach eigenen (!) Angaben einer der sozialsten Menschen, die er selbst kenne – nichts so sehr trifft wie der Vorwurf, die Solidarregeln des Gebens und Nehmens zu Gunsten von Eigeninteressen verletzt zu haben.
Heftig reagieren die verständlicherweise verärgerten Münchner, wobei der Wutanfall von Hoeneß noch aussteht und minütlich zu erwarten ist. „Von führenden Fußballrepräsentanten darf man mehr Selbstkontrolle und Verstand erwarten als vom enttäuschten Fußballfan auf der Tribüne“, kommentiert die FAZ die rhetorischen Klimmzüge des „Außenministers“ Rummenigge, der bayerischen Rückzug aus allen Ämtern und Verpflichtungen androhte.
Erneut sichtbar wurden in diesem Zusammenhang die asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen dem Ligaprimus und der DFL, deren Existenzberechtigung inzwischen zurecht angezweifelt wird. Denn traurigerweise haben die Ligavertreter durch ihren Stich ins Wespennest den sündigen Bayern den Weg in die Opferposition freigemacht und die Agenda abgeändert. Folglich findet derzeit keine Diskussion darüber statt, ob die vereinbarte Summe von drei Millionen Euro dem Vergehen angemessen ist. Aus der Politik ist man beispielsweise andere Strafmaße gewöhnt. Im gestrigen DSF-Stammtisch „Doppelpass“ erregten sich im Gegensatz zu den geladenen Journalisten lediglich die per Telefon zugeschalteten Fernsehzuschauer über den ursprünglichen Streitgegenstand: den millionenschweren Geheimvertrag zwischen Kirch Media und Bayern München , dessen juristische Aufarbeitung im Anschluss an diesen Theaterdonner der Öffentlichkeit für immer verwehrt bleiben wird.
Heimstatt der Oberheuler
Matti Lieske (taz 14.4.) kritisiert die Reaktionen der Münchner. “Jede Woche dieselbe Heulerei, maulte Bernd Hollerbach, der einzige Bundesligaprofi, der aufgrund eines Geheimvertrages mit der Deutschen Fußball-Liga (DFL) die Lizenz zum ungehemmten Einsatz seiner Ellenbogen besitzt. Er meinte im Übrigen seine Gegenspieler, die unverständlicherweise gebrochene Nasen, zertrümmerte Jochbeine und geplatzte Augenbrauen längst nicht so schätzen wie der wild gewordene Handfeger (Ex-Schalke-Coach Frank Neubarth) vom Hamburger SV (…) Vor allem trifft Hollerbachs Diagnose aber auf Bayern München zu, traditionelle Heimstatt der Oberheuler und Turbo-Handfeger. Manager Uli Hoeneß etwa zog nach dem 0:1 gegen Werder ein Gesicht, als habe ihm gerade jemand drei Millionen Euro aus dem Portemonnaie stibitzt. Es wären aber nicht die Bayern, wenn sie es nicht schaffen würden, aufsteigende Zähren unmittelbar in offene Wut zu verwandeln. Impertinent nannte Vizepräsident Rummenigge eine Presseerklärung der DFL, die den Geheimvertrag des FC Bayern mit Kirch als moralisch verwerflich bezeichnete. Schließlich komme ein Vergleich, wie ihn die Münchner mit der DFL schlossen, einer Befriedigung gleich. Dass es Rummenigge mit Befriedigung erfüllt, wenn die Bayern als Strafe für einen moralisch verwerflichen Vertrag, der ihnen 20 Millionen Euro brachte, bloß 3 Millionen zahlen müssen, leuchtet ein. Es bleiben ja 17 Millionen, die in dieser Saison zum Beispiel dafür sorgten, dass Leverkusen unten steht und Bayern oben.“
Bauerntrick
Klaus Hoeltzenbein (SZ 14.4.) kritisiert die Pressemitteilung der DFL. „Das Fax, in dem der Vergleich mit dem FC Bayern verkündet wurde, landete am Samstag kurz vor elf in den Redaktionen, etwa zu der Zeit, zu der Rostock als Segelkandidat für die Olympischen Spiele 2012 ausgewählt wurde. Im Fußball heißt so etwas Bauerntrick: darauf zu spekulieren, dass der Gegner blöd ist. Dass die Verkündung von der Fülle der Ereignisse überlagert werde, vom Olympia-Entscheid für Leipzig, vom 0:1 der Bayern gegen Bremen, einem umstrittenen Elfmeter oder üblen Foul in der Bundesliga ab 15.30 Uhr. Das Dumme an einem solchen Bauerntrick ist nur, dass er sich, wenn misslungen, in der Folge gegen den Urheber wendet. In diesem Falle dadurch, dass die DFL und die Bayern sich zwar auf eine Vergleichssumme, nicht aber auf eine einvernehmliche Erklärung einigen konnten. So sind künftige Debatten befeuert – werden die Bayern alles versuchen, ihren Manager Uli Hoeneß von dem im DFL-Fax erhobenen Vorwurf zu befreien, er habe bei Zeichnung des Geheimvertrages mit der Kirch-Mediengruppe „moralisch verwerflich“ gehandelt. Da hat die DFL billig und kräftig hinterher getreten. Bitter zudem, wenn sich die Moral gegen die Prediger wendet. Wenn diese sich fragen lassen müssen, warum sie den Vorschlag des FC Bayern ablehnten, die Vergleichssumme komplett an karitative Einrichtungen zu überweisen. Dies wäre eine Geste von hohem Wert gewesen. Stattdessen ist eine Portionierung der zynischen Art zu deuten: 500.000 Euro für notleidende Kinder im Irak, 2,5 Millionen zur Verfügung der DFL. Von diesem Geld darf angenommen werden, dass es über Umwege auf prall gefüllten Spielerkonten landet.“
Imageverlust gegenüber Wirtschaft und Industrie
“Es wäre so einfach gewesen, den Konfliktherd Geheimvertrag zu löschen“, kritisiert Peter Heß (FAZ 14.4.) alle Beteiligten. “Es war richtig, die selbstfixierten Bayern an allgemeine Verhaltensmaßregeln zu erinnern – vor der Einigung. Das Nachschlagen nach dem Kompromiß aber ist stillos, ungeschickt und schädlich. Daß die Bayern akzeptierten, nicht die ganze Summe einer karitativen Einrichtung zu spenden, sondern den Löwenanteil von 2,5 Millionen Euro an die DFL zu zahlen, kommt doch einem Schuldeingeständnis gleich – was wollte die DFL noch? Ob der Vergleich angemessen ist, entzieht sich der Beurteilung all derjenigen, die den Inhalt des Vertrages zwischen der Kirch-Gruppe und Bayern München nicht kennen. Aber wenn die DFL dieser Einigung zustimmt, dann sollte sie den Vertragspartner nachträglich nicht mehr schlecht machen (…) Die Reaktionen der meisten Bayern-Größen auf die DFL-Pressemitteilung dienen allerdings auch nicht dem deutschen Fußball. Die Führung des deutschen Vereinsfußballs gibt im Moment in Gänze ein schlechtes Bild in der Öffentlichkeit ab. Sollten sich die Umgangsformen nicht normalisieren, droht ein Imageverlust gegenüber Wirtschaft und Industrie, der noch schmerzhaft werden könnte. Weniger für die Bayern als Marktführer. Aber kleinere Klubs sind auf ein positives Umfeld, auf ein professionelles Auftreten der Liga angewiesen, wenn sie in Zeiten der wirtschaftlichen Rezession Sponsorengelder auftreiben wollen.“
Zusehends selbstherrlicher gerierenden Münchner
Jan Christian Müller (FR 14.4.) auch. “Die Mehrzahl der 36 Liga-Mitglieder erwartete, dass die Bayern empfindlich bestraft werden, und legte Wert darauf, dass zumindest ein Teil der vom Branchenführer heimlich vereinnahmten Millionen aus dem Hause Kirch zurückfließt. Die sich zusehends selbstherrlicher gerierenden Münchner mussten also überzeugt werden, für ihr doppelbödiges Spiel eine angemessene, für den großen Rest der Kleinen mindestens halbwegs akzeptable Summe zu bezahlen. Beiden Seiten war ja klar: Ein Rechtsstreit hätte nur Verlierer hinterlassen. Die in alle Wohnstuben gelieferte Konfrontation im Gerichtssaal – dieses Szenario galt es dringend zu vermeiden, zumal jetzt, da sich nirgends ein Sender findet, der bereit ist, für Bundesliga-Fußball in ähnlichen Dimensionen zu investieren wie Kirch in der Vergangenheit. Gleichzeitig musste der angeschlagene Spargeltarzan DFL Stärke zeigen, musste gegen den Mächtigsten im Bunde Farbe bekennen, sich für die Schwächeren einsetzen. Das Dilemma aber ist offenkundig: Die wichtigste Marke im deutschen Fußball, der FC Bayern München, wurde gezielt beschädigt, um sicherzustellen, dass viele der 35 anderen nicht künftig die Gefolgschaft verweigern. Dass das mächtigste Mitglied darüber verstimmt ist und nach der aggressiven Mitteilung der DFL zurückschlug, überrascht niemanden. Austeilen liegt ihm nunmal mehr als einstecken. Doch gilt, was zur schützenswerten Marke FCB zu sagen wäre, sinngemäß auch umgekehrt: Weiterer Flurschaden bei der DFL hilft in Wahrheit keinem. Auch nicht den empfindlichen Bayern.“
Fachlich fundiertes Urteil von Nebenerwerbs-Kolumnist Beckenbauer
Wolfgang Hettfleisch (FR 14.4.) hält die Reaktionen der Bayern für überzogen. „Statt anlässlich des geschlossenen Vergleichs artig Nettigkeiten gen Frankfurt zu schicken, spuckten die Bayern-Bosse Gift und Galle. Grund war ein schmuckloses Blatt Papier unterm Liga-Logo: die Stellungnahme der DFL zur Einigung mit dem Branchenprimus. Darin erläutert die DFL-Geschäftsführung den Vergleich mit den Münchnern, die sich den selbst verschuldeten Ärger um die vertrauliche Vorzugsbehandlung durch Kirch gegen eine Zahlung von drei Millionen Euro (500.000 für irakische Kinder, die unter dem Krieg und dessen Folgen leiden; 2,5 Millionen an die Liga, die an der Kirch-Krise und deren Folgen laboriert) vom Hals schaffen können. Soweit die Theorie. Doch der Schrieb aus der DFL-Zentrale im Frankfurter Stadtwald erwies sich als Sprengstoff. Dümmer kann man eine Presseerklärung nicht formulieren, lautete das fachlich fundierte Urteil von Nebenerwerbs-Kolumnist und Italien-Fan Beckenbauer (…) Tatsächlich lässt die DFL-Mitteilung an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Darin ist von einem vorlagepflichtigen Geheimvertrag ebenso die Rede wie davon, dass der FC Bayern das Solidaritätsprinzip der gesamten Liga durch Gestaltungsmissbrauch missachtet und somit gegen die im Sport unverzichtbare Fairness verstoßen habe. Starker Tobak, auch wenn die Reaktionen aus der bayerischen Landeshauptstadt weniger spontan waren, als es auf den ersten Blick schien. Das Bayern-Management war laut Hackmann bei Abschluss des Vergleichs davon in Kenntnis gesetzt worden, dass die DFL ihren Standpunkt darlegen wird. Wie auch immer. Sollte es die Absicht der Verantwortlichen von Bayern München gewesen sein, die Aufmerksamkeit vom fragwürdigen Kirch-Deal ab- und aufs grundsätzliche, nicht selten gespannte Verhältnis zwischen Clubs und Frankfurter Liga-Machern hinzulenken, so könnte die Strategie aufgehen. Was haben die geschafft, außer ein Logo zu kreieren?, polemisierte Rummenigge gestern gegen die im Juli 2001 gegründete DFL, deren Existenz die Clubs, wie der Bayern-Vorstandsvorsitzende nicht vergaß hinzuzufügen, eine Stange Geld koste. Die Gegenseite will kein Öl in die Flammen gießen. Weder DFL-Sprecher Tom Bender, noch der bei den Bayern ungeliebte Geschäftsführer Bruchhagen mochte die Angriffe aus München gestern kommentieren. Dennoch kann sich der Streit zur Machtprobe auswachsen. Gegen oder gar ohne den FC Bayern wird die Liga nicht prosperieren.“
Hintergrund SZ
FR-Interview mit Karl-Heinz Rummenigge (genannt: „Der Außenminister“)
Reaktionen BLZ
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0:0 zwischen Lazio und Juventus
Birgit Schönau (SZ 5.5.) sah beim 0:0 zwischen Lazio und Juventus den „Besuch der kalten Dame“ in Rom und blickt voraus auf das morgige Champions-League-Halbfinale in Madrid. „Mit der Presse verfährt der Verein der heimlichen Königsfamilie Italiens am liebsten wie mit einem Hofstaat. Wer kritisch berichte, würde ausgeschlossen, klagte ein betroffener Reporter der Tageszeitung La Repubblica. Herrsche und teile, lautet das Motto. Erst seit dem Tod des Avvocato weht ein anderer Wind. Die Juventus, verfügte Gianni Agnellis Bruder Umberto, Juve-Ehrenpräsident und nun auch Chef von Fiat, solle gefälligst „sympathisch erscheinen“. Der Wink wurde als Befehl verstanden. Seine Umsetzung steht noch aus. Der Juve tönt allerorten der gleiche Schlachtruf entgegen: „Stehlen, ihr könnt nur stehlen.“ Moggi wird verdächtigt, die Schiedsrichter fest im Griff zu haben – über das angebliche „psychologische Untertanentum“ der italienischen Referees gegenüber der Alten Dame gibt es sogar ein Gerichtsurteil. Davon, dass zumindest international nach anderen Kriterien gepfiffen werden könnte, lassen sich die Anti-Juventini nicht ohne weiteres überzeugen. In Wirklichkeit hat Juventus in der Champions League einfach nur gehalten, was ihre Marke verspricht: Eine Mannschaft wie aus einem Guss, selbstbewusst, aber nicht arrogant, kämpferisch, aber nicht spielverliebt, und dabei extrem erfolgsorientiert. Wenn es sein muss, können Lippi und Co. auch mal ein torloses Spiel verwalten, wie jetzt gegen Lazio Rom, während Real 1:5 verlor.“
Peter Burghardt (SZ 5.5.) schreibt zur Heimniederlage des Tabellenführers der Primera Division. „Die königlichen Kollegen aus Mallorca sind unverschämte Kerle, das wussten sie bei Real Madrid bereits. Im spanischen Pokal hatten die Insulaner die an guten Tagen beste Mannschaft der Welt in dieser Saison mit 4:0 Toren abgewatscht, und sie waren im November des Jahres 2000 die letzten Gäste gewesen, die im Bernabeu-Stadion ein Ligaspiel gewannen. Mit einer Fortsetzung 914 Tage später allerdings rechnete unter den 75000 Anwesenden kein Mensch, als die Hausherren am Samstagabend nach neun Minuten in Führung gingen: Das Tor schoss wunschgemäß Ronaldo, der 300. Treffer seiner Profikarriere, dabei war er in der vergangenen Woche für ein paar Tage zum Länderspiel in Mexiko gewesen. 1:0 hieß es noch zur Halbzeit, was sollte da groß passieren? Dann begann Teil zwei, und es geschahen äußerst seltsame Dinge. 47. Minute: 1:1 Pandani.51. Minute: 1:2 Riera. 62. Minute: 1:3 Eto’o. 68. Minute: 1:4 Roberto Carlos, Eigentor. 92. Minute: 1:5 Ibagaza. 1:5 – tatsächlich, farbig leuchteten die Zahlen auf der Anzeigetafel. Dermaßen blamiert hatte sich der weiße Mythos zuletzt mit dem gleichen Ergebnis im Dezember 1999 gegen Real Saragossa, doch damals war Trainer John Toshack gerade vom Assistenten Vicente del Bosque abgelöst worden und der Klub auch sonst ein Tollhaus. Der Präsident hieß Lorenzo Sanz und hatte sagenhafte Schulden angehäuft, auf der Gehaltsliste standen weder Luis Figo noch Zinedine Zidane noch Ronaldo, kein Vergleich mit heute also.“
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„Endspiel“
Vor dem heutigen „Endspiel“ in der Premier League analysiert Timm Schröder (FR 16.4.) die Position David Seamans. „Auf einmal waren sie wieder da, die Lobeshymnen auf David Seaman. Es war in der 84. Minute des Pokal-Halbfinales Arsenal London gegen den Zweitligisten Sheffield United, als der Keeper einen Kopfball von Paul Peschisolido von der Linie holte und so seiner Mannschaft den 1:0-Sieg und damit den Einzug ins Finale des FA-Cups sicherte. Eine der besten Paraden seiner Karriere schrieb das Boulevardblatt Sun über die Leistung des Torwarts, und der Guardian machte Seaman gleich zum Retter. Ähnliche Worte fand auch der Independent, der dem 39-Jährigen einen Anflug von Genialität bescheinigte. Dazu passte, dass das Spiel gegen Sheffield Seamans 1000. Einsatz als Profifußballer war. Grund genug also für Lobeshymnen, da waren sich die britischen Zeitungen einig. Und das, obwohl sie Seaman, den Zopfträger, noch vor kurzem aufgefordert hatten, seine Karriere endlich zu beenden. Vielleicht war Seaman auch deshalb nicht recht nach Feiern zumute. Vor dem Spiel gegen Sheffield hatte er gesagt: Man hat mir erzählt, dass ich mein 1000. Spiel als Profi mache. Ich habe nicht nachgezählt. Das sollte bescheiden klingen, es ist aber zu vermuten, dass Seaman seine Worte mit Bedacht gewählt hat. Schließlich wurde ihm seit der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea, als England durch einen Patzer Seamans im Viertelfinalspiel gegen Brasilien aus dem Turnier flog, von der englischen Presse die Hölle heiß gemacht. Der Torwart, der Autogramme mit dem schönen Spitznamen Safe Hands signiert, wusste also, dass er zum Dienstjubiläum keine Ergebenheitsadressen erwarten durfte. Zumal der Fehler bei der WM, als Ronaldinhos Freistoß direkt über Seamans Kopf ins Tor segelte, wahrlich nicht sein erster und einziger war. 1995 etwa, im Uefa-Cup-Finale gegen Real Saragossa, ließ er einen ähnlichen Schuss, knapp hinter der Mittellinie abgegeben, passieren. Es war das Siegtor für die Spanier. Oder jetzt, im EM-Qualifikationsspiel der Briten gegen Mazedonien Ende vergangenen Jahres, da rutschte Seaman ein direkt aufs Tor gezogener Eckball über die Linie. Und weil das Spiel unentschieden endete, ergoss sich die ganze Häme der englischen Sportjournalisten über den Keeper, der 75. Mal für sein Land im Tor stand. Die Boulevardzeitung Daily Mirror machte mit einem Bild von Seamans Handschuhe auf, Überschrift: Zu verkaufen. Im nicht minder zimperlichen Express schrieb Kolumnist Des Kelly: Seaman sollte sich nicht Safe Hands nennen, wenn er Blei in den Beinen hat. Der eher zurückhaltende Guardian brachte eine Liste von Seamans Patzern von 1993 bis heute. Und fragte: David, wann meldest du dich endlich arbeitslos?“
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„Scudetto“ Juves.
Birgit Schönau (SZ 12.5.) berichtet den „scudetto“ Juves. „Es war ein Arbeitssieg, vorbereitet mit langem Atem und eiserner Disziplin. 32 Spieltage lang hatte Juventus Turin die Serie A klar dominiert, gelassen das Straucheln der Konkurrenz registriert, um am Ende sehr unaufgeregt den Meistertitel Nummer 27 einzufahren. Im Alpenstadion spielten sie gegen Perugia, ausgerechnet die Mannschaft, die Juventus, der „Verlobten Italiens“, an einem sehr fatalen Sonntag vor drei Jahren den auch damals sicher gewähnten Sieg abgenommen hatte, zu Gunsten von Lazio Rom. Damals hatten sie in Umbrien gespielt, eine wahre Sintflut hatte sie in die Knie gezwungen, während in Rom die Sonne schien. Noch heute sind die Juve-Spieler davon überzeugt, dass es diese Kombination war, Perugia und der Regen, die ihnen ein umbarmherziges Schicksal gesandt hatte. Am Samstag regnete es im Alpenstadion schon wieder. Aber es war nur ein dünner Regen, wie eine melancholische Begleitmusik, und auf der Bank saß nicht der große Verlierer Carlo Ancelotti, sondern Marcello Lippi, der fleischgewordene Juve- Stahl. Wie so oft durfte die Alte Dame mit einem zweifelhaften Elfmeter den Reigen eröffnen, durch den Schützen Trezeguet. Perugia war besser vor der Pause, und Fabrizio Miccoli schaffte den Ausgleich – ein tolles Tor, das die nervöse Oberlippe des Juventus-Generaldirektors Luciano Moggi zum Fliegen brachte. Miccoli, ein Nationalspieler, wurde von Juventus an Perugia nur ausgeliehen und soll nach dem Sommer zurück zur Alma Mater. „Wir werden ihm die Ohren langziehen für dieses freche Tor“, versprach Moggi, mit einem Haifischgrinsen, als besorge er diese Dinge am liebsten persönlich (…) In der Kabine feierten die Spieler mit – Wasser. Kapitän Alessandro Del Piero versetzte Mitspielern und Managern eine Dusche aus dem Wassereimer, nur Lippi blieb trocken, weil er den Enkelsohn als Schutzschild behalten hatte. Feiern mit Maß hatte der Coach angeordnet, am Mittwoch geht es gegen Real Madrid, im Halbfinal-Rückspiel der Champions League, „und vergesst nicht: Morgen früh ist Training!“ Sie sind sowieso nicht berühmt für ihre Feten. Exzesse wie sie vor Jahren eine Million Roma-Tifosi im Circus Maximus veranstalteten, hat Turin nie gesehen. Auf der Piazza San Carlo versammelten sich einige Hundert und riefen sehr gesittet: „Forza Juve! Um Mitternacht wurden die Bürgersteige hochgeklappt. Del Piero und die Seinen schliefen schon, Kräfte sammeln für den nächsten Arbeitssieg.“
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