Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
Themen: die Aufstiegschancen des FSV Mainz – George Best, das Fußballgenie – Reformen in der Schweizer Liga
Qualität des Nichtgelingens
Andreas Singler (FR 16.7.) widmet sich den Aufstiegschancen des FSV Mainz 05. “Scheitern, wieder scheitern, besser scheitern, heißt es bei Samuel Beckett. Was den Fußball-Zweitligisten FSV Mainz 05 angeht, so dürfte in der Qualität des Nichtgelingens mit dem dramatischen Finale der abgelaufenen Runde wohl das Ende der Fahnenstange erreicht sein. Ein moralisches Recht auf baldige Korrektur der sportlichen Schicksalsgestaltung lässt sich für den drei Mal (1997 bis 2003) als Vierten erst am jeweils letzten Spieltag gescheiterten Club jedoch nicht ableiten. Alles fängt jetzt wieder von vorne an. Wir wollen wieder dabei sein, umreißt Trainer Jürgen Klopp die Ziele für die neue Saison. Dabei sein und dafür sorgen, dass es spannend bleibt. Vorschusslorbeeren als Aufstiegsfavorit, verliehen etwa durch den neuen Osnabrücker Coach Frank Pagelsdorf, lehnt Klopp ab. Nett gemeint, aber blödsinnig, wehrt er die Lobeshymnen des norddeutschen Kollegen ab. Die drei Bundesliga-Absteiger Cottbus, Nürnberg und Bielefeld seien die ersten Aufstiegsanwärter. Für Klopps Saisonziel als zusätzliches Spannungselement hat der neue, 26 Mann umfassende Kader zuletzt im Trainingslager am Chiemsee hart gearbeitet. Die sechs Neuzugänge haben dabei am intensivsten erlebt, wie strapaziös das offensive und auf permanente Bewegung ausgerichtete Mainzer Spielsystem sein kann (…) Der FSV Mainz 05 wird wieder einmal seinen unter Jürgen Klopp gefestigten Ruf als Ausbildungsverein bestätigen müssen, soll eine erneute Saison im Kampf um vordere Plätze in der zweiten Liga gelingen. Dass er Talente voranbringen kann, haben die atemberaubende Entwicklung des gebürtigen Marokkaners Mimoun Azaouagh, des Innenverteidigers Mathias Abel und die gelungene Integration des Stürmertalents Benjamin Auer ins Profigeschäft gezeigt. Alle drei stehen mittlerweile im Kader der deutschen Junioren-Nationalmannschaft.Die Neuzugänge kommen wieder einmal nicht von oben. Ob sie Verstärkungen sind, muss sich weisen.“
Mediengesamtkunstwerk
Adrian Schimpf (SpOn) erinnert an die aktiven Zeiten von George Best. „Best ist am Ball talentiert wie kaum einer zuvor. Dribbelkönig nennen sie ihn, später, als der Alkohol dazu kommt, manchmal auch spöttisch den Fusel-Fummler. So einen Genius treten die minderbegabten Fußballarbeiter seit jeher gerne zusammen, aber Best ist alles andere als ein Sensibelchen. Er führt die Mode ein, mit herunter hängenden Stutzen zu spielen, als wolle er den Tretern sagen: Ich bin schneller weg, als ihr treffen könnt. Und wenn es gar zu arg wird, kann Best gehörig austeilen: Gleich zweimal bricht er im Laufe seines Fußballerlebens die gegnerischen Beine. Wesentlich öfter aber spielt er den Ball durch dieselben, und oft wird der so Getunnelte noch gleich ein weiteres Mal mit demselben Trick düpiert. Einmal zieht er sogar sein rotes Vereinstrikot aus und beginnt damit, wie ein spanischer Matador vor dem Ball zu wedeln, was den lächerlich gemachten Chelsea-Verteidiger bis zur Weißglut reizt. Ein anderes Mal jongliert er das runde Leder mit dem Oberschenkel über den halben Platz. Und lange, bevor Wille Ente Lippens es nachmacht, stoppt er den Ball zur Freude des Publikums mit seinem Hintern. Außerhalb des Fußballplatzes wird Best zum ersten Popstar des Sports, der es von den Back pages auf die Frontseiten der Zeitungen bringt. Modetrends kreierend, von schönen Frauen umlagert, in schnellen Autos unterwegs und auf jeder Party zu Hause wird El Beatle zum Mediengesamtkunstwerk.
Rolf Wesbonk (NZZ 16.7.) berichtet die Reformen im Schweizer Ligafußball. „Wenn schon Veränderungen, dann nicht peu à peu, sondern gleich im grossen Stil und alles auf einen Schlag. Das haben sich die Verantwortlichen der Nationalliga gesagt, als sie die Saison 2003/04 planten – am Mittwochabend beginnt sie schon wieder, als eine der ersten überhaupt auf dem Kontinent. Nach den Vorstellungen der Funktionäre und ihrer Marketingberater heisst die erste Kammer des Schweizer Fussballverbandes fortan Swiss Football League, die Eliteliga erhielt den unsinnigen Namen Super League, die A-Meisterschaft läuft unter der Bezeichnung Axpo Super League, und die ehemalige Nationalliga B segelt unter der Etikette Challenge League. Im Weiteren wurde die oberste Klasse von zwölf auf zehn Mannschaften reduziert, die zweithöchste hingegen von zwölf auf sechzehn Equipen aufgestockt. Verabschiedet wurde auch der seit 1987 bestehende Modus mit Qualifikations- und Finalrunde. Damit gehören der Trennungsstrich sowie die Halbierung der Punktzahl in der Winterpause der Vergangenheit an. Über den Sinn (oder Unsinn) hochgestochener fremdländischer Bezeichnungen für bestens eingeführte (deutsche) Begriffe kann man streiten, nicht aber über die Redimensionierung der Eliteliga. Dieser Schritt war nach dem Verschwinden der Traditionsklubs FC Lugano und Lausanne- Sports sowie der (möglichen) Verbannung des FC Sion in die Erste Liga unausweichlich geworden. Thomas Gulich, Präsident des Grasshopper- Clubs, denkt gar laut darüber nach, ob nicht eine Konzentration von nur acht Vereinen im Schaufenster des hiesigen Fussballs die noch bessere Lösung gewesen wäre. Gespannt darf man auch auf die Auswirkungen des künftigen Modus sein. In der obersten Klasse kommt die simpelste Wettbewerbsform (Doppelrunde mit Hin- und Rückspielen) zur Anwendung. Der letztklassierte Verein steigt ab, der im neunten Rang placierte Klub trägt eine „Belle“ gegen den Zweiten der B-Liga aus. Präsidenten wie beispielsweise der FCZ-Chef Sven Hotz haben sich ein solches Modell aus Gründen des geringeren Drucks auf die Klubführung sowie das Team seit Jahren gewünscht. Etwas komplizierter präsentiert sich die Meisterschaftsformel eine Stufe tiefer. Hier wird eine einfache Runde gespielt (30 Matches), wobei dem Hinspiel unmittelbar der Retourmatch folgt. Die beiden Partien werden nach der Formel des Europacups gewertet und dem Sieger aus den beiden Zusammentreffen zwei Bonuspunkte gutgeschrieben. Damit kann ein Team aus den beiden Vergleichen statt sechs gar acht Punkte gewinnen. Die vom Komitee der Nationalliga eingebrachten Vorschläge zur Lancierung von interessanteren, spannenderen Meisterschaftsmodellen (zum Beispiel die Einführung von Play-offs in einer zweiten Phase des Dauerwettbewerbs) wurden von den Vereinsvertretern strikte abgelehnt. Ob die Klubs damit ein Eigentor erzielt haben, wird sich bald weisen.“
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Eine wunderbare Geschichte
Stephan Bartels (Zeit 8.5.) erzählt eine wunderbare Geschichte. „Jeder von uns hat Tage, die der Herr am besten niemals hätte werden lassen. Kris Stewart macht da keine Ausnahme. Seiner ist der 28.Mai 2002. Um 11 Uhr an jenem Vormittag eröffnet ihm sein Chef, dass er nach zehn Jahren auf Stewarts Dienste als Finanzberater in seiner Computerfirma verzichten würde. Und am Abend wird bekannt, dass der FC Wimbledon, Stewarts favorisierter Fußballverein, nach Milton Keynes umziehen wird, 100 Kilometer nordwestlich von London. Kris sieht nicht aus wie jemand, der sich leicht umwerfen lässt. Aber er wird krank an diesem Abend. Als Vorsitzender der unabhängigen Fan-Organisation des FC Wimbledon hatte er seit Jahren dagegen gekämpft, dass ihm sein Club genommen wird. Seit 1992 waberten Verkaufsgerüchte, seit der Verein heimatlos ist – das alte, marode Stadion an der Plough Lane wurde abgerissen und das Gelände an eine Supermarktkette verkauft. Kommerziell nutzbares Bauland ist rar in London. Der FC, 1988 immerhin Cup-Gewinner und seit Mitte der Achtziger Mitglied der Premier League, war seitdem Untermieter bei Crystal Palace im Selhurst Park. Einer von 13 Proficlubs in London. Nach Dublin sollte der Club mal transferiert werden, mal nach Belfast. Ein Verein als strategische Manövriermasse für Anleger. Jetzt also Milton Keynes, alle Proteste umsonst, alles Beharren auf einer über ein Jahrhundert alten Tradition vergebens. Verkauft in eine Retortenstadt. „Manche sagen: eine Plastikstadt“, sagt Stewart. Eine Stadt, in der ein großes Freizeit- und Shopping-Paradies entstehen soll. „Da haben die sich wohl gedacht: Ein Proficlub als Profit-Center würde ganz gut dahin passen“, sagt Stewart. Er geht ins Fox Grapes am 28. Mai 2002, wo sich der harte Kern der Fans trifft, denen man gerade einen Teil ihrer Heimat genommen hat. Sie spülen den Tod ihres Vereins hochprozentig hinunter. Ein paar Bier und Schnäpse später hat der Ober-Fan Stewart und frisch gekündigte Finanzberater wieder Arbeit: Er ist Präsident des AFC Wimbledon. Die Jungs beschließen einfach, sich das Spiel zurückzuholen – und gründen einen neuen Verein. Von Fans. Für Fans. Und Kris, dieser Bär von einem Mann, dieser Fels in der Brandung, soll sie anführen. „Der Club“, sagt Stewart, „war eine echte Schnapsidee.“ Ein Neubeginn in der siebten Liga. Die Combined County League – eine Spielklasse, in der in der Regel vor 20 Zuschauern gekickt wird – nimmt den AFC auf. Der Dons Trust wird gegründet: eine Art Genossenschaft, der der Verein gehört. Für 25Pfund im Jahr kann jeder einen Anteil erwerben. Mehr nicht. 2500 Dons-Fans sind mittlerweile Vereinsbesitzer. Ivor Heller, Womble (so nennen sich Wimbledons Fans) seit Ewigkeiten und nebenbei Besitzer einer florierenden Druckerei, kümmert sich um Einnahmequellen. Ein ehemaliger Spieler wird zum Trainer bestimmt. Sein Team castet er im großen Stil: Über Radio und Tagespresse lädt der Club interessierte Kicker zu einem Probetraining ein. 500 wollten kommen. 200 dürfen. 20 bleiben am Ende übrig. Die Presse in England greift den Fall begierig auf – man wittert eine Robin-Hood-Story, einen Aufstand gegen die galoppierende Kommerzialisierung des Fußballs. Sogar Tony Blair meldet sich zu Wort und spricht den Dons für „ihren Durchhaltewillen und ihre Hartnäckigkeit“ seinen Respekt aus. Im Juli bestreitet der AFC Wimbledon sein erstes Freundschaftsspiel, mangels eigener Spielstätte auswärts in Sutton. 4500 entzückte Zuschauer kommen aus Wimbledon, Dutzende von Kamerateams und Journalisten. Hunderte von Luftballons steigen blau und gelb in den Himmel. Viele hätten aus Ergriffenheit geweint, sagt Kris Stewart. Das Spiel geht 0:4 verloren, aber die Fans des wiedergeborenen Fußballs in Wimbledon sind restlos glücklich. Nach dem Spiel stehen sie zu Hunderten vor der Tribüne und feiern Kris Stewart mit endlosen Sprechchören. Der steht da, ganz Präsident, in Anzug und Schlips und weiß gar nicht, wohin mit sich und seinen großen Händen. Er lacht und winkt ab und ringt sichtlich um Fassung. Haut dem kleinen Ivor Heller neben sich ständig auf die Schulter. Er ist ein verflixt glücklicher Mann, nicht einmal sechs Wochen nach dem 28. Mai (…) Stewart ist sich sehr bewusst darüber, dass er die Seiten gewechselt hat, irgendwie. Er ist jetzt ein Funktionär, ob er will oder nicht. „Jeder kennt mich“, sagt er, „und jeder will mit mir reden. Da muss ich durch.“ Und dann ist da die Sache mit den Schiris. „Die sind oft so schlecht“, sagt er, „und ich darf sie nicht mal mehr beschimpfen.“ Im Gegenteil: Jetzt muss Kris Stewart ihnen hinterher die Hand schütteln und in jedem Fall einen good Job bescheinigen. „Und ich fange an, in Fußballphrasen zu sprechen, wenn Journalisten kommen. Furchtbar.“ Man wird vorsichtig, wenn man 2500 Menschen vorsteht. Er ist ein leuchtendes Beispiel für andere, er sendet eine Message aus: Lasst euch nicht alles gefallen. Geld ist nicht alles. Holt euch das Spiel zurück, es gehört euch – und nicht jenen, die euch zu Statisten in einem Spiel um Millionen gemacht haben.“
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„Gruppe des Todes“
„Wie kann es so weit kommen, dass die braven Schweden als sensationelle Sieger aus der „Gruppe des Todes“ hervorkommen?“ fragt Martin Hägele (NZZ 13.6.). „Das hat damit zu tun, dass die „Gauchos“ ihre überragende Form aus der Südamerika-Qualifikation nicht konservieren konnten und ausgerechnet mitten im Turnier die Hierarchie des Teams durcheinander geraten war: Coach Bielsa wusste offensichtlich nicht mehr, auf welchen Regisseur er setzen sollte, nachdem sich Véron gegen England nicht als Leader bestätigt hatte.
Die Reaktionen der argentinischen Spieler nach dem Ausscheiden fasst Martin Hägele (taz 13.6.) zusammen. „Zu klaren Worten war keiner in der Lage. Wenn eine Epoche zu Ende geht, bevor sie überhaupt richtig beginnt, kommen im ersten Augenblick nur Gefühle zu Tage (…) Sie hatten sich geweigert, überhaupt an die Möglichkeit des Ausscheidens zu denken. Selbst als sie gesehen hatten, was mit Weltmeister Frankreich passiert war. „Wieso soll ich nach meinen Koffern schauen?“, hatte Ariel Ortega mögliche Ängste vor einem ähnlichen Schicksal weit von sich gewiesen (…) Vom Anpfiff an standen die Ersatzspieler in ihrem Häuschen, als würden die Kollegen deshalb die Kugel früher im Netz versenken. Und Marcelo Bielsa, Welttrainer des Jahres 2001, bewegte sich so aufgeregt, als betreue er zum ersten Mal eine Jugendmannschaft.“
Zum 1:1-Remis zwischen Argentinien und Schweden schreibt Peter Heß (FAZ 13.6.). „Die schwedische Viererkette Mellberg, Mjällby, Jacobsson und Lucic wehrte sich beharrlich wie ein Ikea-Regal gegen das Auseinandergenommenwerden. Die Argentinier versuchten alles: Angriffe über die Flügel, durch die Mitte, mit kurzen Pässen, mit Zuspielen aus der Distanz. Und so manches Mal schienen sie die Anleitung zur Demontage gefunden zu haben. Aber im letzten Moment klemmte immer irgend etwas. Argentinien präsentierte sich auch nach dem Ausscheiden als Einheit. Keine Schuldzuweisungen, keine Vorwürfe.“ Ronald Reng (FR 8.6.) zu Englands Sieg. „Selten wurde ein so organisiertes und mit solcher individuellen Klasse gefülltes Team derart systematisch beherrscht wie Argentinien bei der 0:1-Niederlage von den Engländern (…) So hat man England seit Jahren nicht mehr in einem großen Spiel Fußball spielen sehen: Die Kontrolle, die taktische Organisation und auch die individuelle Brillanz waren etwas für große Videoabende.“
Peter B. Birrer (NZZ 13.6.) über ein „belangloses Remis“. „Hier die Engländer, die schon vor dem Spiel wussten, dass sie auch mit einem Unentschieden für die Achtelfinals qualifiziert sind; deswegen erstaunte nicht, dass sie nur selten willig den Weg nach vorne einschlugen. Dort die Nigerianer, die bereits ausgeschieden waren und offensichtlich auch nicht mehr stark in die Entscheidung dieser starken Gruppe F eingreifen wollten. So endete der heiße und feuchte Nachmittag in Osaka, wie Fußballspiele in derlei Fällen meistens auszugehen pflegen: 0:0.“
Ronald Reng (SZ 13.6.) über die Reaktionen der englischen Spieler nach dem 0:0 gegen Nigeria. „Dass die Engländer Genugtuung am Leiden der Argentinier finden, ist für jeden erklärbar, der erlebte, wie sich die Südamerikaner nach dem 0:1 gegen England vor fünf Tagen in Sapporo benahmen. Nach Schlusspfiff verweigerten etliche ihrer Spieler den Handschlag, Englands Rechtsverteidiger Danny Mills wurde im Kabinengang angespuckt, Paul Scholes noch eine halbe Stunden nach Spielschluss von Matias Almeyda vor Journalisten primitiv beschimpft. Da wurde angesichts des argentinischen Ausscheidens die eigene Qualifikation in Osaka für England fast zur beiläufigen Notiz.“
Die argentinische Presse (Clarín 8.6.) über das System Bielsa. „Ein System, das sich erstens durch Spielkontrolle und zweitens durch die Bevorzugung der Mannschaftsdynamik vor den Individualitäten auszeichnet. Diese strategische und taktische Entscheidung basiert auf Spieldisziplin, Pressing, Solidarität, eingespielten Angriffsaktionen und unermüdlichem Einsatz.“ Es sei ein europäisches System, in dem die Spieler sich mehr um ihre Verpflichtungen denn um ihre fußballerischen Freiheiten kümmern müssen. Bielsa traf eine Spielerauswahl, die dieses System bereits kenne und vertreten könne, weil sie gewöhnt sei, nach „europäischen Rhythmus“ zu spielen. Dies sei auch der Grund, warum ein sensationeller Spieler wie Riquelme nicht an der Weltmeisterschaft teilnehmen könne. Man anerkennt die Erfolge dieses Systems bei Begegnungen mit südamerikanischen Mannschaften, bei einer Begegnung mit einer europäischen Mannschaft jedoch sei das System in Frage zu stellen. Es gehe nun darum, dass die Spieler das Modell wiederfinden, indem sie „das Pressing als ihre Flagge, die Offensive als ihr Wappen und die Geschwindigkeit als Schlüsselwort für ihr Spiel definieren“. Mit diesen Prinzipien habe die Mannschaft das Recht erobert, Kandidat auf der Weltmeisterschaft genannt zu werden.
Peter Heß (FAZ 8.6.) sah ein gutes Spiel. „Der Klassiker England gegen Argentinien, das Spiel der Spiele der WM-Vorrunde 2002, entwickelte sich nicht zum befürchteten Fußballkrieg, aber auch nicht zum erhofften Fußballfest. Nach einem etwas zähen Beginn, wurde es aber zu einem weiteren aufregenden und gutklassigen Spiel dieser niveauvollen WM. Und auch das Publikum leistete seinen Beitrag. Obwohl die Fangruppen aus England und Argentinien in vielen Blöcken buntgemischt saßen, blieb es auf den Rängen bei aller Stimmung friedlich. Auf dem Spielfeld dämpfte Pierluigi Collina die Emotionen.“
So heftig wie die englischen Zeitungen ihr Team nach dem letzten Unentschieden gegen Schweden noch kritisierten, so bejubeln sie diesmal die Leistung der englischen Kicker gegen Argentinien. Sean Ingle (Guardian) die Gemütslage Beckhams zwischen dem Aufeinandertreffen 1998 und dem gestrigen Spiel. „Er schaute drein wie jemand, der ein oder zwei Dämonen ausgetrieben hat. Letztes Jahr Deutschland, jetzt Argentinien. Was kommt als nächstes? England hat eine sehr gute Leistung gezeigt, nicht nur weil Argentinien geschlagen wurde, sondern insbesondere wie der englische Sieg errungen wurde.“ Bei der Elfmeterentscheidung will man sich allerdings nicht festlegen: „Schiedsrichter Pierluigi Collina hatte keine Zweifel, selbst wenn wir welche hatten: Elfmeter. Der Elfmeter war sicherlich nicht der beste von Beckham, wahrscheinlich sogar der schlechteste.“ Eine interessante Randnotiz: „Gleich nach dem Sieg haben die englischen Buchmacher die Quote eines englischen Turniererfolgs von 16:1 auf 7:1 reduziert. Von jämmerlich zu Weltklasse in 90 Minuten: Wie schnell sich doch die Umstände ändern können.“
Auch die Irish Times (8.6.) wollte den Sieg der Engländer gegen Argentinien nicht schmälern: „Ein Elfmeter von David Beckham katapultierte England zu einem 1:0-Sieg über den Turnierfavoriten Argentinien in einem packenden „Todesgruppen-Showdown“ im Sapporo Dome. Es war ein verdienter Sieg für England, das sich eine ganze Serien von Möglichkeiten in der zweiten Halbzeit erspielte und dann dem furiosen Druck der Argentinier widerstand. Sie errangen damit einen glanzvollen Sieg und rächten ihre Niederlage gegen die alten Rivalen bei der WM 1998.“
Die NZZ (8.6.) über das Spiel Argentinien gegen England. „Zwar war der Vergleich jederzeit engagiert, vor allem in der zweiten Halbzeit auch von mehr Chancen geprägt, der Spielfluss blieb jedoch bis zum aufwühlenden Finish durch viele Fouls unterbunden. Erst in den letzten 20 Minuten legten die Argentinier unter der Regie von Pablo Aimar ihre Zurückhaltung ab und schnürten die Engländer in der eigenen Platzhälfte ein. Mit etwas mehr Réussite hätte das Team von Trainer Bielsa durchaus ein Remis erreichen können.“
Die hilflose Reaktion des argentinischen Trainer Bielsa kommentiert Peter B. Birrer (NZZ 8.6.). „Als die Leiden vorbei waren und Marcelo Bielsa zur Medienkonferenz erschien, sah er sich im Schweiße seines Angesichts zu keinem vernünftigen Kommentar fähig. Plattitüde folgte auf Plattitüde. Deutlich wurde einzig, dass Bielsa, den man wegen seiner oftmals abschweifenden Art im eigenen Land „den Verrückten“ (el loco) nennt, nach diesem gar nicht etwa entscheidenden Gruppenspiel nudelfertig war. Ob er durchhält, wenn seine Spieler später im KO-System gestoppt werden sollten?“
Was man von den bereits ausgeschiedenen Nigerianer im letzten Spiel gegen England zu erwarten hat? Martin Hägele (taz 8.6.) dazu. „Dass sie, nur weil sie keine Chance aufs Weiterkommen mehr haben, Punkte oder Tore verschenken, nein nicht mit ihnen. In der „Gruppe des Todes“ ein Spiel zu verschieben, das würde nicht zu ihrem bisherigen Auftritt passen. Die Welt soll sie gut in Erinnerung behalten. Im Falle Julius Aghahowa muss sie das sogar.“
Martin Hägele (NZZ 8.6.) über den lebhaften Beginn der Partie Schweden-Nigeria (2:1). „Die Befürchtungen des Publikums, aus Angst vor der Tabellensituation würden beide Teams nur vorsichtig spielen und sich auf ein Unentschieden konzentrieren, erwiesen sich schnell als unbegründet. Mit vier Torchancen allein in den ersten drei Minuten dürfte nur selten einmal ein schwedisches Nationalteam einen Match eröffnet haben.“
Ronald Reng (SZ 7.6.) über den „einzigen interkontinentalen Klassiker des Fußballs“. „Normalerweise braucht eine Rivalität Nähe. Brasilien gegen Argentinien, England gegen Deutschland, Deutschland gegen die Niederlande sind Hasslieben des Fußballs; unter Nachbarn geht man sich leicht auf die Nerven. Argentinien und England aber trennt ein Ozean. Genau das scheint die Essenz ihrer Rivalität zu sein: Sie halten sich für so gegensätzlich. Bereitwillig besetzen Engländer und Argentinier auch diesmal wieder die Klischees: hier die guten Engländer. Die naiven Engländer, sagen die Argentinier. Dort die mit allen Wassern gewaschenen Argentinier. Die betrügerischen Argentinier, sagen die Engländer.“
Die Bedeutung dieses Aufeinandertreffens in der argentinischen Öffentlichkeit kommentiert Josef Oehrlein (FAZ 7.6.). „Im heutigen Argentinien käme niemand auf die Idee, einen Sieg der heimischen Fußballmannschaft über England als Racheakt für die damals erlittene Schmach anzusehen. Das Spiel im japanischen Sapporo ist ja nicht die erste Begegnung beider Länder seit dem Krieg im Südatlantik. Aber mehr noch als bei diesen früheren Aufeinandertreffen, zuletzt bei der Weltmeisterschaft in Frankreich 1998, würde diesmal ein Sieg über England den Argentiniern eine große Genugtuung bringen. Das hängt mit ihrer komplizierten Seelenlage in der nicht enden wollenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise des Landes zusammen. Ein Fußballtriumph gerade über England wäre das beste Mittel zur Linderung der Phantomschmerzen, an denen die Argentinier wegen der Tölpelhaftigkeit ihrer Politiker leiden.“
Über die politische Bedeutung eines bevorstehenden Spiels Peter B. Birrer (NZZ 6.6.). „Der Vergleich mit Argentinien wird der Mannschaft von Trainer Sven-Göran Eriksson einiges mehr abfordern als derjenige mit Schweden (…) England gegen Argentinien, das ist ohnehin ein Ereignis, das nur so gespickt ist mit Animositäten, mit längst vergangenen Geschichten, mit Rivalitäten, mit wunderbaren Toren, mit sportlichen Dramen – und seit dem Falkland-Krieg 1982 auch mit einem politischen Hintergrund, den der Ball bis heute nicht zu verdrängen vermag. Im Gegenteil, er ist das geeignete Medium, um alte Dinge hervorzuholen, vieles nochmals und immer wieder aufzuwärmen, und am Ende wird einem das Gefühl vermittelt, als sei die WM nach diesen 90 Minuten womöglich bereits ad acta zu legen. Das ist natürlich barer Unsinn.“
Der Guardian (5.6.) titelt. „Erikssons argentinische Liebesaffäre könnte sein Niedergang sein.“ Der Observer spielt dabei auf den Fakt an, dass Eriksson in seiner Zeit als Trainer von Lazio Rom nicht weniger als fünf Argentinier verpflichtete und bis auf Sensini alle den Sprung in die argentinische Nationalmannschaft geschafft haben. „Eriksson wünscht sich wahrscheinlich ein späteres Aufeinandertreffen. Während England zerlumpt und abhängig von verletzten Spielern ist, ist Argentinien komplett.“ Vor allem seine Verehrung für Veron kann Eriksson schwer verbergen. „Sein Respekt für den Mittelfeldmann von Manchester United wurde auch nicht durch die schlechte Saison in Old Trafford getrübt. Veron ist so was wie ein Liebling von Eriksson. „Aber es ist nicht unmöglich sie zu schlagen,“ fügt Eriksson hinzu. Die kritische Haltung der englischen Medien repräsentierend schließt der Observer süffisant mit der Bemerkung „Werden wir ja sehen.“
Den Stil der Argentinier beschreibt Martin Hägele (NZZ 3.6.). „Reichen gut einstudierte Eckbälle auch aus, um in vier Wochen die beste Fußballmannschaft auf dem Planeten zu sein? Dem Naturell oder Charakter der zwei argentinischen Auswahlen, die 1978 und 1986 das WM- Turnier dominiert hatten, entspricht dieser Stil gewiss nicht. Ästheten werden sich kaum in die neue Generation von Fußball-Gauchos verlieben.“
Nie zuvor sei die Notwendigkeit eines fußballerischen Erfolgs als ein eigenes Identitätszeichen vor der Welt spürbarer gewesen, berichtet die spanische Zeitung El País (2.6.) über Argentiniens Sieg gegen Nigeria. Ein Land, das während neunzig Minuten in Stillstand geriet, sah wie seine Mannschaft „einen ersten schwierigen Schritt“ (Argentiniens Tageszeitung Clarín vom 2.6.) gemacht hatte, um einen wichtigen Sieg zu erzielen. „Ein überzeugender Sieg, der nirgendwo in Frage gestellt wird, weil, obwohl es keine glänzende Vorstellung war. Argentinien zeigte deutlich, warum es einer der größten Kandidaten für den Weltmeistertitel ist“.
Ronald Reng (FR 3.6.) hat erneut zwei Gesichter der englischen Mannschaft gesehen. „Wieder einmal hat England gezeigt, welches Potenzial das Team besitzt; und wieder einmal hat es das nicht ausgenutzt. Es ist dieselbe alte Geschichte, seit Jahren schon. Weil die Elf das Publikum mit guten Phasen ahnen lässt, dass es das Halb- oder Viertelfinale einer WM erreichen könnte, ist es umso frustrierender, sie regelmäßig zusammenklappen zu sehen (… Schweden) spielte nämlich in der letzten halben Stunde sensationellen Angriffsfußball; das heißt: sensationell für schwedische Verhältnisse. Bei allen anderen Mannschaften hätte man gesagt: ordentlichen Angriffsfußball. Für die chronisch offensivscheuste Nationalelf im Spitzenfußball war es eine Revolution, wie sehr Schweden England am Ende zusetzte.“
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Gruppenspiele (FRA, SEN, DEN, URU)
Gruppenspiele (FRA, SEN, DEN, URU)
Hintergrundberichte über die Nationen Frankreich, Senegal und Dänemark
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DFB-Pokal
TSG Hoffenheim nach Sieg über Leverkusen auf dem Weg nach oben – Mönchengladbach nach Sieg über Stuttgart weiter im Aufschwung – „Stuttgart erholt sich bei der Niederlage im DFB-Pokal“ (Tsp)
TSG Hoffenheim – Bayer Leverkusen 3:2
Freibier in der Stadiongaststätte
Rainer Seele (FAZ 4.12.) berichtet Feierlaune beim Sieger: „Dietmar Hopp nimmt im Herbst und Winter gerne eine Auszeit von Deutschland, er verbringt dann einige Monate im sonnigeren Florida. Dort kann er, angenehmer Nebeneffekt, auch seinem Hobby Golf frönen. Weil Hopp aber auch dem Fußball sehr eng verbunden, weil er ein bedeutender Förderer der TSG Hoffenheim ist, konzentrierte er sich am Dienstag – telefonisch notgedrungen – ganz auf das Geschehen in einem so kleinen wie schmucken Stadion im Kraichgau, das seinen Namen trägt. Und als das Werk seines Klubs vollbracht, ein großer Wurf gegen Bayer Leverkusen geglückt war, gab sich Hopp sofort spendabel. Er signalisierte aus Amerika: Freibier in der Stadiongaststätte Fair Play. Hopp ist allgegenwärtig in Hoffenheim, vordergründig natürlich durch die nach ihm benannte Arena in der Silbergasse, die mit mehr als 6000 Zuschauern besetzt war. Zum Vergleich: Hoffenheim, Teilort der Großen Kreisstadt Sinsheim, hat gerade mal 3000 Einwohner. Hopp, Mitbegründer des Walldorfer Softwareunternehmens SAP und einer der reichsten Deutschen, sorgte bei der TSG Hoffenheim für eine Infrastruktur, die ihresgleichen suchen dürfte in der Regionalliga. Manchmal wird Hansi Flick, Trainer des Tabellenfünften der Regionalliga Süd, deswegen mit der Bemerkung konfrontiert, er befinde sich in einem fußballerischen Schlaraffenland. Flick, einst Profi beim FC Bayern München und beim 1. FC Köln, entgegnet in solchen Fällen: Wir lassen uns nicht bedienen, wir müssen schon hart arbeiten. Das bezieht sich in Hoffenheim nicht nur auf den Fußball. Nur ein Spieler, heißt es, der vom 1. FC Nürnberg gekommene Christian Möckel, lebe ausschließlich für den Sport – der Rest muß Fußball und Beruf kombinieren.“
Borussia Mönchengladbach – VfB Stuttgart 4:2
Eine Sorte Lektion, die der VfB gar nicht mehr kannte
Bernd Müllender (BLZ 4.12.) ist vom VfB enttäuscht: „Als Metapher für Überraschungen sind die viel zitierten Pokalgesetze mittlerweile so alt wie die Mär von den Gladbacher Fohlenfußballern. Die Wahrheit ist: Überraschungssiege sind im Pokal selbstverständlich. Auch das 2:4 des souveränen Championsligisten und Bundesliga-Ersten VfB Stuttgart beim Abstiegskandidaten Mönchengladbach folgte schlichter Logik. Anders gesagt: Wenn die beste Mannschaft Deutschlands, wie Borussias Einwechseltorschütze Arie van Lent den VfB belobigte, auftritt wie eine Elf, der der Erfolg quasi automatisch zufällt, dann droht die Gefahr unmittelbaren Zerfalls. Und die unverdiente Halbzeitführung durch Kevin Kuranyis Kunstkopfball hatte den VfB nur noch selbstsicherer gemacht. Die Strafe war dafür umso heftiger: vier wunderschön herausgespielte Gegentore in 26 Minuten. In der Liga haben sie in 14 Spielen erst drei Gegentore einstecken müssen, davon nur ein reguläres aus dem Spiel heraus. Zu wenig Siegeswillen habe er gesehen, klagte Trainer Felix Magath später, man habe es nur mit spielerischen Mitteln versucht. Das alte Klagelied, wenn das kleine Extra an Leidenschaft fehlt. Es ist ein wenig schade, dass dieser immer noch aufwühlende Wettbewerb so wenig Zuspruch erfährt, auch wenn die Klubs ihn wegen außerordentlicher Mehreinnahmen derzeit etwas mehr schätzen als noch zu paradisischen Kirch-Zeiten. Spieler werden gelegentlich geschont, Zweittorwarte neuerdings als Dank für meckerfreie Solidarität zu Pokaltorwarten erklärt. Beim VfB ging das gründlich daneben: Timo Hildebrands Stellvertreter Dirk Heinen war ein ständiger Unruheherd für die eigene Abwehr, verschuldete tapsig das entscheidende dritte Tor. Magath erklärte nach dem Abpfiff, man wolle aus der Niederlage lernen – eine Sorte Lektion, die der VfB gar nicht mehr kannte.“
Christoph Biermann (SZ 4.12.) ist auch vom VfB enttäuscht und freut sich mit Gladbach: „Bei der 2:4-Niederlage in Mönchengladbach war wenig von dem zu sehen, was den VfB Stuttgart in dieser Saison ausgezeichnet hat. Der Abwehrbeton verkam zu losem Mörtel, statt großer Laufbereitschaft sah man Behäbigkeit, und die schlechte individuelle Form etlicher Spieler war kaum zu leugnen. Am wenigsten bei Andreas Hinkel, der bei seiner schlechtesten Saisonleistung kaum einen Pass zum Mitspieler brachte und mindestens ein Gegentor verschuldete. Nach dem 0:0 in Bochum hatte Felix Magath noch davon gesprochen, sein Team hätte nach den großen Erfolgen in der Champions League „durchgeatmet“, in Gladbach schien es immer noch Luft schöpfen zu wollen (…) Auch für Borussia Mönchengladbach, weiterhin ein Abstiegskandidat der Bundesliga, ist der DFB-Pokal eine Parallelwelt, doch keine zusätzlich belastende, sondern ein Freiraum. „Wir hatten in diesem Spiel nichts zu verlieren“, sagte Arie van Lent, der direkt nach seiner Einwechselung den vierten Treffer erzielte. Eine Niederlage wäre verzeihbar gewesen, den Sieg hatte niemand ernsthaft erwartet, und nach langen grauen Wochen durften endlich einmal wieder Wörter wie „Spaß“ und „gute Stimmung“ benutzt werden.“
Jörg Stratmann (FAZ 4.12.) spürt Vergangenheit im Gegenwärtigen: „In diesen Tagen erlaubt sich der Fußballklub Borussia Mönchengladbach jede Menge gefühlvoller Rückblicke. Nur noch elfmal werden seine Fans den Bökelberg zum traditionsreichen Stadion hinaufpilgern, ehe man 2004 ins neue, viel größere Haus im Norden umzieht. Deshalb erinnert das Blättchen Fohlenecho regelmäßig an gute, alte Zeiten. In einem scheint die Borussia am Dienstag schon wieder an die große Ära angeknüpft zu haben. Held des Pokalsieges über Bundesliga-Primus VfB Stuttgart war nämlich ein Talent, dessen Weg nach einstiger Fohlenart programmiert scheint. Wenn sich der gerade 20 Jahre alte tschechische Stürmer Vaclav Sverkos so weiterentwickle, sagte jedenfalls Trainer Holger Fach, dann ist er bald für uns unbezahlbar. Wenn das nicht pünktlich zur Feier des 50. Pokalheimspiels an die Jahre erinnerte, da die Gladbacher wegen bescheidener Verdienstmöglichkeiten immer wieder die Besten abgeben mußten – und doch Titel an Titel reihten. Das schien der lang anhaltende Jubel wieder heraufbeschwören zu wollen. Hierzulande seit 17 Spielen ungeschlagen war der Favorit angereist, dazu mit gerade einmal drei Gegentoren in dieser Saison auf dem Konto. Und nun schlug allein Sverkos dreimal innerhalb von nur 23 Minuten zu.“
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Themen: Neuzugänge: Makaay in München, Freund in Kaiserslautern, Centurion in Stuttgart geleast – Beckenbauer kandidiert erneut – Streit um die Bezahlung des “vierten Mannes” u.a.
Von Makaay weiß man nicht allzuviel in Deutschland
Roland Zorn (FAZ 6.8.) ist gespannt auf den Münchner Neuzugang. „Noch spricht der Name, zumindest hierzulande, nicht für sich. Und selbst mancher Fußballinteressent dürfte, trotz fortschreitender Globalisierung, Mühe haben, ihn korrekt zu buchstabieren. Roy Makaay? Das ist nicht die Preisklasse eines Beckham, eines Figo, Ronaldo oder Zidane. Das ist kein ständiger Gast auf dem Boulevard, wo tagtäglich versucht wird, Fußballstars und ihre Privatsphäre zu durchleuchten, möglichst bis ins letzte Detail. Von Makaay weiß man nicht allzuviel in Deutschland, aber vermutlich wird sich das in Kürze ändern. Wer zum FC Bayern München wechselt, noch dazu als teuerster Transfer des deutschen Rekordmeisters, dürfte bald ins grelle Scheinwerferlicht gezerrt werden – und künftig vermutlich auch vorgerechnet bekommen, ob er tatsächlich jeden Cent wert ist, den die Münchner für ihn bezahlen. Der FC Bayern ist, um vor allem in der Champions League nach der Schande des Vorjahres frisches Renommee zu erwerben, in schwierigen Zeiten ein großes Risiko eingegangen. Auch einen Verein, der seit Jahrzehnten damit vertraut ist, höchsten sportlichen und wirtschaftlichen Ansprüchen zu genügen, dürfte die Kaufsumme von annähernd 18 Millionen Euro nicht kaltlassen. Daß sich die hohe Investition in den niederländischen Stürmer Makaay auszahlen wird, ist vorerst nicht mehr als eine Hoffnung.“
Projekt Runderneuerung
Thomas Becker (taz 6.8.) ist weniger vorsichtig. „Keine Frage: Er wird die Bayern verstärken, der Torschützenkönig der spanischen Liga (29 Treffer). Für alle Bayern-Stürmer erhält nun jedes Training den Charakter eines Vorstellungsgesprächs. Die Zusammenstellung der Offensive wird für Hitzfeld nicht nur knifflig, sondern auch Politikum: Publikumsliebling Elber auf die Bank? Sind sich Makaay und Elber nicht viel zu ähnlich? Passt nicht Pizarro wesentlich besser zum Neuen? Und was tun, wenn der seit vier Jahren so ausdauernd aufgebaute Santa Cruz wieder fit ist? Und der Argentinier Tevez nach dem Weltpokalspiel im Winter auch noch kommen will? Der Makaay-Transfer, die erste nennenswerte Stürmer-Verpflichtung der Bayern seit vier Jahren, ist aber vor allem Teil des Projekts Runderneuerung: Im letzten Jahr wurde das Mittelfeld aufgefrischt (Ballack, Zé Roberto, Deisler), nun die Abwehr verjüngt (Rau, Demichelis), und im Sommer 2004 läuft Elbers Vertrag aus, der dann nach sieben Jahren bei den Bayern wohl endlich auf seine Frau hört und irgendwo ins Warme zieht. Davor aber erwartet ihn und seine Kollegen noch ein heißer Herbst. Der Neue wird dafür schon zu sorgen wissen.“
So viel Harmonie könnte einen glatt misstrauisch stimmen
Philipp Selldorf (SZ 6.8.) berichtet die Bereitschaft Beckenbauers, erneut als Bayern-Präsident zu kandidieren. „Beim Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ erhob sich zur Verblüffung der Sitzungsteilnehmer ein gewisser Franz Beckenbauer und ergriff das Wort. Schmucklos ließ er den überraschten Vorstand und Aufsichtsrat des FC Bayern wissen, dass er sich im Herbst wieder als Präsident des Vereins und des Aufsichtsrats der Tochter-AG zur Wahl stellen werde. Das Protokoll notiert an dieser Stelle ein großes Hallo, spontanen Beifall, Jubelrufe. Uli Hoeneß erzählte gestern, alle seien „sehr glücklich und erleichtert“ gewesen. So viel Harmonie könnte einen glatt misstrauisch stimmen, doch die freundlichen Reaktionen geben tatsächlich ziemlich vorbehaltlos die Gefühlslage beim FC Bayern wieder. Zwar ist das Verhältnis der berühmtesten Figuren im Klub in der letzten Zeit schwierig gewesen, und Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, die – mit Karl Hopfner – das Regiment führen, haben sich oft an Beckenbauers Meinungsvielfalt zu Sport und Management sowie an seinen provozierend kontraproduktiven Werbe-Engagements gestört. Aber man braucht sich gegenseitig. Beckenbauer ist eine Galionsfigur, und solange er eine tragende Funktion im Verein versieht, ist er weniger unbequem, als wenn er die Dinge mit seinem gefährlichen Sinn für Sarkasmus von außen kommentiert. Zudem ist er der ideale Vorgänger für einen Präsidenten Hoeneß, der sich 2006 auf diesem Posten vorsieht.“
Oliver Trust (FR 6.8.) beschreibt ein ungewöhnliches Finanzierungsmodell, mit dem der VfB Stuttgart einen Transfer tätigte. “Die Tüftler und Bastler kommen aus dieser Ecke der Republik. Und die Häuslebauer. Den Schwaben, heißt es, fällt immer etwas ein, wie sie im Leben über die Runden kommen. Diesmal aber geht es nicht um Autos oder die Kehrwoche, sondern um ein einzigartiges Modell im Profifußball. Emanuel Centurion hat zwar noch kein einziges Spiel für den VfB Stuttgart bestritten, trotzdem spricht alles über ihn. Das hat Gründe: Der 20 Jahre alte Argentinier ist der erste Spieler der Bundesliga-Geschichte, der von einem Club über ein Leasing-System nur gemietet wurde. Die Transferrechte liegen bei der Firma KBM. Der VfB zahlt für die Laufzeit von fünf Jahren jede Saison eine Leasingrate für den Mittelfeldkicker. Was in der Schweiz, Spanien, Italien und Österreich seit langem zum Geschäft gehört, ist in Deutschland etwas völlig Neues. Die Schwaben, also der VfB, hatten nicht genug Geld, um den Transfer abzuwickeln. Anders als die Münchner Bayern, die die Portokasse für den Makaay-Transfer öffnen, drücken den Club 15 Millionen Euro Schulden. Zu viel für die Ablösesumme von rund zwei Millionen. Daran wäre der Wechsel auch fast gescheitert. VfB-Teammanager Felix Magath aber wollte den Argentinier noch in der Champions League einsetzen. Nun sieht Magath im neuen Weg nichts Ungewöhnliches: Wenn uns Mercedes, Porsche und die Stadt nicht unterstützen, müssen wir uns eben anderweitig umschauen.“
Last-minute-Verpflichtung im Lager der Pfälzer
Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 6.8.) begrüßt Steffen Freund zurück in der Bundesliga. „Freund ist an der Nummer 44 auf der Hose und an seinen Beinen zu erkennen, die blasser sind als die der anderen, weil sie schon länger nicht mehr dem Trainingspensum in sengender Sonne ausgesetzt waren. Steffen Freund ist die Last-minute-Verpflichtung im Lager der Pfälzer. Vergangenen Mittwoch muß Freund einen guten Eindruck gemacht haben, als er in einer Prominentenelf rund um Michael Schumacher kickte. Gerets hat anschließend lange auf Freund gewartet, weil dieser gern ausgiebig duscht, und ihn geradeaus gefragt, ob er nicht Lust habe, wieder in der Bundesliga, präzise für den 1. FC Kaiserslautern, zu spielen. Dort benötigten sie jemanden für das zentrale defensive Mittelfeld. Auch Borussia Dortmund hatte mal vorgefühlt, ohne daß es zu Verhandlungen gekommen wäre. Das findet Freund auch in Ordnung, denn auf der Position seien sie bei der Borussia gut besetzt, findet er. Er habe bei ersten Kontakten mit dem BVB gleich gespürt, daß es keine einheitliche Meinung für den potentiellen Rückkehrer Freund gegeben habe. Irgendwie scheint es ihm auch lieber, nicht dorthin gegangen zu sein, wo er schon mal war. Den Reiz des Neuen hat er in der englischen Premier League kennengelernt, er ist offen für Kontrastprogramme geworden. Von Dortmund nach London war auch so eines. Mit am Ende 130 Spielen für Tottenham in einer Liga, so Freund, die qualitätsmäßig an der Bundesliga vorbeimarschiert ist. So ganz hat er es noch nicht verwunden, daß Trainer Glenn Hoddle ihm am 29. Januar eröffnete, er sei nicht sein Spieler.“
„Wer zahlt den vierten Mann?“ FR
Jan Christian Müller (FR 6.8.) kritisiert die Zögerlichkeiten der Verantwortlichen, den „vierten Mann“ zu bezahlen. „Der Blick allein auf die Finanzen gerät zu kurz, weil Sponsoren erst recht in Zeiten der allgegenwärtigen Finanznot sehr genau darauf achten, was sich im Umfeld ihrer Produktwerbung abspielt: Regelmäßig wiederkehrendes Zeter und Mordio oder gepflegter Rasenball ohne ständige Unterbrechungen durch kabarettreife Einlagen überstrapazierter Fußballlehrer und ihrer Kollegen aus dem Management bei regelmäßiger Übertretung der Coaching-Zone. Auf Dauer, gar kein Zweifel, kommt es der Marke Bundesliga-Fußball, an der die DFL seit zwei Jahren werkelt, zu Gute, wenn geifernde Randfiguren ausgeblendet werden – sei es durch Selbstdisziplin (Beispiel: der einst irrwitzig aufbrausende, inzwischen per Anweisung von oben gezähmte Co-Trainer des FC Bayern, Michael Henke) oder durch die Autorität des Amtes und der Person des vierten Schiedsrichters. Das teils lächerliche Gehabe einer Minderheit an der Seitenlinie ist mit der Einführung des gestrengen Dompteurs an der Außenlinie erfolgreich unterbunden worden. Den Medien hat das, kleiner Wermutstropfen in eigener Sache, eine ganze Menge sehenswerter Bildsequenzen gekostet. Bilder allerdings auch, die für manch einen Trainer in niederen Klassen und im Jugendfußball zum Anlass genommen wurden, sich selbst genauso verhaltensauffällig zu gebärden, wie die schlechten Vorbilder im Oberhaus.“
of: Ich hingegen glaube: die Menschen an der Außenlinie in niederen Klassen benötigen keine Vorbilder. Die schaffen es von ganz allein, sich daneben zu benehmen.
Saisonstart in Argentinien NZZ
Gewinnspiel für Experten
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Kahn-Affäre
Klaus Hoeltzenbein (SZ 4.3.) analysiert die Kahn-Affäre. „In ihrer letzten Sendung konnte Deutschlands populärste Familienshow am Samstagabend, kurz nach 20.15 Uhr, einen modisch gekleideten Gast begrüßen. In Lederjacke, DolceGabana-Hemd und schwarzer Hose mit weißem Schlag erschien Oliver Kahn auf der ZDF-Bühne von „Wetten, dass …“, auf der ihm der neunjährige Wettkandidat Xaver vorgestellt wurde. Ein kurzes, ein öffentliches Gespräch, in dessen Verlauf der Torwart dem Schüler versicherte, wie sehr er sich seiner öffentlichen Rolle bewusst, wie klar ihm seine Funktion als Vorbild sei. Freigegeben für jeden, der sich daran orientieren möge. Anderthalb Wochen später ist dieses Bild zerbrochen (…) Dass Oliver Kahn kein kühl kalkulierender Fremdgänger sein kann, wird sich an den Folgen für ihn zeigen. Viele seiner Sponsorverträge waren auf sein Image gebaut, einige davon werden jetzt wohl überdacht. Wie einst bei Boris Becker, der in der Werbung nur noch eine nachrangige Rolle spielt. Die Willensstärke, die den Torwart prägt, ist offenbar nur auf den engen Rahmen eines Fußballplatzes begrenzt, außerhalb gibt es Versuchungen, denen er leicht zu erliegen scheint. Sportler als Vorbilder? Eine Maske. Immer schon.“
Philipp Selldorf (SZ 3.3.) berichtet. „Jetzt ist der Stein ins Rollen gekommen, und „da fällt sogar Schadensbegrenzung schwer“, wie es beim FC Bayern heißt. Nicht nur dort fragt man sich, wieso sich Kahn, 33, mit seiner jungen Liebschaft so öffentlich exponiert hat. Schon vor Wochen erlebten die Gäste der Münchner Premierenfeier des Kinofilms „Anatomie 2“, wie sich der blonde Fußballstar in der Diskothek P1 sehr ungezwungen der just dort als Aushilfskellnerin beschäftigten 21-Jährigen näherte. Er unternahm mit ihr einen Ausflug nach Monaco und besuchte den Jet-Set-Club „Jimmy’s“, in dem mehr Paparazzi als Gäste verkehren. Er zog mit ihr durch Schwabinger Bars, wo er munter Cocktails trank – und die perfekte Zielscheibe abgab für die grobkörnigen Schnappschüsse, welche die aktuelle und Bild präsentierten. Hat er wirklich geglaubt, ungeschoren zu bleiben? „Es kann keine Dummheit sein – denn dumm ist er nicht“, wundert man sich beim FC Bayern. Kahn war zwar schon immer ein Einzelgänger von seltsam zerrissener Wesensart, aber als er sich vor einem Jahr einen Ferrari 360 Modena Spider anschaffte und sich mondän gestylt und rauchend in Szenebars ins Zeug legte, staunten sogar seine Kollegen. So aber kann er sich den Schlussstrich unter die seit langem währende Kolportage seiner Eheprobleme nicht gewünscht haben. Als am Freitag das Unheil nicht mehr abzuwenden war, informierte er seine Frau und ließ dann den Medien eine gestelzt formulierte Erklärung über „private Schwierigkeiten“ zukommen. Kahn kündigte an, „auch in nächster Zeit mit meiner ganzen Kraft ausschließlich meiner Frau und meinen Kindern zur Verfügung zu stehen“. Darüber allerdings entscheidet er nicht allein.“
Marko Schumacher (NZZ 4.3.) blickt noch einmal auf den Rücktritt Hans Meyers zurück. „Der Abgang Meyers – aus persönlichen Gründen – nach dreieinhalb zumeist erfolgreichen Jahren in Mönchengladbach gehört ohne Zweifel zu den ungewöhnlichsten in der Geschichte der Bundesliga. Er passt bestens ins Bild des kauzigen Fussballlehrers aus Thüringen, der sein Geschäft stets mit selbstironischer Distanz betrachtete, der zuletzt aber auch müde wirkte und sich das Theater Bundesliga nicht länger antun mochte. Schon anderthalb Wochen zuvor, nach dem Sieg gegen Wolfsburg, hatte der 60-Jährige seinen Rücktritt angeboten. Damals war er von den Klubverantwortlichen noch abgelehnt worden. Es folgte das 0:4-Debakel in Stuttgart, mit dem Meyer seine 30-jährige Trainerkarriere nicht beenden wollte. Das 2:2 gegen Schalke schien ihm nun der genau richtige Zeitpunkt zu sein. Meyer bot hernach eine perfekte Selbstinszenierung und verschaffte sich einen grossen, würdigen Abgang (…) Lienen, im Gegensatz zu Meyer für eher humorfreie Auftritte bekannt, bemühte sich bei seiner Vorstellung am nächsten Tag denn auch redlich, den Anschein zu vermeiden, er selber habe die Entwicklung forciert. Von einer für alle Beteiligten sauberen Lösung sprach er und davon, die Arbeit in Mönchengladbach im Geiste Meyers fortsetzen zu wollen. Dazu gehört, dass auch Lienen künftig auf die Dienste der Routiniers Münch und Witeczek verzichten wird. Beide taten sich in den vergangenen Wochen vornehmlich als notorische Störenfriede hervor und waren von Meyer suspendiert worden. Der Abstieg soll mit charakterfesteren Spielern vermieden werden, was angesichts des derzeit drittletzten Tabellenplatzes zwar nicht aussichtslos, aber dennoch schwierig werden dürfte. Zur Not kann sich Lienen Ratschläge bei seinem Vorgänger holen. Hans Meyer nämlich bleibt der Borussia als Talentscout erhalten. Die Bundesliga allerdings hat eines ihrer letzten wirklichen Originale verloren. Nicht nur sein denkwürdiger Abgang wird noch eine Weile in Erinnerung bleiben.“
Der DFB-Präsident ist 70 geworden. Michael Horeni (FAZ 1.3.) gratuliert. “Trotz der objektiven Erfolge in jüngster Vergangenheit – Mayer-Vorfelders öffentliche Reputation ist nicht ansatzweise in dem Maße mitgewachsen, wie es der Aufschwung im deutschen Fußball nahelegt. Dafür ist die Vergangenheit von MV zu lang, zu polarisierend und zu wirkungsmächtig. Zwei Jahre DFB-Präsidentschaft werden von knapp 20 Jahren als Minister in Baden-Württemberg und rund 25 Jahren als Präsident des VfB Stuttgart weitgehend überlagert. Nicht zuletzt, weil die Stuttgarter Staatsanwaltschaft noch immer gegen den einstigen und letzten Patriarchen des VfB wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt (…) Der Präsident hat den Verband mit taktischem Geschick vorangebracht. Eine unangreifbare Autorität aber fehlt dem DFB gerade in diesen Zeiten. Kirchs geheime Verbindungen zum FC Bayern München und zum WM-Organisationskomitee sowie die Krise beim 1. FC Kaiserslautern tragen allesamt zu einem massiven Glaubwürdigkeitsverlust bei, dem zu begegnen sich der DFB kaum in der Lage sieht. Jenseits der aktuellen Turbulenzen mit noch nicht absehbaren Konsequenzen leuchtet einigend allein die Weltmeisterschaft 2006.“
Evi Simeoni (FAZ 1.3.) fordert. “Jetzt ist es also raus: Im Profifußball geht es nur ums Geld. Das ist natürlich allerhand. Und eine große Enttäuschung. Und wer ist schuld? Natürlich die mauschelnden Lederhosen aus der Olympiastadt, vom FC Bayern. Da gehen sie Jahr für Jahr als brave Seppl verkleidet aufs Oktoberfest, als könnten sie höchstens einmal einer zarten Weißwurst etwas zuleide tun. Und nun kommt heraus, daß sie vor Jahren einen Geheimvertrag mit dem mittlerweile verkrachten Medienunternehmer Leo Kirch abgeschlossen haben, in dem sie sich ihre Solidarität mit dem Rest der Liga haben vergolden lassen. Seitdem wird landauf, landab sehr viel von Moral gesprochen. Aber wahrscheinlich nur, weil man dem Kaiser und seinen Untertanen juristisch nicht viel nachweisen kann. Und nur in dem Sinne, daß es sie eben nicht mehr gäbe, die Moral im deutschen Fußball. Das ist interessant. Denn das klingt ja gerade so, als hätte es sie vor dem Geheimvertrag noch gegeben, die Moral im Fußball. Und der FC Bayern hätte sie verdorben. Da lobt sich der Fußball-Moralist doch Borussia Dortmund. Die haben allzeit offen gezeigt, wie unsolidarisch sie sind, wie liebend gerne sie aus der Interessengemeinschaft Fußball-Bundesliga aussteigen, ihre Fernsehrechte allein vermarkten und den Rest der Liga im Regen stehen lassen würden. Weil das dem Rechtehändler und Bayern-Spezi Kirch nicht gefallen haben dürfte, stellt sich an diesem Punkt eigentlich die Frage, wieso er der Borussia die Rückkehr zur Solidarität nicht auch mit einem millionenschweren Geheimvertrag erleichtert hat. War der deutsche Meister nicht wichtig genug? Das wäre ja echt peinlich. Bleiben wir noch einen Moment bei der moralischen Frage, bevor wir auf die Lederhosen zurückkommen: Ist es nicht ein ideales, ein gerade von moralisch untadeligen Menschen zu lobendes Geschäft, das einerseits den kleinen Klubs ihre Fernseheinnahmen sichert und andererseits dem FC Bayern einen Batzen Geld einbringt? Wir meinen: ja. Und deswegen fordern wir das Fußballvolk in dieser moralischen Krise auf: Zeigt ihr nun auch Solidarität! Tragt an Karneval Lederhosen.“
Reaktionen der Konkurrenz auf die Kirch-MillionenFR SZ
Unterhaus
„In der Regionalliga kämpfen immer mehr Vereine um die nackte Existenz, in der Zweiten Liga steht fast die Hälfte der Klubs am finanziellen Abgrund. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer“, vermeldet Christoph Ruf (taz 4.3.). „Preußen Münster, Dresdner SC, KFC Uerdingen, SC Paderborn – die Liste der Vereine, die allein in der Regionalliga Nord ums nackte Überleben kämpfen, ließe sich lange fortsetzen. Wenn, wie in Uerdingen, auf der Homepage Vereinsvideos aus besseren Zeiten online versteigert werden, kommt das Liga-Insidern schon lange nicht mehr skurril vor. Längst werben Vereine mit einer Banalität für ihre angebliche Bonität: dass pünktlich die Gehälter ausbezahlt werden. Das Dilemma, in dem die Liga steckt, hat viele Ursachen. Vor allem die Vereine, die höhere Ambitionen haben, investieren Unsummen in ihre Kader, um möglichst schnell wieder an die Fleischtöpfe zu gelangen. Entweder der Kraftakt gelingt oder der Club findet sich binnen kurzem in der Bedeutungslosigkeit wieder. Diese Gamblermentalität ehrgeiziger Vereins-Potentaten wurde in der Vergangenheit durch die millionenschweren Darlehen der Kinowelt-Gruppe um Dr. Michael Kölmel befördert. Nun steht der Filmrechteverwertungsgesellschaft selbst das Wasser bis zum Hals, und fast alle Clubs, die Kölmel unter den Fittichen hatte, gehören zu den Pleitiers des Genres. Das Dilemma scheint ausweglos: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und wer wagt, verliert meist trotzdem. Und dann gleich alles. Auch für Uwe Wiesinger von Darmstadt 98 ist das Problem ein grundsätzliches, denn Zweit- und Erstligisten seien von den Entwicklungen in der dritten Liga in gleichem Maße betroffen: Die Kluft zwischen den paar reichen Vereinen, die ums internationale Geschäft mitspielen, und den anderen Clubs wird doch Jahr für Jahr immer breiter, sagt der Steuerberater, der als einer von zwei Ligasprechern die Vereinsinteressen gegenüber dem DFB vertritt. Daher müssten auch die Vertreter der Zweiten Liga ein Interesse daran haben, die Regionalliga attraktiver zu machen: Jeder Zweitligist kann absteigen und steht dann vor dem gleichen Dilemma wie wir jetzt schon. Etwa 400.000 Euro bekommt jeder Drittligist aus dem Topf der Fernsehgelder, in Liga zwei ist es ungefähr das Zehnfache. Darüber, dass die Regionalligisten so stiefmütterlich bedacht und als Amateure behandelt werden, könnte sich Uwe Wiesinger stundenlang echauffieren. Es gibt meines Wissens keinen Verein, wo die Spieler nicht hauptberuflich Fußball spielen. Das sind Profis. Dass Spieler, die unter Profibedingungen arbeiten, auch wie Profis bezahlt werden wollen, versteht sich von selbst. Umso wichtiger sind die Zuschauereinnahmen. Und die gehen in den Keller, weil immer mehr Amateurabteilungen von Profivereinen in die Regionalliga drängen. Zu den Heimspielen der Amateure von Leverkusen, Dortmund und Bayern kommen manchmal nur 200 Zuschauer, auch auswärts will die oft mit Bundesligaspielern gespickten Nachwuchsschmieden kein Mensch sehen. Die Regionalliga lebt von den Lokalderbys. Gegen Offenbach haben wir die Hütte voll, Lauterns Amateure will aber kein Mensch hier sehen, sagt Wiesinger. Auch aus rein sportlichen Gründen ist es immer mehr Vereinsvertretern ein Dorn im Auge, dass so viele Profiklubs mit Macht in die Liga drängen. Denn nicht nur Borussia Dortmund kann wesentlich mehr Geld in seinen Nachwuchs investieren, als die meisten Ligakonkurrenten in der Lage wären. Hinter vorgehaltener Hand fällt da schon mal das Wort Wettbewerbsverzerrung, zumal auch gestandene Profis wie Lars Ricken, Rudolfo Cardoso oder Colin Benjamin schon in Liga drei die Stiefel schnürten.“
„Der hoch verschuldete Traditionsverein Borussia Neunkirchen steckt in den schwersten Zeiten seiner langen Geschichte“taz
Gewinnspiel für Experten
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Wutausbruch Rudi Völlers
Selten findet ein Fußballspiel den Weg in die Leitartikel und ins Feuilleton. Den Wutausbruch Rudi Völlers indessen, gestern Thema in allen Funkhäusern, behandeln heute die Zeitungen erwartungsgemäß nach allen Regeln ihrer Deutungs-Kunst. Die NZZ lacht sich ins Fäustchen: „Wohl noch nie haben Fussballfans in Deutschland mit solcher Spannung auf die Montagsausgabe ihrer Tageszeitung gewartet.“
Nicht nur wegen erhöhter Auflage sind die Sieger des Wochenendes die Zeitungen – zumindest die seriösen: im Gegensatz zu den „Lautsprechern“ aus dem Fernsehen verpflichten sie sich Argument, Sachlichkeit und Augenmaß. Nicht zufällig hat der Teamchef die schreibende Zunft in seinem Rundumschlag ausgespart. Die taz dankt es ihm mit Zustimmung: „Vom Stil mal abgesehen: Inhaltlich hat Völler mit seiner Brandrede gegen die ARD Recht.“ Die FAZ vermutet nun eine „Zäsur in Völlers dreijähriger Amtszeit“; Völler wird sich seine Freunde jetzt besser ausgucken. „Die Heftigkeit ist bestürzend, mit der manche Sportjournalisten nun auf ihren einstigen Liebling Rudi Völler eindreschen“, urteilt die FAZ zum einen. Zum andern gibt es in der FAZ auch Gegenstimmen, die der ARD das Recht auf Kritik zuspricht: „Wer Millionen für die Fernsehübertragungsrechte zahlt und dadurch maßgeblich zum Gehalt der Trainer und Spieler beiträgt, hat das Recht, wenigstens ab und zu eine angemessene Gegenleistung anzumahnen. Wenn er nicht mehr die Nerven hat, solch schlichte Zusammenhänge zu verkraften, soll Völler gehen.“ Der Tagesspiegel bemerkt süffisant: „Völlers engagierte Rede kontrastierte auf das Heftigste mit der blutleeren Aufführung, die seine Fußballer zuvor geboten hatten.“
Die Fernsehzuschauer und Radiohörer wiederum sind auf der Seite Völlers: bis zu 98 Prozent der in Funk und Fernsehen Befragten halten seine Klage für angebracht. Auf die Reaktionen der namentlich Angesprochenen darf man nun gespannt sein. Gehendie Nörgler Lattek, Beckenbauer und Breitner in sich? Haben Netzer und Delling ein offenes Ohr für Kritik, und sei sie noch so ungeschliffen mitgeteilt? Kann Völler die TV-Berichterstattung auf den Prüfstand zwingen? Fest steht: Einen solchen Rundumschlag gegen die Stammtischbrüder durfte sich nur Rudi Völler erlauben. Wer hat sonst noch das Rückgrat, den „Kaiser“ anzugreifen – und den Rückhalt?
Wer will, kann den Meinungsaustausch zwischen Völler und den ARD-Leuten Hartmann, Delling und Netzer auf den Sportseiten sogar wörtlich nachlesen. Die Agenturen haben die Griffel gewetzt und stenographiert. Bei aller Dramatik: druckreif war Völlers Sportplatz-Jargon nicht jederzeit. Die Financial Times Deutschland mutmaßt: „So etwa muss Völler erregt gewesen sein, als ihm bei der WM 1990 der Niederländer Rijkaard seinen Speichel in die Locken pustete.“ Die Berliner Zeitung amüsiert sich über Völlers „Vorstellung in kurzen Hosen“, in dem, so die SZ, „der alte Mittelstürmer durchbrach“.
Gibt es auch Fußballkommentatoren, die zu Gesten der emotionalen Solidarität fähig sind?
Der Schriftsteller Georg Klein (SZ 8.9.) stärkt Völler den Rücken und rügt die TV-Berichterstatter. „Schon ist das große Abwehrgewäsch der schmerzhaft Getroffenen dabei, Rudi Völlers Worte unkenntlich zu machen. Völler sei „ausgerastet“, heißt es. Und damit wird das, was Rudi Völler herzerfrischend deutlich markiert hat, in den Bereich impulsiver Gefühligkeit verwiesen, in eine Sphäre, wo es nur um Affekte geht, wo es sich nicht lohnt, genau zuzuhören. Dabei ist auch das, was Völler attackiert hat, Ausdruck von Gefühl. Die Spieler unserer Nationalmannschaft werden bereits im Live-Kommentar des Fernsehens und dann in der allgemeinen Nachverwertung in einer Weise emotional angegangen, die schäbig ist. Was hier zum Ausdruck kommt, ist mit überzogenem Anspruchsdenken zu milde beschrieben. Es handelt sich um etwas Schlimmeres. Schon in der Süffisanz der Live-Kommentatoren zeigt sich so viel Freude am Herabsetzen, eine solch intensive Lust am vernichtenden Wort, dass ich bezweifle, die Sprechenden wären mit einem besseren Spiel zufriedenzustellen gewesen. Es scheint einfach zu schön, sich über das Scheitern dieser unübersehbar um den Erfolg ringenden jungen Männer aus sicherer medialer Distanz und mit gewaltigem medialem Echoraum lustig zu machen. Hier spricht ein Populismus der Niedertracht. Ist denn keine andere Art von Berichterstattung denkbar? Unsere Fußballnationalmannschaft sucht gerade nach einem spielerischen Gesicht, nach den Formen, zu denen ein Kollektiv die Fähigkeiten der Einzelnen mit Kraft und Glück zusammenschießen lässt. Wer nicht Individualist bis zum Autismus ist, weiß, dass kollektive Erfolge nur mit Rückschlägen, auch über gemeinsam durchlittene Niederlagen zu haben sind. Es gibt Fußball-Fans, die mit ihrer Mannschaft in die dritte oder vierte Liga absteigen und darauf verzichten, die Vereinsfahne abzufackeln. Gibt es auch Fußballkommentatoren, die zu Gesten der emotionalen Solidarität fähig sind?“
Wenn er nicht mehr die Nerven hat, soll Völler gehen
Peter Heß (FAZ 8.9.) kritisiert den Teamchef. „Wie groß muß die seelische Not sein, wenn sich jemand so um Kopf und Kragen redet wie Rudi Völler nach dem 0:0 gegen Island? Der Teamchef der deutschen Fußball-Nationalelf griff seine Kritiker an, die allesamt immer nur das Negative herausstellten, in dem Jargon, den er von den Fußballplätzen dieser Welt kennt. Führungskräfte anderer Branchen hätten nach so unflätigen Ausfällen gar nicht mehr zum Rücktritt aufgefordert werden müssen; nach ein paar Minuten des Abstands wäre ihnen klargeworden, daß sie untragbar geworden sind. Das Fußballvolk aber liebt seinen Rudi und zeigt Verständnis. Nur worüber regt sich Völler auf? Über berechtigte Kritik, die – anders als seine Replik – keineswegs in unpassendem Ton vorgetragen worden war. Völler offenbart sich als Teil einer verhätschelten Fußballgesellschaft, die von Teenagerzeiten an bewundert worden ist und sich mit der Wirklichkeit schwertut (…) Wer Millionen für die Fernsehübertragungsrechte zahlt und dadurch maßgeblich zum Gehalt der Trainer und Spieler beiträgt, hat das Recht, wenigstens ab und zu eine angemessene Gegenleistung anzumahnen. Wenn er nicht mehr die Nerven hat, solch schlichte Zusammenhänge zu verkraften, soll Völler gehen.“
Der Teamchef hat sich selbst und seiner Mannschaft damit keinen Gefallen getan
Christof Kneer (FTD 8.9.) beanstandet fehlende Distanz des Teamchefs zu seinen Spielern. „Nie hat man mehr gemerkt als an diesem Abend von Reykjavik, dass tief drunten im Trainer Rudi Völler noch immer der Spieler Rudi Völler steckt. Oft genug ist das schon ein Vorteil gewesen für diese Nationalmannschaft; die Spieler lieben es, wenn ihr Vorgesetzter weiß, wie der Ball springt und warum. Aber es ist spätestens dann kein Vorteil mehr, wenn der Trainer die Manieren des Spielers mit hinauf auf ein Podium nimmt, das von Dutzenden von Kameras ausgeleuchtet wird. Er spürt einerseits, dass die fordernde Öffentlichkeit seine Fußballer-Botschaften nicht mehr so einfach schlucken mag. Aber andererseits glaubt er in Treue fest an seine Sätze. Er spürt einerseits, dass sein Team nicht so gut ist, wie das die Öffentlichkeit verlangt; es ist ja kein Zeichen besonders großen Vertrauens, dass er in Island gleich sechs Spieler fürs Grobe aufbot. Aber es gelingt ihm andererseits nicht, die Öffentlichkeit über den wahren Zustand der Mannschaft in Kenntnis zu setzen, ohne die Mannschaft dabei zu verletzen. Man mag es für mutig halten, dass Völler nun den mäkelnden Medien in aller Öffentlichkeit die Stirn bietet. Aber gewiss ist auch, dass der Teamchef sich selbst und seiner Mannschaft damit keinen Gefallen getan hat.“
Michael Horeni (FAZ 8.9.) hält Kritik an der DFB-Auswahl für berechtigt. „Wie Trapattoni kann der ehemalige Römer damit rechnen, daß er menschlich auf großes Verständnis stoßen wird. Da ist einem der Kragen geplatzt, und er macht seinem Ärger genau auf die Weise Luft, wie es sich auf dem Fußballplatz gehört. Völler hat in schwieriger Rolle seit rund zwei Jahren nach Spielen fast immer nur Kritik und bequeme Ratschläge von seinen alten Bekannten zu hören bekommen. Aber die Nationalspieler werden, anders als bei Trapattoni, der über seine Profis herzog, diesen Teamchef zu schätzen wissen, der sie mit flammender Rede zu schützen versteht. Selbst dann, wenn es dafür kaum mehr gute Argumente gibt. Und da fangen die Schwierigkeiten für den Teamchef an. Die Kritik, die sich Netzer Delling erlaubten, steht ihnen zweifellos zu. Sie hatten sich weder im Ton vergriffen noch in der Bewertung. Ob nun das EM-Qualifikationsspiel in Island ein neuer Tiefpunkt war (oder das Spiel auf Färöer oder das Spiel in Schottland oder das Spiel gegen Litauen oder das Heimspiel gegen Färöer) – darüber läßt sich philosophieren. Aber es läßt sich grundsätzlich nicht darüber streiten, daß die Nationalmannschaft selbst in den Spielen, in denen es darauf ankommt, einen enttäuschenden Auftritt an den nächsten reiht. Dies ist neben den menschlichen Aspekten wohl einer der tieferen Gründe für Völlers Wutausbruch: die Verzweiflung über die begrenzten Fähigkeiten der deutschen Nationalmannschaft (…) Der Teamchef fragte sich zudem, woher die Netzers, Beckenbauers und Breitners nur das Recht für ihre Ansichten hernähmen. Die Antwort ist so banal wie bekannt: Die prominenten Sprüchemacher gehören längst zum Geschäft, sie halten den Fußball im Gespräch, sichern eine Einschaltquote von 8,41 Millionen – und das ganze Brimborium, das um den Fußball gemacht wird, führt natürlich auch dazu, daß Völler als Teamchef üppig entlohnt wird und nebenbei lukrative Gagen für seine Werbespots erhält.“
Kaum sonst jemand verkörpert im deutschen Fußballgeschäft so glaubwürdig das proletarische Ethos
Stefan Reinecke (taz 8.9.). „Völler ist, als Fußballer und als Trainer, ungemein populär. Er ist wie wenige andere Kicker seiner Generation immer der Gleiche geblieben. Er ist nicht arrogant, wie Karl-Heinz Rummenigge, er hat schon gar nicht, wie der trostlose Lothar Matthäus, versucht, sich als Aufsteiger zu inszenieren. Völler, gelernter Bürokaufmann aus einer Arbeiterfamilie, wollte nicht nach ganz oben. Bundestrainer ist er eher zufällig geworden. Kaum sonst jemand verkörpert im deutschen Fußballgeschäft so glaubwürdig das proletarische Ethos, dass man seinen Job halt so gut macht, wie es geht. Sein Ausbruch war, wenn man will, der eines Facharbeiters, der mit mäßigem Material dauernd Höchstleistungen vollbringen soll und, wenn das misslingt, was zu hören bekommt. Einer, der ehrliche Arbeit abliefert, gegen die Diskurshoheit der debattierenden Klasse. Mag also sein, dass seine Alles Scheiße-Tirade manchem Bundesbürger aus dem Herzen gesprochen hat, der auch ehrliche Arbeit abgeliefert, brav seine Beiträge gezahlt hat und jetzt zusieht, wie das Gesundheits- und Rentensystem zu Schanden geht und der Standort Deutschland in Grund und Boden geredet wird. Insofern passt dieser Wutausbruch vielleicht gar nicht schlecht in die Landschaft. Gewiss gab es in Völlers Rundumschlag auch einen unguten Ton: Da sprach halb ein aufgebrachter Kleinbürger, der um sich schlägt – und halb ein Malocher, dem die ewige Besserwisserei der andern zu Recht auf die Nerven geht. Und schließlich sprach da ein Profi, der gegen die Regel rebelliert, dass Fußball als Samstagabendunterhaltung zu funktionieren hat. Genau das hat Völler mit seinem Ausraster geschafft. Das Spiel war furchtbar – aber Völler danach besser als Ballack je sein kann. Sein Auftritt hat die Unterhaltungsmaschine Fernsehen mit genau dem Rohstoff versorgt, den sie am meisten braucht: echte Gefühle.“
Gisa Funck (FAZ 8.9.) beklagt die Haltung vieler Journalisten. “Ob jemand wie Völler überhaupt noch Vorbild für eine Nationalmannschaft sein könne, bezweifelt der Fußballreporter Kai Hoffmann auf WDR 2 allen Ernstes und unterstellt dem Teamchef maßlosen Größenwahn. Eine Eigenschaft, die man umgekehrt ihm und seiner Zunft vorwerfen könnte. Denn, wenngleich Völler im ARD-Studio im Beisein von Waldemar Hartmann verbal die Sicherungen durchgegangen sind und er sich unziemlich über das ständige Tiefpunkt-Gerede von Gerhard Delling und Günter Netzer ereiferte, die seine Elf mit den üblichen Standard-Argumenten zerrupft hatten – die Unfähigkeit deutscher Fußballkritiker, mit der Kritik an ihrem eigenen Gehabe umzugehen, ist doch gleichfalls sehr bemerkenswert. Der Nationalmannschaft hatten Netzer und Delling in gewohnt strengem Gouvernantensound ins Stammbuch geschrieben, daß es an überragenden Spielern fehle (…) Will denn tatsächlich jemand bestreiten, daß Spieler wie Netzer im Vergleich zu den heutigen Kickern Standfußball gespielt haben? Daß sich die Erwartung an die Nationalmannschaft dermaßen gesteigert hat, daß freies Aufspielen, wie es Netzer Co. stereotyp fordern, kaum noch möglich ist? Und daß andere große Fußballnationen wie die Niederlande oder Italien ihre lauen Phasen haben, weil die Talente fehlen? Woran das wiederum liegt, an der Übermacht der Vereine und dem Druck des Fernsehens etwa (ARD und ZDF haben erst kürzlich für 390 Millionen Mark Rechte beim DFB gekauft), das thematisieren Delling und Netzer bei solcher Gelegenheit lieber nicht. Das wäre ja auch zu langwierig. Lieber ein schneller Paß in die Tiefe des Raumes zu einem, der dann vor dem Tor oder als Trainer angeblich alles falsch macht. Ist aber auch kein so erstklassiges Spiel.“
Die Wut gefunden, einmal er selbst zu sein
Jan Christian Müller (FR 8.9.) versteht Rudi Völler. “Am Samstagabend zur besten Fernsehzeit hat eine verblüffte Fernseh-Nation die seltene Gelegenheit gehabt, den Fußball ausnahmsweise einmal in der ganzen Reinheit seines Geistes kennen zu lernen. Völlig ohne ritualisierte Rhetorik. Rudi Völler hat in einem cholerischen Anfall die Wut gefunden, einmal er selbst zu sein, der schlichte Fußballer, der sich ungerecht behandelt fühlt, der, durchaus branchentypisch, mit Ironie nichts anzufangen weiß, sich vergisst und die Gossensprache wählt, die sonst nur in der Umkleidekabine benutzt werden darf. Einmal Prolet sein wie im Stehblock, einmal nicht Teamchef-gerecht abwägen und ätzende Kritik lahm in immer gleicher Wortwahl (Ich bin Realist, Es gibt keine Kleinen mehr) auffangen, sondern gnadenlos zurückschlagen, verletzt und verletzend zugleich sein (…) Man muss aber auch wissen, dass der Hanauer Bub zu jener Fußballergeneration gehört, die talentiert genug war, problemlos ohne Abitur auszukommen und in Männern wie Andy Brehme, Guido Buchwald, Klaus Augenthaler, Lothar Matthäus und eben Völler selbst ihre typischen Vertreter hatte. Kumpeltypen, die ihre Laster ungezügelt auslebten, Sportsmänner, keine Entertainer; die unter dem zunehmenden Medieninteresse mühevoll gezähmt werden mussten und sich, nebenbei, in jungen Jahren nicht annähernd so gewählt auszudrücken vermochten wie die belesenen Abiturienten Metzelder, Kehl, Friedrich, Rau heute. Mag sein, dass der Mythos Völler jetzt nicht mehr wie ein Heiligenschein über Fußball-Deutschland schwebt. Es war sowieso Blödsinn zu meinen, der auch als Mensch unberechenbare Mittelstürmer von einst sei der Heilsbringer des deutschen Fußballs. Wahr ist, dass er auch ohne Fußballlehrerschein kraft seiner Beliebtheit und eines hart erarbeiteten Glücksproduktes im unvergesslichen Sommer 2002 übertünchen konnte, wie es wirklich um die hier zu Lande beliebteste deutsche Sportart bestellt ist: Das 0:0 in Island ist kein Ergebnis grob falscher Taktik oder fahrlässiger Chancenverwertung, sondern Widerspiegelung der derzeitigen Kräfteverhältnisse zwischen einem Nordmeereiland und dem Dauergast in WM-Endspielen.“
Philipp Selldorf (SZ 8.9.) erinnert sich an andere Dünnhäutigkeiten. „Irgendwie glaubt er sich durch Einsprüche und Vorbehalte einiger Experten verfolgt – eine typische Berufskrankheit im Nationaltrainerstand, an der all seine Vorgänger litten. Irrationale Reaktionen bleiben unvermeidlich. So beschimpfte Franz Beckenbauer Schiedsrichter als „gemeingefährlich“, Berti Vogts sah dunkle Mächte am Werk, und Völler gab während der WM eine Ahnung seines Potenzials, als er Südkoreas Bum Kun Cha für „bekloppt“ und aspiringedopt erklärte.“
So standfest hat sich vor einem wild keifenden Trainer selten ein TV-Journalist gehalten
Christopher Keil (SZ 8.9.) gratuliert Waldemar Hartmann zu seinen Defensivqualitäten. „Es hat lichte Momente gegeben im deutschen Fußball-Fernsehen. Beispielsweise den in Madrid vor einem Champions-League-Viertelfinale, als ein Tor umfiel und Marcel Reif und Günther Jauch grimmepreismäßig drauflosquatschten, dass es eine Freude war. Oder den in Gijon, als der inzwischen verstorbene Kommentator Eberhard Stanjek irgendwann schwieg, weil er nicht mehr über den Nichtangriffskick der Deutschen gegen die Österreicher reden mochte, der vom Rest der WM-Teilnehmer 1982 als Wettbewerbsbetrug begriffen wurde. Und vielleicht waren die ungefähr sieben Minuten, die Waldemar Hartmann mit Rudi Völler am Samstagabend verbrachte, auch so ein lichter Moment. Wie hätte Jauch reagiert, der bekannt ist als einer, der mit Ungemach in so genannten live-Situationen umgehen kann? Der bislang brave und beliebte Rudi Völler verlor die Kontrolle, beleidigte das Experten-Duo Netzer-Delling und weckte den Eindruck, mit einem Stammtischplauderer über den deutschen Fußball diskutieren zu müssen. Waldemar Hartmann also, der sich vor langer Zeit zur Aufgabe gemacht hat, jeden zu duzen, blieb in höflicher Bierruhe sitzen, bot eine Dopingprobe an („Ich bin bei Null“), belehrte, dass es auf Island keinen Weizen gebe und ließ sich den Eindruck nicht ausschreien, einen schlechten Auftritt der deutschen Elf gesehen zu haben. Man kann über den CSU-nahen, „Waldi“ gerufenen BR-Mann Hartmann vieles behaupten, aber so standfest hat sich vor einem wild keifenden Trainer selten ein TV-Journalist gehalten.“
Matti Lieske (taz 8.9.) zeigt Verständnis für den Inhalt Völlers Tirade – aber nicht für den Tonfall. “Einen derartigen Grad an Cholerik hatte zuletzt Franz Beckenbauer bei sporadischen Eruptionen in seinen seligen Zeiten als Vorsteher der Nationalmannschaft an den Tag gelegt. In welcher Welt lebt ihr denn alle?, herrschte er die versammelten Fernsehnasen an und schreckte auch vor keiner Gürtellinie zurück. Bierernst und beleidigt die Replik des emsigen Fernsehrechte-Maklers und obersten Fußball-Mäklers. Damals hätte man auch mal schlecht gespielt, räumte Günter Netzer ein, aber dann seien zehn hervorragende Spiele gefolgt. Das müsse wohl vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein, konterte Völler ungerührt. So schlecht hat Netzer jedenfalls nicht mehr ausgesehen, seit er 1974 gegen die DDR eingewechselt wurde. Völlers Rage bezog sich keineswegs auf Kritik an der Leistung der deutschen Fußballer, die auch seiner Meinung nach ein sehr schlechtes Spiel geliefert hatten und mit dem 0:0 noch überaus gut bedient waren. Völler wehrte sich vielmehr gegen ein hartnäckiges Bild vom deutschen Fußball, das für ihn der tiefen Vergangenheit angehört. Das Bild vom besten Fußball der Welt, den es nur umzusetzen gälte. Als eingeschworener Realist zieht er gegen solche Illusionen zu Felde, seit er den Posten des Teamchefs aufgeschwatzt bekam. Häufig sah man ihm dabei an, wie er seinen Zorn hinunterschluckte, wenn wieder einmal die Rede davon war, dass eine deutsche Mannschaft vermeintlich kleinere Gegner beherrschen und sicher schlagen müsse. Beharrlich versuchte er, sein Team, das er übernommen hatte, als es nach der EM 2000 komplett am Boden lag, dort einzuordnen, wo es hingehört: irgendwo in der zweiten europäischen Reihe, mit dem Potenzial, einiges zu erreichen, wenn die Bedingungen gut sind, aber auch mit jeder Menge Raum für Abstürze selbst gegen Kontrahenten wie die Färöer Inseln.“
Christoph Albrecht-Heider (FR 8.9.) klagt über das Machtgefälle zwischen Fußballern und Journalisten. „Was am Samstagabend als Neuauflauge eines belanglosen Plausches zwischen Waldi und Rudi geplant war, lief völlig aus dem Ruder. Und so wie ARD-Moderator Waldemar Hartmann sich über die Runden retten musste, weder das Interview abbrach, noch seinerseits den Ton verschärfte, sondern fast verzweifelt Völler zurückholen wollte auf die Kumpelebene, auf der seine TV-Karriere basiert, zeigte sich auch sehr schön das verschwiemelte Verhältnis zwischen Rechtekäufer und Rechteverkäufer. ARD und DFB sind Geschäftspartner, ein Fußballländerspiel ist eine teure Ware und die Gesamtdarstellung der Partie immer auch ein ökonomischer und nicht immer ein journalistischer Vorgang. Völler stellte in seinem Furor unter Beweis, dass Ironie, wie sie ein Gerhard Delling anklingen lässt, von einem Fußballer schnell als Beleidigung verstanden wird. Man erinnere sich nur daran, wie einst Franz Beckenbauer über Marcel Reif und Michael Palme, diese Zauberer vom ZDF, her zog. Viele Fußball-Profis erwarten, dass sie von Journalisten rücksichtsvoll behandelt werden in der irrigen Annahme, man verfolge doch die gleichen Ziele, zum Beispiel einen Sieg in einem Länderspiel. Sie werden in ihrem falschen Glauben bestärkt von Duz-Brüdern wie Hartmann, der die drei Weizenbiere (Völler) zwar humorig unter Kollateralschaden abbuchte, aber im Grunde der einzige war, der in der denkwürdigen Sendung bloß gestellt wurde – und das ausgerechnet von seinem Freund Rudi.“
Vermutlich hat Völler vielen Trainern aus der Seele gesprochen, glaubt Philipp Selldorf (SZ 8.9.). „Die von den ebenso einflussreichen wie launenhaften Experten verbreiteten Anspruchserwartungen an die Nationalelf passen nicht zu Völlers nüchternem Bild vom Leistungsvermögen seiner Spieler. Deshalb begnügte er sich auch nicht mit der Abwehr der üblichen Entrüstungskommentare, dass die stolze deutsche Fußballnation nicht mal mehr mit Island fertig werde – für ihn Ausdruck fehlenden Respekts vor dem Gegner. Der Teamchef, vor drei Jahren von einem Notfallgremium als Aushilfscoach ohne Diplom ins Amt gesetzt, argumentierte vielmehr wie der Generalanwalt des Trainerstandes: „Es geht gar nicht nur um die Nationalmannschaft. In der Bundesliga ist es doch seit Jahren genauso“, sagte er: „Nur weil irgendwelche Gurus Kommentare abgeben, müssen die Trainer irgendwelche Alibi-Aktionen starten während der Woche. Nur um die ganze Plattform wieder zu beruhigen, damit es heißt: Der Trainer hat was gemacht.“ Der Dank der Bundesligatrainer, die in ihren Städten von jeweils anderen lokalen Gurus gepiesackt werden, dürfte ihm gewiss sein. Ottmar Hitzfeld etwa spricht verächtlich von „bezahlten Kritikern“, wenn er Männer wie Lattek meint, der seine Bayern-Analysen gerne beginnt mit: „Mein Freund Ottmar…“ Beckenbauer, neuerdings als Nationalelfbegleiter der Netzer des ZDF, lässt sich ebenfalls bezahlen, dagegen hat Völler nichts.“
Martin Hägele (NZZ 8.9.) hält die Zeitungsjournalisten für die Sieger des Streits. „Von seiner Wut über die ewigen Besserwisser des Fussballs nahm er ausdrücklich den grössten Teil der Printmedien aus, doch auch der für die Berichterstattung über die Nationalelf zuständige Mann von Bild (gewiss kein Experte, dafür aber ein Stimmungsmacher) bekam von Völler sein Fett ab: „Auch du und dein kaiserlicher Freund (gemeint war Kolumnist Franz Beckenbauer) sind an diesem Ärger nicht schuldlos.“ Er wolle sich jedenfalls keine Magengeschwüre holen, indem er die ständig steigende Kurve an Häme und Kritik durch hoch bezahlte Kritiker wie Lattek, Breitner, Beckenbauer und Netzer weiter widerspruchslos hinnehme. In einigen Dingen hat Völler mit seinem Vorwurf der simplen Schwarzweissmalerei ja Recht. Generell aber muss er sich schon die Frage gefallen lassen, warum seine Mannschaft in den vergangenen drei Jahren kaum einen Schritt nach vorne machte – mit Ausnahme jener sechs Wochen in Asien, als sich ein technisch beschränktes deutsches Team mit grosser Moral, taktischem Geschick und ein klein bisschen Glück an der WM in den Final spielte. Wahrscheinlich leidet Völler am meisten darunter, dass die negative Entwicklung der letzten Monate auf Island angehalten hat (…) Auch für das populäre „Volksidol“ Völler gilt: Einen zweiten Auftritt dieser Art vor einem Millionenpublikum kann er sich nicht mehr leisten. Er hat seinem Amt schon Schaden zugefügt. Und zwar nicht nur deshalb, weil er einen Fussball-Grande wie Netzer und den Vorzeige-Sportreporter der ARD beleidigt hat – diese Anstalt zahlt immerhin 380 Millionen Euro dafür, bis ins Jahr 2006 Länderspiele der DFB-Auswahl übertragen zu dürfen. Völler hat auch ein Stück Kredit an der Basis verloren. Dort, wo man schon weiss, dass die internationale Konkurrenz im Fussball zusammengerückt ist und es keine drei Klassen mehr gibt wie früher. Aber man durchaus erwarten darf, dass die besten Fussballspieler von 80 Millionen Deutschen entsprechend Courage und Willen zeigen, um im Rahmen einer Euro-Qualifikation die Blamage gegen ein Volk mit 280000 Einwohnern zu vermeiden.“
Völler neigt zu Wutausbrüchen
Jan Christian Müller (FR 8.9.) ist nicht überrascht über Völlers Zorn. „Vulgär, aufbrausend, verletzend: Einen solchen Rudi Völler haben sie freilich bei seinem Arbeitgeber, dem Deutschen Fußball-Bund, schon öfter erlebt. Für die wenigen, die ihn besser kennen, war ein Ausbruch, wie er am Samstagabend live in der ersten Reihe zu verfolgen war, überfällig. Das Publikum, das den vor drei Jahren als Retter der Fußballnation angetretenen Sohn eines Drehers aus Hanau nur als TV-Abbild erlebt hat, weiß nun, wie der 43-Jährige sein kann, wenn er sich nicht mediengerecht verstellt. Den fortwährend netten Rudi, der so freundlich mit dem linken Auge zwinkert, versucht er für die Öffentlichkeit zu mimen. Dafür muss der einstige Mittelstürmer hart an sich arbeiten. Denn Völler, eine Fußballernatur mit Fußballerfrisur, liebevoll Tante Käthe gerufen, neigt zu Wutausbrüchen, beherrscht Brachialvokabular, kann launisch sein und nicht selten sogar ungenießbar. Erst im vergangenen Sommer bei der Weltmeisterschaft, als er seine 22 Auserwählten zu einer erfolgreichen Schicksalsgemeinschaft zusammenschweißte, die sich erst im Regen von Yokohama im Finale den Brasilianern 0:2 geschlagen geben musste und in der Heimat für ungeahnten Überschwang sorgte, hat man auch den anderen Völler kennen gelernt. Den, der unausgeschlafen morgens um 7 Uhr vor ebenso unausgeschlafenen Berichterstattern genervt immer neue Varianten des Immergleichen verbreitete. Der dabei ständig Mühe hatte, die Contenance zu bewahren.“
Ich habe volles Verständnis für Rudi Völler (FAZ-Interview mit Berti Vogts)
FAZ: Rudi Völler ist nach dem Spiel in Island im deutschen Fernsehen aus der Haut gefahren und hat besonders die Fernsehkritiker beschimpft. Können Sie seine Reaktion nachvollziehen?
BV: Ich habe volles Verständnis für Rudi Völler. Ich kenne das Gefühl, wenn man öffentlich als Depp hingestellt wird. Als ich Bundestrainer war, wurden wir EM-Zweiter, und das wurde als Desaster dargestellt. Wir standen zweimal im WM-Viertelfinale und wurden nur kritisiert. BV: Ich verstehe es voll und ganz, wenn man als deutscher Trainer aus der Haut fährt.
FAZ: Völler sagte aber auch, Sie und Ihr Nachfolger Erich Ribbeck hätten eben das nie getan und stillgehalten.
BV: Auch ich bin explodiert, aber intern. Ich bin damals unter anderem deshalb weggegangen, weil ich vom Deutschen Fußball-Bund nicht genug Geld für die Jugendförderung bekam. Da fehlten gerade mal fünf Millionen Mark, hieß es. Damals bin ich öfter aus der Haut gefahren, aber hinter verschlossenen Türen.
FAZ: Glauben Sie, Völlers Ausbruch wird Folgen haben?
BV: Ich hoffe, daß man den Rudi in aller Ruhe für die WM 2006 weiterarbeiten läßt. Man muß in Deutschland endlich kapieren, daß die Zeiten endgültig vorbei sind, wo man einfach nach Island fährt und 3:0 oder 4:0 gewinnt. Island, das sind nicht nur Geysire und Ponys, die haben eine richtig gute Mannschaft mit Spielern, die in ganz Europa Profis sind.
FAZ: Hat man in Deutschland nach dem zweiten WM-Platz 2002 zu hohe Erwartungen an die Nationalmannschaft?
BV: Vor einem Jahr wurde alles gefeiert, heute wird alles verdammt. Beides ist falsch. Die deutsche Mannschaft ist im Umbruch. Man soll sie in Ruhe lassen. Wir kennen doch heute die Spieler, die bei der WM 2006 im eigenen Land für uns den Titel holen sollen – dann soll man sie jetzt auch in Ruhe reifen lassen. Über Jugendarbeit braucht man sich jetzt keine Gedanken mehr zu machen. Die bringt nichts mehr für 2006. Die Jugendförderung haben wir in Deutschland schon vor zehn Jahren verschlafen.
Michael Horeni (FAZ 8.9.) schreibt einen Spielbericht. “Auch wenn Rudi Völler die dritte Halbzeit zur wichtigsten gemacht hat – die ersten beiden sollten darüber nicht vergessen werden. Schon im ersten Teil, den der Teamchef noch gnädig mit einem ausreichend benotete, war die Armut des deutschen Spiels mehr als ausreichend zu besichtigen. Die Mängelliste reichte von der Abwehr über das Mittelfeld und den Angriff bis zur taktischen Ausrichtung – es gab nichts, was dem Anspruch einer ambitionierten Mannschaft genügt hätte. Wir haben den Deutschen in den ersten Zweikämpfen gezeigt, daß sie viel arbeiten müssen, wenn sie hier gewinnen wollen, sagte Torjäger Eidur Gudjohnsen. Und er merkte bald: Sie wollten nicht arbeiten. Trainer Asgeir Sigurvinsson faßte seinen Eindruck über einen einst stolzen WM-Zweiten knapp zusammen: Die Deutschen hatten Angst. Die Hasenfüßigkeit auf dem Platz, die mit dem Anpfiff wieder einmal die Großmäuligkeit im Vorfeld ablöste, deutete sich schon in der Aufstellung an. Eine Viererkette und dazu mit Carsten Ramelow und Sebastian Kehl noch eine doppelte Absicherung im Mittelfeld – die Deutschen hatten gegen die paar isländischen Offensivspieler mehr Defensivkräfte auf dem Platz als im WM-Finale gegen Brasilien. Allein um Gudjohnsen kümmerten sich zwei bis drei Deutsche. Wo zu Völlers Zeiten ein Kohler genügt hätte, mußten jetzt gleich ein paar Baumänner des deutschen Fußballs her. Da auch der knorrige Thomas Linke seine Karriere beendet hat, aber für Notfälle zur Verfügung stehen wollte (wann ist eigentlich ein Notfall?) und Christoph Metzelder noch verletzt ist, sah sich Völler gezwungen, eine Abwehrreihe mit Christian Rahn, Frank Baumann, Arne Friedrich und Christian Wörns aufzubieten, die mitunter nicht einmal einen Gegner braucht, um sich in Schwierigkeiten zu bringen.“
FR-Spielbericht Schottland – Färöer (3:1)
NZZ-Spielbericht Irland – Russland (1:1)
Michael Horeni (FAS 7.9.) widmet sich der Torwartfrage. “Was dem ehemaligen Dortmunder die Situation auf der Ersatzbank noch zusätzlich erschwert, ist das Wissen um eine fehlende Lobby. Er habe etwa in Dortmund nie ein weiches Nest gehabt, keinen Trainer oder Präsidenten, der sich für ihn in der Nationalmannschaft stark gemacht hätte. Und bei Arsenal London, so vermutet Lehmann, dürfte dies kaum anders werden. Boß Kahn kann indes neben seiner außergewöhnlichen Qualität, seiner Erfolgsbilanz in der Nationalmannschaft auch ganz nebenbei auf das Gewicht des FC Bayern in der Personaldiskussion vertrauen – falls sich die Lage tatsächlich mal zuspitzen sollte. Was meine Lobby angeht: Da werde ich nicht viel Chancen haben, sagt Lehmann realistisch.“
Christian Eichler (FAS 7.9.). „Hallo Deutschland, für Paul Lambert ist es die Woche des Wiedersehens: am Mittwoch in Dortmund in der EM-Qualifikation gegen Deutschland, sieben Tage später in München in der Champions League gegen den FC Bayern. Die Begegnungen mit den beiden Vorzeigeteams des deutschen Fußballs liefern eine schöne Zugabe für die Spätkarriere des aktuellen Vorzeigeschotten. Als Dortmunder erlebte der heute Vierunddreißigjährige seinen größten Erfolg, als er 1997 mit der Borussia die Champions League gewann – in München. Das öffnete ihm mit 27 Jahren die Tür ins Nationalteam und ins Spitzenteam von Celtic Glasgow, mit dem er nun in der Champions League spielt, anders als der BVB. Die nicht einmal eineinhalb Jahre in Deutschland waren für Lambert eine Art Promotion. Bis heute ist er dankbar dafür: Wäre ich nicht zufällig von Dortmund entdeckt worden, ich wäre wohl in Motherwell versauert. Dankbar ist er seinem Entdecker Ottmar Hitzfeld, den er als Trainer in München wiedertreffen wird. Der europäische Spielplan dieser Wochen liest sich für Paul Lambert wie ein Drehbuch für Das ist Ihr Leben (…) Vor einem Jahr, beim 2:2 gegen denselben Gegner in Toftir, hatte Lambert das vorzeitige Scheitern der Vogts-Mission abgewendet – beim blamablen 0:2-Pausenstand war er es, nicht der Trainer, der in der Kabine das Wortgewitter auf die Mannschaft losließ, die sich davon zu einer Schadensbegrenzung anstacheln ließ. Kein Wunder, daß Vogts an dem Mann hängt. Lambert ist ihm gegenüber, wie zu jedem Trainer zuvor, völlig loyal, sagt: Er war großartig zu mir, lobt ihn vorbehaltlos, nennt die Kritik an Vogts überzogen. Oft hört er sich geradezu wie eine Kopie des Chefs an, etwa wenn er von Umbruchphase, Neuanfang, Verjüngung redet – all jene Formeln, die langfristige Planung betonen, wenn kurzfristige Erfolge fehlen. Sollte Vogts‘ Konzept, ausgerichtet auf die WM 2006, aufgehen, wird Lambert nicht mehr dabeisein – und doch dazu beigetragen haben.“
Inzaghi tre, Wales zero
Aus Italien meldet Birgit Schönau (SZ 8.9.) Erfolg. „Inzaghi tre, Wales zero, durch San Siro wogte La Ola, die rund 8000 Fans aus Wales rangelten in ihrem Frust mit der Polizei. Zuletzt hatte Paolo Rossi für die Squadra drei Treffer in einem Spiel geschafft, 1982 gegen Brasilien. „Es ist mir egal, wie wir aussehen, nur das Ergebnis zählt“, hatte Trapattoni vor dem Match gepredigt, von dem sein Job abhing. Die EM-Qualifikation ist das Minimalziel für den Trainer, der die großen Erwartungen mit einem Desaster bei der WM in Asien enttäuscht hatte. Und nun so ein Spektakel. „Nein zum Fußball-Business“, hatten die Tifosi auf ein riesiges Spruchband geschrieben, das erst nach dem Abpfiff von der Tribüne geräumt wurde. Der italienische Fußball durchlebt seine schwerste Krise, die Funktionäre haben das Vertrauen von Spielern und Tifosi verloren und hängen am Tropf der Regierung. Die Zweite Liga streikt seit drei Wochen, weil aus offensichtlich politischen Gründen drei Absteiger begnadigt wurden und der AC Florenz gar ohne sportliche Meriten eine Klasse höher steigen durfte. Rund 300 Tifosi verschiedener Erst- und Zweitligaklubs hatten sich vor dem Meazza-Stadion auf den Asphalt gelegt und so für Minuten den Bus der Nationalelf blockiert. Die Nazionale der Fußball-Legende Trapattoni – mit Inter Mailand und Juventus Turin war er einer der erfolgreichsten Vereinstrainer – erscheint da vielen Fans als letzte, vermeintlich unantastbare Insel ihres Lieblingssports, der sonst vor aller Augen zum Spielball politischer und kommerzieller Interessen degeneriert. Mit lustvoller Erleichterung hatte die fußballbegeisterte Nation vor dem Spiel endlich mal wieder heiße Debatten um taktische Fragen führen Können.“
Das Streiflicht (SZ 8.9.) zum Abschluss. „Gesetzt den Fall, eine deutsche, die deutsche Nationalmannschaft befände sich in einer grausamen Lage. Nur mal angenommen, sie müsse sogar um die Teilnahme an der nächsten Europameisterschaft bangen, obwohl sie eine besonders leichte Qualifikationsgruppe erwischt hat. Und, um das Unvorstellbare auf die Spitze zu treiben, von Pech könne dabei nicht die Rede sein, auch nicht von heimatlichen Dolchstößen in den Rücken der Spieler und Trainer, nicht von brutalen Tretern aus den einschlägig bekannten Berserker-Nationen, nein, nur von schlichtem Unvermögen, von mangelnder Fertigkeit im Umgang mit dem Spielgerät. Wenn nun in einer solchen Lage einzelne Spieler dem Volk mit einer generösen Geste mitteilten, sie würden jedenfalls für die folgende Weltmeisterschaft zur Verfügung stehen, was wäre die Folge? Ein Gelächter würde die Republik schütteln, so vehement, dass sich noch die Korallen in fernen Atollen verbögen. Weil dem nicht so ist, sind auch keine Parallelen zur Bundesregierung zu ziehen. Vollends unvergleichbar wäre schon die Ausgangslage: Ungerührt spielt das rot-grüne Kabinett seinen Stiefel herunter, auf die Kapitäne ist letztlich Verlass. So hat das Volk mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass sie beisammen bleiben wollen über das Jahr 2006 hinaus, zwei Männer, die nicht voneinander lassen können. Schröder und Fischer, Fischer und Schröder, die Scheidung hätte das Volk verstört.“
(6.9.)
Maier betreut gleich zwei Spieler von Weltklasse
Die Torhüterfrage sei keineswegs symptomatisch für die Personallage der DFB-Auswahl, schreibt Michael Horeni (FAZ 6.9.). “Die Torhüter würdigen sich keines Blickes, wenn sich ihre Wege kreuzen. Auch in der Vergangenheit haben Kahn und Lehmann vornehmlich nebeneinander trainiert, nicht miteinander. Das ist bei Torhütern eben so. Auch während des Trainings in Island werden im deutschen Strafraum keine großen Worte gemacht. Es wird geschwiegen und gearbeitet. Die Konkurrenten konzentrieren sich auf die intensiven Einheiten mit Sepp Maier. Aber nun wird es aufmerksam registriert, weil Lehmann den Alleinvertretungsanspruch von Kahn im deutschen Tor in Frage gestellt hat. Die Schlagzeilen waren entsprechend. Der BTT, also der Bundestorwarttrainer, der es täglich mit den schärfsten Rivalen im Team zu tun hat, befindet sich dennoch in der privilegiertesten Lage im gesamten deutschen Trainerwesen. Denn während Teamchef Rudi Völler vor der Begegnung in Reykjavik wie eh und je verzweifelt nach erstklassigen Kräften auf dem Feld fahndet, betreut Maier im deutschen Tor gleich zwei Spieler von Weltklasse. So ungerecht kann Fußball sein. Lehmann hadert auf höchstem Niveau mit seinem Einzelschicksal, der deutsche Fußball indes wäre schon glücklich, eine tragfähige Basis zu besitzen, um sich gegen internationales Mittelmaß wie gegen Island an diesem Samstag und am Mittwoch gegen Schottland direkt für die Europameisterschaftsendrunde in Portugal zu qualifizieren (…) Vor allem ein Blick auf das deutsche Viererkettchen genügt, um die Sorgen des Bayern-Mittelfeldspielers zu teilen. Vermutlich wird der Teamchef neben dem erfahrenen Christian Wörns auch notgedrungen auf den Berliner Arne Friedrich, den Bremer Frank Baumann und den Hamburger Christian Rahn vertrauen. Zusammen kommen die immer wieder unsicheren Mitglieder dieses zusammengewürfelten Defensivtrios auf nicht einmal 30 Länderspiele. Ein verläßlicher deutscher Stabilitätspakt für den Kampf auf der stürmischen Insel im Nordatlantik sieht jedenfalls anders aus – auch wenn sich dahinter die Weltklasse drängelt.“
Philipp Selldorf (SZ 6.9.) friert. „Auf Island wohnt die deutsche Nationalmannschaft in einer Vorstadtgegend, in der Traktoren und andere Landmaschinen verkauft werden. Wenn die Spieler aus dem Fenster ihres Hotels schauen, sehen sie Reykjavik, den Videyjarsund und gleich vor ihrer Tür hinter der vierspurigen Schnellstraße das Stadion, in dem sie am Samstag das EM-Qualifikationsspiel gegen Island austragen werden. Es heißt Laugardadsvöllur und würde dem FC Emmendingen 03 sicherlich genügen, aber für Kickers Offenbach wäre es viel zu klein. 7056 Zuschauer passen hinein, und wenn sie nicht unterm Tribünendach sitzen, sind sie den Gewalten schutzlos ausgeliefert. Das bedeutet einiges. Denn nicht immer erkennen die Spieler beim Blick aus dem Fenster die Stadt, den Sund und das Stadion. Dann sehen sie, wie am Tag ihrer Ankunft und am Morgen darauf, nichts als graue Wolken, die von einem – obendrein scheußlich heulenden – Wind durch die Landschaft gejagt werden. Selbst die Isländer sprechen von schlechtem Wetter.“
SpOn-Interviewmit Christian Rahn
Christof Kneer (BLZ 6.9.). “Die Frage ist oft gestellt worden, und man hat inzwischen erschöpfend Antwort erhalten. Nein, so lautet die offizielle isländische Sprachregelung vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland am Sonnabend, wir sind zwar Erster in unserer Gruppe, aber wir wollen nicht unbedingt Erster werden. Platz zwei reicht uns, hinter Deutschland, dem Favoriten, so heißt es artig, und man wird schon ein bisschen misstrauisch bei so viel Einigkeit. Wahrscheinlich ehrt es den Isländer ja, dass er sich noch ein bisschen Respekt bewahrt hat vor den Fußballern aus Deutschland. Aber sie sind höfliche Menschen da droben im Norden, man muss ihnen deshalb nicht alles glauben. In Island würden sie zum Beispiel nie sagen, dass sie einen Trainer entlassen haben. In Island sagen sie höchstens, der Trainer kommt heute übrigens nicht mehr oder sie sagen, der Trainer ist gegangen und hat seinen Vertrag mitgenommen. Wenn Deutschland sie lässt, würden sie schon gern Erster werden, bis auf den Trainer Asgeir Sigurvinsson vielleicht, aber das muss nichts heißen. Sigurvinsson will vermutlich lieber Erschder werden. Islands Nationaltrainer ist ein ernster Mann und ein lustiger Mann ist er auch. Er spricht so Deutsch wie viele Nordeuropäer Deutsch sprechen. Hart im Anschlag und ein bisschen abgehakt, aber manchmal mischt er noch ein weiches Stuttgarter Schwäbisch hinein.“
Island mag klein sein, aber auf keinen Fall schwach
FR-Interview mit dem Isländer Eyjölfur Sverisson (ehemals VfB Stuttgart und Hertha Berlin)
FR: Herr Sverisson, Deutschlands Teamchef Rudi Völler sagt gerne: Es gibt keine Kleinen mehr.
ES: Natürlich gibt es immer noch klein und groß, aber es gibt nicht mehr die ganz schwachen Nationen.
FR: Darf man Island noch zu den Fußballzwergen zählen
ES: Nein. Island mag klein sein, aber auf keinen Fall schwach. Viele unserer Nationalspieler spielen in europäischen Ligen, vor allem in Norwegen und England. Unsere Mannschaft kann sich mit dem deutschen Team durchaus messen. Die einzelnen Spieler mögen schwächer sein, aber die Mannschaft kann das kompensieren.
FR: Man sagt, der isländische Fußball ähnele dem britischen.
ES: Das kann man so sehen, denn auch in Island herrscht kämpferisches, körperbetontes Spiel vor. Das kommt wahrscheinlich daher, dass der englische Fußball in Island schon immer sehr beliebt war. Es gibt hier zahlreiche Fanclubs für englische Mannschaften.
FR: Sie sind in Ihrer Profikarriere oft mit Blessuren vom Platz marschiert. Ist der isländische Fußball ein Jolly-Sverssion-Fußball?
ES: Kann man eigentlich so sagen. Aber momentan haben wir eine gute Mischung in der Mannschaft. Da spielen auch technisch starke Spieler, zum Beispiel der Mittelstürmer Eidur Gudjohnsen vom FC Chelsea. Das ist ein überragender Mann. Aber wir sind eben ein kleines Land mit nur 300 000 Einwohnern, und wir müssen immer hoffen, dass ein paar Spieler in jedem Jahrgang hochkommen, die ihre Qualitäten haben.
Zur Lage der russischen Nationalelf NZZ
(5.9.)
Mit zwei Spielern befassen sich die Fußball-Kommentatoren in der Vorberichterstattung über das EM-Qualifikationsspiel der deutschen Nationalmannschaft in Island: Michael Ballack und Sebastian Deisler. Die beiden Stars aus den Reihen des FC Bayern München vereint zwar die Tatsache, dass sie innerhalb der letzten zwölf Monate selten (Ballack) oder gar nicht (Deisler) das DFB-Trikot trugen; entsprechend dürftig waren die Leistung der DFB-Auswahl. Dennoch verbinden die Experten unterschiedliche Erwartungen mit den Comebacks.
So gegensätzlich können die Kurven der Karriere und des Rufs verlaufen: Während Ballack, vor zwei Jahren ein vermeintlicher Schönspieler, derzeit alle Hoffnungen der Fußball-Nation mühelos schultert, scheint der zarte Deisler, vor zwei Jahren einziger Lichtblick unter „Rumpelfüßlern“, am rauen Münchner Profialltag zu zerbrechen. Der FC Bayern stellt an seine Mitarbeiter hohe Ansprüche; auch was das Verhalten neben dem Platz betrifft. Manager Uli Hoeneß fordert von Deisler immerfort große Töne. In den Augen vieler Beobachter ist Hoeneß für Deisler daher ein schlechter Umgang: „Bei den Bayern, wo Redseligkeit eine Tugend ist, hat der aus Eigensinn schweigsame Deisler keinen vorteilhaften Ruf“, fühlt die SZ mit dem schüchternen Sorgenkind. Dahingegen schätzt die Financial Times Deutschland den Münchner Einfluss auf Michael Ballack: „Man kann es fast nicht mehr glauben, dass dieser Ballack vor nicht allzu langer Zeit einmal für Bayer Leverkusen Sport getrieben haben soll; für eine Mannschaft, die dadurch berühmt wurde, dass sie alles konnte, außer Erster werden. Heute wirkt Ballack, als sei er seit schätzungsweise 100 Jahren beim FC Bayern angestellt. Schneller als man das erwarten konnte, hat er sich mit dieser selbstverständlichen Siegermentalität angesteckt, und längst hat er seinen Mut zur Meinung kultiviert.“
Positive Außendarstellung
Jan Christian Müller (FR 5.9.) ist begeistert von der Spielerpersönlichkeit Ballack. “Als er in seinem ersten Profijahr in der Bundesliga unter Otto Rehhagel mit dem 1. FC Kaiserslautern gleich Meister wurde, drohte der steilen Karriere ein Knick. Ballack betrieb in seinen letzten Monaten unter Rehhagel eine allzu offenkundige Art der Arbeitsverweigerung. Rehhagel, der Fußball- und Lebens-Lehrer, schurigelte den bockigen Beau entgegen seiner Art sogar öffentlich. Danach in Leverkusen als Kopf der Immer-wieder-Zweiten und dann bei der WM, als, wiewohl anfangs schwer angeschlagen, bester Feldspieler des Vize-Weltmeisters, legte Ballack das Image des blasierten Besserverdienenden endgültig ab. Obwohl er noch immer mit durchgedrücktem Kreuz zum Sprint ansetzt und dabei viel langsamer aussieht, als er tatsächlich ist, bezeichnet ihn heute kein Mensch mehr als phlegmatisch. Früher wurde das oft getan, und Ballack hat auf diese Kritik recht dünnhäutig reagiert. Mittlerweile hat der Kontaktlinsenträger den Durchblick. Anders, als der nicht minder hoch talentierte Kollege beim FC Bayern, Sebastian Deisler, nimmt der Fußballer des Jahres auch die Öffentlichkeitsarbeit offensiv in Angriff. Mit dem Ergebnis, dass inzwischen jeder halbwegs zurechnungsfähige fünfjährige Deutsche beim Kicken im Park im Tor Kahn und auf dem Feld Ballack sein will, am liebsten im Trikot mit der Nummer 13 auf dem Rücken. Beim deutschen Fußball-Bund haben sie längst begriffen, dass sich Ballack für eine positive Außendarstellung der zuletzt etwas gebeutelten Nationalmannschaft geradezu aufdrängt.“
Kahn ist Deutschlands Bauch, Ballack ist Deutschlands Kopf
Christof Kneer (FTD 5.9.) erläutert die neue Chefrolle Ballacks. “Seine Karriere-Sprünge vollziehen sich leiser als beispielsweise die des Kollegen Oliver Kahn, und so hat sich in aller Stille eine geheime Allianz formiert. Zwar gelten Oliver Kahn und Michael Ballack nicht unbedingt als Freunde fürs Leben, aber längst haben sie sich im Dienste der gemeinsamen Sache verbündet. Es ist jetzt nicht mehr nur der Kahn, der dem Land die unangenehmen Wahrheiten ins Gesicht sagt. Als die Deutschen Anfang Juni mit einem mageren 1:1 aus Schottland heimkehrten, war es Ballack, der öffentlichkeitswirksam übel nahm. Die Mitspieler dürften nicht immer nur auf ihn schauen, teilte er forsch mit, „jeder einzelne“ müsse „mehr bringen“. Aufgeregt meldeten die Zeitungen das Kollegen-Bashing in die Heimat, und selbst heute spielt Ballack sein Erstaunen noch gut. „Das war doch ein ganz normaler Satz“, sagt er unschuldig, „für die Reaktion der Medien kann ich ja nichts.“ Man kann das dem Schelm glauben oder nicht, aber gewiss ist, dass der Torsteher Kahn längst ein Freund dieser Arbeitsteilung geworden ist. Endlich müsse nicht immer nur er sich unbeliebt machen, soll er ein paar Vertrauten in Leipzig beim Trainingslager des FC Bayern vor Saisonbeginn über den neuen verbalen Doppelpass vorgeschwärmt haben. Während Kahn mit krachenden Formulierungen die Emotion bedient wie jüngst vor dem Italien-Spiel, als er den Kollegen markig das Schwänzen von Freundschaftsspielen vorhielt, hat sich Ballack auf die nüchterne Ansprache spezialisiert. Es ist eine Doppelspitze mit klar verteilten Rollen: Kahn motiviert, Ballack moderiert. Kahn ist Deutschlands Bauch, Ballack ist Deutschlands Kopf. Man kann es fast nicht mehr glauben, dass dieser Ballack vor nicht allzu langer Zeit einmal für Bayer Leverkusen Sport getrieben haben soll; für eine Mannschaft, die dadurch berühmt wurde, dass sie alles konnte, außer Erster werden. Heute wirkt Ballack, als sei er seit schätzungsweise 100 Jahren beim FC Bayern angestellt. Schneller als man das erwarten konnte, hat er sich mit dieser selbstverständlichen Siegermentalität angesteckt, und längst hat er seinen Mut zur Meinung kultiviert.“
Ich bin sicherlich nicht der Heilsbringer der Nationalmannschaft
Philipp Selldorf (SZ 5.9.) fügt hinzu. „Michael Ballack kann es nicht leiden, mit Stefan Effenberg verglichen zu werden, was weiß Gott gut zu verstehen ist. Dennoch ist der Vergleich gelegentlich schwer zu vermeiden. Dieser Tage im Lager der Nationalmannschaft fühlt man sich wieder erinnert an vergangene Zeiten beim FC Bayern, als Anwesenheit oder Abwesenheit des Mittelfeldherrschers über den Gemütszustand der ganzen Mannschaft bestimmten. In Effenbergs Glanzzeiten sehnte man ihn und seine Kraft herbei, in den Ausläufern seiner Ära waren alle froh, wenn er nicht mitspielen konnte. Über Ballack lässt sich sagen, dass alle seine Mitspieler im Nationalteam froh und glücklich sind, ihn in den EM-Qualifikationsspielen auf Island und in Dortmund gegen Schottland wieder bei sich zu haben, nachdem er im Länderspiel gegen Italien wegen einer Wadenmuskelverletzung hatte fehlen müssen. Ballack ist, im Gegensatz zu Effenberg, keine kontroverse Figur, ihm fehlt die Selbstherrlichkeit. Unter den Kollegen ist seine Anerkenntnis allerdings schon so weit entwickelt, dass er manchmal Dinge sagen muss, die kein vernünftiger Mensch von sich geben würde. Am Abend vor der Abreise nach Reykjavik erklärte er zum Beispiel im Frankfurter Teamhotel: „Ich bin sicherlich nicht der Heilsbringer der Nationalmannschaft.“ Für manche Mitspieler mag diese Enthüllung eine echte Enttäuschung sein.“
Ich bin ein Spieler von vielen
FAZ-Interview mit Michael Ballack
FAZ: Ostalgie-Shows sind im Fernsehen der Renner. Sind Sie auch DDR-Retro-Fan?
MB: Ich kenne das doch alles noch von früher. Solche Sendungen sieht man, ob man nun aus dem Osten oder Westen kommt, unter ganz anderen Voraussetzungen. Jetzt können manche ehemaligen Ostler vielleicht darüber schmunzeln – dabei war das früher alles andere als spaßig. Für viele Menschen war das bitterer Ernst. Ich bin auch zu einer solchen Sendung eingeladen worden. Ich habe aber abgesagt, weil ich damals noch zu jung war, um wirklich mitreden zu können.
FAZ: Wieviel DDR ist jetzt noch in Ihnen?
MB: Die Fußballausbildung in jedem Fall. Ich glaube aber, daß es für die Erziehung durch die Eltern keinen Unterschied macht, ob man im Osten oder Westen groß geworden ist.
FAZ: Aber manche denken sich vielleicht noch: Der Ballack ist zwar ein Star auf dem Feld, aber der denkt immer noch im Kollektiv.
MB: Ich glaube, das hat nichts damit zu tun, wie wir Fußball damals gelernt haben. Es ist das Wort Kollektiv, das so wirkt. Man mußte sich einordnen, man konnte sich als Persönlichkeit entfalten – wenn auch nicht so stark entwickeln, wie das heute der Fall ist.
FAZ: Ich bin nicht der Fixpunkt der Mannschaft. Das haben Sie noch im vergangenen Jahr gesagt – sprechen Sie jetzt anders über sich und Ihre Rolle im Kollektiv Nationalmannschaft?
MB: Ich habe mich weiterentwickelt und bin wichtiger für die Mannschaft geworden – aber trotz der größeren Verantwortung bleibe ich auch heute noch bei meiner Einschätzung: Ich bin ein Spieler von vielen.
FAZ: Ihre Aussagen sind stets bedacht und abgewogen, die taugen nicht für Schlagzeilen. Das gilt in den Medien als langweilig.
MB: Die Ausschläge in den Medien sind extrem. So was verkauft sich besser. Aber ich weiß nicht, ob man Normalität und Glaubwürdigkeit als langweilig ansehen sollte. So sind doch die meisten Leute. Aber wenn mir etwas nicht paßt oder Dinge in die falsche Richtung laufen, dann mache ich den Mund auf. Auch wenn andere stärker provozieren – ich bin in den letzten Jahren mehr aus mir herausgegangen. Früher war ich noch ruhiger.
FAZ: Nach dem 1:1 in Schottland haben Sie sich – völlig berechtigt – erstmals öffentlich Ihre Kollegen ein bißchen zur Brust genommen.
MB: Ich denke, meine Meinung ist gefragt. Und wenn ich Dinge sehe, die wir verbessern müssen, dann muß ich das auch ansprechen. Das kann nicht immer nur Oliver Kahn machen oder der Trainer – gerade in der Nationalmannschaft. Hier sind die Strukturen und das Leistungsgefälle anders als beim FC Bayern. Von den erfahrenen Spielern muß in der Nationalmannschaft mehr kommen.
Das Roman Empire des reichen Russen verströmt ein Gladiatorenklima
Christian Eichler (FAZ 5.9.) schreibt über Islands Star auf Chelseas Ersatzbank. „Die Isländer, das sind zehn Namenlose und ein Name: Eidur Smari Gudjohnsen. Der hat mit siebzehn neben Ronaldo gespielt und schießt seitdem fast alle Tore des Knattspyrnusamband, des Fußballbundes der Isländer; allein sechs in den sechs EM-Qualifikationsspielen. Nur gerade jetzt, da Deutschland kommt, hat Gudjohnsen ein Problem: einen Klubpräsidenten mit zuviel Geld. Die deutsche Abwehr muß das freuen. Als Gudjohnsen sich in den Sommer verabschiedete, hatte er im Gepäck eine Vertragsverlängerung beim FC Chelsea und gute Vorsätze: drei Kilo runter, Torquote wieder rauf, so wie vorletzte Saison, als er und Partner Jimmy-Floyd Hasselbaink mit über fünfzig Treffern den besten Sturm der englischen Premier League gestellt hatten. Als aber die Ferien vorbei waren, besaß der Klub einen neuen Chef, den Russen Roman Abramowitsch. Und dem gefiel es, von seinen Ölmilliarden rund 160 Millionen Euro in neue Namen für sein neues Spielzeug zu investieren. So war aus dem alten Sturmduo ruckzuck eine Zweitbesetzung geworden. Hinter den eingekauften Stars Crespo und Mutu hat der neureichste Klub der Welt derzeit nur noch Nebenrollen zu bieten (…) Die Erwartungen sind schier unermeßlich geworden in London.Beim Liga-Auftakt in Liverpool stand Gudjohnsen in Chelseas Startelf, dann vergab er in 37. Minute eine Chance, wurde in der Pause ausgewechselt; seitdem hat er noch drei Minuten gespielt. Letztes Wochenende saß er nicht mal auf der Bank. Einmal versagt, Daumen runter? Das Roman Empire des reichen Russen verströmt ein Gladiatorenklima.“
Das ist das größte Ereignis der isländischen Fußballgeschichte
(FTD-Interview mit Thordur Gudjonsson)
FTD: Was bedeutet Fußball für Island?
TG: Fußball ist die Nummer eins. Fast 30 000 Menschen spielen im Verein. Dabei haben wir nur 290 000 Einwohner.
FTD: Und die sind jetzt ganz aufgeregt?
TG: Das ist das größte Ereignis der isländischen Fußballgeschichte. 7000 Karten waren in zwei Stunden weg. Die Insel ist verrückt nach dem Spiel.
FTD: Das spüren Sie sogar in Bochum?
TG: Viele rufen mich an und fragen, ob ich Karten besorgen kann.
FTD: Und, können Sie?
TG: Leider nicht. Wir haben eine große Familie und ich habe nur zehn Karten bekommen. Zum Glück sind wir mit meinen Brüdern Bjarni und Johannes drei Brüder in der Nationalmannschaft und haben deshalb ein paar Tickets mehr.
FTD: Wie wird die Stimmung sein?
TG: Das Stadion in Reykjavik hat eine Laufbahn, deshalb ist die Stimmung nicht so toll. Vor der müssen die Deutschen keine Angst haben.
FTD: Keine fanatischen Fans?
TG: Die geben ihr bestes, aber es kommt nicht so viel rüber. In dem kleinen Stadion hört man alles, was sich die Spieler so zurufen.
FTD: Wo bleibt da der Heimvorteil?
TG: Vielleicht beim Wetter.
FTD: Wie ist das im September?
TG: Windig. Vielleicht auch sonnig. Das weiß man nie genau.
(4.9.)
Spielfreude, Dynamik, Einsatzwille, Schnelligkeit, Übersicht und Schußstärke
Peter Heß (FAZ 4.9.) hofft auf Sebastian Deisler. „Auf Deisler zu warten, erscheint jedem lohnenswert, der sich ein wenig im Fußball auskennt. Der Lörracher ist nicht mehr und nicht weniger als das größte Talent seiner Generation. Schon nach seinen ersten Bundesligaauftritten als Teenager für Borussia Mönchengladbach wurde ihm quasi die Führungsrolle für die Nationalelf bei der WM 2006 übertragen. Spielfreude, Dynamik, Einsatzwille, Schnelligkeit, Übersicht und Schußstärke verbanden sich bei Deisler zu einer Einheit, die man eigentlich nur von unter brasilianischem Himmel geborenen Fußballprofis kennt. Verbanden? Vergangenheitsform? Ja, denn der Deisler des Jahres 2003 erinnert nur noch in einigen Szenen an das Naturereignis früherer Jahre. Zu seinen Berliner Zeiten monierte Trainer Jürgen Röber, Deisler müsse lernen, nicht jeden Ball zu fordern, müsse lernen, seine Kräfte einzuteilen, anstatt sie zu verpulvern. In diesem Sommer ermahnte Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld seinen Mittelfeldspieler, er müsse endlich mehr tun, mehr wagen. Liegt Deislers Zurückhaltung nur in der erworbenen Reife oder in den Verletzungen begründet? Glaubt man dem Profi, dann sind seine Knieverletzungen völlig überwunden. Aber man muß Zweifel haben. Seine Körpersprache auf dem Spielfeld dokumentiert etwas anderes als seine Worte. Dennoch: Auch ein leicht gehemmter Deisler stellt eine Verstärkung für die Nationalelf dar. Seine Fähigkeiten am Ball übertreffen den Durchschnitt deutscher Balltreter bei weitem, seine Freistöße bedeuten Gefahr für das gegnerische Tor und seine Pässe erreichen den Adressaten häufiger als die der meisten Kollegen.“
Wo Redseligkeit eine Tugend ist, hat der schweigsame Deisler keinen vorteilhaften Ruf
Philipp Selldorf (SZ 4.9.) sorgt sich über den schlechten Umgang Deislers. „Im kürzlich neu erschienen Jahrbuch des FC Bayern steht es schwarz auf weiß geschrieben. Für „in“ erklärt Sebastian Deisler seine Freundin (sie heißt Eunice), ferner die wichtigsten Vereinssponsoren (das freut Uli Hoeneß) und schließlich die Natur (das freut Jürgen Trittin). Noch beeindruckender allerdings ist Deislers „Out“-Liste. Er nennt dort: „Andere Frauen, Schicki-Micki, Statussymbole, Machtgehabe, Schein.“ Mancher mag jetzt glauben, Deisler spiele damit auf seinen Münchner Kollegen Oliver Kahn an, doch das lässt sich ausschließen, denn Kahn hat erst neulich von seiner Läuterung berichtet („Habe genug von dem Disco-Blödsinn“) und hält seinerseits „tolerante Menschen“ für besonders in. Toleranz wiederum ist ein Wert, für den Deisler sein ganzes kurzes Leben schon Werbung macht – er glaubt nämlich, sie werde ihm vorenthalten in seinem Dasein als berühmter Fußballer. Es scheint daher eher darauf hinauszulaufen, dass Sebastian Deisler, 23, gleich unsere ganze moderne Welt für „out“ erklären möchte, wenn er Oberflächlichkeit und Falschheit anprangert. Trotzdem spielt er Fußball beim FC Bayern und neuerdings auch wieder für die Nationalmannschaft, was einen gewissen Widerspruch bedeutet, denn auf dem Niveau dieser Institutionen erzeugt Fußball besonders viel Gehabe und Gehampel. Zum Beispiel musste erst gestern der deutsche Ersatztorwart Jens Lehmann eine gewaltige Schein-Aufregung bekämpfen, weil er – in einem auf englisch geführten Interview – angeblich Forderungen gestellt habe, Stammkeeper Kahn ablösen zu dürfen. Nein, hat er nicht, wird er auch nicht, und das musste er nun, auf weißen Socken in der Lobby des Frankfurter Teamquartiers stehend, einigen Reportern auseinandersetzen (…) Bei den Bayern, wo Redseligkeit eine Tugend ist, hat der aus Eigensinn schweigsame Deisler keinen vorteilhaften Ruf. Noch gestern konzedierte er „einen Interessenkonflikt“ mit seinem auf Publicity bedachten Arbeitgeber, stellte aber furchtlos fest: „Ich bin nicht der, der ständig irgendwo draußen rumtanzt.“ Am Montag musste auch Deislers Berater Jörg Neubauer kapitulieren. Das Geschäftsverhältnis wurde mangels Fruchtbarkeit gekündigt, und Neubauer merkte beleidigt wie resigniert an: „Ein Spieler, der beraten werden will, muss sich auch beraten lassen.“ Na und?, konterte Deisler jetzt: „Viele Leute haben mir gesagt: So und so musst Du’s im Fußballgeschäft machen. Aber mich interessiert das nicht.“ Rudi Völler kommt besser mit ihm zurecht als jene Leute, von denen Sebastian Deisler Bevormundung und Manipulation befürchtet.“
Jan Christian Müller (FR 4.9.) ergänzt. “Damals, als er noch ein feingliedriger Teenager war und bei Borussia Mönchengladbach mit Siebenmeilenstiefeln den Bökelberg eroberte, konnten Reporter seine Privatnummer noch im amtlichen Telefonbuch finden. Club und Berater Norbert Pflippen machten sich fortan daran, den schüchternen Hochbegabten vor allzu vielen öffentlichen Auftritten zu schützen, ehe er sich erst von der Borussia und bald auch von Pflippen löste und 1999 zu Hertha BSC Berlin sowie etwas später zu Jörg Neubauer wechselte. Die Hertha hat Deisler bereits seit mehr als einem Jahr wieder verlassen, Neubauer nun vor ein paar Tagen. Deisler gibt sich auf Nachfrage gewohnt einsilbig: Wir hatten unterschiedliche Ansichten und unterschiedliche Interessen, mehr möchte ich nicht dazu sagen. Neubauer ließ immerhin durchblicken, man habe sich zwar friedlich getrennt, er berate aber nur Spieler, die sich auch beraten lassen. Ähnliche Erfahrungen hatte seinerzeit schon Hertha-Manager Dieter Hoeneß gemacht und Deisler im Zuge des Wechsels zu den Bayern und damit verbundener Missfallenskundgebungen der Hertha-Fans als beratungs-resistent bezeichnet. Deisler selbst erweckt durchaus den Eindruck, als nehme er die Kritik zur Kenntnis, allein: Sie ficht ihn nicht an. Man sollte mich so akzeptieren, wie ich bin. Das tue ich auch bei anderen, sagte er gestern. Beide Hoeneß-Brüder und Ex-Berater Neubauer sind der Meinung, dass ein Spieler mit derart weit überdurchschnittlichen Fähigkeiten auf dem Platz auch abseits des Spielfeldes mehr Leistung zu erbringen hat. Deisler sieht das anders und klingt dabei fast trotzig: Ich habe schon viele Leute kennen gelernt, die gesagt haben: So und so ist das Fußballgeschäft, das und das musst du tun. Wenn andere sagen, das muss man als Fußballstar machen, dann können die das so sehen. Ich habe da meine eigenen Ansichten. Seine viel besuchte Homepage im Internet hat er bis auf weiteres geschlossen.“
Leerstelle auf links
Christoph Kneer (BLZ 4.9.) schildert die Kummerfalten auf Rudi Völlers Strin. “Man möchte nicht Teamchef sein in diesen Tagen. Wer Deutschland aufstellen muss, bekommt vermutlich eine ordentliche Zehn zusammen – aber eine Elf? Es gibt Ecken auf dem Spielfeld, da hat Völler die Qual der Wahl; auf rechts zum Beispiel, wo sich die defensiven Friedrich, Hinkel und Rehmer ebenso bewerben wie die offensiven Schneider oder Deisler. Auf der gegenüberliegenden Seite aber hat Völler höchstens die Wahl der Qual. Auf der linken Seite hat Deutschland ein rechtes Problem – gerade dort, wo das Land in seinen großen Jahren bestens besetzt war. Beim WM-Sieg 1974 preschte linksseitig der junge Breitner entlang, beim EM-Erfolg 1980 hielt dort der treue Dietz die Stellung, bei den WM-Turnieren 1982 und 1986 prallten die Gegner auf links auf den robusten Briegel, und 1990 war es nicht zufällig der Linksverteidiger Brehme, der im WM-Endspiel das einzige Tor verantwortete. Da sieht man mal, wie wichtig die linke Seite ist, sagt Hans-Peter Briegel, zurzeit Nationaltrainer Albani
Ballschrank
Bayer Leverkusen
Bayer Leverkusen befindet sich nach dem 0:3 beim VfB Stuttgart wieder auf Talfahrt, „setzte damit die Reihe ärmlicher Resultate fort, schloss früh einen Pakt mit der Trägheit, verlor Zweikämpfe und zeichnete chaotische Laufwege ins Grün. Nirgendwo war der Trotz erkennbar, der Fußballer packt, wenn ihnen die Niederlage ins Gesicht schaut. Jeder dachte nur noch an Flucht. Allen voran der neue Sportdirektor mit Namen Jürgen Kohler, dessen Fähigkeit zum Handauflegen schnell verflogen ist“ (FTD).
Wer will Olympia, wir haben den VfB
Elke Rutschmann (FTD 14.4.) analysiert die Reaktionen der Sieger. „Manfred Haas strich sich auf dem Podium nochmals kurz über seinen mächtigen Schnauzer, bevor er die freudige Nachricht auf den Weg schickte. „Die Olympiaentscheidung ist gegen Stuttgart ausgefallen. Vor diesem Hintergrund arbeiten wir jetzt an einem Konzept für ein reines Fußballstadion und werden entsprechende Gespräche mit der Stadt führen“, sagte der Präsident des VfB Stuttgart nach dem 3:0 gegen Bayer Leverkusen. Der dritte Bauabschnitt soll schon im November beginnen, die Fans endlich näher ans Spielfeld rücken. Die Trennung von der Laufbahn bedeutet gleichzeitig den Abschied von der Sportstadt Stuttgart, die sich vor allem als Leichtathletikstandort einen Namen gemacht hat. Den Anhängern tut das nicht weh, angesichts der Darbietungen, mit denen sie ihr VfB entzückt. „Wer will Olympia, wir haben den VfB“, sangen die Fans trotzig auf dem Heimweg nach der Verschmähung ihrer Metropole, die trotz Unterstützung von Nena bereits in Runde eins passen musste. Wunder geschehen in der Landeshauptstadt vor allem auf dem Rasen. „Ein neues Stadion ist ein hohes Gut“, sagte Haas und tröstet sich damit über die Tatsache hinweg, dass bis zur Fertigstellung 2005 nur noch 30 000 Zuschauer ins Oval passen. Keine große Kulisse für die Champions League. Ohnehin wird bei Experten schon länger diskutiert, ob der Kader des Tabellenzweiten die Belastungen in der Königsklasse überhaupt aushalten könnte. Felix Magath begegnet diesen Mutmaßungen meist mit einem freundlichen Grinsen und tüftelt als passionierter Schachspieler bereits an der neuen Strategie. „Wir werden unser Spiel verändern müssen ohne Balakow, den Kader für den Fall der Fälle entsprechend verstärken und nicht nur ergänzen.“ Inzwischen rückt der Trainer von seiner Untertreibungstaktik ab.“
Arbeitsverweigerung
Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 14.4.) hält diesen die der Verlierer entgegen. „Nach dem 4:1 über Hertha BSC Berlin hatte Sportdirektor Jürgen Kohler kein Mikrophon ausgelassen, in Stuttgart aber überließ er Hörster das schwierige Feld der Erklärungsversuche für eine Vorstellung, die selbst den Redeschwall des geladenen Managers Reiner Calmund ins Stocken geraten ließ. Spielerisch war das höchstens zweite Liga, vielleicht nur Regionalliga, sprach Calmund leiser als sonst. Wir haben den ganzen Nachmittag geschlafen, urteilte Bernd Schneider. Unfreiwillig mobilisierten sie damit unzufriedene Leverkusener Fans, die den Profis beim Training am Sonntag morgen Arbeitsverweigerung vorwarfen. Über die Qualität des Leverkusener Teams gaben sich die Stuttgarter keinen Illusionen hin. In Bochum erwartet uns härtere Gegenwehr, prophezeite Magath mit Blick auf die kommende Dienstreise und fällte somit ein vernichtendes Urteil über den Abstiegskandidaten Bayer 04 Leverkusen. Als Magath den VfB übernahm, bewegte sich dieser in ähnlichen Tabellenregionen wie Bayer heute. Wo Leverkusen vor einem Jahr zu finden war, ist jetzt Stuttgart. Seit 1992, dem letzten Stuttgarter Meisterjahr, ist der Klub zu so einem fortgeschrittenen Saisonzeitpunkt nicht mehr so weit oben zu finden gewesen. Nur noch elf Punkte, hörte man VfB-Fans flachsen, als die Kunde vom 0:1 der Bayern aus München kam. Magath spricht inzwischen vorzugsweise von der Pflicht Uefa-Pokal, die es zu erfüllen gelte. Sobald man im Obligo sei, lasse sich an die Kür denken. Und die heißt Champions League. So berauschend die Stuttgarter spielen, so nüchtern stellen sie ihre Hochrechnungen mitten im Höhenflug an. Magaths Machbarkeitsstudie ergibt sich aus dem Tabellenenstand. Ist es am Ende Rang zwei oder drei, darf es bei der Einkaufstour auch mal ein Luxusartikel sein, weil dann das Geld dafür da wäre (…) Das Zusammenspiel ohne Balakow werde sich verändern, aber Offensive bleibe weiter Trumpf. Die Hierarchie werde eine andere, das heutige Stammpersonal solle sich gezwungen sehen, seine Position zu verteidigen. Die Saison ist noch nicht vorüber, da bastelt Magath bereits an einer Frischzellentherapie, damit die Mannschaft von morgen nicht eine von gestern wird.“
Regionalliganiveau
Martin Hägele (FR 14.4.) sieht schwarz für Bayer. „Rudi Völler, Teamchef und ansonsten bekennender Bayer-Mann, hat den Absturz dieser Mannschaft als Kopfproblem geortet. Wenn es nur das wäre. Die ehrliche Diagnose, die auf dem Platz, und die von den Gegenspielern erscheint viel verheerender. Die schlechteste Mannschaft, die dieses Jahr bei uns gastiert hat, hat Trainer Felix Magath vom VfB Stuttgart gesagt. Und einer seiner Spieler, der Name sei höflicherweise verschwiegen, fand, dass die schon richtig tot waren. Die haben sich nicht einmal gewehrt. Leider kann man solche Legionäre nicht wegen Charakterschwäche entlassen. Und die Einstellung dieser Spieler, denen Meister Calmund in dieser Verfassung allenfalls noch Regionalliganiveau attestiert hat, lässt sich nur noch schwer verändern von irgendeinem Vorturner, nachdem sich nun auch die frische Magie von Weltmeister Kohler pulverisiert hat. Möglicherweise könnte es helfen, wenn dieser Kohler direkt auf die Ramelow und Schneider und Placente losgeht, wenn er sie von morgens bis abends mit seinem Willen und seiner Disziplin infizieren kann. Den Trainer Jürgen Kohler hat sich Calmund als allerletzte Option offen gehalten. Es wäre kein Wunder, würde er sie schon bald wahr nehmen. Denn alle andern, auch Calmund und der Rest des Bayer Führungszirkels, sind mit ihrem Latein am Ende. Ohnmächtig standen sie vorm Zerfall ihres sportlichen Champions-League-Monuments, was in Stuttgart umso frappierender wirkte, da sich hier das Gegenmodell zu Bayer anschickt, dessen Nachfolge zu übernehmen.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Bundesliga
Gereiztheit zwischen Freiburg und Kaiserslautern – Hannovers Trainer Ralf Rangnick nich sicher im Sessel? – Gewalt innerhalb Bochums Team: Oliseh schlägt Hashemian und wird entlassen – „Kölner Revolution von oben“ (SZ) u.v.m.
SC Freiburg – 1. FC Kaiserslautern 1:0
Am Charakter ihres Amateurs könnte sich das Profikader ein Beispiel nehmen
Martin Hägele (NZZ 2.3.) empfiehlt den Kaiserslauterern Ruhe und Bescheidenheit: „Tim Wiese kann innerhalb von Minuten ein total anderer Typ sein. Weil der Fussball-Torhüter die Verwandlung in einen erfolgreichen und ziemlich eitlen Jungunternehmer so pedantisch verfolgt, tauften ihn die Kollegen „Spiegel“. Bis „Spiegel“ die fingerdicke Goldkette um den Hals gelegt, die Ringe richtig ins Ohr gesteckt und den schwarzen Haarschopf glänzend mit Gel beschmiert hatte, war der Elfmeter schon eine Dreiviertelstunde alt. Doch obwohl er nun nicht mehr wie dieser halbstarke Rambo aussah, der vor dem Strafstoss aus seinem Tor gestürmt und den Penaltyschützen Zkitischwili angemacht hatte („was willst du, Blinder, ich halt den Ball sowieso“), seine Meinung zum Pfiff des Schiedsrichters („das war niemals Elfmeter“) und zum Spiel generell vertrat Wiese weiterhin ungeschminkt: „Mit elf Mann hätten wir hier drei Punkte gewonnen.“ Und überhaupt, dass er einmal wieder für Tumult verantwortlich gewesen sei und wie im letzten Auswärtsspiel in Bremen in den Schlusssekunden die gelbe Karte bekommen habe, das gehöre sich für einen guten Keeper: „Ich muss doch in dieser Situation provozieren.“ Der Trainer Kurt Jara hat sich über das Benehmen des jüngsten Pfälzer Shootingstars auch so seine Gedanken gemacht. (…) Bezeichnenderweise behielt ausgerechnet derjenige FCK-Spieler, der bisher mit dem ganzen Bundesliga-Stress am wenigsten zu tun hatte, einen klaren Überblick. Der Debütant Drescher zog sich reumütig das weisse Trikot über den Kopf, er schämte sich für sein Penaltyfoul. Am Charakter ihres Amateurs könnte sich das komplette Profikader vom Betzenberg ein Beispiel nehmen. Denn ein Stück mehr Realitätsbewusstsein hilft vor dem nächsten Abstiegs-Endspiel gegen Eintracht Frankfurt bestimmt mehr als Wieses Proleten-Parole: „Die hauen wir weg!“ Vielleicht sollte der Vorstandschef Jaeggi in dieser Richtung einen klaren Ton vorgeben – sonst muss er im nächsten Jahr sein eigenes Erbe in der Zweiten Liga verwalten.“
Christoph Kieslich (FAZ 2.3.) ergänzt: „Nach einem nervenaufreibenden Fußballspiel waren Kurt Jara und Volker Finke als erste wieder auf dem Boden der Vernunft angekommen. In den Gesichtern der beiden Trainer hatte die aufwühlende Partie zwar Spuren hinterlassen, aber die hochgekochten Reaktionen auf dem Spielfeld, die nach dem Abpfiff noch Handgreiflichkeiten zwischen Ordnern und Lauterer Spielern zur Folge hatten, wollten Jara und Finke nicht überbewerten. Sie schrieben die aggressiven Szenen dem hohen emotionalen Druck zu, unter dem beide Mannschaften standen. In der Bundesliga, das machten die Freiburger Bilder vom Sonntag klar, hat die heiße Phase des Abstiegskampfs begonnen. Das finale Scharmützel hatte Tim Wiese angezettelt, jener junge Tormann, der zuletzt mit famosen Paraden von sich reden machte, in Freiburg aber offensichtlich demonstrieren wollte, daß er überdies das Zeug zum Oliver Kahn besitzt – und zwar in dessen von allen guten Geistern verlassenen Momenten. Nach einem Elfmeterpfiff, an dem niemand etwas zu mäkeln hatte, griff Wiese den auserkorenen Freiburger Schützen Lewan Tskitischwili mit Worten an. Tim Wiese ist ein junger Mann, der mit vollem Herzen dabei ist, sagte Jara verständnisvoll, aber im Abstiegskampf muß man kühlen Kopf bewahren.“
Hannover 96 – Hertha BSC Berlin 1:3
Er bewegt sich schwerfällig, steht oft falsch, spielt haarsträubende Pässe
Frank Hellmann (FR 2.3.) ist entsetzt von Abel Xavier, Hannovers neuem Abwehrspieler: „Nein, hat Rangnick, von einem nörgelnden Präsidenten und besorgniserregenden Niederlagen geplagt, in ewig stoischer Manier wiederholt, diese Niederlage hat nichts mit nur einem Spieler zu tun. Und er werde nicht zulassen, dass nun alles auf Abel Xavier abgeladen wird, auch wenn der sicher kein überragendes Spiel abgeliefert hat. Man hätte sich gewünscht, manch einer der Profis von Hannover 96 hätte etwas von dieser beharrlich-verbissenen Defensivhaltung. Tugenden, die Rangnicks Anvertraute – gegen Hertha BSC in der Anfangself Spieler aus acht Nationen – vermissen lassen. Bei einem ist der Verlust aller abwehrenden Qualitäten des modernen Fußballs, wie Schnelligkeit, Stellungsspiel, Kommunikations- und Konzentrationsfähigkeit, besonders offenkundig. Abel Luis da Silva Costa Xavier, 31 Jahre, schon mit 17 Nationalspieler Portugals, ist derzeit auf bestem Wege, zur Karikatur eines Profis zu mutieren. Denn die Frage stellt sich dringender denn je: Was will Hannover mit einem Mann, der vielleicht dienlich ist, den Club in Haarnover (Bild) umzutaufen, aber sportlich die Mannschaft in den Abgrund reißt? Er bewegt sich schwerfällig, steht oft falsch, spielt haarsträubende Pässe. (…) Seit dem 28. Juni 2000 hat seine Karriere einen Knacks: Im EM-Halbfinale gegen Frankreich wurde ihm der Ball an die Hand geschossen. Strafstoß, Golden Goal, Aus für Portugal, Tumulte. Xavier fühlte sich hernach als Opfer, als ihm die Uefa neun Monate Sperre (wegen Stoßens des Schiedsrichters) aufbrummt. Bis heute steckt das Urteil, so hat es den Anschein, wie Blei in seinen Beinen.“
Frank Heike (FAZ 2.3.) vermutet Probleme für Trainer Rangnick: „Nur zwei Spiele haben genügt, um das zerbrechliche Gebilde Hannover 96 zum Einsturz zu bringen. Nach dem desolaten 1:3 in Rostock vor zehn Tagen waren die alten Strukturen in der Führung wieder offensichtlich geworden – Kind genügte ein schwaches Spiel, um Rangnicks Arbeit in Frage zu stellen. Ein erstes Krisengespräch der Rückrunde folgte. Das nächste 1:3 nun, daheim und ähnlich erschreckend in seinen Ausmaßen, bringt Rangnick in abermaligen Erklärungsnotstand: Trotz aller Umstellungen ist es ihm nicht gelungen, eine halbwegs stabile Abwehr zu stellen. Dabei hatten Kind und die Vereinsgesellschafter in der Winterpause wieder einmal in die Tasche gegriffen, um neue Spieler zu kaufen. Letztmalig, wie Kind dieser Zeitung sagte, und nur um eines zu verhindern: Ich will in Hannover keine Fahrstuhlstrukturen. Kinds Schreckensvision ist die eines fertiggestellten Stadions mit Spielen in der zweiten Liga. Ich bin davon ausgegangen, daß wir mit den neuen Spielern nichts mit dem Abstieg zu tun haben würden, sagt Kind. Er hat eine simple, aber verständliche Sicht der Dinge: Zum wiederholten Male hat er Rangnick Profis zur Verfügung gestellt. Nun erwartet er vom Coach schlichtweg das: Erfolg. Jeder weiß, daß es so leicht nicht geht. Aber Kind hat das Sagen. Und er ist zu Recht alarmiert. (…) Während die Berliner ihn nach dem dritten Sieg der Rückrunde am liebsten länger als nur bis zum Saisonende haben wollen, weil sie schon jetzt meinen, ihm den möglichen Klassenverbleib zu verdanken, haben in Hannover die elenden Krisengespräche in der Dreieckskonstellation Rangnick, Kind, Moar längst begonnen.“
Weiteres
Richard Leipold (FAZ 2.3.) berichtet Gewalt in der Bochumer Mannschaft: “Der VfL Bochum galt lange als intakter Fußballverein, frei von großen Erfolgen, aber auch frei von Skandalen. Das familiäre Flair des Revierklubs wurde vor allem von den Spielern geschätzt. In dieser Saison spielt die Mannschaft auch noch erfolgreich Fußball. Just an dem Tag, an dem sie den vierten Tabellenplatz erklomm, nahm das saubere Image Schaden. Bei einem Streit unmittelbar nach dem Bundesliga-Heimspiel gegen Hansa Rostock zertrümmerte Mittelfeldspieler Sunday Oliseh seinem Mannschaftskollegen Vahid Hashemian das Nasenbein. Während die Fraktur im Krankenhaus gerichtet wurde, scheint der Bruch zwischen Oliseh und seinem Arbeitgeber endgültig. Am Montag vormittag teilte der VfL Bochum in einem Dreizeiler mit, er stelle mit sofortiger Wirkung den Lizenzspieler Sunday Oliseh von seinen arbeitsrechtlichen Verpflichtungen frei. (…) Wie Insider berichten, hatte Oliseh die Kabinentür abgeschlossen, um mit Hashemian Klartext zu reden. Der als zurückhaltend bekannte Stürmer warf Oliseh vor, er überschreite seine Kompetenzen. Du bist nicht der Kapitän. Wenn jeder Spieler der Chef sein will, geht die Mannschaft kaputt. Dann soll der Satz gefallen sein, den Oliseh als Beleidigung aufgefaßt hat. Wir sind hier nicht in Nigeria. Wie Insider berichten, verlor der frühere Kapitän der nigerianischen Nationalmannschaft die Kontrolle. Spätestens in diesem Augenblick war er nicht mehr der weltmännische Junge, als den ihn Trainer Peter Neururer vor kurzem noch hingestellt hatte. Oliseh nahm Anlauf und verpaßte Hashemian eine Kopfnuß. Wie der Vorstand hatten auch die Mitspieler nicht mit einer Eskalation gerechnet, obwohl Oliseh schon früher empfindlich auf vermeintliche Anspielungen reagierte, die seine Herkunft betrafen. Man kann in einen Menschen nicht hineinschauen, sagte Kapitän Dariusz Wosz, der Olisehs Verpflichtung vor gut einem Jahr gegen skeptische Stimmen verteidigt hatte. Oliseh soll die Tat inzwischen bereuen. Doch die Einsicht kommt zu spät. (…) Der Austausch schlagkräftiger Argumente unter Kollegen ist in der Bundesliga nichts Neues. Beim deutschen Rekordmeister Bayern München ist es in den vergangenen Jahren mehrmals zu handfesten Auseinandersetzungen gekommen. Dem Basken Bixente Lizarazu rutschte einst gegen Lothar Matthäus die Hand aus; Samuel Kuffour ging auf Jens Jeremies los. Anders als in Bochum hatten die hollywoodreifen Schlägereien bei den Bayern aber keine Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Mannschaft.“
Der Tagesspiegel listet Schlägereien der letzten Jahre auf
Revolution von oben
Philipp Selldorf (SZ 2.3.) sorgt sich um den 1. FC Köln: „Neu ist, dass sich in den weitverzweigten, durch die Liebe zur Heimat und zum Geschäft verbundenen Kontroll- und Hinterzimmergremien des Klubs eine Initiative gebildet hat, um Wolfgang Overath zum Vizepräsidenten zu küren. Overath, 60, der seit seinem Abschied als Fußballer vor 26 Jahren oft und immer vergebens aufgefordert worden war, dem FC zu helfen, lässt sich Zeit mit der Antwort, hat aber schon Bedingungen genannt: Ohne die Einbeziehung seiner alten Kameraden Hennes Löhr (derzeit im Ruhestand), Stefan Engels (bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse beschäftigt) und Jürgen Glowacz (Leiter einer Fußballschule) will er sich nicht in die Verantwortung begeben. Und spätestens jetzt muss man entsetzt fragen: Was soll das? Der drohende Einmarsch der FC-Idole aus glorreichen, leider schon arg verblassten Zeiten wirkt wie der Versuch der Restaurierung eines goldenen Vorvorgestern, weil die Gegenwart so trübe ist. Also: wie ein reaktionärer Umsturz. Der FC-Führung um Manager Rettig und Präsident Caspers fällt es jedoch schwer, die von einflussreichen Leuten einschließlich des Oberbürgermeisters Schramma veranlasste ¸¸Hilfsaktion abzuwehren. Zwar hat sie in den vergangenen Jahren einen solide organisierten Fußballklub mit gesunden Perspektiven aufgebaut, aber wer hört auf dieses Argument im allgemeinen Geschrei zur akuten Lage? Wenn die Revolution von oben Erfolg hat, ist der dritte Abstieg womöglich nicht das einzige Problem des FC.“
Ballschrank
Italiens Vereinsfußball steht ein Rechtsstreit ins Haus wegen Schulden, Prasserei und Verschwendung – PSG im Aufschwung – AZ Alkmaar, holländisches Überraschungsteam
Schuldenerlass für den notleidenden Italo-Fussball
Peter Hartmann (NZZ 3.11.) referiert das Duell zwischen Milan und Juve (1:1) und mögliche rechtliche Konsequenzen für die Schuldenlast der Serie A: „Wie schon im europäischen Showdown in Manchester am 28.Mai, den Milan erst im Penaltyschiessen 3:2 entschieden hatte, blockierten sich die beiden Mannschaften, die sich fast allzu gut kennen (Trainer Ancelotti arbeitete zuvor zwei Jahre in Turin), mit einem unerbittlichen Pressing auf engem Raum. Obwohl ein schmaler Mittelbereich von Tor zu Tor mit einem neuen Rasenstreifen ausgelegt worden war, präsentierte sich der Spielteppich in der Mailänder „Scala des Fussballs“ nach den ersten Herbstregen in einem lamentablen Zustand. Das Mikroklima in der riesigen Arena mit dem schwachen Lichteinfall während der Tagesstunden lässt die Grasnarbe verkümmern, und im Winter entsteht ein Sumpf. In diesem modernen Kolosseum, dessen Bau weit über 100 Millionen Euro verschlungen hat, geraten die teuersten Fussballerbeine der Welt ins Schlingern, nur weil die elementare Voraussetzung zum Fussballspiel fehlt: ein satter, grüner Rasen. Gartenbauexperten von überallher haben sich über den kranken Bodenfilz gebeugt, und wenn der Fleckenteppich sich verfärbt, wird er grün besprayt oder neu tapeziert. Beim Bau dieser gigantischen Fussball-Vergnügungstempel wird dem Komfort der Zuschauer jede Beachtung geschenkt, aber an die Arbeitsbedingungen der Künstler hat niemand gedacht (…) Die Meldung, die den Calcio weit mehr aufwühlte als dieses Remis, kam aus Brüssel: Mario Monti, der EU-Kommissar für Wettbewerbsfragen, ein Italiener, hat das Hilfsdekret der Regierung Berlusconi zugunsten der italienischen Klubs in Frage gestellt. Auch nach Ansicht seines holländischen Kollegen Frits Bolkestein, zuständig für den europäischen Markt, verletzt der faktische Schuldenerlass für den notleidenden Italo-Fussball geltende Bilanzierungsnormen und entspricht einer unerlaubten Subvention. Die Klubs, die als Aktiengesellschaften organisiert sind, können Schulden und Abschreibungen auf ihre Spielerkader auf zehn Jahre verteilt verbuchen. Ohne diese Manipulation (Monti sprach auch schon von „legalisierter Bilanzfälschung“) wäre die Serie A bis auf Juventus und Sampdoria bankrott. Am 11.November will die EU-Kommission über ihr Vorgehen entscheiden.“
Hemmungslose Bereicherung
Roland Zorn (FAZ 4.11.) ergänzt: „Bella Italia? Gewinnt der europäischste aller Italiener, EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti, sein Duell mit Berlusconi, müssen die auf Pump und vom guten Glauben an die Stillhaltequalitäten ihrer Gläubiger lebenden erstklassigen Klubs der Stiefelrepublik um ihre verantwortungslos erkauften Wettbewerbsvorteile, vielleicht sogar ihre Existenzberechtigung zittern. Endlich hat es Brüssel gewagt, die Legalitätsgrundlage des staatlich subventionierten und entsprechend zaghaft betriebenen Schuldenabbaus anzuzweifeln. Tatsächlich müßte der Profifußball in Italien angesichts seiner jahrelangen Verschwendungssucht längst so eisern sparen wie es Deutschlands erster Haushälter Hans Eichel jahrelang zumindest gefordert hat. Doch die Klubs halten an ihren viel zu hoch dotierten Stars und damit der Illusion vom Schlaraffenland für Balltreter im treuen Irrglauben fest, irgendwie, irgendwo, irgendwann lasse sich schon eine italienische Lösung finden, mit der das Defizit weggezaubert werde. Die Zeit des faulen Finanzzaubers ist indes vorbei. Die Tatsachen anzuerkennen, die Gehälter der Spieler drastisch zu reduzieren, Kollateralkosten entschieden zu senken – oder den Spielbetrieb einzustellen, dafür haben sich die großen Klubs der Serie A, aber auch der Primera División, in welcher zum Beispiel der FC Barcelona ein Minus von 180 Millionen Euro vor sich herschiebt, nie ernsthaft interessiert. Da wirken Männer wie Monti angesichts der auch beim Blick auf die rötesten Zahlen nicht schwarz sehenden Schuldenmacher auf Vereinskosten geradezu erfrischend realitätsbewußt. Die Jahre der hemmungslosen Bereicherung für die kleine Berufsgruppe der Fußballprofis scheinen zur Neige zu gehen.“
Der Fußball ist in Italien Spielzeug hasardierender Finanzakrobaten
Dirk Schümer (FAZ 4.11.) schreibt über den Hintergrund: „Es droht die Pleite eines hochgezüchteten Unterhaltungsgewerbes, das bereits seit längerem auf der Rasierklinge balancierte. Dank eines gnädigen Steuersystems nutzten die mehr oder weniger reichen Vereinspräsidenten oft genug die Verluste durch teure Spieler, um in ihren Unternehmensbilanzen bei den profitableren Unternehmensteilen Steuern zu sparen. So konnten Mäzene wie die Familie Agnelli (Juventus Turin), der Ölmilliardär Moratti (Inter Mailand) oder der Bauunternehmer Sensi (AS Rom) lange Zeit die besten und teuersten Spieler vom Weltmarkt an sich binden, bis die Wirtschaftskrise das wahnwitzige Gebaren aus dem heiklen Gleichgewicht brachte. Man spricht heute von Hunderten von Millionen Euro pro Jahr, die allein die Besitzer großer und sportlich erfolgreicher Klubs wie AC Mailand zum Betrieb zuschießen müssen. Doch diese paradiesischen Zeiten, gegen die etwa deutsche Vereine mit akkuraten Gewinn-und-Verlust-Bilanzen anverdienen müssen, scheinen nun abgelaufen. Vielen Vereinen droht der Bankrott. Weil bei den überzogenen Gehältern in laufenden Verträgen nicht viel zu kappen war, sollte ein Dekret namens Rettet den Fußball durch die Regierung Berlusconi Abhilfe schaffen. Der Ministerpräsident ist nicht nur Präsident des AC Mailand, er hat sich in Fragen kreativ interpretierter Bilanzen auf dem europäischen Medienmarkt auch einen Namen – und bei Italiens Richtern verhaßt gemacht. Die Volte seines Rettungsdekrets: Den Klubs wird es ermöglicht, Verlustabschreibungen aus Spielerverträgen über zehn Jahre zu strecken und dadurch Steuervorteile zu genießen. Faktisch finanziert so wie im alten Rom der Staat das Hobby von Milliardären, sich Gladiatoren im Rudel zu halten. Der Fußball ist in Italien zum Spielzeug hasardierender Finanzakrobaten geworden, die als Mäzene gesellschaftliche Respektabilität, Verbindungen und Einfluß gewinnen wollten. Mit ihren Mitteln, woher auch immer sie kamen, hat der teure Calcio die Weltspitze erreicht. Ohne das bilanztechnisch erzeugte Geld könnte er nun ganz schnell abstürzen.“
Schulden verstreichen, wie man ein Butterbrot schmiert
Noch einmal Peter Hartmann (NZZ 4.11.): „Berlusconis Magie endet an Italiens Grenzen – auch der Padrone des Landes kann einen Schuldenberg von 1,4 Milliarden Euro nicht einfach wegzaubern. Die EU-Kommissare Monti, ausgerechnet ein Italiener, und Bolkestein wollen nächste Woche eine Durchleuchtung des sogenannten Dekrets „Spalmadebiti“ (so viel wie: Schulden verstreichen, wie man ein Butterbrot schmiert) der Römer Regierung einleiten. Das bedeutet noch kein endgültiges Urteil, aber diese Buchhaltung all‘italiana verstösst gegen Wettbewerbsrecht und Bilanzierungsnormen der EU. Es kann allerdings auch nicht im Interesse der Bürokraten in Brüssel liegen, dem Calcio den Todesstoss zu versetzen. Doch ohne die Möglichkeit der Schuldenmanipulation stehen fast alle Klubs vor dem Bankrott. Nach dem Zusammenbruch des Spielermarktes treten jetzt auch die Folgen einer jahrelang tolerierten Schummelei zutage: Weil die Erteilung der Spiellizenz von der Bedingung abhängig ist, dass die Schulden nicht mehr als ein Drittel des Gesamtumsatzes ausmachen dürfen, haben die Manager dutzendweise Nobodies hin- und hergeschoben und in den Bilanzen mit Phantasiesummen bewertet. So schleppen Inter und die AS Roma unbrauchbare Kicker für 100 Millionen Euro Einstandswert durch ihre Bilanz.“
Ein starrsinniger, undiplomatischer, harter Hund
Jean-Marie Lanoë (NZZ 3.11.) macht den Aufschwung von PSG am neuen Trainer fest: „Ein starrsinniger, undiplomatischer „harter Hund“, der im zwischenmenschlichen Bereich erhebliche Defizite aufweist. So oder ähnlich ist Vahid Halilhodzic in der Schweiz im Zuge der Hakan-Yakin-Ärzte-Soap dämonisiert worden. Im bosnischen Trainer von ParisSt-Germain wurde gar ein Gefahrenherd im Hinblick auf eine Schweizer Teilnahme an der EM-Endrunde geortet. Es soll zwar Stimmen gegeben haben, die in seinem Starrsinn eher Unbeirrbarkeit, in der fehlenden Diplomatie seine Direktheit sahen und ihm überdies „amour“ für seine Spieler attestieren, sofern er sich nicht hintergangen fühle. Wie dem auch sei: Die nackten Fakten sprechen derzeit eine deutliche Sprache, und zwar für den Bosnier. PSG hat nach einem sehr harzigen Saisonstart in den letzten sechs Meisterschaftspartien 16 Punkte gewonnen (…) Dass der Schlüssel zum Erfolg bei Halilhodzic liegt, darüber bestehen wenig Zweifel. Das liegt bereits an der Machtfülle Halilhodzic‘. Dieser nahm nämlich unter anderem den Job in Paris an, weil er an der Seine in der Person des neuen Präsidenten Francis Graille eine uneingeschränkte Vertrauensperson an seiner Seite wusste. Graille war bereits früher der Vorgesetzte des Bosniers in Lille gewesen, und er ist zudem einer der wenigen Präsidenten im Hexagone, die sich nicht in die sportlichen Belange einmischen. Halilhodzic ist darum in der Position, die Geschicke des Vereins wie etwa Alex Ferguson in Manchester oder Arsène Wenger in London als Manager englischer Prägung und nicht nur als „blosser“ Trainer zu führen. Überhöht wurde die Stellung des Trainers durch den sportlichen Misserfolg im vergangenen Jahr, die massive Überschuldung des Klubs (200 Mio. Euro) und durch „gewisse Verhaltensweisen, die eines Profis nicht würdig“ seien, wie Halilhodzic schon bald sibyllinisch diagnostizierte. Er, der vom verkommenen Zustand des Ensembles trotz allen Vorwarnungen negativ überrascht war, erhielt den Auftrag, mit dem eisernen Besen zu kehren. Ein Auszug der Fehlleistungen der Vorgänger spricht Bände: So tummelten sich am Spieltag vor dem Anpfiff jeweils Leute in der PSG-Kabine, die dort nichts verloren hatten. Oder so war nicht nur Ronaldinho selber Empfänger von Gehaltszahlungen, sondern auch sein Agent, sein Bruder, seine Schwester und seine Mutter.“
Bertram Job (FTD 4.11.) beschreibt das holländische Überraschungsteam AZ Alkmaar: “Eine Geschichte, die auch hier mit den bekannten Symptomen funktioniert. Auf einmal hat sich die Anzahl der Zaungäste bei den Trainingseinheiten des Tabellendritten verdoppelt, und das ebenso charmante wie baufällige Stadion „Alkmaarer Hout“ war ausgerechnet beim letzten Heimspiel gegen den Tabellenletzten FC Zwolle (4:0) bis auf den letzten von 8419 Plätzen ausverkauft. So was hat man in dem beschaulichen Städtchen mit 90 000 Einwohnern seit 1981 nicht mehr erlebt – jenem aufregenden Sommer, als die Rot-Weißen zum ersten und vorerst letzten Mal niederländischer Meister wurden und bis ins Finale des Uefa-Cups vordrangen (0:3 und 4:2 gegen Ipswich Town). Mittelmaß war noch das Beste, was die Elf danach im Alltag der holländischen Eredivisie zu Wege brachte – wenn sie überhaupt in der höchsten Spielklasse vertreten war. Es war ja nett und ehrgeizig, dass der Vorstand des Klubs, 1996 einen zukunftsweisenden Zehn-Jahres-Plan für seine Mannschaft verabschiedete. Demnach sollte die Elf sich bis Mitte dieser Dekade auf europäischem Parkett zurückmelden. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Nach dem zweiten Abstieg im Sommer 1997 schaffte AZ zwar den direkten Wiederaufstieg; viel mehr jedoch gab es von der Mannschaft danach kaum zu bemerken. Sie blieb die graue Maus. Nun aber ist der Klub „de Sensatie van het Seizoen“, wie er auf seiner Homepage (www.az.nl) gleich selbst vermeldet, und eilt von einer Überraschung zur nächsten.“
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In Leverkusen nichts Neues
In Leverkusen nichts Neues, vermeldet Christoph Biermann (SZ 24.6.). „In Leverkusen ist in den letzten Tagen vieles nicht passiert. Lúcio etwa wechselt nicht zu Real Madrid und Bernd Schneider nicht zu Borussia Dortmund. Yildiray Bastürk ist nicht an Celtic Glasgow oder Fenerbahce Istanbul verkauft worden. Der Brasilianer França ist nicht gegen einen anderen Stürmer seines Heimatlandes eingetauscht worden. Jan Simak wurde nicht an Hannover 96 ausgeliehen, wohin auch Reservist Thomas Brdaric nicht transferiert wird. Der ablösefreie Jurica Vranjes ist sich nicht mit dem VfB Stuttgart einig. In den letzten beiden Fällen dürfte es zumindest „noch nicht“ heißen. Außerdem kommt David Jarolim nicht vom 1.FC Nürnberg, sondern wird in einem Jahr zum Hamburger SV wechseln. Und ob Carsten Jancker von Udinese an den Rhein kommt, ist auch nicht ausgemacht. Rund 25 Millionen Mark muss Bayer im Vergleich zum Vorjahr sparen, so viel wie kein anderer Klub in Deutschland. Von einem „logischerweise verringerten Etat“ spricht Bayer-Finanzmanager Wolfgang Holzhäuser, möchte aber die Höhe der Einsparungen weder bestätigen noch dementieren. Wert legt er nur darauf, dass „wir mittelfristig gezwungen sind, die Aufwendungen zu reduzieren“. Also nicht kurzfristig. Niemand soll glauben, dass Bayer Leverkusen im trägen Transfergeschäft des Sommers zur Resterampe wird (…) Die mittelfristige Planung steht und ist angemessen bescheiden, doch die aktuellen Schlankheitsbemühungen sind bisher so erfolgreich wie Calmunds persönliche Diäten. Von leichtem Theaterdonner begleitet kündigte der Klub den Kontrakt mit Torwarttrainer Toni Schumacher – laut Bayer „in beiderseitigem Einvernehmen. Ausschlaggebend für die Auflösung des Vertrages waren unterschiedliche Auffassungen über die Trainingsintensität und Trainingsinhalte im Torwartbereich unter dem neuen Cheftrainer Klaus Augenthaler“, hieß es in der Pressemitteilung weiter. Schumacher hingegen vermag sich „keinen Reim darauf zu machen“. Sein Nachfolger ist trotzdem benannt, es ist der langjährige Bayer-Keeper Rüdiger Vollborn. Einen besonderen Spareffekt hat das jedoch so wenig wie die bisherigen Transfers.“
Zwei Herren von so unterschiedlichem Temperament
Richard Leipold (FAZ 24.6.) berichtet die offenbar harmonische Rückkehr Amorosos nach Dortmund. “Was hatte der zum Einwechselspieler degradierte Stürmerstar seinem Vorgesetzten in den Sommerferien nicht alles an den Kopf geworfen. Sammer habe ihn in der Ehre verletzt. Von diesem Trainer lasse er sich nicht die Karriere kaputtmachen. Ich will unbedingt weg, zeterte Amoroso vor kurzem erst. Und dann kommt er pünktlich auf die Minute zum Dienst. Der Trainer und die Diva, zwei Herren von so unterschiedlichem Temperament, begrüßten einander mit höflichem Small talk: Wie geht es der Familie? Sind alle gesund? Amoroso gab sich voller Tatendrang. Er habe sich am Strand bestens erholt und sei nun bereit, eine großartige Saison zu spielen. Wie es scheint, will er dieses Vorhaben als Angestellter des BVB angehen. Ein anderer Arbeitgeber hat sich nicht gefunden (…) Nicht nur für den neuerdings pünktlichen Stürmer gehen die Uhren anders. Die gesamte Mannschaft muß sich auf härtere Zeiten und Mehrarbeit einstellen. Wir brauchen eine bessere körperliche Verfassung, sagte Sammer. Wer nach sechzig oder siebzig Minuten noch Reserven abrufen könne, werde auch im Kopf stärker. Was eine hart erarbeitete Physis ausmachen könne, habe in der zurückliegenden Saison der VfB Stuttgart gezeigt. Nach dem eigenen Anspruch gefragt, redete Sammer nicht lange drum herum. Die Marschroute von Borussia Dortmund ist immer Platz eins oder zwei. Insofern müßte sich die Mannschaft nur um einen Rang verbessern. Doch das allein dürfte nicht reichen. Präsident Gerd Niebaum mahnte einen höheren Unterhaltungswert an. Solches Mittelmaß wie in der Rückrunde der vorigen Saison dürfe sich nicht wiederholen.“
„Der ehemalige Bundesliga-Torschützenkönig will nun den Zweitligisten Rot-Weiß Oberhausen offensiv nach vorne bringen“FR
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