Donnerstag, 25. März 2004
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Vater des neuen Realismus
Christian Zaschke (SZ 19.5.) teilt die Skepsis des neuen Nürnberger Trainers in Sachen sportlicher Perspektive. „Die Nürnberger sind seit neuerem Realisten. Sie spielten einfach weiterhin uninspiriert, denn: „Natürlich haben wir alle gewusst, dass wir absteigen“, sagte Stürmer Kai Michalke. Wolfgang Wolf, Vater des neuen Realismus’, beschrieb das Spiel in seiner nüchternen Art: „Klar ist das nicht schön“, sagte er, „für mich war es schwer, wieder Schwung reinzubringen.“ Er ist seit drei Spielen im Amt, drei Mal hat er mit dem Club verloren. Schwieriger noch, als Schwung in die Mannschaft zu bringen, wird es in Nürnberg nun, die Zukunft zu planen. Am 11.Juni geht es für den 1. FC Nürnberg um die Lizenz für die Zweite Liga. Bis zu diesem Datum muss der Verein einen Transferüberschuss von vier Millionen Euro erzielt haben. Fast alle Spieler haben Verträge für die zweite Liga und könnten theoretisch Ablöse bringen. Doch auch hier bricht sich der neue Nürnberger Realismus Bahn: Allein Torhüter Darius Kampa, David Jarolim und Jacek Krzynowek gelten als vermittelbar. Allmählich bemerkt Wolfgang Wolf, wo er da gelandet ist. „Ich habe gedacht, dass hier vieles geregelt ist. Aber so ist es nicht“, sagte er. Nun muss er Aufbauarbeit leisten (…) „Es ist schwer, in solch einer Situation Optimismus auszustrahlen“, seufzte Wolf. Er ahnt bereits, was ihm droht. Zum Abschied aus der Bundesliga stellt das Schicksal den Nürnbergern eine besondere Demütigung in Aussicht. Vor zweieinhalb Wochen hatte der Club sich von Trainer Klaus Augenthaler getrennt. Damals lagen die Franken lediglich einen Punkt hinter Leverkusen zurück. Dann kam Wolf, und mit ihm kamen drei Niederlagen. Nun kann Leverkusen mit seinem neuen Trainer Augenthaler den Klassenerhalt in Nürnberg perfekt machen. Augenthaler hat bereits erste Scherze gemacht: Er werde vielleicht aus Versehen in die falsche Kabine gehen, die Partie sei ja für ihn ein Heimspiel. Seine Genugtuung wird groß sein, verständlicherweise, und sie wird den Nürnberger Schmerz noch vergrößern.“
siehe auch Portrait Michael A. Roth
Markus Schäflein (SZ 19.5.) skizziert fränkische Rivalität. „Die Nürnberger Bürger definieren ihre Identität maßgeblich, indem sie sich von den Einwohnern der Nachbarstadt Fürth abgrenzen. Das Selbstwertgefühl der Nürnberger Bürger drohte daher erheblichen Schaden zu nehmen, denn während der 1. FC Nürnberg in die Zweite Liga absteigt, befand sich Fürth auf dem Weg in die Erste Bundesliga. Nach dem 2:2 gegen Burghausen haben die Fürther vor dem letzten Spieltag aber zwei Punkte Rückstand auf Eintracht Frankfurt und Mainz. Damit bleiben die Rollen im Nachbarschaftsstreit vorerst verteilt: Die Nürnberger fühlen sich auf allen Gebieten von den Fürthern verfolgt, bleiben letztlich dennoch immer Sieger und sind dann stolz darauf. Als vor zwei Jahren eine große Bratwurst-Fabrik von Nürnberg nach Fürth umziehen wollte, titelte eine Boulevardzeitung: „Allmächd! Fürth bald Bratwürstl-Hauptstadt?“ So steigert man in Nürnberg die Auflage. Fürth wurde natürlich nicht Bratwurst-Hauptstadt. Der kleine Nachbar konnte Nürnberg selten in irgend einer Disziplin übertreffen. Auch im Fußball ist es lange her. Bis zur Fusion mit Vestenbergsgreuth befand sich die SpVgg Fürth in der Amateurliga, die Rivalität zum Bundesliga-Verein aus Nürnberg blieb dennoch. Sie hatte ihren Höhepunkt in den zwanziger Jahren erlebt, als die beiden Vereine den deutschen Fußball dominierten. Damals standen in einem Länderspiel nur Spieler aus Nürnberg und aus Fürth im Aufgebot. Sie verachteten sich gegenseitig so sehr, dass sie in getrennten Zügen anreisten. Und der Fürther Hans Sutor wurde von seinen Mitspielern verstoßen, weil er eine Nürnbergerin geheiratet hatte. In den vergangenen Wochen trieb die alte Rivalität wieder seltsame Blüten. Der Fürther Vizepräsident Edgar Burkart hatte die Nürnberger in geselliger Runde als „rote Lumpen“ bezeichnet. Anhänger des 1. FC Nürnberg schickten ihm daraufhin Faxe und e-mails mit wüsten Beschimpfungen und Drohungen. Burkart fand: „Es war alles im Rahmen der legitimen Hassliebe.“ Gegen Burghausen hatten sich etliche Nürnberger Anhänger im Gästeblock versammelt, um die wenigen Burghausener Fans zu unterstützen.“
Uwe Ritzer (SZ 17.5.) bemerkt dazu. „Bescheiden und familiär gibt sie sich, diese Spielvereinigung Greuther Fürth, die mit dem Match gegen den FC Bayern ihren 100.Geburtstag zelebrierte. Wer am Tag des Spiels die Internet-Homepage des Vereins anklickte, fand zunächst nicht etwa einen Hinweis auf das Jubiläumsspiel, sondern einen Jubeltext auf die Volleyball-Abteilung für deren Erfolge beim Bezirkspokal. Und wer sich mit Edgar Burkart unterhält, dem Vizepräsidentender SpVgg, der erfährt etwas über Fürther Stammtischgebräuche. „So alle zwei Wochen“ rücken demnach Präsidiumsmitglieder mit Trainer, Masseur, Platz- , und Zeugwart in den Stadionkatakomben ein paar Tische zusammen „und dann spendiert mal jemand eine fränkische Brotzeit oder der Trainer bringt französischen Käse mit.“ Edgar Burkart ist ein Faktotum. Der schwergewichtige 59-Jährige lebt die Tradition der Spielvereinigung. Man könnte ihm stundenlang zuhören, wenn er in betulichem Fränkisch Anekdote um Anekdote aus der Vereinsgeschichte erzählt. Beispielsweise wie er als Bub zum ersten Mal in den Ronhof kam und ihn da „irgendwas gepackt“ habe. Als wäre er dabeigesessen, berichtet er von jener Nationalmannschaft in den zwanziger Jahren, die zur einen Hälfte aus Fürther Spielern bestand und zur anderen aus Nürnbergern. Und weil sie sich gehasst haben, sind die Spieler in getrennten Zugabteilen zum Länderspiel gefahren. Als sich kein anderer für das Amt zur Verfügung stellen wollte, wurde Burkart sogar Präsident. Als solcher fädelte er 1996 die Fusion mit dem TSV Vestenbergsgreuth mit ein. „Drebberla für Drebberla“ (Treppchen für Treppchen), sei es seither nach oben gegangen, sagt Burkart, der sich nun vor der „Erfüllung meines Lebenstraumes“ sieht: „Amol im Lebn erstklassig sei und der Nembercher Glubb spielt blouß in der zweiten Liga.“
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Rausch in Holland
Rausch in Holland – Spanien erwärmt sich am Sieg in Norwegen – Türkei am Boden, die Presse schimpft – Lettland jubelt (mehr …)
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Die würden gerne mal zusammen Fußball machen
Vorteil für Werder in mehrfacher Hinsicht, teilt Dirk Susen (SZ 19.5.) mit. „Micoud, ausgerechnet Johan Micoud. „Er war der Unterschied“, sagt Marc Wilmots vor der Kabine, „er hat das Spiel für Werder gewonnen.“ Dann kommt eben jener Micoud vorbei, ein wenig auf der Flucht vor den Journalisten, die so viel von ihm wissen wollen und so wenig von dem verstehen, was Micoud im Stakkato des Südfranzosen von sich gibt. Doch Marc Wilmots, der Belgier, versteht es. Daraus wird ein temperamentvoller small- talk im Kabinengang, schließlich umarmen sich beide. Die Zuhörer haben nichts verstanden, aber begriffen: Die mögen sich, die würden gerne mal zusammen Fußball machen. Doch daraus wird ja nun nichts. Marc Wilmots wird lieber Politiker als Trainer zu bleiben, Johan Micoud bleibt lieber Bremer als Schalker zu werden. Rudi Assauer hat es versucht, hat ganz gegen die Gepflogenheiten hinter dem Rücken der Bremer Freunde die Angel nach Micoud ausgeworfen. Die reagierten sauer und sitzen ohnehin seit Sonnabend nun auf dem hohen Ross: „Micoud, der ist für Schalke sowieso unbezahlbar“, sagt Werders Manager Klaus Allofs (…) Der 30-jährige Micoud aus dem südfranzösischen Cannes, den Allofs vor knapp einem Jahr ablösefrei aus Parma holte, ist jener Führungsspieler, der Schalke in dieser Saison fehlt. Doch ohne Chef auf dem Platz funktioniert es nun mal nicht, schon wegen der Disziplin. „Wir haben den Uefa-Cup wegen unserer Disziplinlosigkeiten verpasst“, sagt Rudi Assauer und rechnet vor: „Neun überflüssige rote Karten, das hat uns neun Punkte gekostet.“ Kann man so rechnen?“
Ob Daum oder der Natz von Dülmen im Sportstudio sitzt, interessiert mich nicht (Rudi Assauer auf die Frage. Ob er sich das ZDF-Sportstudio ansehen werde, wo Christoph Daum eingeladen war)
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„Bayern enteiert!“ (Bild)
Bayern tun gut daran, keine Zeitung zu lesen „Bayern enteiert!“ (Bild), „Die großen Bayern werden zu kleinen Nummern“ (FAZ) – Stuttgarter brauchen die Lektüre nicht zu scheuen, denn „jetzt stehen sich Stuttgart und Manchester United auf Augenhöhe gegenüber“ (SZ) – verkrampfte Suche nach einem Synonym für Trainer (mehr …)
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Vierzigste Bundesligasaison
Zum Abschluss einer „spannungsfreien und sonst ziemlich handlungsarmen vierzigsten Bundesligasaison“ (FAZ) durfte die Fußballnation nicht einmal ihre Schadenfreude ausleben. Bayer Leverkusen hat sie mit dem finalen 1:0-Sieg bei Absteiger Nürnberg davor bewahrt; und sich selbst vor dem Abstieg. Gegenüber dem traditionslosen Werksklub – und das ist die Erkenntnis dieser Spielzeit – herrscht in Stadionkurven nämlich keineswegs Gleichgültigkeit, wie das noch vor Jahren üblich war. Mit wem man in den letzten Wochen auch sprach: Auf einen Abstieg des Serienzweiten der Vorsaison setzte ein Großteil der Fußballfans große Hoffnung. Insbesondere die Anhänger des FC Bayern schienen Bayer wohl krumm zu nehmen, dass sie ihrem Klub die Rolle des Vorzeigeklubs auf internationaler Bühne auf eine solch imposante und hierzulande lange nicht da gewesene Weise streitig gemacht hatten. Immerhin belegt der Spott, dem Calmund Co ausgesetzt sind („Ihr werdet nie Deutscher Meister!“ wurde nun durch andere Gemeinheiten ersetzt) und dessen Klimax am Wochenende ausbleiben musste, dass Bayer Leverkusen zu den Großen der Liga zählt. Auch eine Form der Anerkennung. Mitleid gilt schließlich nur dem Underdog, und Dankbarkeit – zum Beispiel für den Löwenanteil am viel bejubelten deutschen WM-Erfolg in Fernost – ist unter Fußballfans keine übliche Kommunikationskategorie.
Zum Glück vieler treuer Anhänger, die seit den glorreichen Siebzigern übers ganze Land verstreut sind, konnte sich auch Lokalrivale Borussia Mönchengladbach durch ein 4:1 über die ambitionierten Bremer retten. Auch in Deutschlands Sportredaktionen freut man sich über „die große Mönchengladbacher Koalition der Gefühle“, wie die FAZ die Stimmung auf dem Bökelberg beschreibt, nachdem Coach Ewald Lienen in den Armen seines Vorgängers Hans Meyer lag. Überschattet wurde der Erfolg – allerdings nicht die Berichterstattung – von einem Foul (Marcelo Pletsch am Bremer Markus Daun), dessen Brutalität der langjährige Augenzeuge der Bundesliga nicht gewohnt ist. Statt Bayer oder Gladbach erwischte es mit Arminia Bielefeld die „Paternoster-Elf der Liga“, witzelt die FAZ. In Ostwestfalen wertet man den sechsten Abstieg der Vereinshistorie „eher als Normalfall denn als Apokalypse“ (taz): „wie schlechtes Wetter, famos emotionslos, achselzuckend, ja fast gelangweilt“ (FTD).
Jahr der Desillusionierung
Michael Horeni (FAZ 26.5.) kommentiert. „Es paßte zum Jahr der Desillusionierung im zu Ende gehenden Traumtheater des Fernsehfußballs, daß diese Rolle auf einem Nebenschauplatz ein Darsteller von gestern ausfüllte. Als die Mönchengladbacher Spieler ihren während der Saison entlassenen Trainer Meyer nach geglücktem Klassenverbleib von der Tribüne in den Mittelpunkt rückten – und Lienen dem Anteil seines Vorgängers selbstlos den gebührenden Platz zuerkannte – und die Zuschauer beide Fußballehrer für ihr Gemeinschaftswerk hochleben ließen, umwehte den Bökelberg ein Hauch von nostalgischem Gefühlskino und Zukunftshoffnung: daß eine große Koalition im Land der Selbstdarsteller tatsächlich den Weg aus der Krise finden kann. Ansonsten aber herrschten im Reich der Alleinunterhalter auch bei den anderen Siegern des letzten Spieltags weiter die alten Regeln. Der Leverkusener Volksschauspieler Calmund hatte nach einer Saison, die Bayer an den Rand der Zweitklassigkeit geführt hatte, noch die Chuzpe, sich auf einer Ehrenrunde feiern zu lassen. Ganz so, als wäre er in dieser Saison die Lösung des Bayer-Problems gewesen – und nicht einer seiner Gründe (…) Immerhin rundete diese Krise auch die rundum schönste Erfolgsgeschichte des Jahres: der Aufstieg des VfB Stuttgart von einem Klub in Existenznot in die Champions League. Doch auch dieses Gemeinschaftswerk geriet nach dem glücklichen Ende immer mehr zu einem Soloauftritt. Der für seine erstklassige Aufbauarbeit von den Spielern gefeierte Trainer Magath verstand es, die Gelegenheit zu nutzen, daß an dem großen Tag des VfB vornehmlich über seine Zukunft diskutiert wurde – und nicht über die Perspektive des Klubs oder die Verdienste von Spielern wie Balakow oder Kuranyi. Der Horizont im Ländle der Himmelsstürmer reduzierte sich auf die kleinmütige personalpolitische Frage Magath: Stuttgart oder Schalke?“
In punkto Kapitalvernichtung hat sich die Liga unter Europas Besten festgesetzt
Thomas Kistner (SZ 26.5.) zieht enttäuscht Bilanz. „Schwer fällt es, sich überhaupt ein paar Auftritte mit Niveau ins Gedächtnis zu rufen. Wie auch: Der Meisterschafts-, Pokal- und Champions-League-Zweite Leverkusen entging um Haaresbreite dem Abstieg, Vorjahres-Meister Dortmund vergeigte im letzten Heimspiel gegen die längst abgestiegenen Söldner von Cottbus die direkte Qualifikation. Parallel dazu fanden Europas Klubwettbewerbe ab dem Viertelfinale ohne deutsche Beteiligung statt. Und der FC Bayern, Maß aller Dinge in dieser Bundesliga? Hatte sich in der Champions League als Prügelknabe herumreichen und nach sechs Vorrundenspielen pensionieren lassen: Viermal verloren, zweimal unentschieden. Man kann die Gesamtbilanz auch in die Zukunft drehen und sagen, hier wurde einfach schon mal die Leistung abgeliefert, die demnächst sowieso mit wesentlich weniger Geld belohnt werden wird. So macht das Defizit an Entertainment letztlich Sinn – doch gemach, das richtige Spiel geht ja erst los. Tricks und Drehs sind in den nächsten Wochen zu bestaunen, wenn sich die Liga am Grünen Tisch für dürre Zeiten wappnen muss. Auf rund 442 Millionen Euro beläuft sich der Verschuldungsstand der Branche – endlich mal ein Resultat, das dem Betrachter wirklich den Atem raubt. In punkto Kapitalvernichtung hat sich die Liga unter Europas Besten festgesetzt.“
Die wahre Leidenschaft ist zur Ware verkommen
Axel Kintzinger (FTD 26.5.) erkennt „fußballerische Depression“. „Sollte der Zustand dieses wunderschönen Sports also wieder einmal dem von Politik und Wirtschaft in diesem Land entsprechen? Kann sein, allerdings ist das Leiden nicht neu und gehört zum Fußball vielleicht ja sogar dazu. „Ich bin nicht mehr als ein Bettler um guten Fußball“, seufzte schon vor Jahren Eduardo Galeano aus Uruguay, ein bedeutender politischer Autor Südamerikas. „So gehe ich durch die Welt, den Hut in der Hand, und in den Stadien bitte ich: ,Nur einen schönen Spielzug, Gott vergelt’s.‘“ In den Stadien der Bundesliga, von denen viele nun ganz schick geworden sind, Soundso-Arena heißen und meistens sogar gut gefüllt sind, wäre Galeano dieses Jahr verhungert. Lachshäppchen in den Logen machen eben nicht satt, wenn die Kunst auf dem Rasen brotlos bleibt. Dem Spiel scheint der Spaß abhanden gekommen zu sein, die wahre Leidenschaft ist zur Ware verkommen. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Aber selten war sie so offensichtlich wie in dieser Saison.“
Aus den Treuesten der Treuen ist eine solide Mehrheit geworden
Dahingegen bemerkt Philipp Selldorf (SZ 26.5.). „Im Jahr 2003 hat sich die Liga modernen Bedürfnissen geöffnet. Es gibt Pizza und Döner, man sitzt bequem – im Winter unter Heizstrahlern – und schaut hübschen Mädchen in knappen Kostümen zu, die in der Pause artistisch eine Pyramide türmen. Das Stadion ist nun keine aufgemöbelte Kampfbahn mehr, sondern eine richtige Arena. Doch der Fußball ist, wie er war, auch wenn die Spieler jetzt Amoroso, Hashemian oder Reghecampf heißen. Vielleicht ist er schneller und technisch besser geworden, aber daraus allein entsteht kein Spektakel, und am Ende steigen immer noch Nürnberg und Bielefeld ab und gewinnt wieder Bayern München die Meisterschaft. Und trotzdem war die Bundesliga nie so wertvoll wie heute. 401.249 Zuschauer kamen am Samstag zu den neun Spielen, zehn Millionen im Laufe des Jahres – zwei Rekorde, die bloß eine Saison halten werden. Dank der Aufsteiger Frankfurt, Köln und Freiburg steht schon die nächste Steigerung bevor. Aus den Treuesten der Treuen ist eine solide Mehrheit geworden.“
Wortmüll
Gerd Schneider (FAZ 26.5.) ist zuzustimmen. „Der Mensch ist eine Gewohnheitstier. Und deshalb tut der verbale Flachsinn, der vor allem im Fußball flächendeckend Einzug gehalten hat, nicht einmal mehr sonderlich weh: Daß es zum Beispiel keine gewöhnlichen Niederlagen mehr gibt, sondern nur noch Pleiten. Oder daß jeder Mißerfolg gleich zu einer sportlichen Katastrophe erklärt wird. Oder daß Trainer, die zum Leistungsprinzip stehen, fortan Quälix genannt werden und noch froh sein müssen, wenn sie nach zwei Niederlagen nicht als Auslaufmodell abgestempelt werden. Am Samstag aber war, trotz aller Abstumpfung, die Schmerzgrenze überschritten. Ein Reporter des Fernsehsenders Sat.1 sagte in der Fußball-Sendung ran folgenden Satz: Bayer-Manager Calmund habe am Ende einiges richtig gemacht, er habe Augenthaler verpflichtet und – Thomas Hörster entsorgt. Ein besonders schwerer Fall von rohem Spiel. Für diesen Wortmüll hätte der Reporter die Gelbe Karte verdient. Mindestens.“
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Themen
Themen: Interessenkonflikt zwischen DFB und Nationalspielern um Vermarktung – Edgar Davids wird vermutlich Juve verlassen – Eintracht Frankfurt profitiert von einer Computer-Spielanalyse – Winnie Schäfers Position in Kamerun ist gefestigt u.a.
SpOn-Interview mit Rudi Völler nach dem Sieg über Schottland
mehr zum Spiel: morgen an dieser Stelle
Der endgültige Verfall der guten Sitten
Jörg Marwedel (SZ 11.9.) beschreibt die Diskussion über das Sponsoring des DFB, der die laufenden Verträge mit seinen Partnern verlängert hat. „Kaum war die Tinte unter der Vereinbarung getrocknet, die auch die Prominenz wie Ballack und Kahn „um des lieben Friedens willen“ abzeichnete, formierte sich schon eine Gruppe von Nationalspielern und ihren Beratern, die es, so ein Vertreter des konspirativen Zirkels, „zum letzten Mal hingenommen haben“, dass die Politik des DFB die Spieler „massiv Kohle kostet“. Es gebe „erheblichen Gesprächsbedarf“, und dafür werde man sich „ganz anders aufstellen als bisher“. Zentrales Thema ist der Vertrag mit dem Sportartikel-Hersteller adidas. Der Vorwurf gegen die Funktionäre aus der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise: Sie hätten die seit 56 Jahren bestehende Liaison „ohne Not“ frühzeitig bis 2010 verlängert – zu „nicht annähernd marktgerechten Konditionen“. Angeblich erhält der DFB für die umfassende Kooperation auch nach 2006 lediglich drei Millionen Euro pro Jahr. Auch wenn es ein wenig mehr sein sollte, liegt das Volumen weit unter jenen Summen, die adidas in Partnerschaften mit Real Madrid, dem AC Mailand oder dem FC Bayern investiert. So bleibt tatsächlich rätselhaft, weshalb Verhandlungen mit dem adidas-Konkurrenten Nike ziemlich abrupt abgebrochen wurden. Immerhin hätte ein Kontrakt mit dem US-Konzern rund 100 Millionen Euro für fünf Jahre in die Kassen des Verbandes und der Spieler gespült (…) Die Profis sind angetreten, um nach gescheiterten Versuchen eines der letzten Monopole im Weltfußball zu kippen und eine Praxis durchzusetzen, die in anderen Ländern Usus ist. Italiens Star Totti kickt in Nike-Tretern, obwohl Puma offizieller Ausrüster der Squadra Azzurra ist. Leverkusens Weltmeister Lúcio spielt für Brasilien in adidas. In Frankreich fiel das adidas-Monopol 1998, als die Stars des späteren Weltmeisters mit Streik drohten, falls ihnen das Recht auf die eigene Marke verwehrt würde. Tatsächlich würde schon die Aufhebung der Lex adidas den Nationalspielern mit individuellen Schuhverträgen ein Vielfaches ihres Honorars bringen. Christoph Metzelder etwa erhielte statt 150 000 Euro jährlich geschätzte 500 000 Euro, dürfte er auch im DFB-Dress in Schuhen seines Vertragspartners Nike auflaufen. Ähnlich verhielte es sich bei einem halben Dutzend weiterer Nationalelf-Kollegen. Für Mayer-Vorfelder wäre das wohl der endgültige Verfall der guten Sitten.“
Bei Juventus gibt es Stars, keine Allüren
Birgit Schönau (SZ 11.9.) meldet den bevorstehenden Abschied Davids´ aus Turin. „Edgar Davids ist kein Mann der großen Worte. „Zwischen dem Klub und mir gibt es Spannungen“, sagte Davids, das klang schon sehr nach Gewitter. Das Juve-Management, verärgert über die nicht autorisierte Erklärung, wiegelte ab. Damit ihre Spieler nicht wild in der Gegend herumquatschen, haben die Führungskräfte der „Alten Dame“ eigens eine Kommunikationsberaterin engagiert, die das kickende Personal für die Einsätze vor dem Mikrofon trainiert. Davids aber lästerte ungerührt weiter: „Mit der Mannschaft habe ich kein Problem, aber mit den Managern würde ich noch nicht einmal einen Kaffee trinken gehen.“ Die würden ihn vermutlich auch nicht mehr dazu einladen. Solche Frechheiten mag man gar nicht bei Juve, und deshalb hat Edgar Davids, 30, beim italienischen Rekordmeister jetzt wirklich ein Problem. Ausgerechnet Davids, der nimmermüde Motor des Mittelfeldes, „der Mann, der die ganze Mannschaft schultern kann“ („Lexikon der Großen Juventus“), Davids, der läuft und kämpft und rackert, der hart austeilen kann und zäh einstecken. Seit 1997 hat der Niederländer 154 Mal für Juventus gespielt, hat drei Meistertitel gewonnen, war maßgeblich am Einzug ins Finale 2003 der Champions League beteiligt. Um Davids drehte sich die Juve, wenn er – etwa wegen seiner zahlreichen Sperren – einmal nicht bei der Partie war, bemerkte man ihn noch mehr. Soweit Edgar Davids auf dem Platz. Aber das hat bei Juventus Turin noch nie gereicht. Da Juve – also Juve-tauglich zu sein – bedeutet, besondere Charaktereigenschaften aufzuweisen, ohne die man im Klub nicht lange überleben kann. Selbstbeherrschung, Verschwiegenheit, unbedingte Loyalität zu Trainer, Führung und der Familie Agnelli. Keine Kaprizen, keine Extrawürste, keine Sonderwege. Bei Juventus gibt es Stars, aber keine Allüren. Noch heute erzählt man sich, wie der alte Avvocato Agnelli einst Madame Platini einen Rosenstrauß schickte, wie um die Einmaligkeit solcher Galanterie zu unterstreichen. Wer bockt, wird zurückgepfiffen oder weggeschickt.“
„Eintracht Frankfurt verdankt den Bundesliga-Aufstieg auch der Spielanalyse mit moderner Computertechnik“, schreibt Daniel Theweleit (FR 11.9.). „Karl-Heinz Körbel wird fast leidenschaftlich, wenn er vom Spiel der Frankfurter Eintracht bei Rot-Weiß Oberhausen aus der vergangenen Saison erzählt. Es war der vorletzte Spieltag, ein Sieg war unbedingt nötig, um die Aufstiegschance zu wahren, und Dino Toppmöller gelangen schon in der Anfangsphase zwei Treffer zum 2:0-Sieg. Körbel aber jubelte nicht nur über die drei Punkte und den Sprung auf einen Aufstiegsplatz, er freute sich besonders über das Zustandekommen der Treffer. Als die Tore gefallen sind, da sind wir auf der Tribüne aufgesprungen, und haben uns gesagt: Das sind auch unsere Tore, erzählt der Scout der Frankfurter, der gemeinsam mit Thomas Zampach und Ralf Weber für Spielbeobachtungen und -analysen zuständig ist. Uns war aufgefallen, dass die Oberhausener bei Standardsituationen immer den kurzen Pfosten freilassen, das haben wir an Trainer Willi Reimann weitergegeben und Toppmöller hat seine beiden Tore genau so gemacht, sagt der 48-Jährige nicht ohne Stolz, und dankt damit auch einem technischen Hilfsmittel, das vielleicht zu den entscheidenden Details gehört, die den Frankfurtern zu ihrem winzigen Vorsprung verhalfen. Denn die Eintracht gehört zu jenen Klubs im deutschen Profifußball, die ihre Spielanalysen mit einem speziellen in Norwegen entwickelten Computersystem erstellen. MasterCoach heißt das Unternehmen, das seine deutsche Dependance in Düsseldorf hat. Per Mausklick lassen sich einzelne Spielszenen bestimmten Kategorien zuordnen. Je nach Wunsch des Cheftrainers können dann ohne Zeitverzögerung alle Ecken oder Freistöße des nächsten Gegners abgerufen werden, oder alle Ballverluste der eigenen Mannschaft, die zu gegnerischen Torchancen geführt haben. Ohne Spulen können sofort alle Ballgewinne in einem bestimmten Spielfeldsektor gezeigt werden oder die gewonnen Zweikämpfe eines bestimmten Spielers. Als Karl-Heinz Körbel in Frankfurt als Talentscout anfing soll er gesagt haben: Ich hatte gedacht, dass die Eintracht sich schon etwas aufgebaut hat, ich war richtig erschrocken: Die hatten nur das Kicker-Sonderheft.“
Peter Heß (FAZ 11.9.) weiß Winnie Schäfer fest in Kameruns Sattel. “Daß Schäfer nach dem Scheitern in der WM-Vorrunde 2002 in Japan an Deutschland überhaupt noch die kamerunische Nationalmannschaft trainieren darf, zählt zu den Fußball-Wundern. Der afrikanische Landesverband erlangte eine traurige Berühmtheit für seine Ungeduld mit den wenig Erfolgreichen. Bevor Schäfer kam, verschliß Kamerun vier Trainer in einem Jahr. Der Chef und sein Assistent, Landsmann Stefan Mücke, durften schließlich bleiben, weil die Fehler des Verbandes in der Vorbereitung offensichtlich so groß waren, daß ihnen die größere Schuld am frühen Ausscheiden gegeben wurde. Weil der Verband versprochene Prämien nicht gezahlt hatte, streikten die Spieler und konnten erst mit Verspätung zur Abreise nach Japan bewegt werden. Der Flug währte dann 40 Stunden inklusive mehrerer Zwischenlandungen. Daraufhin erhielt der Manager der Nationalelf einen Vorgesetzten, und zwei kamerunische Co-Trainer wurden ausgewechselt. Damit waren es genug der Bauernopfer. Andre Nlend Nyuidjol, Manager der Nationalelf und Schäfers engste Bezugsperson, verspricht: So etwas wie vor der WM 2002 wird nie wieder geschehen. Er glaubt, daß sein Verband nun verstanden hat, daß es keine Alternative gibt, als den Wünschen des Trainers zu folgen. Wir haben keine andere Wahl, als zu tun, was Winni Schäfer für richtig hält. Mittlerweile steht wieder das ganze Land hinter den deutschen Trainern. Beim Confederation Cup schlugen die unbezähmbaren Löwen, wie die Kameruner Spieler sich nennen, Weltmeister Brasilien, und die Niederlage im Elfmeterschießen des Finales gegen Frankreich wurde als ehrenvoll empfunden.“
Andreas Hoffbauer (Handelsblatt 10.9.) analysiert die wirtschaftlichen Folgen für Manchester United, nachdem Vorstandsvorsitzender Peter Keyton von Konkurrent FC Chelsea abgeworben wurde. „Für den Verein, der sportlich und wirtschaftlich erfolgreichste in England, ist der Verlust von Kenyon ein Schock. Nach dem Weggang von Top-Spieler David Beckham verliert Manchester nun den Manager, der „ManU“ zur weltweiten Marke mit 53 Millionen Fans aufgebaut hat. In einer eilig einberufenen Nachtsitzung wurde der Stellvertreter David Gill als neuer ManU-Boss berufen. Abramowitsch hatte den FC Chelsea im Juli in einer ebenfalls spektakulären Aktion übernommen. Nun hat der angeblich zweitreichste Mann Russlands dem eingefleischten Manchester-Fan Kenyon ein unwiderstehliches Angebot gemacht. Dessen Jahresgehalt als Clubchef soll sich bei Chelsea auf mehr als 1 Mill. £ (1,4 Mill. Euro) fast verdoppeln. Im Vergleich zur bisherigen Einkaufstour von Chelsea ist der Betrag aber eher bescheiden: In den vergangenen zwei Monaten hat Abramowitsch für seinen Club Spieler im Wert von 158 Mill. Euro gekauft (…) Manchester United ist einer der wenigen schuldenfreien Vereine und macht seit Jahren Gewinn. Wenn der Verein Ende September seine Bilanz vorlegt, erwarten Analysten erneut einen Umsatzrekord nach 146 Mill. £ im Vorjahr. Der Aktienkurs des dreimaligen Meisters ist in den vergangenen zwölf Monaten von 100 auf bis 170 Pence gestiegen, der Wert des Vereins liegt bei rund 616 Mill. Euro. Allerdings wurde der ManU-Kurs dieses Jahr vor allem durch Übernahmespekulationen getrieben. Die Aktien sind weit gestreut, angeblich planen einige Investoren eine Übernahme. Diese Spekulation könnten wieder Aufwind bekommen. Vor drei Jahren war ManU an der Börse das Dreifache wert. Der Wechsel an der Vereinsspitze wird nach Ansicht von Analysten keinen dauerhaften Kursschaden anrichten.“
NZZ-Spielbericht Russland – Schweiz (4:1)
NZZ-SpielberichtSerbien / Montenegro – Italien (1:1)
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Legale und unanständige Steuerpraxis in Dortmund – gute Stimmung bei 1860 München
Anständiges Geschäftsgebaren sieht anders aus
Thomas Kistner (SZ 17.9.) rügt die Steuerpraxis von einigen Bundesligavereinen – etwa Borussia Dortmund. „Die Frage, ob Arbeitsleistungen wie das EM-Qualifikationsspiel der deutschen Nationalelf in Island, das Teamchef Völler zum Rundumschlag gegen Neider und Kritikaster ermutigte, wegen des späten Samstag-Abend-Termins nicht dringend steuerlich günstiger zu behandeln sind, wäre vielleicht zu boshaft. Grundsätzlich aber gilt es durchaus zu klären, wie es um die Bodenhaftung in der Balltreterbranche bestellt ist. Die Antwort: Partiell besorgniserregend. Dieser Auffassung sind nun nicht nur dem Fußball zugewandte Politiker aller Couleur, sondern auch wichtige Vertreter der Profibranche selbst. Man muss also nicht gleich von Futterneid oder arglistiger Fantasie getrieben sein, um die Nutzung von Nacht- und Feiertagszuschlägen für Bundesligaspieler als Missbrauch von Steuervorteilen zu begreifen. Als dreisten Zugriff auf Vergünstigen, die ja erkennbar für schlechter Verdienende gemacht worden sind. Juristisch, wohlgemerkt, ist diese Steuerpraxis nicht anfechtbar, anständiges Geschäftsgebaren sieht anders aus. Wenn nun Millionenjongleure wie der Dortmunder Manager Michael Meier Grund- und Verfassungsrechte zitieren, um daraus die hohe Notwendigkeit einer finanziellen Gleichbehandlung von Fußballstars mit Krankenschwestern, Busfahrern und Fließbandarbeitern abzuleiten, ist das nur grotesk. Selbst Meiers Münchner Kollege Uli Hoeneß findet, derlei Steuervergünstigungen passten „nicht in die Landschaft bei unseren Millionengehältern“, dem wäre nichts hinzuzufügen.“
Größte Schweinerei, die es gibt
Die SZ (17. 9.) informiert über Hintergründe. „Groß ist die Aufregung in den Volksparteien, von SPD bis zur Union, über verwegene Steuerpraktiken in der Fußball-Bundesliga. Borussia Dortmund zahlt seinen Spielern einen Teil der Gehälter als Feiertags- und Nachtzuschläge, das bestätigt BVB-Manager Michael Meier. Auch Bernd Hoffmann, Vorstandschef des Hamburger SV und Werder Bremens Sportdirektor Klaus Allofs finden großen Gefallen an der Steuerlücke. „Wir befassen uns seit Jahresanfang damit“, sagt Allofs, „haben es aber noch nicht umgesetzt. Es ist geltendes Gesetz. Wenn andere Klubs den Paragrafen nutzen, wir aber nicht, entsteht uns ein Wettbewerbsnachteil. Jetzt den moralischen Zeigefinger zu erheben, ist verwunderlich, im Eishockey und Basketball werden die Möglichkeiten des Paragrafen 3b längst genutzt. Niemand hat sich aufgeregt.“ Vielleicht liegt das daran, dass es bisher kaum jemand wusste. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) jedenfalls hält das Sparmodell für den „eklatanten Missbrauch einer Regelung, die für hart arbeitende Bürgerinnen und Bürger geschaffen wurde“; auch sein rheinland-pfälzischer Amtskollege Kurt Beck (SPD) schimpft: „Ich kann Bundesliga-Manager und Spieler-Millionäre nur dringend ermahnen, die Verbindung zu den normalen Menschen nicht völlig zu verlieren. Nacht- und Feiertagszuschläge stehen den Menschen zu, die wirklich hart arbeiten müssen.“ Den Dortmunder Manager haben die Politiker-Reaktionen entsetzt. Meier hält sie für „populistisch“; den Vorwurf unmoralischen Verhaltens, der aus den Kritiken ja deutlich herauszuhören ist, empfindet er schlicht als „größte Schweinerei, die es gibt“.“
Sympathische, dynamische Marke
Gerald Kleffmann (SZ 17.9.) befasst sich mit der Vereinsführung von 1860 München, die die Euphorie im Umfeld zu einer Imagepolitur nutzt. „Die Folgen des gelungenen Saisonstarts sind unübersehbar. Die Basis der Anhänger ist beschwingt wie nach einem Sektempfang, und die Spieler wirken während ihrer Übungen so, als genießen sie reichlich die Sonnenseite ihres Berufes, die sie gerade durchleben. Es wird gefeixt, es wird gelacht, und nach dem Training sind die Profis für Fans und Journalisten ansprechbar wie der Nachbar im Haus nebenan. Erfolg macht eben locker, besonders schön ließ sich das am Montagabend begutachten, im Fernsehsender des Bayerischen Rundfunks. Andreas Görlitz gab seine Premiere in Blickpunkt Sport, für einen wie ihn, der vor wenigen Monaten nur Branchenexperten bekannt war, eine wahrhaft große Aufgabe. Natürlich meisterte sie der junge Görlitz, sogar mit Bravour. Sympathisch, entspannt, bodenständig sei er rübergekommen, meinten Löwen-Anhänger tags darauf an der Grünwalder Straße. Vor allem dass Görlitz mit einem 1860-Retro-Trikot aus den sechziger Jahren erschien, schindete bei manchen Fans Eindruck. An Auftritte wie den von Görlitz wird man sich in Zukunft gewöhnen müssen, denn 1860 hat ein neues Marketing-Potenzial entdeckt: sich selbst. „Wir, die Löwen, wollen uns stärker als Branding präsentieren“, sagt Pressesprecher Dirk Grosse und erklärt, wie er das meint. 1860 solle in der Öffentlichkeit wieder als sympathische, dynamische Marke wahrgenommen werden, als ein Klub, auf den Mitglieder, Fans und Anhänger stolz sein können; das Image von der grauen Maus nervt schließlich lange genug. In der Wirtschaftssprache wird dieser Zustand als Corporate Identity bezeichnet, als ein gemeinsamer, Identität stiftender Unternehmensgeist – ein Ausdruck, der den 1860-Verantwortlichen gefällt. Das Ziel lautet daher: Die Profis sollen diesen Unternehmensgeist mehr als zuvor verinnerlichen. Und, vor allem, auch ausstrahlen.“
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Bayers Klage über Sat1 – Beinlich, das zu oft verhinderte Genie
Bayer klagt über Berichterstattung von SAT1 – DFL erteilt vielen Klubs Lizenzen nur unter Auflagen – Beinlich, das leider zu oft verhindertes Genie (mehr …)
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Schwierige Lage für Funkel, Heynckes, Berlin – Fach, eloquenter Fußball-Trainer
Vorwürfe in Richtung Management
Daniel Theweleit (BLZ 4.10.) erläutert die Situation von Jupp Heynckes: „Jupp Heynckes ist desillusioniert. Ich habe keine Zeit gehabt, mich so zu informieren, wie ich das eigentlich sonst immer tue, wenn ich einen neuen Job antrete, sagt der Freund guten Rotweins und nimmt einen Schluck aus seinem Wasserglas. Wasser statt Wein, so könnte auch die Überschrift heißen über dem ersten Kapitel der Liaison zwischen Schalke 04 und Heynckes. Nach acht Jahren in Spanien und Portugal war der Trainer in der Überzeugung nach Gelsenkirchen gekommen, hier existiere eine Mannschaft, mit der man um die ersten drei Plätze in der Bundesliga spielen kann. Der Klub wird im nächsten Jahr hundert Jahre alt, die Fans träumten gar vom lang ersehnten Meistertitel zum Jubiläum. Damit wird es wohl nichts (…) Es mangelt an einer guten Mischung, die Mannschaft braucht eine Hierarchie, die jungen Spieler brauchen Kollegen, an denen sie sich aufrichten können, das Ganze ist aus dem Lot, so der Trainer. Die Vorwürfe in Richtung Management, die hinter diesen Worten stecken, sind indes nur dürftig verhüllt. Eine Kritik an Manager Rudi Assauer und Sportdirektor Andreas Müller, die ihm gestattet wird, denn man will in Gelsenkirchen unter allen Umständen eine Trainerdiskussion vermeiden. Auch wenn der kurzfristige Erfolg ausbleibt. Ohnehin lassen sich Zweifel an der Qualität von Assauers Personalpolitik der letzten beiden Jahre kaum von der Hand weisen. Der Däne Christian Poulsen (7,5 Millionen Euro) spielt höchst durchschnittlich, Sven Vermant und Victor Agali fallen selten durch starke Leistungen auf, und vom südamerikanischen Trio Gustavo Varela, Dario Rodriguez und Anibal Matellan, für den der FC Schalke immerhin fast zehn Millionen Mark nach Argentinien überwies, ist auch noch keiner zum Leistungsträger avanciert.
Ich selber habe nichts mehr zu beweisen
SpOn-Interview mit Jupp Heynckes
SpOn: Haben Sie zu spät erkannt, in welchen Mannschaftsteilen Verstärkung nötig ist?
JH: Uns fehlen Stützen in der Mannschaft, aber Transfers von Eckpfeilern eines Teams muss man von langer Hand vorbereiten, so etwas kann ein Jahr dauern. Und ich wusste nicht, dass Victor Agali eine Meniskusoperation hatte und immer wieder Probleme mit dem Knie bekommt. Wir sind davon ausgegangen, dass Emile Mpenza wieder den Ehrgeiz entwickelt, eine gute Saison zu spielen, stattdessen wollte er den Verein dann verlassen. Und wir dachten, dass Ebbe Sand zur alten Form findet. Vor der Saison hat man mir mitgeteilt, dass wir vorne gut bestückt sind. Und dann habe ich gedacht, da bauen wir schon etwas zusammen. Ich bin also davon ausgegangen, vorne gute Angreifer zu haben. Die Realität sah dann später anders aus.
SpOn: Fühlen Sie sich getäuscht?
JH: Ich glaube, die Verantwortlichen im Club sind davon ausgegangen, dass Mpenza und Agali, deren Verträge auslaufen, für neue Angebote spielen. Wir dachten, dass der Trainerwechsel einen Neubeginn für diese Spieler markiert. Ich glaube nicht, dass man mich getäuscht hat. Das waren die Hoffnungen, die man hier im Club gehabt hat.
SpOn: Und Sie selbst kannten die Situation nicht gut genug?
JH: Ich habe in Spanien gearbeitet und konnte mich nicht damit auseinander setzen, wie die Charaktere der Spieler sind, die in Deutschland spielen. Außerdem habe ich keine Zeit gehabt, mich so zu informieren, wie ich das eigentlich immer mache, wenn ich einen neuen Job antrete.
SpOn: Wie wollen Sie das Dilemma nun bewältigen?
JH: Die Spieler ziehen sehr gut mit, sie arbeiten sehr gut, sie sind engagiert und diszipliniert. Heute erst hat mir Frank Rost gesagt, dass das kein Vergleich sei zum letzten halben Jahr. Die Mannschaft will.
SpOn: Sie fordern Zeit, aber die Schalker Fans haben nun schon das ganze letzte Jahr Besserung erwartet. Wie viel Geduld ist noch nötig?
JH: (wendet stöhnend den Blick ab) Unendlich, unendlich. Nein, das wird sehr mühsam und schwierig, aber bisher habe ich eigentlich immer das Ziel erreicht, eine wettbewerbsfähige Mannschaft aufzubauen. Ich weiß, dass die Fans hier überstrapaziert werden, aber dafür bin ich nicht verantwortlich. Das ist der Ist-Zustand!
SpOn: Fürchten Sie, dass Sie bei weiterhin mäßigen Leistungen auch selbst bald Ihren Kredit bei den Fans und in der Öffentlichkeit verspielt haben?
JH: Ich kann dazu immer nur sagen, dass wir uns in einer Phase der Umstrukturierung befinden. Man braucht in einer Mannschaft eine Hierarchie. Die jungen Spieler brauchen Kollegen, an denen sie sich aufrichten können. Man braucht eine gute Mischung zwischen Alter, Erfahrung und Jugend. Das Ganze ist aus dem Lot. Bei dem Prozess, den ich hier vorantreibe, geht es nicht um mich, nicht darum, ob ich noch Kredit habe oder nicht. Es geht um Schalke 04, das müssen die Leute verstehen. Ich selber habe nichts mehr zu beweisen. Der Verein muss eine neue Ära beginnen.
Am liebsten bin ich in Köln
Die FAZ (4.10.) kommentiert die Situation von Friedhelm Funkel: „Friedhelm Funkel hat ein ganz persönliches sportliches Ziel. Der Fußballtrainer des Bundesliga-Tabellenletzten 1. FC Köln, der im Dezember fünfzig Jahre alt wird, möchte gern einmal Marathon laufen, solange er sich fit genug fühle. Das ist eine Herausforderung, so an die körperlichen Grenzen zu gehen, verriet er kürzlich. Ein Wort, das sogleich die Zyniker unter kölschen Sportfreunden auf den Plan rief. Gut möglich, heißt es, daß die Gelegenheit dafür näher ist, als Funkel lieb wäre. Denn sollte sein verunsichertes Team an diesem Samstag beim Spitzenreiter VfB Stuttgart verlieren, hätte der Trainer vielleicht schon tags darauf ausreichend Freizeit, um noch schnell beim Köln-Marathon mitzujoggen. Der Mann, dessen Mimik ohnehin wirkt, als plagte ihn ein chronisches Magenleiden, ist an derlei Derbheiten gewöhnt. Spätestens während des völlig mißratenen Heimspiels gegen Werder Bremen vor einer Woche hat sich Funkel noch ganz andere Schmähungen anhören müssen. Denn obgleich seine Profis deutlich wie nie zuvor in der jungen Saison zeigten, daß sie halt in der Mehrzahl unerfahrene und überforderte Aufsteiger sind, stand vor allem der Trainer im Mittelpunkt der öffentlichen Kritik. Funkel raus! schrie das Volk. Der erträgt das mit bewundernswürdiger Gelassenheit. Das sei Teil seiner Erfahrung, sagt er. Und widerspricht doch vehement dem Eindruck, da trainiere in Köln ein Mann, der es mit seinen Klubs, allesamt aus dem unteren Mittelmaß, halt nie in Spitzenpositionen gebracht habe und deshalb nicht sonderlich beliebt sei. Oberflächlich, sagt Funkel. So sei er einst in Uerdingen sehr populär gewesen, wo er als Profi und als Trainer arbeitete. Anschließend habe er in Duisburg sogar kaum erwarteten sportlichen Erfolg verzeichnen können, als er mit dem MSV in drei Jahren zweimal Achter und einmal Neunter wurde und das UI-Cup-Finale erreichte. Das haben sie danach nie mehr geschafft, sagt Funkel. Das wird verkannt. Ebenso, daß er Hansa Rostock als Tabellenletzten übernahm und noch auf Rang elf führte. Kurz: Überall habe ich gern gearbeitet, ergänzt er. Aber am liebsten bin ich in Köln.“
FR: „Werder Bremen befindet sich wieder auf dem Weg zu einer Spitzenmannschaft der Liga. Doch die wirtschaftliche Entwicklung kommt mit der sportlichen nicht mit. Nun steht an der Weser ein Spagat nicht ohne Risiken bevor.“
Ein Huub’sches Missverständnis?
Javier Cáceres (SZ 4.10.) beschreibt die Lage in Berlin: „Es kriselt bei der Hertha, und es kriselt gewaltig. Die bekannten Fakten: sieben Spiele, fünf Punkte, kein Sieg, Tabellenplatz 14; ein enttäuschendes 0:0 gegen eine Elf aus einem Ort namens Grodzisk-Wielkopolski im Uefa-Cup. Das ist wenig. Viel zu wenig. Vor allem für ein Team, das selbst das Ziel ausgegeben hat, sich für die nächste Champions League zu qualifizieren. Heute steht der Besuch beim FC Bayern an, dem Klub, mit dem sich Hertha gerne auf Augenhöhe messen möchte. Doch die Punkte, die heute verteilt werden, kalkulieren die Verantwortlichen lieber nicht ein. „Wir sind Außenseiter“, sagt Hoeneß. Die Lage ist fragil, weil Stevens ja nicht erst seit Juli als Trainer amtiert, sondern seit über einem Jahr. Doch wie man es auch dreht und wendet: Den Nachweis dessen, was im Fußball zählt – Siege und Spektakel – hat Stevens noch nicht antreten können. Auch jenseits der kleinen, eher durchgeknallten Gruppe derer, die Stevens’ Schalker Vergangenheit rügen, werden die Zweifel in der Hauptstadt lauter, ob der Limburger nicht vielleicht doch der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort ist – „ein Huub’sches Missverständnis?“, wie der Boulevard zu fragen beginnt. Auch taucht die Frage auf, wie viele Kratzer Hoeneß in dieser Krise verträgt. Der Manager ist in Berlin eine so dominante Figur, dass die Berliner Zeitung beizeiten vom „Hoeneß BSC“ schrieb. 1997, im Jahr seiner Anstellung, war bei Hertha nicht mal im Ansatz Struktur zu erkennen, Hoeneß hat das Vakuum persönlich und durch ein Netzwerk loyaler Mitarbeiter ersetzt, das ihm Unantastbarkeit verleiht. Denkt man sich Hoeneß aus der Führungsetage weg, so bleibt an fundiertem fußballerischen Fachwissen ähnlich viel übrig wie Spielwitz auf dem Platz in Marcelinho-freier Zeit. Hoeneß hat immens viel für den Verein erreicht, sagt ein Insider. Der will ungenannt bleiben, weil er auch raunt, dass es heutzutage „an einem Korrektiv“ fehle. Manchmal habe man das Gefühl, Hoeneß verfahre nach der Devise, dass „nicht falsch sein kann, was nicht falsch sein darf“.“
Tsp: „Hertha BSC will irgendwann die Bayern einholen, momentan ist der Aufschwung ins Stocken geraten“
BLZ: „Die Krise von Hertha BSC veranschaulicht kein Profi eindrucksvoller als Neuzugang Niko Kovac“
Nichts ist einfach!
SpOn-Interview mit Bruno Labbadia, Trainer des SV Darmstadt 98
SpOn: Wie schwierig ist es für einen Traditionsverein wie Darmstadt 98, sich sportlich und wirtschaftlich wieder nach oben zu arbeiten?
BL: Ich denke, dass viele Menschen eine ganz falsche Vorstellung von der Führung eines Fußballvereins haben. Die meinen, in der vierten Liga ist das doch ganz einfach. Doch damit liegen sie falsch. Nichts ist einfach! Schon gar nicht bei einem Traditionsverein, der oft noch in der Vergangenheit lebt und gar nicht merkt, dass sich mittlerweile einiges verändert hat. Ich habe auch hier in Darmstadt gleich zu Beginn deutlich darauf hingewiesen, dass wir seit zehn Jahren nicht mehr in der zweiten Liga waren. Wir müssen ganz kleine Brötchen backen und uns Schritt für Schritt wieder nach oben kämpfen. Das ist insbesondere unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Riesenherausforderung. Immerhin fehlen uns in der Oberliga 400.000 Euro Fernsehgelder.
SpOn: Mit dem Wechsel auf die Trainerbank haben Sie eine erfolgreiche Fußballerkarriere beendet. Wie sieht heute Ihre persönliche Bilanz aus?
BL: Ich müsste eigentlich jeden Tag in die Kirche gehen und sagen: Vielen Dank, dass ich diesen Job machen durfte! Ich habe unglaublich gern Fußball gespielt, aber ich hatte auch kein Problem, die Schuhe an den Nagel zu hängen, weil das Karriere-Ende sehr positiv war. Der Klassenerhalt mit dem Karlsruher SC bedeutet für mich auch jetzt noch so viel wie eine Meisterschaft, weil er unter ganz schwierigen Umständen zustande kam. Ich hatte übrigens auch schon einen Anschlussvertrag als Sportdirektor in Karlsruhe, aber die wirtschaftliche Situation des Vereins wurde dann sehr prekär, so dass wir uns schließlich doch getrennt haben.
SpOn: Wohin soll der Weg in den nächsten Jahren führen? Als Spieler sind Sie von Darmstadt schließlich gleich zum HSV gewechselt.
BL: Das ist schon richtig, aber so weit denke ich jetzt nicht. Ich lebe absolut im Heute, und habe gar keine Zeit, mich mit solchen Überlegungen zu beschäftigen. Aber ich muss ohnehin niemandem etwas beweisen. Außer mir selbst natürlich. Deshalb renne ich auch nicht als Phantast und Träumer durch die Gegend. Ich werde hier meine Arbeit so gut wie irgend möglich machen. Im Übrigen gilt das, was ich meinen Spielern sage, natürlich auch für Trainer: Es darf im Hinblick auf die Motivation keine Rolle spielen, ob Du einen oder eine Million Euro bekommst – wichtig ist, dass Du mit Leib und Seele dabei bist.
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Arroganz, Großmannssucht und selbstgefälliges Gehabe
Ingo Durstewitz (FR 28.8.) meldet die bevorstehende Ablösung von Peter Schuster bei Eintracht Frankfurt. “Die Zeit von Peter Schuster als Vorstandsvorsitzender der Eintracht Frankfurt Fußball AG ist abgelaufen. Wie die FR erfuhr, wird der 60-Jährige nach nur 20 Tagen Amtszeit heute den Chefsessel beim hessischen Fußball-Bundesligisten räumen. Von Seiten der Eintracht wird versucht, dem promovierten Juristen einen galanten Abgang zu verschaffen, doch Schuster, heißt es, wehre sich wie ein Löwe gegen eine Demission. Sollte der Unternehmensberater nicht freiwillig seinen Rücktritt verkünden, wird er aber von der Fußball AG von seinen Aufgaben entbunden. Schuster hat damit das Kunststück fertig gebracht, die 30-tägige Regentschaft von Hans-Joachim Otto aus dem Jahr 1996 zu unterbieten. Zum Fabelrekord hat es dennoch nicht gereicht: Im November 1988 stand Joseph Wolf ganze sieben Tage an der Spitze des Vereins. Spätestens nach dem hochnotpeinlichen Auftritt vor der versammelten Frankfurter Sportpresse am Freitag vergangener Woche hatte Schuster, früher jahrzehntelang Hausjurist des Chemieriesen Hoechst AG, auch innerhalb der Gremien von Eintracht Frankfurt keine Lobby mehr. Egal, ob Aufsichtsrat, Vorstand oder Trainer Willi Reimann – allesamt schüttelten über die Arroganz, Großmannssucht und das selbstgefällige Gehabe des Mannes aus Kelkheim entsetzt das Haupt. Selbst die, die sich anfangs für den geltungsbedürftigen Hobbykicker stark gemacht und ihn ins Amt gehievt hatten, die Politiker Franz Josef Jung (CDU), Achim Vandreike (SPD) sowie Fraport-Mann Herbert Becker, rückten in den zurückliegenden Tage von Schuster ab und ließen ihn fallen wie eine heiße Kartoffel.“
Leserbriefe an die FR-Sportredaktion zum Thema „Schuster“
Nur DDR-Ligavereine wie Aktivist Espenhain oder Dynamo Fürstenwalde vermochten germanische Romantik und DDR-Futurismus zu deutscher Einheit zu verschmelzen
Klaus Ungerer (FAZ 27.8.) grüßt aus dem Sprachlabor des Feuilletons. „Ich will meine alte DDR wiederhaben. Bitte. Ich will die tschechischen Märchenfilme wiederhaben und die schöne nackte Frau, die in ihnen einem See entstieg, will die Olsenbande wiederhaben und den Videokünstler von Schnitzler. Vor allem aber und unbedingt möchte ich eines: den DDR-Fußball zurück. Der hatte damals, soweit ich das verfolgen konnte, zunächst einmal eine Oberliga, die aber nicht richtig galt, denn das Ministerium für Fußballsicherheit sorgte dafür, daß jedes Jahr dieselbe Mannschaft Meister wurde. Diesem volkseigenen Betrug beigeordnet gab es auch noch die wirkliche, wahre Liga, die sogenannte Liga. Sie bestand aus zwei Staffeln, A und B (falls eine mal wegkäme), und bot den echten Fußball: Hatte man das jüngste, unter kaum dubiosen Umständen zustande gekommene, in verschiedenen Grautönen auf den Bildschirm überspielte 3:0 jenes dynamischen Siegervereins zur Kenntnis genommen, der dann unter der Woche gegen Austria Wien oder Bröndby Kopenhagen eine Völkerfreundschaft höflicher Zurückhaltung praktizieren sollte, so war man gerüstet für die wahren Bannerträger des Ostfußballs. Vor uns, zwischen den betonierten Trübsalen von DDR-Oberliga und ARD-Obermann, lag der sportliche Höhepunkt des Zonenrandsamstags: die Verlesung der Ergebnisse aus der weder ersten noch achten, sondern gänzlich hierarchiebefreiten Liga, deren geisterhafte Doppelexistenz die kapitalistischeren Elemente des Fußballsports negierte – wo die Vereine sich zur Staffel reihen, hat der Zynismus des Wettbewerbs keinen Platz, sondern wird der Ball zum Ruhme höherer und bärtigerer Existenzen friedensfreundlich über den Rasen geschoben. So verwehten denn auch die herbeigeschwitzten Ergebnisse spurlos im Wohnzimmer, zog aber der Klang der Vereinsnamen in seinen magischen Bann: Kali Werra Tiefenort – Robotron Sömmerda, Aktivist Schwarze Pumpe – Chemie Buna Schkopau, jetzt auf Platz drei: Kernkraftwerk Greifswald. Wir rätselten: Welch enorme gemeinsame Anstrengung der Werktätigen mußte hinter dieser rhetorischen Gigantenliga stecken? Sollte das Land bis auf Kreisebene durchwirkt sein von Sprachkraftwerken: Motor Schmölln, Hydraulik Parchim, Traktor Frießnitz-Niederpöllnitz? Wie gerne wäre ich einmal dabeigewesen, hätte ich mit den Massen vieltausendkehlig geschrien: Fort-schritt-Wei-da!, Auf-bau-Wa-ren!, Kreis-ver-wal-tung-Lud-wigs-lust!? Nur DDR-Ligavereine wie Aktivist Espenhain oder Dynamo Fürstenwalde vermochten germanische Romantik und DDR-Futurismus zu deutscher Einheit zu verschmelzen.“
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Ein geordneter Spielaufbau wurde erst gar nicht versucht
Christian Ewers (FAZ 22.4.) analysiert die Reaktionen nach dem Spiel. “Der scharfe Ton war aus seiner Stimme gewichen; was immer Eduard Geyer sagte, klang ungewohnt mild. Am Samstag, nach dem 1:1 gegen Borussia Mönchengladbach, setzte sich Geyer mit hängenden Schultern aufs Pressepodium. Mit so einer Leistung kann man in der ersten Liga nicht bestehen, sagte Geyer, wir haben so viele Unzulänglichkeiten, da besteht wenig Anlaß zu Hoffnung. Geyers resignativer Kommentar deckte sich mit dem Bild, das seine Mannschaft, der FC Energie Cottbus, im Spiel gegen Mönchengladbach hinterlassen hatte. Cottbus wirkte während der gesamten Partie verunsichert – selbst das frühe Führungstor durch Moussa Latoundji vermochte die Mannschaft nicht zu beruhigen. Ein geordneter Spielaufbau wurde erst gar nicht versucht (…) Der aus Gladbacher Sicht einzig erfreuliche Aspekt des mauen Gastspiels in Cottbus ist der Bruch mit einer traurigen Serie. In zuvor sieben Auswärtsspielen hatte die Borussia keinen einzigen Punkt erringen können. Dieser Trend ist nun gestoppt – was Lienen als Resultat aufopferungsvoller Arbeit deutet: Wenn wir viel investieren, werden wir auch belohnt. Allerdings wird die Borussia in Zukunft mehr investieren müssen als Hingabe und Leidenschaft, um den Verbleib in der ersten Liga zu sichern. Das Niveau der Partie gegen Cottbus war dürftig; Gladbach schaffte es nicht, das verschreckte Energie-Team mit spielerischen Mitteln zu dominieren.“
„Energie Cottbus sucht eine Mannschaft für die Zweite Bundesliga“ SZ
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Zwei Aufstiegskandidaten treffen aufeinander: Mainz besiegt starke Nürnberger mit 2:1
Wahrscheinlich wäre auch Mittwoch nachts um elf noch ausverkauft
Thomas Becker (SZ 20.8.) berichtet den Sieg eines ganz heißen Aufstiegskandidaten. „Irgendwas müssen sie eingebaut haben in die Sitzschalen der neuen Haupttribüne, irgendwas, das Feuer unterm Hintern macht. Wie von unsichtbarer Hand gelenkt, springen 3500 Menschen synchron aus den Plastiksitzen, beginnen rhythmisch zu klatschen und sich kollektiv vorzufreuen. Freistoß am Sechzehner? Schwupp, steht die Meute. Die ersten Silben des Fankurven-Klassikers „Steht auf, wenn ihr Mainzer seid“ genügen und – zack, steht die Haupttribüne wie eine Eins. Wohlgemerkt, die vornehme Haupttribüne, gewöhnlich Inbegriff des Fan-Unmuts, die zur La Ola die Arme nicht hoch bekommt und auch ansonsten eher fad ist. Im Mainzer Bruchwegstadion ist das anders. 18400 sahen den glücklichen 2:1-Sieg gegen Nürnberg – am arbeitnehmerfeindlichen Montagabend, trotz der Fernseh-Live-Übertragung. Wahrscheinlich wäre auch Mittwoch nachts um elf noch ausverkauft. Teil der Erlebniswelt Mainz 05 zu sein, ist einfach hip in der Stadt. Und das nicht erst seit dem herzerweichenden Last-Minute-Drama um den verpassten Aufstieg. Der brachte zwar zigtausend Beileidsbezeugungen, viele Sympathiepunkte, ein paar neue Spitznamen („Meister der Schmerzen“, „Die Unaufsteigbaren“), aber weder die schon bereit stehenden Großsponsoren noch die erhofften zwölf Millionen Euro TV-Gelder. So steht der Etat wie im Vorjahr bei vergleichsweise bescheidenen 8,5 Millionen Euro; dafür ist die Euphorie noch mal gewachsen. 6100 Dauerkarten wurden bereits verkauft.“
Das Nürnberger Klima hat sich gewandelt
Tobias Schächter (taz 20.8.) zählt auch den unglücklichen Verlierer zu den Liga-Favoriten. „Einer fehlte: Präsident Michael Adolf Roth erlebte die erste Niederlage seines 1. FC Nürnberg in der zweiten Liga nicht vor Ort. Der weißbärtige Teppichhändler urlaubt am Gardasee und trat letzte Woche die Reise nach Italien mit einem bunten Strauß von Fragezeichen im Gepäck an. Ist trotz der Hitze und der langen Dürre genug Wasser im See? 1,20 Meter nur soll der Gardasee in Strandnähe tief gewesen sein. Zu wenig, um sein großes Boot zu Wasser zu lassen, orakelte der nur knapp 1,60 m kleine Mann, der sich im deutschen Fußball fleißig einen Namen als fröhlicher Trainerentlasser gemacht hat. Ob der Franken-Napoleon nun von der 1:2 Niederlage des Clubs am Montag in Mainz auf dem Gardasee schippernd erfahren hat oder nicht, ändert nichts daran, dass das Club-Schiff in naher Zukunft in unsicheren Gewässern segelt. Und dies, obwohl in Mainz zunächst einmal alle Clubberer stolz waren. Trainer Wolfgang Wolf: Das war die beste Saisonleistung. Doch kaum dass den gebeutelten Fans endlich mal wieder ansehnlicher Fußball geboten wurde, kam am Ende nichts heraus. Immerhin: Die 1.500 mitgereisten Fans der Rot-Schwarzen feierten ihre Mannschaft nach dem Schlusspfiff. Das Klima hat sich gewandelt. Geschuldet ist dies Wolfgang Wolf. Der Pfälzer identifiziert sich mit seiner Aufgabe, den neunmaligen Deutschen Meister wieder in die Beletage des deutschen Fußballs zu hieven. Wolf ist so etwas wie die Fleisch gewordene ehrliche Arbeit. Er ist mit seiner Familie in die Stadt an der Noris gezogen. Das kommt gut an in Franken, zumal Vorgänger Augenthaler sich nie zu diesem Schritt entschließen konnte. Es gibt auch viel zu tun für den 45-Jährigen am Valznerweiher, ist er doch Trainer und Manager in Personalunion.“
Kultur, Kampf und Körpereinsatz
Die FAZ (20.8.). „Gut gespielt, verloren, aus den Aufstiegsrängen gerutscht, aber trotzdem hochzufrieden: Wolfgang Wolf geriet geradezu ins Schwärmen: Über vierzehn Stationen haben wir den Ball gehalten, und die Mainzer hatten keine Chance, ihn zu bekommen. Fürwahr, die 18 400 Zuschauer im Bruchwegstadion brauchten ihr Kommen nicht zu bereuen. Die Nürnberger boten ihnen eine gehörige Prise Fußballkultur und Spielwitz, die Mainzer machten die Tore und entschieden die Partie für sich. Das war brutal schwer, sagte 05-Trainer Jürgen Klopp, der Architekt des nun im dritten Jahr anhaltenden Mainzer Aufschwungs. Aber wir alle haben es ja gewußt, daß hier zwei mehr als ordentliche Mannschaften aufeinandertreffen. Zwei Mannschaften, die am Ende einer noch langen Spielzeit auch den angestrebten Aufstieg erreichen können? Mit Sicherheit. Club-Trainer Wolf hat ein feines Team zusammengestellt, aus dem Ballkünstler wie David Jarolim oder Jacek Krzynowek herausragen. Die spielerische Linie stimmt; in Nürnberg soll Fußball mehr zelebriert als gearbeitet werden. Doch ganz ohne Arbeit, das hat das 1:2 von Mainz gezeigt, geht es denn doch wohl nicht. Aber auch hier sieht der kämpferische Wolf keine Probleme. Meine Mannschaft kann den Ball ganz hervorragend laufen lassen. Und wenn es angesagt ist, können wir auch rustikal spielen. Eine schöne Vorstellung: Kultur, Kampf und Körpereinsatz.“
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