Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
Die Bilder vom Jubel waren eher unappetitlich
Klaus Bittermann (Junge Welt). „Die Bilder vom Jubel waren eher unappetitlich, ebenso wie der großspurige Kommentar von Hoeneß: „Unsere Freunde von Real sollen wissen – wir sind wieder auf dem Weg.“ Aber dazu muß man bekanntlich erstmal die Vorrunde in der Champions-League überstehen.“
Thomas Kistner (SZ). „Trotzdem wird diese Saison die Klubhistorie nicht gerade verklären. Rauschende Erfolge in dem Geschäft müssen sich in der Wirtschaftsbilanz widerspiegeln, und die verzeichnet, anders als in den fetten Vorjahren, ein klaffendes Loch. Das Aus in der Champions League hat viel Geld gekostet, mit 15 Millionen Euro ist zu rechnen, was den Erfolgsdruck in der neuen Saison unter Europas Besten kräftig erhöht: Vor- und Zwischenrunde müssen überdauert werden, um den teuren Kader zu halten. Ist machbar, aber auch ein Zwang. Ein Segen ist dieser Titel-Quickie jedoch im Hinblick auf den nationalen Imageverlust, den der FC Bayern jüngst erlitt. Die Geheimverträge mit Kirch, diskrete Aktivitäten in dessen Netzwerk haben das allzeit souveräne Erscheinungsbild der Münchner erschüttert. In der Zweckgemeinschaft mit Liga und Klubs gibt es großen Flurschaden zu beheben, da hilft es, Klassenprimus zu sein. Brisanter aber sind die klubinternen Verwerfungen: Der Bruch mit Beckenbauer, Urheber des Kirch-Schlammassels, der sich elegant wie stets aus der Affäre zog, ist kaum zu kitten. Rummenigge und Hoeneß, die Bosse der Bayern-AG, kostet es von Eklat zu Eklat mehr Selbstverleugnung, die Vereinspolitik des Mannes auszubaden, der nun gern als externer Krisenberater auftritt. Gemeinsame Ziele verbinden die drei nicht mehr. Insofern kommt die Schale in einem besseren Moment als viele zuvor. Auch, weil sie sich über den Kochtopf stülpen lässt, wenn er mal wieder überbrodelt.“
Frank Ketterer (taz). „Es gilt nun also Abschied zu nehmen. Abschied vom großen FC Ruhmreich, dem schrillen FC Hollywood, Beherrscher des deutschen Fußballs, König des ergebnisorientierten Gurkenkicks, Erfinder der fußballerischen Langweile. Gerade sind die Kicker von der Isar zum 18. Mal deutscher Meister geworden, demnächst werden sie sich auch noch den Pokal unter den Arm klemmen – dann aber reichts. Und zwar endgültig! Ciao, ihr Bayern, ab mit euch über den Brenner (…) Wer, ihr Bayern, wird sich denn in Zukunft all die Spässchen und Skandälchen ausdenken, mit denen ihr uns auch diese Saison so trefflich unterhalten habt? Wer wird denn nun auf die Idee kommen, sich Tutu umzubinden und feine weiße Schühchen zu schnüren – und dann doch über den Platz zu stolpern, anstatt ordentlich zu tanzen? Wer wird sich vom großen Leo eine Schwarzgelder-Kirchtorte backen und anschließend auch noch so unterirdisch blöd sein, sich beim Verzehr erwischen zu lassen? Schließlich: Wer wird ausgerechnet seinen Besten dazu ermuntern, nicht länger nur auf dem Platz Seitensprünge zu üben, sondern auch daneben, nur damit es nicht langweilig wird im geliebten Fußballland. Dafür zum Abschied: danke schön, ihr Bayern. Vergelts euch Gott. Und bitte: bleibt!“
Jakob Kirsch (FR). „Nur damit es keiner vergisst: Es war ein grauer, seltsam schwüler Samstag in Wolfsburg, an dem der FC Bayern München seine 18. deutsche Meisterschaft gewann. Der Himmel war grau. Eindeutig grau. Uli Hoeneß, Manager des FC Bayern München, stand in den Katakomben der VW-Arena und sagte, er sei überglücklich. Ein paar Schritte entfernt gab Trainer Ottmar Hitzfeld an, ein Super-Gefühl zu haben. Kapitän Oliver Kahn fand alles geil – so geil, dass er den Abend nicht im Kreise seiner Kollegen verbrachte. Auch die anderen Bayern gaben sich alle Mühe, Ähnliches zu bekunden. Ganz sicher meinten sie es auch so. Natürlich wurde aber im Volk sofort gemunkelt, sooo überglücklich sähen die Bayern gar nicht aus, aber sowohl Aussehen als auch Glück sind natürlich immer interpretationsoffen. Vielleicht ist ja aber auch was dran, und es einte Beteiligte und Betrachter eine latente Enttäuschung darüber, dass die großen Emotionen nicht eingelöst wurden, für die der Fußball ja letztlich da ist (…) Es ist interpretationsfähig, dass Hoeneß noch in Wolfsburg zwar schnell sagte, die Liga sei immer das Wichtigste, danach aber nicht groß über den Titel redete, sondern schnell wieder über das, was er die Sahne im Kaffee nennt: die Champions League. Man sehe es ja am Beispiel von Real Madrid, dass das beste Team in Europa sei, aber in der Primera Division alle Hände voll zu tun habe: So ein Vorsprung, wie ihn die Bayern haben, geht nur ohne Champions League. Eigentlich redete Hoeneß über Bayern im Zusammenhang mit Real. So, als wolle er das Grau von Wolfsburg wegwischen; und jene Farbe blass , die er als Gesamturteil für die Bundesligasaison und sein Team festgelegt hat. Wirklich spektakulär waren heuer die unternehmensschädigenden Skandale: Der geschäftliche (Kirch) und der private (Kahn), spektakulär war das Ausscheiden aus der Champions League.“
Jörg Hanau (FR). „Es ist nicht überliefert, ob Markus Hörwicks Fingerkuppen bluteten, wohl aber, dass der Pressechef des neuen deutschen Meisters FC Bayern München unzählige Male die Wahlwiederholung auf seinem Handy gedrückt haben soll. Versuchen Sie es später noch einmal. Ihr gewünschter Gesprächspartner ist zur Zeit nicht erreichbar, flötete eine zarte Frauenstimme vom Band. Oliver Kahn hatte sein Handy abgestellt. Der Torwart war für seinen Arbeitgeber nicht zu sprechen. Unfassbar, aber wahr. In der Stunde des größten Saisonerfolges des FC Bayern hielt es der Mannschaftskapitän nicht für nötig, mit seinen Kollegen zu feiern. Kahn war mal wieder verschollen, irgendwo untergetaucht. Und niemand wusste warum.“
Peter Unfried (FTD). „Eines Tages irgendwann, vielleicht schon morgen, wird der Super-Kalle zum Uli sagen: Uli, wie war das eigentlich noch mal mit unserem Titelgewinn 2003? Dann wird ein seltener Moment des Schweigens einkehren. Und danach werden die beiden mit rot erleuchteten Bayern-Köpfen alle großen Momente ihrer Unternehmensgeschichte zusammen durchgehen, das ganze Paket. Bis sie irgendwann bei Hamburg 2001 gelandet sind. Ha! Samstage für die Ewigkeit. Aber 2003? Den Franz brauchen sie erst gar nicht zu fragen, das ist ja eh klar. Erstens aus Prinzip, zweitens war der sowieso nicht dabei, damals in … in … oh Gott, war das nicht in … Wolfsburg?“
Elisabeth Schlammerl (FAZ). „Es gab einen Moment im Münchner Olympiastadion, da waren sich die Fans der beiden Mannschaften sehr einig. Das Spiel zwischen dem TSV München 1860 und Borussia Dortmund war gerade zu Ende gegangen, da meldete der Stadionsprecher der Löwen mit einem derben Fluch den Vollzug aus Wolfsburg: Es wird euch einen Scheißdreck interessieren, brüllte er ins Mikrofon, aber der deutsche Meister der Saison 2002/2003 heißt FC Bayern. Natürlich gab es reichlich Pfiffe, obwohl der 18. Titelgewinn der Münchner längst keine Überraschung mehr war, sondern eine Frage von Spieltagen. Aber die Fans der Löwen gönnen trotz des Schmusekurses, den die Verantwortlichen der beiden Lokalrivalen seit geraumer Zeit gewählt haben, keiner Mannschaft weniger die Meisterschale als den Roten von der Säbener Straße. Ähnlich ergeht es dem Anhang der Westfalen. Für den entthronten Fußballmeister aus Dortmund sind nicht mehr die Schalker die Lieblingsgegner, sondern die Bayern aus München, die gerne gegen die Borussia sticheln, weil sie sie derzeit als einzige ernsthafte Konkurrenz empfinden. Allerdings nicht mit Auftritten wie jenem beim 0:0 am Samstag nachmittag gegen den TSV 1860.“
Marc Schürmann (FTD). „Fußball ohne die Bayern ist wie Autorennen ohne Schumacher, wie eine Lampe ohne Licht, wie die Apostel ohne Jesus, und darum sollten sich die Deutschen von nun an mit den Bayern freuen, statt sie ständig zu beschimpfen. Die Konkurrenz sollte den Bayern ihre besten Spieler schenken, Hleb, Kuranyi, Micoud, Marcelinho, Lucio, Freier, und in der nächsten Saison können dann alle mitfiebern, welche Rekorde die Bayern noch so knacken. Zum Beispiel hat noch kein Team 100 Punkte in einer Saison geholt. Dafür dürften die Bayern sich nur ein einziges Unentschieden leisten – und das wäre furchtbar spannend. Sogar bis zum letzten Spieltag.“
Roland Zorn (FAZ). „Spätestens jetzt, nach sieben Wochen ohne seinen Mittelfeldstar, weiß der daheim konkurrenzlose Meister, daß er neben Kahn noch einen unersetzlichen Profi in seinen Reihen hat: den zu Saisonbeginn vom damals noch gefeierten und bedauerten Beinahemeister Bayer Leverkusen zum Rekordmeister gewechselten Sachsen. Rechtzeitig fit zum Entscheidungsspiel und endlich befreit vom Albtraum, immer bei den zweiten Siegern zu sein, empfand Ballack es schlicht als unheimlich schön, direkt nach einem Jahr, in dem man nichts gewinnt, den Titel zu holen. Er war für uns der entscheidende Spieler, pries Hitzfeld.“
Elisabeth Schlammerl (FTD). „Vielleicht kann Ottmar Hitzfeld diese Meisterschaft des FC Bayern aber mehr auskosten als die drei zuvor, weil sie so gekommen ist, wie es seinem Naturell entspricht: ohne überschäumenden Jubel, ohne Explosion der Gefühle. Der vierte Titel in seiner fünfjährigen Amtszeit beim FC Bayern ist der unspektakulärste, weil so früh kein Verein mehr Meister geworden ist seit 30 Jahren. Aber er ist auch der wichtigste. Nach dem blamablen Aus in der Champions League konnte nur ein derart souveräner Gewinn der deutschen Meisterschaft das Verhältnis zwischen Trainer und Vereinsoberen nachhaltig kitten. Damals im Herbst 2002, als die Bayern jedes Aufbäumen vermissen ließen im internationalen Geschäft und ohne nur einen Sieg in der Vorrunde ausschieden, schien alles auf eine baldige Trennung hinauszulaufen (…) Franz Beckenbauer galt zu diesem Zeitpunkt als größter Kritiker von Hitzfeld. Ich gehe davon aus, daß jetzt etwas passiert – was auch immer, tat er nach dem 1:2 in La Coruña vielsagend kund. Es waren stets versteckte Hinweise darauf, was ihm nicht paßte. Die Trainingsmethoden zum Beispiel. Er fand, Hitzfeld gebe den Spielern zu viele freie Tage. Und er stellte in Frage, ob der Trainer die Spieler überhaupt noch erreiche. Außerdem war ihm ein Dorn im Auge, daß der technisch versierte Zé Roberto bis dahin weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben war und auch einige andere Neuzugänge unter Hitzfeld nicht besser spielten als in ihren alten Vereinen, sondern schlechter. Der Kaiser träumt immer vom Fußball Marke Real Madrid, aber genau der Vergleich mit dem weißen Ballett nach ansehnlichen Spielen am Saisonanfang hat die Mannschaft selbstgefällig werden lassen.“
Christof Kneer (BLZ). “Ein Weltstar ist Ballack längst, aber erst an diesem Wochenende hat sich der Vizemann endgültig von seiner Biografie emanzipiert. In seinem ersten Münchner Jahr hat er gleich einen Titel erobert, und es wird ihn nicht stören, dass die Eroberung ein wenig unromantisch war. Er hat nicht viel schmeicheln müssen, die Trophäe ist fast von selbst zu ihm gekommen. Aber ein Romantiker war Ballack ohnehin nie – er ist ein Realo von brillanter, Furcht erregender Effizienz, und es ist kein Zufall, dass der FC Bayern gerade jetzt Meister wurde, da sich Ballack nach siebenwöchiger verletzungsbedingter Absence erstmals wieder unter die Sportler mischte.“
„Ballack, mit geschätztem Jahreseinkommen von fünf Millionen Euro unter den zehn Bestverdienern im deutschen Sport, ist ein uneitler Teamspieler mit geradezu naiver Freude am Fußball“, schreibt Ludger Schulze (SZ). „Michael Ballack, 26, ist ein viel zu sachlicher Typ, um sich selbst mit derlei Fragen aufzuhalten. Im übrigen könnte er auf das Jahr 1998 verweisen, als er mit dem 1. FC Kaiserslautern Deutscher Meister wurde, selbst wenn er den Triumph weitgehend von der Ersatzbank aus verfolgte. Ballack, geboren in Görlitz, aufgewachsen in Chemnitz, hat seine Grundlagen im straff organisierten Sportbetrieb der DDR erarbeitet. Nach der Wende galt er bald als universeller Spieler, der Athletik, Technik, Torgefährlichkeit und Spielintelligenz in sich vereinigt. In Anlehnung an Franz Beckenbauer nannte man ihn den „kleinen Kaiser“ – wie einst der große behandelt er den Ball mit „schweißloser Eleganz“ (Die Woche). Allerdings kam der gut aussehende Jungstar auch in den Ruch eines schnöselhaften Modegecken und phlegmatischen Abkassierers. Kein Urteil könnte falscher sein: Ballack, mit geschätztem Jahreseinkommen von fünf Millionen Euro unter den zehn Bestverdienern im deutschen Sport, ist ein uneitler Teamspieler mit geradezu naiver Freude am Fußball.“
Elisabeth Schlammerl (FAZ). „Michael Ballack gehört nicht (mehr) zu den lauten Persönlichkeiten im Fußball. Michael Ballack hat sich bisher in München als netter, unkomplizierter Junge von nebenan gegeben, der stets freundlich ist und sich schon deshalb von einigen seiner Mitspieler wohltuend abhebt. Nur einmal hat er in dieser Saison außerhalb des Fußballplatzes von sich reden gemacht, als er es Ende Februar gewagt hatte, seine defensive Rolle im Mittelfeld zu beklagen, und dafür eine Geldstrafe zahlen mußte. Die Antwort darauf gab er selbst: mit zwei Toren in der nächsten Partie. Der Nationalspieler hat eine erstaunliche Wandlung durchgemacht in den vergangenen zwei Jahren. Früher galt er als überheblicher Aufsteiger, als Schnösel, dem schöne Klamotten und schnelle Autos wichtiger sind als kontinuierlich gute Leistungen. Früher stolzierte er aufreizend lässig wie einst Franz Beckenbauer über den Platz, ohne dessen Effizienz zu haben. Eine Sportzeitschrift setzte ihn damals auf Rang drei der unbeliebtesten Bundesligaprofis (…) Die Rolle, die er beim FC Bayern spielt, kommt ihm offenbar ganz gelegen. Nicht unbedingt immer die auf dem Platz, denn da wäre er manchmal schon gerne ein wenig offensiver, aber die außerhalb. In München gibt es genügend Stars, die zu Schlagzeilen taugen. In dem Ensemble ist Ballack nur einer unter vielen, gilt wegen seiner braven Aussagen und besonnenen Spielweise auf dem Platz eher als langweilig. Michael Ballack wird menschlich akzeptiert von den Teamkollegen, kann sich gut ein- und sogar unterordnen und reklamiert die Führungsrolle nie für sich. Er hat allerdings auch keine Schwierigkeiten damit, Verantwortung zu übernehmen, aber nicht auf Knopfdruck, nicht durch Sprücheklopfen oder indem ich andere zusammenstauche. Womöglich kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem ihm Manager Becker noch einmal zu einem Imagewandel rät. Weg vom sympathischen Jungen von nebenan und wieder hin zur ungeliebten Reizfigur.“
Katrin Weber-Klüver (BLZ). „Wenn dereinst einmal ein Forscher in den Ergebnislisten und Berichten zur Bundesligasaison 2002/2003 stöbern sollte, könnte er auf komische Gedanken kommen. Wenigstens für ein paar Momente. Er weiß natürlich, auch wenn er erst in 50 Jahren forscht, dass dieser FC Bayern München schon damals um die Jahrtausendwende längst die ganz große Nummer der Branche war. Und dann findet der Fußballarchäologe diese Ergebnisse aus dem April 2003: Erst ein schmeichelhaftes Remis am 27. Spieltag gegen einen Aufsteiger, danach zwei Niederlagen in Folge. In den Berichten taucht schon das Wort Minikrise auf. Zudem stößt der Forscher auf Interviews und Boulevardkolumnen, in denen sich die Männer aus Management und Präsidium meinungsfreudig ihre Positionen zu Marketing und Geldvermehrung und dem Dachverband DFL um die Ohren schlagen. Der Forscher ist inzwischen aufs Äußerste gespannt. Denn er hat ja auch anderes brisantes Material zu dieser Saison gefunden: ein hochnotpeinliches Ausscheiden aus der Champions League und Pleiten in der Bundesliga im Herbst 2002; Wehklagen, dass die Mannschaft zwar als weißes Ballett in die Saison gestartet war, bald aber nur noch schändlichen Fußball zum Weggucken spielte. Es scheint eine durch und durch verkorkste Saison gewesen zu sein, denkt der Forscher, nur Ärger und Enttäuschungen. Der Jungstar Sebastian Deisler zudem meist verletzt, der Weltstar Oliver Kahn beschäftigt, die verlorene Jugend in Diskotheken nachzuholen. Sollte der Forscher endlich fündig geworden sein? War dies eine Saison, in der der große FC Bayern kläglich scheiterte?“
Interview mit Rummenigge SZ
Die Saison des FC Bayern – eine Chronologie Tsp
Andreas Burkert (SZ). “Uli Hoeneß kann sich noch gut an den November erinnern. An das triste 0:2 in Bremen und die Tage vor dem anschließenden Topspiel gegen Dortmund. Die Bayern haben damals glücklich 2:1 gewonnen. Hitzfeld durfte bleiben. „Dortmund war das Schlüsselspiel“, sagt Hoeneß, „hätten wir das und danach gegen Wolfsburg verloren – dann hätten wir mit ihm sprechen müssen.“ Damals haben sie viel mit ihrem Trainer gesprochen, Hoeneß und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Hitzfeld sollte seinen Stil ändern. Härteres Training, vor allen dazu rieten sie ihm, „und er hat schon seinen Stil verändert“, sagt Rummenigge: „Es wurde nun richtig Gas gegeben, und das war wohl auch die Lösung.“ Ottmar Hitzfeld sieht das ein wenig anders. Er sagt: „Ich habe meinen Stil nicht verändert.“ Natürlich habe er das Training umgestaltet, zwangsläufig, wie er erklärt, „denn ohne die Belastung der Champions League ist das nur logisch“. Er nennt das „situativ handeln“ und betont: „Ich bin authentisch und habe immer schwierige Zeiten überstanden, ich bin ein Einzelkämpfer.“ Er vertraute auf sich, er hat in 21 Trainerjahren 19 Titel errungen. Dieses Jahr, davon darf man ausgehen, hat er die Fähigkeit dazu gewonnen, sich Ratschläge anzuhören.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Dietmar Hamann, deutsche Hoffnung
Dietmar Hamann, deutsche Hoffnung – Spiegel-Recherche über das fragwürdige WM-Sponsoring der staatlichen Lotterie Oddset – ein (n)ostalgischer Blick in eine DDR-Chronik (Zeit) – Johannes Rau spricht mit Fans – Online-Handel mit EM-Tickets legal und legitim? – der virtuelle Oliver Kahn – über „die tiefgreifende Psychologisierung des Fußballs“ (FAZ) u.v.m.
Metronom
Philipp Selldorf (SZ 15.1.) ersehnt, wie Rudi Völler, die Rückkehr Dietmar Hamanns in die DFB-Elf: „Dann ist da natürlich noch Hamann, 30, der nach der Genesung von einer komplizierten Knöchelverletzung seit sechs Wochen wieder für den FC Liverpool spielt und entscheidenden Anteil daran hatte, dass der englische Rekordmeister am Ende eines enttäuschenden Jahres wieder Anschluss ans führende Quartett der Premier League gefunden hat. Beim 1:0 gegen Aston Villa am Wochenende wurde Hamann als „Man of the Match“ ausgezeichnet, Liverpools Trainer Gerard Houllier bezeichnete den Mittelfeldspieler sogar als „meinen wichtigsten Mann“. Die englische Presse empfiehlt dem französischen Trainer, er solle sich darüber klar werden, dass Hamanns Vertrag nur noch bis 2005 laufe – „nur noch“ – und zügig eine Verlängerung anstrengen. Der Guardian schrieb: „Wenn es etwas gibt, wofür die Verfehlungen des FC Liverpool gut waren, dann ist es der Beweis für Hamanns Unentbehrlichkeit.“ (…) Dietmar Hamann hat mitbekommen, dass in den vergangenen Monaten die freien Posten der verletzten Routiniers durch den aufstrebenden Bundesliga-Nachwuchs besetzt wurden. „Das ist ein großer Bonus für die WM 2006 und die nächsten fünf bis zehn Jahre“, sagt er, „aber wir brauchen jeden Mann.“ Von der Rückkehr der Weltmeisterschaftsgrößen verspricht er sich „einen Riesenschub für die Mannschaft“. Hamanns strategische Leitung im Mittelfeld hat der Nationalelf gefehlt. In England nennt man ihn das „Metronom“, weil er den Rhythmus des Teams bestimmen kann. Ein großes Kompliment.“
Abgrund orientalischer Geschäftskultur
Jörg Schmitt Michael Wulzinger (Spiegel 12.1.) kritisieren das WM-Sponsoring der staatlichen Lotterie Oddst: „Der Deal ist höchst heikel. Während die vier bislang verpflichteten nationalen Sponsoren jeweils für 12,9 Millionen Euro abgeschlossen haben, erhält Oddset das Recht, mit der WM zu werben, zum Billigtarif. In bar sollen gerade mal 4,5 Millionen Euro in die Organisation und Durchführung des Turniers fließen. 3,5 Millionen Euro werden als nicht monetäre eistungen gutgeschrieben – beispielsweise für Werbeaufdrucke auf den Spielscheinen. Um an den handelsüblichen Gesamtpreis von 12,9 Millionen Euro heranzukommen, haben sich die künftigen Geschäftspartner eine raffinierte Konstruktion einfallen lassen. Sie wollen Sponsorenleistungen für die WM mit Zahlungen für deutsche Proficlubs zu einem Paket zusammenschnüren. Denn laut der 18 Seiten umfassenden Niederschrift über die Gesellschafterversammlung Oddset am 03. Dezember 2003 sollen weitere 4,5 Millionen Euro angerechnet werden, die dem WM-Spektakel nicht mal peripher zugute kommen. Sie sollen dazu dienen, die Zusammenarbeit mit den Bundesliga-Vereinen/der DFL weiter auszubauen und zu konkretisieren – und somit private Sportwettanbieter aus den Fußballarenen zu verbannen. Schon lange stört Oddset, dass viele Erstligisten mit privaten Wettanbietern wie Sportwetten Gera, Betandwin oder Digibet wetten.de Vermarktungsverträge abgeschlossen haben. Mit dem WM-Deal als Trittbrett will das staatliche Glücksspielunternehmen, so ist es im Protokoll des Gesellschaftertreffens festgehalten, zu exklusiven Kontrakten mit der Bundesliga kommen. Ein klarer Fall von Tricksen, Täuschen, Tarnen, wie ein Fußballfunktionär mit besten Verbindungen zum Weltverband Fifa urteilt. Dass sich Oddset und WM-OK auf die fragwürdige Mauschelei einlassen wollen, hat einen einfachen Grund: Oddset bescheren die quirligen Wettbewerber, die ihren Kunden oftmals höhere Gewinne ausschütten, empfindliche Umsatzeinbrüche. Allein 2003 musste die staatliche Zockanstalt hier Einbußen in Höhe von 16 Prozent hinnehmen. Indirekt leidet unter den schwindenden Oddset-Zahlen auch das OK. Ein Staatsvertrag aus dem Jahr 2002 sieht vor, dass die WM-Macher für das die Weltmeisterschaft begleitende Kulturprogramm einen bestimmten Anteil aus dem Gewinn des öffentlich-rechtlichen Wettanbieters erhalten. Die kühnen Prognosen – bis zum Jahr 2007 erhoffte man sich für die Rahmenveranstaltungen bis zu 130 Millionen Euro – haben sich indes als vollkommen unrealistisch erwiesen: Bislang hat Oddset 4 Millionen nach Frankfurt überwiesen. Nun möchte der staatliche Wettkonzern die unliebsame Konkurrenz, die er – bislang meist vergebens – mit juristischen Attacken aus dem Feld schlagen wollte, mit den Millionen ausschalten, die er munter in den angestrebten Sponsorenvertrag hineindichtet. Die 4,5 Millionen Euro für die Vereine, räsonierte ein saarländischer Lotto-Delegierter bei der Gesellschafterversammlung, sollen zu einer ,Säuberung‘ der Stadien von privaten Wettanbietern führen. Dass Beckenbauer und seine OK-Kollegen bereit sind, sich zu Handlangern der um ihr Monopol bangenden Lotto-Fürsten zu machen, wirft ein trübes Licht auf das Selbstverständnis der WM-Planer: Seriosität scheint für sie ein dehnbarer Begriff zu sein. Denn eigentlich soll das Geld von sechs nationalen Sponsoren – offiziell wird mit 60 Millionen Euro kalkuliert – der Finanzierung des 450-Millionen-Euro-Etats der Fußball-Weltmeisterschaft dienen (…) atsächlich stellt sich die Frage, ob das OK in dem Millionenspiel WM ausreichend kontrolliert wird. Zu eng sind die personellen Verflechtungen zwischen DFB, OK und der DFL – allesamt ansässig in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise 6. So ist DFL-Chef Werner Hackmann in Personalunion Vizepräsident des DFB. Dessen Schatzmeister Theo Zwanziger wacht gleichzeitig über die Finanzen des WM-OK. DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt wiederum ist erster Vizepräsident der WM-Organisatoren. Über allen thront der Kaiser. Franz Beckenbauer, Präsident des in der Liga tonangebenden FC Bayern München, fungiert als Präsident der WM-Planer. Außerdem stellt der Mann, der die Kickersause fast im Alleingang nach Deutschland holte, den nationalen Sponsoren EnBW und Postbank für Millionenbeträge sein Konterfei zur Verfügung. Emissäre des OK dienten auch Oddset Beckenbauer als Werbepartner an. Doch der Preis war nicht allen Gesellschaftern des Lotto-Blocks zu vermitteln: 7,5 Millionen Euro sollte Beckenbauer für eine Dreijahreskampagne erhalten. Kein Wunder, dass manchem OK-Geschäftspartner derartige Verflechtungen aufstoßen. Bei EnBW zeigt man sich ob des Geschäftsgebarens der WM-Macher empört – und verordnet sich absolute Verschwiegenheit nach außen. Ein Manager: Wie beim WM-OK verfahren wird, erinnert schon an einen Abgrund orientalischer Geschäftskultur.“
Vereinsauflösungen, Abstiegsverbote, Zwangsumzüge
Christoph Dieckmann (Zeit 8.1.) blättert (n)ostalgisch in einer DDR-Chronik: „So ist es gewesen, ich war ja dabei. Ich sah, wie Klaus Sammer Dresdens Siegtor köpfte, in der 119. Minute, im Finale gegen den BFC Dynamo. Auf schäumte das schwarz-gelbe Meer. Es rauschte von den Traversen, übersprang die Bande und ergoss sich ins Feld, es ergriff die Spieler und wollte sie schier ersäufen. Der Junge wurde umschlungen von Strudeln fremden Glücks. Bis in die Kabine trug ihn die Flut. Er durfte den Pokal berühren, Autogramme sammeln, und die splitternackten Dresdner Spieler sprachen in sein Kassettengerätchen. Solches geschah am 2. Juni 1971, im Kurt-Wabbel-Stadion zu Halle. Was ist das?, fragte Mutter anderntags und hielt mein Mitbringsel zwischen Daumen und Zeigefinger. – Das ist ein Stück vom Trikot des Dresdner Torwarts Manfred Kallenbach, mit original Pokalsiegerschweiß. – Pfui Teufel!, sprach Mutter, die Pastorenfrau, und nähte das müffelnde Textil in Folie ein. Kallenbachs Schweißtuch zu waschen, hatte ich ihr entsetzt untersagt. Seither ruht die Reliquie in einem Pappkarton, will sagen: in meinem heiligen Schrein des Ost-Fußballs. Der Schrein birgt Oberliga-Wimpel, Club-Abzeichen und Hunderte von Autogrammen. Er ist umstellt von weiteren Kartons mit zwei Dutzend Jahrgängen der fuwo, des DDR-Pendants zum Kicker. Ein Universum der Erinnerung. Wie Jena 1970 Ajax Amsterdam zerlegte, das nachzulesen erfrischt mir jedes Mal den Glauben an das Gute in der Welt. Immer wieder fesselt auch der Aufsatz Lehren und Erfahrungen der Weltmeisterschaft 1974 von Doz. Dr. Klaus-Dieter Trapp, Leiter des Wissenschaftszentrums des Fußballverbandes der DDR: „Die ungenügende oder die überzogene Entwicklung einer Leistungskomponente ist durch ihre Systembezogenheit beim heutigen Entwicklungsstand des Leistungsfußballs nicht mehr kompensierbar. Anlage- und entwicklungsbedingt akzentuiert sich die komplexe Spielleistung bei den einzelnen Spielern in spielgestaltender, in spielergänzender oder in kämpferischer Hinsicht.“ Wie wahr! Jenseits der Archive ist der Fußball-Osten Sagenland geworden: Regional-Erzählung, mündliche Welt. Zwar veröffentlichte der Kasseler Agon-Sportverlag im vergangenen Jahrzehnt etliche Broschüren zum DDR-Fußball, darunter den köstlichen Anekdotenband Kabinengeflüster von Uwe Karte und Jörg Röhrig. Ansonsten türmt sich auf dem Buchmarkt nur westliche Bolz-Geschichte. Im Kino intoniert Das Wunder von Bern eine allwestdeutsche Auferstehungsromanze. Als in diesem Jahr der Essener Helmut Rahn starb, der Dortmunder Lothar Emmerich, der Münchner Rudi Brunnenmeier, riefen ihnen alle deutschen Medien nach. Wer gedachte des Leipzigers Peter Gießner, des Ostberliner Meisterspielers Gerhard Vogt? So verschieden wiegen nun mal die Geschichten von Ost und West, wenn ein kleines Volk mit einem großen fusioniert. Und nun das Gute: Soeben erschien Die Geschichte der DDR-Oberliga (im Göttinger Verlag Die Werkstatt, 29,90 Euro), ein großformatiger Prachtziegel, verfasst von fuwo-Mann Andreas Baingo und Michael Horn. Auf 350 Seiten passieren sämtliche 44 Ost-Meisterschaften Revue, von der ersten Saison 1948, die Horch Zwickau als Ostzonenmeister beendete, bis zur finalen, in der 1991, schon post festum DDR, der FC Hansa Rostock endlich den Titel errang. Lohn war der Aufstieg in die Bundesliga. Dort hält sich Hansa bis heute – Respekt, aber niemand sollte glauben, der Club sei ein Überflieger des DDR-Fußballs gewesen. Er war sein Unglückshuhn. Viermal wurde die Mannschaft Vizemeister, fünfmal vergeigte sie das Pokalendspiel und verlegte sich in den siebziger Jahren auf eine weitere Methode zur Marter der Fans: absteigen. Fünfmal rauschte Hansa in den Keller, kam aber immer sofort zurück. Dabei war Rostock zu seinem Verein gelangt wie die Jungfrau zum Kinde. Die Stadt besaß gar keinen Oberliga-Klub, aber den fußballvernarrten SED-Gewaltigen und späteren Gewerkschaftsboss Harry Tisch. Dieser Genosse Aladin rieb im Oktober 1954 die Lampe der Partei und ließ den Erzgebirgs-Verein Empor Lauter mitten in der Saison an die Küste versetzen. Derlei Possen gab es etliche in der jungen DDR: Vereinsauflösungen, Abstiegsverbote, weitere Zwangsumzüge – den letzten 1971. Der Armee-Sportklub Vorwärts Berlin, bis dato sechsmal Meister und ein Team mit ungarischer Spielkultur, wurde nach Frankfurt an die Oder versetzt, sackte ab und ist heute nur noch mit dem U-Boot aufzufinden.“
Fans wie Offizielle neigen zu gegenseitigen Verdächtigungen
Heute trifft sich Bundespräsident Johannes Rau mit Fußball-Fans zum Gespräch. Christoph Biermann (SZ 15.1.) liest das Buch, das die Fans Rau überreichen werden: „„Die 100 ‚schönsten‘ Schikanen gegen Fußballfans“ heißt es und versammelt ebenso erschreckende wie skurrile Beispiele. Da werden teure Digitalkameras an Stadiontoren als vermeintliche Wurfgeschosse konfisziert. In Stuttgart mussten sich Fans aus Berlin vor dem Gästeblock bis auf die Unterhose ausziehen, während einige Anhänger aus Offenbach in Berlin barfuß ins Stadion mussten, weil ihre Schuhe zu Waffen erklärt wurden. Ein besonderes Problem sind Security-Dienste geworden, die mit martialischem Auftreten und rüdem Ton oft zur Eskalation beitragen. Ordner in Kaiserslautern etwa beschimpften Fans aus Wolfsburg als „Scheiß-Ausländer“. Auch Polizei und Bundesgrenzschutz agieren oft unverhältnismäßig. Einem Fan aus Hannover wurde in Frankfurt vor dem Besteigen des Zuges ein Döner-Sandwich abgenommen. Der Beamte aß es dann selber auf. Besonders problematisch sind aus Sicht der Fans Stadionverbote und die Aufnahme in die Datei „Gewalttäter Sport“. Sie werden in Berlin daher erneut ein Einspruchsrecht gegen Stadionverbote fordern, zudem soll es eine Mitteilungspflicht geben, wenn man als vermeintlicher Gewalttäter erfasst worden ist. Es gibt genug Beispiele, dass Betroffene nichts davon wussten, da mitunter schon ein Verdacht für die Aufnahme in die GWS reicht. Obwohl es nie ein Strafverfahren gab, kann es passieren, dass man an der Grenze plötzlich als reisender Gewalttäter zurückgewiesen wird (…) Einer vorurteilslosen Diskussion stehen auf beiden Seiten bislang oft reflexartige Reaktionen entgegen. Fans wie Offizielle neigen zu gegenseitigen Verdächtigungen. Bezeichnend ist auch, dass der DFB zwar einen Sicherheits-, aber keinen Fan-Beauftragten hat. Aus diesem Grund begleiten das heutige Treffen von Seiten der Fans eher zarte Erwartungen.“
siehe auch hier
Daniel Theweleit (FR 14.1.) schildert die Diskussion um den Online-Handel mit EM-Tickets: „Vor dem Bildschirm ist Fußball einfach am schönsten. In Zeiten von Heimkino und Surround-Akustik trifft diese These für viele längst auf den Konsum von Fußball zu, inzwischen gilt sie aber auch für den Kauf von Eintrittskarten. Das Geschäft läuft über das Internet, eingekauft wird im Wohnzimmer. Man sollte meinen, dass durch die modernen Vertriebswege alles einfacher und gerechter geworden ist. Niemand wird mehr im Schlafsack vor eine Ticketbude campieren, angesichts der knappen Kontingente und der zu erwartenden hohen Nachfrage entscheidet ein Zufallsgenerator, wer ein Ticket erhält. Nebenbei lassen sich die Käufer namentlich erfassen, unerwünschte, etwa als gewaltbereit bekannte Personen, können ausgeschlossen werden. Im Namen der Sicherheit und der Fairness. Den heiligen Gesetzen der freien Marktwirtschaft entspricht das freilich nicht. Diese würden implizieren, dass die Tickets an den Höchstbietenden abgegeben werden, denn die Preise regelt bekanntlich der Markt. Genau das passiert auf dem Marktplatz des Internet-Auktionshauses Ebay. Hier sind schon jetzt Karten für alle Spiele der Europameisterschaft erhältlich. Es wird rege geboten, eine Karte für das Finale kostet im Moment 650 Euro. Ausgabepreis der Uefa: 85 Euro. Den Veranstaltern ist das natürlich ein Dorn im Auge. Besonders, wenn sich der Verdacht aufdrängt, dass hier einige Leute dicke Geschäfte machen. Einerseits wird das Bemühen, die Karten für jeden erschwinglich zu halten, ad absurdum geführt, andererseits eröffnet sich für den Kunden eine ganz neue, vom Zufall unabhängige Möglichkeit, an Tickets zu kommen. DFB-Justitiar Jörg Englisch sagt: Das Problem ist uns bekannt, wir erleben das beim Pokalfinale, bei Länderspielen und bei Spitzenspielen der Bundesliga. Bislang aber gebe es erst ein Gerichtsurteil in dieser Frage, und da habe das Amtsgericht Kaiserslautern entschieden, dass der Besitzer einer Karte damit machen könne, was er wolle. Bei der Uefa beschäftigt sich Tag und Nacht eine ganze Rechtsabteilung mit diesem Thema, erzählt Katja Sichtig, Ticket-Managerin beim DFB. Wirksame Lösungen sind bislang nicht gefunden, denn eine Kooperation zwischen Verband und Auktionshaus gibt es nicht.
Tobias Morstedt (SZ 13.1.) berichtet den Streit zwischen dem echten und dem virtuellen Oliver Kahn: „In der Mediengesellschaft sind Sportstars zu kulturellen Ikonen geworden, leicht fiktive Gestalten mit enormem Marktwert, agil wie Spiderman und erbarmungslos wie Lara Croft. Superhelden eben, die es wirklich gibt und die deshalb mit Grundrechten ausgestattet sind. Denn für das Videospiel gilt das „starke deutsche Persönlichkeitsrecht“, wie Pascal Oberndörfer, Rechtsanwalt am Institut für Urheber- und Medienrecht in München, meint: „Es ist klassisches Persönlichkeitsrecht, angewandt auf einer neuen Oberfläche.“ Die Softwarehersteller betrachten ihr Medium naturgemäß ein wenig anders. Für sie ist der digitale Fußballspaß Kunst, deren Freiheit durch Artikel fünf des Grundgesetzes geschützt sei. Diese Argumentation hält der Medienrechtsexperte Oberndörfer für zweifelhaft: „Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechte sind beides Grundrechte, bei einer Abwägung werden die Interessen von Herrn Kahn wohl wesentlich überwiegen.“ Zwar müsse Kahn als Nationaltorhüter und damit als „relative“ Person der Zeitgeschichte gewisse Zugeständnisse an die Öffentlichkeit machen. Dies decke jedoch nicht eine kommerzielle Nutzung durch Drittparteien ab. Entscheidend für den Ausgang der Verhandlung werde sein, ob Electronic Arts eine „gültige Vertragskette nachweisen kann“, durch welche sie die Rechte an der Darstellung Kahns erworben habe. Präsentiert EA also nicht noch bislang unbekanntes Vertragsmaterial, ist ein ähnliches Urteil wie in der ersten Instanz zu erwarten.“
Die Literarizität des Fußballs stehtaußer Frage
Andreas Rosenfelder (FAZ 23.12.) protokolliert eine Lesung: „Sätze über Fußball erheben selten den Anspruch, Niegesagtes mitzuteilen. Formulierungen wie Dann war Rostock am Drücker oder Ihr werdet nie deutscher Meister haben keine Urheber – als Allgemeingut darf sie jeder benutzen, auch ohne Trainerschein und Dauerkarte. Daß die Literarizität des Fußballs dennoch außer Frage steht, beweisen die Pressekonferenzen. So gab der ausgediente Pressesaal des Müngersdorfer Stadions jetzt die beste Kulisse für die von einem echten Schiedsrichter angepfiffene Lesung Torwort ab, veranstaltet von den Mitarbeitern verschiedener Fußballmagazine. An dieser Stelle prägte einst Klaus Hartmann, damals Präsident des 1. FC Köln, den Spruch Zur Zeit leben wir in einem Rückschlag. Heute empfängt ein Pappkamerad von Rudi Völler die hundertfünfzig Besucher, die in Trikots vom FC Liverpool bis hinab zu Fortuna Köln auflaufen, mit einer Sprechblase: Ja gut, ich sach ma: Herzlich Willkommen! Im Kontrast zu diesem unverfälschten Gruß erwies sich das Motiv des Abschieds, von Karl Heinz Bohrer als Kernstück der Moderne entdeckt, als wichtigster Anstoß spielfeldnahen Schreibens. Chaled Nahar, Autor im Fanzine kölsch live, lobte in seinem hübschen Abgesang aufs alte Müngersdorfer Stadion den Charme des Verfallenen. Auch Melanie Kaltenbach vom Aachener In der Pratsch feierte mit der alten Stadionuhr im Tivoli ein Symbol der Vergänglichkeit – und sagte ihm zugleich ein unwürdiges Altenteil auf dem Schrottplatz der Moderne voraus. Fußballfreunde sind Nostalgiker. Das belegen die Elegien in einer Zeit, welche die Stadien zu Tempeln der Familienunterhaltung umgestaltet und den Fan nur noch als offiziell registrierten Schwenkfahnenartisten (Kaltenbach) für die Kameras benötigt. Die Lyrik des runderneuerten Fußballs, die sich nicht nur in Stadionnamen verfestigt, bekam vernichtende Rezensionen – am schönsten in einem von Dennis Alexander Meinerts verlesenen Beitrag aus dem Magazin 11 Freunde, wo die absurde Tierwelt pausenfüllender Vereinsmaskottchen wie Chem-Cat (Chemnitzer FC) oder Grotifant (KFC Uerdingen 05) aufmarschierte. Der Verdacht gegen Rhetorik sitzt tief in einem Milieu, das seine Sternstunden der harten Erfahrung des sportlichen Existenzkampfes verdankt (…) Als entspanntes Gegenstück zu solchen Traumata las zum Schluß der Torhüter Lars Leese aus seiner Lebensgeschichte, im vergangenen Jahr unter dem Titel Der Traumhüter erschienen. Mit großem Charme gab Leese, der bis zu seinem siebenundzwanzigsten Lebensjahr in der Oberliga spielte, Einblick in seine über Bayer Leverkusen zum britischen Erstligisten FC Barnsley führende Profikarriere. Und in der Diskussion zeigte er mit einem witzigen Kommentar zur Null-zu-sechs-Pleite seines Ex-Klubs gegen den FC Chelsea, daß selbst abgedroschenste Fußballphrasen beim richtigen Einsatz wie neu klingen: Wir haben halt das Tor nicht gemacht.“
Andreas Rosenfelder (FAZ 31.12.) diagnostiziert eine „tiefgreifende Psychologisierung des Fußballs“: „Spätestens mit Rudi Völlers Ankündigung, künftig einen Psychologen für die Nationalmannschaft zu beschäftigen, kam das runde Leder in jenem Labyrinth der Seele an, das Sigmund Freud bereits vor gut hundert Jahren erschloß. Natürlich führt die alt bewährte Redekur in der Sportart eines Andy M. („Ich hatte vom Feeling her ein gutes Gefühl“) nicht zwangsläufig zum Ziel. Und die Kurzmitteilungen, die Ottmar Hitzfeld über Handy mit seinem im Max-Planck-Institut für Psychiatrie betreuten Mittelfeldmann Deisler austauschte, ließen der freien Assoziation einer Analyse schwerlich Raumund nutzte wohl eher den Werbepartnern in der Mobilfunkbranche. Natürlich besteht auch kein Anlaß, die Trainerbank künftig – in Anlehnung an die Sitzhaltung des Psychoanalytikers zur Couch seines Patienten – mit dem Rücken zum Platz aufzustellen. Dennoch wird wohl manch ein Taktiker der Versuchung erliegen, Freuds Topik des psychischen Apparats – einem von Besetzungsenergien durchströmten Spielfeld vergleichbar – auf die Anfangsformation zu übertragen. Schwingt nicht in Günter Netzers Ruf nach einem Spielmacher die Urangst vor einer Vakanz auf dem Posten des Über-Ichs mit, den Michael Ballack nur unzureichend ausfüllt? (…) Trotz aller Gefahren einer Psychiatrisierung des Ballsports braucht niemand um die Seele des Spiels zu bangen. Das weiße Ballett wird keine Anstaltskleidung tragen: Die erste Nationalmannschaft, die bereits vor ihrem siegreichen Weltmeisterschaftsauftritt von 1958 einen Psychologen einsetzte, waren die scheinbar nur dem Lustprinzip verpflichteten Brasilianer.“
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“Hand Gottes segnet Aachen” (FTD); „hat sich die Alemannia nach Berlin gebaggert?“ (FAZ) – Real Saragossa besiegt Real Madrid in „dramatischem, hochklassigem, in hohem Rhythmus absolvierten und schönstem Endspiel der Copa del Rey seit vielen Jahren“ (NZZ) – Fifa verbietet Brasilianern, das Trikot Katars zu tragen u.v.m.
Hat sich die Alemannia nach Berlin gebaggert?
Roland Zorn (FAZ 19.3.) berichtet den Aachener Sieg: „Vom Rasen des Tivoli-Stadions aus ließen die Profis um Karlheinz Pflipsen, Ivo Grlic und Erik Meijer die Welle durch eine altertümliche Arena rauschen, in der eine Seligkeit herrschte, wie sie nur selten an den High-Tech-Standorten der Bundesliga zu finden ist. Aachen und der mit 20 400 Zuschauern ausverkaufte Tivoli aber sind seit Jahr und Tag Synonyme für vergebliche Leidenschaft, also für Zweitklassigkeit mit Herz. Seit Mittwoch scheint in der Stadt an der Grenze zu den Niederlanden und Belgien alles anders. (…) Während sich in Aachen bis zum Morgengrauen Hochstimmung wie im Karneval verbreitete, reisten die Borussen mit einem schweren Kater ins sechzig Kilometer entfernte Mönchengladbach zurück. Da war zum einen der Ärger über zwei Aachener Handspiele kurz vor dem Ende der spielerisch schwachen Partie. Konnte man über Meijers Kontakt mit dem Ball noch diskutieren, packte Innenverteidiger George Mbwando derart beherzt zu, daß sich der Gladbacher Sportdirektor Christian kaum beruhigen mochte: Das ist Volleyball, was da gespielt wurde. Hat sich die Alemannia nach Berlin gebaggert? Holger Fach, der Mönchengladbacher Trainer, hielt sich bei seiner Ursachenforschung nicht allzulange an dem nicht geahndeten Aachener Blackout auf. Der Coach ging den Ursachen der auch in der Bundesliga schon wochenlangen Misere seines Teams lieber schonungslos auf den Grund: Man muß den Eindruck haben, daß wir nicht genug Kerle in der Mannschaft haben“.“
Darum kommen die Leute – und müssen nicht nur von Maradona reden
Bernd Müllender (FR 19.3.) ergänzt: „Aachens Simbabwer George Mbwando hatte den Ball deutlich sichtbar im Torraum mit weit ausgestreckter Hand weggeschlagen, als wäre er Heiner Brand zu seinen besten Zeiten. Fach wollte sich darüber nicht weiter beklagen, man habe selbst genügend Chancen vorher gehabt. Hochstätter kochte: Da geht es um Arbeitsplätze und Millionen. Da sehen 21 000 Menschen das Handspiel, nur einer nicht, der Schiedsrichter. Das ist eine Farce, ein Unding. Das war Volleyball, kein Fußball. Referee Edgar Steinborn hatte eine krude Logik: Ich habe das Handspiel gesehen, es aber als nicht absichtlich bewertet. Der Pokal, oft unterschätzt, ist ein wahrer Alleskönner. Die einen saniert er (Aachens Trainer Jörg Berger: Hier ist ein Wunder passiert), die anderen ruiniert er womöglich psychisch. Er macht Hände zu Füßen, egalisiert Hand- und Volleyball. Und er verhindert selbst bei Siegern großes Glück. Aachens Karlheinz Pflipsen hatte vor Monaten schon für Pfingsten seine Hochzeit terminiert, genau wie Kollege Dennis Brinkmann. Wer denkt schon an so was? sagte der Kapitän und bekannte sich zum Versäumnis, vor der Saison eine Uefa-Cup-Prämie auszuhandeln. Und George Mbwando, der Volleyhandballer? Irgendein Reflex, sagte er, habe ihn zum Ball tatschen lassen. Ehe ihn ein Spontaninfarkt über das Deppentum des Jahres hätte ereilen können, sagte er, habe ich schnell geguckt und gesehen: Das Spiel geht ja weiter. Und Mbwando wurde albern: So macht Fußball doch Spaß. Darum kommen die Leute. Und müssen nicht immer nur von Maradona reden. Eine Hand Gottes hat also auch der Diego vom Tivoli.“
Christoph Biermann (SZ 19.3.) ergänzt: „Was denkt ein Fußballspieler, wenn er im Halbfinale des DFB-Pokals nur wenige Momente vom Einzug ins Endspiel entfernt einen knappen Vorsprung verzweifelt verteidigt? Was geht ihm durch den Kopf, wenn ihn nur noch ein paar abgewehrte Bälle vom Höhepunkt seiner Karriere trennen? Wenn er dann sieht, dass ein Mitspieler im eigenen Strafraum den Ball mit der Hand spielt? Und nur der Schiedsrichter es nicht mitbekommt. Denkt er in solchen Momenten zugespitzter Dramatik überhaupt noch irgendetwas? „Soll ich mal sagen, was mir in den letzten beiden Minuten durch den Kopf gegangen ist, fragte Willi Landgraf, 35, der ewige Zweitligaspieler und tapfere Kämpfer in den schwarz-gelben Farben von Alemannia Aachen. „Also, das ist kein Witz, ich hab mich gefragt, wie ich die ganzen Karten fürs Finale zusammenbekommen soll und dass es deshalb mit meinen ganzen Kumpels nur Ärger geben wird. Landgraf musste lachen, dann schaute er verträumt in die beseelten Gesichter der Zuschauer auf den Rängen, die gar nicht nach Hause gehen wollten. Es war dort ein ungläubiges Jubeln wie schon gegen München 1860 und den FC Bayern. Die Vervollständigung des Tryptichons vom Aachener Fußballwunder.“
Stefan Hermanns (Tsp 19.3.) beschreibt den Geldsegen für Aachen: „In solchen Momenten kann man leicht vergessen, dass die Geschichte der vergangenen drei Jahre eine umfassende chronique scandaleuse gewesen ist. Eine, die von Lug und Betrug erzählt, von einem Schatzmeister, der wegen Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft saß, einem Präsidenten, der nach 100 Tagen aus dem Amt geflüchtet ist, einem Spieler, der gedopt war, und von Fans, die den gegnerischen Trainer auf dem Tivoli mit Eisennägeln beschmissen haben. „Gestern noch Skandale“, stand auf einem Transparent, „heute dann das Halbfinale.“ Die Geschichte könnte damit enden, dass die Alemannia demnächst im Europacup spielt. Wenn der Finalgegner Werder Bremen sich für die Champions League qualifiziert, dürfen die Aachener in der nächsten Saison auf jeden Fall im Uefa-Cup antreten. Selbst ohne die Teilnahme am Europacup hat der Verein im Pokal inklusive Finale vier Millionen Euro eingenommen und damit seine bedrohliche Schuldenlast getilgt. Auf 3,9 Millionen Euro hatte sich der Fehlbetrag summiert, nachdem die Steuerfahndung die Buchführung eingehend geprüft hatte. Der Verein überlebte nur, weil die Finanzbehörde einer Stundung der Steuernachzahlungen zustimmte. Wiederum ein halbes Jahr zuvor haben die Spieler sogar mit Sammelbüchsen in der Aachener Fußgängerzone gestanden, um ihren Arbeitgeber zu retten.“
Die Mittelklasse stirbt aus
Ronald Reng (taz 19.3.) befasst sich mit der Lehre, die Real Madrid aus der Niederlage im Pokalfinale ziehen sollte: “Eine Elf, dafür geschaffen, alles zu gewinnen, ist in der Mittwochnacht in Barcelona menschlich geworden. Die 2:3-Niederlage nach Verlängerung gegen das bescheidene Saragossa in einem epischen Pokalfinale um die Copa del Rey beweist zunächst einmal nur, dass auch Galaktische, wie Reals Spieler gerne gerufen werden, schlechte Tage haben. Doch gleichzeitig taucht die Frage auf, ob die Idee von Reals Präsident Florentino Pérez wirklich funktionieren kann: eine Fußballelf zu kreieren, wie man sie noch nie gesehen hat. Der erfolgreichste Klub der Welt jedenfalls spielt in den kommenden Wochen in der spanischen Meisterschaft und Champions League nicht nur um die zwei verbliebenen Trophäen, sondern um die Behauptung des ganzen verwegenen Projekts. Im Ausland wird ja meist nur die eine, die glamouröse Seite von Pérez Unternehmen gesehen: all die hellsten Sterne des Fußballs in ein Team zu stecken, Zidane, Beckham, Figo, Ronaldo. Die zweite, risikoreiche Richtlinie, die der Präsident Trainer Carlos Queiroz vorgegeben hat, besagt, den Rest des Teams radikal mit Jungen aus Reals eigener Nachwuchsschule aufzufüllen. Vier kamen im Pokalfinale zum Einsatz, meist sind es fünf oder sechs. Es ist das Unternehmen eines gelernten Bauingenieurs, der glaubt, eine Fußballelf wie ein Haus konstruieren zu können – mit sturer Logik und Geradlinigkeit, und bislang konnte man nur staunen, wie erfolgreich das einmalige Konzept von Bauunternehmer Pérez in dieser Saison funktionierte: Mit seiner galaktischen Offensivreihe und Verteidigern wie Álvaro Mejía, der Schwierigkeiten hätte, bei Hansa Rostock in die erste Elf zu kommen, oder Raúl Bravo, der letzte Saison bei Leeds auf der Bank saß, führt Real die Liga mit vier Punkten Vorsprung an und steht im Champions-League-Viertelfinale. Dann wurde es Mittwoch – und es ist nicht opportunistisch zu sagen: Irgendwann musste es so kommen. (…) Beim AC Mailand sitzen Weltklassespieler wie Rui Costa auf der Auswechselbank, bei Arsenal London Denis Bergkamp; aber Queiroz, der angeblich das bestbesetzte Team der Welt hat, musste Javier Portillo einwechseln; den einzigen Ersatzangreifer, den er hat. Der 21-Jährige trat dann auch auf wie erwartet: überfordert. Die Mittelklasse stirbt aus bei uns, ich bin der Letzte im Team, sagt Santiago Solari, Queiroz einziger solider Ersatzmann, der deshalb quasi immer spielt, wenn sich eine Stammkraft verletzt, egal auf welcher Position. In der Tiefe der Nacht suchte Präsident Pérez jedoch erst einmal profanere Gründe für die Niederlage: Dieser Pokal mag uns einfach nicht. Schon seit elf Jahren entschlüpft die Copa del Rey dem neunmaligen Europacupsieger hartnäckig. Vielleicht war auch der Mittwoch nur ein Aussetzer in einem für Real verfluchten Wettbewerb. Vielleicht war es aber auch der Anfang vom Ende eines bewundernswerten Projekts.“
Georg Bucher (NZZ 19.3.) ist angetan: „Knapp eine Woche nach den Attentaten in Madrid hatten die Fiesta-geneigten Spanier den traurigsten Final der Cup-Historie erwartet. Doch nach 120 dramatischen, bisweilen hochklassigen und durchwegs in hohem Rhythmus absolvierten Minuten sprachen Kommentatoren vom schönsten Endspiel der Copa del Rey seit vielen Jahren. (…) Victor Muñoz hob indessen den Siegeswillen und die Qualität seiner Spieler hervor. Innert zwei Monaten hat der ehemalige Trainer von Villarreal und Spieler des FC Barcelona aus dem Abstiegskandidaten Saragossa ein homogenes, von Komplexen befreites Team geformt.“
Roland Zorn (FAZ 19.3.) begrüßt das Verbot der Fifa, Ailton und Co das Trikot der Nationalelf Katars zu tragen: „Die Fifa hat eine überfällige Entscheidung getroffen, die auch dazu dient, das unverwechselbare Gesicht ihrer Weltmeisterschaften zu schützen. Der Vielvölkerbasar zum Einkauf dringend gesuchter Nationalspieler ist geschlossen. Ailton sei Dank, denn ohne den Medienhype um den Scheich vom Deich wären die Nationalverteidiger aus Zürich kaum auf die Idee gekommen, den Expansionsdrang daheim übersehener, aber woanders womöglich blitzartig eingebürgerter Profis einzudämmen. Der Fußballverband Togos schaffte es zuvor immerhin noch ohne Einspruch, dreizehn Brasilianer mit Pässen auszurüsten. Togo do Brasil: So hoffen sie in diesem westafrikanischen Land, die Welt des Fußballs erobern zu können. Ailton und Dede, der Dortmunder, aber müssen sich ohne weitere grenzwertige Bonuszahlung damit bescheiden, exzellente Botschafter brasilianischer Fußballkunst in Deutschland zu bleiben. Auch das ist ein fürstlich honorierter Job, der, existentiell gesehen, keines Topzuschlags unter brennender Wüstensonne bedarf.“
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Die Fußballpresse konnte diese Woche eine kleine Pause einlegen
Die Fußballpresse konnte diese Woche eine kleine Pause einlegen. Bevor in der kommenden Zeit bis zur Winterpause so genannte englische Wochen mit straffem Europapokalprogramm und Länderspielen auf uns warten, mussten dieses Mal lediglich der VfB Stuttgart sowie der FC Bayern München ran, um sich für Uefa-Cup bzw. Champions League zu qualifizieren; in beiden Fällen erfolgreich. Vom Sieg des „weißen Balletts“ – mit dieser Vokabel biedern sich mittlerweile private wie öffentlich-rechtliche TV-Anstalten dem deutschen Rekordmeister an – über Partizan Belgrad nahm in den hiesigen Gazetten kaum Notiz: kein Nachrichtenwert. Sowieso sei eine Saison der europäischen Königsklasse ohne die Münchner eine „weltfremde Vorstellung“, wie die FAZ meint. Dahingegen kann der nicht unbedingt zu erwartende Ui-Cup-Triumph der finanzschwachen Schwaben einem Geldsegen gleichkommen, insofern die Machenschaften des erneut sich strafrelevanten Vorwürfen ausgesetzt sehenden Ex-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder dem Klub nicht einen Strich durch die Rechnung machen. Sollten sich die Verdachtsmomente gegen MV erhärten, könnte den Stuttgartern sogar der Ausschluss aus dem europäischen Wettbewerb drohen. Es ist traditionell die SZ, die an dieser Stelle ihrer Aufgabe am sorgfältigsten nachgeht, das Treiben der Funktionäre kritisch zu kommentieren.
Weitere Themen: Medienhype in Wolfsburg, italienisches Supercup-Finale in Lybien u.a.
Anlässlich des Einzugs des VfB Stuttgart in den Uefa-Cup wirft Martin Hägele (SZ 29.8.) ein. „Der Klub hat sich zwar international zurück gemeldet, doch das große Geld ist nicht garantiert. Der VfB darf sich an der Uefa-Cup-Lotterie beteiligen, mehr nicht. Womöglich ist selbst „die große Erleichterung, dass wir uns für eine Weile Ruhe verschafft haben“ (Magath), rasch verschwunden. Denn sollten sich die Vorwürfe des ZDF-Magazins Frontal 21 gegen Gerhard Mayer-Vorfelder bestätigen, wonach der ehemalige VfB-Chef den Transfer des Brasilianers Didi über eine Briefkastenfirma auf den Virgin Islands abwickeln ließ, könnte das Finanzgebaren MVs auch in Stuttgart Folgen haben. Mit Strafen durch den Weltverband Fifa bis zum Ausschluss aus Wettbewerben (…) Es bräuchte nur einen Geschädigten oder Kläger. Die Nachfolger des Paten vom Wasen aber werden kaum gegen MV zu Felde ziehen – wenn sie sich dabei selbst strafen könnten. Auch in der Fifa wird man kaum das eigene Exekutivmitglied und den Verbandschef aus Deutschland unter Anklage stellen. Dazu sind die Herren, besonders MV und der Fifa-Boss Sepp Blatter, viel zu eng miteinander verbunden.“
Peter-Michael Petsch (taz 29.8.) meint zu diesem Spiel. „Am Neckar hat das große Büßen für die Fehler der Vergangenheit begonnen: Da wurden Spieler zu beinahe jedem Preis verpflichtet, die entweder halbe Sportinvaliden waren oder kaum Oberligaformat hatten. Spieler, die – nachdem sie genug verdient hatten – ablösefrei gingen. Eine unrühmliche Zeit, die den Verein in seine finanzielle Schieflage brachte. Dies will man in Stuttgart nun auch nicht mehr klaglos hinnehmen. So ließ der Verein die Abschlussbilanzen der Jahre 1997 bis 2000 von einem Wirtschaftsprüfer durchleuchten. Scheinbar mit greifbaren Ergebnissen, denn das umfangreiche Gutachten liegt nun bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft und bei einem Anwaltsbüro. Das soll prüfen, ob man die Verantwortlichen für den Schuldenberg belangen kann.“
Thomas Kistner (SZ 29.8.) kritisiert. „Zieht man dieses Sittenbild des modernen Fußballfunktionärs heran, bleibt zweierlei festzuhalten. Einmal, dass der oberste Steuerfahnder der Republik, Dieter Ondracek, vielleicht nicht falsch liegt mit seiner Einschätzung, dass dem Gewerbe generell eine mafiöse Mentalität eigne. Schubladenverträge, Handgelder, fingierte Werbeverträge und die besonders beliebten dunklen Kanäle bei Auslandstransfers werden in so einem Milieu ja gewiss eher gepflegt als unter rechtschaffenen Ehrenmännern. Zum anderen zeigt sich, dass der Fußball in dieser beklagenswerten Gemengelage wenigstens die passende Galionsfigur erwählt hat: Mayer-Vorfelder. Ein Netzwerker, der Affären wie ein Magnet anzieht. Und ungeniert zu überleben pflegt.“
Jörg Marwedel (SZ 29.8.) richtet seinen Blick gen Norden. „Fußball im Norden, das ist nach den ersten Wochen der Saison 2002/2003 vor allem: Frust, Krise, Chaos und der Blick nach unten. Daran können auch der VfL Wolfsburgs mit seinem Altstar Stefan Effenberg, 34, und der wundersame Höhenflug des Zweitliga-Aufsteigers VfB Lübeck an die Tabellenspitze nichts ändern. Zu groß ist bei den anderen die Kluft zwischen verklärter Erwartung und Realität.“
„Es läuft, medientechnisch gesehen, prima in Wolfsburg“, schreibt Thomas Kilchenstein (FR 28.8.). „Seitdem ruchbar ward, dass Stefan Effenberg zukünftig in grün-weiß wider die Kugel zu treten sich nicht zu schade ist (und sich mit schlappen zwei Millionen Euro geschätzt, grummelnd zwar, aber immerhin, zufrieden gibt), hören und lesen wir landauf, landab so furchtbar vieles über diesen bislang eher durch die lustige Alliteration Wolfgang Wolf in Wolfsburg bekannten Klub: 350 Zeitungsartikel und über 100 Fernsehberichte haben sie inzwischen gezählt. Da reibt sich der VW-Konzern, der 90 Prozent der Anteile am VfL hält, fröhlich die Hände. In der Woche nach Bekanntgabe dieses komischen Wechsels waren die großen Langweiler aus dem Norden öfter in den Medien als in den vergangenen drei Monaten zuvor. Der Deal hat sich schon gelohnt, der PR-Effekt ist fast unbezahlbar.“
Zur Affäre um Roy Keane heißt es bei Raphael Honigstein (SZ 28.8.). „Trotzdem wird man den Eindruck nicht los, dass Ferguson der Skandal nicht ungelegen kommt. Er gibt dem Schotten die Gelegenheit, sein Lieblingsbild an die Wand zu malen: Alle sind gegen United. Der Trick mit der Wagenburg soll dem Coach helfen, von den eigenen Problemen abzulenken – das Problem dabei ist nur, dass zu der imaginären Bedrohung mit der Zeit reeller Verfolgungswahn kommt.“
Dirk Schümer (FAZ 27.8.) über das italienische Supercup-Finale. „Libyen scheint auf den ersten Blick ein etwas merkwürdiges Terrain für die Austragung des italienischen Supercup-Finales. Aber bei näherem Hinsehen überraschte es niemanden, dass das Supercup-Finale zwischen Meister Juventus Turin und Pokalsieger AC Parma ohne jeden einheimischen Anhang in der nördlichen Sahara ausgetragen wurde. Schließlich bestimmt der Landesmeister die Spielstätte, und bei Juventus Turin, dessen Alpenstadion sowieso meist halbleer bleibt, findet sich seit Januar die libysche Entwicklungsbank des Diktators Gaddafi unter den Aktieneignern. Die Nordafrikaner verwalten 5,31 Prozent der Anteile des Traditionsklubs im Wert von 23 Millionen Euro. Dafür darf man sich schon gewisse Gegenleistungen erhoffen. Auf der anderen Seite kann man sich aber durchaus wundern, wie hurtig der libysche Revolutionsführer von der Seite der Flugzeuge abschießenden Terroristen zur Fraktion der geachteten Geschäftspartner überwechselte.“
Die Sunday-Times-”Elf Beste Ausländer der Premier League“:
Tor: Schmeichel (Dänemark). Abwehr: Babbel, Hyypiä (Finnland), Stam (Niederlande), Riise (Norwegen). Mittelfeld: Hamann, Vieira (Frankreich), Gullit (Niederlande). Angriff: Zola (Italien), Klinsmann, Cantona (Frankreich).
Gewinnspiel für Experten
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Bayer Leverkusen und Bayern München
Das Duell zwischen Bayer Leverkusen und Bayern München stellte alle anderen Ereignisse des Bundesliga-Wochenendes in den Schatten. Die Einschätzung der FAZ, es habe sich angesichts zahlreicher harter Fouls um ein „hässliches Spiel“ gehandelt, wird von allen Beobachtern und nahezu allen Verantwortlichen geteilt. Beim letztjährigen Champions-League-Finalisten überwiegt freilich die Freude über den hart erkämpften 2:1-Sieg, wobei die Fußballromantiker es als traurige Ironie betrachten, dass den einstigen Leverkusener Schönspielern nun ausgerechnet mit einem (wegen der prekären Tabellensituation wenig überraschenden) Stilwechsel ins Destruktive der lang vermisste Erfolg gelingt.
Dahingegen erfahren die Bayern eine deutliche Kritik in Medien und Umfeld, wie auch die NZZ beobachtet hat: „Man diagnostiziert dem Leader ein Leiden. Überheblichkeit, Arroganz oder wie immer die Tatsache genannt werden muss, dass das Starensemble von der Isar nicht in der Lage war, den jahrelangen Konkurrenten richtig in die Krise zu stoßen.“ Vermutlich ist die Rede von der Münchner Krise ebenso übertrieben und vorschnell wie das törichte Etikett „weißes Ballett“, das mit dem Nimbus der vermeintlichen Unbesiegbarkeit versehen wurde.
Erfreulich: Im Gegensatz zu ihren TV-Kollegen vermeiden Deutschlands große Tageszeitungen Schiedsrichterdiskussionen größeren Umfangs. Die Hertha aus Berlin nämlich – allen voran der auf allen Kanälen vertretene Manager Dieter Hoeneß – fühlte sich betrogen, und von dem gnädigen Spielleiter in der BayArena Hellmut Krug forderte nicht nur der unerträgliche SAT1-Reporter Thomas Herrmann (wann endlich wird der Platzverweis für Reporter eingeführt?)den rigorosen Griff in die Kartentasche. Jede Wette: Im gegenteiligen Fall wären die Lamenti über unangemessene Strafen und die Belehrungen über die angeblichen Spielregeln der „internationalen Härte“ zu hören gewesen.
Eine Entscheidung von Krug, den Bayern-Manager Uli Hoeneß vor Jahren einmal vor laufender Kamera maßregelte („Herr Krug wird nie wieder ein Spiel von uns pfeifen dürfen!“), stößt allerdings unisono auf Unverständnis. „Die Rocky Horror Olli Show” (FAZ) hätte eine Rote Karte nach sich ziehen müssen. Für den erneuten Ausraster des Nationalkeepers gegenüber Thomas Brdaric zeigen die Experten in der Tat wenig Verständnis. Stattdessen haben sie wenig schmeichelhafte Beschreibungen parat: „Pascha der Tierwelt“, „Hyäne“ und „Würger aus Grünwald“ liest man in der SZ. „Ein Sheriff im eigenen Strafraum, dort herrscht vermeintlich Kahns Gesetz“, kritisiert die FR die selbstgerechte Vorgehensweise des „Mannes der Selbstjustiz“. Die FAZ geht davon aus, dass Kahns durch das WM-Turnier erreichter öffentlicher Kredit nunmehr aufgebraucht ist: „Auf seinem Weg vom bissigen Kämpfertyp zum schier unangefochtenen Idol machte er einen gewaltigen Rückschritt.“
Den zwischenzeitlichen – und mittlerweile aufgezehrten – Imagegewinn Oliver Kahns kommentiert Ralf Wiegand (SZ 30.9.). „Er muss sich vorgekommen sein wie ein alter, trauriger Zirkuslöwe ohne Zähne, dem der Dompteur den Kopf in den Rachen steckt, weil er weiß, außer Mundgeruch besteht keine größere Gefahr. Darunter hat er gelitten, der Oliver Kahn, für den Mitleid und Zuneigung offenbar den Tatbestand der Beleidigung erfüllen. Er hat diesen Fehler gründlich korrigiert. Indem er Thomas Brdaric, einen braven Jungen, der akkurate Sätze aus seinem Wortschatz stanzt wie Muttern die Weihnachtsplätzchen aus feinem Butterteig, am Kragen packte und aus seinem Hoheitsgebiet verstieß, entspricht er wieder dem Bild, was er vermarktet. Er ist der unerbittliche König der grünen Steppe, der archaische Herrscher über lauter Weicheier. Kahn fleht darum, ihn abzulehnen, zu beschimpfen, womöglich zu hassen. Das macht ihn unverwechselbar. Schlimmstenfalls – man möchte sich das wirklich nicht wünschen – pinkelt der Torwart des FC Bayern demnächst vor dem Anpfiff an beide Pfosten, um sein Revier zu markieren. Das könnte passieren, wenn nicht bald mal ein mutiger Schiedsrichter samstags auf Safari geht.“
Zwei Sieger in Unterzahl beschreibt Thomas Klemm (FAZ 30.9.). „Zweimal zuvor ungeschlagen, zweimal in Überzahl und doch zweimal 1:2 verloren – vermeintliche Wettbewerbsvorteile wie jene von Bayern und Schalke sind keine Erfolgsgarantie, wenn die Übermacht zur Ohnmacht wird. Die plötzliche Umstellung auf das Spielchen elf gegen zehn ist eine Einstellungssache. Während die Bayern so weiterspielten, wie sie es zuvor getan hatten, aber ihr Powerplay nicht zum Abschluss brachten, erzwangen die Leverkusener ihr Glück im Kampf. Als hätten sie, nach Brdarics Platzverweis, in der Kabine in Brad Gilberts Tennisklassiker „winning ugly“ geblättert und besonders Kapitel acht verinnerlicht. „Das gegnerische Spiel zerstören“. Eine Umwertung aller Werte bei dem noch einst im Frühling so ansehnlich spielenden Spitzenklub, der derzeit keiner ist: Lieber hässlich siegen als in Schönheit sterben. Wie der Pokal mit seinen Duellen Klein gegen Groß, so folgt auch ein Aufeinandertreffen zwischen Minderheit und Mehrheit offenbar eigenen Gesetzen. Paragraph eins: Weniger ist mehr (…) „Kahns „losing ugly“ beschädigt nicht nur das wiedererlangte Image des hiesigen Fußballs, sondern bedient auch auf fatale Weise ein verbreitetes Klischee: jenes vom hässlichen Deutschen.“
Thomas Kilchenstein (FR 30.9.) nimmt die Unparteiischen in Schutz. „Es war, man muss es sagen, kein Wochenende, an das sich die Schiedsrichterzunft später einmal gerne erinnern wird. Ein guter Schiedsrichter ist der, der nicht auffällt, der einfach Luft ist. An diesem sechsten Spieltag ist viel, zu viel geredet worden über die Unparteiischen, die viele, zu viele zumindest umstrittene Entscheidungen trafen. Und es ist ja immer ärgerlich für alle, wenn einen das Gefühl beschleicht, das Spiel wäre mit einem anderen Referee ganz anders ausgegangen. Dummerweise werden wir aber mit solchen Unzulänglichkeiten an der Pfeife leben müssen, solange es keine wirkliche Alternative gibt zum Unparteiischen mit all seinen Schwächen – und Videobeweise sind keine. Das ist keine zufrieden stellende Aussicht, aber allemal erträglicher als ständige Auszeiten wegen des Studiums von Mitschnitten. Es ist eine Binsenweisheit, dass auch Schiedsrichter fehlbar sind.“
Bayer Leverkusen – Bayern München 2:1
Zu den Reaktionen der Münchner Verantwortlichen nach dem Spiel heißt es bei Erik Eggers (taz 30.9.). „Die Analyse, die Karl-Heinz Rummenigges nach der ersten Niederlage des FC Bayern München in der laufenden Bundesligasaison betrieb, sie klang nicht nur weinerlich, sie sprach auch für die Arroganz des Branchenführers gegenüber der nationalen Konkurrenz. Es nervte ihn, dass die Leverkusener bei ihrem 2:1-Sieg nicht auf schöngeistige Mittel zurückgegriffen hatten, auf das für Bayer ansonsten charakteristische Kurzpass-Spiel, sondern auf Kampf, Grätsche und Zerstörung. „Das schlechteste Spiel zwischen beiden Mannschaften in den letzten zehn Jahren.“ Als wäre es eines FC Bayern unwürdig, auf diese schnöde Art zu verlieren. All das klang so, als ob die Bayern schon vorher innerlich die drei Punkte in der BayArena auf ihr Konto verbucht hatten (…) Seit Januar 2000 ist Lucio nun schon bei Bayer Leverkusen unter Vertrag, und seitdem hat er sich kontinuierlich verbessert. Schon damals zeichnete ihn eine brutale Athletik aus, und auch die seinem Ehrgeiz geschuldete, zuweilen überbordende Cholerik. Und immer noch wirkt Lucio stark beleidigt, wenn sich irgendein Gegenspieler tatsächlich erdreistet, ihm die Kugel wegzunehmen – so wie ein kleines Kind, das mit allen Mitteln sein Eis verteidigt. Was Lucio aber gelernt hat in den letzten Jahren, ist der kluge Blick für die Situation, das taktische Verständnis. Die Szenen, in denen er wie ein wilder Stier in die andere Hälfte stürmte, sie kommen nicht mehr vor. So ist er peu à peu zu dem gereift, was Leverkusen fehlt nach den Abgängen von Zé Roberto und Ballack: zu einer Führungsfigur.“
Zum Spiel der Münchner meint Andreas Burkert (SZ 30.9.). „Es ist beim FC Bayern nicht mehr viel übrig geblieben von den Schönspielern aus dem August. Nur die Trikots sind noch weiß. Trotzdem haben die Münchner in Leverkusen wie ein ordinäres Ensemble gewirkt; blass, ohne überzeugende Choreografie, ohne Esprit (…) Vielleicht rätseln sie zurzeit in München (…) darüber, wie diese Ansammlung der Popstars und Alleskönner in Stresssituationen als Sportgruppe funktionieren könnte. In der BayArena wehrte sie sich in den mit Hingabe und Feindseligkeit geführten Duellen durchaus robust, doch auf der Suche nach Lösungswegen gegen die in Unterzahl schuftenden Passivfußballer der Gastgeber wirkten sie gedanklich so beweglich wie ein Stempelkissen.“
Jörg Stratmann (FAS 29.9.) zum selben Thema. „Nicht nur, dass aus dem Publikum jede Ballberührung der früheren Leverkusener mit Pfiffen bedacht wurde; auch die Spieler vergaßen untereinander jede kollegiale Rücksicht. Zu gern hätte der brasilianische Jongleur Zé Roberto nun auch für die Münchner seine Kunst gezeigt, Doch darauf waren die Mitarbeiter vorbereitet. Der Leverkusener Verteidiger Zivkovic, aus dem früheren Training offensichtlich bestens bekannt mit den Kunststückchen, ließ sich nie umdribbeln.“
Über den Auftritt der Bayer-Elf schreibt Christoph Biermann (SZ 30.9.). „Gegen den FC Bayern verwandelte sich Schneider von einem vergnügt herumtollenden in einen zähnefletschenden Dobermann. Die erstaunliche Verwandlung des Ballkünstlers in einen Protagonisten enthemmten Kampfspiels entsprach der Mutation von Bayer insgesamt. In der Stunde der Not, nach vier Niederlagen in Serie, entdeckten die einstigen Meister des Offensivfußballs knietiefe Defensive und bissige Underdog-Taktik (…) Bösewichte wurden sie dadurch nicht, denn die Bayern wurden von den Gastgebern nicht nieder geknüppelt, sondern traten selbst fleißig zurück (…) Erfolge gegen den FC Bayern sind doppelt schön, doch in der momentanen Situation war der 2:1-Sieg eine Erlösung von fast allen Übeln. Bayer hatte fast eine Stunde lang in Unterzahl spielen müssen, dabei die Führung erst ausgebaut und dann über die Zeit gerettet. Das allein erspart weitere Diskussionen darüber, ob die behauptet leicht ansteigende Form der letzten beiden Partien nur ein Produkt der Phantasie war.“
Roland Zorn (FAZ 30.9.) warnt. „Dass Bayer Leverkusen, bisher so etwas wie der notorische Pechvogel der Saison, in Unterzahl gut genug war, die 45 Minuten lang überheblichen und danach nur leidlich bemühten, aber ideenarmen Bayern mit der ersten Saisonniederlage gen Süden zu verabschieden, passte ins Bild dieses verkrampften, derben Zweikampfs zweier Champions-League-Repräsentanten des deutschen Spitzenfußballs (…) Ein Remis wäre auch ein unverdienter Lohn für ein Team gewesen, das von der kompromisslosen Härte der Leverkusener anfangs überrascht worden war. „Wenn man unten steht, sind Zweikämpfe gefragt, denn niemand von uns wollte sich vorführen lassen“, erläuterte Trainer Toppmöller die für Bayer Leverkusen atypische Kampfesweise unter Verzicht auf so etwas wie Spielkultur. Während Hitzfeld seinen Stürmerstar Elber zunächst in einem Anflug von Überheblichkeit auf die Ersatzbank ins Abseits rotiert hatte, tauchte Hans-Jörg Butt nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen endlich wieder im Bayer-Tor auf und wurde zum Matchwinner. Bayer lebt wieder, doch der Weg zu neuer Blüte ist nach der Treterei vom Samstag, zu der sogar ein Künstler wie Bernd Schneider mit einem rüden Foul das Seine beitrug, noch weit. Bleibt zu hoffen, dass die jüngste Episode für künftige Begegnungen zwischen Bayer und Bayern die Ausnahme bilden wird. Wo nämlich rohe Kräfte sinnlos walten, hat der Fußball immer von vornherein verloren.“
Spielbericht FR
1860 München – Hertha Berlin 1:0
Ob die Löwen-Fans nach dem knappen Sieg zufrieden nach Hause gingen (wie Trainer Pacult mutmaßte)? Joachim Mölter (FAZ 30.9.) verneint. „Wahrscheinlicher ist, dass sie sich geärgert haben, nicht nur über den flauen Kick. Denn für einen Oktoberfestbesuch war es nach dem Spiel schon zu spät, da waren die Bierzelte seit einer Stunde wegen Überfüllung geschlossen.“
Spielbericht SZ
Arminia Bielefeld – Schalke 04 2:1
Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 30.9.) bilanziert. „Der erste Sieg der Ostwestfalen über den FC Schalke 04 seit 1984. Das erklärt den Ausnahmezustand in dieser Stadt, die Leidenschaft, die die Mannschaft gegen die Prominenz an den Tag legte. Für die Schalker dagegen war der Abstecher zur Arminia, die es schon auf mehrere Kurzgastspiele in der Fußball-Bundesliga gebracht hat, zwischendurch sogar bis in die Regionalliga abstieg, dröger Alltag. Das zur Aufklärung der Schalker Profis, die sich keinen Reim auf das machen konnten, was ihnen da widerfahren war (…) Also nur keine Panik bei einem Klub, den es in der Vergangenheit nach Aufstiegen immer wieder in Tabellenregionen verschlug, in denen der Abstieg droht. Mit seinem formidablen Saisonstart unterscheidet sich der aktuelle Arminen-Jahrgang mit seinem Widerstandsgeist gründlich von allem, was in den vergangenen beiden Jahrzehnten war.“
Jens Kirschneck (FR 30.9.). „Es ist in der Tat das Zauberwort der Bielefelder in dieser Saison: Kompaktheit. Kaum ein Spieler oder Funktionär kommt in seinen Analysen ohne die Vokabel aus und meint das Bündeln sämtlicher verfügbaren Kräfte, um einen überlegenen Gegner in die Knie zu zwingen. Gegen die Gelsenkirchener bedeutete dies: alle um den eigenen Strafraum herum gruppieren, und vorne hilft der liebe Gott.“
Hansa Rostock – Hannover 96 1:2
Ronny Blaschke (FAZ 30.9.) bewertet die Bedeutung des neuen Stürmers für das Hannoveraner Spiel. „Mit Bobic als bestem Profi der fünf zwischenzeitlich auf einen Schlag verpflichteten Spieler scheint die anfängliche Angst vor dem Siegen beim Aufsteiger geschwunden. Das Trikot mit der Nummer 13 rangiert in den internen Verkaufscharts der Hannoveraner unangefochten auf Platz eins. Statt der üblichen 80 verfolgen plötzlich bis zu 500 Zaungäste die täglichen Übungen. Rangnick sieht in seinem Mittelstürmer Bobic den Mann mit dem breiten Kreuz, der 96 gerade noch gefehlt habe. „Fredi ist das Beste, was uns passieren konnte. Er nimmt den Druck von den Spielern, die nach dem schwachen Saisonstart an sich gezweifelt haben, und zieht die Aufmerksamkeit auf sich.“ An den zwischenmenschlichen Eigenschaften des kollegialen Schwaben hat Landsmann Rangnick ohnehin nicht gezweifelt. Schließlich verzichtet Bobic, dessen Familie noch immer in Stuttgart lebt, in Hannover auf einen beträchtlichen Teil seines bisherigen Dortmunder Salärs. Seine neuen Kameraden sind froh, einen wie ihn vorneweg stürmen zu sehen.“
Spielbericht FR
Hamburger SV – VfB Stuttgart 3:2
Jörg Marwedel (SZ 30.9.) schreibt über Hamburger Zuschauerreaktionen. „Vielleicht würde eine Studie über das Massenphänomen HSV-Fan zu Tage fördern, dass der typische Anhänger dieses Klubs seinen Lustgewinn aus Motzen, Fluchen, Pöbeln bezieht. Anders ist kaum zu erklären, weshalb noch immer fast 37.000 Zuschauer den schmeichelhaften 3:2-Sieg gegen den VfB Stuttgart verfolgten (…) Der Siegtreffer durch Romeo war dem einzigen ernsthaften Torschuss der Hamburger in der zweiten Halbzeit entsprungen. Die Stuttgarter hatten nicht nur die bessere Spielanlage gehabt, sie hatten auch ein Tor für Gourmets beigesteuert, wie man es in der Bundesliga nicht alle Tage zu sehen bekommt: Alexander Hleb hatte seinen kongenialen Mittelfeldpartner Balakov angespielt, den Ball postwendend mit der Hacke zurückbekommen und dann aus 116 Metern zum 2:2 unter die Latte des Hamburger Tores gedroschen.“
Karsten Doneck (Tsp 30.9.). „Am 4. Oktober, einen Tag vor dem nächsten Auswärtsspiel beim FC Schalke 04, jährt sich der Tag, an dem Kurt Jara Angestellter beim HSV wurde. Fortschritte unter ihm? Keine. Ohne Herz, ohne Witz, ohne Harmonie kickt die Mannschaft drauflos und spart damit alle Elemente aus, die Fußball gewöhnlich prickelnd und unterhaltsam machen. Auf diese Weise verprellt der HSV seine treue, bisher ja noch recht geduldige und verständnisvolle Kundschaft.“
Achim Lierchert (FAZ 30.9.). „Barbarez muss es als „Lenker“ richten, der Mann, bei dem der neue HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer in den laufenden Vertragsverhandlungen seinen auferlegten Sparkurs kurzzeitig verlassen will. Aber Barbarez, gerade von einer Knieverletzung einigermaßen genesen, stößt in seiner Rolle an Grenzen, nicht nur physisch. In der zerfahrenen zweiten Halbzeit wurde deutlich: Barbarez schoss zwar ein Tor, aber er ist kein dominierender Spielmacher. Zum Glück für den HSV gibt es aber auch noch einen Fußballprofi, der in der Lage sei, so Barbarez, „aus nichts ein Tor zu machen“: Bernardo Romeo. Wie schon vor zwei Wochen, als er beim 2:0 gegen den 1. FC Kaiserslautern zweimal traf, steuerte der Argentinier auch am Samstag mit zwei Toren wieder Entscheidendes bei. Zwölf Treffer hat der Südamerikaner nun in insgesamt 22 Spielen für den Hamburger SV erzielt. So kann sein Transfer als einziger echter Erfolg der nunmehr fast genau einjährigen Ära des Trainers Jara in Hamburg verbucht werden. Jara weiß genau, bei wem er sich dafür bedanken kann, wenigstens vorübergehend in Ruhe weiterarbeiten zu können. Die Fans hatten angesichts der zweiten Hälfte wie schon zuletzt in Berlin lautstark den Rauswurf des Trainers gefordert.“
Borussia Dortmund – Borussia Mönchengladbach 1:0
„Was passiert, wenn es in Dortmund erst einmal rund läuft?“, Anno Hecker (FAZ 30.9.). „Die Mönchengladbacher spielten solide aus einer kompakten Abwehr heraus, mit gefälligen Kombinationen bis in die Nähe des Dortmunder Tores. Aber mehr war nicht drin. Und deshalb darf man dem unglücklichen Verlierer keinen Vorwurf machen. Er nutzte alle seine Talente, schöpfte mit einer taktisch überzeugenden Leistung sein Potenzial aus – was man von Borussia Dortmund nicht behaupten kann. Mit Kraftfußball von der ersten bis zur letzten Minute rettete sich der Meister ins Ziel, rannte, kämpfte, bis Mönchengladbach umfiel (…) Mit ehrlichem Arbeitseifer kommt die Dortmunder Borussia nun schon eine Weile recht erfolgreich über die Runden. Aber als Malochertruppe spielt die auserlesene Elf eine Rolle, die nicht mehr zu ihrer Besetzung passt. Da tritt der leichtfüßige Mittelfeldstratege und auserkorene Ideenspender Tomas Rosicky über Gebühr als Freund der Grätsche auf, die brasilianische Ballartistengruppe der Borussia übt sich sogar im Bolzen und WM-gestärkte Nationalspieler beim spröden Sicherheitsfußball, damit der Gegner aus Mönchengladbach auf Distanz gehalten werden kann.“
Felix Meininghaus (FR 30.9.) ist enttäuscht. „Ob in der Champions League gegen Arsenal und Auxerre oder in der Bundesliga gegen Schalke, Rostock oder Gladbach – der BVB spielt bemüht, aber ohne Glanz. Und stets lautet das Fazit: Zu wenig für ein Team mit diesen Ambitionen. Gegen die gut organisierten und laufstarken Gladbacher hatte Dortmund vor allem in der ersten Halbzeit Probleme. Die Gäste versäumten es jedoch, die Überlegenheit in Tore umzumünzen. So konnten sich die Gastgeber in der Pause sammeln, um gestärkt in die zweite Hälfte zu gehen, in der sie sich eine Reihe guter Chancen herausarbeiteten. Am Ende hätte der BVB die Partie jedoch durchaus verlieren können (…) Tatsächlich scheint es wieder so zu sein, dass dem BVB die Geduld genügt, auf spärliche Glanzauftritte Einzelner zu warten, um Spiele siegreich zu gestalten.“
Dahingegen wirft Freddie Röckenhaus(SZ 30.9.) ein. „Trotz der zelebrierten Ossie-Solidarität zwischen Sammer und Meyer war das Spiel eine Demonstration der Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Bundesliga, in der sich einer aufs Verteidigen und Kontern beschränkt und der andere sich, trotz überlegener Einzelspieler, die Zähne ausbeißt. Ausnahmen von dieser Regel gibt es nur, wenn dem Favoriten frühe Tore zufallen. Doch diesmal versagte Ewerthon nach rund 20 gespielten Sekunden, als er eine Flanke von Heinrich nicht zum frühen Dortmunder Glück nutzen konnte. Und ein reguläres Tor von Evanilson wurde nach einer Stunde wegen angeblichen Abseits nicht gegeben. Die größere Beweislast in Sachen Klasse hatte weiterhin Dortmund zu tragen. Und die wurde trotz des siebten Bundesliga-Spiels ohne Niederlage (was einen neuen Auftaktrekord der Dortmunder bedeutet) wieder einmal nicht erfüllt. Aber bis auf Durchhalte-Parolen ist wenig Handfestes in Aussicht (…) So konnten sich die Gladbacher mit ihrer vergleichsweise namenlosen Mannschaft und den üblichen Mitteln viel Sympathie ergattern: In Dortmund verbarrikadiert man sich am besten mit zwei Abwehrketten vor dem eigenen Strafraum.“
Energie Cottbus – VfL Wolfsburg 0:1
Frank Ketterer (taz 30.9.). „Kaum war das Spiel zu Ende, begannen wieder die wilden Pöbeleien von jenen, die eigentlich Fans sein wollen. Geyer raus, Profis raus, Ausländer raus. Es war nicht nur einfallslos, was die Energie-Anhänger in ihrer blinden Wut riefen, es war armselig. Wenn das so weitergeht mit den üblen Beschimpfungen gegen Spieler und Trainer bis hin zu Drohbriefen und der Androhung körperlicher Gewalt (sogar gegen Familienmitglieder), wird es am Ende der Bundesligasaison garantiert heißen: Cottbus raus! Noch ist es nicht so weit, nach vier Punkten in sieben Spieltagen ist die Lage nur verfahren.“
Zu den Reaktionen des Cottbuser Trainers nach dem Spiel lesen wir von Friedhard Teuffel (FAZ 30.9.). „So erfolglos ist Eduard Geyer zur Zeit mit dem FC Energie Cottbus, dass er am Samstag ein grundlegendes Prinzip in Frage gestellt hat. Es geht um den Umgang des Trainers mit seinen Fußballspielern nach einer Niederlage. Da war Geyer bisher ein großer Freund des Holzhammers. Einmal sagte er, einige Spieler seien „zu blöd“ für die Bundesliga, ein anderes Mal, dass er genau so gut seine Frau hätte aufstellen können. Er glaubte wohl, dass er mit seiner Härte die Spieler stählen könne für den Abstiegskampf. Am Samstag hat Geyer auf einmal die Verständnispädagogik entdeckt und in sachlicher Analyse Gutes und Schlechtes an der 0:1-Niederlage gegen den VfL Wolfsburg aufgezählt.“
Spielbericht SZ
VfL Bochum – Werder Bremen 1:4
Spielbericht Tsp
1. FC Nürnberg – 1. FC Kaiserslautern 1:0
Spielbericht Tsp SZ
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Medium des Antichristen
Erik Eggers (taz 6.5.) widmet seine Aufmerksamkeit dem Matchwinner. „Auch Ozzy Osbourne fand keine Gnade vor dem Erlöser Leverkusens an diesem Abend, vor Lucimar Ferreira de Silva, genannt Lucio. Obwohl der US-Hardrocker in letzter Zeit ein wenig handzahm geworden ist und heute als Hauptdarsteller in der nach ihm benannten Serie bei MTV allenfalls zum Schmunzeln anregt. Osbournes Provokationen verfügen ja nun nicht mehr über jene Drastik der 70er-Jahre, als die erzkonservativen amerikanischen Theologen nichts weniger in ihm erblickten als ein Medium des Antichristen. Vielleicht wusste das auch Lucio, jedenfalls hat er sich zunächst zwar artig bedankt für die aktuelle Osbourne-CD, die ihm ein Fernsehsender nach dem 3:1-Sieg gegen Arminia Bielefeld noch auf dem Rasen als Spieler des Tages als Präsent überreichte. Dann ließ er unverzüglich via Dolmetscher ausrichten, dass er es nicht so mit Rockmusik habe: Ich mag lieber Kirchenmusik. Dabei erinnerte die Spielweise des 24-Jährigen in den 90 Minuten zuvor keineswegs an einen braven Gang in den Gottesdienst. Vielmehr hatte Lucio mit seiner bemerkenswerten Brachialität und Willenskraft den Werkskickern drei wichtige Punkte gesichert (…) Profaner sahen es die Konkurrenten aus dem Ostwestfälischen. Diese Glücksschüsse, meinte etwa der Ketzer in Gestalt Detlev Dammeiers, gehen nicht jede Woche rein. Und auch Gäste-Trainer Benno Möhlmann wies in seinen Analysen fast mit Stolz darauf hin, dass der Gastgeber in keinem Moment die spielerischen Möglichkeiten gefunden habe, den aus zehn Mann bestehenden Abwehrriegel seiner Mannschaft zu knacken. Tatsächlich vermochten sich weder Bierofka auf links noch der schwache Franca entscheidend durchzusetzen, sodass Leverkusen gegen diesen weltlichen Beton weitgehend auf Weitschüsse und Standards angewiesen war. Die ganze Chancenarmut zeigte sich speziell in der zweiten Halbzeit, in der Leverkusen, abgesehen von den beiden Toren, keine weiteren Torschüsse zu verbuchen hatte.“
Dem Streß mit Beruhigungspillen begegnet
Michael Ashelm (FAZ 6.5.) ebenso. „Jeder hat gesehen, warum er Weltmeister ist, schwärmte Thomas Hörster über Lucio. Dieser Satz kam Hörster zwar gewohnt spröde über die Lippen, aber die große Erleichterung war auch ihm nach der Berg-und-Tal-Fahrt des Sonntags anzumerken. Der spätberufene und umstrittene Trainer konnte erfreut feststellen, daß endlich einer seiner Spieler im Kampf um den Verbleib in der höchsten Spielklasse Courage zeigte. Zu bestaunen war ein Profi, der im Gegensatz zu seinen Kollegen nicht die Verantwortung ängstlich an den nächsten weiterreichte, sondern auch nach einem Rückschlag die Entscheidung für sich und die Mannschaft erzwingen wollte. Also der Typus von Profi, den sich die Verantwortlichen bei Bayer in den vergangenen Wochen so sehnlichst herbeigewünscht hatten. Wir haben ein wichtiges Spiel gewonnen. Wir wollen die drei anderen auch gewinnen und in der Bundesliga bleiben, sagte Lucio nach vollbrachter Tat. Das hört man gern in dieser ungemütlichen Zeit in Leverkusen, in der kreuz und quer debattiert wird, zwischen den Entscheidungsträgern unterschwellig Dissonanzen sicht- und hörbar werden und der große, nicht mehr ganz so allmächtige Geschäftsführer Reiner Calmund dem Streß mit Beruhigungspillen begegnet. Das alles kostet Nerven, nicht jeder auch im Kreise der Spieler mag dem gewachsen sein. Also vertraut man auf die Hoffnung und Siegertypen wie Lucio.“
Lucios CD von Ozzy Osbourne ausleihen
Christoph Biermann (SZ 6.5.) schlägt vor. „Man hätte gerne gewusst, was zu all dem Reiner Calmund gesagt hätte, der Ende vergangener Woche immerhin Adolf Hitler aus dem Feld schlagen konnte. Bei der Wahl zum „Liebling des Monats“ in der Harald-Schmidt-Show war der Bayer-Manager trotz Hitler auf den ersten Platz gewählt worden. Doch Calmund hat sich ein Schweigegelübde auferlegt und spricht nur noch donnerstags bei den offiziellen Pressekonferenzen zu den Menschen. Am Sonntag vermochte er nicht einmal mehr das Spiel unter Menschen zu schauen („Ich leide wie ein Hund“), nach dem 2:1 von Lucio verschwand er und sah sich den Rest im Fernsehen zuende an. Bei so viel Leiden sollte sich Calmund zum Stressabbau vielleicht einfach mal Lucios CD von Ozzy Osbourne ausleihen – und ganz laut abspielen.“
Hansa Rostock – Schalke 04 3:1
Zu lange nachgedacht
Friedhard Teuffel (FAZ 6.5.) schreibt über Rostocker Stürmer. „Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte dafür, daß Fußball kein Denksport ist, dann hat ihn der Schwede Rade Prica am Sonntag geliefert beim 3:1-Erfolg des FC Hansa Rostock gegen den FC Schalke 04. Er stand alleine vor dem Schalker Torwart Frank Rost und konnte sich aussuchen, wie er den Ausgleich für den FC Hansa erzielen wollte. Ein Heber wäre möglich gewesen, ein Schlenzer an Rost vorbei oder auch ein listiger Schuß durch die Beine des Torwarts. Doch Prica tat das Falsche: Ich habe zu lange nachgedacht. Nach dieser Denkpause beförderte Prica den Ball über das Tor, sehr zur Enttäuschung seiner Mannschaft, sehr zum Verdruß des Publikums im Rostocker Ostseestadion, das ihn daraufhin auspfiff, und sehr zum Ärger seines Trainers Armin Veh: Da darf er den Ball überall hinschießen – nur nicht über das Tor. Wozu der Kopf beim Fußballspielen da ist, hat Prica dafür in der zweiten Halbzeit sich und den 25.000 Stadionbesuchern gezeigt, als er den Ball ins Tor köpfte.“
Javier Cáceres (SZ 6.5.) fragt. „Wohin der Weg der Schalker führen wird, ist vergleichsweise ungewiss, statt Uefa-Cup wird es wohl nur zum UI-Cup reichen (wo immerhin der FC Barcelona als Kassenschlager winkt). Womit Schalke ungefähr wieder da gelandet ist, wo man mit Wilmots’ Vorgänger Neubarth schon einmal war. Auch die strategische Personalie Trainerposten ist für die kommende Spielzeit offen. Wilmots, der eigentlich vorhatte, in die belgische Politik zu wechseln, erklärte zum wiederholten Male genervt, dass er erst am 24. Mai entscheiden werde, ob er als Trainer in Schalke bleibt oder nicht – „punkt!“ Selbst dann würde Schalke noch drei Monate Zeit haben, um einen neuen Übungsleiter zu finden. Als er gefragt wurde, ob diese Niederlage ein Resultat war, das ihn nach Belgien katapultiert, wurde er verräterisch laut: „Wenn ich in den Uefa-Cup will, dann will ich für den Verein in den Uefa-Cup, nicht für mich. Ich brauche das nicht.““
Unpässlich
Marko Schumacher (NZZ 6.5.) liefert Hintergründe aus Nürnberg. „Neben der sportlichen Talfahrt droht eine Schlammschlacht mit Augenthaler. Reichlich unvermittelt sind nach seiner Entlassung schwere Vorwürfe laut geworden gegen den Weltmeister von 1990. Von Alkohol-Eskapaden ist die Rede und davon, dass Mannschaftssitzungen mehrmals ausfallen mussten, weil der Trainer unpässlich gewesen sei. Von Rufmord spricht Augenthaler und will rechtliche Schritte gegen den ehemaligen Arbeitgeber einleiten. Denn schon wurden Gerüchte laut, Roth wolle mit gezielten Falschinformationen die Abfindung einsparen. Der Vertrag des Trainers läuft bis 2004.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
„Elf Söldner müsst ihr sein“
sehr lesenswert! „Elf Söldner müsst ihr sein“ (Spiegel), Schalke kann zahlen, Fußball spielen nicht – Hertha BSC hat keinen Stil (Zeit)
Sehr lesenswert! „Elf Söldner müsst ihr sein“. Cordt Schnibben (Spiegel 27.10.) „zerreißt“ Schalke 04 und schildert den Kontrast zwischen Zahlungskraft und sportlicher Qualität: „Mitten in einer schweren Finanzkrise des bezahlten Fußballs, in der die Vereine der 1. und 2. Liga Schulden in Höhe von 600 Millionen Euro angehäuft und viele Clubs ihren Profis das Gehalt gekürzt haben, startet der Arbeiterverein aus dem Ruhrpott eine Euro-Offensive, die Ailton und seinem Bremer Abwehrkollegen Mladen Krstajic die Gehälter verdoppelt und noch vier weitere Spieler in die Schalke-Arena locken soll. Seit die Millionensummen für Ailton und Krstajic in den Zeitungen stehen, fordern nicht nur bei Werder Bremen mittelprächtige Spieler wie Ivan Klasnic und Krisztian Lisztes mehr Geld, auch in Stuttgart und anderen Vereinen halten die Spieler die Hände auf. Noch im Juli hatte Werders Trainer Thomas Schaaf konstatiert: Die Zeiten, wo Spieler eine Wahnsinnsmacht haben, sind vorbei. Doch die Schalker Großzügigkeit macht die Spieler wieder mächtiger und treibt die Preise im Moment nach oben (…) Mit dem Umbau des Weserstadions hatte Assauers Managerkarriere 1976 angefangen, fünf Jahre modernisierte er das Stadion und die Mannschaft, diente dann vier Monate lang Werder Bremen und Schalke 04 gleichzeitig als Manager, wechselte ins Ruhrgebiet, scheiterte fünf Jahre lang daran, den Arbeiterverein modern und siegreich zu machen, wurde gefeuert, kehrte 1993 zurück und arbeitet seither erfolgreich daran, sich unsterblich zu machen. Die im Jahr 2001 eingeweihte Arena Auf Schalke, das ist nicht nur Assauers Werk, das ist nicht nur das modernste Stadion der Welt und das Festspielhaus des deutschen Fußballs (Assauer), das ist vor allem Schalkes Notenpresse. Hier wird das Geld gedruckt, mit dem Assauer die Ailtons der Liga zuwerfen kann. Wie viele Millionen Euro die Sponsoren und Zuschauer der Arena tatsächlich in die Kassen des Vereins schütten, wissen nur Schalkes Finanzjongleure, aber die sind so sehr von der Treue der Fans überzeugt, dass sie einen großen Teil der Ticketerlöse der nächsten 23 Jahre an einen Londoner Investmentbanker verpfändet haben, der ihnen dafür im April 85 Millionen Euro auf die Konten schob. Bisher war fast jedes Spiel in der 61 000-Zuschauer-Arena ausverkauft, weil die den Leuten mehr bietet als Fußball. Sie bietet die Fröhlichkeit eines Bierzelts, den Sound eines Rockkonzerts und die Inbrunst einer Gospelmesse, was nicht zuletzt an den fünf Kilometer langen Bierleitungen liegt, die überall im Stadion das frische Pils so fließen lassen wie in einer Eckkneipe. Wie man Fußball inszeniert, davon versteht keiner in Deutschland mehr als Assauer, und deshalb legt sich auch bei einem Untertagekick wie im letzten Heimspiel gegen den VfL Bochum nie diese Trostlosigkeit auf die Zuschauerränge, die in anderen deutschen Stadien bei solchen Leistungen garantiert wäre. Als Stadionherr verkörpert Assauer die Zukunft des Fußballs, aber als Manager seiner Mannschaft hat er so wenig Erfolg, dass er nun hastig Top-Stars zusammenkaufen muss. Spieler aus 16 Ländern hat Schalke unter Vertrag, aber drei Trainer (Huub Stevens, Frank Neubarth, Marc Wilmots) konnten in den vergangenen beiden Jahren nicht den großen Fußball in die Arena zaubern, und nun versucht der aus Spanien heimgekehrte Jupp Heynckes den FC Söldner 04 zu einer Mannschaft zu formen, die auch im Uefa-Cup Geld einspielen kann. Beim letzten Auftritt in der Arena verlor Schalke nicht nur 0:2 gegen Bochum, der Trainer machte auch durch Gesten klar, dass er kein Vertrauen zu seiner Mannschaft hat. Er sei getäuscht worden über den wahren Leistungsstand der Spieler, hatte er schon vorher in Interviews beklagt, nicht er sei verantwortlich für schlechte Leistung und miese Ergebnisse, sondern jene, die diese Spieler zusammengekauft hätten. Sein Ballett der Verachtung, aufgeführt an der Seitenlinie, krönte er mit vielsagenden Blicken zu Assauer: Sag ich doch, die können es nicht, kauf neue Leute, Rudi! Als wäre es ihr Ziel, den grandiosen Videowürfel über dem Spielfeld runterzuschießen, so bolzten die Schalker den Ball durch die Arena; als säße Ailton dem Stürmer Victor Agali auf der Schulter, so trabte der Nigerianer über den Rasen; als wollte er sich für jede Position in der Schalke-Elf der nächsten Saison bewerben, so wild irrte Abwehrmann Tomasz Hajto übers Spielfeld. Nicht nur ihm – von Neuzugang Krstajic bedroht – merkte man an, dass die Schalker durch das Geschrei ihres Trainers nach neuen Spielern verunsichert sind. An Agali lassen die Fans ihre Enttäuschung aus. Für zehn Millionen Mark vor zwei Jahren geholt, ist der Torjäger – inzwischen Mr. Chancentod genannt – wohl das erste Opfer der neuen Einkaufsoffensive. Die Fans von Schalke rebellieren bisher nur gegen einzelne Spieler, in Hamburg (Schießbude) und Berlin (Hertha BSE) zeigt sich die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Distanz zwischen Fans und Trainer und Mannschaft. Die Geduld enttäuschter Zuschauer schrumpft, seit ihre Teams zusammengekaufte Söldnertruppen geworden sind; nicht mehr die Treue zum selben Verein verbindet Spieler und Fans, sondern eine Geschäftsbeziehung: Ich zahle, du lieferst Unterhaltung, langweile mich nicht und erwarte kein Mitleid, wenn ihr verliert. Für ihr Geld wollen die Fans Siege und Tore sehen, vor allem aber wollen sie, dass ihre Mannschaft ihnen eine Geschichte erzählt, die Geschichte der jungen Himmelsstürmer (Stuttgart) oder die Geschichte der Auferstehung (Leverkusen) oder die Geschichte des Ostens (Rostock). Mannschaften ohne Geschichte sind seelenlose Banden von Männern in kurzen Hosen, und Schalke 04 ist so ein Haufen, der Club erzählt samstags keine Geschichte mehr. Aus dem Meister der Herzen, dem vier Minuten fehlten, um Deutscher Meister zu werden, ist der Meister der Kassen geworden.“
Bis heute hat die Mannschaft keinen eigenen Stil entwickelt
Christian Ewers (Zeit 30.10.) vermisst Ausdruck und Haltung bei Hertha BSC: „Das rückläufige Publikumsinteresse ist vielleicht das Hauptsymptom jener Krise, die Hertha BSC zurzeit durchlebt – mehr noch als all die vergebenen Torchancen und verlorenen Spiele. Hertha BSC steckt in einer Identitätskrise. Der Klub weiß nicht, wen er überhaupt unterhalten will. Etwa die „Harlekins“ (ein Fan-Club der Hertha, of), die den so genannten ehrlichen Fußball schätzen? Oder die Fußball-Gourmets, die Hackentricks und Doppelpässe sehen wollen? Oder die Neuberliner, denen der Stil egal ist, solange das Team Erfolg hat und Fußball ein gesellschaftliches Ereignis bleibt? Wahrscheinlich will Hertha alle ein bisschen bedienen. So ist jedenfalls die Mannschaft aufgestellt. Hinten in der Abwehr steht der strammwadige Kapitän Dick van Burik, der den Ball gern per Bogenlampe aus dem Strafraum befördert. Im Mittelfeld jongliert der Brasilianer Marcelinho, und im Sturm probiert der in der Nationalmannschaft so erfolgreiche Fredi Bobic sein Glück, der Kolumnen schreibt und ein beliebter Interviewpartner ist. Es passt nicht zusammen, was Manager Hoeneß und Trainer Huub Stevens eingekauft haben in den vergangenen anderthalb Jahren. Bis heute hat die Mannschaft keinen eigenen Stil entwickelt. Sie weiß nicht, wie sie spielen soll, weil sie nicht weiß, wer sie ist. Sie weiß nur, wo sie irgendwann gern wäre. Und sie spürt Wochenende für Wochenende, dass sie sich von diesem Ziel in Lichtgeschwindigkeit entfernt. Noch vor vier Jahren hatte es den Anschein, als sei Hertha BSC ihrem Ziel ein großes Stück näher gekommen. Hertha wird in der Saison 1998/99 Dritter und qualifiziert sich für die Champions League, die Eliteklasse des europäischen Fußballs. Ein Traum geht in Erfüllung. Gegner sind der AC Mailand, Galatasaray Istanbul, FC Chelsea und FC Barcelona. Am 21. Oktober 1999 spielen die Berliner vor 75 000 Zuschauern im Olympiastadion gegen den AC Mailand. Für die Italiener laufen Maldini, Bierhoff und Schewtschenko auf. Herthas Beste heißen Preetz, Wosz und Deisler. Hertha gewinnt 1:0. Der Berliner Kurier titelt: „Weltklasse. Mailands Superstars chancenlos“. Seit dieser einen Saison in der Champions League ist der Klub wie getrieben von dem Wunsch, zu den führenden Vereinen des Kontinents zu gehören. In der Spielzeit 2000/2001 erreicht Hertha zwar nur den Uefa-Cup, doch plötzlich ist von „riesigen Potenzialen“, „historischen Chancen“ und „Visionen“ die Rede. Berlin, die wieder vereinte Stadt – was schlummert hier bloß für ein Fanpotenzial? Das Umland Brandenburg – der Hunger nach Spitzenfußball muss doch riesengroß sein in dieser Diaspora. Welch eine Chance! Und dann die vielen Weltkonzerne mit ihren Repräsentanzen in der Hauptstadt – alles mögliche Sponsoren. Schließlich meldet sich noch Franz Beckenbauer vom Branchenführer FC Bayern München und verkündet: „Berlin ist ein schlafender Riese.“ Spätestens jetzt ist der Glaube an die große Zukunft da, und dieser Glaube hilft ein wenig hinweg über die nicht ganz so glanzvolle Gegenwart.“
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Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Aus München
Thomas Kistner (SZ 8.3.) ärgert sich über die Pressekonferenz von Uli Hoeneß. „Die Scheinheiligkeit, mit der für die Öffentlichkeit angeblich nach Information gesucht wird, kotzt mich langsam an. Wir müssen uns Gedanken machen, ob diese Gesellschaft nicht total pervers ist. Wir haben andere Probleme als die Affäre um den Nationaltorwart Oliver Kahn.“ Uli Hoeneß, Abteilungsleiter Attacke beim FC Bayern, packt wieder mal die Posaune aus; was er am Donnerstag in Kameras und Mikrofone blies, lässt sich sicher unterschreiben. Zuvor gehört allerdings geklärt, welchen Gesellschaftsteil er genau meinte. Es klingt ja ziemlich schräg, wenn sich Kritik an einer total pervertierten Gesellschaft just aus deren pervertierstestem Teil erhebt – dort, wo sie zuerst hinzielen müsste. Der Bayern-Manager wendet sich gegen ein zu voyeuristisch gewordenes Sportpublikum. So mag es sein, aber es war nicht immer so. Ursache und Wirkung sind Hoeneß ein wenig durcheinandergeraten. Kommt öfter vor. Erinnert sei an jenen offenen Brief, den Hoeneß im Sommer 2001 aus Anlass der Kirch-Krise an die Nation gerichtet hatte: „Etwas mehr natürliche Bescheidenheit würde uns gut tun.“ Den Deutschen ginge es am besten von allen in der Welt, hohe Salärs und dicke Autos, trotzdem seien sie immer am Jammern. Eine wohlfeile These, die er dann selbst niedergrätschte mit einem Plädoyer für den Filmhändler Kirch. Maßlos zwar ist die Gesellschaft – nur im Fußball, fand er, dürfe künftig noch mehr geaast werden. „Wenn ARD/ZDF nicht bereit sind, eine Milliarde an die Klubs zu zahlen, muss man einem Privatunternehmer wie Kirch die Chance geben, sein Geld zurückzukriegen.“ Muss man natürlich nicht. Da die Milliarden in diesem Geschäft eh nur in den Designertaschen einiger hundert Jungprofis versickern, sind Da-Capo-Appelle an den öffentlichen Gemeinsinn eher überflüssig. Auch darf es einem Unternehmer überlassen bleiben, wie viel Geld er wo verpulvern will. Derlei Vorgänge zeigen aber, wie peinlich es stets dann wird, wenn sich das Profigewerbe im Themenkreis Gesellschaft und Moral verdribbelt.“
Thomas Becker (FR11.3.) schlendert auf dem Münchner Boulevard. „Kahn wandert. Es geht nach hinten in den einschlägigen Gazetten. Und nach unten. Klingt schlimm, wird ihn selbst aber freuen, falls er sich die Lektüre der Münchner Boulevardblätter überhaupt antut. Gut eine Woche, nachdem seine Affäre mit dem Promi-Luder millionenfach gedruckt wurde, sind Kahn die Frauen zwar immer noch ein Thema für Bild, Abendzeitung und tz, aber die Überschriften werden allmählich kleiner und zahmer. Neue Säue werden durch das Münchner Millionen-Dorf getrieben: Superstar, Grand Prix, Schumi-Schlappe und Pannen-Pacult haben King Kahn von den gefürchteten prominenten Plätzen mit den dicken, gemeinen Überschriften verdrängt.Die vorderen Sportseiten befassen sich wieder mit Sport, Kahn-Stories rutschen auf den Boden der Seite: Kahn bei Frau und Kind in der Bogenhausener Frauenklinik (laut Bild am Freitagabend 45 Minuten, am Samstagabend 20 Minuten), Kahn schon wieder auf der Piste (die Abendzeitung sah ihn samstags in der Milch-Bar, die Bild wollte ihn am selben Abend schon wieder in der Disco P1 erwischt haben), Spekulationen über Buß-Szenen (Bild am Sonntag schreibt: im Kreißsaal, unter Tränen) und das künftige Familienglück (Zieht sie mit den Kindern in ein Sechs-Zimmer-Penthouse bei Karlsruhe, in der Nähe der Schwiegereltern? Olli allein zu Haus? Oder doch nicht allein? Mit der Neuen in die neue Villa bei Kitzbühel? Oder doch wieder ins traute Heim in Grünwald?) – harmlos im Vergleich zu den Vortagen, als Thomas Helmer sich gegen eine angebliche Bettgeschichte mit Frau Kahn wehren musste, Didi Hamann hoch und heilig versprach, seine Grünwalder Dachgeschosswohnung nicht als Liebesnest für Kahn hergegeben zu haben und Ottmar Hitzfeld sich zu Kahns Paarungsverhalten während der WM äußern sollte, als Frau Kahn nicht sonderlich gut aussah hinter ihrer Modebrille, derweil das Promi-Luder angeblich im Spielerhotel weilte (von einer Hundertschaft Medienvertreter etwa gänzlich unentdeckt?). Mit einem phonstarken Auftritt im Pressekabuff des FC Bayern gelang es Uli Hoeneß dann, die Aufmerksamkeit weg von Kahn und auf sich zu lenken. Voyeurismus, Scheinheiligkeit, perverse Gesellschaft, Sauerei ohne gleichen – mit der Posaune über das große Ganze tuten und zum eigentlichen Fall nur ganz leise flöten: Der Fakt ist da. Da sind viele Dinge passiert, die nicht in Ordnung sind, das ist überhaupt keine Frage. Aber das muss auch irgendwann mal wieder zu Ende sein. Fakt ist auch, dass Hoeneß versucht, weiteren Schaden von seinem potenziellen Nachfolger abzuwenden.“
Tobias Kniebe (SZ 7.3.) erklärt Kahns Verhalten mit externen Ursachen. „Schon vor Wochen, als die Gerüchte der Affäre durchs Münchner Nachtleben schwirrten, hätte man stutzig werden können. Der Weltfußballer Oliver Kahn sei einer Barfrau verfallen, hieß es da, die „exakt so aussieht wie Christina Aguilera.“ Das klang wenig glaubwürdig – doch jetzt, wo diese Barfrau auf allen Titelseiten prangt, muss man der Wahrheit ins Auge sehen: Verena K., 21, das „wilde Partyluder“, steht für größere popkulturelle Zusammenhänge. Und eine Affäre, die sonst nicht der Rede wert wäre, gewinnt klare Relevanz in Sachen kultureller Ikonografie. Denn Menschen, die Christina Aguilera nicht kennen, bleibt auch der Wahnsinn dieser amour fou verschlossen: Eine Frau mit Piratenkopftuch und blonden Haaren, die stark an frischgedroschenes Stroh erinnern; eine merkwürdige Nase, die man nicht ohne weiteres als hübsch bezeichnen kann; ein ziemlich dümmliches Grinsen – das ist Verena K.. Und das allein hat den eiskalten Kahn bestimmt nicht um den Verstand gebracht. Die Erklärung muss woanders liegen: Er ist, wie so viele von uns, gefangen in den Bildwelten des Pop. Dass dies zu bleibenden Schäden führen kann, vermuten wir ja schon länger. Für alle, die sich solchen Gefahren nicht aussetzen, seien hier ein paar Fakten rekapituliert: Christina Aguilera ist ein amerikanischer Teenie- Popstar, der gern Piraten-Kopftücher trägt, dessen lange blonde Haare an frischgedroschenes Stroh erinnern, der eine etwas merkwürdige Nase und ein dümmliches Grinsen hat – und trotzdem Millionen von Fans fasziniert. Am Anfang ihrer Karriere, als sie noch relativ unschuldig auftrat, waren das vor allem andere Teenager. Zuletzt aber schockte sie die Popwelt mit dem Video „Dirrrty“, das rund um die Uhr auf den Musiksendern lief und so pornografisch wirkt, dass ein einziges „r“ im Titel der Plattenfirma keinesfalls ausreichend erschien. Viele Männer, die dieses Video einmal oder gar mehrmals gesehen haben, waren danach nicht mehr dieselben. Sie vergaßen, den Mund zu schließen, den dämlichen Ausdruck von ihrem Gesicht zu wischen – und im schlimmsten Fall vergaßen sie sogar ihre hochschwangeren Ehefrauen. Zu den Bildern von Christina Aguilera, die auch Kahns Hirn verseucht haben müssen, gehören folgende: C. in Lederhosen, ansonsten fast nackt, umgeben von maskierten Gestalten und Käfigen, die stark an die Ausdrucksformen des Sado-Masochismus erinnern; C., die zwischendrin in einer Schuluniform auftaucht; die Schriftzüge „Thailand’s Sex Tourism“ und „Young Underage Girls“ im Hintergrund; C. und ihre Tänzer bei Wasserspielen in einer Herrentoilette. Eines ist also klar: Eine junge Münchnerin, die als Klon von Christina Aguilera durchs Nachtleben tanzt, sendet eine Botschaft aus, die von Menschen mit einem gemeinsamen popkulturellen Hintergrund durchaus verstanden wird. Sie trägt eine ganze Kette von Assoziationen mit sich herum. Oliver Kahn hat sie gesehen, und das komplette „Dirrrty“-Video muss plötzlich in seinem Kopf abgelaufen sein. Damit war sein Verderben vermutlich besiegelt.“
Markus Schäflein (SZ11.3.) beleuchtet die Situation bei 1860 München. „Helmut Hoffmann hatte den festen Entschluss gefasst, sich nicht aufzuregen. Er ist schließlich 58 Jahre alt und seit 40 Jahren Anhänger des TSV 1860, da sieht man die Dinge gelassener. So sitzt er mit Sonnenbrille und überdimensionalem Schnauzbart vor dem Löwenstüberl in der Sonne. Aber dann ist es mit der Ruhe vorbei, denn Martin Stranzl kommt. Stranzl, der beim 0:6 in Berlin die Rote Karte erhalten hat. Nach einem Foul im Mittelfeld. Als es schon 0:5 stand. „Eine Dummheit ist das“, schreit Hoffmann, „beim Lorant würde der jetzt hier den ganzen Tag traben.“ Stranzls Fehlverhalten passte bei der höchsten Bundesliga-Niederlage des TSV 1860 ins Bild, und seine Antwort auf Hoffmanns Beschwerden passt zur Problembewältigung, die die Angestellten des Vereins betreiben. „Wir sind immer noch Siebter, das dürft ihr nicht vergessen“, sagt Stranzl. Gelassen diskutiert er, als sei nichts Einschneidendes passiert. Nach dem 1:4 im Pokal gegen Bremen, dem 0:5 gegen die Bayern, dem 0:6 in Berlin. „Keiner schreit mal Kruzifix oder irgendwas“, schimpft Hoffmann, und auch Trainer Peter Pacult hat festgestellt: „Bei uns schreit keiner einen an, alle sind ruhig und verstecken sich.“ Dass sich seine Spieler in Berlin so mutlos präsentierten, hat Pacult sich aber auch selbst zuzuschreiben. Hertha BSC sei ein Ferrari, der TSV 1860 ein VW Käfer, hatte Pacult vor dem Spiel gesagt, als beide Klubs 33 Punkte hatten. Die Fans traf das schwer. Ihre Löwen, wild, gefährlich und Furcht einflößend, sollten plötzlich ein Käfer sein, alt, klapprig, bestenfalls niedlich? „Da muss man doch einen an der Birne haben, wenn man sowas sagt“, schreit Hoffmann, „der Pacult sollte mal einen Rhetorikkursus machen. “ Auch nach dem 0:6 verblüffte Pacult, als er sagte: „Wille und Bereitschaft waren heute da.“ Oder: „Die Niederlage war a bisserl hoch. Äh, schon sehr hoch. “ Und: „Ich weiß auch nicht, wie es weitergeht.“ Rainer Popp, 20, der mit am Tisch sitzt, hat da einen speziellen Vorschlag. „Der Wildmoser sollte ihm einen Kleinbus geben, dann kann er mit seinen fünf Österreichern abhauen“, sagt er. Seit 1984 ist er 60-Fan, 3000 Euro hat er in diesem Jahr für die Reise zum Trainingslager nach Dubai gezahlt. Er versteht seinen Verein nicht mehr. Und weil der Verein seine Welt ist, versteht er die Welt nicht mehr. Erst redet Präsident Wildmoser vom Uefa-Cup, jetzt stellt Pacult das Team als Außenseiter hin.“
Ralf Wiegand (SZ 8.3.) diagnostiziert eine „Abnabelung der Profivereine vom allmächtigen Verband“. „Für den Begriff „halbherzig“ bedankt sich Michael Pfad, der als Geschäftsführer der DFL die Kommunikation zu verantworten hat, mit einem freundlichen Lächeln, er hatte wohl schlimmeres erwartet. Es wird zwar gebaut im Frankfurter Verbands-Viertel nahe dem Waldstadion, und die DFL wird eigene Räume bekommen – ein Haus weiter. Später wird Pfad die vertrackte Situation pointiert so analysieren: „Wir sind ein kleiner DFB.“ Leider. Denn ein kleiner DFB, das ist das, was die DFL nie hätte werden dürfen. Mit großem Getöse haben die 36 deutschen Profiklubs vor eineinhalb Jahren ihre Geschicke in die eigene Hand nehmen wollen, eben gerade um den alles erdrückenden Verband, der Amateure und Nationalmannschaft, Fernsehvermarktung und Lizenzen kontrollierte, loszuwerden. Gegründet wurde also die Deutsche Fußball-Liga GmbH als Interessenvertretung der Profiklubs, als zeitgemäße Struktur für die sich zunehmend in Kapitalgesellschaften verwandelnden Sportvereine. Ein Dienstleister soll die DFL sein, konzentriert nur auf die Bedürfnisse der Profiklubs, die ihre Gesellschafter sind, und getragen von deren Solidarität im Geldverdienen. Die DFL hat die Organisation des Spielbetriebs übernommen, das Lizenzierungsverfahren und die Vermarktung. Unter dem Logo „Bundesliga“ sollte, sagt Pfad, „das Schöne am Fußball transportiert werden“. Aber just in dem Moment, als die DFL ihre Arbeit starten wollte, „rutschte der Profifußball von einer Negativschlagzeile in die nächste“. Am Anfang stand die Kirch-Krise, und wenn die DFL Pech hat, steht an ihrem Ende ein Papier, das gerade als Der Geheimvertrag Karriere macht. Das Papier, das der FC Bayern und die inzwischen insolvente Kirch-Gruppe einst unterzeichneten und das den Bayern eine Menge Geld brachte – wobei nun zu klären ist, wofür eigentlich – liegt seit Tagen in der Frankfurter DFL-Zentrale. Hoffentlich sicher vor Feuer, denn die 18 bedruckten Seiten sind hochexplosiv, aus vielerlei Hinsicht. Die größte Gefahr droht von der Europäischen Union, die in dem Vertrag, mit dem die Bayern Vermarktungsrechte an Kirch übertrugen, einen Beleg dafür sieht, dass die zentrale Vermarktung der Fernsehrechte, wie sie in Deutschland praktiziert wird, nicht der Weisheit letzter Schluss sein muss. Wenn es einzelnen Vereinen gelingen kann, Rechte zu veräußern, warum soll man das nicht allen gestatten, denken sich die EU-Kommissare und nehmen mal wieder das DFL-Monopol ins Visier. Die zentrale Vermarktung aber ist das Herz deren Geschäfts. Vergleichsweise provinziell, nicht minder brisant ist dagegen der direkte Umgang zwischen den Bayern und der DFL. Die Münchner, selbst als Gesellschafter ein Teil der DFL, zweifeln an deren Unabhängigkeit und Integrität: Bayern-Manager Uli Hoeneß warf der DFL vor, sie habe Informationen aus dem Vertrag an die Öffentlichkeit lanciert. Er werde „nie wieder“ einen Vertrag nach Frankfurt schicken. Die DFL reagierte gestern mit einer Pressemitteilung, die darin gipfelte, eine öffentliche Entschuldigung von Hoeneß für diese „ehrabschneidenden Äußerungen“ zu verlangen. Im übrigen hätten sich auch die Bayern an die Statuten zu halten. So deftig haben sich die Münchner früher nicht einmal mit ihrem Lieblingsfeind DFB gezankt. Manchmal, wenn sich Hoeneß über die DFL aufregt, verwechselt er sie sogar mit dem DSF.“
Lesenswert! Interview mit Ellis Cashmore, englischer Soziologe und Buch-Autor über David Beckham SZ
Unterhaus
Zur Lage in Freiburg liest man von Christoph Kieslich (SZ 10.3.). „Im Moment sind Ausdauer, Entschiedenheit und Lust am Job so ausgeprägt, dass Volker Finke ein drittes Mal nach 1993 und 1998 mit dem SC Freiburg in die Erste Liga aufsteigen will. Auch wenn die Geduld des Freiburger Publikums längst nicht mehr so lang ist wie in den Anfangsjahren. Über das Ziel gibt es keine Verständigungsschwierigkeiten, über den Weg dahin schon. „Die Ansprüche sind weit überzogen“, findet sogar Achim Stocker, der unverdächtig ist, sich mit der zahlenden Kundschaft im Dreisamstadion anzulegen. „Die Leute gehen davon aus, dass man jedes Spiel klar gewinnt“, sagt der SC-Vorsitzende, „alles andere ist zu wenig.“ Dann spielt es auch keine Rolle mehr, wenn der Sport-Club – wie am Freitag im Spitzenspiel gegen Mainz05 – auf einen bestens organisierten Gegner trifft. Lange sah es nach einer Wiederholung des 0:0 aus der Hinserie aus, neutralisierten sich beide Teams auf hohem taktischen Niveau, und das Geschehen spielte sich weitgehend fern der gefährlichen Zonen ab. Aber schon ein Heimspiel, das solch einen ausgeglichenen Charakter besitzt, wird auf der nach oben offenen badischen Grummelskala kaum mehr akzeptiert. Dabei versuchten die Freiburger in der zweiten Halbzeit unablässig, die wie mit dem Lineal gezogen Mainzer 4-3-3-Linien mürbe zu spielen. Der enorme Aufwand und die Aufbietung sämtlicher zur Verfügung stehenden Mittel – Kurzpass, Doppelpass, Hacke, Spitze und immer wieder der ungekrönte Fummlerkönig Alexander Iashvili – stand allerdings im Gegensatz zur Zahl der nennenswerten Abschlussmöglichkeiten. Genauer: Sie bewegte sich bei Null. Ein Manko, das die Freiburger kennen (…) Die Dramaturgie des intensiven Spiels kristallisierte sich nach 86 Minuten in einem Elfmeterpfiff von Schiedsrichter Uwe Kemmling, der die Gemüter erhitzte. Doch nach Inaugenscheinnahme der Fernsehbilder räumte auch Jürgen Klopp ein, dass es sich zweifellos um ein Foul von Marco Rose gehandelt hatte, und der Mainzer Trainer überzeugte auch den Sünder selbst: „Ich hatte den Eindruck, dass es ein normaler Zweikampf war, aber wenn der Trainer sagt, den Elfer muss man geben, dann wird es auch so sein.“ Levan Kobiashvili verwandelte den Elfmeter.“
Spielbericht MSV Duisburg – Eintracht Frankfurt 0:2 FR
Roland Leroi (FR 8.3.) porträtiert den Duisburger Trainer. “Norbert Meier behauptet von sich, dass er schon viel weiß. Mir kann keiner etwas vormachen, ich habe fast alles erlebt, sagt der Trainer des Zweitligisten MSV Duisburg. Meier ist 44 Jahre alt und hat in seiner Laufbahn als Coach abgesehen vom MSV erst einen Profiverein stehen. 1998 hat man ihn bei Borussia Mönchengladbach nach nur vier Monaten abserviert. Zehn Jahre zuvor war Meier als Spieler mit Werder Bremen Deutscher Meister geworden. Trotzdem gilt er eher als unbeschriebenes Blatt. Bis vorigen November trainierte er die B-Junioren von Bayer Leverkusen. Und der will alles erlebt haben? Ja, insistiert Meier. Ob nun B-Jugend- oder Bundesligateam, überall gibt es Hierarchien und Taktiken. Einziger Unterschied sei, dass man als Profi mehr Blicke auf sich ziehe. In seinem Fall auf eine dreckige dunkelblaue Trainingshose und auf kleine Schlammklumpen im Gesicht. Meier will seinen Spielern zeigen, dass er sich nicht zu schade ist, für den Erfolg durch den Morast des Trainingsgeländes zu pflügen. Er erwartet diese Einstellung auch von seinen Spielern, wenn sie am Montag im Wedaustadion Eintracht Frankfurt empfangen. Bislang stellte sich der Erfolg noch nicht ein.“
Vereinsportrait Recreativo Huelva, Tabellenletzter der Primera DivisionNZZ
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Tollste Geschichte der Woche
Anlässlich des Joker-Tores des Hannoveraner Spielführers zitiert Frank Heike (FAZ 22.4.) aus dessen Interview der vorigen Woche. „Der schönste Satz aus Nebojsa Krupnikovics Brandrede gegen die eigene Mannschaft ging so: Als ich draußen war, kamen Freistöße und Ecken doch nur noch in Kniehöhe. Einmal in Fahrt, trat der 29 Jahre alte Serbe in Diensten von Hannover 96 weiter verbal nach, stänkerte gegen den unantastbaren Fredi Bobic, schimpfte auf Trainer Rangnicks Taktik und verbat sich überhaupt jede Kritik an der eigenen Leistung: Gegen Dortmund, Bayern und Bremen war ich bester Mann auf dem Platz! Daran konnte sich nun wirklich niemand erinnern, wohl aber an den ganz schwachen Auftritt des divenhaften Regisseurs vor acht Tagen beim VfL Wolfsburg. In Hannover, wo Rangnick und Präsident Martin Kind das Feld für solche öffentlichen Scharmützel in der Vorrunde durch manche mißverständliche Aussage übereinander selbst bereitet, inzwischen aber vorgeben, daraus gelernt zu haben, versuchte man nach dem 2:1 am Ostersamstag gegen den 1. FC Kaiserslautern, Krupnikovics Torheiten klein zu spielen. Er habe sich von einem Reporter locken lassen, daraus sei die tollste Geschichte der Woche geworden, sagte Rangnick und lächelte milde. Trotz der journalistischen Falle, in die Krupnikovic prompt getappt (und deshalb eigentlich unschuldig) war, ließ Rangnick ihn zunächst auf der Bank – eine kleine Denkpause sollte es dann doch sein. So etwas muß ein Trainer tun, um seine Glaubwürdigkeit im eigenen Team zu wahren. Doch ein Fußballehrer muß auch über seinen eigenen Schatten springen können.“
Eine Elf-Freunde-Geschichte geht anders
Jörg Marwedel (SZ 22.4.) meint dazu. „Es hatte ordentlich gescheppert in Hannover, manche hatten gar einen Machtkampf zwischen Bobic und Krupnikovic geortet. Doch genau deshalb könnte Ostern 2003 als jener Zeitpunkt in die Saisonhistorie eingehen, in dem aus dem naiven Aufsteiger Hannover 96, der so viele Punkte aus purem Übermut verschenkte, ein richtiger Bundesligaklub wurde. Und das nicht nur, weil man sich mit dem ein vielleicht schon entscheidendes Polster im Kampf um den Klassenverbleib geschaffen hat. In einem richtigen Bundesligaklub kracht es zuweilen vernehmlich. Reizklima gilt als unerlässlich, um alle Reserven im Existenzkampf zu mobilisieren, und nur wer seine Wut in Leistung umsetzt wie Krupnikovic, hat eine Chance in diesem Geschäft. So gesehen konnte Rangnick die vergangenen Tage als richtungsweisend feiern, und Hannover kann bald die Planung für das nächste Erstliga-Jahr konkretisieren, wozu zuvorderst Gespräche über eine Vertragsverlängerung mit Fredi Bobic zählen. Der Nationalstürmer erzielte gegen Kaiserslautern sein 100. Bundesligator – ein „Meilenstein“ (Bobic), der die Verhandlungen für den Klub nicht leichter macht. Nächsten Samstag spielt 96 bei Hertha BSC, einem Interessenten an Bobic’ Diensten. Rücken die Berliner mit einem Sieg der Champions-League-Qualifikation noch näher, werden sie für Bobic eine noch attraktivere Adresse; sind die 96er in Berlin erfolgreich und damit endgültig gerettet, sieht es besser aus. Bobic sagt kühl: „Ich habe richtig viel Zeit.“ Irgendwann werde es „sicherlich das Gespräch mit Hannover und wahrscheinlich auch mit anderen Vereinen geben“. Eine Elf-Freunde-Geschichte geht anders.“
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Eiersuche in München – brüchige Rangordnung bei den Bayern (BLZ, FAZ) – Olympique Lyon drängelt in den Markt
Javier Cáceres (SZ 5.11.)versteht die Forderung Oliver Kahns nach Eiern: „Mit dem Erwerb einer Wagenladung der Güteklasse A, verfertigt von glücklich-freilaufenden Landhennen, ist das Problem nicht gelöst. Es liegt tiefer, und wenn die Bayern die Forderung ihres Kapitäns befolgen wollen, müssen sie rein in Historie und Sprachforschung. Da sie dafür, bei aller Ballarbeit, kaum Zeit finden dürften, sei auf Fidel Castro, den großen Linksverteidiger der kubanischen Revolution, verwiesen. Der warf einst Nikita Chruschtschow vor, Mitspieler im Kalten Krieg, keine Eier/Hoden (cojones) zu haben, weil er seine Atomraketen lieber doch nicht auf Kuba aufstellen wollte – was der Menschheit einiges erspart hat. Den Bayern sei auch deshalb empfohlen, ihre Suche nach einer Lösung („Eiern!“; span.: huevos) nicht in die Legebatterie zu verlagern, sondern in den iberischen Sprachraum – schon, um Turbulenzen mit den Mitarbeitern Santa Cruz (Paraguay), Demichelis (Argentinien) und Pizarro (Peru) vorzubeugen. Denn während hier zu Lande die Forschung durch das Kahn-Zitat erst einzusetzen scheint, ist andernorts die genital-fixierte Fußballschule etabliert, und das nicht erst, seit Javier Clemente und José Antonio Camacho, Spaniens einstige Nationaltrainer, ihre Aufträge erteilten. Beide erwarteten stets und zuvorderst, dass ihre Teams „con dos cojones“, also gleich mit zwei Eiern spielen – was sich sowohl auf die Individuen als auch auf die Mannschaft als Ganzes bezog, die ihre „Eier auf dem Felde“ hinterlassen soll („poner los huevos en el campo“). Dies sei die Voraussetzung dafür, dass die Fans eine, frei übersetzt, geile Mannschaft („un equipo de cojones“) bewundern könnten. Andernfalls würden sie die Equipe satt haben („estar hasta los cojones“). Acojonarse, die Eier einziehen und/oder rumeiern, gilt also nicht.“
Machtvakuum in München
Heinz-Wilhelm Bertram (BLZ 5.11.) vermutet, dass der Mannschaft des FC Bayern eine feste Rangordnung fehlt: „Es ist doch beruhigend, dass dem FC Bayern München in diesen betrüblichen Zeiten wenigstens eines geblieben ist: seine Meisterschaft in antizyklischen Einlassungen. Die Vorliebe für sorgsam zeitversetzte Wortmeldungen ist ja das Hobby von Manager Uli Hoeneß, der das Team nach Niederlagen gerne streichelt, um nach Siegen ordentlich loszupoltern. Dieser hohen Schule schloss sich Oliver Kahn an, der sich mitten im Herbst auf Eiersuche begab. Wir brauchen Eier! schimpft er. Ob sein in den November verschobener Osterspaziergang von Erfolg gekrönt sein wird, macht indes nur einen Teil der Spannung aus. Elektrisierender dürfte die Frage sein, ob der Rest des FC Bayern mitzuschreiten bereit ist auf der Suche nach der verloren geglaubten Männlichkeit. Das darf bezweifelt werden. Denn Kahns Gunst innerhalb der Mannschaft ist nach dessen Eskapaden mit schillernden nächtlichen Streifzügen und nach seinen prompten Missgriffen zum Saisonstart gesunken. Die Antworten auf den Vorwurf mangelnden Einsatzwillens fielen auffällig lapidar aus: Da müssen Sie Olli selbst fragen, das brauche ich nicht zu kommentieren, sagte Michael Ballack. Oder Roy Makaay: Fragen Sie doch Olli, lautete dessen Antwort. Wie viele im Team nehmen Kahn noch ernst? Erstaunlich ist nur, dass keiner bereit ist, das frei gewordene Machtvakuum auszufüllen.“
Elisabeth Schlammerl (FAZ 5.11.) sieht das genauso: „Früher hatte der Torhüter stets die Unterstützung von Stefan Effenberg. Die beiden waren zwar außerhalb des Platzes keine dicken Freunde, aber sie haben sich respektiert und geschätzt. Der eine hat dem anderen eine führende Rolle in der Mannschaft zugestanden, sie haben sich in Krisensituationen als Provokateure oder Antreiber gut ergänzt. Jetzt hat Kahn in Michael Ballack eher einen Rivalen um die Position des Leitwolfs als einen Mitstreiter. Der Mittelfeldspieler hat das Vakuum ausgefüllt, das Kahn während seiner privaten Wirrungen im vergangenen halben Jahr hinterlassen hatte. Die Rolle der Führungsfigur interpretiert er zwar anders als Kahn, auch anders als sein Vorgänger Effenberg, er hat aber dank seiner umgänglichen Art schnell Freunde gefunden im Team – viel mehr, als Effenberg je hatte bei Bayern. Kahn gehört sicher nicht zu Ballacks Clique, sondern eher die Jungen wie Hargreaves, Rau und Schweinsteiger. Man kann viel erzählen nach außen hin, aber man muß es dann auf dem Platz auch umsetzen, sagt Ballack. Weil ihm aber im Gegensatz zu Kahn im Moment auf dem Platz nicht viel gelingt, verhält er sich extrem zurückhaltend. Er hat seit ein paar Wochen zu sehr mit seinen schlechten Leistungen zu tun, als daß er sich auch noch um die Kollegen kümmern könne. Und das ist das Problem der Bayern: Zu viele sind allein mit sich selbst beschäftigt.“
Ungeheure Identifikation mit dem Klub
Peter Heß (FAZ 5.11.) schildert, wie erfolgreich Olympique Lyon seinen Namen in den Markt drückt und schiebt: „Wäre das städtische Fremdenverkehrsamt so auf Draht wie die Marketingabteilung des Fußballklubs Olympique, Lyon hätte in Deutschland längst den Ruf, den es verdiente. Weit über fettige Würste und den nervenden Staus im Tunnel hinaus, der den Verkehrsfluß auf der Autobahn Richtung Süden stört, gingen die Assoziationen. Stadt der Seide, Stadt des Koch-Papstes Bocuse, Stadt der Gebrüder Lumiere, die das Kino erfanden: das alles mag man schon mal gehört haben. Aber, daß an den Ufern der Saone und Rhone eines der größten zusammenhängenden Altstadtensembles in Europa bewahrt wurde und darin ein authentisches Lebensgefühl, das hätte es verdient, in kräftigeren Farben beschrieben zu werden. Immerhin wirbt der Verein Olympique mit attraktivem Fußball für die Stadt. In den vergangenen beiden Jahren gewann OL die nationale Meisterschaft, in den vergangenen fünf Jahren reichte es jeweils zur Qualifikation für die Champions League (…) Das Ziel, den Klub in den Köpfen der Einwohner zu verankern, wurde über die Vergabe von Lizenzrechten erreicht. Es gibt den offiziellen OL-Friseur, die offizielle OL-Fahrschule, den offiziellen OL-Beaujolais, das offizielle OL-Café, das offizielle OL-Plattenlabel und die offizielle OL-Taxikette mit 70 Fahrzeugen. Darüber hinaus betreibt OL ein Reisebüro und ein Restaurationsunternehmen, das mit Paul Bocuse zusammenarbeitet. Das Herzstück der Public Relations bildet die Abteilung OL Tele. In Zusammenarbeit mit dem Stadtfernsehen produziert OL täglich 15 Minuten Programm, vor und nach Spielen wird die Berichterstattung auf eine Stunde ausgeweitet. Mit über 300 000 Zuschauern sind die Fußballmagazine von Olympique die meistgesehenen Fernsehnachrichtensendungen in der Region Lyon. All die Maßnahmen führen zu einer ungeheuren Identifikation mit dem Klub.“
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Die Story des 26. Bundesliga-Spieltags
Die Story des 26. Bundesliga-Spieltags mit dem größten Nachrichtenwert spielte sich nicht auf dem grünen Rasen ab, sondern schwarz auf weiß. Bezüglich der Diskussion um den Geheimvertrag zwischen der Kirch AG und dem FC Bayern hat Bild-Kolumnist Franz Beckenbauer wahrlich angekündigt, dass sein Verein für den Fall einer Sanktionierung seitens der Deutschen Fußball Liga (DFL) in die italienische Serie A wechseln werde. Nebenbei: Gleichzeitig recherchierte der Spiegel pikanterweise aufschlussreiche Vertragsdetails, wonach er und seine Kollegen aus der Münchner Vorstandsetage entgegen allen Dementis nun doch als Lobbyisten für den Medienhändler tätig gewesen waren.
Im Magazin der SZ wurde Beckenbauer einmal als „der berühmteste Deutsche, den man nicht ernst nehmen kann“, beschrieben. Diese Etikettierung hat der DFB-Teamchef der Weltmeisterelf von Italia 1990 (damaliger WM-Song von Udo Jürgens: „Wir sind schon auf dem Brenner!“) mit seinem südwärts gerichteten Ausruf erneut gerechtfertigt. Die überregionalen Tageszeitungen reagieren daher mit deutlicher, zumeist ironischer Kritik. Die FR sah einen „rabiaten Dreijährigen“ am Werk, der „im Sandkasten beim organisierten Förmchen-Schmuggel ertappt“ wurde. In der SZ liest man: „Selten hatte ein Ultimatum so viel Charme wie jenes. Schon pinseln die Fans von Stuttgart bis Dortmund emsig Plakate: Danke, Franz!“ Glaubt Beckenbauer denn ernsthaft, den ungeliebten Bayern würden Fußballfans hierzulande auch nur eine Träne nachweinen? „Reisende soll man ja nicht aufhalten“ (FR). Darüber hinaus: Mutmaßt „Hannibal Beckenbauer“ (FAZ) tatsächlich, mit einem Ritt über die Alpen im Interesse der millionenstarken Münchner Gefolgschaft zu handeln?
Also alles ein Scherz? Die Unkonzentriertheit eines Einsichtsunfähigen? Schließlich „gibt es, im Umfeld des Balles, eine Menge Leute, die sagen, dass der Franz eine direkte Leuchte nicht ist, geistig betrachtet“ (SZ-Magazin), doch: „die wollen dann lieber nicht, dass man das schreibt, jedenfalls nicht mit ihrem Namen dabei.“ Letzten Endes ist es nur die halbe Wahrheit, dass der „Kaiser“ die Liste seiner verbalen Querschläger um einen weiteren ergänzt hat. Ferner darf es in der kritischen Öffentlichkeit nicht ausschließlich darum gehen, lediglich einen neuerlichen Eintrag in die umfangreiche Zitatensammlung der peinlichen Fußballersprüche zu kommentieren. So gedankenlos und unmotiviert sind die Drohungen nämlich keineswegs zu werten, denn gerade ist der mächtigste Funktionär (Mann?) Deutschlands im Begriff, durchaus gewünschte Wirkung und Reaktion erzielen zu wollen. Man muss davon ausgehen, dass er sich derer sowie seiner Handlungen vollauf bewusst ist. In diesem Fall heißt das: Vermeidung von rechtlich wohl erforderlichen Sanktionen, die sogleich mit einem weiteren Imageverlust für seinen Verein einher gingen. Spricht eigentlich irgendein Sportreporter noch – angesichts von nicht nur 15 Punkten, sondern auch 21,5 Millionen Euro Vorsprung des FC Bayern – von Wettbewerbsverzerrung? Der neutrale Beobachter wüsste auch gerne, wie Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld die Vorfälle in seine sportliche Werteskala einordnet. Im SZ-Interview vom Wochenende war davon nichts zu lesen.
Nunmehr ist in der Tat zu befürchten, dass die Gericht haltende DFL den DFB-Vizepräsidenten und WM-2006-Koordinator Beckenbauer dessen Groll nachgibt und ihn in nacheilendem Gehorsam milde zu stimmen versucht. Mit einem derart dominanten und einflussreichen Allianzpartner will man es sich schließlich nicht verscherzen. Zum Vergleich stelle man sich einmal den Lachanfall der Liga und deren Beobachter vor, wenn – sagen wir – der Präsident von Energie Cottbus sich ähnlich verhalten hätte. Folglich handelt es sich bei Beckenbauers Drohgebärde vielleicht um eine Posse, jedoch keinesfalls um eine Bagatelle. Es ist das zu kritisierende Werkzeug eines Alpha-Tiers, Eigeninteressen rücksichtslos auf Kosten anderer zu verfolgen. „Ich sage gar nicht, dass Sie ihn bekämpfen müssen“, schrieb SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel einem Journalisten in Bezug auf die Interpretation der Figur Beckenbauer mal ins Stammbuch. „Sie müssen lediglich bitte denselben Maßstab anlegen, den Sie schon bei jedem mittleren Kommunalpolitiker anlegen würden.“
Außerdem: Bayer Leverkusen – ein „kaum mehr zu reparierender Schadensfall“ (FAZ). „Hätte Bild am Samstag nicht Schicksalsspiel getitelt und wäre die Bude nicht picke-packe voll gewesen- man hätte denken können, die Jungs dort im Fritz-Walter-Stadion träfen sich zum Grillabend mit vorgeschaltetem Kick unter Kumpels“, hat die FR leidenschaftslosen Abstiegskampf gesehen.
Top-Themen des Tages
Wolfgang Hettfleisch (FR 22.3.) kritisiert die Drohungen Beckenbauers sehr scharf. „Es ist dies nur ein weiteres Indiz, wie beim deutschen Branchenführer mit der unbequemen Wahrheit über die Vorzugsbehandlung durch Kirch umgegangen wird. Keine Keule ist zu groß, keine Idee zu abgeschmackt, wenn es gilt, die Kritik am zweifelhaften Geschäftsgebaren der Bayern-Fürsten abzubügeln. Wer sich, wie derzeit die DFL-Experten, um die Aufklärung des nebulösen Deals von 1998 müht, ist per se ein a) Neider b) Querulant oder c) Bayern-Hasser – suchen Sie sich was aus. Die Mindestregeln des Anstands geböten, die Prüfung des Vertrags der Bayern-Marketing-Tochter mit dem damaligen Kirch-Rechtehändler ISPR stillschweigend abzuwarten, um dann zu deren Ergebnis Stellung zu nehmen. Doch so läuft das nicht bei Bayern München. Lieber führen sich dessen Bosse auf wie rabiate Dreijährige, die im Sandkasten beim organisierten Förmchen-Schmuggel ertappt worden sind. Wer uns bestraft, den bestrafen wir, lautet die alttestamentarische Logik, die Beckenbauers Drohung mit dem italienischen Club-Exil zu Grunde liegt. Das ist albern. Schlimmer aber ist, dass Beckenbauer offenbar überzeugt ist, einzig der FC Bayern dürfe sich anmaßen zu beurteilen, ob sich der FC Bayern etwas zu Schulden kommen ließ. Immerhin kann man nicht sagen, dass diese seine Auffassung ohne historisches Vorbild ist. Im Zeitalter des Absolutismus mühten sich ganze Heerscharen höfischer Denker zu rechtfertigen, dass der Monarch zwar das Recht setze, selbst aber über jenem stehe.“
Ralf Wiegand (SZ 22.3.) verpackt seinen Ärger in Augenzwinkern. „Selten hatte ein Ultimatum so viel Charme wie jenes, das Franz Beckenbauer via Bild dem deutschen Fußball anbietet. Sollte die Deutsche Fußball-Liga (DFL) vom FC Bayern jenes Geld zurückverlangen, das dieser einst so mühevoll und wahrscheinlich bei Nacht, weil’s ja keiner sehen sollte, aus dem Geldspeicher von Leo Kirch abtransportierte, sollte die Bundesliga also einen Anspruch auf dieses ehrlich erworbene kleine Vermögen erheben – dann wollen die Bayern bald in Italien spielen. Versprochen. Schon pinseln die Fans von Stuttgart bis Dortmund emsig Plakate: Danke, Franz! Aber genug des Spotts: Es ist beruhigend, dass die Öffentlichkeit endlich erfährt, wie uneingeschränkt solidarisch der FC Bayern mit der Bundesliga ist und dass er sich deren Justiz voll umfänglich unterwirft, mehr noch: bei fälliger Bestrafung in mönchhafter Selbstkasteiung reumütig die Heimat verlässt und ins Exil zieht. Damit sind zwei gute Taten verbunden: Die Bundesliga wird von einem Tag auf den anderen wieder spannend, und die italienische Liga, noch pleiter als die Bundesliga, darf schon mal die Brecheisen bereit legen, um den Tresor des FC Monaco Bavarese fachmännisch zu öffnen und den Inhalt rasch im Armenhaus des Fußballs zu verteilen bzw. treuhänderisch dem ehrenwerten Herrn Berlusconi zu überlassen.“
Roland Zorn (FAZ 22.3.) hält Beckenbauers Drohung für eine leere. „Vielleicht wollen die Bayern ja gar nicht aussteigen. Ihre Aussichten, einigermaßen heil aus der Extraabsprache mit der KirchMedia herauszukommen, die anno 2000 einen Gruppenvertrag mit der Bundesliga zur Zentralvermarktung abgeschlossen hat, stehen nicht so schlecht. Einerseits haben die jetzt erst bekanntgemachten Verträge der Wirtschaftsdienste GmbH des Deutschen Fußball-Bundes mit Kirch die Situation der Bayern atmosphärisch verbessert. Schon heißt es, daß hier keine Krähe der anderen ein Auge aushacken dürfe. Außerdem sieht die DFL in ihren Statuten nur eine maximale Geldbuße von 500.000 Euro für ligainterne Verstöße vor. Fraglich ist, ob ein einzelner Bundesliga-Verein die Traute hätte, gegen die Bayern auf Rückzahlung der gesamten Summe zu klagen. Zumal da eine Reihe von Vereinen von ihren jeweiligen Vermarktungspartnern vorab Geld für den Tag bekommen haben, an dem die zentrale Fernsehvermarktung von der Europäischen Union für nichtig erklärt werden sollte. Die Bindung dieser Klubs an ihre jeweiligen Marketingagenturen war aber im Gegensatz zum FC Bayern, der stets behauptet hatte, sich selbst zu vermarkten, bekannt. Möglich, daß der Münchner Vertrag mit Kirch wegen seiner für die Gruppe Bundesliga bereits geregelten Substanz sogar nichtig war. Wahrscheinlich aber ist, daß Beckenbauer und seine Bayern am Ende des Streits um einen geheimnisvollen Vertrag glimpflich, möglicherweise sogar vollends ungeschoren davonkommen.“
Marcel Rosenbach Michael Wulzinger (Spiegel 24.3.) haben sich den Vertrag zwischen dem FC Bayern und Kirch genauer angesehen. „Bislang unbekannte Details der 17 Seiten umfassenden Vereinbarung, die dem Spiegel vorliegt und die erstmals in voller Länge ausgewertet werden kann, lassen keinen Zweifel: Die Bayern-Bosse haben sich zu geheimen Handlangern von Leo Kirch gemacht und die Öffentlichkeit darüber mit ihren bisherigen Stellungnahmen schlicht getäuscht. In der Vereinbarung hat sich der Großpleitier eindeutig die Dienste des Nobelclubs für seine Firmeninteressen erkauft. Denn das Geld, so heißt es auf Seite fünf, sollte nur unter nachfolgend genannten Voraussetzungen fließen: Der Bayern-Vorstand unterschrieb, er werde sich auch weiterhin dafür einsetzen und dabei mithelfen, dass die zentrale Vermarktung sämtlicher TV-Rechte aufrechterhalten bleibt. Darum, das gelobten die Münchner, würden sie sich weiterhin bestmöglich bemühen und insoweit auch auf die anderen Bundesligavereine einwirken. Im Klartext: Die Bayern mussten in der Liga für Kirch die Lobbyisten geben. Zudem machte der Medienunternehmer in dem Geheimpakt vom 3. Dezember 1999 zur Bedingung, dass die TV-Verwertungsrechte der Fußball-Bundesliga für die Spielzeiten 2000/2001 bis mindestens 2002/2003 im Wege der zentralen Vermarktung insgesamt exklusiv an Unternehmen vergeben werden, an welchen ein Unternehmen der Kirch-Gruppe zumindest in Höhe von 50 Prozent beteiligt ist. Eine Klausel, die für den deutschen Profifußball enorme Sprengkraft birgt. Denn um die Vergabe der Rechte an Kirch zu befördern, setzten die mächtigen Bayern ihr gesamtes diplomatisches Geschick ein. Tatsächlich entschied der Liga-Ausschuss am 28. April 2000, der Kirch-Gruppe für drei Milliarden Mark die TV-Rechte der Bundesliga bis Ende Juni 2004 zu übertragen – trotz eines weitaus lukrativeren Angebots der Schweizer Agentur Aim International. Diskret hatte der FC Bayern, seine Kirch-Millionen vor Augen, knapp fünf Monate lang auf die ahnungslose Liga eingewirkt. Rummenigge, damals Vizepräsident, bereiste als TV-Visionär das Land und eilte von einer Managertagung zur nächsten. Auch Hoeneß tat am Tag der Abstimmung vor dem Liga-Ausschuss, was er konnte – als Gastredner hielt er noch einmal ein Plädoyer für Kirch. Es hat sich gelohnt (…) Wie explosiv der Millionendeal war, wussten beide Seiten von Anfang an. Kirch und der FC Bayern verständigten sich auf eine Geheimhaltungsverpflichtung, die mehr als eine halbe Seite füllte. Demnach war der Vertrag auch intern nur Mitarbeitern der obersten Entscheidungsträgerebene zugänglich zu machen. Über Abschluss und Inhalt galt striktes Stillschweigen- sogar über die Laufzeit dieser Vereinbarung hinaus.“
Joachim Mölter (FAZ 24.3.) meint dazu. „Auf dem Spielfeld sind die Münchner eine Macht, und die wollen sie nun auch in der Affäre um ihren Geheimvertrag mit der Medien-Gruppe von Leo Kirch ausspielen. Die Entscheidung der Deutschen Fußball Liga über Sanktionen gegen den Rekordmeister wird in dieser Woche erwartet, Bayerns Aufsichtsratschef Franz Beckenbauer sowie Vorstandsboß Rummenigge haben schon kundgetan, welche Strafe der Klub zu akzeptieren bereit ist, nämlich keine. Ich sehe kein Statut, gegen das wir verstoßen haben, sagte Rummenigge am Samstag. Beckenbauer warnte vorsichtshalber, daß die Bundesliga mal schauen soll, wie sie ohne uns weitermachen will. Dann melden wir uns in Italien an und spielen gegen Juventus, Milan und Rom. Der FC Bayern München als FC Bavarese Monaco in der Serie A? Forza Franze! Denn in seiner neuesten Ausgabe enthüllt das Nachrichtenmagazin Der Spiegel Details des Vertrages mit der Kirch-Gruppe, die weit über das hinausgehen, was Rummenigge unlängst eingeräumt hatte, nämlich daß es bei dem Ende 1999 abgeschlossenen und mit letztlich 21 Millionen Euro honorierten Deal bloß um Rechte für Pay-per-View-Übertragungen gegangen sei. Der Spiegel zitiert Passagen, die den Schluß nahelegen, daß der FC Bayern in Sachen zentraler Fernsehvermarktung der Bundesliga als bezahlter Lobbyist zugunsten der Kirch-Gruppe aufgetreten ist. So heiße es in dem Kontrakt, der Klub solle sich auch weiterhin dafür einsetzen und dabei mithelfen, daß die zentrale Vermarktung sämtlicher TV-Rechte aufrechterhalten bleibt (…), und insoweit auch auf die anderen Bundesligavereine einwirken. Zudem soll sich der Kirch-Konzern ausbedungen haben, daß die Fernsehrechte nur an Unternehmen vergeben werden, an denen er die Mehrheit besitzt. Wie auch immer das Urteil der DFL-Juristen ausfallen wird: Die Flecken auf dem einst reinen Image der ach so gemeinnützigen Münchner kriegt selbst der Weiße Riese mit der stärksten Waschmaschine nicht mehr raus. Aber der Monaco-Franze wird sich und seinen Klub ganz sicher auch aus dieser Lage herausreden.“
Ralf Wiegand (SZ 24.3.) skizziert das Anforderungsprofil eines Fußballtrainers in Notlage. „Kühl angeeignetes Wissen reicht nicht mehr, es braucht nun Intuition und Erfahrung, Weitsicht und den Rückgriff auf vergangene Krisen. Dazu sollte man schon mal welche erlebt und überstanden haben. Im Fußball ist die Ausbildung von neuem Führungspersonal doppelt schwer, denn die Phasen dauerhaften Wohlstands gibt es hier noch weniger als im wirklichen Leben. Das Element eines Fußballvereins ist die raue See. Da sind Leuchttürme gefragt, Männer, klar und unverfälscht. Es reicht nicht, so groß zu sein wie Frank Neubarth, um aus der Masse herauszuragen, wenn man gleichzeitig ein kleines Räuchermännchen neben sich braucht, damit man nicht umfällt. Bei Schalke ist es längst zur Hauptaufgabe des Managers Rudi Assauer geworden, den Trainer zu verteidigen, was den langen Kerl auf die Größe eines womöglich talentierten Auszubildenden schrumpfen lässt, und dessen Autorität gleich mit. Thomas Hörster muss ebenfalls durch den Sturm gelenkt werden, antstatt selbst die Richtung anzugeben; Peter Pacult wurde deshalb bereits in die österreichische Trainerschule zurück geschickt. Sogar Thomas Schaaf bleibt ein Anfänger, so lange er unbeschreibliche Niedergänge wie den von Werder nicht aufhalten kann. Das ist eine bittere Erfahrung für jene Klubs, die sich mutig der Verjüngung der Trainerszene angenommen haben. Fußballtrainer sind Exoten, gute Fußballtrainer gar wahre Perlen. Die kann man nur finden – machen kann man sie nicht.“
1. FC Kaiserslautern – Bayer Leverkusen 1:0
Zur Situation in Leverkusen heißt es bei Roland Zorn (FAZ 24.3.). „Daß der ewige Zweite aus der vorigen Saison längst nicht mehr der lichte Herausforderer der Bayern und der Dortmunder Borussia ist, daran mußten sich die Sympathisanten der ehemaligen Künstlerkolonne vom Rhein gewöhnen; daß Leverkusen inzwischen ein akuter Notfall ist, treibt nicht nur dem panisch anmutenden Nothelfer Reiner Calmund den Angstschweiß auf die Stirn. Wer den in sonnigen Zeiten jovialen Geschäftsführer dieser Tage sieht und reden hört, hat einen rundum verzweifelten Mann vor sich. Calmund kriegt derzeit selbst die Krise, kann sie aber augenscheinlich nicht meistern. Nach Niederlage bei den Roten Teufeln: rettender Engel gesucht – diese Annonce gab der entsetzte Hauptsponsor der Leverkusener am Wochenende in seiner inzwischen fast kultisch beachteten Anzeigenserie auf. Die Engel aber scheinen den nun schon Vorletzten der Bundesliga nicht zu mögen. So wie sich Bayer 04 auf der Jagd nach einem Titel in den Tagen des beinahe vollkommenen Glücks vergeblich nach himmlischem Beistand sehnte, so ungeschützt taumelt das Team nun dem Abgrund entgegen. Trainer Toppmöller mußte bereits gehen; Bayers Amateurtrainer Hörster darf, obwohl alles andere als überzeugend, bleiben – und zwischendrin wurschtelt aktionistisch Calmund. Der Mann, der den Erfolg von Bayer 04 immer auch persönlich nahm, steht inzwischen einsam wie Hörster mit seiner Mannschaft, seinen Fehleinkäufen, seinen Fehleinschätzungen da. Calmund ist acht Spieltage vor Ultimo schon einer der Absteiger des Jahres. Das bliebe er sogar, wenn sich die Leverkusener Mannschaft das Ärgste, den Gang in die zweite Liga, schließlich doch noch ersparen könnte.“
Günter Rohrbacher-List (taz 24.3.) meint dazu. „Wie sehr die Zeiten sich doch geändert haben für die Leverkusener, war leicht zu erkennen im Verhalten ihres Managers. Bei seinen letzten Besuchen auf Deutschlands höchstem Fußballberg war Rainer Calmund schon vor dem Spiel stets vergnügt und redselig vor die Presse getreten und hatte munter drauflos gedampfplaudert über die glänzende Zukunft des Werksclubs und dessen hehre Ziele. Davon konnte am Samstag keine Rede sein: Ganz allein und sehr nachdenklich stand Calli da vor einem der Fernsehmonitore und verfolgte Ausschnitte von der Vorabend-Zweitligapartie zwischen Aachen und Ahlen. Durchaus möglich, dass ihm dabei durch den Kopf gefahren ist, dass beide Teams bald schon Gegner der eigenen Elf werden könnten – in Liga zwei. Also: Wieder verloren. Die Niederlage tut sehr weh, fasste Thomas Hörster, der glücklose Trainer, das nach dem durchaus vermeidbaren Misserfolg zusammen. Hörster: Wir haben guten Fußball gespielt, waren überlegen und hatten auch nach dem Lauterer Führungstor unsere Chancen. Aber wir haben leider die Tore nicht gemacht. Nichts an dieser Analyse war falsch. Dann schweifte Hörsters Blick ab ins Leere, und in seinem Gesicht war die ganze Anspannung zu sehen, der Leverkusens Trainer derzeit ausgesetzt ist. Man sah: Auf dem Podium saß ein an sich und seiner Mannschaft zweifelnder, vielleicht schon verzweifelnder Trainer, den eine Frage umzutreiben schien: Auf was, um Himmels Willen, habe ich mich da nur eingelassen?“
Thomas Kilchenstein (FR 22.3.) hält einen Trainerwechsel für überfällig. „Nichts und niemand illustriert die derzeitige Malaise der Bayer-Elf besser als die Figur des Trainers. Wie soll einer eine Mannschaft stark reden, wenn just diese Mannschaft gerade gesehen hat, wie schwach ihr Coach im Fernsehen war? Thomas Hörster ist spröde, maulfaul, trocken wie ein Brötchen, er gehört zu den strahlungsarmen Durchschnittstypen, die in dieser auf- und überdrehten Kunstwelt des Fußballs eher belustigt zur Kenntnis genommen werden. Damit kann man im Erfolgsfall leben, doch Hörster hat keine Zeit mehr. Der ganze Rummel, die Last und die Verantwortung – das alles ist nicht seine Welt. Er fühlt sich wohler auf dem Trainingsplatz, wo er mit seinen knappen Anweisungen die Profis zum Laufen bringt. Doch das sieht ja kaum einer. Schnell wird der Daumen gesenkt, wenn einer keine gute Figur macht im Fernsehen oder die Sätze nach den Spielen, trotz intensiver Beratungen hinter verschlossenen Türen mit Pressesprecher und Manager, dürr und nichts sagend daherkommen. Oder einfach nur ungeschickt, etwa als Hörster, 46, verheiratet, ein Kind, die letzten drei Begegnungen in der Champions League stets als Test abtat wie irgendein belangloses Freundschaftsspiel gegen die Spvgg. Opladen. Nun mag es ja stimmen, dass Bayer andere Ziele hat, nur kommt so was nicht besonders gut an. Und irgendwie nimmt man dem braven Mann nicht ab, dass er die verunsicherte Mannschaft aus dem Abstiegsschlamassel herausführen kann. Zwar hat ihn Calmund vor Wochen auf seine Art geadelt, indem er Hörster als kleines Ekelpaket bezeichnet hat, doch auch dieser Schuh wirkt, wie die ganze Aufgabe, eine Nummer zu groß für den früheren Nationalspieler. Der harte Hund passt nicht zu dem Mann mit den freundlichen Augen, dem Holzfällerhemd und dem grauen Dreitagebart, er gilt als ehrlicher Arbeiter, als einer, der authentisch und glaubwürdig geblieben ist. Dabei wirkt Hörster heillos überfordert mit der Aufgabe, alles wieder zum Guten zu richten. Die Spieler müssen mit mir klarkommen, nicht ich mit ihnen, sagt Hörster, der Normalo. Das soll ganz sicher selbstbewusst klingen. Aber reicht das, um eine abgestürzte Spitzenmannschaft vor der zweiten Liga zu bewahren? Einer verunsicherten Mannschaft auf die Sprünge zu helfen, die mental immer noch nicht im Abstiegskampf angekommen ist? Reicht das, um von den Profis, die im vergangenen Jahr noch mit Real Madrid um die Krone stritten, überhaupt ernst genommen zu werden?“
Martin Hägele (SZ 24.3.) kann die Forderungen nach einem Trainerwechsel nachvollziehen. „Man muss kein Freund von Udo Lattek sein, dessen Rat, in dieser Extremsituation eine Alternative für Hörster zu suchen, Calmund und Co. bestimmt sehr schmerzen wird. Das Plädoyer Latteks und anderer Sonnatgs-Experten für „einen erfahrenen Mann, vor dem die Spieler stramm stehen“, macht dennoch Sinn. Denn die sportliche Krise bei Bayer ist hausgemacht. Und sie kann wohl nur von außen und mit einer Figur gelöst werden, die viel Selbstbewusstsein mitbringt. Ein erneuter Wechsel des Sportchefs wäre jedoch das öffentliche Zugeständnis der Bayer-Führung, bereits bei der Nachfolge von Klaus Toppmöller daneben gegriffen und die Situation verkannt zu haben. Die Herrschaften gerieten noch mehr in die Kritik, weswegen sie eisern zu Hörster stehen. „Hörster bleibt bis zum Saisonende. Wir stehen voll zu ihm“, sagte Reiner Calmund. Es wird ein langes Saisonende (…) Im Vergleich dazu steht den Fußballfreunden in der Pfalz ein fast schon angenehmer Frühling bevor. Nachdem der schwächste Auftritt der Rückrunde genügte, um nach acht Jahren wieder einmal den Angstgegner zu besiegen und diesem die gröbsten Sorgen gleich mitzugeben an den Rhein, widmen sich die Pfälzer am Betzenberg wieder der Aufarbeitung ihrer Finanzkrise. Die alten Vorstände Jürgen Friedrich, Gerhard Herzog und Robert Wieschemann müssen mit ihren Anwälten antanzen. Das Trio soll mit möglichst vielen Millionen einen Teil jenes Schadens persönlich kompensieren, der entstanden ist, weil diese Leute ihre Vereinsgeschäfte mehr als fahrlässig geführt haben. Andernfalls drohen Klagen und Prozesse.“
Jan Christian Müller (FR 24.3.) meint dagegen. “Am Sonntag hat Friedel Rausch beim DSF vor den beiden Phrasenschweinen gesessen und den Fernsehzuschauern leichthin erklärt, wie man eine Fußballmannschaft stark redet. Der Vortrag war auch als Kritik am Leverkusener Trainer Thomas Hörster gemeint, einem rechtschaffenen, eher humorlosen Mann mit reichlich Fußballsachverstand, aber wenig Charisma. Der alte Haudegen Rausch verbreitete dabei die Botschaft, ein rüstiger Rentner würde den leidgeprüften Bayer-Profis mit seiner unendlichen Erfahrung sicher besser helfen können als Grünschnabel Hörster. Leider hat niemand Rausch daran erinnert, wie es sich erst neulich, im Frühjahr 2001, in Frankfurt zugetragen hat: Da kam Rausch als vermeintlicher Retter zur Eintracht und ließ zur Begrüßung wissen: Einem alten Cowboy wie mir pinkelt man nicht in die Satteltasche. Mag ja sein, dass die Satteltasche trocken geblieben ist, doch die Eintracht war bald darauf ohne ersichtliche Gegenwehr abgestiegen. Die Gleichung: alter Cowboy = keine unangenehme Feuchtigkeit in der Satteltasche = fester Sitz im trockenen Sattel = Nichtabstieg ist damals zum Leidwesen der Frankfurter Fans und des Finanzvorstands in der Fußball-AG nicht aufgegangen.“
Peter Heß (FAZ 24.3.) urteilt scharf. „Bayer Leverkusen steigt ab. Zumindest, wenn Trainer Thomas Hörster und Geschäftsführer Reiner Calmund selbst daran glauben, was sie am Samstagnachmittag auf dem Betzenberg so erzählten und ihre Worte auch von den Spielern für bare Münze genommen werden. 0:1 verloren, auf den 17. Tabellenplatz abgerutscht, leisteten sich die beiden leitenden Angestellten eine eklatante Fehleinschätzung der Lage. Ob Abstiegsangst eine gewisse Blutleere oberhalb des Halses auslöst? Jedenfalls wagte Hörster als Spielanalyse anzubieten: Kein Vorwurf an die Mannschaft. Sie hat gut gespielt. Calmund behauptete: Wir hatten mehr Spielanteile, die besseren Torchancen, Taktik und Disziplin haben gestimmt. Mit dieser Aufzählung wollte er die Arbeit des Trainers würdigen und dessen Kritiker in den Medien widerlegen. Der Trainer ist das kleinste Problem, meinte Calmund. Doch der zum Glück meist schweigsame Essener lieferte allen Argumente, die ihn für eine Fehlbesetzung halten: Viele glaubten, wir hätten nicht die mentalen Voraussetzungen, um im Abstiegskampf zu bestehen. Wir haben heute das Gegenteil bewiesen. Wenn seine Profis sein Gedankengut übernehmen und einfach so weitermachen, können sie schon mal in ihren Unterlagen nachschauen, ob ihr Vertrag auch für die Zweite Liga gilt. Was war im Fritz-Walter-Stadion wirklich geschehen? Da hatten sich zwei gleich schlechte Fußballmannschaften gegenüber gestanden, die Tritt für Tritt belegten, wieso sie in dieser Saison so kräftig um den Klassenverbleib zittern müssen. Fast immer bemüht, ihre Aufgaben zu erfüllen, hätten vor Jahrzehnten Personalchefs bösartig ins Zeugnis geschrieben, wenn ihnen Mitarbeiter solche Leistungen angeboten hätten. Rennen, grätschen, passen, schießen: Die Bemühungen trugen das Scheitern schon in sich.“
Gerd Schneider (FAZ 22.3.) porträtiert den Schweizer Spielmacher in den Lauterer Reihen. „Ciriaco Sforza war immer Außenseiter, und er ist es bis heute geblieben. Ein Fremdkörper, gerade in der Pfalz, wo sie hemdsärmelige Typen lieben. Typen wie Erik Gerets. Daß sie dem früheren belgischen Nationalspieler am Anfang reserviert gegenüberstanden, lag auch daran, daß er allzu lange am vermeintlichen Führungsspieler Sforza festhielt. Selbst dann, als der Stern des Klubs im Spätherbst immer tiefer sank und der Schweizer so desinteressiert seiner Arbeit nachging, daß ihn selbst die Lokalpresse verriß. Ein Alibi-Kicker, schrieb die Rheinpfalz auf dem Höhepunkt der Lauterer Krise und nannte Sforza Deutschlands höchstbezahlten Spaziergänger. Jetzt, da es sportlich wieder aufwärtsgeht mit dem 1. FC Kaiserslautern und mit Sforza, haben sie den aufrechten Gerets längst aufgenommen in die Pfälzer Fußball-Familie. Sie bewundern ihn dafür, daß er es geschafft hat, selbst den machtbewußten Sonderling aus der Schweiz domestiziert zu haben. Gerets selbst sagt gewohnt unaufgeregt dazu, er habe ja keine andere Wahl gehabt. Ausgerechnet im ersten Spiel nach der Winterpause, das die Wende zum Guten einleiten sollte, leistete sich Sforza einen Fauxpas, der an Arbeitsverweigerung grenzte. Im Zusammenspiel mit Basler ignorierte er eine taktische Anweisung seines Trainers, die Partie ging 1:2 verloren, und erst dann griff Gerets durch. Er setzte beide auf die Bank. Sforza selbst hält die Geschichte von der Widerspenstigen Zähmung für kompletten Unsinn. Da wird viel erfunden, sagt er. Seine Version lautet so: Er sei in der Vorrunde wegen verschiedener Krankheiten und Verletzung nicht fit gewesen. Und irgendwann habe der Trainer eben ein Zeichen setzen müssen: Immerhin räumt er ein, daß ihm die vorübergehende Degradierung vom Führungs- zum Ergänzungsspieler gutgetan hat.“
FC Schalke – 1860 München 1:1
Philipp Selldorf (SZ 24.3.) beschreibt die Stimmung im Stadion. „Für die Fans des FC Schalke 04 endet in dieser Saison der schönste Teil des Stadionbesuchs meistens schon mit dem Anpfiff. Bis dahin allerdings ist es herrlich. Wie am Samstag, als der Sonnenschein einer himmlischen Erleuchtung gleich auf die in blau und weiß getauchte Fankurve fiel, während der Rest der Ränge im Schatten lag. Auch die alten Riten entfalteten da noch ihre Wirkung: Der Stadionsprecher verliest die Besetzungsliste von der Nummer eins – Frank Rost – bis zur Nummer 22 – Victor Agali –, und das Publikum akklamiert in freudiger Erregung. Der Höhepunkt wird erreicht, wenn dann die Spieler zu Status Quos „Whatever you want“ auf das Feld marschieren. Dieses Lied von vorvorgestern hat man hier effektvoll seiner überflüssigen Elemente entkleidet, so dass allein die Gitarrenakkorde bleiben, die in einer Art Endlosschleife durch die Arena hämmern. Dann kommt der Anpfiff, und bald versinkt das Volk in ein Schweigen aus Angst und Apathie. Und am Ende, wie jetzt nach dem 1:1 gegen den TSV 1860 München, müssen die Schalker Spieler sogar darüber noch froh sein. Schon beim Schlusszeichen des Schiedsrichters war das zuvor mit 60.686 Zuschauern prachtvoll gefüllte Stadion halb leer, und als ein Quartett von Schalker Profis zur Danksagungsrunde startete, da nahmen nur noch vereinzelte Grüppchen die symbolhaften Annäherungen von Rost und Böhme, van Hoogdalem und Asamoah ab. Manche pfiffen, wofür Andreas Möller Verständnis zeigte. „Die Fans haben genug mit uns gelitten“, sagte er. Genauer wäre: An uns gelitten. Schon die erste Halbzeit war eine einzige Attacke auf die Volksseele.“
Andreas Morbach (FR 24.3.). “Wenigstens die Horde Halbwüchsiger hatte ihren Spaß. Strategisch glänzend postiert standen die Schalker Jungs am Ende der Rolltreppe, die die einheimischen Fußballer aus den Tiefen ihres Stadions ans Tageslicht trägt. Die Teenager waren bestens informiert über die jüngsten Skandälchen: Jörg Böhme und Frank Rost, die sich auf einer Party geprügelt hatten, ließen sie mit einem wissenden Grinsen passieren. Nicht so Tomasz Hajto: Als der Pole, im Zusammenhang mit Zigarettenschmuggel neulich bei der Polizei, ankam, baten sie ihn um eine Kippe. Als alle Schalker Fußballer durch waren, ging der Spaß dank des Fernsehers über ihren Köpfen weiter: Denn da lief, immer wieder, die Szene, die Trainer Frank Neubarth kurz zuvor sehr treffend als symptomatisch für unsere Situation bezeichnet hatte: Marco van Hoogdalems Rückgabe von der Seitenauslinie auf seinen Torhüter Rost an der Torauslinie, Höhe Fünfmeterraum – der Slapstick des Tages, das Zuspiel für alle anstehenden Saisonrückblicke, das Eigentor des Jahres.“
Richard Leipold (FAZ 24.3.) berichtet die Szene des Spieltags. “Der Jubilar hatte sich sein 150. Bundesligaspiel anders vorgestellt. Marco van Hoogdalem avancierte zum Hauptdarsteller der Tragikomödie, die der FC Schalke 04 am Samstag auf der großen Bühne des Gelsenkirchener Fußballtheaters aufführte. Beim 1:1 gegen den TSV München 1860 schoß der Niederländer eines der kuriosesten Eigentore der Bundesligageschichte. Etwa zwanzig Meter vom eigenen Tor entfernt wollte er den Ball aus spitzem Winkel zu Schlußmann Frank Rost zurückpassen. Der Torhüter hatte den Schützen unmittelbar zuvor angespielt, in der Erwartung, der Mitstreiter werde mit dem Ball schon irgend etwas anzufangen wissen. Ein kapitaler Irrtum. Van Hoogdalem gilt als Vorbild, wenn es um taktische Disziplin geht, aber er ist bestimmt kein brillanter Techniker. Statt auf Nummer Sicher zu gehen, hielt der Abwehrspieler einen weiteren Rückpaß Richtung Rost für das beste Mittel, sich des Balles zu entledigen. Damit hatte Rost nicht gerechnet, nicht rechnen können. Er stand schräg versetzt neben dem Tor und beobachtete verdutzt, wie der Ball hineinrollte. Die komische Koproduktion brachte Schalke in der ausverkauften Arena um den Sieg, der nach Emile Mpenzas Führungstreffer möglich, wenn auch mit Blick auf die Zahl der Chancen nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Der Ball ist unglücklich versprungen, sagte van Hoogdalem. Ich habe gedacht, das gibt’s doch nicht. Wieder ein Irrtum. In Schalke gibt es derzeit nichts, was es nicht gibt. Alles, was schiefgehen kann, geht schief. Fast alles: Hätte der Münchner Stürmer Martin Max in der Schlußminute die einzige große Chance der ereignislosen zweiten Halbzeit genutzt, wären die Einheimischen noch härter getroffen worden. Im Ergebnis kamen die Schalker aber mit einem dicken königsblauen Auge davon. Für Unbeteiligte mag das kuriose Eigentor den sonst mäßigen Unterhaltungswert der Partie ein wenig gesteigert haben – für die Schalker spiegelte sich in dieser Slapstick-Einlage die seltsame Mischung aus Unvermögen und Pech, die seit Wochen das emsige wie erfolglose Bemühen der Profis kennzeichnet.“
Martin Teigeler (taz 24.3.) vermisst ein Statement des Schalöke-Managers. „Rudi Assauer wollte nach Spielende nichts sagen. Fluchtartig verließ er die Presseräumlichkeiten und verzichtete auf die übliche Pro-Neubarth-Rede. Alles Wesentliche hatte der Gelsenkirchener Manager schon vor Spielbeginn mitgeteilt. Es ist nie leicht, jemandem zu sagen, dass es nicht mehr weitergeht, schrieb Assauer in der Vereinspostille Schalker Kreisel. In seiner Bilanz nach zehn Jahren als S04-Macher räsonierte er über vergangene Trainerentlassungen. Manchmal muss man es tun, so der Manager vieldeutig. Interpretationsspielraum gibt es auf Schalke immer nur von Assauers Gnaden.“
Interview mit Assauer Tsp
Christoph Biermann (SZ 22.3.) analysiert die Lage in Schalke. „Genau der für Schalke typische Zusammenhalt ist erstmals seit Jahren brüchig, und der Leiter der Lizenzspielerabteilung Andreas Müller fragt sich schon, ob es „eine generelle Entwicklung ist, dass jeder nur versucht, seine eigene Haut zu retten“. llerdings drückt sich dieser Egoismus nicht in Passivität oder Verweigerung aus. Mangelnden kämpferischen Einsatz kann man dem Team kaum vorwerfen, Trainer Frank Neubarth sorgt sich im Gegenteil eher darum, dass seine Spieler „zu schnell heiß laufen“. Ausdruck des Überdrehens sind wilde Egotrips auf dem Platz, taktische Undiszipliniertheiten und sieben Platzverweise in dieser Saison. „Vielleicht war es unser Fehler, dass wir zu lange darauf gehofft haben, die Mannschaft regelt das intern“, sagt Müller. Seitdem die Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte geschwunden ist, hagelt es Geldstrafen, die auch nicht mehr der Mannschaftskasse, sondern einem karitativen Zweck zugute kommen. „Damit die sich hinterher nicht noch einen netten Abend damit machen“, wie Manager Rudi Assauer sagt. Damit signalisiert die Führung des Klubs eine grundsätzlich veränderte Haltung, zu der die Ankündigung passt, beim Verfehlen eines internationalen Platzes Prämien und Sonderzahlungen zu reduzieren. Der deutliche Kurswechsel soll auch den Trainer schützen. Die Pfiffe der Fans gegenüber Neubarth hält Assauer für „nicht schalkewürdig“, und Müller ärgert es, dass „hier so schnell der Kahlschlag gefordert wird“. So will die Führung des Klubs zwar erklärtermaßen auch die Spieler vor dem Unmut der Öffentlichkeit schützen, stellt sie durch die Sanktionen aber ebenso als Verantwortliche der Krise heraus. Betroffen von den Strafen sind die Spieler, die zuletzt vom Platz flogen, aber auch Torhüter Frank Rost, „weil er den Trainer vor der Mannschaft an die Wand genagelt hat“, wie Müller sagt. Das wurde auch noch publik, weil es ein Spieler ausplauderte, was ins düstere Bild passt. „Vielleicht haben wir zu viel Heißsporne in der Mannschaft“, sagt Müller. Der überambitionierte Keeper Rost gehört dazu, auch die reizbaren Christian Poulsen und Victor Agali. Und dann ist da noch Jörg Böhme.“
Borussia Mönchengladbach – Hamburger SV 2:0
Zum Auftritt der Heimmannschaft lesen wir von Christoph Biermann (SZ 24.3.). „Nach 99 Spielen in der Zweiten und Ersten Liga erzielte der brasilianische Verteidiger Marcelo Pletsch seinen ersten Treffer für Gladbach. Etwas kryptisch wurde er daraufhin vom Stadionsprecher als „schönste Bratwurst von Mönchengladbach“ annonciert. Nach der Pleite in Bielefeld hatte Pletsch gesagt, die Borussen würden auswärts „wie die Bratwürste“ auftreten. Dafür meinte er nun im Überschwang des Erfolges: „Aber im eigenen Stadion spielen wir wie die Weltmeister.“ Bei Aufrechterhaltung der kulinarischen Metaphorik und mit etwas weniger Überschwang wäre der Auftritt gegen den HSV jedoch eher mit einem ordentlichen Schweinebraten zu vergleichen. Sättigend aber ohne große Finesse war die Leistung der Gastgeber, bei der nur wenige Spieler etwas abfielen und niemand herauszuheben war. Auch Marcel Ketelaer spielte nicht so gut, wie er vom Publikum gefeiert wurde. Doch immerhin leitete Ketelaer, der dem Hamburger SV noch gehört und nach Gladbach ausgeliehen wurde, beide Tore ein.“
Jörg Stratmann (FAZ 24.3.) meint dazu. „So herrschte also vor 30.500 Zuschauern auf dem Bökelberg zumindest bei der Borussia Wohlgefallen nach einem Arbeitstag, den beide Parteien eigentlich gar nicht hatten stattfinden lassen wollen. Bevor die Deutsche Fußball-Liga (DFL) nach einer morgendlichen Umfrage unter den Heimvereinen trotz des Irak-Krieges an diesem 26. Spieltag der Bundesliga festhielt, waren vor allem der HSV-Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann und Lienen mit gegenteiliger Ansicht hervorgetreten. Wir sind der Meinung, daß der Spieltag abgesagt werden muß, erklärte Hoffmann, während Lienen zumindest kein Hehl aus seiner Unlust gemacht hatte, in diesen Tagen zu Ablenkung und Unterhaltung beizutragen. Das wollte der prinzipientreue Mann nicht als Reflex auf seine Haltung aus Tagen verstanden wissen, als er selbst noch als Profi prominentes und aktives Mitglied der Friedensbewegung gewesen war. Ihm gehe es jetzt wie Millionen von Menschen, die mitten im Arbeitsprozeß steckten, und überall geht es einfach weiter. Einerseits sehe er sich selbst ebenso überfordert, jetzt ein Patentrezept zu präsentieren. Andererseits fühle er diese unglaubliche Enttäuschung, daß so etwas in der heutigen Zeit möglich sei und daß unser Tun auch mal seinen Sinn verliert, wenn wir dem Ball nachjagen, während andere Menschen ihr Leben im Krieg lassen. Wer sich das ins Bewußtsein rufe, müsse eigentlich jetzt aufhören. Doch dann beließ er es bei einem Verzicht, vor diesem Samstag über Fußball zu sprechen. Es reicht schon, daß wir am Wochenende spielen. Einmal auf dem Platz angelangt, ging dann auch er seinem Tagwerk nach wie immer. Schnell legte er sich mit dem vierten Schiedsrichter Peter Henes an, der Lienens allzu temperamentvolles Coachen bemängelt hatte. Dann freute er sich ebenso erleichtert wie alle Mitarbeiter über den Sieg. Und schließlich verabschiedete er sich von der Fantribüne winkend, klatschend und lachend wie zwei Wochen zuvor nach seinem Einstandserfolg gegen Dortmund. Zu diesem Gefühl trug vor allem bei, daß seine Profis die deutlichen Worte dieser Woche angenommen und sich gegenüber der laschen Arbeitshaltung beim 1:4 vor einer Woche in Bielefeld deutlich gesteigert hatten.“
Arminia Bielefeld – Borussia Dortmund 0:0
Peter Penders (FAZ 24.3.) analysiert die Leistung des Deutschen Meisters. „Am Mittwoch noch gegen Redondo, Rui Costa und Rivaldo, am Samstag nun gegen Dabrowski, Kauf und Vata? Ist doch egal, wird am Fußball-Stammtisch gerne philosophiert, Spiel ist Spiel, und wer beim AC Mailand gewinnt, kann das doch wohl auch bei einem Bundesliganeuling wie Arminia Bielefeld schaffen. Weisheiten wie diese lassen Fußball-Trainer gerne den Kopf schütteln, und einer hatte es ja schon vor mehr als fünfzig Jahren auf den Punkt gebracht. Das nächste Spiel ist immer das schwerste, sagte einst Sepp Herberger und wurde nie widerlegt. Auch einer seiner Urenkel auf der Trainerbank behielt recht. Die Partie in Bielefeld wird schwerer als die in Mailand, hatte Matthias Sammer prophezeit und durfte sich nach dem 0:0 bestätigt sehen. Selbstläufer sind Bundesligaspiele schließlich nie, wenn sich der Gegner wehrt. Die Arminia ist ja keine Topfentruppe, sagte Sammer, was alleine schon die gute Bilanz des Neulings gegen die Mannschaften aus den oberen Regionen der Tabelle deutlich bestätigt. Unentschieden in Berlin, Gelsenkirchen und Bremen, jeweils Punktgewinne daheim gegen die Bayern und nun gegen Dortmund – diese Bielefelder sind zwar mittlerweile ein lästiger Gegner in der Bundesliga geworden, werden aber trotzdem von der Öffentlichkeit irgendwie immer noch nicht besonders ernst genommen. In Mailand also gewonnen, in Bielefeld nicht?“
Über die Reaktionen der Dortmunder lesen wir von Dirk Graalmann (SZ 24.3.). „Den Dortmundern bleibt nun, vor der Länderspielpause, der schüchterne Verweis auf die Bayern, deren fehlende Doppelbelastung sich schließlich auch positiv ausgewirkt habe in der Liga: „In den nächsten Wochen werden wir wieder ganz anders auftreten“, versprach Sebastian Kehl. Nur, dass sich die Dortmunder Neigung, sich auswärts so wenig zwingend zu präsentieren, kaum auf die gern angeführte Terminhatz zurückführen lässt. Das, sagte Kehl, „werden wir intern klären“. Es ist ein wackliges Fundament, das sich die Dortmunder da zurechtgezimmert haben angesichts schwäbischer Konkurrenz um Rang zwei, das erklärte Minimalziel der Borussen. Da beruhigt man sich schon mal mit der Vergangenheit: „Im letzten Jahr haben wir auch nicht besser gespielt, aber 1:0 gewonnen und waren dann die beste Auswärtself“, resümierte Metzelder. Die Realität aber ist grau: „So ein Auftritt ist für Platz zwei zu wenig“, erkannte Rosicky, der immerhin nach mehrwöchiger Verletzungspause sein Comeback gab. Vielleicht schließen sich die Dortmunder am besten der Meinung von Trainer Matthias Sammer an, der die letzten Auswärtsleistungen umfassend analysierte: „In Stuttgart haben wir auf einem Acker gespielt, in Berlin war überhaupt kein Gras mehr, in Gladbach sind wir im Moor versunken und der Platz hier war auch ’ne Katastrophe.“ Fußball kann so einfach sein.“
Werder Bremen – Hannover 96 1:2
Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 24.3.) ist von Bremen enttäuscht. „Wenigstens einen kreativen Einfall hatten sie bei Werder Bremen, der beim Publikum ankam. Es war nur eine Geste, als Bremer Kinder an der Hand von Fußballprofis 99 weiße Lufballons in den über dem Weserstadion wolkenlosen Himmel steigen ließen. Der Stadionsprecher bat um eine Minute der Ruhe, und die Menge hielt tatsächlich inne. Da war doch was. Eine Anspielung auf den Hit von Nena mit den 99 Luftballons, den Generälen, dem musikalisch so eingängigen Appell zum Frieden. In einer Stadt wie Bremen, in der es in vielen Fenstern und so manchem Vorgarten einen Hinweis auf den Krieg im Irak gibt, hatten sie bei Werder das Gefühl, irgend etwas tun zu müssen, ehe zur Tagesordnung Bundesliga-Fußball übergegangen wurde. Irgend etwas machen. Dieses Gefühl der Ohnmacht, den Lauf der Dinge verändern zu wollen, ohne es letztlich zu können, haben sie neuerdings in Bremen, sobald es um den SV Werder geht. Das 1:2 im Nordderby gegen Hannover 96 bedeutete zugleich die siebte Niederlage im neunten Spiel dieses Jahres. Von den Niedersachsen trennen die Hanseaten gerade mal fünf Punkte. Und die kämpfen gegen den Abstieg. Der Puffer nach unten könnte nach den beiden kommenden Partien bei Borussia Dortmund und Bayern München aufgebraucht sein. Aus dem Frust, nach glänzender Hinrunde nicht besser dazustehen, könnte schnell die Angst werden, gen Abstiegszone durchgereicht zu werden. Panik verträgt sich nicht mit dem Lebensgefühl an der Weser. Sie bleiben gelassen, aber es ist schon gekränkter Stolz herauszuhören, wenn es am Ende der Saison dahin kommen sollte, daß der einstige Marktführer des Nordens hinter den HSV und sogar Aufsteiger Hannover 96 zurückfällt.“
Laut Jörg Marwedel (SZ 24.3.) kommentiert die Bremer Krise. „Man kennt das in Bremen: Immer wenn es schlecht steht um den SV Werder, führen sie auf der Videowand im Weserstadion Bilder aus großen Zeiten vor, grün-weiße Männer mit Meisterschale, DFB- und Europapokal. Und am Schluss ist die Sehnsucht nach der heilen Werder-Welt stärker denn je. Denn die existiert nur noch in der Erinnerung. Und in schönen Worten, wie sie von Jürgen L. Born fand. „Thomas und Klaus“, sagte der Vorsitzende, „gehören zu uns wie Schwein und Schwanz.“ Ein launiger Satz, der dem Trainer Thomas Schaaf und dem Sportdirektor Klaus Allofs Solidarität versprach. Allerdings kann sich Born nach dem 1:2 der Bremer in einem sehr schwachen Nordderby gegen Hannover96 nicht mehr des ungeteilten Beifalls dafür sicher sein. Im Gegenteil: Sieben Niederlagen in neun Rückrunden-Spielen haben Zweifel der internen Kritiker an der bislang erfolgreichen sportlichen Führung geschürt. Im Hintergrund soll eine Gruppe um die Aufsichtsräte Jörg Wontorra und Willi Lemke längst an Alternativen basteln. Die anstehende Vertragsverlängerung mit Allofs gilt nicht mehr als Selbstgänger.“
Paul von Engeln (FR 24.3.) meint dazu. „Nichts geht mehr. Die Welt des SV Werder ist völlig aus den Fugen geraten, und nur wegen seiner unbestritten großen Verdienste ist der Trainer Thomas Schaaf immer noch im Amt. (Und weil der Club sich eine teure Abfindung kaum leisten könnte). Gegen Hannover 96 erzielte der von den Amateuren geholte Christian Schulz die beste Zweikampf-Quote. Aber ob nun der Ersatz-Ersatzmann Schulz oder die diesmal allesamt gesperrten Micoud, Lisztes, Ernst oder Skripnik auflaufen, das Ergebnis ist seit Januar (fast) immer gleich: Werder verliert, und zwar gegen einen an sich harmlosen Gegner. Das 1:2 gegen Hannover komplettierte eine desaströse Bilanz nach der Winterpause: Von möglichen 27 Punkten holte Werder vier. Jedes Mal ist es ein anderes Problem. Mal allgemeines Pech, mal Ailtons Ins-Abseits-Gerenne, mal Micouds Krise, mal ins Leere springende Torhüter, mal der fehlende Kampfgeist. Dies Mal rein handwerkliche Mängel. Daran müssen wir arbeiten, sagen sie dann jedes Mal und der eine oder andere erschrickt: Woran haben sie denn in den letzten Monaten und Jahren gearbeitet? Zum Beispiel doch wohl daran, dass bei einer schlichten Flanke von links der einzige im Strafraum befindliche Stürmer zu bewachen ist. Dennoch konnte Fredi Bobic weitgehend unbehelligt zum Kopfball hochsteigen und Hannovers erste Chance zum 1:1 nutzen. Bis dato hatten die Niedersachsen derart gerumpelt, dass Trainer Ralf Rangnick zur Pause mit der Botschaft in die Kabine stürmte: Jungs, eine solch schlechte erste Halbzeit habt ihr noch nie gespielt! Für Werder hat’s trotzdem gereicht.“
Bayern München – Hansa Rostock 1:0
In den Augen von Josef Kelnberger (SZ 24.3.) war Nico Kovac der Spieler des Spiels. „Der Kroate hatte ein Solo von Willy Sagnol mit einem phänomenalen Pass auf Zé Roberto zur Vollendung geführt. Figuren wie Kovac, der wie mit Düsenantrieb durchs Mittelfeld zischte, sind es vermutlich, die in den Gegnern den Verdacht nähren, Niederlagen gegen den FCBayern seien von schicksalhafter Zwangsläufigkeit. Wenn Ballack, Deisler, Scholl, Jeremies fehlen, entscheidet eben einer aus der vermeintlich dritten Reihe das Spiel. Mit einem Lächeln unter einer windschiefen Nase stand Niko Kovac hinterher Rede und Antwort. Keine Ahnung, sagte er, welcher Rostocker ihm mit seinem Ellbogen kurz vor der Pause die Nase gebrochen hatte. Auch keine Ahnung, wie oft sie nun schon gebrochen ist, er habe aufgehört zu zählen. Eine grundlegende Schönheitsoperation werde er erst nach seiner Karriere in Erwägung ziehen, sagte Kovac. Er pflegt seine Supernase als Markenzeichen. Heute, Montag, wird der Bruch notdürftig repariert, am Dienstag will Kovac zu den Länderspielen gegen Belgien und Andorra reisen und hinterher beim FC Bayern die Welle weiter reiten, die ihn unverhofft nach oben gespült hat. Fast hat man schon vergessen, dass er zur gehobenen internationalen Klasse zählte, als er vor zwei Jahren vom HSV zu den Bayern stieß. Bruder Robert, aus Leverkusen gekommen, hat sich zum gefeierten Abwehrchef gemausert. Niko, 31, dagegen erscheint immer wieder auf Verkaufslisten. Beim 4:1 in Bochum vor einer Woche gelang ihm sein erstes Saisontor, am Samstag glänzte er als Antreiber, Fernschütze, Passgeber – und wenn die Stars zurück sind, wird er wieder ins zweite Glied rücken. Niko Kovac spielt eben seine Rolle auf dem Supertanker FC Bayern.“
Lesenswert! Interview mit Ottmar Hitzfeld (bleibt nur die Frage: Warum hat man den Bayern-Trainer nicht auf seine Meinung über den Kirch-Vertrag angesprochen? Hat er sich das verbeten?) SZ
VfL Wolfsburg – VfL Bochum 2:0
Spielbericht FR
Hertha Berlin – Energie Cottbus 3:1
Spielbericht BLZ
Portrait Marko Topic (Energie Cottbus) BLZ
VfB Stuttgart – 1. FC Nürnberg 0:2
Spielbericht SZ
Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Zuschauerzahlen – Torschützen – Tabellen NZZ
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Peter Neururer
Felix Meininghaus (FR 3.4.) porträtiert den Trainer des VfL Bochum, der vor einem halben Jahr einmal im Spiegel als „Tribun der Fankurve“ verhöhnt wurde. „Es gibt in der Branche kaum einen unterhaltsameren Gesprächspartner als den Fußballlehrer Peter Neururer. Der Mann ist schlagfertig, ironisch und kann bissig sein. Nur bei einem Thema, versteht der Herr Neururer überhaupt keinen Spaß: Wenn es um das geht, was sich im Jargon der Szene als der so genannte Neururer-Effekt etabliert hat. Dann wird der Mann auf der Bank des Bundesligisten VfL Bochum richtig fuchsig. Dieser Trainer, so wird immer wieder kolportiert, könne eine Mannschaft zwar kurzfristig zu Höchstleistungen pushen, genauso steil – so die gängige Meinung – würde die Formkurve danach jedoch abfallen. Wenn der VfL-Trainer mit diesem angeblichen Automatismus konfrontiert wird, ist es vorbei mit der guten Laune. Dann holt der 47-Jährige weit aus und hält einen langen Monolog. Er erzählt von seinen Trainerstationen in Essen, Aachen, Schalke, Köln und Ahlen. Unter welchen Umständen er gearbeitet hat und entlassen wurde, wie ganz und gar ungerechtfertigt dieses Image ist, gegen das er seit Jahren erfolglos ankämpft. Neururer wird als erwiesener Fachmann in Sachen Fußball eingestuft, einer, der seinen Job mit Herzblut und Akribie ausübt. Sein Dilemma ist, dass ihn das Vorurteil vom temporären Wunderheiler immer wieder einholt. Neururer hat den VfL Bochum in der vergangenen Saison in der zweiten Liga in aussichtsloser Lage übernommen und in die Bundesliga geführt. In der Hinrunde dieser Spielzeit hat die Mannschaft phasenweise Zauberfußball gespielt und ist in Tabellenregionen vorgedrungen, die für die großen Vereine reserviert schienen. Der VfL wurde als bester Aufsteiger mit Lob überschüttet, die Schreiber vom Boulevard feierten den Mann auf der Bank als Peter der Große. Mittlerweile hat der Große längst wieder Normalmaß.“
Neururer passt in jeden Manta
Jörg Kramer (Spiegel 2.9.) schrieb über den Trainer des damaligen Tabellenführers. „Der oft belächelte Trainer Peter Neururer ist der Mann der Stunde im Bundesliga-Betrieb. Mit dem VfL Bochum schaffte er den Sprung aus der Zweitklassigkeit an die Tabellenspitze. Nutzt der Coach mit dem Leumund des Maulhelden seine wohl letzte Chance, ernst genommen zu werden? (…) Um seine Aufmachung schert er sich nicht. In den Perioden der Arbeitslosigkeit, die sich in seiner Karriere auf 66 Monate summieren, trug er manchmal tagelang einen blauen Bademantel. Mit seinen Goldkettchen, dem Schnauzbart und der bisweilen etwas gestrigen Langhaarfrisur passt Neururer in jeden Manta. Zugleich passt er, wenn er etwa bei der Aufstiegsfeier mit entblößter Brust über den Rasen stapft, jedoch auch auf jeden Stehplatz. Dank seiner natürlichen Kumpelhaftigkeit ist er in der Bundesliga so etwas wie der letzte bezahlte Pfleger der Proletenkultur. In einem Fußballfilm („Gib mich die Kirsche“) mimte Neururer den Wirt einer Dortmunder Fankneipe (…) Es ist wohl sein Glück und auch sein Pech, dass Neururer mit Beginn des Unterhaltungszeitalters im Fußball die Bühne betreten hat. Wo zunehmend der Entertainer im Trainer gefragt und gefördert wird, traut man Vielrednern wie ihm gleichzeitige fachliche Qualitäten nicht zu. Zumindest fallen sie nicht auf. Eher spröde Kollegen wie den Wolfsburger Wolfgang Wolf halten Nichteingeweihte automatisch für kompetent.“
Portrait Dieter Meinhold, neuer Vorstand des VfL Bochum SZ
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