Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
Der zweite Platz ist offenbar nicht Anreiz genug
Richard Leipold (FAS 4.5.) skizziert die Aufgabe des Dortmunder Jung-Trainers. “Meister mit 34 Jahren. Das ist im Handwerk schwer genug, in der Bundesliga ist es erst einem Trainer gelungen. Vor knapp zwölf Monaten bestand der Dortmunder Fußball-Lehrer Matthias Sammer die Prüfung schon im zweiten Dienstjahr. Sammer hatte ein Kollektiv geschaffen, das den Faktor Arbeit so geschickt mit künstlerischen Elementen kombinierte, daß Kunst und Kraft sichzu einem großen Ganzen ergänzten. Dem jungen Trainer und einer vergleichsweise jungen Mannschaft schien die Zukunft zu gehören. Doch der frühe Erfolg hat auch seine Tücken. In dieser Spielzeit wirkt die Dortmunder Meisterklasse des Vorjahres wie eine Gruppe Hochbegabter, die in der Schule zwei Klassen übersprungen hat. Die meisten Spieler besitzen das Können dafür, aber nicht alle die Reife. So steht Sammer in der Schlußphase des aktuellen Lehrjahres vor einer Nachprüfung, deren Schwierigkeitsgrad die Anforderungen der eigentlichen Meisterprüfung übersteigt. Nach dem überraschenden Titelgewinn hat sich unter den Spielern eine Sorglosigkeit breitgemacht, die selbst die Qualifikation für die Champions League zur Zitterpartie macht. Der zweite Platz ist offenbar nicht Anreiz genug, jede Woche an die Leistungsgrenze zu gehen. Auf einmal muß Sammer erkennen, was die Spieler alles nicht beherrschen. Die Defizite haben nichts mit Technik oder Taktik zu tun. Ob der Trainer ein wenig offensiver oder defensiver spielen läßt, ist bei der Klasse derMannschaft unerheblich. Die Sonderaufgabe, die er zu lösen hat, ist schwieriger. Sammer muß seinen früheren Musterschülern beibringen, daß es auch jenseits des Titels lohnende Ziele gibt (…) Der Meistertrainer erfährt im Jahr danach die Kehrseite seines Leitmotivs, wonach in erster Linie (harte) Arbeit adelt. Dennoch hält er daran fest. In seiner Prinzipientreue, die zuweilen in Prinzipienreiterei ausartet, zeigt sich, daß Sammer keinen Zickzackkurs fährt. Seine Lehre basiert nicht auf unergründlichen Motivationskünsten a la Toppmöller. Ihn umgibt nicht die Aura des Zampanos, dafür wirkt er zu technokratisch, zu spröde. Vielleicht ist Sammer gerade deshalb prädestiniert, auch als Krisenmanager seine Meisterprüfung zu bestehen.“
Zwischen strengem Zuchtmeister und mildem Sozialhelfer
Roland Zorn (FAZ 5.5.) schreibt zum selben Thema. „Die Köpfe und Herzen seiner hochbezahlten Spieler zu erreichen fällt dem Coach in der Schlußphase einer aus Dortmunder Sicht enttäuschenden Saison zunehmend schwer. Dabei hat der 35 Jahre alte Sachse zwischen strengem Zuchtmeister und mildem Sozialhelfer schon alle pädagogischen Register gezogen. Vergeblich? Zumindest erweckt ein Teil seines Teams am Arbeitsplatz Stadion seit Wochen den Eindruck, sich lieber beim Trimmtrab im Grünen die Zeit zu vertreiben, als leidenschaftlich um Platz zwei und damit die direkte Qualifikation für die kommende Champions-League-Saison zu kämpfen. Für Sammer eine Situation zum Verzweifeln. In einer Phase, da es für den Verein um Leben und Sterben geht, trabt der eine oder andere nur hinterher. Schon Ende vergangener Woche hatte der Trainer seinem Kader mit aufrüttelnden Worten einen Ruck geben wollen. Die Spieler müssen lernen, sich zu fragen: Tue ich alles für den Erfolg? Es kann nicht sein, daß ich um 18 Uhr bei Pommes rot-weiß und Cola auf dem Sofa liege. Was nicht sein darf, ist dennoch nicht auszuschließen bei diesem derzeit weit unter seinem Niveau kickenden Meister a. D. Nur ein einziger Borusse durfte sich am Samstag ein Extralob bei seinem Chef abholen: der Ur-Dortmunder Lars Ricken. Von Verletzungen und Formkrisen geplagt, hat sich der einst vorschnell zum Supertalent hochgejubelte Borusse mit Extratrainingsschichten wieder als Stammkraft empfohlen.“
Du musst alles vorgeben, das ist die Quintessenz
Dirk Graalmann (SZ5.5.) kommentiert die Äußerungen der Dortmunder Verantwortlichen nach dem Spiel. „Michael Zorc ist ein höflicher Mensch. Er ist 40 Jahre alt, er war zwei Jahrzehnte lang Fußball-Profi. Lange genug, um sämtliche Kanten abzuschleifen. Ein Kandidat für den diplomatischen Korps. Doch nach dem frustrierenden 2:2 stand der Manager von Borussia Dortmund in den Katakomben des Westfalenstadions und polterte: „So kann es nicht gehen. Das ist zu wenig. Man bekommt den Eindruck, dass wir hier mit Platz drei oder vier zufrieden sind.“ Er war gereizt. Genervt. Von den hoch bezahlten Angestellten und wohl auch ein wenig von Trainer Matthias Sammer: „Mit Eigenverantwortung kommst du im Fußball nicht weit. Du musst alles vorgeben. Das ist die Quintessenz“, echauffierte sich Zorc und bremste damit die Bemühungen seines Coaches aus. Der Trainer schließlich müht sich seit Monaten in der Hauptrolle einer BVB-Variante des Brecht-Klassikers Der gute Mensch von Sezuan als „guter Mann vom Borsigplatz“. Er kämpfte gegen die Selbstgefälligkeit, kritisierte „die Spaßgesellschaft“ im Team und hält den Profi zur Verantwortung an. „Wenn ich mich abends bei Cola und Pommes rot-weiß aufs Sofa lege, darf ich mich nicht wundern, wenn ich körperlich zu wenig drauf habe. Da muss man abends die Laufschuhe anziehen“, schimpfte er. Man könnte sagen: eine Generalabrechnung. Doch Spielerversteher Sammer wollte „nur eine Hilfestellung geben“. Das Team zeigt seit Wochen, wie man dessen pädagogischen Bemühungen durchkreuzen kann, selbst gegen die eher ambitionslosen Niedersachsen gelang dies.“
siehe auch Thema des Tages
Gewinnspiel für Experten
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RSC Anderlecht, keine große Nummer mehr
RSC Anderlecht, Gegner Bayern Münchens, ist eine große Nummer in Belgien und keine große Nummer mehr in Europa – Lobeshymne auf Aliaksandr Hleb (VfB Stuttgart) (mehr …)
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Die Revolution fällt aus
“Die wohl von der ganzen Liga und weiten Teilen der Fußballnation ersehnte Fußballrevolution ist ausgefallen“, denn ein „souveräner FC Bayern schlägt Stuttgarts Himmelsstürmern die Pforte vor der Nase zu“. Auf diese Weise beschreibt die FR die Ernüchterung derjenigen Fußballfreunde, die vergeblich darauf gehofft hatten, der Emporkömmling VfB Stuttgart könne dem enteilten Tabellenführer aus München ein Bein stellen. Doch die Schwaben erhielten eine „Lehrstunde in Sachen Effizienz“ (FAZ) durch „eine eiskalte Dosis FC Bayern“ (SZ) und finden sich nunmehr nur noch im oberen Mittelfeld wieder.
Dahingegen verstärkt die Konstanz der Münchner die Befürchtungen von Beobachtern wie Verfolgern, die Meisterschaft könne bereits zum jetzigen Zeitpunkt entschieden sein. „Die Verteilungskämpfe hinter den Bayern haben am vorletzten Spieltag der Hinrunde endgültig begonnen – ein Zustand, an den man sich für die restlichen 18 Spieltage gewöhnen sollte“, stellt die taz hoffnungslos die Erkenntnisse des vergangenen Spieltags sicher.
Außerdem: „Eingewechselt, zwei Tore geschossen, Trainer Sammer umarmt – alles ist wieder gut, mindestens bis zum nächsten Mal“, liest man in der FAZ in skeptischem Tonfall über den „janusköpfigen“ Amoroso. Und: „Alle, die es vorher besser zu wissen geglaubt hatten, sind zunächst widerlegt. Arminia Bielefeld ist in dieser Saison der Fußball-Bundesliga entgegen vieler Vorurteile vorweg nicht erster Abstiegskandidat” (FAZ).
„Apropos: Kommende Woche gibt es wieder großen europäischen Fußball. Morgen gastiert Bayer Leverkusen bei Inter Mailand, am Mittwoch empfängt Borussia Dortmund den AC Mailand. Wer war doch gleich Bayern München?“ (taz).
Christian Eichler (FAZ 9.12.) kommentiert die Lage des Tabellenführers. „Man muß sich in diesen schweren deutschen Zeiten keine Sorgen mehr machen um die einzige Konstante des deutschen Spitzenfußballs. Eine große Bayern-Krise hätte der Bundesliga wohl den Boden weggezogen. Nach der großen Bayern-Konsolidierung bleibt ihr immerhin das spannende Rennen um die Plätze zwei, drei und fünfzehn. Nach dem Überschwang des weißen Balletts der Sommermonate, dieser Selbstüberschätzung Münchner Ballromantik, und der europäischen Depression des grauen Herbstes sind die Bayern nun, im deutschen Fußball-Winter, wieder ganz bei sich selber angekommen. Ihr Fußball macht nur ihnen selber Spaß. So muß es sein. Wenn Finger klamm, Plätze hart, Nasen und Bälle rot werden, wenn man Fußball nicht mehr zum Vergnügen, sondern nur für den Ertrag spielt, dann ist Bayern-Zeit. Denn nur sie sind da, wo Fußball den Ertrag bringt, durchweg effektiv: im Strafraum – und der künstlerische Wert des Weges dorthin ist ihnen endlich wieder wurscht (…) So bilanziert man im Advent 2002 das vielleicht kurioseste Halbzeitresultat einer Bayern-Saison: ein Punkt aus der Champions League, zehn hinter dem Zweiten – 38 Punkte aus der Bundesliga, acht vor dem Zweiten. Emotionale Wegzehrung für die Dienstage und Mittwoche im Frühjahr, wenn andere um Europa spielen und ihnen nur die kleine Bühne der Bundesliga bleibt. Zu gut für Deutschland, zu dumm für Europa: Man könnte sagen, die Bayern sind eine Klasse für sich, oder: Die Bayern als der Meister im Niemandsland.“
Thomas Kistner (SZ 9.12.) schlägt vor. „Ein schönes Modell wurde kürzlich in der Formel 1 diskutiert, die der breiten Öffentlichkeit ja inzwischen als geschlossene Ferrari-Werksmeisterschaft mit internationalem Rahmenprogramm geläufig ist. Die Überlegungen gingen dahin, den roten Rennern von Michael Schumacher und Stallgefährten einfach ein paar Gewichte anzuhängen, um deren Schwerkraft etwas zu erhöhen. Für den Bundesliga-Betrieb, also die inoffizielle Bayerische Fußballmeisterschaft, ließe sich dieses physikalische Grundlagenkonzept mühelos umlegen. Etwa mit grob gerippten Kettenhemden, die sich die Münchner Kicker fortan unters Trikot zu ziehen haben, oder mit Schuhwerk, das nicht mehrGroßaktionär adidas anliefert, sondern direkt vom Hufschmied bezogen werden muss.“
Angesichts drohender Langeweile schreibt Jörg Hanau (FR 9.12.). „Mag sich die verhinderte Jagdmeute angesichts der Aussicht, dass auch ein zweiter oder gar dritter Platz den Zugang zu Europas Fleischtöpfen gewährt, zufrieden zurücklehnen. Der gemeine Fußball-Fan tut das nicht. Dem bleibt, sofern kein Bayern-Fan, vorerst nur die Hoffnung auf einen Rückfall der Münchner in die alte Überheblichkeit. Darauf, dass sie im Bewusstsein der eigenen Unfehlbarkeit die Zügel schleifen lassen und der Versuchung erliegen könnten, mit geringstem Aufwand maximalen Ertrag erzielen zu wollen. Zu viel Konjunktiv. Die Gegenwart spricht eine andere Sprache. Die vage Hoffnung, dass sich die Bayern nach der Winterpause selbst vom Thron stürzen, ist ein bisschen wenig, um Vorfreude auf die Rückrunde zu schüren.“
VfB Stuttgart – Bayern München 0:3
Gerd Schneider (FAZ 9.12.) erläutert die Wirkungen der bayerischen Dominanz auf die Beobachter. „Im Gottlieb-Daimler-Stadion geschah Merkwürdiges. Es war noch nicht einmal fünf Uhr, da setzte eine Völkerwanderung auf den vollbesetzten Rängen ein. Nur weg hier, das war die Parole nach Roque Santa Cruz‘ zweitem Treffer. Der VfB Stuttgart lag 0:3 gegen den FC Bayern München zurück, die Partie war verloren – aber das war gar nicht der Grund für die kollektive Aufbruchstimmung. Vielmehr konnten die Stuttgarter Anhänger den Anblick nicht mehr ertragen, wie ihr junges Team demontiert wurde. Die entgeisterten, fassungslosen Mienen derer, die kopfschüttelnd hinausströmten, glichen in dem Moment denen der VfB-Profis unten auf dem Spielfeld. Sie waren aus allen Träumen gerissen worden von einer Mannschaft, die an diesem Nachmittag kühl und präzise wie eine Maschine ihr Werk abgeliefert hatte (…) Tatsächlich glich der Auftritt des Spitzenreiters in Stuttgart einer Demonstration der Stärke: Seht her, die Oktober-Krise ist endgültig Geschichte, die Bayern haben wieder eine nationale Mission. Die makellose Leistung der Bayern war auch eine Antwort darauf, daß die Partie gegen die bislang stürmischen Stuttgarter zu einem Duell Alt gegen Jung hochstilisiert worden war. Das 3:0 war nicht ein Triumph des Alters, sondern der Qualität.“
Matti Lieske (taz 9.12.) ärgert sich über die Münchner Reaktionen nach dem Sieg in Stuttgart. „Höhö, hört sie euch nur an, diese Bayern, wie sie schon wieder tönen und sich in die Brust werfen – so, als sei überhaupt nichts gewesen. Krise, wo ist dein Stachel? Absturz? Wir doch nicht! Blamage? Nie gehört! Acht Punkte Vorsprung in der Liga, Weihnachtsmeister, bei Stuttgarts Junghüpfern mit routinierter Nonchalance gewonnen, im Pokalviertelfinale mit besten Chancen gegen Köln – da schwillt der Kamm und die verbalen Bizepse werden angespannt, dass es eine Pracht ist. Die Mannschaft hat perfekt gespielt – eigentlich meisterlich, jubelt Manager Uli Hoeneß die brave Pflichterfüllung am Neckar hoch, und Giovane Elber verspricht im Überschwang neu entdeckter Vereinstreue, dass man in der Rückrunde sogar ein noch besserer FC Bayern sein werde. Auch Oliver Kahn ist anzumerken, wie er sich freut, ab und zu mal wieder eine Hand an den Ball zu bekommen. Das ist der FC Bayern, doziert der Kapitän, die Mannschaft steht kompakt und nutzt ihre Torchancen eiskalt aus. Deutlich spürbar die Erleichterung darüber, dass im Zuge der Neudefinition aller Saisonziele sämtliche Flausen vom weißen Ballett, von Schönspielerei und spektakulärer Offensive über Bord geworfen wurden und das eingekehrt ist, was die Münchner traditionell am besten beherrschen: nüchterner Zweckfußball.“
Gerd Schneider (FAZ 9.12.) beruhigt die Sorgen der Stuttgart Anhänger. „Daß die Lehrstunde in Sachen Effizienz durch die Bayern Magaths Aufbauwerk in Stuttgart gefährdet, muß man hingegen nicht befürchten. Gefahr droht aus einer anderen Richtung. Wenn man die Hinweise richtig deutet, braut sich über dem VfB etwas zusammen – wieder einmal, muß man sagen: Schließlich haben interne und verdeckte Scharmützel beim Traditionsklub in Stuttgart Brauch. Während Magaths junges Team in diesem Herbst spielend das Image verbessert, machen schon wieder Gerüchte, Halbwahrheiten und Verdächtigungen die Runde. Mittendrin in diesem unguten Spiel ist Rolf Rüssmann. Was dem Manager des VfB vorgeworfen wird, ist schwer auszumachen. Es heißt, er habe mit seinem ruppigen Umgangston Sponsoren verprellt und verkehre nur noch schriftlich mit der Marketingabteilung des Klubs. Vor ein paar Tagen spekulierten die Stuttgarter Zeitungen darüber, daß Wolfgang Holzhäuser, der Geschäftsführer von Bayer Leverkusen, als bezahlter Vorstand engagiert werden soll. Belege? Fehlanzeige. Immerhin stellte Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt, der neue Aufsichtsratschef des Vereins, am Samstag klar, daß Rüssmann im Aufsichtsrat kein Thema sei.“
Peter-Michael Petsch (taz9.12.) sieht das ähnlich. „Die Zwischenbilanz (Tabellenrang 5, gute Ausgangslage im Uefa-Cup, of) kann sich tatsächlich sehen lassen. Die jungen Wilden um Trainer Felix Magath und Seniorchef Krassimir Balakow stehen einen Spieltag vor der Winterpause auf dem fünften Tabellenrang. Ein Platz, der zur Teilnahme am Uefa-Cup berechtigten würde, wäre jetzt schon Saisonende – ganz ohne den zuletzt erfolgreich absolvierten UI-Cup-Umweg. Die Saison ist aber noch nicht zu Ende und der Optimismus am Neckar trotz der ersten Heimniederlage dieser Spielzeit fast grenzenlos. Allmählich bemerken sogar die Fußballfreunde in der Region, was Experten schon lange sahen: Im Gottlieb-Daimler-Stadion wächst Großes heran. Nicht mehr die dubiose Praxis der früheren Vereinsführung beherrscht die Diskussion in den Medien und an den Stammtischen, sondern das Wort vom roten Wunder macht die Runde. Dieses Mirakel aus dem Schwabenländle bekam Bayerns Starensemble aber nur über knapp 30 Minuten zu spüren. Mitten in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit holte Alexander Zicklers Kopfballtor zum 1:0 die Stuttgarter auf den harten Boden der Realität zurück. Vier Minuten später sorgte Roque Santa Cruz nach einem weiteren Abwehrfehler schon für die Vorentscheidung. Danach begegneten die Gäste schwäbischem Hurra-Fußball mit Ballsicherheit, Cleverness, einem Oliver Kahn, der sich wieder seiner WM-Form nähert, und einem weiteren Konter zum 3:0 durch Santa Cruz. So gewannen die Schwaben außer der Eckballstatistik (10:1) auch die Erfahrung, dass es noch viel zu lernen gibt am Neckar.“
Spielbericht und Reaktionen SZ
Borussia Dortmund – 1. FC Kaiserslautern 3:1
Felix Meininghaus (FR 9.12.) über den zweifachen Dortmunder Torschützen. „Bei den Fans von Borussia Dortmund gibt es einen geflügelten Satz, der den Kern trifft: Heute, sagen sie, wenn sie die schillerndste Figur im Luxuskader des BVB von der Südtribüne aus beobachten, hat Marcio mal wieder Lust. Es ist tatsächlich verblüffend, wie gut an der Körpersprache von Marcio Amoroso abzulesen ist, ob Großes von ihm zu erwarten ist, oder ob er das Spiel an sich vorbeiplätschern lässt. Beim Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern zeigte sich Dortmunds Zauberer nach langen Wochen des Müßiggangs mal wieder gnädig gestimmt: Nach gut einer Stunde Spielzeit betrat der Brasilianer den Rasen des Westfalenstadions, knapp zehn Minuten später entschied er mit einem Doppelschlag eine Partie, die der Meister sonst wohl nicht siegreich gestaltet hätte (…) Das Timing scheint ideal, schließlich gibt am Mittwoch in der Champions League mit dem AC Mailand ein Weltklub seine Visitenkarte im Westfalenstadion ab. Spiele auf der großen Bühne liebt der Exzentriker so sehr, dass BVB-Manager Michael Meier sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, der Stürmer wolle sich mit seinem spektakulären Kurzauftritt einspielen für Mailand. Jetzt haben sie ihn alle wieder lieb, dabei hätten sie Amoroso vor einer Woche am liebsten mit Schimpf und Schande aus dem Revier gejagt. Gegen Nürnberg war der Stürmer eine Halbzeit lang dermaßen pomadig über den Platz geschlichen, dass die Sache schwer nach Provokation roch.“
Richard Leipold (FAZ 9.12.) zur selben Personalie. “Sein Auftritt wertete die bis dahin schmucklose Darbietung der Borussia im Ergebnis auf und setzte dem zwischendurch artikulierten Unmut vieler Anhänger ein Ende. Der Sieg über den Tabellenvorletzten der Fußball-Bundesliga läßt die Dortmunder nicht im hellsten Glanz erstrahlen, aber der Erfolg bedeutet zumindest eine befriedigend bestandene Zwischenprüfung, bevor der AC Mailand am Mittwoch unter Examensbedingungen im Hauptfach Champions League die Klasse des deutschen Meisters testet. Durch Amorosos Wirken sah Sammer ein ungeschriebenes, von ihm aber häufig zitiertes Gesetz bestätigt, wonach harte Arbeit notwendige Bedingung für den Erfolg des einzelnen und des Kollektivs ist. Die beiden Tore des manchmal nachlässigen Stürmers seien nicht nur Ausdruck von Klasse, sondern in erster Linie logische Folge eines neu entfachten Eifers. Marcio hat den Sieg durch seine harte Arbeit im Training eingefahren.”
Freddie Röckenhaus (SZ 9.12.) dazu. „Ein Problemfall wird der Brasilianer aber bleiben. Vier Tage vor dem Champions-League-Heimspiel gegen den AC Mailand meldete sich Amoroso nicht völlig unerwartet zurück. Denn das „Vorspielen“ gegen namhafte Gegner aus Italien und Spanien ist ihm, das kann er kaum verhehlen, die wahre Motivation. Als Milan vor gut einem Jahr im Uefa-Cup in Dortmund mit 0:4 unterging, nutzte Amoroso das Spiel mit drei Treffern zur Werbekampagne in eigener Sache. Immer wieder lancieren er und sein Berater das vermeintliche Interesse von europäischen Superklubs. Zuletzt wurde der FC Barcelona kolportiert. „Wir hören zu all diesen Wechselthemen nie etwas von ihm persönlich“, beteuert Michael Zorc. In der Mannschaft ist Amoroso nicht unbeliebt. Spieler wie Metzelder oder Stefan Reuter versichern, dass sie für einen wie ihn „gerne mit arbeiten, weil er vorne halt die wichtigen Tore macht“. Aber Amoroso macht kaum Anstalten, Deutsch zu lernen, seine Frau Raquele klagt über Wetter und Lebensart in Deutschland, und so fällt Fan-Liebling „Glamoroso“ immer wieder in mentale Krisen des Durchreisenden, der selbst darunter leidet, sich mit seiner Umgebung nicht angemessen zu identifizieren.“
Arminia Bielefeld – Hansa Rostock 3:0
Roland Zorn (FAZ 9.12.) ist von der Bielefelder Spielweise angetan. „Die Bielefelder Spielweise ist für die Konkurrenz deshalb unangenehm, weil die Mannschaft aus einer kompakten Ordnung und einer stabilen Defensive zu kombinieren, vor allem zu kontern versteht. Der DSC Arminia hat mit seiner Mischung aus geballter Organisation und kreativem Individualismus am Samstag auch die Rostocker auf Abstand gehalten. Abwehrchef Reinhardt und mit ihm die Neu-Bielefelder Saisonentdeckungen Lense, Murawski und Hansén hielten den Defensivverbund zusammen und in Schwung. Rostock, nannte Reinhardt einen Grund für den ungefährdeten Erfolg der Arminen, wollte immer nur spielerisch dagegenhalten, aber irgendwann muß es im Zweikampf auch mal richtig krachen. Bielefeld ist auch im Mittelfeld zweikampfstark und besitzt dazu mit Brinkmann, dem nun schon siebenmaligen Torschützen Wichniarek, Vata und Diabang schnelle und trickreiche Solisten, die ein Spiel notfalls allein entscheiden können.
Schalke 04 – Werder Bremen 1:1
Zur Schalker Heimschwäche bemerkt Christoph Biermann (SZ 9.12.). „Gerne werfen Männer ausgiebige Blicke auf Baustellen. Eine eigentümliche Anziehungskraft scheint darin zu liegen, das Schwenken von Kränen zu beobachten, das Zusammenhämmern von Verschalungen oder Biegen von Eisen. Mit dem männlichen Vergnügen am Entstehen von neuen, großen Dingen mag das zu tun haben oder der Vorliebe für Technik und das Wirken starker Kräfte. Fußball würde man damit normaler Weise nicht in einen Zusammenhang setzen. Doch der Spaß, sich die Mannschaft des FC Schalke 04 in seiner Arena anzuschauen, ähnelt in dieser Saison dem Blick durch einen Bauzaun. Auf dem Rasen wird stets so schwer geschuftet und konzentriert gearbeitet, dass sich das Publikum die Frage stellt, wie es mal aussehen könnte, wenn Frank Neubarths Haus fertig ist. Sagen kann man das noch nicht, denn auch kurz vor der Winterpause verfügt Schalkes Trainer noch nicht über sein komplettes Personal. „Wenn alle Leute dabei sind, können wir zuhause noch eine Schüppe drauflegen“, glaubt Frank Neubarth. Das wird auch nötig sein, denn vor allem in den Heimspielen wird derzeit reichlich durchschaubar gearbeitet. Sich darauf einzustellen, bedarf es längst keiner Betriebsspionage mehr. Die Gegner kennen die Baupläne längst. Ein durchgehendes Element bleibt es, dass Schalke kaum in der Lage ist, defensiv stabile Gegner nachdrücklich in Bedrängnis zu bringen. Selbst wenn es so eifrig versucht wird wie gegen Werder Bremen.“
Peter Penders (FAZ 9.12.) beleuchtet die Perspektiven der Gelsenkirchener. „Und die Bayern, der Gegner im letzten Punktspiel am kommenden Wochenende? Vielleicht können wir da ja einen Punkt klauen, sagte Neubarth. Vielleicht, aber mehr als den Branchenriesen zu ärgern ist derzeit kein Thema in Gelsenkirchen oder Bremen. Die Bayern haben schon eine gewisse Dominanz in der Bundesliga, befand Schaaf. So viel Unterwürfigkeit ist überraschend, schließlich gehören Werder und der FC Schalke derzeit, als Dritter und Vierter der Tabelle drei Punkte voneinander getrennt, zum Establishment der Liga. Die Ziele aber sind andere, als den übermächtigen Münchnern etwas streitig zu machen. Werder darf nach einer gelungenen Hinrunde mit einem Platz in der Champions League spekulieren, Schalke trotz diverser Probleme auf jeden Fall mit der abermaligen Qualifikation für den Uefa-Pokal liebäugeln. Der fulminante Start in dieses vermeintliche Spitzenspiel verkam so vor 60.600 Zuschauern in der ausverkauften Arena Auf Schalke alsbald zu einer taktischen Auseinandersetzung mit dem einzigen Ziel, nicht zuviel Boden in der Tabelle zu verlieren – und nicht, Boden gutzumachen.“
Holger Pauler (taz 9.12.) vermisste Brisanz und Siegeswillen auf beiden Seiten. „Vor dem Spiel Schalke 04 gegen Werder Bremen wurden alle Register gezogen, um die sich in vorzeitiger Winterstarre befindlichen Bayernjäger doch noch aus ihrer Lethargie zu erwecken. Schalke-Trainer Frank Neubarth, berichtete die Syker Kreiszeitung (!), soll im Streit von Werder geschieden sein, da Vizepräsident und Co-Trainer ihn nicht zu Zuge kommen ließen. Alles hoffte auf eine hitzige Partie, mit hochkochenden Emotionen, an deren Ende sich eine der beiden Mannschaften auf die Verfolgung des Spitzenreiters Bayern machen sollte. Heraus kam ein taktisch hochinteressantes Spiel, in dem sich beide Teams im Mittelfeld neutralisierten und nur 2 von 3 möglichen Punkten vergeben wurden. Über das 1:1-Unentschieden in der Arena AufSchalke konnten sich letztlich vor allem die Bayern aus München freuen, die mit 8 Punkten Vorsprung auf Dortmund und Bremen nächste Woche den FC Schalke 04 erwarten. Angst werden sie kaum haben. Frank Neubarth verkündete nach dem Spiel, man wolle in München noch einen Punkt holen. Mehr ist momentan nicht drin. (…) Am 33. Spieltag treffen sich beide Mannschaften wieder. Dann wird es für sie – so viel scheint jetzt schon klar – nur noch um die Plätze 2 oder 3 gehen.“
1. FC Nürnberg – Energie Cottbus 2:2
Volker Kreisl (SZ 9.12.). „Trainer Klaus Augenthaler und seine Spieler strapazieren in dieser Saison wieder die Nerven der Nürnberger Anhänger und haben sich Gegner im eigenen Verein geschaffen. Zum achten Mal verspielten sie einen Vorsprung, weil sie sichere Torchancen nicht nutzen. Vier Minuten vor dem Ende verfielen sie in Apathie, ließen zwei Stürmer bis an den Sechzehner vordringen, obwohl sie zu fünft waren, und fälschten den mäßigen Torschuss unhaltbar ab (…) Die Elf des 1. FC Nürnberg gegen Cottbus entsprach im wesentlichen der Mannschaft, die seit Saisonbeginn antritt, die zwischendurch eine kleine Erfolgsserie zustande brachte und auf Platz zehn stand. Dann begann aber die Zeit der Abwehrfehler, der ärgerlichen Niederlagen und nun der provozierenden Punktverluste. Nach dem Ausscheiden gegen Köln im DFB-Pokal meldeten sich erstmals Mitglieder aus dem Aufsichtsrat, um Kritik zu üben, und ganz unscheinbar verschärft sich der Ton: Die Reflexe der Krise zeigen sich. Der Mannschaft wird der Willen abgesprochen und der Trainer sachte in Frage gestellt. Das Verhältnis zu ihm charakterisiert der Präsident schwunglos als „nicht schlecht“.“
Hans Böller (FAZ 9.12.). „Zur Frustbewältigung griff Michael A. Roth zuletzt gern auf die kleine Hausapotheke zurück. Aber der Magenbitter, den seine Frau stets ins Frankenstadion mitführt, verfehlte wieder einmal seine Wirkung. Mir geht es schlecht, sagte der Präsident des 1. FC Nürnberg nach dem 2:2 gegen den Tabellenletzten der Bundesliga, Energie Cottbus. Roth machte der Ursache seines Leidens Luft; auffällig oft sprach er dabei, ohne einen Namen zu nennen, von dem Trainer – ein sicheres Zeichen dafür, daß der Präsident Zweifel an dessen Qualitäten hegt. Er muß Ausfälle von wichtigen Spielern kompensieren, sagte Roth, aber daß er das nicht besser kann, hätte ich nicht gedacht. Entsprechend bitter fiel die Analyse nach der verpaßten Gelegenheit, sich deutlich vom Tabellenende abzusetzen, aus: Ich zweifle nicht an den Spielern, aber das Mannschaftsgefüge stimmt nicht, alles ist auf Zufall angelegt. Trainer Klaus Augenthaler aber sprach von einer hausgemachten Panik und lobte seine Mannschaft demonstrativ als intakte Einheit. Er hatte die Seinen als die bessere Mannschaft gesehen – in einem Spiel, das uns auch gezeigt hat, was uns abgeht: Wir machen die Tore nicht, und jede Nachlässigkeit wird sofort mit einem Gegentor bestraft. Diese Analyse traf besser zu als die des Präsidenten.“
Hertha Berlin – VfL Wolfsburg 2:2
Friedhard Teuffel (FAZ 9.12.). „Der Ausgleich deutete sich schon an, als Torwart Gabor Kiraly dem Wolfsburger Stürmer Tomislav Maric in der 82. Minute einen Abschlag direkt vor die Füße spielte. Kiraly wehrte den Schuß zwar ab, doch die Nachwirkung war fatal. Wenn man solche Abschläge macht, verunsichert man die Hintermannschaft, sagte Trainer Stevens. Am Ausgleichstreffer war Kiraly ebenfalls nicht schuldlos. Als in der letzten Minute auf einmal Kim Madsen vor ihm auftauchte, traf er den Dänen nur am Ohr und verfehlte den Ball. Das Blut des Schützen, das ihm vom Ohrläppchen herunterlief, erschien danach wie ein Symbol des unermüdlichen Wolfsburger Kampfes. Von bisher acht Heimspielen haben die Berliner gerade mal drei gewonnen. Es ist enttäuschend, was wir bis jetzt zu Hause abgeliefert haben, faßte Manager Dieter Hoeneß zusammen. Woran liegt es nur? An fehlender Führung auf dem Platz vielleicht. Bei diesem Punkt widersprach Hoeneß nicht, er wiegte nur nachdenklich den Kopf. Der Brasilianer Marcelinho ist zwar ein Spielmacher im Sinne eines Zuspielers, der auf dem gesamten Platz auftaucht und Impulse setzt, eine Führungspersönlichkeit ist er aber nicht. Kapitän Michael Preetz hat seine Autorität eingebüßt, seitdem der Stürmer nicht mehr wie gewohnt trifft. Andere, wie Stefan Beinlich, müssen erst wieder ihre Rolle in der Mannschaft finden.“
Berliner Reaktionen Tsp
1860 München – Bayer Leverkusen 0:3
Zur Bedeutung des Leverkusener Auswärtssiegs heißt es bei Andreas Burkert (SZ 9.12.). „Ob dieser übertrieben hohe und im Grunde doch sehr glückliche Erfolg das Leverkusener Selbstvertrauen ausreichend restauriert hat, traute sich hinterher niemand mit aller Entschiedenheit weiszusagen. Zu fragil hatte sich in der ersten Halbzeit ihre Deckung präsentiert. Genau genommen haben die Münchner sie anfangs vorgeführt; vor allem der Flügelläufer Cerny war so frei und nutzte das heillose Durcheinander auf Bayers linker Abwehrbahn, wo Bierofka und Babic dem Chaos ein Gesicht gaben. Doch nach jeder wundersam überstandenen Großchance der Sechziger spürten die Gäste, dass diesmal sie diejenigen sein würden, denen wenige Momente zur positiven Gestaltung des Arbeitstages gereichte.“
Detlef Dresslein (FAZ 9.12.). „Eher schon in die Abläufe der Mannschaft eingreifen könnte künftig aber Manager Calmund, der kürzlich ankündigte, wieder näher an die Mannschaft heranrücken zu wollen. Klaus Toppmöller reagierte auf diese Ankündigung, in die auch so etwas wie Mißtrauen gegenüber dem Trainer verpackt gewesen sein könnte, leicht pikiert. Zumal er die Aussage von Calmund, daß man zwar mit diesem Trainerteam tolle Erfolge hatte, daß es aber im Fußball nichts Uninteressanteres gibt als die Vergangenheit, auch als interessanten Hinweis werten kann. Calmund relativierte und beruhigte etwaige Befürchtungen, indem er sagte, daß wir alle näher zusammenrücken. Er werde weder an der Spielersitzung teilnehmen noch auf der Trainerbank sitzen, denn dort würde er viel zu viel Platz wegnehmen. Und überhaupt habe das alles nichts mit Kontrolle zu tun.“
Spielbericht und Reaktionen SZ
Fußball in Europa: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ
Gewinnspiel für Experten
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Bayerns Haussegen hängt schief
Im Fußball-Herbst trennt sich die Spreu vom Weizen, und die Bundesliga-Tabelle gewinnt an aussagekräftigen und stabilen Konturen. Die Experten (auch DFB-Teamchef Rudi Völler) sind sich einig. Für den Gewinn der deutschen Meisterschaft kommen nur zwei Mannschaften ernsthaft in Frage: der letztjährige Dritte aus München und der Titelverteidiger Borussia Dortmund. Die in der Vorsaison nur knapp am Titel gescheiterten Leverkusener werden – das kann man jetzt schon sagen – nicht mehr ins Rennen eingreifen können. Ein konkurrenzfähiger Außenseiter, der kontinuierliche Leistungen zu bringen im Stande ist, ist nicht in Sicht. (mehr …)
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Arsenal
„Mit dem 1:0-Auswärtssieg am Mittwochabend gegen Manchester United stellte Arsenal eine ungeschriebene Fußballregel auf den Kopf. Um eine Meisterschaft zu entscheiden, sollten Heimspiele gewonnen und in Auswärtsspielen Niederlagen vermieden werden. Beim zwölften Titelgewinn in der 116-jährigen Vereinsgeschichte, dem dritten Double nach 1971 und 1998 machten es die Londoner jedoch umgekehrt. Sie erlitten im Highbury-Stadion drei Niederlagen, doch dafür blieben sie auf fremdem Platz 19 Mal ungeschlagen. Das hatte bisher nur das Team von Preston North End geschafft – 1888/89, in der allerersten englischen Fußballmeisterschaft.“ (Volltext)
Michael Sontheimer (Spiegel Online 07.05.02) über den Stil Arsenals:
„Die Mannschaft von Arsenal hat zwei Kerne, hinten einen englischen mit den Nationalspielern David Seaman im Tor, sowie den Verteidigern Sol Campbell, Martin Keown, Tony Adams und Ashley Cole. Im Mittelfeld und vorne dominiert die French Connection: Patrick Viera, Robert Pires, Silvain Wiltord und Thierry Henry. Ergänzt wird das Ensemble durch den holländischen Trickser Dennis ergkamp und den schwedischen Wühler Freddie Ljungberg. An der Grenze zur Kunst Arsenal spielt einen technisch brillanten Fußball; manchmal zu brillant, wenn es den Spielern nicht zu reichen scheint, einfach ein Tor zu schießen, nein, es muss elegant und perfekt herausgespielt sein. In ihren Sternstunden – zum Beispiel, als sie vergangenen Herbst Bayer Leverkusen mit 4:1 an die Wand spielte – überwindet die Mannschaft die Grenze vom Sport zur Kunst.“ (Volltext)
Christian Eichler (FAZ 07.05.02) beschreibt die Situation von Arsenal London, FA-Cup-Sieger nach einem 2:0-Erfolg gegen Chelsea FC:
„In den vergangenen drei Jahren sah sich Arsenal in die Leverkusen-Rolle gedrängt: dreimal Zweiter in der Meisterschaft hinter Manchester United, Verlierer im Uefa-Cup-Finale gegen Galatasaray, Verlierer im Pokalfinale gegen Liverpool FC. Nun endlich wieder ein Titel – der nächste soll nur noch zwei Tage warten (…) Am Mittwoch will Arsenal das dritte Double der Vereinsgeschichte nach 1971 und 1998 komplettieren.“
Martin Pütter (NZZ 30.04.02) über den englischen Kampf gegen Hooligans:
„Manchmal erinnert die Arbeit der Spezialeinheit der englischen Polizei an die Aufgabe eines Geheimdienstes. Bevor die englische Nationalmannschaft im Herbst 2000 ihr WM-Qualifikationsspiel in Helsinki gegen Finnland (0:0) absolvierte, hatten Hogg und seine Kollegen erfahren, dass eine Gruppe von vorbestraften Hooligans in Stockholm einen Helikopter gechartert hatten, mit dem sie in die finnische Hauptstadt fliegen wollten. Darüber wurde die finnische Polizei informiert. Kaum war der Helikopter gelandet, wurden die Hooligans verhaftet und wieder nach England geschickt. Was dieses Detail deutlich zeigt: Hooligans verschweigen ihre eigentliche Destination immer öfters. Kaum an ihrem ersten Ziel angekommen, reisen sie sogleich an Englands Spielort weiter. Das könnte nun auch an der WM in Japan und Südkorea der Fall sein. Es ist möglich, dass Hooligans zum Beispiel zunächst nach Schottland fahren und von dort aus ihre Reise in den Fernen Osten fortsetzen.“ (Volltext)
„Die Nostalgiker im englischen Fußball hatten am Sonntag Grund zur Freude“, erfahren wir von Martin Pütter (NZZ 23.04.02):
„Einer der namhaftesten Vereine des Landes schaffte – als zweiter Klub neben Manchester City – den direkten Aufstieg in die Premier League. Durch den 2:0-Heimsieg gegen Crystal Palace beendete West Bromwich Albion eine 16-jährige Absenz von der obersten Spielklasse (…) West Bromwich Albion hat eine an Wechseln reiche Geschichte hinter sich. Den Spitznamen „Baggies“ erhielt der 1878 gegründete Klub, weil die ersten Trikots für die Spieler viel zu gross gewesen waren. 1888 gehörte der Verein zu den Gründungsmitgliedern der Football League und gewann im gleichen Jahr auch zum ersten Mal den FA-Cup. Doch danach kam es zu einem ständigen Auf und Ab zwischen der obersten und der zweitobersten Spielklasse (…) Dass der Albion- Trainer weniger mit der grossen finanziellen Kelle rührt als mit etwas unorthodoxen Mitteln arbeitet, zeigte auch das Spiel gegen Crystal Palace. Bis zehn Minuten vor dem Anpfiff durften Ehefrauen, Kinder und sogar Eltern der Spieler in die Kabine. Damit wollte Megson seinem Team und den Fans verdeutlichen, dass das Resultat nicht nur für sie wichtig ist.“ (Volltext)
Die NZZ (10.04.02) befasst sich mit der von Trainer Kevin Keegan forcierten Spielweise des englischen Traditionsklub Manchester City, der soeben in die in die Premier League aufgestiegen ist:
„Keegan ist älter geworden, aber nicht unbedingt weiser. Die Vereine, die er früher trainiert hatte (Newcastle United und Fulham), zeichneten sich dadurch aus, dass sie in offensiver Hinsicht faszinierten, defensiv jedoch mitunter haarsträubend spielten. Und Manchester Citys Bilanz offenbart nun, dass er den Mangel an technischen Kenntnissen nicht ausgemerzt hat. Solange Keegan seine Stärken umsetzen kann, ist das aber nebensächlich. „Mighty Mouse“ ist Meister der Motivation und versteht es, unter den Spielern den Glauben an ihre Fähigkeiten zu steigern.“
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Vermischtes
Hoeneß ist ein Trotzkopf
Wolfgang Hettfleisch (FR 12.3.) kritisiert die Verteidigungen des Bayern-Managers. „Hoeneß ist ein Trotzkopf – notfalls auch wider besseres Wissen. Wer ihn bedrängt, ihn gar in die Defensive zwingen will, muss mit wütenden Ausfällen rechnen. Siehe Deutsche Fußball-Liga. Erklärungsbedarf wegen des im Herbst 1999 ausgehandelten geheimen Zusatzvertrags mit Kirch, der dem FC Bayern 92 Millionen Euro einbringen sollte, von denen knapp 21,5 Millionen tatsächlich flossen, sieht Hoeneß erst gar nicht. Sagt Hoeneß. Der dünne Hinweis, man habe mit dem auf höchster Ebene eingetüteten Kirch-Deal nicht seine Zustimmung zum Solidarmodell Zentralvermarktung verkauft, als dessen potenter Zahlmeister sich die Bayern gern feiern ließen, sondern die (in der aktuellen Lage am Sportrechtemarkt womöglich dramatisch entwerteten) Pay-per-View-Rechte, muss inhaltlich genügen. Der Rest ist, jedenfalls soweit es Hoeneß betrifft, munteres Grätschen – ob er nun die DFL der Weitergabe des 18-seitigen Vertrags zwischen Kirch und der Bayern-Tochter Sportwerbe GmbH an die Medien zeiht, oder den Berichterstattern anlässlich der Schlagzeilen über Kahns Privatleben Scheinheiligkeit vorwirft. Was ja berechtigt ist. Bloß fällt Hoeneß hier einmal mehr als begnadeter Verwurster unvereinbarer Sachverhalte auf. Fast möchte man mutmaßen, der Wirbel um Kahn sei ihm gelegen gekommen. Lächerliche Bettenschnüffelei hier, die Aufdeckung eines alarmierenden Interessengeflechts zwischen dem FCB, Kirch und dem Umfeld von Franz Beckenbauer dort: In den saftigen Repliken von Uli Hoeneß wird das schnell untergerührt, sind Sensationsgier und Neid die wahren und einzigen Triebfedern für alle Anwürfe. Aufklärung sieht anders aus. Er glaube nicht, hat Hoeneß gesagt, nachdem das manager magazin die Existenz des geheimen Kirch-Papiers offenbart hatte, dass es jemanden gibt, der den FC Bayern an der Moral packen kann. Das klang für manches feine Gehör eher so, als sorge sich Uli Hoeneß, es könnte jemanden geben, der den FC Bayern an der Moral packen kann. Das Bild von den karitativen Edelleuten aus dem Süden hat Risse bekommen. Die ersten schon, als im Herbst 2001 bekannt geworden war, dass sie Wunschspieler Sebastian Deisler, als dieser noch für Hertha BSC kickte, mit zehn Millionen Euro das Konto geflutet hatten und – in geringerem Umfang – analog bei Sebastian Kehl verfahren waren. Uli Hoeneß hatte geschäumt. Nicht wegen der unanständigen bayerischen Anwerbepraxis, sondern weil sie aufgeflogen war. Erste Berichte hatte der Bayern-Manager noch in Oscar-reifer Empörung als Schwachsinn zurückgewiesen. Wo es um die Durchsetzung von Interessen der Bayern geht, hat der Moralist Hoeneß gern mal Pause. Als die Kirch-Gruppe vor einem Jahr aus dem letzten Loch pfiff, flocht er dem Partner noch eifrig Kränze. Unverdrossen behauptet er nun, in der kommenden Saison könne die Liga TV-Gelder in Höhe von 120 bis 150 Millionen Euro einstreichen – ein Betrag, der nicht annähernd erzielt werden wird. Desinformation als unternehmerisches Kalkül? Die Lektion aus München lautet: Dort sind die Menschen nicht besser als anderswo. Und Chefpropagandist Hoeneß, der bislang gern die vermeintlich blütenweiße Wäsche des FC Bayern vorzeigte, muss sich fragen lassen, ob im eigenen Laden stets so klare Kante gefahren wurde, wie er dies diverse Male von anderen einforderte. Doch Hoeneß ist loyal bis an die Schmerzgrenze. Franz Beckenbauer, heißt es, habe die Kirch-Nummer eingefädelt – Arbeit und Ärger überließ er Hoeneß und Finanzvorstand Fritz Scherer. Als die Sache ruchbar wurde, sagte Beckenbauer im Bezahlsender Premiere rotzfrech, er könne ja nicht jeden Vertrag kennen. Hoeneß grummelte zwar, er habe keine Lust, als Chef-Angeklagter des Vereins zu gelten. In Wahrheit aber zog er noch stets die Pfeile auf sich, wenn Not am Mann war. Das wird er auch weiter tun – und sich in einer stillen Stunde vielleicht mal fragen, ob sein persönlicher Wertekanon in diesem Geschäftsumfeld tatsächlich keinen Schaden genommen hat.“
Von Evi Simeoni (FAZ 13.3.) lesen wir über die Situation beim Tabellenführer. “In der Zentrale machen sie sich Sorgen. Er könnte vor den Paparazzi ins Ausland fliehen, fürchtet Rummenigge. Allerdings sei in England die Skandalpresse noch aggressiver. In Italien hingegen sei das Privatleben der Spieler tabu. Rummenigge weiß dies zu schätzen. Er hat vier Jahre lang für Inter Mailand gespielt. Läßt sich in Italien also auch jetzt noch ungeniert der Promi-Bonus bei lebenslustigen Party-Mädchen ausspielen, so wie früher in Deutschland? Niemand will offen Kahns Lebenswandel verteidigen. Aber es ist viel von Scheinheiligen die Rede zur Zeit an der Säbener Straße. Und die unerschütterlichen – auch weiblichen – Fans warten, bis Kahn vom Duschen kommt, entschlossen, ihm den Rücken zu stärken. Ob Kahn trotz allem weiter seine Leistung bringen kann? Er hat sich hochgearbeitet zwischen den Pfosten, er war hart zu sich selbst, hat sich nie ablenken lassen und nur so auch alle Talentierteren hinter sich gelassen. Nun geht beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft die bange Frage um, ob er die Konzentration aufrecht erhalten kann, die seine Weltklasse ausmacht. Er könnte, sobald die Anspannung nachläßt und die privaten Angelegenheiten geregelt sind, in ein psychisches Loch fallen. Es ist kein Geheimnis, daß Auszeiten nach der WM mit persönlichen Problemen zu tun hatten. Sie sind froh beim FC Bayern, daß sie in der Bundesliga zur Zeit dreizehn Punkte Vorsprung auf den ersten Verfolger, Borussia Dortmund, haben. Kahn steigt in seinen Audi, der wie alle Bayern-Autos das Kennzeichen M – RM trägt. Das RM steht für Rekordmeister. Er fährt los, und die Fans schauen ihm nach, in eine frühlingshafte Staubwolke gehüllt. Dort endet ihre Welt. Am Abend im italienischen Restaurant Eboli im Villenvorort Grünwald, wo die Bayern-Stars verkehren, schaut die Münchner Szene genauer hin. Oder in der News Bar in der Amalienstraße, an deren Ausgang jüngst kompromittierende Fotos von Kahn aufgenommen wurden. Dort weiß man, worum es im Leben noch geht. Davon künden die Porträts mit Untertitel, die dort die Wände schmücken. Eines trägt die Aufschrift: Boris says he can get any woman he wants. Wirklich? Boris kann alle Frauen bekommen, die er will? Mag sein. Aber das ist eine andere Münchner Geschichte.“
Zum Verhältnis zwischen Jürgen Röber und Stefan Effenberg heißt es bei Jörg Marwedel (SZ13.3.). „Die starken Worte des Trainers lassen keinen Zweifel an seinem Willen, die eigene Autorität nicht durch ein bedingungsloses Bündnis mit dem machtbewussten Spielmacher zu gefährden – so, wie es Wolf passiert war. Und sie schüren die Spekulation, dass man sich am Saisonende von Effenberg trennen wird. Die für Anfang März terminierten Vertragsgespräche sind jedenfalls auf vorerst unbestimmte Zeit vertagt. Auch Effenbergs Annahme, er selbst entscheide über eine Fortsetzung seines Engagements, wird von Mitgliedern der Wolfsburger Führungsorganisation nicht bestätigt. Im Aufsichtsrat der VfL Wolfsburg Fußball GmbH steht man einer Vertragsverlängerung mit dem teuren Altstar (zwei Millionen Euro Jahressalär) jedenfalls zunehmend skeptisch gegenüber. Die jüngste Auto-Affäre Effenbergs, der einen Polizisten nach einer Verfolgungsfahrt „Arschloch“ genannt haben soll, hat ihm ebenso wenig Pluspunkte eingebracht wie der Auftritt des VfL im ersten Spiel unter Röber. Erstmals nach Monaten hatte die Mannschaft beim 3:2 gegen Energie Cottbus wieder Teamgeist gezeigt – ohne Effenberg, der verletzt auf der Tribüne saß. Viele Beobachter haben da einen Zusammenhang vermutet, denn auch in der Mannschaft hatte sich zuletzt Unmut über Effenbergs mangelnde Laufbereitschaft breit gemacht. Das hatte zu latenten Fraktionsbildungen pro und contra Effenberg und zum Absturz bis in die Nähe der Abstiegsränge geführt. Über die Zukunft des früheren Nationalspielers in Wolfsburg soll indes allein der neue Trainer befinden. „Welche Entscheidung Röber auch trifft – ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei uns Widerstand gibt“, sagte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Heitmann. Und weil auch Manager Pander, dem einst größten Befürworter Effenbergs, offenbar Bedenken gekommen sind, wird sich an dieser Frage kaum der erste Krach im neuen sportlichen Führungsduo entzünden.“
Jörg Hanau (FR 12.3.) kommentiert die Forderung des südamerikanischen Fußballverbandes (CSF), die Teilnehmerzahl bei WM-Endrunden um vier auf 36 zu erhöhren. „Dass die Latino-Machos nun dafür plädieren, das Feld von 32 auf 36 Teams aufzustocken, ist unlauter, um nicht zu sagen chauvinistisch. Lange haben sie sich in den führenden Kontinentalverbänden dafür stark gemacht, den vermeintlich Kleinen auf die Beine zu helfen. Nun, da in Afrika und Asien guter Fußball gespielt wird, ist das Geschrei der Arrivierten groß. Der Modus mit 32 Mannschaften hat sich zweifelsfrei bewährt, einen Monat lang wird in 64 Spielen der Weltmeister ermittelt. Das muss reichen. Eine neuerliche Erweiterung wäre der Sache nicht dienlich, dem Produkt Fußball-Weltmeisterschaft möglicherweise sogar abträglich. Und überhaupt: Worin liegt der Unterschied, ob nun Uruguay als Fünfter der CSF-Qualifikationsrunde in der Vorrunde scheitert, oder eben Australien, das in den interkontinentalen Playoff-Spielen den Südamerikanern knapp unterlegen war?“
Martin Hägele (SZ 13.3.) meint dazu. „Nichts gegen die Weltmeister-Nationen Brasilien und Argentinien, aber was nach ihnen kommt, gehört nicht zur Elite des Fußballs. Wieso soll eine zehnköpfige Konföderation gleich fünf ihrer Mitglieder zur WM nach Deutschland schicken dürfen? Wegen der Kicker aus Ekuador und Paraguay hockten beim letzten Festival im asiatischen Sommer nicht Hunderte von Millionen nächtens vorm Fernseher; und der sportliche Reiz des Turniers würde sich auch nicht steigern, wenn noch eine Auswahl aus Venezuela, Bolivien oder Kolumbien im Juni 2006 zwischen München und Berlin mitmischten. Diese Meinung schert die Conmebol-Vertreter kaum. Man kommt dem Grund ihres Antrags näher, wenn man den zwei wichtigsten Fifa-Funktionären dieser Region auf die Finger schaut. Sowohl Julio Grondona aus Argentinien als auch dem Brasilianer Ricardo Teixeira werden geschäftliche Verbindungen zum kontinentalen TV-Vermarkter Traffic nachgesagt. Die beiden könnten von mehr WM- Spielen mit südamerikanischer Beteiligung profitieren (…) Rund um die gemeinsame Berliner Medienkonferenz von Fifa und WM-Sponsor MasterCard sickerte gestern durch, dass die Südamerikaner bereits den mächtigsten Verbündeten in ihr Lager gezogen haben. Uefa-Boss Lennart Johansson versprach Conmebol-Vize Figueredo seine Unterstützung. Er werde mit dem Präsidenten des DFB reden und ihm zum 36er-Modell raten. Man darf gespannt sein, wie Gerhard Mayer-Vorfelder mit der Empfehlung des alten Schweden umgeht. Am 3.Mai soll das Exekutiv-Komitee entscheiden. Sechs Wochen sind eine verdammt lange Zeit für Funktionäre, um Blödsinn zu machen. Vor allem, wenn viele davon zu alt, zu bequem und zu feige geworden sind – und nicht mehr wissen, dass sie für ihren Sport auch Verantwortung tragen.“
„Mit Markus Feldhoff will Uerdingen den Abstieg verhindern“ SZ
Matti Lieske (taz 12.3.) fragt. “Wer wird Fußballweltmeister 2006? Klarer Fall: die USA. Der Grund: Freddy Adu. Wenn das Turnier in Deutschland beginnt, wird der Stürmer gerade seinen 17. Geburtstag gefeiert haben, und schon jetzt ist abzusehen, dass er durchaus das Zeug hat, in die Fußstapfen eines Pelé, Maradona oder Ronaldo zu treten. Dabei darf man davon ausgehen, dass die USA kaum den Fehler begehen werden, Adu nicht in den WM-Kader zu berufen, wie es Trainer Menotti 1978 dem 17-jährigen Maradona antat, oder ihn die ganze Zeit auf der Bank schmoren zu lassen wie Coach Parreira 1994 den 17-jährigen Ronaldo. Geschadet hat es im Übrigen beiden Trainern nicht, sowohl Argentinien als auch Brasilien holten jeweils den Titel. Freddy Adu jedoch könnte eher dem Beispiel Pelés folgen, der 1958 in Schweden mit der Wucht eines Naturereignisses die Fußballbühne betrat und Brasilien zum WM-Gewinn führte. Mit dem kleinen Unterschied allerdings, dass den jungen Burschen aus Santos damals kaum ein Mensch kannte, Adu aber schon heute, als 13-Jähriger, heftig von den größten und reichsten Fußballklubs der Welt sowie den bedeutendsten Sportartikelfirmen und Management-Agenturen umworben wird. Seine Mutter Emilia, die als Kassiererin in einem Baumarkt arbeitet, lehnte jedoch selbst sechsstellige Dollarbeträge, wie sie Inter Mailand bot, konsequent ab. Er ist doch noch ein kleiner Junge, meinte sie und schickte den begabten Sohn stattdessen nach Bradenton, Florida, ins Jugendfußballcamp des US-Verbandes.Freddy Adu stammt aus Ghana und ist ein Neffe des langjährigen Bundesligaspielers Anthony Yeboah. 1997 gewann seine Familie bei einer Lotterie eine Green Card für die USA und wanderte mit dem Sprössling nach Potomac in Maryland aus. Im März erhielt Emilia, die ihre beiden Söhne inzwischen allein erzieht, die US-Staatsbürgerschaft, damit war auch Freddy spielberechtigt für die Auswahlteams der USA. Bei seinem offiziellen Debüt am letzten Wochenende beim Qualifikationsturnier für die U17-WM war er im Kreis seiner wesentlich älteren Mitspieler sofort der beste Akteur.“
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Ballschrank
Bayern München – Olympique Lyon 1:2
das „klassische Ausgerechnet-Tor“ (taz) Elbers lässt das Herz der Bayern-Fans von vergangenen Zeiten träumen – Hitzfeld in der Defensive und in der Kritik
Bayern München – Olympique Lyon 1:2
Andreas Lesch (BLZ 7.11.) legt sein Ohr auf die Schiene: „Etwas unterscheidet die aktuelle Krise von der im Vorjahr. Diesmal gäbe es einen Kandidaten für Hitzfelds Nachfolge: Felix Magath. Beim VfB Stuttgart hat der Coach eine noch erstaunlichere Entwicklung genommen als sein Team. Er ist zum Star geworden unter Deutschlands Trainern, zum Synonym für Jugendfrische und Erfolg, für Freude und Disziplin. Er hat eine Mannschaft geformt, die kaum aufzuhalten scheint, und er hat nicht einmal viel Geld dafür gebraucht. Magath wird so positiv gesehen wie lange kein Trainer mehr, und so ist er für Hitzfeld zur Gefahr geworden.“
Elber war das Herz der erfolgreichen Bayern-Jahre
Michael Horeni (FAZ 7.11.) stellt großen Verlust bei den Münchnern fest: “Es war bemerkenswert, welche Reaktionen der Treffer und die Rückkehr Elbers beim Publikum auslösten, das oftmals wie ein Seismograph die Stimmungen eines Vereins auszudrücken versteht. Elber erhielt ersten lebhaften Applaus, als sein Name als Torschütze des für die Bayern bitteren Treffers genannt wurde. Tosend geriet der Beifall, als der Brasilianer zehn Minuten vor Schluß ausgewechselt wurde. Der Jubel der Münchner war mehr als nur eine Hommage für sechs erfolgreiche Jahre eines brasilianischen Profis beim FC Bayern. Es war ein fast demonstrativer Beifall für einen Spieler, der einem ökonomisch logischen Plan der Vereinsführung zu weichen hatte, die seinen mangelnden Nutzen an zu wenigen Auswärtstoren und zu hohem Alter festmachte. Dafür kaufte sie Roy Makaay, der in der Champions League wie ein Tor-Roboter seinen Auftrag erfüllt. Der Holländer erzielte sein viertes Tor im vierten Spiel der Meisterklasse. Aber nun spüren die Bayern schmerzhaft die Lücke, die Elbers Abschied hinterlassen hat. Mit ihm ging nicht nur ein erfolgreiches, nicht auf einen einzigen statischen Stürmer fixiertes Spielsystem dahin. Auch im Millionenbetrieb Profifußball gibt es eben noch emotionale Verluste, die sich durch teure Transaktionen nicht einfach aufheben lassen. Elber war das Herz der erfolgreichen Bayern-Jahre, nicht nur für das Publikum. Er leistete auch innerhalb der Mannschaft, wie sich nun zeigt, unschätzbare Integrationsdienste, die Kahn und Effenberg in dieser Weise nie zu leisten imstande waren – und die jetzt unerledigt bleiben. Mit Elber als Anführer der Latino-Fraktion und Gegenpol zu den konkurrierenden Stars Kahn und Ballack ist eben auch ein Teil der hierarchischen Statik weggebrochen.“
Stil der Gefühlskälte
Heinz-Wilhelm Bertram (BLZ 7.11.) ergänzt: „Eine schillernde Nebennote war Elbers Prophezeiung: Er werde, hatte er vorausgesagt, in einem der zwei Spiele gegen den FC Bayern ein Tor erzielen, und zwar in Kahns schwache Ecke. Der Umstand, dass sich seine Voraussage präzise wie in einer Traumvorschau erfüllte, muss über den Verantwortlichen hereingebrochen sein wie eine alttestamentarische Katastrophe. Das war am besten abzulesen am Bild des wie versteinerten Managers: Uli Hoeneß hockte nach dem Treffer reglos auf der Bayern-Bank wie einst die Eisblock genannte Kiewer Trainerlegende Waleri Lobanowksi (…) Keine Mannschaft, ein seelenloses Gebilde versucht und übt sich da seit Wochen, und das wirft wahrlich kein gutes Licht auf die sportliche Leitung. Trainer Ottmar Hitzfeld ahnte wohl eine Teilschuld: Am besten ist, wir lesen in den nächsten Tagen alle keine Zeitung. Bedenklich erscheint, dass sich der Stil der Gefühlskälte im gleichen Maße in der Geschäftsleitung des FC Bayern etabliert hat. War die Ägide des Präsidenten Beckenbauer noch von lauschigem Geist durchweht, so hat sich seit der Ära Rummenigge ein Technokratenhandeln ausgebreitet.“
Martin Hägele (NZZ 7.11.) stellt nicht nur Nervenflattern fest: „Ob es in einer Mannschaft stimmt, zeigt sich daran, ob jeder Spieler seinen Nebenleuten hilft und einer für den anderen läuft. Diese beiden Grundkomponenten haben die Bayern-Profis schon während ihrer letzten dürftigen nationalen Vorstellungen immer mehr vermissen lassen. Am persönlichen Einsatz hat es dagegen weniger gefehlt. Selbst als Hitzfeld nach dem 2:1 Elbers bei dessen ehemaligen Kollegen eine kollektive Lähmung feststellte, haben sich die Einzelnen nicht hängen lassen. Sie wehrten sich – wie ein Haufen internationaler Fussball-Legionäre, aber nicht wie eine richtige Bayern-Mannschaft. In der Vergangenheit sind die Erfolge des „FC Nobel“ stets damit begründet worden, dass Bayern-Profis nicht nur ein rotes Trikot, sondern auch ein Sieger-Gen mit sich tragen. Und dass die Nachfolger von Beckenbauer und Müller, Hoeness und Rummenigge erst unter Druck ihre stärksten Leistungen abgeliefert hätten. Nun aber entdeckt Hitzfeld, dass seine Leute „Nerven zeigen, wenn sie unter Druck stehen“ und dass das Kernproblem in den Köpfen stecke: die Angst vor einer Blamage.“
Wolfgan Hettfleisch (FR 7.11.) findet die Vorwürfe an Michael Ballack einseitig: „Sofort steht Nationalspieler Michael Ballack, der sich zuletzt nicht in Topform peräsentiert hat, im Mittelpunkt der Diskussion. Der Mittelfeldspieler, überreich gesegnet mit allem, was einen Klassefußballer ausmacht, hat ein schwer zu lösendes Problem: Er stieg ohne viel eigenes Zutun zum Messias der gesamtdeutschen Fußballgemeinde auf. Ein angenehmer Job ist das nicht. Schließlich: Ein Mensch hat vielleicht mal ’nen schlechten Tag, ein Halbgott wie Ballack niemals. Weil dem so ist, machen den Görlitzer nun manche, die ihn noch vor nicht allzu langer Zeit gern in den Himmel hoben, madig. Die Allzweck-Phrase, wenn es nicht läuft beim FCB, lautet: Ballack fehle das Zeug zum Führungsspieler. Der Club wird nichts dagegen haben, wenn sich alle auf den Star stürzen: Dann redet nämlich keiner über die wacklige Bayern-Abwehr, die exorbitante Fehlerquote von Demichelis oder die Lichtjahre, die Lizarazu inzwischen von der einst verkörperten Klasse trennen.“
Wir wolln die Eier sehn
Thomas Becker (taz 7.11.) vermisst vieles: „Der FC Bayern 2003 ist eine Ansammlung von Ich-AGs, eine Patchwork-All-Star-Truppe ohne das, was in früheren Generationen Teamgeist hieß. Mehr als eine halbe Stunde Zeit blieb nach dem 1:2 – nicht nur Hoeneß wunderte sich, dass wir danach mehr oder weniger ohne Torchance geblieben sind. Außer Kahn schien sich niemand gegen die Niederlage wehren zu wollen, keiner krempelte die Ärmel hoch. War ja auch kalt. Eine geballte Faust, ein aufmunterndes Wort für den Mitspieler? Nö, du, lass mal! Die Fans schrien: Wir wolln die Eier sehn. Ballack gab einen Führungsspieler im Standby-Modus, trabte auch noch in den allerletzten Sekunden so entspannt übers Feld, als stände es 4:0. Neben ihm: Demichelis, Ze Roberto – auch nicht gerade die Erfinder des temperamentvollen Aufputschens, von Santa Cruz oder Makaay ganz zu schweigen. Einige derer, die diese unverzichtbare Mitreiß-Arbeit seit Jahren praktizieren, sitzen nur noch auf der Bank: Linke, Scholl, Jeremies. Viel zu spät wechselte Hitzfeld die letzten beiden ein. Kritik an Ballack ließen weder Trainer noch Manager zu – Artenschutz für die große Hoffnung des FCB.“
Das Handelsblatt (7.11.) rühmt die Stuttgarter Elf: „Es gibt nicht viele Profis, die in der Nacht nach solch einem persönlichen Triumph so nüchtern bleiben, Magaths Kader besitzt eine Menge bodenständiger Typen. Sie haben ihre Stärken verinnerlicht, sie wissen, dass sie Präzision und Energie in extremen Situationen abrufen können.“
Martin Hägele (NZZ 6.11.) hat es kommen sehen: „Selbst am Tag, an dem die französischen Meister im Olympiastadion aufkreuzten, präsentierte sich der Tabellenfünfte der Bundesliga als Debattierklub. Diesmal war es der Franzose Sagnol, der über die Zeitung Le Parisien Kritik am System übte: Beim Champions-League-Sieg im Jahr 2001 sei die Mannschaft aggressiv und erfolgshungrig gewesen, so der rechte Aussenverteidiger des Europameisters. „In dieser Saison lassen wir diese Qualitäten vermissen. Hinzu kommt die Tatsache, dass wir keinen Leader haben.“ Ein deutlicher Hinweis darauf, dass Effenberg ganz anders als heute Ballack die Star-Gruppe vor allem emotional geführt habe. Hättest du lieber geschwiegen, kleiner Franzose, und deine Energien für das Spiel geschont. Denn weder Sagnol noch auf der anderen Abwehrseite der zweite Vertreter der Grande Nation, Lizarazu, vermochten gegen ihre Landsleute Signale zu setzen. Dafür war es Makaay, der wieder einmal bewies, warum der FC Bayern 18,75 Millionen Euro nach La Coruña überwiesen hatte. Und die Vorarbeit zum Ausgleichstreffer des Holländers hatte ausgerechnet der zuletzt vielgescholtene Ballack geliefert. Für den frühen Rückstand hatten die strengen Münchner Juroren stattdessen schnell einen Sündenbock gefunden. Ein Keeper vom Range Kahns, der berühmt dafür geworden ist, auch sogenannte „unhaltbare“ Bälle zu parieren, darf sich keinen Freistoss aus 25 Metern ins Netz zirkeln lassen. Und die Form, die den 34-jährigen Goalie zum besten seines Metiers gemacht hat, hätte man ihm gewünscht, als es in der 54. Minute zum ersten Mal zum Duell mit dem alten Kumpel kam: Elber zog flach ab, Kahn tauchte zu langsam nach unten – und damit war exakt jenes Malheur passiert, das nach Meinung aller Bayern-Verantwortlichen nie hätte geschehen dürfen.“
AS Monaco – Deportivo La Coruna (8:3) Tsp
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Danke, ich werde Euch nie vergessen
Jan Christian Müller (FR 19.5.) fühlt mit. “Es gibt sie noch, die seltenen ergreifenden Momente im gegelten Unterhaltungsgeschäft Fußball-Bundesliga. Und wahrscheinlich gibt es dafür kaum einen schöneren Ort als den Lauterer Betzenberg; dort oben, wo die Fans den ungeschminkten Fußball lieben, das wahre Gute in einer profanen Grätsche finden und am Samstag nach dem wichtigsten 0:0 der Vereinsgeschichte einem Mann huldigten, der acht Jahre lang ein stiller, unaufgeregter und selbstloser Fußballprofi im Teufels-Trikot war. Als sich Robin (6) und sein kleiner Bruder Luis (3) aus dem Publikum lösten, um in ihren viel zu großen roten Trikots mit der Nummer 24 auf dem Rücken quer über den Platz zu ihrem Vater zu laufen, da mischte sich in die ausufernde kollektive Freude über den soeben erreichten, in der Winterpause für schier unmöglich gehaltenen Klassenerhalt ein kalter Hauch von Wehmut. Harry Koch, die Kultfigur mit der Kultfrisur, hatte noch einmal fast eine halbe Stunde lang spielen dürfen, aber er wird künftig nicht mehr gebraucht im modernen Spielsystem von Erik Gerets. Jetzt lief der Vorstopper, den die Lauterer vom seinerzeitigen Regionalligisten TSV Vestenbergsgreuth geholt hatten, ein letztes Mal über den vertrauten Rasen, den kleinen Luis auf dem Arm, Robin an der Hand. Koch trug ein T-Shirt, das er selbst beschriftet hatte: Danke, ich werde Euch nie vergessen. Da erhoben sich die Menschen von ihren Sitzen und klatschten ergriffen, denn sie fühlten, wie schwer es dem Mann dort unten fiel, Abschied zu nehmen aus der Pfalz, die zu seiner zweiten Heimat wurde. Doch das Profigeschäft, von dem Koch – entsprechend großzügig finanziell bedacht – die auf viele Jahre hinaus beste Zeit erlebt hat, wird nicht von Gefühlen bestimmt. Vorstandschef René Jäggi versteht sich als Sanierer eines schwer kranken Unternehmens. Er kann es sich nicht leisten, Almosen zu verteilen. Also muss Koch gehen. Auch wenn es ihm weh tut. Sehr weh.“
Auf Jugend und regionale Talente ausgerichteter Sparsamkeits-Kurs
Martin Hägele (SZ 19.5.) verzeichnet Vernunft und Emotion. „Vom großen Tag des Sanierers René C. Jäggi und vom noch größeren Tag des Retters Erik Gerets wird man in der Pfalz noch lange reden. Vor allem vor den Gefühlsbeschreibungen des Schweizer Vorstandsvorsitzenden und des Trainers aus Belgien: „Das ist wie nach einem schweren Verkehrsunfall, den man überlebt. Noch nie war ein 0:0 auf dem Betzenberg so wichtig wie heute“, sagte Jäggi. Dessen Partner war nach einem dreiviertel Jahr sportlichen und wirtschaftlichen Überlebenskampfes im deutschen Südwesten dermaßen geschafft, dass „ich diese Gefühle gar nicht öffentlich erklären möchte“. Nur so viel aus dem Innenleben des Erik Gerets, der einst der härteste und abgezockteste Verteidiger von allen Benelux-Profis und später ein erfolgreicher Fußball-Lehrer in jener Region war: „Heute habe ich zum ersten Mal Champagner getrunken, obwohl ich nichts gewonnen habe.“ Viele Menschen aus der kleinsten Bundesliga-Stadt werden ihren Freunden aber auch von anderen Szenen erzählen, die sie an diesem Nachmittag erlebt haben – die mehr als viele Worte das Finale einer verrückten Bundesligarunde beim Fritz-Walter-Klub beschreiben. Wie Harry Koch, die Kultfigur des Vereins, sein Adieu ins Stadion-Mikrofon geschluchzt hat und den Fans dankte: „Acht Jahre für euch zu spielen, das war das Schönste für meine Familie und mich.“ Wie Torwart Georg Koch anständig mitgespielt hat bei seinem unfreiwilligen Abschied mit Winke-Winke ins Publikum, während Mario Basler, der nun als Bundesliga-Faktotum zu den Scheichen von Katar abgeschoben wird, Laudatio und Ehrenrunde kaugummikauend absolvierte. In der kommenden Saison wird es im Kader des FCK keinen Platz mehr geben für Profis vom alten Schlag wie der Verteidiger Harry mit der Zottelfrisur einer war; auch Alleinunterhalter und überbezahlte Alt-Stars passen nicht mehr zu einem auf Jugend und regionale Talente ausgerichteten Sparsamkeits-Kurs, zu dem sich die neue Klubführung klar bekennt, nachdem sie mit dem Verkauf der WM-Arena aus den gröbsten Existenznöten heraus ist. In diesem Zusammenhang müsste man erwähnen, dass sich Jäggi deshalb nicht nur bei der Stadt Kaiserslautern und dem Ministerpräsidenten Kurt Beck, sondern auch bei allen Banken öffentlich bedankt hat. Vielleicht muss man dazu im Land der Kreditinstitute aufgewachsen sein wie der Unternehmer Jäggi aus Basel.“
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‚Was macht eigentlich Reiner Calmund?‘
fragte der indirekte freistoss am vergangenen Montag. Christoph Biermann (SZ 22.8.) antwortet. „Mit Beginn dieser Saison hat sich der massige Mann einer ganz neuen Diät verschrieben: er meidet die Öffentlichkeit. „Ich will nicht kindisch werden und mich vor den Medien verstecken“, sagt er, „in meiner Gewichtsklasse gibt es keine Tarnanzüge.“ Trotzdem lässt Calmund neuerdings Kamerateams stehen, gibt keine großen Interviews mehr und meidet Fernsehstudios. Das ist auch eine Folge des Plauder-Overkills in der vergangenen Saison. In den Wirren des Abstiegskampfes verhedderte sich nicht nur Calmund mit einer Fülle von Statements. Jeder im Konzern-Klub hatte der Welt etwas mitzuteilen, und genüsslich wurden die Parteien dabei gegeneinander ausgespielt. In der Sommerpause setzten sich die Vielsprecher zusammen und beredeten, „was in der Außendarstellung schief gelaufen ist“, wie Bayer-Sportbeauftragter Meinolf Sprink sagt. Seitdem herrscht Ruhe. Sprink selbst taucht nur in homöopathischen Dosen auf, Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser schweigt und Calmund macht sich rar. Dafür hat einer die Bühne betreten, der dort schon im Vorjahr ein kurzes Gastspiel gab. Manager Ilja Kaenzig, den Calmund nach Beginn der großen Krise zu dessen Schutz in die Kulissen zurück beorderte, hat bei Pressekonferenzen den Platz des Geschäftsführers eingenommen und trägt so zum neuen Auftritt in Leverkusen bei. „Mit dem Tandem Augenthaler/Kaenzig ist eine andere emotionale Schlagzahl drin“, sagt Sprink. Der distanziert kühle Trainer und der zurückhaltend verbindliche Manager wirken dämpfend, wo jüngst noch größte Aufregung herrschte. Wobei, das soll nicht verschwiegen sein, der gelungene Saisonstart das größte Sedativum ist. Über den Sommer hat sich die polternde Bauernbühne in der BayArena zum Staatstheater gewandelt, doch entspricht der veränderte Auftritt auch neuen Gewichten innerhalb des Vereins. Selbst wenn Calmund es noch nicht ganz deutlich sagt, will er Kaenzig offensichtlich als seinen Kronprinzen installieren (…) „Ich wäre stolz gewesen, wenn ich in seinem Alter schon dieses Fachwissen und einen solchen Status gehabt hätte“, sagt Calmund. Seine Jugend sieht Kaenzig angesichts der rasanten Umbrüche im Fußballgeschäft als Vorteil. Für ihn ist der Wandel vergleichbar mit dem Beginn der Computerisierung in großen Unternehmen. „Hätte ich 40 Jahre Erfahrung, würden mir davon 30 nichts nutzen“, glaubt er. Der absehbare Wechsel von Calmund zu Kaenzig steht für die generellen Umbrüche im Geschäft, denn die Zeit der vierschrötigen Fußballbosse neigt sich dem Ende zu. Kaenzig ist Vertreter einer neuen Generation von Managern.“
FR-Interview mit Jens Keller (Eintracht Frankfurt)
Betrug in der polnischen Liga? SZ
Wenn es darum geht, Richtern das Handwerk zu legen, hat Berlusconi Erfahrung
Birgit Schönau (SZ 21.8.) ist fassungslos. „Sämtliche Gerichtsbeschlüsse, die die skandalgeschüttelten Klubs der Profiligen in die Schranken gewiesen hatten, wurden außer Kraft gesetzt. Wenn es darum geht, Richtern das Handwerk zu legen, hat Berlusconi ja mittlerweile eine gewisse Erfahrung. Zu den Profiteuren der Notverordnung gehört der SSC Neapel, der seine Lizenz mit gefälschten Bankbürgschaften erwirkt hatte und deshalb gerichtlich in die 3. Liga relegiert worden war. Null und nichtig, befahl die Regierung. Hinter Calcio Napoli stehen mindestens eine Million Tifosi, ergo Wähler. Ähnlich ist die Lage in Catania. Berlusconis Koalitionspartner Alleanza Nazionale hatte die Revolte der Sizilianer gegen ihren Abstieg angeführt – die Wählerstimmen fest im Auge. Auch die Lega Nord darf in der Farce nicht fehlen: Sie kündigte erbitterten Widerstand an, falls nicht auch norditalienische Klubs begnadigt werden. Im Herbst, wenn das Dekret in ein Gesetz umgewandelt werden soll, rollt der Ball im Parlament.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Jan Simak, kranker Held – Ilja Kaenzig wird in Leverkusen das Sagen übernehmen
Frank Heike (FAZ 1.10.) berichtet die Krankheit Simaks: „Die sieben Monate alte Aussage Klaus Toppmöllers, Jan Simak sei ein Pflegefall, steht nach den jüngsten Ereignissen um den Bundesligaprofi in einem neuen Licht da. Damals spielte Simak bei Bayer Leverkusen, Toppmöller war sein Trainer. Was seinerzeit viele auf den schwach ausgeprägten Integrationswillen des hochtalentierten 24 Jahre alten Tschechen gemünzt verstanden wollten, scheint unbeabsichtigt recht nah an der Wahrheit gelegen zu haben: Am Dienstag nachmittag teilten Bayer 04 Leverkusen und Hannover 96 in gleichlautenden Presseerklärungen mit, daß Simak bis auf weiteres krank geschrieben sei. Er fühle sich zur Zeit nervlich und körperlich nicht in der Lage, den Druck des Profifußballs auszuhalten. Zuvor war der von Hannover ausgeliehene Simak eine Woche unentschuldigt und ohne Kontakt nach Deutschland verschwunden gewesen und erst am Sonntag von seinem Berater Christoph Leutrum von der Agentur Rogon in Prag gefunden worden. Leutrum hatte von depressiven Phasen bei seinem Klienten gesprochen. Karl-Heinrich Dittmar, der Internist von Bayer 04, diagnostizierte nach seiner Untersuchung am Dienstag ein Erschöpfungssyndrom bei Simak. Der Spieler werde fachärztlich behandelt. Simak habe den Vereinen seine Probleme am Montag in Frankfurt mitgeteilt, hieß es weiter. Möglicherweise sind Versagensängste ein Grund für Simaks unbestimmte Auszeit vom Berufsfußball, die in diesem Verlauf einzigartig in der Geschichte der Bundesliga ist.“
Rundumversorgung garantiert
Frank Hellmann (FR 1.10.) gibt zu bedenken: „Im Amüsierbetrieb Bundesliga ist die Rundumversorgung garantiert. Wohnung suchen, Auto kaufen, Schuhe putzen – wer Profi ist, kann sich das sparen. Was für die einen Annehmlichkeit darstellt, ist für schlichte Gemüter vom Schlage Simak eine Gefahr. Wer in seiner ganzen Karriere vor der wahren Verantwortung davon dribbelt, den fatalen Doppelpass mit falschen Freunden, Frauen und Alkohol ebenso pflegt wie den filigranen Flankenwechsel, für den wird das reale Leben eine größere Herausforderung als die Jagd nach Toren und Punkten. Der perfekte Umgang mit dem Ball hat Simak seit der Kindheit vor unangenehmen Dingen bewahrt. In seiner Kindheit in Mezno bei Prag umging er damit die Hausaufgaben. Als Jugendlicher in Tabor setzte es für geschwänzte Trainingseinheiten keine Strafe – der Spieler Simak war schon zu wichtig. Kaum aus Tschechien nach Deutschland gebracht, rollte ihm Hannover 96 den roten Teppich aus. Und nahm Spielschulden, Führerschein-Entzug und nicht bezahlte Rechnungen hin. Wichtig war nur die Gegenleistung auf dem Platz. Findige Berater, die ihn in der Hochzeit seines Schaffens hofierten, verscherbelten ihn nach Leverkusen. Als Simak dort versagte, lieh ihn sein Ex-Verein in Ehren wieder aus. Alles wieder gut? Simaks Eskapaden hielten an. Samstags die Leistung sei wichtig, der Rest egal, hat Sportdirektor Ricardo Moar daraufhin gesagt. Typischer Fall von Trugschluss. Der Rest von Simak ist jetzt eine labile und orientierungslose Persönlichkeit, die für den Profi-Betrieb nicht mehr taugt.“
Psychische Gebrechlichkeit ist nicht vorgesehen im Millionenzirkus Profifußball
Jörg Marwedel (SZ 1.10.) fragt: „Wie krank ist ein Profi, der keine äußeren Verletzungen hat, kein Fieber und trotzdem keinen Fußball mehr spielen mag? Es muss ein schwieriger Prozess für gestandene Macher wie Leverkusens Manager Reiner Calmund und Hannovers Präsident Martin Kind gewesen sein, um zu der Erkenntnis zu gelangen: kranker, als sie geglaubt haben. Simaks Krankheit ist nicht sichtbar wie eine Platzwunde am Kopf. Sie verbirgt sich hinter einem modischen Outfit mit feschem T-Shirt und lustiger Halskette, sogar hinter Witzeleien und Besuchen im Spielcasino, wo ihn jemand dieser Tage in seiner Heimat Tschechien gesehen haben will. Aber psychische Gebrechlichkeit ist nicht vorgesehen in der Welt des Millionenzirkus Profifußball.“
Roland Zorn (FAZ 1.10.) fügt hinzu: „Erst als ihn die inzwischen zu alter Klasse zurückgekehrten Leverkusener an Simaks deutschen Stammverein 96 ausliehen, blühte das von Calmund als schlampiges Genie bezeichnete Ausnahmetalent wieder auf. Es war eine trügerische Blüte, wie man inzwischen weiß. In Hannover, wo sie nur den Klassefußballer Simak bewunderten, litt Jan Simak offenbar unter der panischen Angst, die hohen Erwartungen zu enttäuschen und zu versagen. Eine Einbildung, die er bei sich behielt oder nur ganz engen Freunden anvertraute. Wie einsam sich der beste Mittelfeldspieler von Hannover 96 fühlte, konnte niemand wahrnehmen, da kein Mensch auf die Idee kam, die manchmal dunkle Seelenwelt des Spielers genauer ausleuchten zu wollen. Manager Moar begegnete ersten Vermutungen, Simak könne unter depressiven Schüben leiden, mit dem Gestus des Hauruck-Psychologen: Jan hat doch jeden Tag Witze gemacht. Dabei war Simak doch längst der Spaß an der von ihm so eingeschätzten Herkulesaufgabe vergangen. Gefragt aber war nur die Fachkraft am Arbeitsplatz, der Star in den Medien, der Kumpel mit den für verrückt, aber liebenswert gehaltenen Marotten. Mehr wollte niemand wissen. Warum auch? Geschichten wie die von Jan Simak spielen ja auch auf anderen Bühnen des Lebens. Ob Jan Simak noch einmal auf seinen alten Lieblingsspielplatz zurückkehrt? Darüber mochte am Dienstag nicht einmal der notorisch optimistische Calmund im Ernst spekulieren.“
Erik Eggers (Tsp 1.10.) meldet von der Leverkusener Kommandobrücke: „Als Ilja Kaenzig im Frühjahr 1998 zum Vorstellungsgespräch bei der Fußballabteilung von Bayer Leverkusen war, überrollten ihn immer wieder die rhetorischen Kaskaden des Chefs. „Reiner Calmund hat ungefähr 90 Prozent der Zeit bestritten, ab und zu sprach ich, ja, und dann durfte der Kaenzig auch mal ein paar Sätze sagen“, sagt Andreas Rettig, der damals in Leverkusen arbeitete und heute Manager des 1. FC Köln ist. Irgendwann stand Calmund auf, klopfte dem jungen Schweizer auf die Schulter und stellte ihn auf rheinische Art ein: „Mensch, ich glaub, du bist’n juter Mann.“ Kaenzig sei schließlich ein fabelhafter Ruf als „sehr gewissenhafter und korrekter Typ“ vorausgeeilt, sagt Rettig, „er besaß glänzende Referenzen“. Der Vorstellungstermin war nur Formsache. Kaenzig begann bei Bayer als Assistent Calmunds und „Leiter Nachwuchs“, nach einem Jahr wurde er zum „Koordinator Gesamtfußball“ befördert, einer zentralen Schaltstelle des Klubs, in der alle Informationen zusammenliefen. Seit Juli 2002 darf sich der erst 30-Jährige nun Manager nennen. „Ich bin ein Kaenzig-Fan“, sagt der Bayer-Sportbeauftragte Meinolf Sprink, der zwischen Konzern und Fußball-GmbH vermittelt. Kaenzig sei verlässlich, kompetent, analytisch, zielstrebig, und all das sei gepaart mit großem Fußballwissen. Und Geschäftsführer Calmund bezeichnet den stets zurückhaltenden Luzerner gar als „optimalen Nachfolger“ für seinen Posten, den Leverkusens Volkstribun 2007 aufgeben will.“
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Oliver Bierhoff
Jan Christian Müller (FR 22.5.) verabschiedet Oliver Bierhoff mit einem Portrait. „Der Schauplatz ist angemessen: Als Gast beim italienischen Meister Juventus Turin im Stadion delle Alpi wird Oliver Bierhoff am Samstag seine Karriere als Fußball-Profi nach 17 wechselvollen Jahren beenden. Es wird wenig Zeit bleiben für Sentimentalitäten: Für seinen Club Chievo Verona geht es um einen Uefa-Cup-Platz, Bierhoff, inzwischen 35, darf wie am Wochenende beim 0:0 gegen den AS Rom auf seine Einwechslung hoffen. So wie damals, an jenem unvergessenen Abend im Londoner Wembleystadion, als ihn sein Golden Goal im EM-Finale 1996 vom oft belächelten Stolperstürmer zum internationalen Star mutieren ließ. Der wegen seiner unbeholfen wirkenden Spielweise lange Zeit völlig unterschätzte Bierhoff war gut genug, sein Spielniveau danach spürbar zu steigern, und er war intelligent genug, sich fortan professionell zu vermarkten. Zeit seiner Karriere, die 1986 bei Bayer Uerdingen sehr stockend begann, ihn über den Hamburger SV (Willi Reimann gab mir nie eine echte Chance), Borussia Mönchengladbach, Casino Salzburg, Ascoli Calcio, Udinese Calcio bis zum großen AC Mailand führte, ehe er die Karriere in Monaco und Verona ausklingen ließ, gehörte Bierhoff zu jener sehr seltenen Gattung eines Fußball-Profis, die auch von sich aus auf die Medien zugeht und selten lange gebeten werden muss. Das hat ihm Türen geöffnet, die anderen verschlossen blieben. Der gebürtige Karlsruher hat sich schon früh nicht nur in kurzer Hose, Stollenschuhen und Schienbeinschützern wohl gefühlt, sondern auch in Anzug und Krawatte (…) Die letzten Monate im Kreis der DFB-Auswahl waren schwierig. Das Verhältnis zu Rudi Völler erlebte seinen Tiefpunkt, als Bierhoff beim 1:5 gegen England erst spät eingewechselt wurde und fand, der Teamchef sei ihm eine Erklärung schuldig. Das fand Völler überhaupt nicht. Später verlor Bierhoff die Kapitänsbinde an Oliver Kahn. Neben Miroslav Klose durften abwechselnd Carsten Jancker und Oliver Neuville stürmen, Bierhoff wurde bestenfalls eingewechselt, wie auch im WM-Finale 2002 in Yokohama, als ihm in der Schlussphase fast noch der Anschlusstreffer gelungen wäre. Zuvor, nach dem 0:0 im Qualifikationsspiel gegen Finnland, war der ungeheuer kopfballstarke, dafür weniger kombinationssichere Angreifer zur Symbolfigur der Versager stilisiert worden. Seitengroß hatte Bild seine Waden unter der Schlagzeile Diese Beine verballern die WM abgebildet. Bierhoff hat die Tiefschläge eingesteckt und sie sich damit erklärt, dass in guten Zeiten auch vieles positiv überzeichnet wurde.“
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Der geht zum Training Eisenbahnschwellen treten
Christoph Biermann (taz 8.5.) singt ein Loblied. „Der Wunsch, ein Lob des Verteidigens zu versuchen, folgt keinem großen Plan und keiner grundsätzlichen Revision, sondern nur einer momentanen Stimmung. Denn eigentlich habe ich Verteidiger noch nie gemocht. Sie stehen im Weg herum und versuchen zu verhindern, was beim Fußball am meisten Spaß macht: Tore zu schießen. Der Verteidiger ist derjenige, der beim Ball immer mit der Hässlichsten tanzen muss, sagt Cesar Luis Menotti, der große argentinische Trainer-Schwadroneur. Vielleicht liegt es daran, dass Verteidiger stets so viel häufiger Schnauzbärte hatten als alle anderen Spieler. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Wunsch, Tore zu verhindern, und dem, über der Oberlippe behaart zu sein? Der einzige, den ich je geliebt habe, hieß Gerd Wiesemes. Er spielte zu Beginn der 70er-Jahre bei Westfalia Herne, und wenn man ihn aus der damaligen Zeit ins Heute versetzen würde, hätte das einen ähnlichen Effekt wie das Auftauchen der Dinosaurier in Jurassic Park. Wiesemes hatte keinen Schnauzbart, aber beeindruckende Koteletten – und noch viel imposantere Oberschenkel. Sie waren doppelt so dick wie die von Gerd Müller. Der geht zum Training Eisenbahnschwellen treten, sagte mein Onkel über Wiesemes. Gerd Wiesemes gab mir ein Gefühl der Sicherheit. In seiner holozänartigen Massigkeit war er mein Garant dafür, dass hinten schon nichts anbrennen würde (…) Heute, wo dieses Beschützen als ein über den ganzen Platz gespanntes Sicherheitsnetz kollektiviert ist, in das sich fast alle Spieler verweben müssen, ist Verteidigen eine Kunstform. Das Land, in dem sie besonders gepflegt wird, ist Italien. Italienische Verteidiger haben meistens keine Schnäuzer, sondern sehen so gut aus wie ihre Kollegen im Sturm. Vielleicht liegt es daran, dass sie in Italien keiner niederen Kaste angehören, wie das anderswo der Fall ist. Es hat etwas Kontemplatives, italienischen Mannschaften in ihrem Bemühen zuzuschauen, das Spiel des Gegners zu unterbinden und den besten Stürmern der Welt keine Torchance zu geben. Und es gibt Tage, an denen mich das mit großer Zufriedenheit erfüllt. Dann finde ich es nicht hässlich, sondern die Idee beruhigend, ein Spiel nicht zu verlieren statt es gewinnen zu müssen. Dann ist die Welt voller schützender Kräfte, die ihre ganzen spielerischen Fähigkeiten der großen Aufgabe unterordnen, kein Tor zu kassieren. Die all ihr Denken allein auf dieses Ziel ausrichten und dabei zu größten Verfeinerungen kommen. Das sind die Tage, an denen ich dem Zauber von Juventus Turin erliege.“
Mit dem Tod wird Banales plötzlich wichtig
Alessandro del Piero erzählt aus seinem Leben. „Könnte ich das Rad der Zeit zurückdrehen, ich würde Dingen Gewicht schenken, die mir früher banal oder selbstverständlich erschienen. Zum Beispiel die gemeinsamen Momente mit meinem Vater. Er ist im vergangenen Jahr gestorben. Ich erinnere mich, wie er immer neben dem Fußballplatz stand und eine Zigarette nach der anderen rauchte, ohne ein Wort zu sagen. Er gehörte nicht zu jenen besessenen Väter, die hinter dem Tor stehen und ihren Söhnen ständig ins Ohr schreien, wie sie spielen müssen. Er hat mit meinem Bruder und mir nie über unsere Erfolge gesprochen, auch als Stefano zu Sampdoria Genua wechselte und ich bei Juventus Turin meinen ersten Profivertrag unterschrieb. Er wollte nicht, dass uns der Erfolg zu Kopf steigt. Das wäre das Schlimmste gewesen für ihn: einen Großkotz als Sohn zu haben. Aber ich spürte, wenn er an seiner Zigarette zog, dass er stolz auf uns war. Im Nachhinein wünschte ich mir, ich hätte solche Momente intensiver genossen. Ja, das ist mein Traum: meinem Vater dies zu sagen. Zu spät. Mit dem Tod wird Banales plötzlich wichtig. Und umgekehrt. Der Tod meines Vaters hat alle Probleme, die ich im Club oder im Privatleben hatte, so groß sie auch gewesen sein mögen, auf null reduziert. Zwei Tage nach der Beerdigung habe ich nach monatelangem Misserfolg wieder für Juventus getroffen. Irgendwie absurd, aber der Tod meines Vaters hat mich auf einen Schlag befreit. Mein Vater scheint meine Probleme mit ins Grab genommen zu haben. Heute denke ich: Sogar mit seinem Fortgehen hat er mir ein letztes Mal, wie während seines ganzen Lebens, die Hand gereicht und in einem schwierigen Moment geholfen.“
Aufgezeichnet von Walter de Gregorio (Zeit 8.5.)
Drei Kapitel des Effenbergschen Schundes lesen und ein Kurzreferat darüber halten
Christian Zaschke (SZ 8.5.) begrüßt die Klage Christian Fährmanns (ehemals Union Berlin) gegen eine 3000-Euro-Strafe seitens seines Klubs, weil dieser sich krank meldete, statt zum Vereinsarzt zu gehen. „Tatsächlich ist es bedenklich, wenn gegen Spieler, die ihre Meinung frei äußern, tags darauf Geldstrafen in willkürlicher Höhe verhängt werden; wenn also Vereine Strafen aller Höhe nach Gutdünken beschließen, um ihre Spieler zu erziehen, beziehungsweise unter Kontrolle zu halten. Dagegen eine Musterklage anzustrengen, ist eine gute Idee, weil sie alle Beteiligten zwingt, grundsätzlich über das System von Vergehen und Strafe nachzudenken. Es sei diesem Prozess ein heimlicher Gedanke hinzugefügt: Vielleicht ist es tatsächlich ganz gut, wenn die Fußballer sich früh daran gewöhnen, ihre Worte wohl zu wägen. Dann bliebe der Welt in Zukunft vielleicht erspart, was Effenberg gerade an Gedanken- und Wortmüll über sie ausschüttet. Und als Strafe, die effektiver und lehrreicher ist als die plumpe Geldbuße, sei diese empfohlen: Drei Kapitel des Effenbergschen Schundes lesen und ein Kurzreferat darüber halten. Es wäre eine der abschreckendsten Strafen der Welt.“
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