indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

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Michael Roth

Obwohl Nürnbergs Präsident Michael Roth noch vor wenigen Wochen im Anschluss an ein Fan-Votum ankündigte, in dieser Saison keine Personalentscheidungen mehr treffen zu wollen („Notfalls gehen wir mit Klaus Augenthaler in die Zweite Liga“), halten sich Überraschung und Empörung in den Redaktionen in Frankfurt, München und Berlin über den spontanen Trainerrauswurf in Grenzen. Offenbar wirkt der Teppichhändler auf seine Mitmenschen derart unglaubwürdig, dass diese von vornherein der naiven Versuchung widerstehen, ihn an seinen Worten zu messen.

„Kein anderer deutscher Verein im bezahlten Fußball heuert und feuert seine Trainer so radikal, wie es der 1. FC Nürnberg unter der Ägide des Teppich-Moguls tut“, kritisiert Gerd Schneider (FAZ 2.5.) die Personalstrategie von Michael Adolf Roth. „Man kann darüber streiten, ob sich der knorrige Niederbayer als Startrainer beim Club der Namenlosen abgenutzt hat. Zuletzt leistete seine Mannschaft nicht einmal mehr passiven Widerstand. Es heißt, der einstige Weltklassespieler sei im Training immer öfter selbst am Ball gewesen. Damit soll er seine Profis, die bedauernswerten, bloßgestellt haben. Roth nahm diese Vorlage nun allzugern auf und begründete die Entlassung mit den vielzitierten Problemen zwischen Trainer und Mannschaft. In Wirklichkeit verstellen fadenscheinige Argumente wie diese den Blick auf die eigentlichen Ursachen für die Schwäche. Dem Low-Budget-Team, in dem Torhüter Darius Kampa als bekanntester Spieler gilt, fehlt es ganz einfach an Klasse, um sich in der Bundesliga dauerhaft zu behaupten. Warum der Club trotz günstiger Voraussetzungen nicht die Mittel für bessere Profis hat, das liegt in der Verantwortung der Vereinsführung. Gewiß hat der Traditionsverein unter Roth Altlasten in Millionenhöhe abgebaut. Doch daß allein sein Hang zum Feuern ein Vermögen gekostet hat, kann auch Roth nicht unter den Teppich kehren.“

Dahingegen versteht Thomas Kilchenstein (FR 2.5.) die Motive für den Rausschmiss, aber nicht den Zeitpunkt. „womöglich hat der oberste Clubberer, der Teppichhändler Roth, nun wirklich nicht für besondere Langmut bekannt, just in diesem Fall zu lange gezögert mit dem Trainerrausschmiss. Was soll der Neue, Wolfgang Wolf, kein klassischer Feuerwehrmann und auch nicht dafür bekannt, ein Ausbund an Motivationskraft zu sein, eigentlich vier Spieltage vor Ultimo bei vier Punkten Abstand auf einen Nichtabstiegsplatz noch bewirken? Nein, wenn denn ein Trainerwechsel Sinn gemacht hätte, dann schon Wochen vorher, als Roth nur auf Druck der Fans davon abgesehen hatte, dem unleidlichen Augenthaler den Stuhl vor die Tür zu setzen. Denn schon damals war der rapide Autoritätsverlust des Trainers erkennbar, war bekannt, dass der Freund des gepflegten Weizenbiers bisweilen Mannschaftssitzungen ausfallen ließ und sich ganz gern sarkastisch über seine zu betreuenden Kicker auszulassen pflegte. Ein anderes Mal hat er nur den Kopf geschüttelt, ja sie einfach ausgelacht, als sie hilf- und orientierungslos über den Platz gefußballert waren. Ohnehin gibt es ja viele, die der für kleines Geld zusammengestellten Elf die Bundesligatauglichkeit absprechen. Da wirkt es nicht sehr clever, wenn sich der eigene Trainer lustig macht übers Team. Nach der jüngsten Pleite gegen den HSV soll es dann im Mannschaftsbus zu einer ordentlichen Schreierei gekommen sein. Das Tischtuch war endgültig zerschnitten. Nun also Wolfgang Wolf, der neue Besen. So viel Temperament und Leidenschaft, berichteten Kiebitze vom ersten Training am Valznerweiher, habe man bei den Profis lange nicht mehr gesehen.“

Zu den Ursachen von Augenthalers Entlassung liest man von Volker Kreisl (SZ 2.5.). „Am Ende erwies sich die Macht der Anhänger als Illusion. Vor vier Wochen hatten ihre Sprechchöre Klaus Augenthaler noch im Amt gehalten, dann musste ihr Lieblingstrainer doch gehen, und was von der Rebellion übrig blieb, waren zwei hagere Fans am Trainingsgelände, die gegen den neuen Trainer Wolf protestierten und ein eher niedliches Transparent hoch hielten („Heiliger Krieg gegen Roth“). Der Präsident hatte sie vielleicht an der Nase herumgeführt, hatte vielleicht selber nicht gewusst, was er wollte, gescheitert waren die Fans und ihr Trainer aber am banalen Phänomen Misserfolg. Als Augenthaler vor drei Jahren gekommen war, hatte er die versteckten Möglichkeiten in Nürnberg gerühmt, das weite Trainingsgelände, die vielen Fans, die Tradition. Augenthaler galt als der Richtige, weil er früher viel Erfolg hatte und die Spieler sich an ihm aufrichten konnten. Zunächst hörten sie ihm auch wissbegierig zu und zeigten trotz mittleren Talents Ausreichendes für die Bundesliga. Doch dann kam der Zeitpunkt, an dem sich die Wirkung des Vorbilds offenbar ins Gegenteil verkehrte. Augenthaler zeigte seinen Spielern im Training, dass er selber noch besser schießen kann. Er distanzierte sich oft von deren schlechten Leistungen, die Spieler hörten manchmal, „heute hätte jeder ausgewechselt werden müssen“ und spielten danach noch mutloser.“

Hans Böller (FAZ 2.5.) berichtet. „Die Reaktion fiel branchenüblich aus: In der Nacht zum Mittwoch tagten Präsidium und Aufsichtsrat, am nächsten Morgen war der einstige fränkische Lieblingstrainer Augenthaler beurlaubt – und Wolfgang Wolf als Nachfolger schon bestellt. Mit neun zu null Stimmen hatte man sich gegen Augenthaler ausgesprochen; das Vormittagstraining leitete bereits der am 3. März in Wolfsburg entlassene Wolf, inerhalb von vier Stunden aus seinem Wohnort Braunschweig angereist. Beinahe, erzählte der Neue, hätte ich auf der Autobahn einen Unfall gebaut. Solche Dynamik hatte man zuletzt vermißt am Valznerweiher, wo sich der akribische Arbeiter Augenthaler zunehmend isoliert fühlte. Schon im Herbst, trotz einer erfolgreichen Hinrunde, hatten Aufsichtsräte ohne Not begonnen, an ihm herumzumäkeln, auch Roth kritisierte Taktik und Aufstellung.“

Tim Bartz (FTD 2.5.) glossiert. „Die Welt ist reich an Witzfiguren. Unangefochtener Spitzenreiter der Rangliste der größten Lachnummern ist derzeit natürlich Mohammed Said el Sahhaf. Saddams sympathischer Propagandachef machte einst seine Pressekonferenzen zu Happenings und leugnet wohl noch heute die Anwesenheit amerikanischer Panzer in Bagdad.. Was das mit der Bundesliga zu tun hat? Ganz einfach: Platz zwei hinter Sahhaf auf der nach unten offenen Blödmann-Skala wird souverän von Michael A. Roth verteidigt. Noch vor vier Tagen versicherte der Nürnberger Vereinsboss, dass „in dieser Saison personell garantiert nichts mehr passieren wird“, um nur zwei Tage später Trainer Klaus Augenthaler zu feuern – ein echter Sahhaf sozusagen.“

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Früher war es die Schweiz

Christoph Biermann (SZ 21.2.) fügt an. „Früher war es die Schweiz. Dort konnten berühmte Fußballer im Herbst ihrer Karriere vor sich hin kicken, Günter Netzer etwa bei Grasshopper Zürich. Gemütlich hatten sie es angesichts mäßiger Ambitionen, eines genügsamen Publikums und hübscher Alpenkulisse. Sie zehrten von altem Glanz und bekamen viel Geld, insgesamt eine herrliche Sache. Heute gibt es Wolfsburg. Dort fehlen zwar die Berge, dafür helfen großzügige Gehaltsschecks über plattes Land hinweg. Viele Zuschauer, die mit Wünschen nerven, stören auch nicht, allenfalls die Ambitionen eines Autokonzerns, der mit dem VfL Wolfsburg in die Champions League will (…) Mochte während des in der zweiten Hälfte schaurigen Spiels der Ballbesitz so häufig wechseln wie bei einem Tennisspiel, Angst vor den Gästen mussten die Zuschauer am Bökelberg selten haben. „Wir spielen kaum noch Torchancen heraus“, sagte Schnoor. Handgezählt waren es ungefähr zwei Gelegenheiten. Im Mittelfeld machte der neue Kapitän Stefan Effenberg seinen Abendspaziergang und man sorgte sich, dass er sich in den kurzen Hosen eine Erkältung holen würde. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht noch tiefer in den Schlamassel rutschen“, warnte Wolfsburgs Trainer Wolf. Er sagte, dass er nach diesem Spiel wissen würde, „auf wen ich mich verlassen kann.“ Demnach wird er in der Wolfsburger Schweiz ein eher kleines Grüppchen um sich scharen.“

Jörg Stratmann (FAZ 21.2.) beschreibt die Reaktionen des Gladbacher Trainers. „Das kühle Klima dieser Tage hat Hans Meyer zugesetzt. Liegt es daran, daß der 60 Jahre alte Trainer des Fußballklubs Borussia Mönchengladbach, der Kritik doch stets vermeintlich gelassen mit kleinen Sottisen zu kontern pflegt, gar nicht über ein so dickes Fell verfügt? Das erste Erfolgserlebnis des neuen Jahres, das 2:0 im Bundesliga-Nachholspiel gegen den VfL Wolfsburg, nutzte Meyer am Mittwoch abend jedenfalls umgehend, um denen ordentlich die Meinung zu sagen, die seine Arbeit zunehmend in Frage gestellt hatten. In seinem Ärger, wie ein Massenblatt Stimmung auch auf den Rängen beeinflussen könne, schoß er indes übers Ziel hinaus. Ohnehin hatten ihn Klubführung und Management ausdrücklich in seiner Stellung und der Ansicht bestätigt, daß Geschichten über Unzufriedenheit der Spieler reichlich übertrieben seien. Angesichts des Etappensiegs darf sich Meyer nun gestärkt fühlen. Ein Gegner wie der VfL Wolfsburg kam da zum richtigen Zeitpunkt. Zwar hatte auch das Gladbacher Spiel unter dem Erfolgsdruck noch viele Ecken und Kanten, wie Meyer sagte. Doch die Wolfsburger nahmen die Rolle des Aufbaugegners ohne sichtbares Aufbäumen an. Bis auf Torhüter Claus Reitmaier, der anfangs einige gute Möglichkeiten der Gladbacher zunichte machte. Vielleicht haben wir wirklich einen Auswärtskomplex, sagte Trainer Wolfgang Wolf. Denn wie Gladbach konnte der VfL auswärts bislang nur einmal siegen.

In der FTD (20.2.) liest man. „Mit spielerischen Mitteln haben Meyers Profis diesen kleinen Fortschritt zwar nicht erreicht, aber gegen Wolfsburg scheint derzeit ein mäßig druckvolles Angriffsspiel zu reichen. Zumal, wenn man über einen so quirligen Angreifer wie den Ghanaer Lawrence Aidoo verfügt, der die vor allem in Halbzeit eins etwas hüftsteife Wolfsburger Abwehr sowohl auf dem linken als auch auf dem rechten Flügel ins Schwimmen brachte. Eigentlich hatten die Gladbacher Fans auf weitere Heldentaten ihres neuen Stürmers, des Finnen Mikael Forssell, gehofft. Er war es immerhin auch, der nach 32 Minuten gemeinsam mit Aidoo ein Strafraumgetümmel nutzte und Igor Demo freispielte. Der schoss aus spitzem Winkel – vorbei an Wolfsburgs Torwart Claus Reitmaier, vorbei auch am Tor, aber nicht vorbei am Knie von VfL-Verteidiger Stefan Schnoor, der den Ball zum 1:0 über die Linie drückte. Es sieht so aus, als hätte Wolfsburg in der letzten Zeit zu viel Energie in personalpolitische Fragen gesteckt: Die endlose Debatte um die Nachfolge von Trainer Wolfgang Wolf, der zu Saisonende aufhören muss, und die handgreifliche Auseinandersetzung zwischen Alt-Kapitän Miroslav Karhan und seinem Nachfolger Stefan Effenberg Anfang dieser Woche waren der sportlichen Vorbereitung auf dieses Spiel offensichtlich nicht zuträglich. Überhaupt: Effenberg. Aus dem Wechsel zum Hamburger SV ist nichts geworden, der Traditionsklub setzt lieber weiterhin auf Rodolfo Esteban Cardoso als auf den ebenfalls 34-jährigen Altstar. Das ist, nimmt man Effenbergs gestrigen Auftritt zum Maßstab, eine weise Entscheidung. Der frühere Gladbacher und Ex-Bayer präsentierte sich ungefähr so beweglich wie eine Litfaßsäule. Von ihm gingen keine Impulse nach vorne aus, und trotz seiner großen Erfahrung hat er auch keinem Mitspieler in seiner Abwehr davon überzeugen können, sich etwas intensiver mit Aidoo zu beschäftigen.“

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Zeugenaussagen

Laut Zeugenaussagen reagierten die Zuschauer mit einem in Intensität und Umfang einmaligen Pfeifkonzert auf die Ereignisse und die Übergabe der Meisterschale an Kapitän Effenberg. Einige Spieler der Bayern wiederum reagierten provokativ mit dem Stinkefinger in Richtung Fanblock der Heimmannschaft. Insbesondere die Schiedsrichterentscheidungen von Markus Merk zu Gunsten der ungeliebten Münchner – eine Freistoßentscheidung nach einem umstrittenen Rückspiel zu HSV-Torwart Schober in einer fragwürdigen zweimaligen Nachspielzeit – haben diese Akklamationen wohl ausgelöst. Seep Jakobs (taz 25.07.01) spricht bezüglich der Spielleitung verärgert gar von einer „Auftragsarbeit für Dauerbegünstigte “.

Schiedsrichter Merk gilt hierzulande als einer der besten seiner Zunft, und es ist abwegig, ihm absichtliche Parteinahme im Sinne einer „Auftragsarbeit“ zu unterstellen, zumal da er in dem Spiel beim HSV einem Treffer des Bayern-Stürmer Jancker die Anerkennung verweigerte, in der es um Millimeter ging. Dessen Abseitsstellung blieb auch nach der zehnten Fernsehzeitlupe unklar. Merk hätte auf Tor entscheiden können. Doch die Kritik der taz bezieht sich wohl eher auf den „Bonus der Großen“ oder den psychologischen Druck , der seitens der Bayern-Offiziellen außerhalb des Spielfelds auf Schiedsrichter ausgeübt wird.

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Punktabstände, die bequem zum Eintüten von drei Meisterschaften reichen

„Der Generationswechsel bei den Bayern läuft schleppend“, urteilt Daniel Pontzen (Tsp 14.4.). „Nach 77 Minuten setzte Bastian Schweinsteiger noch einmal zum Spurt an. Auf dem Weg zur Außenlinie überholte er Bixente Lizarazu, den Trainer Ottmar Hitzfeld zeitgleich mit Schweinsteiger vom Platz bat. Zuvor hatte es nicht viele temporeiche Momente im Spiel des 18-Jährigen gegeben, und so verschwand der emsig geförderte Nachwuchsmann nach seiner Auswechslung so unbemerkt unter der Plexiglasscheibe der Bayern-Bank, wie er und seine jungen Kollegen gespielt hatten. Das 0:1 gegen Werder Bremen festigte den Eindruck, dass bei den Bayern die selbstverordnete Verjüngung keineswegs nach Plan verläuft. Teile der Klubführung, allen voran Franz Beckenbauer, hatten seit längerem den vorgezogenen Generationswechsel gefordert. Regelmäßig nörgelte der Aufsichtsrat-Vorsitzende über Hitzfelds mangelnden Mut, auf junge Spieler zu setzen. Als der Trainer im vergangenen Herbst in die Kritik geriet, wurde ihm, laut Insidern, mit sanftem Druck klar gemacht, dass er seine Einstellung in diesem Punkt schleunigst ändern möge, so er in München weiter arbeiten wolle. Die Schwäche der Konkurrenz machte es Hitzfeld in den letzten Wochen leicht, junge Spieler ins eigene Team einzuflechten. Punktabstände, die bequem zum Eintüten von drei Meisterschaften reichen, lockerten Hitzfelds Bedenken.“

Freundschaftsspielcharakter

Elisabeth Schlammerl (FAZ 14.4.). „Ottmar Hitzfeld darf sich nun bestätigt fühlen, denn seit Wochen vermeidet er es, vom Meistertitel zu sprechen. Als nicht nur ein paar Spieler, sondern auch der Vorstandsvorsitzende Rummenigge über die große Möglichkeit sprachen, schon am Ostersamstag in Dortmund, also auf des liebsten Feindes Platz, sich als deutscher Meister feiern lassen zu können, trat der Trainer mit warnenden Worten entgegen. Der Hang zur Vorsicht, seine auch im Erfolg fehlende Begeisterung sind bei Hitzfeld wohl genetisch bedingt, und deshalb klang die Analyse der dritten Saisonniederlage zunächst auch nicht viel anders als die der Spiele zuvor. Die Meisterschaft ist kein Selbstläufer. Wir müssen natürlich aufpassen, sagte er. Die Partie gegen Bremen hatte für Hitzfeld in der ersten Halbzeit Freundschaftsspielcharakter – wie schon eine Woche zuvor die Begegnung in Hannover.“

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Bundesliga-Finale

„Wenn sich alles windet und wendet, ins Gegenteil verkehrt, wenn Ruhm umschlägt in blanke Bedeutungslosigkeit, wenn ein Schuss ins Netz oder an den Pfosten den Schlagbaum niedersausen lässt zwischen dem Land über den Wolken und der Unterwelt bittersten Schmerzes, dann ist Samstagnachmittag gegen 17.20 Uhr. Bundesliga-Finale. Ein ganzes Spieljahr, Dramen und Komödien geronnen vor zwölf Monaten in jener winzigen Sekunde, als Bayern-Libero Andersson in der vierten Minute der Nachspielzeit den Ball ins HSV-Netz schmetterte und republikweit die widersprüchlichsten Gefühlseruptionen hervorrief. Im Fußball schmilzt die Ewigkeit oft zu einem Wimpernschlag.“

Matti Lieske (taz 06.05.02) zieht Resümee:

„War es nicht eine wunderbare Saison? Angefüllt mit partiell sehenswertem Fußball, dramatischen Wendungen, kuriosen Trainerkabalen, slapstickhaften Schiedsrichterleistungen und der Auferstehung komplett undeutscher Tugenden im Europacup. Dazu ein bildfüllender Hauptdarsteller namens Calli, ein gestürzter Oberschurke namens Kirch und als I-Tüpfelchen das klammheimliche Dahinscheiden des berüchtigten Bayern-Dusels, erst im Bernabeu, dann in BayArena und Westfalenstadion (…) Unser Dank gilt ihnen natürlich trotzdem, da sie mit ihrer Zähigkeit jenen Dreikampf ermöglichten, den wir künftig bitte schön jedes Jahr sehen wollen. Auch an die schlussendliche Reihenfolge könnten wir uns gewöhnen, wobei die Dortmunder gern durch jeden beliebigen anderen Klub ersetzt werden dürfen, außer vielleicht Kaiserslautern. Unumstößlich ist nur eins: Leverkusen muss Zweiter werden auf immerdar.“ (Volltext)

Christof Siemes (Die Zeit 02.05.02) über die Umkehrung einer Fußball-Weisheit:

„Geld schießt Tore. Mit Borussia Dortmund steht die Mannschaft ganz oben, die am meisten für neue Spieler ausgegeben hat, 54,5 Millionen Euro. Bayer Leverkusen steht dort, wo es nach der Investitionsrangliste auch hingehört: Rang zwei. Alle Tabellenplätze, die im nächsten Jahr zur Teilnahme am internationalen Geschäft berechtigen, also hinab bis zu Rang sechs, sind gemäß der Investitionsrangliste vergeben. Einzige Ausnahme: Kaiserslautern, nach Investitionen Sechster, ist Siebter, um nur zwei Tore übertroffen vom einzigen nennenswerten Gesetzesbrecher, dem Geldzwölften Werder Bremen. Auch am Tabellenende hat das neue Gesetz sich traurig bewahrheitet: Der SC Freiburg, die große Hoffnung, dass die Freude am Spiel über den Kommerz triumphieren kann, hat nichts investiert – und steigt nun ab. Und der beste Torschütze ist auch der teuerste: Marcio Amoroso, für den Dortmund 55 Millionen Mark zahlte. Erfolg darf, muss ab sofort als käuflich gelten.“

„Was nun, Bundesliga?“ fragt Roland Zorn (FAZ 04.05.02) in Anspielung auf die finanziellen Einbußen der Branche als Folge der Kirch-Krise und sieht sie in einer Situation

„in der sie nur gewinnen kann, wenn sie einen neuen Draht zur Realität findet und die Rückkehr zur längst verlorenen Bescheidenheit schaftt. Im Jahr der Insolvenzen, markiert von der Havarie der Konzerne Holzmann und Kirch, ist es auch im deutschen Profifußball vorbei mit dem Leben in Saus und Braus. Als gäbe es kein Morgen mehr, hat ein Großteil der 36 erst- und zweitklassigen Ligavereine die Millionen, die aus dem noch bis 2004 geschlossenen Fernsehvertrag mit Kirch Media überweisen worden sind, vergeudet, verschwendet und verprasst (…) Das Fußballbusiness war schon vor der Pleite des großen Medienonkels Kirch ein Minusgeschäft, hochgezüchtet mit illusionären Erwartungen, ausstaffiert mit wirklichkeitsfernen Wachstumshoffnungen und betrieben von verblendeten Protagonisten ohne Gespür für den wahren Wert dieses Sports. Denn so selbstverständlich der Fußball weiter die Sportart Nummer eins in Deutschland bleiben wird, sp gesichert ist die Erkenntnis, dass ein Volksvergnügen kein Massenspektakel sein muss, für das Millionen am Bildschirm auch noch extra bezahlen. Überbezahlte Stars, raffgierige Spielerberater, aufgeblähte Personalkosten in den Klubs, Antrittsgelder und Extraprämien haben zu einer unkontrollierten Ausgabenmentalität geführt, der sich nur wenige Verien entziehen mochten. Mehr Schein als Sein (…) Die Bundesliga hat sich im vergangenen Sommer mit der Gründung der Deutschen Fußball Liga vom Deutschen Fußball-Bund abgenabelt. Daruf waren deren führende Köpfe so stolz, wie sie jetzt, da sie gefordert sind, Auswege zu weisen, bis auf wenige Ausnahmen orientierungslos sind. Eine neue Adresse bedeutet wenig, wenn dort kein Führungspersonal von Rang residiert (…) Dem Fan kommt der Sanierungsfall Bundesliga vermutlich ganz recht, da so gut wie jeder Fußballanhänger schon seit langem empfindet, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis aus den Fugen geraten ist. Die Liga gleicht einer Luxusklasse ohne Bodenhaftung. Die Rückbesinnung auf das Machbare, vielleicht sogar auf das Wünschbare, kann dem Fußball nur gut tun.“

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Format der Champions League

warum das Format der Champions League nun doch nicht reformiert wird

Kritisch kommentieren Helmut Schümann (Tagesspiegel 14.12.), Dario Venutti (NZZ 14.12.) und Roland Zorn (FAZ 13.12.) das Scheitern der Champions-League-Reform . Zuschauerrückgang in den Stadien sowie am TV-Bildschirm, der Verlust an sportlichem Reiz und eine vermeintliche Überbelastung der Spieler seien die Argumente gewesen, welche in letzter Zeit immer wieder zu Forderungen führten, den „kommerziell erfolgreichsten Klubwettbewerb weltweit“ (Venutti) in seinen Ausmaßen zu beschränken. „Selbst ein vermeintlicher Hit wie der Kick der Bayern gegen Manchester United fand in dieser Saison vor nicht ausverkauftem Haus statt“ (Schümann).

Zwei Modelle wurden von verschiedenen Spitzenfunktionären und Vereinsvertretern als Alternative zum bestehenden Modus angedacht. Beide zielten darauf ab, die Anzahl der Spiele pro Saison zu reduzieren. Gleichzeitig jedoch, das machten die Gespräche mit den Vermarktern später deutlich, hätten die Spitzenvereine zwangsläufig mit Einnahmebußen zu rechnen. Das erkläre auch den Rückzieher (den die SZ (12.12.) bereits am Vortag der Entscheidung voraussagte) einiger Vertreter des informellen Verbands „G14″, welcher die Interessen und Begehrlichkeiten großer und mächtiger Vereine formuliert. Insbesondere dessen Sprecher – Bayern Münchens Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge – habe von seinem Reformeifer Abstand genommen und „Einsicht in die ökonomischen Zwänge“ (Zorn) gezeigt. „Jahrelang hat der FC Bayern München besonders laut geklagt, wenn es um den angeblich ´aufgeblähten` Spielkalender der Champions League ging. Und nun?“ (Zorn) „Die Klubs sind schließlich umgefallen“, beschreibt UEFA-Generalsekretär Aigner deren Meinungsumschwung. Rummenigge will bei seiner Entscheidungsfindung plötzlich registriert haben, dass im „kritischsten Land überhaupt“ das aktuelle Format akzeptiert werde. Damit meint er Deutschland und glaubt, die Stimmung hier zu Lande wiederzugeben. Jedoch hat DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder im Namen vieler Vereinsvertreter (zB Assauer) und Fußballinteressierten für eine Reduzierung plädiert, musste aber resigniert festhalten: „Alle Entscheidungen werden letzten Endes vom Kommerz bestimmt.“

Doch nicht nur wirtschaftliches Interesse habe den europäischen Fußballverband daran gehindert, die augenscheinlich notwendigen Reformen durchzuführen. Auch politisches Kalkül habe eine Rolle gespielt. Die UEFA sehe nämlich in der „G14″ einen Konkurrenten, „der potenziell in der Lage wäre, eine eigene europäische Liga zu unterhalten“ (Venutti). Daher sei die Monopolstellung des traditionellen Verbands in Gefahr geraten, was dazu geführt habe, dem „kommerziellen Denken“ der Vereine zu folgen und der „Diktatur des Kapitals“ (Venutti) zu gehorchen. Leider profitieren von der „Gelddruckmaschine“ (Schümann) primär die großen Vereine. Bayern München konnte von der UEFA in der Saison 2000/01 etwa dreihundert Mal so viel Geld einstreichen wie Schachtjor Donezk. So bleibt die Champions League wohl auch in Zukunft eine „interne Angelegenheit der Großvereine mit Beigemüse“ (Venutti).

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„In Dublin ist schon seit Wochen Fußball-WM“

„In Dublin ist schon seit Wochen Fußball-WM“ beschreibt Christian Eichler (FAZ) die Vorfreude im Land des deutschen Vorrundengegners Irland. Ob das „grüne Fußballherz“ allerdings während der WM lange höher schlagen wird, ist nach der Abreise des wegen eines Streits mit Trainer McCarthy suspendierten Kapitäns Roy Keane fraglich. Ohne Zweifel: Die Chancen Eires sind ohne ihren Star von Manchester United deutlich gesunken. „Als Puffer zwischen der grauen Realität und dem grünen Traum“, so Eichler weiter, „bleiben dann die vielen Theken Dublins, an denen das schwarze Stout-Bier schon morgens um halb sieben fließen wird.“

Außerdem: öffentlichkeitswirksamer Streik in Südkorea, Japans Fußball droht der finanzielle Kollaps, neues von fernöstlichen Essgewohnheiten, ein Interview mit Zidane und ein Blick von außen auf den deutschen Fußball.

Der 60-jährige Organisationschef und Lebenspartner der Opernsängerin Anna Maria Kaufmann Bernd Pfaff hat mit Organisation der Reise nach Fernost und der Betreuung des Kaders Schwerstarbeit zu leisten. Vom Eintreffen der deutschen Nationalmannschaft in ihrem Quartier im japanischen Miyazaki berichtet Jan Christian Müller (FR 24.5.) vor Ort. „In die japanischen Mentalität können sich die Spieler einlesen. Jeder Nationalspieler bekam Tokyo Tango von Uwe Schmitt als Reiselektüre für den elfstündigen Flug, 17 Kapitel über Kultur und Geschichte, über Fußball, über die Rolle der Frau in Japan. Pfaff hat den Führungsspielern Kahn und Bierhoff gesagt, sie sollten mit dafür sorgen, dass die Spieler nicht mit einem Tunnelblick nach Japan reisen. Schaut rechts und links, denkt Euch in die japanische Welt hinein. Sonst kommt Frust auf. Das Gepäck soll bereits während des letzten Gruppenspiels gegen Kamerun am 11. Juni in Shizuoka auf die sükoreanische Insel Jeju geflogen werden. „Es gibt einen worst case“, erläutert Pfaff, „das ganze Gepäck ist schon auf Jeju und wir scheiden aus. Das wäre für mich als Organisations-Verantwortlicher eine Katastrophe.“ Damit die Profis komplikationslos kommunizieren können, stellt der DFB ihnen zudem je ein Handy zur Verfügung. Die Gespräche müssen sie selbst bezahlen. Pfaff: „Das wird am Ende sauber abgerechnet.““

Wie auch immer das WM-Turnier ausgeht, für den japanischen Fußball stehen schwere Zeiten ins Haus. Beispielsweise die Yokohama Merinos, ein jahrelang üppig von der Autofirma Nissan ausgehaltenes Erfolgsteam, stehen bald ohne Sponsor da. Die große japanische Zeitung Asahi Shimbun hat herausgefunden, dass im vergangenen Krisenjahrzehnt fast 200 Fußball- und Baseballmannschaften eingegangen sind, weil ihnen die Industriesponsoren den Geldhahn zugedreht haben. Auch große Gesellschaften wie All Nippon Airways und der Telekom-Gigant NTT oder auch der Arbeitgeberverband Keidanren haben ihre Zuwendungen drastisch gekürzt. „Der Unternehmenssport war für Japan, was die Staatsamateure für den Ostblock bedeuteten, jetzt funktioniert das System nicht mehr“, stellt Sakonju Terukazu fest. Angesichts dieser Konjunkturabhängigkeit könnten reiche Städte und Gemeinden einspringen und Profivereine nach europäischem Vorbild gegründet werden, denen die früheren Patrone nun als Werbepartner zur Seite stehen.

„Die südkoreanischen Gewerkschaften haben einen Hang zum dramatischen Auftritt. Internationale Aufmerksamkeit nutzen sie gern als Hebel, um ihre Forderungen durchzusetzen, berichtet Anne Scheppen (FAZ 23.5.). Die Bannmeilen für die Fußballweltmeisterschaft sind schon gezogen – nur dass sie auch von protestierenden Arbeitnehmern respektiert werden müssen, ist neu. Eigentlich hatte die südkoreanische Regierung die Gewerkschaften aufgefordert, während der Weltmeisterschaft von Ende Mai bis Ende Juni auf Streiks und Proteste zu verzichten. Wer in dieser wichtigen Zeit streike, schade dem Ansehen Südkoreas, warnte Ministerpräsident Lee Han-dong. Doch dieses Anliegen fand kein Gehör. Eineinhalb Wochen vor dem Eröffnungsspiel in der Hauptstadt Seoul hat der Dachverband der Gewerkschaften KCTU auf unbestimmte Zeit zum Streik aufgerufen.

Von den Essgewohnheiten des Gastgeberlandes Korea berichtet Dorothee Wenner (Die Zeit23.5.). In einem „Spezialitätenlokal gibt es fünf verschiedene Hundegerichte, die meisten Gäste beginnen mit gekochtem Hund als Vorspeise. Fast alle koreanischen Ärzte empfehlen ihren Patienten nach Knochenbrüchen und schweren Operationen Hundefleischverzehr (…), es sei außerdem gut gegen Tuberkulose, Frühjahrsmüdigkeit und Hitzeauszehrung und verhindere Mangelsymptome bei stillenden Frauen.“ Diese „Lebensmitteltheorie“ scheint aber nicht alle zu überzeugen, „der Weltfußballverband Fifa kritisierte angesichts der bevorstehenden Weltmeisterschaft die koreanischen Esssitten (…) Nun soll nicht der Eindruck geschehen, ein jeder Koreaner würde täglich einen halben Dackel essen – Hundefleisch ist eine relativ teure Spezialität, die fast ausschließlich in besonderen Restaurants serviert wird. Trotzdem ließen Koreas Gastwirte die Kritik nicht auf sich sitzen. Während der Fußballweltmeisterschaft werden sie in der Nähe der Stadien bei den ausländischen Gästen für den Genuss von Hundefleisch werben.“

zwei Pressestimmen (FAZ und Guardian ) zum Rausschmiss Roy Keanes aus Irlands Kader

Interview

Die kroatische Tageszeitung Vecernji List über den Hoffnungsträger der Deutschen

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Themen

Themen: DFB-Pokal: die beiden Bundesligisten aus Frankfurt und Hamburg setzen sich jeweils knapp gegen Traditionsvereine aus der Regionalliga durch – Dortmunder Gehaltsdebatte – Portrait Asgeir Sigurvinsson, Trainer Islands – Bernd Stange mit seinem Iraker Nationalteam in Bayern u.v.m.

Dynamo Dresden – Hamburger SV 0:1

Christian Ewers (FAZ 3.9.) berichtet vom Spiel. “Kurz vor Spielbeginn legte der Stadionsprecher noch einmal besonderes Gewicht in seine Worte. Liebe Fußballfans, sagte der Mann, bitte schmeißt die Eintrittskarten nicht sofort weg, wenn es nicht so laufen sollte. Bitte bewahrt sie für die Verlosung auf. Es gibt tolle Preise zu gewinnen. Dann wurde auch noch You‘ll never walk alone über Lautsprecher angestimmt. Und dann begann das DFB-Pokalspiel zwischen Dynamo Dresden und dem Hamburger Sportverein. Die Umkleidekabinen im Rudolf-Harbig-Stadion müssen schalldicht isoliert gewesen sein am Montag abend, denn der Dresdner Regionalligaklub spielte, als habe er statt eines traurigen Liedes ein Heavy-Metal-Album zur Einstimmung gehört. Eine Stunde lang bot Dynamo Dresden einen großen Kampf. Nach dieser einen Stunde aber waren die Kräfte erschöpft. Als der HSV-Stürmer Naohiro Takahara in der 81. Minute zu einem Sprint durch den Strafraum ansetzte, konnte ihm kein Dresdner Verteidiger mehr folgen (…) Bis auf wenige Szenen erlebte Pieckenhagen einen recht ruhigen Abend in Dresden. Das war ein neues Erlebnis für den HSV-Schlußmann, der zuletzt elf Tore in vier Bundesligapartien kassiert hatte. Und es war auch ein neues Erlebnis für den Hamburger Trainer Kurt Jara. Sein verändertes taktisches Konzept ging auf. Für den offensiv eingestellten Christian Rahn auf dem linken Flügel hatte er den zweikampfstarken Stephan Kling nominiert. Zudem verstärkte Raphael Wicky das defensive Mittelfeld. Die Viererkette machte einen gefestigten Eindruck, sie benötigte jedoch viel Konzentration und Energie, um sich selbst zu organisieren. Am Anfang haben wir vielleicht sogar zu diszipliniert gespielt, sagte Jara. Da ging es nur noch um Ordnung in der Abwehr, und vorne ist überhaupt nichts passiert. In der zweiten Halbzeit dann wirkte sich das Sicherheitsdenken in der Verteidigung weit weniger hemmend aus auf das Angriffsspiel. Angetrieben von Stefan Beinlich verlagerte sich der HSV zunehmend in die Dresdner Spielhälfte. Die zweite Halbzeit könnte stilbildend werden für den Hamburger SV.“

Kickers Offenbach – Eintracht Frankfurt 4:5 n.E.

Sebastian Krass (SZ 3.9.). “Der Spott des späteren Siegers lag schon vor dem Spiel in der Luft. Genau genommen, flatterte er als Aufdruck eines Transparents hinter einem Flugzeug her, das über dem Stadion am Bieberer Berg kreiste. „Derbysieger 1959, 1971, 1984…“ stand auf dem Stoff. Die Botschaft des Eintracht-Frankfurt-Anhängers war klar: ’Versucht es nur immer wieder, ihr Offenbacher Kickers. Am Ende siegen doch wir.’ 1959 etwa gewann die Eintracht das dramatische Finale um die Deutsche Meisterschaft mit 5:3 nach Verlängerung. Für die Eintracht blieb es der einzige Meistertitel – für die Kickers ist dieses Spiel in Berlin heute noch so etwas wie für Bayern-Fans das unselige Champions-League-Finale gegen Manchester. 2003 war es kein Endspiel, sondern nur die erste Runde des DFB-Pokals, in der Frankfurt und Offenbach zusammengelost wurden. Wieder hatte die Eintracht das bessere Ende für sich. Und wieder lachen die Fans hämisch über die Kickers. Das Flugzeug über dem Stadion ist für einen Frankfurter ein guter Ort, um den gewohnt abschätzigen Blick auf Offenbach hinabzuwerfen. Die Nachbarstadt im Südosten ist für Frankfurter so etwas wie der Wurmfortsatz ihres ach so weltläufigen Metropölchens. Ähnlich sehen das die Fußballfans. Gerade wieder in die erste Liga aufgestiegen, spottet es sich leicht über die in der Regionalliga dümpelnden Kickers – vor allem, wenn man nach dem ernüchternden Saisonstart mit den anderen in der Bundesliga nicht mitbellen kann. In dieser Pokalbegegnung steckte im Vorfeld weit mehr Brisanz als in den ritualisierten Derbys der Bundesliga.”

Marc Heinrich (FAZ 3.9.) meldet ausbleibende Vorfälle. „Regen ist noch immer ein verläßlicher Schutzmann. Diese alte Weisheit, auf die sich Generationen von Polizisten berufen, hat sich am Montag einmal mehr bewahrheitet. Pünktlich zum Schlußpfiff des ersten Rhein-Main-Derbys seit beinahe zwei Jahrzehnten schüttete es kräftig aus den dunklen Wolken, die über dem Stadion aufgezogen waren. Nicht einmal auf die zuvor zum besten gegebenen Sprechchöre wie Pflastersteine für die Kickers-Schweine und Eintracht verrecke hatten die Krakeeler aus beiden Lagern, die von jeher eine innige Abneigung füreinander teilen, nach 120 spannenden Minuten Lust – durchnäßt strömten die Massen lieber nach Hause. Auf dem Mittelstreifen der Bieberer Straße standen bis hinauf zur Arena des OFC Polizeibusse aneinandergereiht. Auf diese Weise konnten die Sympathisanten auseinandergehalten werden: Die Frankfurter marschierten links, die Offenbacher rechts. Das Großaufgebot an Einsatzkräften, das Teile Offenbachs und das Areal um den Bieberer Berg vom Nachmittag an in eine Festung verwandelt hatte, konnte danach, ohne größere Auseinandersetzungen schlichten zu müssen, den geordneten Rückzug antreten. Der Verlierer, der über weite Strecken der Partie über sich hinausgewachsen war und im Alltagsgeschäft lediglich in der dritten Liga spielt, trauerte hinterher seinen verpaßten Chancen nach: Der Coup in diesem Klassenkampf war für die Mannschaft von Trainer Lars Schmidt zum Greifen nahe (…) Für Dieter Müller, den Präsidenten der Kickers, hatte das Scheitern seiner Mannschaft beinahe tragische Züge: Wer sich die Offenbacher Fußballgeschichte vergegenwärtigt, wird feststellen: Der letzte Schuß geht bei uns immer daneben.“

Leserbriefe zum Thema Eintracht Frankfurt an die FR-Sportredaktion

Chance, das eigene Image aufzubessern

Richard Leipold (Tsp 3.9.) kommentiert die Dortmunder Gehaltsdebatte. “Vordergründig geht es ums Geld. Aber manchem Profi, der um seinen Status fürchtet, eröffnet das große Feilschen um vermeintlich sichere Gehaltsansprüche auch die Chance, das eigene Image aufzubessern. Der zum Ersatzspieler abgestiegene einstige Publikumsliebling Lars Ricken macht mit moderaten, ja verständnisvollen Tönen Eigenwerbung, die ihm auf dem Rasen seit längerem nicht mehr möglich ist. „Ich spiele seit zehn Jahren für Borussia“, sagt er. „Der Verein hat mir so viel Geld gegeben, dass ich jetzt auch etwas abgeben kann.“ Jeder könne sich ausrechnen, ob er bei anderen Klubs besser gestellt wäre. Ein Hinweis an die Spitzenverdiener in der Mannschaft. Auf deren Votum dürfte es letztlich ankommen. Wenn Stars wie Rosicky, Amoroso und Koller den Verzicht akzeptieren, fehlt es allen anderen an Argumenten, sich zu verweigern. Jan Koller sagte der tschechischen Zeitung „Lidove noviny“: „Jeder wird für sich verhandeln. Und wenn alle einlenken, werde ich auch zustimmen.“ Bisher haben dies vor allem Spieler getan, die allen Grund haben, dankbar zu sein: Routiniers wie Reuter, Wörns und Ricken schätzen den BVB als verlässlichen Vertragspartner; der junge Torwart Weidenfeller freut sich, mit 23 Jahren schon die Nummer eins zu sein. Spieler, die sich sperren, will die Geschäftsleitung nun in Einzelgesprächen einschwören. Ein vorübergehend angespanntes Betriebsklima, in dem jeder den anderen misstrauisch beäugt, nimmt Manager Michael Meier in Kauf; vielleicht beabsichtigt er es sogar. Er sagt: „Wenn einer nicht vernünftig lebt oder eine schlechte Einstellung hat, muss ihm sein Mitspieler sagen: Du nimmst mir hier die Kohle weg, weil du nicht funktionierst.““

SpOn-Interview mit Claus Reitmaier, Ersatz-Torhüter Borussia Mönchengladbach

SZ-Portrait Eduard Glieder, österreichischer Neuzugang in Schalke

Beckenbauer im Nordatlantik

Erich Ahlers (SZ 3.9.) porträtiert Islands Trainer. „Bisweilen kann Sigurvinsson seine schwäbische Vergangenheit nicht leugnen, „a bissle“ klingt sie durch. Ohnehin zieht es ihn zwei- bis dreimal pro Jahr zurück nach Deutschland. Dann trifft er sich mit früheren Mitspielern wie Guido Buchwald und Bernd Förster, mit denen er 1984 die deutsche Meisterschaft gewann. Zum Leidwesen des FC Bayern, der sein Talent verkannte und ihn nach nur 17 Einsätzen hatte ziehen lassen. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, Paul Breitner habe den Abschied beschleunigt, weil er in dem skandinavischen Edeltechniker einen Rivalen um die Chefrolle erkannt hatte.Eine sportliche Heimat fand Sigurvinsson erst in Schwaben, später auch eine berufliche. Den Getränkeabholmarkt in Denkendorf, der ihm gehört, hat er seit Jahren verpachtet. Es war eine schöne Zeit damals, als er Regisseur genannt und dieser Bezeichnung mit seiner eleganten Ballführung vollauf gerecht wurde. Spielertypen wie er es war sind zu einem raren Gut geworden, eigentlich gibt es sie gar nicht mehr. Dass der VfB damals an einem gewissen Rudi Völler vom TSV 1860 München dran war, ihn aber doch nicht verpflichtete und zu Werder Bremen ziehen ließ, wurmt ihn noch heute: „Das war der größte Fehler, den der VfB je gemacht hat.“ Er selbst hatte auch mal daneben gegriffen, als er Anfang der neunziger Jahre einen Sommer lang Klubtrainer bei Fram Reykjavik war. „Coach zu sein ist hier ein harter Job. Die Plätze sind nicht gut, das Wetter ist schlecht.“ Umso überraschender kam es bei dieser Skepsis, dass er im April zum Nachfolger von Atli Edvaldsson berufen wurde. Der brachte ebenfalls Erfahrung als Bundesliga-Spieler mit, hatte sich aber als Island-Chefcoach mehr und mehr Feinde gemacht. Sigurvinsson hingegen gilt als unantastbar, nach drei Siegen in Folge sowieso (2:1 gegen die Färöer, 3:0 gegen Litauen, 2:1 auf den Färöern). Er ist quasi ein Beckenbauer im Nordatlantik.“

Tsp-PortraitThordur Gudjonsson, Internationaler Islands

Detlef Hacke (Spiegel 1.9.). „Das Verhältnis der Stadt Gelsenkirchen zu seinem Vorzeigeverein Schalke 04 ist allgemein herzlich. In dem Schreiben jedoch, das am 15. August bei dem Fußballclub einging, war davon nichts zu spüren. Nüchtern im Ton und kompromisslos in der Sache untersagte das Referat 32 (Öffentliche Sicherheit und Ordnung) den Schalkern, im Stadion für die digibet wetten.de AG zu werben, einen privaten Anbieter von Sportwetten im Internet. Die Behörde ordnete sofortige Vollziehung an, andernfalls mache man sich der strafbaren Beihilfe schuldig. Grund: Digibet wetten.de sei in Nordrhein-Westfalen nicht zugelassen. Der Brief las sich, als habe der Club sich mit Gaunern eingelassen und wolle sein Publikum zur ungesetzlichen Zockerei verführen. Verschreckt entfernten die Schalker alle wetten.de-Banden aus ihrer Arena; der erst im Juli mit der Wettgesellschaft geschlossene Vertrag ruht einstweilen. Dabei besitzt der Betreiber der Firma eine rechtmäßige Konzession, ausgestellt in Berlin. Dort ging wetten.de vor rund einem Jahr online. Seitdem können Tipper per Mausklick unter anderem auf die Bundesligapartien setzen – legal, auch auf Spiele von Schalke 04, auch von Gelsenkirchen aus. Rein willkürlich exekutiere die Stadt eine Weisung des Landes Nordrhein-Westfalen, zürnt Markus Maul, 40, Jurist und AG-Vorstand, und fürchtet um die Zukunft des Unternehmens. Wenn wir nur in Berlin werben dürfen, so prophezeit er, gehen bei uns die Lichter aus. Denn in dem Streit geht es um mehr als um die bloße Frage, ob ein paar Logos in einem Stadion prangen dürfen oder nicht. Es geht darum, ob private Anbieter von Sportwetten ungehindert auf einem Markt agieren dürfen, den Branchenkenner bundesweit auf eine Milliarde Jahresumsatz taxieren, Tendenz steigend. Einen Kampf David gegen Goliath nennt Maul den Versuch, den staatlichen Lotto-Gesellschaften, die mit den Oddset-Sportwetten noch den Markt beherrschen, die Kunden abzujagen. Aber wenn es ein paar Davids sind, spürt Goliath die Verluste. Also haut er mit einem Knüppel auf alle, die ihn stören könnten, wenn sich der Markt öffnet. Auch wenn das Internet die Realität längst anders aussehen lässt: Bislang schützen noch Landeslotteriegesetze das zerbröselnde Monopol (…) Ist das alleinige Recht des Staates, Glücksspiele zu veranstalten, überhaupt noch zeitgemäß? Denn den ursprünglichen Zweck, die Deutschen vor der Zockerleidenschaft zu schützen, erfüllt der Lotto-Betrieb längst nicht mehr. Intensive Werbung und pompöse Fernsehshows wie jene der Süddeutschen Klassenlotterie gaukeln jedem vor, dass er zum Glücksritter taugt. Andererseits sind die Bilanzgewinne der Gesellschaften stets der Allgemeinheit zugute gekommen: Steuern und Konzessionsabgaben gehen an die Landeskassen, weitere Millionen fließen Organisationen wie dem Roten Kreuz und dem Sportbund zu. “

Wenn ein Spieler was erzählt hätte, wäre er doch tot gewesen

Elisabeth Schlammerl (FTD 3.9.) besuchte die Pressekonferenz mit Iraks Nationaltrainer Bernd Stange, der mit seiner Mannschaft zurzeit in Bayern ein Trainingslager absolviert. „Bernd Stange weiß, dass es nicht seine Arbeit als irakischer Nationaltrainer ist, die so viele Journalisten und Kamerateams ins Kurhotel Kreuzer in Bad Wörishofen lockt. Es interessiert weniger die Gegenwart, sondern mehr die Vergangenheit, auch Stanges Vergangenheit in Irak. Es gab viel Kritik, als er im November 2002, als noch Saddam Hussein an der Macht war, in Irak unterschrieben hat. Die Fragen an Stange sind fast immer die gleichen, seine Antworten auch. Er habe sich nicht missbraucht gefühlt vom Despoten „weil ich nie Kontakt hatte zur herrschenden Klasse“. Er habe sich sogar in den Vertrag schreiben lassen, sich nur zu sportlichen Fragen äußern zu müssen. Und wäre es ihm nur ums Geld gegangen, wie viele in Deutschland behauptet hatten, „würde ich längst schon wieder Rasenmähen in meinem Garten in Jena“, denn seit Januar hat er kein Gehalt mehr bekommen. Dass er im Juni zurückgekehrt ist, hat vor allem mit seinem großen Traum zu tun. „Einmal im meiner langen Trainerkarriere an einer Weltmeisterschaft teilzunehmen.“ Für 2006 rechnet er sich Chancen aus. Auch die Berichte, wonach Saddam Husseins Sohn Udai, 18 Jahre lang Vorsitzender des irakischen Fußballverbandes, Spieler misshandelt hat, wenn sie schlechte Leistungen abgeliefert haben, seien für Stange kein Grund gewesen, den Vertrag nicht zu unterschreiben. Er verweist auf einen Untersuchungsbericht des Weltverbandes Fifa. „Die haben nichts gefunden, darauf habe ich mich verlassen.“ Er war sich im November des vergangenen Jahres sicher, guten Gewissens den Job antreten zu können. Er hat nicht gefragt, nicht hinterfragt. Aber er hätte aus Angst vor Repressalien wohl auch keine Antwort bekommen. „Wenn ein Spieler was erzählt hätte, wäre er doch tot gewesen“, ist sich Stange sicher. Erst die neuen Meldungen über frühere Gräueltaten hätten ihn „sensibilisiert“, gibt er zu. „Dann habe ich schon mal schon mal nachgefragt.“ Ein schwarzer Punkt im Auge eines Spielers sei ihm aufgefallen. „Andere haben gesagt, da war mal was.“ Qusai Hasim selbst aber habe ihm gesagt, da sei nichts gewesen. Stange ließ es dabei bewenden. „Soll ich Kriminalist spielen? Ich muss doch mein Arbeit als Fußballtrainer machen.“ Hasim erzählt viel von früher und davon, dass er dreimal im Gefängnis war. Er erzählt auch, warum: Das erste Mal, nachdem er mit der Junioren-Auswahl den ersten Platz bei einem Turnier verpasst hatte. Das zweite Mal, weil er zur Wahl von Udai als Präsident des irakischen Fußballverbandes nicht erschienen war und das dritte Mal, nachdem er ein paar Monate im Jemen gespielt hatte. Aber was ihm im Gefängnis passiert ist, davon erzählt er wenig. Vielleicht haben die Spieler noch immer Angst. Angst vor der Zukunft. Angst vor der Rache versprengter Anhänger des Hussein-Regimes. „Nein, das ist es nicht“, sagt der irakische Sportjournalist Abdul Al-Wahab, der das Team nach Deutschland begleitet hat. „Sie wollen die Vergangenheit vergessen, nicht mehr daran denken.““

Jörg Wolfrum (NZZ 3.9.) berichtet den bevorstehenden Start der WM-Qualifikation in Südamerika. „Hernán Crespo tat dieser Tage etwas, was einem Stürmer eigentlich verboten ist: Der nach dem Rücktritt von Gabriel Batistuta (lässt die Karriere als hoch dotierter Spielertrainer im Wüstensand von Katar ausklingen) international treffsicherste Argentinier (19 Länderspieltore) trat vor dem Duell am Samstag in Buenos Aires gegen Chile auf die Bremse. „Platz eins ist mir egal. Abgerechnet wird erst 2006 in Deutschland“, sagt der 28-Jährige. Crespo ist ein gebranntes Kind. Und als solches weiss der neue Stürmer von Chelsea, wovon er spricht. Denn in der Qualifikation zur WM 2002 hatte Argentinien über Monate hinweg Traumfussball gezeigt, reiste darauf als einer der Topfavoriten nach Japan und Korea – und musste bereits nach der Vorrunde wieder die Koffer packen. Weltmeister wurde ausgerechnet die Mannschaft, die die Gauchos in der 18 Spiele umfassenden südamerikanischen WM-Ausscheidung noch um 13 Punkte distanziert hatten: Brasilien. «Von mir aus können wir diesmal in der Qualifikation nur Vierter werden», sagt Crespo deshalb heute. Würde auch reichen, da Südamerika nach langem Gezeter auch für die WM in Deutschland 4,5 Startplätze zur Verfügung stehen. Noch sind es fast drei Jahre bis zum Eröffnungsspiel in München. Doch als gingen die Uhren in Rio, Buenos Aires oder Montevideo für einmal vor, fällt in Südamerika am Samstag mit dem Nachbarschaftsduell Argentinien gegen Chile bereits der Startschuss zur Qualifikation für die WM 2006 – zu einem Zeitpunkt, wo in Europa gerade die EM-Qualifikation in die heisse Phase geht. In Lima trifft Peru am Samstag auf das im Neuaufbau befindliche Paraguay, und das Überraschungsteam der letzten Ausscheidung, Ecuador, spielt in der Höhenluft von Quito gegen Venezuela. Am Sonntag tritt Uruguay im ältesten WM-Stadion, dem 1930 erbauten „Centenario“ in Montevideo, gegen Bolivien an. Weil nach den neuen Regeln des Weltverbandes Fifa der Titelhalter für die kommende WM nicht mehr gesetzt ist, steht für Brasilien nur 434 Tage nach dem Finalsieg in Yokohama der Titel schon wieder auf dem Spiel.“

Gewinnspiel für Experten

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Große Zufriedenheit beim Rekordmeister

Bayern München gewinnt 3:0 gegen Hamburg und zeichnet Uli Hoeneß ein breites Lächeln ins Gesicht – 1. FC Köln scheidet aus dem DFB-Pokal aus und leidet

Bayern München – Hamburger SV 3:0

Große Zufriedenheit beim Rekordmeister

Elisabeth Schlammerl (FAZ 5.12.) hat Uli Hoeneß ins Gesicht geschaut: „Uli Hoeneß lebt derzeit gerne die extremsten Ausprägungen der breiten Palette von Gefühlsregungen aus. Die besonnene Mitte zu finden zwischen Wutanfall und höchster Berauschtheit, scheint dem Manager des FC Bayern München schwer zu fallen. Am Mittwoch verließ er einmal wieder bestens gelaunt die Kabine im Olympiastadion, mit einem breiten Lächeln beantwortete er gerne und geduldig die Fragen. Das Erreichen des Viertelfinales des DFB-Pokals durch das 3:0 gegen den Hamburger SV hat Hoeneß zwar nicht in solch übertriebene Verzückung versetzt wie das Kampfspiel in Glasgow eine Woche zuvor. Sie werden mich nicht dazu bewegen, wieder von einem Signal zu sprechen. Aber immerhin genügte eine sehr mittelprächtige Leistung, um große Zufriedenheit beim Rekordmeister einkehren zu lassen. Der Orkan, der in den letzten Tagen über die Säbener Straße in München hinweggefegt war, auch in Form eines laut polternden Managers, ist abgeflaut. Aber ob er endgültig abgedreht ist oder sich nur eine Pause gönnt, wird sich wohl erst in der nächsten Woche zeigen (…) Der HSV war ein sehr schlechter Gegner. Hoeneß sprach von überzeugender Laufarbeit des FC Bayern, dabei bewegten sich die Spieler beider Mannschaften lange Zeit so wenig, daß man befürchten mußte, schon ein kleiner Spurt könnte die ausgekühlten Muskeln beschädigen. HSV-Trainer Klaus Toppmöller machte die lasche Einstellung seines Teams verantwortlich dafür, daß es chancenlos war. Bei uns muß man schon beten, daß einer einmal einen Torschuß ansetzt.“

1. FC Köln – SpVgg. Greuther Fürth 2:4 n.E.

Zu wenig Kraft, zu wenig Luft

Erik Eggers (FR 5.12.) schildert Kölner Leiden: „Nun saß Andreas Rettig schon wieder da vorn. Das ist schwer zu verdauen, sagte er mit eingefrorenen Gesichtszügen und Blicken, die leer und unruhig hin und her wanderten. Der Manager des 1. FC Köln hält sich für gewöhnlich im Hintergrund bei Pressekonferenzen. Wenn sich der 40-Jährige selbst auf das Podium begibt, ist das ein Signal für schwerste Turbulenzen. Das letzte Mal hatte sich Rettig nach der 1:4-Heimniederlage gegen Werder Bremen den Fragen gestellt, um den damaligen Trainer Funkel zu schützen. Diesmal verriet Rettig eine tiefere Depression, er wirkte so, als habe er alle Ziele eben völlig aufgegeben. Grund war eine geradezu groteske Leistung des 1. FC Köln. Es ist imagemäßig, wirtschaftlich und sportlich ein großes Problem, das da entstanden ist, sagte Rettig, und obwohl er damit das Pokal-Aus meinte, so gilt dieser Satz doch auch für die gesamte Situation am Geißbockheim. Denn dieses Spiel gegen einen zweifellos gut organisierten Zweitligisten machte selbst dem enthusiastischsten Zuschauer klar, wie gering die Chancen des 1. FC Köln sind, auf welche Weise auch immer den Klassenerhalt zu schaffen. Der neue Trainer Marcel Koller machte zwar Konditionsschwächen für das spielerische wie läuferische Debakel verantwortlich. Zum Schluss, so Koller, habe sein Team zu wenig Kraft, zu wenig Luft gehabt, und außerdem sei es nicht so weit, zwei Spiele in einer Woche absolvieren zu können. Eine preiswerte Ausrede war das. Aussagen wie diese beinhalten immer die vage Hoffnung, nach der Winterpause, wenn also die körperlichen Voraussetzungen womöglich gegeben sind, sei mit dieser Mannschaft eine Art Wende möglich. Doch die Mannschaft bestätigte am Mittwoch eindrucksvoll, dass der Niedergang auch andere Ursachen hat. Bereits in der ersten Halbzeit bewiesen Spieler wie Voigt, Dogan, Cichon und Sinkala, dass sie weder technisch noch taktisch in die erste Liga gehören.“

Spiele vom Dienstag

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Die führenden Klubs in Europa verhalten sich wie Neokolonialisten

scharfe Kritik Joseph Blatters an der „G14“ – Birgit Prinz verkörpert Entwicklung unserer Gesellschaft – schwache Europäer bei der U20-WM, starke Südamerikaner

Die führenden Klubs in Europa verhalten sich wie Neokolonialisten

Joseph Blatter, Fifa-Generalsekretär, schreibt einen Gastbeitrag (FTD 17.12.) kritisiert die „G14“ sehr scharf: „Eine lose Gruppe mächtiger und wohlhabender europäischer Fußballvereine, die den pseudopolitischen Namen „G14“ trägt, hat kürzlich verlangt, dass der Weltfußballverband Fifa sie finanziell entschädigt, wenn ihre Spieler in Weltmeisterschafts- oder Europameisterschaftsendspielen antreten. Als ich erklärte, dass ich fest entschlossen bin, diese exotisch anmutenden Geldforderungen nicht zu diskutieren, wollte ich damit keinen Streit beginnen. Ich wollte nur diejenigen unter den G14 – inzwischen gehören tatsächlich schon 18 Vereine zu dieser Gruppe, aber das tut nichts zur Sache –, die noch zuhören, bevor sie lamentieren, daran erinnern, dass sie ihre Ansprüche bei der falschen Institution angemeldet haben. Meine Kommentare haben heftige Reaktionen ausgelöst, aber sie waren nicht das Ergebnis einer autokratischen Laune sondern folgten aus abgewogener Analyse. Die Forderung der G14 nach Entschädigung für Vereine, die ihre Spieler für wichtige Turniere freistellen, sollte nicht an die Fifa gerichtet werden, sondern an die nationalen Fußballverbände. Sie erhalten schließlich den größten Teil der erzielten Einnahmen. Aber sich den bestehenden Verfahren zu beugen ist wohl für die wohlhabenden Vereine, die die hauptsächlichen Nutznießer solcher Kompensationszahlungen wären, weniger attraktiv, als schlecht beraten Soundbites in die Welt hinauszuschicken und viel Lärm zu machen (…) Unabhängig davon bin ich erschüttert über den Trend, dass die Mannschaften der wohlhabenden Vereine in England und anderswo zunehmend einem bunten Nationalitäten-Mischmasch gleichen. Viele Vereine lassen sich ihrem Land gar nicht mehr zuordnen sondern werden von ausländischen Legionären dominiert, deren Loyalität ausschließlich demjenigen gilt, der ihnen 30 000, 50 000 oder gar 100 000 £ pro Woche zahlt. Ich glaube nicht, dass elf Ausländer, die etwa für einen englischen Klub spielen, auf lange Sicht Fans mobilisieren und begeistern können, deren Jahreseinkommen deutlich unter dem Wochenverdienst eines Spielers liegt. Dagegen geht von den Nationalmannschaften nach wie vor eine ungebrochene Faszination für die Zuschauer aus. Aus der Internationalisierung des Klubpersonals lässt sich eine moralische wie auch praktische Lehre ziehen. Ich finde es nicht in Ordnung, um nicht zu sagen widerwärtig, wenn reiche Klubs ihre Späher nach Afrika, Südamerika und Asien schicken, um dort die vielversprechendsten Spieler zu „kaufen“. Diejenigen, die diese Spieler in ihren jungen Jahren trainiert und geformt haben, werden dabei in der Regel mit einer finanziellen Entschädigung abgespeist. Würde und Integrität werden immer nebensächlicher. Der Markt hat inzwischen Züge von Menschenhandel angenommen. Die führenden Klubs in Europa verhalten sich zunehmend wie Neokolonialisten, denen Herkunft und Kultur völlig egal sind und die die Entwicklungsländer auf sozial und wirtschaftlich unverantwortliche Weise ihrer besten Spieler berauben. Wenn wir nicht aufpassen, degeneriert der Fußball immer mehr zu einem Spielball der Gier.“

Prinz Fußball

Michael Horeni (FAZ 16.12.) freut sich über die Auszeichnung für Birgit Prinz: “Daß die Übernahme der Fußballmacht-Insignien – Weltfußballerin und Weltmeisterin – gerade in dieser lange Zeit männlichsten aller deutschen Welten nicht nur mit Respekt, sondern auch mit Begeisterung glückte, ist vor allem ein eindrucksvoller Beleg für gesellschaftlichen Wandel. Der trieb sogar in deutsche Fahnen eingehüllte Männer im Herbst auf den Frankfurter Römerberg, um die heimkehrenden Fußball-Weltmeisterinnen zu bejubeln; jene ausgezeichneten Vertreterinnen einer Sportart, die zu Kaisers Hochzeiten im Ansehen vielleicht mit Schlammcatchen konkurrieren konnte. Aber auch noch bis in die jüngste Vergangenheit gehörten spöttische und herablassende Bemerkungen der männlichen Kollegen zwar nicht zum guten, sehr wohl aber zum üblichen Ton. Nun ist es natürlich ein Zufall, daß ein Prinz männlich ist und daher vom Internationalen Fußball-Verband in Zürich keine Prinzessin aus Deutschland gekürt wurde. Aber bei einer Frau Prinz sind nicht nur seit je die linguistischen Geschlechtergrenzen fließend, sondern ganz aktuell auch die sportlichen. Denn der schillernd-clevere Boß des AC Perugia hat ihr das Angebot unterbreitet, einen Vertrag beim Klub der italienischen Serie A zu unterschreiben, was sportlich ein Witz ist, natürlich – und das kann man im Spiel mit Männern wörtlich nehmen. Aber der Marketing-Gag könnte Prinz Fußball wenigstens finanziell lachen lassen, von angeblich einer Million Euro ist die Rede. Das wäre ganz folgerichtig nur der letzte Schritt, wenn nach dem Respekt und dem Jubel nun auch diejenige Form der Anerkennung für die beste Fußballspielerin der Welt hinzukäme, um die sich im männlichen Fußball ohnehin längst alles dreht.“

FR: „Der ausscheidende DFL-Geschäftsführer Michael Pfad gründet eine Firma, die Partner der Liga werden und Infront ablösen soll.“

Vor dem finale resümiert die NZZ (17.12.) die U20-WM: „Machen die Südamerikaner im Nachwuchsbereich tatsächlich alles oder zumindest vieles besser als die Konkurrenz? Es hat den Anschein, denn es kann kaum auf Zufall beruhen, dass am Turnier der vierundzwanzig besten U-20-Teams mit Brasilien, Argentinien und Kolumbien gleich drei Halbfinalisten aus dem gleichen Kontinent stammen. Die gleichen Verbände stellten vor wenigen Monaten an der U-17-Weltmeisterschaft in Finnland ebenfalls jene Teams, welche unter die letzten vier vordrangen. Und exakt wie auch jetzt in den Vereinigten Arabischen Emiraten lautete auch damals im hohen Norden das Endspiel Brasilien – Spanien. In Helsinki siegten die Brasilianer. Ihre älteren Kollegen gehen am Freitag ebenfalls als Favoriten in die letzte von insgesamt 52 Partien des Turniers, das die lokale Bevölkerung in überraschend hohem Masse in die Stadien zu locken vermochte. Mehr als 9600 Besucher besuchten die Spiele durchschnittlich, 2,3 Tore fielen pro Partie. Besonders ausgelassen bejubelt wurden neben der einheimischen Equipe, die unerwartet bis in den Viertelfinal vorstiess, Ägypten sowie die südamerikanischen Vertreter. Während sämtliche vier afrikanischen Mannschaften bereits vorzeitig ausschieden und ausser dem Team des Veranstalters auch die asiatischen Auswahlen höheren Ansprüchen nicht genügten, erfüllten die Südamerikaner die in sie gesetzten Erwartungen. Spanien ist der einzige Uefa-Vertreter, der sich im Golf- und Wüstenstaat gute Noten verdient hat. Der europäische Nachwuchs liess an diesem Turnier viele Wünsche offen. Deutschland, England, Tschechien und die Slowakei scheiterten schon im ersten Teil des Wettbewerbs, renommierte Fussballnationen wie Italien, Frankreich oder Holland vermochten sich gar nicht erst für die Endrunde zu qualifizieren.“

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Flauer italienischer Transfermarkt, Jay Goppingen, Beckhams Merchandising

Suspekte Geldgeber im internationalen Fußball – flauer italienischer Transfermarkt – Aufschwung des türkischen Fußballs – Klinsmann spielt wieder Fußball, abseits öffentlichen Interesses (mehr …)

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Eine breite Welle der Begeisterung

die Bedeutung des Titelgewinns für die Zukunft des Frauenfußballs – der Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Rolle der Frau und dem sportlichen Geschehen – Nia Künzer, Glückskind – Euphorie in Schweden, Ignoranz in Amerika

Eine breite Welle der Begeisterung

Was bedeutet der Titelgewinn für die Zukunft des Frauenfußballs?, fragt Michael Ashelm (FAZ 14.10.): „Der Erfolg wird zweifellos seine Früchte tragen, aber die Welt des Frauenfußballs in Deutschland nicht revolutionieren. Eine breite Welle der Begeisterung hat die Elf von Bundestrainerin Tina Theune-Meyer dennoch in Deutschland ausgelöst, was wohl vor allem daran liegen mag, daß sich die Mannschaft über viele Wochen hinweg so sympathisch in den Vereinigten Staaten verkauft hat. Wann schon hat man zuletzt deutsche Sportler so selbstbewußt aufspielen sehen? Eher hatte man sich an die vielen Ausreden strauchelnder Athleten gewöhnt, warum ein großes Ziel am Ende dann doch nicht erreicht wurde. Die große Fernsehaudienz zeigt, daß der Sportzuschauer in Deutschland in dieser Hinsicht zuletzt wenig Zufriedenstellendes zu sehen bekam, aber natürlich immer an neuen Sporthelden interessiert ist. Nun sind die Fußballfrauen auf die Bühne getreten, die bis zum entscheidenden Moment das Selbstbewußtsein zeigten, das in vielen Teilen unserer Gesellschaft derzeit nicht vorhanden ist und händeringend gesucht wird. Die Spielerinnen selbst hatten schon vor Beginn der WM in den Vereinigten Staaten von dem Titel gesprochen und sind nun ihren eigenen Erwartungen gerecht geworden. Selbstkritisch und nach außen immer leise hat sich das Trainergespann Theune-Meyer/Neid mit den eigenen Leistungen im Turnier auseinandergesetzt, aber immer zugelassen, daß ganz offen vom WM-Pokal gesprochen wurde. Dieses Verhalten zeugt von Stärke und Stabilität – also genau das, was man für solch eine gemeinschaftliche Kraftanstrengung benötigt.“

Thomas Hahn (SZ 14.10.) sieht das ähnlich: „Zu große Hoffnung darf man nicht haben, dass dieser Finalsieg zu einem deutschen Mythos auswächst wie der erste WM-Gewinn der Männer 1954 (obwohl die Vorstellung einer zweiten Wortmann-Verfilmung einen gewissen Reiz besitzt; mit Hannelore Elsner als Tina Theune-Meyer und Ulrike Folkerts in der Hauptrolle). Nein, die Frauen haben noch viel zu tun. Erfolgreich waren sie schon vor dem WM-Titel, großen Zuschauerzuspruch genießen sie trotzdem selten. Und so bleibt ihnen als wichtigste Aufgabe, einen Makel zu tilgen, der viele Randsportarten plagt: Die Leistungsdichte ist zu gering. Als der 1. FFC Frankfurt 2002 Pokalsieger wurde, kam Gegner HSV kaum über die Mittellinie – das Live-Publikum erlebte gähnend den großen Graben zwischen den Halbprofis vom Main und den Amateuren von der Alster. Den müssten sie zuschaufeln, was allerdings geraume Zeit dauern wird. Dazu muss die Jugendarbeit in den Vereinen wachsen und in die höchste Liga mehr Profitum einziehen. Es geht eben um mehr als nur um Vermarktung, es geht darum, einen Sport so grundlegend zu stärken, dass er aus sich selbst heraus bestehen kann. Und deshalb braucht man jetzt auch nicht die Antik-Idee auszugraben, Nationalspielerinnen in figurbetonte Klamotten zu zwingen oder ganz auszuziehen, um die männliche Kundschaft zu betören. Posieren sollen andere. Diese Frauen müssen tun, was sie am besten können: Fußball spielen.“

Meistens weiß man beim Frauenfußball, wie es ausgeht

Matthias Kittmann (FR 14.10.) fügt hinzu: „An der Spitze stimmt es also im deutschen Frauenfußball. Das eigentliche Wunder muss sich aber erst noch vollziehen. Denn unterhalb der Nationalmannschaftsebene hapert es gewaltig. Die Frauen-Bundesliga ist keineswegs jener starke Unterbau, wie dies für den Männerbereich gilt. Weder sportlich noch strukturell. Fußball-Macho Rudi Assauer hat völlig recht, wenn er sagt: In der Spitze ist Frauenfußball sehr ansehnlich, je weiter man nach unten geht, jedoch nicht zu ertragen. So ist es. Selbst in der Bundesliga. Von den zwölf Teams sind eigentlich nur acht erstligatauglich. Eine Partie wie zum Beispiel 1. FC Saarbrücken gegen VfL Wolfsburg möchte man – mit Verlaub – keinem zumuten. Das würde vielleicht auch für den Männerbereich gelten, doch dort wird der Mangel an ausreichenden deutschen Kickern durch internationale Fußballer aufgewogen. Die rituelle Klage im Frauenfußball über das mangelnde Medien- und Zuschauerinteresse sollte stattdessen in eine vernünftige Selbstanalyse münden. Die Menschen zieht es deshalb zum Fußball, weil man nicht weiß, wie es ausgeht. Doch meistens weiß man beim Frauenfußball, wie es ausgeht.“

Wo Frauen emanzipierter sein dürfen, spielen sie erfolgreicher Fußball

Aus dem Geschehen auf dem Rasen zieht Martin Altmeyer (FR 13.10.) Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Rolle der Frau: “Während die Vorliebe für bestimmte Sportarten im allgemeinen Aufschluss über die Kultur einer Gesellschaft gibt, liefert der Frauensport im Besonderen Einsichten über die Emanzipation der Frau. Welche kulturellen Lehren lassen sich unter dieser Annahme aus der vierten Weltmeisterschaft im Frauenfußball ziehen? Die erste Lehre ist eher trivial: Wo Frauen emanzipierter sein dürfen und es tatsächlich sind, spielen sie auch erfolgreicher Fußball. In der Vorschlussrunde waren die Teams aus Nordeuropa und Nordamerika unter sich: Kanada und der zweifache Weltmeister USA, Deutschland, das auf der Weltrangliste vor dieser WM hinter den USA und Norwegen auf dem dritten Platz stand, und Schweden als Mutterland des Frauenfußballs – drei der vier Teams mit Frauen auf dem Trainersessel. Es scheint eine Vorherrschaft von Ländern zu geben, in denen die Gleichstellung der Frau weiter fortgeschritten ist als in anderen. Südeuropa spielte keine besondere Rolle. Die stärker eingeschätzten asiatischen Teams aus China und Nordkorea erwiesen sich als taktisch zu unflexibel. Die Teams aus Südamerika und Afrika zeigten technisch feinen und schön anzusehenden Fußball (Brasilien hatte, um in einem Land des Männerfußballs auch Frauen für diesen Sport zu gewinnen, Milene Domingues aufgeboten, die sehr attraktive, fußballerisch auch einigermaßen begabte, freilich noch unfertige Frau von Ronaldo aufgeboten), aber ihnen fehlte es an Effektivität. Die zweite Lehre ist ernüchternd: Die erfolgreichen Teams spielen Fußball, wie wir ihn von den Männern kennen; sie pflegen alle einen ziemlich robusten, körperbetonten Stil und scheuen weder das taktische Foul im Mittelfeld noch die Schwalbe, weder die Grätsche von hinten noch den Ellbogencheck im Luftkampf. Schlagend wurde so das gepflegte Vorurteil widerlegt, die Frauenemanzipation folge eigenen, edleren Regeln, die mit den besonderen Qualitäten des anderen, eben besseren Geschlechts zu tun haben.“

Helen Ruwald (Tsp 14.10.) porträtiert Nia Künzer, die Schützin des Golden Goals: „Die Hessin hat schon als Kind gelernt, sich durchzubeißen. Ihre Eltern waren Entwicklungshelfer in Botswana, wo Nia Künzer auch geboren wurde, und später Pflegeeltern in einem Albert-Schweitzer-Kinderdorf bei Wetzlar. Dort wuchs Nia Künzer zusammen mit ihrem leiblichen Bruder und sieben Pflegegeschwistern auf, „da lernt man sich durchzusetzen“. Zumindest hatte sie immer jemanden, mit dem sie kicken konnte, vier Brüder nämlich. Teamgeist und Verantwortungsbewusstsein halfen ihr auch beim 1. FFC Frankfurt, mit dem sie Meister und Pokalsieger wurde und 2002 den Uefa-Cup gewann. Mit 19 Jahren wurde sie in dem Ensemble etablierter Nationalspielerinnen Spielführerin, nicht Birgit Prinz, die damals schon zweifache Europameisterin und Vizeweltmeisterin war. „Das war anfangs schon ein komisches Gefühl“, erinnert sich Künzer. Doch an das Kapitänsamt hat sie sich längst gewöhnt, genauso wie an seltsame Telefonanrufe. Wie den eines Sprachforschers, der sich bei ihrer Mutter meldete, um sich mit ihr über den Vornamen Nia zu unterhalten. Das ist Tswana für „Glück“, der zweite Vorname Tsholofelo ist Kisuaheli für „Hoffnung“.“

Frauenfußball erlebte in Schweden seinen Durchbruch

Robert von Lucius (FAZ 14.10.) meldet Euphorie im Land des Vize-Weltmeisters: „Eine Woche lang war Schweden im Fußballtaumel: Erstmals seit 45 Jahren – 1958 war Schweden Gastgeber der Weltmeisterschaft und verlor 2:5 gegen Brasilien – stand schließlich eine schwedische Mannschaft in einem WM-Finale. Auch wenn die Niederlage gegen Deutschlands Frauen mit 1:2 in der Verlängerung knapp war: Die größte Tageszeitung Dagens Nyheter widmete dem Frauenfußball am Montag eine zwölfseitige Sonderbeilage. Die Svenska Dagbladet schrieb auf sieben ihrer acht Sportseiten über das Endspiel in Los Angeles, während Michael Schumacher, Eishockey und die schwedischen Fußball-Männer, die sich für die EM 2004 in Portugal qualifizierten, sich die achte Seite teilen mußten. Zudem veröffentlichten beide nationale Tageszeitungen auf der Titelseite ganzseitige Fotos der Mädchen in Gelb mit traurigen, niedergeschlagenen Blicken. Eine solche Aufmerksamkeit finden Sportereignisse in Schweden sonst kaum. Eine Woche lang wurde jeweils über mehrere Seiten hinweg die Geschichte des Frauenfußballs, der Stars und Teams und natürlich auch des Rivalen aus Deutschland ausgebreitet. Am Sonntag verfolgten Fußballbegeisterte vor Großbildschirmen in Sportstätten und Bars von Stockholm bis Umeå das Finale, überwiegend Frauen. Im Fernsehen schauten insgesamt bis zu 3,8 Millionen zu – in einem Land mit neun Millionen Einwohnern – das ist Fußball-Rekord. Frauenfußball erlebte in Schweden in den vergangenen zwei Wochen seinen Durchbruch.“

Matthias Erne (FAZ 13.10.) meldet Ignoranz im Gastgeberland: „Für die Amerikaner ist die Frauenfußball-Weltmeisterschaft bereits am letzten Sonntag zu Ende gegangen, eine Woche bevor in Carson bei Los Angeles das Endspiel zwischen Deutschland und Schweden angepfiffen wurde. Mit dem Ausscheiden im Halbfinale gegen Deutschland hat sich dieser World Cup frühzeitig aus dem Bewußtsein der amerikanischen Sportöffentlichkeit verabschiedet. Im nachhinein sind die Organisatoren der Weltmeisterschaft heilfroh, daß sie der Verlockung widerstanden haben, das Endspiel wie beim Turnier 1999 in das gigantische, 90 000 Zuschauer fassende Rose-Bowl-Stadion zu vergeben, und sich statt dessen für das kleine, aber schmucke Home-Depot-Center mit 27 000 Plätzen entschieden haben. Spätestens als der übertragende Fernsehsender ABC eine Anstoßzeit von zehn Uhr morgens für dieses Endspiel durchgeboxt hatte, konnte man erahnen, daß von der Euphorie von 1999 diesmal wenig zu spüren sein würde – ein stinknormales Golf-Turnier, bei dem auch noch Superstar Tiger Woods fehlt, war den ABC-Machern wichtiger als das Endspiel dieser Frauenfußball-Weltmeisterschaft, das bis Ende voriger Woche immer noch nicht ausverkauft war. Mia Hamm, der alternde Star der amerikanischen Auswahl, ist längst von den Titelseiten verschwunden und zu einer Randnotiz verkommen (…) Deutlich wurde die Tatsache, daß die Zeiten vorbei sind, da auch halbwegs fitte Spielerinnen auf höchstem Niveau bestehen konnten. In den letzten drei Wochen triumphierte die Athletik. Alle vier Halbfinalisten setzen auf Kampfkraft, Kondition und Kopfballstärke. Daß die Chinesinnen, die Nummer zwei der FIFA-Weltrangliste, frühzeitig ihre Koffer packen mußten, war die logische Folge dieser Entwicklung. Die klein gewachsenen Asiatinnen mußten einsehen, daß gute Technik alleine nicht mehr reicht. Im Viertelfinale gegen die aggressiven Kanadierinnen führte der übertragende Fernsehsender ESPN2 eine für den Fußball neuartige Statistik ein. Es wurden die Knockdowns gezählt: Mehr als zwanzigmal gingen die Chinesinnen nach Zweikämpfen mit den körperlich überlegenen Kanadierinnen zu Boden.“

(11.10.)

Rudi Assauer empfiehlt Frauen das Volleyball-Spiel und die Leichtathletik – Portrait Tina Theune-Meyer

Die sollen Leichtathletik betreiben oder Volleyball spielen

FR-Interview mit Rudi Assauer

FR: Haben Sie von der Frauen-WM was mitgekriegt?

RA: Ja, ich habe ein paar Ausschnitte gesehen. Und ich muss sagen: Die Mädels spielen einen gepflegten, ordentlichen Fußball. Die sind durchtrainiert. Die können ganz gut kicken. Das kann man sich ansehen. Aber nur auf diesem Niveau.

FR: Und weiter unten?

RA: Grausam. Je weiter Sie runtergehen, desto unansehnlicher wird es. Frauen sind zu etwas anderem geeignet als zum Fußball spielen.

FR: Warum?

RA: Das hat mit der Anatomie zu tun. Es gibt da ein paar empfindliche Stellen bei den Frauen.

FR: Sie denken jetzt an die Ballannahme mit der Brust?

RA: Unter anderem. Ich finde es übrigens auch unmöglich, wenn Frauen gegenseitig aufeinander einboxen. Das ist doch unansehnlich, wenn zwei Frauen sich gegenseitig auf die Fresse hauen. Finde ich schon bei Männern schlimm genug. Aber bei Frauen absolut unerträglich.

FR: Aber beim Fußball…

RA: Die sollen Leichtathletik betreiben oder Volleyball spielen. Schauen Sie mal beim Frauenfußball in einer unteren Liga vorbei. Machen Sie das mal. Ich wiederhole mich: Nicht zu ertragen. Je höherklassiger, desto besser, gar keine Frage.

Kathrin Steinbichler (SZ 11.10.) drückt morgen die Daumen: „Finale. Ein kurzes Wort, von dem Fußballer lange schwärmen können. Von den drei WM-Titeln der deutschen Männer 1954, 1974 und 1990 erzählen Zeitzeugen noch heute mit leuchtenden Augen. In der Geschichte des Frauenfußballs gab es überhaupt erst drei Weltmeisterschaften. Nur die USA (1991, 1999) und Norwegen (1995) durften sich bislang mit dem Titel schmücken. Wenn also am Sonntag im Home Depot Center im kalifornischen Carson Schiedsrichterin Floarea Cristina Ionescu aus Rumänien das Endspiel zwischen Deutschland und Schweden abpfeift, wird es einen neuen Weltmeister geben. Während die Deutschen dabei von den US-Medien als klarer Favorit beschrieben werden, unterstreicht Bundestrainerin Theune-Meyer die Gefährlichkeit, die von den Schwedinnen ausgeht. Elf Mal standen sich die beiden im europäischen Frauenfußball derzeit führenden Nationen gegenüber.“

Matthias Kittmann (FR 11.10.) porträtiert Tina Theune-Meyer: „Sie hat gelernt, die Medien nicht als Feind zu betrachten. So kommentierte die 49-Jährige den Vergleich von der Schönen und dem Biest, den einmal einer aus der Riege der schnellen Schreiber über das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Assistentin Silvia Neid, der Frauenfußball-Ikone der 90-er Jahre, anstellte: Silvia ist beides. Dabei dezent unterschlagend, dass ohne TTM alles nichts wäre. 1996 erbte die erste Frau mit Fußballlehrer-Lizenz das Bundestraineramt von Gero Bisanz, der die Nationalmannschaft mitunter nach Gutsherrenart geführt hatte: Als strenger Vater, der sogar die Coca-Cola verbot. So dass Spielerinnen sich bei der WM 1995 in Schweden sogar heimlich von Journalisten eine Runde Hotdogs bringen lassen mussten unter der Gefahr, aus der Mannschaft ausgeschlossen zu werden. Tina Theune-Meyer hat diese Methoden geändert. Was nicht heißt, dass Hamburger zu den Grundnahrungsmitteln gehören. Aber statt Stadtrundfahrt in Zweierreihe gehen die Spielerinnen schon mal am Strand von Santa Monica surfen. Tina Theune-Meyer – der Doppelname ist ein Überbleibsel ihrer ersten Ehe – vereinigt (einstige) deutsche Tugenden: Fleiß, Akribie, Genauigkeit, kurz made in Germany, wie US-Kollegin April Heinrichs einmal respektvoll bemerkte. In Deutschland springt kein Talent unerkannt über die Wiesen, die Gegner werden detailliert analysiert, genauso wie die eigenen Schwächen.“

Kathrin Steinbichler (SZ 11.10.) fügt hinzu: „Nur einmal, 1995, hatte die Elf zuvor in einem WM-Finale gestanden. 0:2 verlor Deutschland damals gegen Norwegen, und Tina Theune-Meyer lernte noch als Assistentin von Cheftrainer Gero Bisanz. Ein Jahr später, am 1. August 1996, übernahm sie als erste Frau an der Spitze eines DFB-Trainerstabes dieses nicht immer ersprießliche Amt. 1985 hatte sie zuvor als erste Frau überhaupt nach einem siebenmonatigen Lehrgang an der Sporthochschule Köln die Fußballlehrer-Lizenz des DFB erworben. „Ich war einfach an der Reihe und deshalb nicht überrascht, ihn zu beerben“, sagte Tina Theune-Meyer beim Amtsantritt. Gewundert hatte sie sich jedoch über den Vorschlag des DFB, ihr Silvia Neid als Assistenztrainerin zur Seite zu stellen: „Obwohl ich Silvia als Spielerin sehr geschätzt habe, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es gut gehen würde.“ Die damalige Rekordnationalspielerin Neid hatte nach dem verlorenen WM-Finale 1995 in Stockholm ihre Karriere beendet. Und während die heute 39-Jährige aus dem Wallfahrtsort Walldürn selbstbewusst auftritt und redegewandt ist, stilisierte die Öffentlichkeit die zurückhaltende Pfarrerstochter Theune-Meyer aus Kleve zum scheuen Gegentypen. Doch die beiden spannten ihre Charaktere zu einem erfolgreichen Trainerduo zusammen.“

FR-Interview mit Bettina Wiegmann

Tsp-Portrait Maren Meinert

(10.10.)

Willenskraft, Kampfstärke, ein erstaunliches Selbstvertrauen

Matthias Erne (FAZ 10.10.) befasst sich mit dem deutschen Final-Gegner: „Ihre Finalteilnahme bei der Fußball-WM der Frauen verdanken die schwedischen Fußballerinnen Charaktereigenschaften, die man in diesem Sport normalerweise den Deutschen zurechnet: Willenskraft, Kampfstärke, ein erstaunliches Selbstvertrauen und die Fähigkeit, im entscheidenden Moment über sich hinauswachsen zu können. Weder die 1:3-Startniederlage gegen die Auswahl der Vereinigten Staaten vermochte Schweden zu entmutigen noch der 0:1-Rückstand gegen Kanada im Halbfinale, als die Nordländerinnen in den letzten elf Minuten das Steuer noch herumreißen konnten. Angesichts der 23 Tore bei dieser WM und der Tatsache, daß sie den Titelverteidiger Amerika aus dem Rennen geworfen haben, gelten die Deutschen zwar als Favoritinnen, doch niemand soll ein ängstliches schwedisches Team erwarten, wenn am Sonntag zur deutschen Hauptsendezeit um 19 Uhr das Endspiel in Carson bei Los Angeles stattfindet. Es ist gleichzeitig die Neuauflage des EM-Finales von Ulm, das die Deutschen vor zwei Jahren mit einem Golden Goal 1:0 gewonnen hatten. Diese Niederlage, sagt die Nationaltrainerin Marika Domanski Lyfors, schmerze bis heute noch. Wir wollen uns dafür revanchieren.“

Kathrin Steinbichler (SZ 10.10.) fügt hinzu: „Gewisse Deutschkenntnisse sind in Kalifornien in diesen Tagen gefragt. Der österreichische Filmstar Arnold Schwarzenegger gibt die Rolle des Politikers. Und beim Fifa-Frauenfußball-Symposium in Long Beach erklärte gestern der Schweizer Sepp Blatter, Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa, er sei positiv überrascht von der Qualität der Spiele bei der Frauen-WM. So sehr, dass die Fifa überlege, in Zukunft auch den Fußballerinnen Siegprämien auszuzahlen. Dann teilte Blatter den anwesenden Journalisten mit, dass wegen des „starken Auftretens“ der deutschen Nationalmannschaft gleich fünf ihrer Spielerinnen ins All-Star-Team der WM in den USA gewählt wurden. Torhüterin Silke Rottenberg, Verteidigerin Sandra Minnert, Mittelfeldspielerin Bettina Wiegmann sowie die Offensivkräfte Maren Meinert und Birgit Prinz zählen zu den besten Fußballerinnen, die diese WM zu bieten hat.“

(9.10.)

Royalty of women’s football

Kathrin Steinbichler (SZ 9.10.) porträtiert Birgit Prinz: „Wenn jemand auffällt, versuchen die anderen um ihn herum meist, das Besondere an ihm einzuordnen und mit Etiketten zu versehen. Ob es dem Betroffenen passt oder nicht, der Mensch will wissen, was er vor sich hat, und wenn es nur die eigene Vorstellung davon ist. Birgit Prinz hat sich daher daran gewöhnt, als Fußballerin bestaunt und beobachtet zu werden, „als wenn ich im Zoo hinter der Scheibe wäre“. Dabei ist das, was die 25-jährige Frankfurterin auf dem Platz zeigt, für sie selbst so normal, wie „wenn ein Bäcker besonders gute Brote backt“. Bemerkenswert, aber nicht starverdächtig. Doch die Fakten klingen nicht so normal. Sieben Tore hat die Stürmerin bislang bei der Fußball-WM in den USA geschossen, so viele wie niemand sonst bei diesem Turnier. 15 Mal hat sie dafür zwischen die Torstangen gezielt und abgezogen, so oft wie keine andere Spielerin. Dazu hat sie schon vier Torvorlagen gegeben, nur Sturmpartnerin Maren Meinert übertrifft sie dabei mit sieben Assists. USA Today nannte sie schon vor dem Halbfinalsieg über Titelverteidiger USA „The Great German“, die große Deutsche. Und die WM-Seiten der Fifa im Internet erhoben sie nach Deutschlands Einzug ins WM-Finale gegen Schweden zur „new royalty of women’s football“ – zur neuen Majestät des Frauenfußballs. Damals, im Februar 1995, hatte sich Birgit Prinz kaum Gedanken gemacht über den Wirbel, den sie erstmals international verursacht hatte. Mit gerade 17 Jahren wurde sie im EM-Halbfinale gegen England eingewechselt und erzielte den deutschen Siegtreffer. Im Finale gegen Schweden in Kaiserslautern setzte sie sich – zwei Minuten nach ihrer Hereinnahme – gegen die gesamte schwedische Abwehr durch und traf zum 2:1. Deutschland wurde Europameister. Acht Jahre später, mit inzwischen 109 Länderspielen, bei denen sie 61 Tore schoss, trägt Prinz bereits 17 nationale und internationale Titel.“

(7.10.) Deutschland im Finale – Silke Rottenberg, der weibliche Kahn – Verschiebung der Machtverhältnisse – Max Merkel, der Ignorant

Nadeschda Scharfenberg (SZ 7.10.) zahlt es einem Guru heim: „Diese Sätze müssen aus einer weit zurückliegenden Zeit stammen: Frauenfußball sei so attraktiv wie der schielende Karl Dall. Oder: Es schmerze, diese Spielerei in Slowmotion ansehen zu müssen. Falsch, die Äußerungen stammen vom 27. September 2003, mitten während der Frauenfußball-WM. Gesagt hat das alles Max Merkel, Pokalsieger, Deutscher Meister und so genannter Fußball-Guru. Sein einziger Trost sei, dass das Turnier aus den USA zur Tiefschlafzeit übertragen werde. Wenn Herr Merkel da mal nichts verschlafen hat. Montagnacht, 3.18 Uhr, sind die deutschen Fußballerinnen durch ein 3:0 gegen die USA ins Finale vorgerückt, nicht in Zeitlupentempo, sondern durch ein flottes, spannendes Spiel. Und die Amerikanerinnen sind ja nicht irgendwer im Frauenfußball: Olympia-Zweiter, zweimaliger Weltmeister, bei bisherigen WM-Turnieren nur einmal geschlagen (Halbfinale 1995). Bis die Deutschen kamen und vorführten, dass sie seit der WM 1999 ordentlich aufgeholt haben gegenüber Titelträger USA mit seiner – jüngst abgeschafften – Profiliga. Das Spiel der Deutschen ist dynamischer geworden, athletischer.“

das schrieb Max Merkel

, if-Leser und Trainer der Mädchen-Bezirksauswahl Gießen/Marburg, schreibt: “Max Merkel, der Ignorant, hat sicher noch kein Spiel der Frauen-WM gesehen. Ich gehe davon aus, dass er zu dieser Zeit nicht ARD oder Eurosport schaut – sondern Neun live oder DSF.”

Verschiebung der Machtverhältnisse

Michael Ashelm (FAZ 7.10.) zeichnet die Landkarte des Frauen-Fußballs neu: „Alte Welt und Neue Welt – mal hämisch, mal ernsthaft ist zuletzt der Vergleich zwischen den Kontinenten auf beiden Seiten des Nordatlantiks gesucht worden. Was den jüngsten Coup der besten weiblichen Kicker aus Deutschland bei der Weltmeisterschaft in den Vereinigten Staaten angeht, so ist eine Verschiebung der Machtverhältnisse im internationalen Frauenfußball zugunsten Europas festzustellen. Nicht nur, daß die kämpferische deutsche Mannschaft nach vielen vergeblichen Anläufen endlich ihren Angstgegner Amerika bei dem wichtigsten Turnier überhaupt bezwingen konnte und den WM-Gastgebern damit eine empfindliche Niederlage zufügte. Darüber hinaus hat sich die Alte Welt mit dem gleichzeitigen Einzug der Schwedinnen in das Endspiel am Sonntag gegen die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) – durch einen Sieg über Kanada – machtvoll positioniert. Nachdem in den vergangenen Jahren bei WM oder Olympischen Spielen vor allem die Amerikanerinnen mit ihren unter professionellen Bedingungen arbeitenden Spielerinnen dominierten und zusammen mit den Chinesinnen eine starke Achse des Frauenfußballs bildeten, ist Europa mit diesem WM-Turnier die breitangelegte Rückkehr an die Spitze gelungen. Zuletzt trafen 1995 bei einem der beiden wichtigsten internationalen Turniere im WM-Finale mit Deutschland und Norwegen zwei europäische Teams aufeinander.“

Matthias B. Krause (FTD 7.10.) lobt Torsteherin Silke Rottenberg: „Was immer die US-Girls auch versuchten, die deutsche Torfrau schien es zu ahnen und warf sich ihnen furchtlos entgegen. Die Null stand bis zum Schluss, die Tore von Maren Meinert und Birgit Prinz in der Nachspielzeit waren nur noch Zugaben, und Heinrichs bekannte: „Silke war einfach großartig.“ Das Lob für die 31-jährige Torhüterin aus Duisburg wollte nach der Partie gar kein Ende nehmen. Bundestrainerin Tina Theune-Meyer sprach: „Silke hat alles heruntergepflückt und war einfach Weltklasse.“ Sie wurde als wertvollste Spielerin der Partie ausgezeichnet und im US-Fernsehen spielten sie Bilder von Oliver Kahn ein, um Rottenberg in eine Reihe mit großen deutschen Ballfängern zu stellen. Dass Kahn derzeit nicht der Alte ist, hatte sich hier noch nicht herumgesprochen. Rottenberg jedenfalls beherrschte den Strafraum so souverän, dass die Angriffe der USA immer wütender und ratloser wurden. Ob sie es mit hohen Zuspielen versuchten oder mit flachen Bällen, lang oder kurz, nie entgingen sie den Fängen der Torfrau. Wie selbstverständlich fischte sie in ihrem 88. Länderspiel schwierigste Schüsse aus den Ecken und zirkelte Angreiferinnen gnadenlos die Bälle von den Füßen. US-Stürmerin Mia Hamm trat ihr dabei einmal mit voller Wucht auf den rechten Unterarm, Kollegin Abby Wambach rammte sie zu Boden. Unbeeindruckt machte Rottenberg weiter.“

Letzter Zwischenstopp auf dem Weg zum Finale

Stefan Liwocha (FR 7.10.) sah die Amerikanerinnen tief fallen: „Das Halbfinale war das vorweggenommene Endspiel. Und am Ende des spannenden Schlagabtausches stand auch der Frauenfußball als Sieger fest. Das war für mich das beste Spiel aller Zeiten, offensiv von zwei großartigen Mannschaften geführt, sagte US-Trainerin April Heinrichs, die unter Tränen von den vielen vergebenen Chancen ihrer Mannschaft sprach. Und davon, wie phantastisch die deutsche Torfrau gehalten habe. Vor allem im ersten Abschnitt hatten die Gastgeberinnen die weitaus besseren Möglichkeiten, aber Silke Rottenberg (FCR Duisburg) parierte glänzend gegen Kristine Lilly sowie Abby Wambach und nahm der frei vor ihr auftauchenden Mia Hamm den Ball vom Fuß. Wir hatten sicher unsere Möglichkeiten, sagte die amerikanische Star-Stürmerin, aber es ist die eine Sache, sich Chancen herauszuarbeiten, und eine andere, sie auch zu vollenden. So scheiterten die Soccer-Girls reihenweise in aussichtsreicher Position. An Rottenberg und wohl auch an der eigenen Überheblichkeit und Arroganz. Schließlich hatte der Titelverteidiger erst dreimal in 19 Duellen mit Deutschland verloren, zuletzt im Oktober 1997 in einem Freundschaftsspiel in Duisburg (1:3). In der WM-Bilanz hatte man die Deutschen sowohl 1991 in China (5:2 im Halbfinale) als auch 1999 in den USA (3:2 im Viertelfinale) besiegt. Was sollte also schief gehen? Sports Illustrated hatte bereits vor zwei Wochen einen Halbfinal-Sieg gegen Deutschland prognostiziert und den WM-Sieg als sichere Sache eingestuft. Als der TV-Reporter des Kabelkanals ESPN die Zuschauer am Sonntag mit den Worten begrüßte, dies sei der letzte Zwischenstopp auf dem Weg zum Finale, waren die Weichen im amerikanischen Soccer-Bewusstsein gestellt. Das 0:1 durch Kerstin Garefrekes per Kopf nach Ecke von Renate Lingor wurde zunächst als kleiner Schönheitsfehler eingeordnet. Kein Grund zur Panik. In der Halbzeitpause appellierte Kapitänin Julie Foudy an ihre Mitspielerinnen, weiter Druck auszuüben, denn Germany würde gleich einbrechen. Denkste.“

Rudi Völler gratuliert in einem Gastkommentar (Welt 7.10.): „Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft steht im WM-Finale, und ich muss gestehen: Dieser Auftritt in den USA hat mich begeistert. Endlich wurde die DFB-Auswahl mal für ihre guten Leistungen belohnt (…) Der Erfolg der Frauen – ganz gleich, ob es zum zweiten Platz reicht oder zum Titel – ist gerade in Deutschland wichtig. Denn Deutschland ist ein traditionelles Männerfußball-Land, und ich glaube, dass nun auch der Frauenfußball hier zu Lande an Anerkennung gewinnt. Das wäre enorm wichtig. Insofern stehen wir vor einem großen Wochenende für den deutschen Fußball. Ich hoffe, dass wir uns mit einem Sieg über Island am Samstag in Hamburg für die Europameisterschaft 2004 in Portugal qualifizieren und dann die Frauen den Weltmeistertitel holen. Das wär‘ doch was.“

Ulrike Spitz (FR 7.10.) bedauert: „Der Frauenfußball kommt einfach nicht richtig voran, und nicht nur hier zu Lande nicht. Außer in Norwegen, wo den Fußball spielenden Frauen ein ähnlich hohes Interesse zuteil wird wie den Männern, hakt es allerorten. Sogar in der eigentlichen Hochburg USA, wo die einzige Profiliga der Welt direkt vor der Weltmeisterschaft in die Pleite geschlittert ist. In Deutschland teilen die Fußballerinnen ihr Schicksal mit Basket- und Handballerinnen, deren Ligen ebenfalls nicht nur kaum beachtet sind, sondern auch stets am finanziellen Abgrund stehen. Und mit Radfahrerinnen, die ebenso im Schatten der Stars ihr Dasein fristen wie Golfspielerinnen, aber nicht mit Schwimmerinnen, Marathonläuferinnen oder Skifahrerinnen, die den Männern in der öffentlichen Wahrnehmung mindestens gleichberechtigt sind. Warum das so ist? Sicher ist, dass es nicht von der Leistung abhängt, schließlich präsentieren sich Kickerinnen und Radfahrinnen genauso wie die Schwimmerinnen sportlich erstklassig. Wie auch (männliche) Hockeyspieler, Kanufahrer oder Rodler. Die müssen im Übrigen genauso um öffentliche Anerkennung ringen und wissen auch nicht immer warum.“

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