indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

„Getroffen von der Ungerechtigkeit dieser Welt“

„Getroffen von der Ungerechtigkeit dieser Welt“ fühlen sich, Beobachtungen der SZ zufolge, die Münchner Bayern nach einer erneuten Niederlage in der von ihnen heiß geliebten Champions League. Zwar waren die Verantwortlichen beim 1:2 in Mailand mit der gezeigten Leistung zufrieden, haderten jedoch mit Schicksal und Schiedsrichter. „Pech liegt als Argument im Trend, wenn die Bayern in Europa vorspielen und ihr Versagen erklären sollen“, lesen wir dazu in der SZ, während die FAZ die Reaktionen von Hoeneß Co. als „rat-, hilf- und leidenschaftslos“ bezeichnet: „Die Münchner machen es sich zu leicht, wenn sie bei ihrer Ursachenforschung an den Punkten Glück und Pech aufhören.“

In der Tat werden die Töne von der Säbener Straße nicht unbedingt kleinlauter. Dass die Chance auf das Erreichen der nächsten Runde dem Bundesligatabellenführer trotz der knappen Punktausbeute (ein Punkt aus vier Spielen) noch erhalten bleibt, nahm man dort nämlich zum Anlass, „sich Mut im Akkord zuzusprechen“ (FR). Doch „Anspruch und Wirklichkeit passen nicht mehr zueinander“ (FR). „Ach, könnten sie doch nur die Klappe halten, diese Bayern!“, reagiert die taz genervt auf weitere Ankündigungen großer Taten.

Dahingegen hat sich der AC Milan durch den vierten Sieg in Folge vorzeitig qualifiziert – nicht zuletzt dank Torjäger Filippo Inzaghi, über den die NZZ schreibt: „gefährlich, wie eine Viper, die den Kopf hebt“. Auch Bayer Leverkusen steht nach dem 2:1-Sieg über den israelischen Meister aus Haifa mit einem Bein in der zweiten Runde. Allerdings sei die Darbietung „ärmlich“ (FR) gewesen, was einer „Versündigung am schönen Fußball” (SZ) gleichkommt. „Mit Zweitliganiveau auf Champions-League-Kurs“ resümiert die FAZ den Auftritt derjenigen Mannschaft, die letzte Saison mit Offensivfußball ohne doppelten Boden ins Finale der europäischen Königsklasse gestürmt war.

Des Weiteren: ein sehr lesenswertes Portrait von Michael Ballack – Lobhudeleien auf Oliver Kahn – Berlusconismus in Italien – Rassismus in Europas Stadien – Aktionär Bobic u.v.m.

Champions League

AC Milan – FC Bayern München 2:1

Über die Reaktionen der Bayern nach dem Spiel lesen wir von Andreas Burkert (SZ 25.10.). „Überhaupt haben die Bayern nach der unglücklichen Niederlage in der Oper des europäischen Fußballs sehr viel über die Geschwister Glück und Pech gesprochen (…) Glück und Pech, so einfach kann man ein Fußballspiel erklären, von dem ein Wunder erwartet wurde, eine Wende, eine große Leistung. Wie der FC Bayern in der Vergangenheit vom Schicksal verwöhnt worden ist, daran kann sich Oliver Kahn noch gut erinnern: „Wir haben letztes Jahr teilweise die größte Scheiße gespielt und 1:0 gewonnen.“ (…) Doch wer Bekenntnisse zu offenkundigen spielerischen Mängeln vernehmen wollte, zur mangelhaften Grundordnung, in der allein Kuffour, Jeremies und der Torschütze Tarnat nicht gänzlich verloren gingen – den erreichten nur diese leeren Sätze von Glück und Pech. Die Mannschaft hat ganz offensichtlich das 2:3 zum Beginn der Runde gegen La Coruña nicht verarbeitet, und niemand vermag diese Unsicherheit zu vertreiben. Nicht der Pädagoge Hitzfeld, dem man mutigere (sprich: zeitigere) Wechsel gewünscht hätte; nicht Kahn, der mit sich selbst beschäftigt ist, und auch nicht Ballack, dessen Schuhwerk vom italienischen Geheimdienst mit Spülmittel bearbeitet worden sein muss, so häufig glitt er über den Rasen wie ein Clown bei Holiday on Ice. Ihm wollte kaum etwas gelingen. Funktioniert aber Ballack nicht, das ist eine Erkenntnis von Mailand, dann sucht diese prächtig besetzte Mannschaft gegen ebenbürtige Gegner vergeblich nach der Balance ihres Offensivspiels.“

Matti Lieske (taz 25.10.) meint zum selben Thema. „Natürlich glauben die Herren vom Bundesliga-Tabellenführer, dass sie selbstverständlich die restlichen beiden Partien gegen Deportivo und Lens gewinnen, so wie sie nach der Hinspiel-Niederlage gegen Milan überzeugt waren, die restlichen drei Partien zu gewinnen. Die Frage, wieso ein Team, das in vier Spielen einen Punkt geholt hat, plötzlich derart auftrumpfen sollte, konnte jedoch selbst Uli Hoeneß nicht schlüssig beantworten. Ansonsten war man bemüht, das Mailänder Spiel in rosigste Farben zu hüllen – eine müde Partie gegen einen kaum motivierten Gegner, dem ein Punkt vollkommen gereicht hätte (…) Oliver Kahn verstieg sich sogar zu der Theorie, dass sein Team so schönen Fußball biete wie niemals zuvor, deshalb die Defensive vernachlässige und ungerechterweise mit Niederlagen bestraft werde. „Leider zählt ja nur das Ergebnis“, klagte der Torhüter, ein Satz, von dem man auch nie erwartet hätte, ihn einmal aus dem Munde eines Bayern-Spielers zu hören.“

Roman Herrmann (FR 25.10.) berichtet vom abendlichen Bankett. „Die „Sterne des Südens“ standen unter Erklärungsnot und glänzten matt unter Kronleuchtern. Die meisten verschwanden auf ihren Zimmern und hinterließen einen Berg aus Floskeln und Formulierungen. Manager Uli Hoeneß ist anders. Ein offenes Buch. Seelische Schieflagen trägt er nicht auf der Zunge und dennoch liefern die anschwellende Halsschlagader und die zu schmalen Streifen zusammengepresste Lippen ein authentisches Spiegelbild der Ratlosigkeit und Enttäuschung. Den Sätzen der Marke Vorwärtsverteidigung fehlte das tragende Fundament, weil Anspruch und Wirklichkeit nicht zueinander passen. Für Hannover werde es schon reichen, spöttelte Hoeneß im Hinblick auf das nächste Bundesligaspiel. Als schließlich der in Kaiserslautern entlassene Andreas Brehme und der einst in Dortmund gescheiterte Nevio Scala den Kreis der matten Feier bereicherten, wirkte das nicht gerade wie der Einzug der Glücksboten (…) Das drohende Aus in der ersten Runde aber könnte nicht nur ein paar Millionen Euro kosten, es hinterlässt schmerzhafte Wunden im Selbstbild des mit Hochkarätern aus der Liga auf Erfolg getrimmten Branchenführers, dem nun die eigene Sinnkrise zu schaffen macht.“

Joachim Mölter (FAZ 25.10.) rät. „Vielleicht sollten sie sich beim FC Bayern auch ein paar Gedanken machen über ihre Einkaufspolitik, ihre Erwartungen, die natürlich genährt werden von den vielen Erfolgen der Vergangenheit. Der „beste Bayern-Kader aller Zeiten“, wie ihn Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge vor Saisonbeginn bezeichnet hat, ergibt nicht automatisch die beste Mannschaft, und schon gar nicht auf die Schnelle (…) In der zentralen Position, da, wo früher Leute wie Paul Breitner oder Stefan Effenberg die Kommandos gaben, fehlt nun ein „Lautsprecher“. Ballack hat zweifellos genügend sportliche Fähigkeiten, mit denen er sich die nötige Autorität erspielen könnte, aber er ist weder Antreiber noch Spielmacher, noch einer, der seine Mitspieler auch mal anschreit. Dazu ist er zu lieb, zu brav, zu höflich, immer sehr bemüht, aber letztlich nicht aggressiv genug. Ballack ist ein Weichspieler und damit ein Ebenbild des diesjährigen FC Bayern. In der Bundesliga reicht das spielerische Talent, das die Mannschaft zweifellos hat, zur Spitzenposition, in der Champions League aber sind auch andere Qualitäten gefragt.“

Joachim Mölter (FAZ 23.10.) erläutert die Bedeutung eines eventuellen Ausscheidens der Münchner. „Der FC Bayern München kämpft – um Geld und Prestige und Einfluß. Von zwanzig Millionen Euro ist die Rede, die dem FC Bayern dann entgingen, und auf soviel Geld verzichtet nicht einmal der reichste Klub Deutschlands. Der hat zwar vor dieser Saison hochdotierte Verträge abgeschlossen, aber die 90 Millionen Euro von der Allianz und die 75 Millionen von Adidas sind schon für das neue Stadion verplant; das Festgeldkonto haben sie geplündert, um Michael Ballack, Zé Roberto und Sebastian Deisler für insgesamt 25 Millionen zu engagieren. Dazu sind die Fernseheinnahmen gesunken. Nur bei den traditionellen Sponsoren haben die Münchner noch mal zugelegt, aber dadurch hat auch die Abhängigkeit des Klubs von den Geldgebern zugenommen. In den vergangenen Wochen konnte man jedenfalls den Eindruck gewinnen, der FC Bayern München habe nicht nur seine Souveränität auf dem Rasen verspielt, sondern auch die gegenüber seinen Geldgebern. Schon im August gab es Unmut bei Hauptsponsor Telekom, weil Aufsichtsratschef Franz Beckenbauer einen Privatvertrag mit einem konkurrierenden Mobilfunkunternehmen abschloß. Unlängst wurde Karl-Heinz Rummenigge beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) vorstellig, um DFB-Werbemaßnahmen mit dessen Sponsor Mercedes im Interesse des neuen Bayern-Partners Audi zu regeln. In dreizehn Jahren zuvor, in denen Opel der Hauptgeldgeber des FC Bayern war, waren die Persönlichkeitsrechte der Nationalspieler nie ein Thema gewesen (…) Immerhin: Internationale Erfolge haben die Münchner derzeit nicht als Gegenleistung zu bieten, und die groß angekündigte Übertragung von Bayern-Spielen auf Handys scheitert derzeit daran, daß Telekom keine Rechte an bewegten Bundesligabildern besitzt. Es drohen Abstriche im leistungsbezogenen Vertrag. Selbst als der Klub neulich die Partnerschaft mit dem Spielzeughersteller Lego bekanntgab, war nicht zu übersehen, wie groß die Erwartungshaltung gegenüber dem FC Bayern ist.“

Weitere ReaktionenTsp

NZZ(25.10.). „Es ist noch nicht lange her, da galt Bayern als leuchtendes Beispiel, besonders in deutschen Landen. Jener Landstrich mit wenig Arbeitslosen, modernen Industriezentren und dem erfolgreichsten Fussballklub. Es schien fast selbstverständlich, dass der FC Bayern München, der FCB deutscher Prägung, auch heuer ausziehen würde, um Europa zu erobern und das eigene Land zu beglücken. Zudem sollte Edmund Stoiber als Kanzler Deutschland neue Wege zeigen, und neidisch schaute die Konkurrenz auf die politischen und sportlichen Erfolgsbahnen. Inzwischen ist es vorbei mit dem Bayern-Boom. Stoiber verlor die Kanzlerwahl, und Bayern München tut sich zwar auch nach der dritten Niederlage im vierten Gruppenspiel der Champions League am Mittwochabend im San Siro schwer mit Eingeständnissen von wenig effizienten Tagen, muss aber vor den nächsten beiden Spielen gegen La Coruña und Lens primär in negativen Szenarien denken (…) Dagegen können sich die Verantwortlichen der AC Milan im Schlaraffenland fühlen. Klubpräsident Silvio Berlusconi führt im Gegensatz zu Stoiber unter anderem auch als Regierungschef das Land, und die Milanesi sind in diesem Herbst die erste Adresse des Landes wie – so wird allgemein bewertet – auch Europas (…) Kein Zweifel: Ancelottis taktische Ideen mit zahlreichen Variablen scheinen recht gut zu greifen. Das enorm hohe Potenzial kommt schon zu einem relativ frühen Saisonzeitpunkt zur Geltung, und in dieser multikulturellen Equipe setzt offenbar die Sprache des Fussballs, die Freude am Ball, die Akzente. Rivaldo, Tomasson undSchewtschenko fehlten, und lange merkte es keiner. Das Spiel basiert nicht mehr auf der defensiven Stabilität, sondern dem Drang nach vorn, gegen das eigene Tor durchaus gekittet, aber nicht mehr mit dem Torverhindern als einzigem Mittel. Dieser Hang zum Spektakel mit sehr offensiven Aussenverteidigern, zum unbeschwerten Auftritt birgt aber auch eine reichliche Portion Risiken.“

Reaktionen in Italien SZ

Bayer Leverkusen – Maccabi Haifa 2:1

Christoph Biermann (SZ 25.10.) ist erschrocken. „Miserabel war jedenfalls die Leistung der Gastgeber, die zu einem Fiasko hätte führen können, wären die Gegner nicht Novizen gewesen. Eine etwas erfahrene Mannschaft hätte sich nicht allein am hübschen Spiel erfreut, sondern einfach die Punkte mitgenommen. Gemessen an der Zahl der Torgelegenheiten wäre das durchaus möglich gewesen (…) So blieb nichts als das Ergebnis, worüber sich Bayer freuen konnte.“

Erik Eggers (Tsp 25.10.). „Bayer Leverkusen hatte zunächst abwarten wollen, doch dieses Abwarten entsprach nicht der Souveränität einer Spitzenelf. Ein wirkliches Klasseteam operiert wie ein stoisches Krokodil, das, selbst völlig ungefährdet, in seichten Gewässern auf unvorsichtige Aktionen der Beute wartet. Doch Bayers Abwehr war alles andere als unverletzlich. Haifa hätte gewinnen müssen, so viele Chancen hatte die Mannschaft; aber der Außenseiter bemerkte zu spät, dass er es nicht mit einem gefährlichen Krokodil zu tun hatte.“

Spielbericht FR

Spielbericht FAZ

Borussia Dortmund – PSV Eindhoven 1:1

Peter Heß (FAZ 24.10.) mit einer Spielanalyse. „Nach Kollers frühem Führungstreffer gegen den PSV Eindhoven hatten sich die Borussen acht weitere große Torchancen erspielt. Aber anstatt den dritten Sieg in Folge in der europäischen Königsklasse herauszuschießen, überboten sich die Dortmunder im Auslassen bester Gelegenheiten. Und wie es oft im Fußball kommt: Der unterlegene Gegner bestraft die Schwäche des Besseren mit einem Gegentreffer. Brugginks Ausgleich hatte dann bis zum Schlußpfiff Bestand, weil die stärker werdenden Niederländer genauso ungenau vor dem gegnerischen Tor zu Werke gingen wie die Dortmunder. Chance verpaßt? Drei Punkte Vorsprung vor AJ Auxerre und fünf Zähler vor Eindhoven sind nach vier von sechs Spieltagen eine bequeme Ausgangsposition, den weiterführenden Rang zwei hinter Tabellenführer Arsenal London zu verteidigen. Deshalb war der Drang nicht eben groß, nach kurzen kritischen Anflügen in Selbstzerfleischung zu verfallen. Zumal die Dortmunder eine Stunde lang fast alles richtig gemacht hatten. Engagiert im Zweikampf und spielerisch überzeugend, dominierten sie die Eindhovener nach Belieben, die lange Zeit eine Kostprobe dafür gaben, warum sie auch im sechsten Versuch den Einzug in die zweite Runde der Champions League wohl nicht schaffen werden. Die große Schwäche der Dortmunder an diesem Abend, die Torausbeute, gibt indes keinen Anlaß zu besonderer Besorgnis. Das passiert halt mal im Fußball. Ansonsten sind die Borussen eher bekannt dafür, daß sie ihre Spiele nach eher zähem Verlauf durch ihre kühle Chancenauswertung gewinnen.”

Freddie Röckenhaus (SZ24.10.) sah sich außerhalb des Stadions um. „Der Westfälische Friede endete schon eine Stunde vor dem Anpfiff auf dem Alten Markt im Herzen von Dortmund. Nachmittags hatten der BVB und die Stadt Dortmund mit einem Entertainment-Programm so etwas Unwahrscheinliches wie eine deutsch-niederländische Fußball-Freundschaft zwischen den Anhängern der Borussia und des PSV Eindhoven zu schmieden versucht. So lange das Bier reichte, blieb es friedlich, wenn auch nicht gerade liebevoll. Aber vorm Aufbruch in Richtung Westfalenstadion randalierten sich rund 60 PSV-Fans dann doch richtig in Stimmung und demolierten zuerst eine Kneipe und anschließend einen U-Bahn-Zug so heftig, dass der vorerst still gelegt werden mußte. 30 von Eindhovens Anhang erlebten das 1:1 im Champions-League-Spiel im Polizei-Arrest. Dortmunds sportliche Ziele scheiterten ebenso.“

Zum Entwicklungsstand der Dortmunder Mannschaft heißt es bei Martin Hägele (Tsp 24.10.). „Wie es nun mit der Borussia weitergeht, das lässt sich allenfalls grob skizzieren. „Noch müssen wir uns für nichts rechtfertigen“, sagt etwa Lars Ricken, die Mannschaft habe in dieser Saison schon mehrfach bewiesen, dass sie mit Druck umgehen kann. Offensichtlich sieht auch Sammer die Entwicklung beim Deutschen Meister ähnlich, auf dem Weg zu internationaler Reife, Robustheit und Souveränität hat der Trainer Rückschläge einkalkuliert. Er kennt seine Leute, er kennt den Charakter dieser Mannschaft, weshalb er auch gegen die Pfiffe des Publikums ein beeindruckendes Plädoyer für sein Kader gehalten hat – mit dem Kernsatz: „Wir müssen uns alles hart erarbeiten, einfach geht es nicht.“ Sie würden damit ihre eigene Erfolgsgeschichte fortschreiben: Am Ende der vorigen Saison ist auch nicht das beste oder kreativste Team Deutscher Meister geworden. Die beharrlichsten Arbeiter wurden es.“

Weiteres vom Europapokal

Christian Zaschke (SZ 24.10.) begrüßt das Vorhaben des Uefa-Generalsekretärs Aigner, die Uefa-Cup-Spiele mittwochs auszutragen.. „Dieser Wettbewerb ist zu einem trostlosen Gekicke geworden mit Mannschaften, von denen auch die gebildetsten Fußballköpfe noch nie etwas gehört haben. Später kommen die Verlierer aus der Champions League dazu, das ist lächerlich. Doch das größte Problem des Uefa-Cups ist: der Donnerstag. Der große Tag im europäischen Klubfußball ist seit jeher der Mittwoch. Niemand will donnerstags Fußball sehen. So ist die Verlegung auf den Mittwoch, die auf den ersten Blick anmutet wie Kosmetik, tatsächlich eine Chance. Im Gefühl der Fernsehzuschauer würde der Uefa-Cup wieder aufgewertet. Zudem wirkt er eigenständiger und nicht wie ein Anhängsel, das schnell hinterhergespielt wird, wenn die Großen fertig sind. Wenn Aigner schon einmal dabei ist, sollte er den Cup gleich richtig aufräumen: Er kann verhindern, dass er bloß finanzielles Netz ist für die Klubs, die in der Champions League scheitern. Er kann auch verhindern, dass im Uefa-Cup Gruppenspiele eingeführt werden, dieser Hort der Langeweile im internationalen Fußball. Raus ist raus.“

Den Anteil von René C. Jäggi am Basler Erfolg erläutert Sven Gartung (FAZ 24.10.). „Der designierte Vorstandsvorsitzende des abstiegsbedrohten und hochverschuldeten 1. FC Kaiserslautern gilt am Rheinknie als eigentlicher Baumeister der jüngsten Kluberfolge, des Gewinns der Schweizer Meisterschaft sowie des Pokals und der Qualifikation zur Champions League. Dabei war der wortgewaltige, 1948 im Basler Arbeiterquartier Kleinhüningen geborene Jäggi quasi schon kurz nach seinem Amtsantritt Ende 1996 gescheitert. Die in Deutschland abgehalfterten Profis Gaudino, Hartmann, Foda und Kreuzer sowie Trainer Jörg Berger kosteten den Klub eine Menge Geld, der sportliche Erfolg indes blieb aus (…) Für sportliche Erfolge fehlte jedoch nach wie vor ein qualifizierter Trainer. Den holte Jäggi 1999 in Person von Christian Gross. Fortan lagen die sportlichen Entscheidungen in den richtigen Händen. Nur: Für seine Spielerwünsche brauchte es mehr Geld, viel mehr Geld. Und hier landete der ehemalige Judoka und Schwarzgurtträger seinen im nachhinein wohl größten Coup für den FC Basel: Jäggi vermochte tatsächlich die Deutsche Brigitte Oeri, Gattin des milliardenschweren Roche-Erben Andreas Oeri, von ihrer Leidenschaft zum Fußball zu überzeugen. Seither engagiert sich die zierliche, blondierte und stets kräftig solariumgebräunte Endvierzigerin neben ihrem Puppenmuseum auch für ihr neues Steckenpferd, an dem sie nicht weniger als achtzig Prozent der Aktien hält. Und das geht so: Trainer Gross sucht den argentinischen Stürmer Christian Gimenez als Wunschspieler aus, Frau Oeri nickt die Transfersumme ab, zahlt – und Jäggi vollstreckt alsdann in bekannter Manier.“

Spielbericht FC Basel – FC Valencia (2:2) NZZ

Portrait Christian Gross, Trainer FC Basel NZZ

Birgit Schönau (SZ 23.10.) blickt hinter die Kulissen des italienischen Fußballs. „Adriano Galliani ist, was man banaliter ein Urgestein des italienischen Fußballs nennen könnte: seit 16 Jahren im Management des AC Mailand, neuerdings auch Chef der mächtigen Profiliga Lega Calcio. Einer der wenigen Bosse, die wirklich etwas von Fußball verstehen, sagen anerkennend über ihn die Spieler. Die Inkarnation eines Interessenkonflikts, der ganz Italien, und am Rande auch den Fußball an seinem Lebensnerv bedroht, meinen seine Gegner. In diesem Sommer hatte Gallianis Stuhl bei der Lega Calcio gehörig gewackelt. Eben noch hatte er, wie jedes Jahr, ein paar Tage Urlaub mit seinem alten Freund und Geschäftspartner Silvio Berlusconi gemacht, es war die übliche, nun etwas in die Jahre gekommene Boygroup, die sich in einer von Berlusconis Villen auf Sardinien versammelte. Alles Männer um die 60, die sich ewig kennen, und von denen Galliani berichtet: „Wir sagen ihm immer, dass wir das Rad sind, und er der Lenker.“ Der Lenker trug weiße Bermudas und dazu ein weißes T-Shirt, die anderen hatten sich in die gleiche Uniform geworfen. Die Boygroup regiert den Fußball, das Fernsehen und Italien. Einige sperrten sich gegen Galliani in der Lega, allen voran der Präsident des AS Rom, Franco Sensi. Der raue Alte mit dem Jargon eines römischen Droschkenkutschers hatte den glatten Norditaliener und sein seifiges Lächeln nie ausstehen können, er hält ihn für einen arroganten Lakai Berlusconis (…) Der Berlusconismus würde nicht funktionieren ohne Männer wie Adriano Galliani, der anstandslos und ohne eigene Ambitionen den Platz eines Statthalters ausfüllt, wie es dem Meister gefällt.”

Hintergründe, Spielerportraits

Philipp Selldorf (SZ 23.10.) erzählt eine sehr lesenswerte „deutsche Karriere“. „Das Rätsel um Michael Ballack liegt darin, dass er, nach seinen 1001 schweren Niederlagen auf dem Fußballplatz, von Tragik umwölkt sein müsste – und es ganz und gar nicht ist. Dass ihn nichts aufhält, umwirft und aus der Bahn bringt. Dass er offenbar nicht versinkt in Grübelei oder Traurigkeit, Zorn oder Depression. Und dass man ihm das nicht einmal übel nimmt (…) Da paart sich eine natürliche Leidenschaftslosigkeit mit einem philosophischen Talent. Ein Stoizismus, der keinem Traktat folgt, sondern eine angeborene Lebenshilfe ist. Bayern-Torwart Oliver Kahn nennt seinen neuen Mitspieler „einen Winner-Typ“. Keine Bezeichnung verdient mehr Widerspruch. Superstar Ballack, das Idol der Kinder und Jugendlichen, das Idol der Mädchen, Damen, Großmütter und Schwulen, die strahlende Leitfigur für das Unternehmen Weltmeisterschaft 2006, ist ein Verlierer, ist ein Verlierer, ist ein Verlierer. Mit dem Chemnitzer FC, für den er vom 14. Lebensjahr an gekickt hat, ist er aus der zweiten Liga abgestiegen. Beim 1. FC Kaiserslautern hat ihn sein Trainer Otto Rehhagel systematisch gedemütigt. Bei Bayer Leverkusen hat er sich und seinem Team vor zwei Jahren mit einem Eigentor im letzten Spiel den Titelgewinn versaut. Und in der vergangenen Saison ist er mit den Rheinländern innerhalb von 14 Tagen in allen großen Momenten dramatisch gescheitert: im Meisterschaftsfinish, im DFB-Pokalendspiel, im Europacupfinale. Das allein ist schon nicht schlecht, aber bei der WM in Asien setzte er noch einen drauf: Im Halbfinalspiel gegen Südkorea schoss er das Tor, das Deutschland ins Finale brachte – und wurde dann selbst mit einer lächerlichen Gelben Karte disqualifiziert. Einer Karte, die er bewusst verschuldet hat. Ballack hat mit 26 Jahren mehr Bedrohungen und Prüfungen überstanden als in elf komplette Fußballkarrieren passen.“

In gewohnt lobhudelndem Tonfall preist kicker-Chefreporter Karlheinz Wild (Tsp 23.10.) Oliver Kahn. „Im Sommer, bei der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea, war Kahn zum King und Torwart-Titan geadelt worden, wegen unerschütterlichen Widerstands gegen die Sturmgewalten aus Irland, Paraguay, Amerika oder Südkorea. Im heimischen Herbst jedoch hat ihn die Kritik nach normalen Spielen mit Treffern für die Konkurrenz aus dem spanischen La Coruña oder dem italienischen Mailand oder dem deutschen Leverkusen hart zugesetzt. Jetzt will er demonstrieren: Seht her, Leute! Seht her, ihr Besserwisser und Denkmalschänder! Noch habt ihr mich nicht gestürzt. Noch bin ich nicht gefallen, auch wenn ich in diesem Moment auf dem Boden knie. Ich stehe wieder auf. So war es immer bei Oliver Kahn.“ Wir fragen: Was bewegt eine ambitionierte Tageszeitung dazu, solche Hymnen abzudrucken, in denen Kritiker als “Besserwisser” und “Denkmalschänder” etikettiert werden? (demnächst vielleicht auch als: “Pinscher” oder “Schmeißfliegen”?)

Ralf Wiegand (SZ 25.10.) kommentiert die Diskussion um den vermeintlichen BVB-Aktienbesitzer Fredi Bobic (Hannover 96). „Dass an der Börse nicht nur Geld verbrannt wird, sondern bisweilen auch die Ehrlichkeit, ist nicht neu. Genügend Fälle von unstatthaftem Insiderhandel flogen auf, betroffen waren nicht nur Manager, sondern zum Beispiel auch Wirtschaftsjournalisten. Es ergibt also durchaus Sinn, dass sich die Deutsche Fußball-Liga vorbeugend Paragrafen in die Regeln schrieb, nach denen sich ein Verein nicht beim anderen einkaufen darf und auch die Spieler nicht Aktien ihrer Gegner halten sollen. Damit das Wertpapier nicht zum Totoschein verkommt. Die Sache mit Fredi Bobic, ob er nun Aktien hält oder nicht, wirft aber ein schlechtes Licht auf die gute Absicht: Schon beim kleinsten, beim allerersten Anlass, über Sinn und Unsinn der Aktien-Regel zu diskutieren, stolpert die DFL (…) Die Lage ist pikant, sehr pikant sogar. Bobic schoss gegen Werder Bremen zwei Tore, zuvor gegen Dortmund spielte er nicht, wegen einer anschließend rasend schnell verheilten Verletzung. Am Ende fehlen Bremen vielleicht diese zwei Punkte, um Dortmund aus dem internationalen Wettbewerb zu drängen. Bobic, falls BVB-Aktienbesitzer, hätte alles richtig gemacht. Das ist natürlich eine wilder Ritt ins Land der Phantasie, aber gerade im Sport gibt es kein Tabu, das nicht gebrochen wird. Bobic muss die Sache aufklären, am besten schnell.“

Hintergrund (Verstößt Bobic gegen DFL-Auflagen?) SZ

David, Beckham, der „kickende Kulturverfall“. Christoph Biermann (taz 24.10.). „Es ist weitgehend unstrittig, dass David Beckham zu den besten Fußballspielern der Welt gehört und ziemlich gut aussieht. Offensichtlich liebt er seine Frau und seine Kinder, wie er sympathisch und immer noch ein wenig schüchtern einräumt. Das behaupten jedenfalls alle, die ihn mal getroffen haben. Kompliziert wird Beckhams öffentliches Bild jedoch bereits dadurch, dass seine Frau nicht irgendein Girl next door ist, sondern das Girl next door einer ganzen Generation. Victoria Beckham sang bekanntlich früher bei den Spice Girls und lebt mit ihrem Mann heute in einem Anwesen, das in englischer Sehnsucht nach Königtum „Beckingham Castle“ genannt wird. Victoria hat David zum Geburtstag einen Bentley „Arnage T“ geschenkt, den er anschließend von 270 km/h auf 200 drosseln ließ. Sie schickte ihrem Mann zur WM auch einen Starfriseur nach Japan hinterher, um die Haare wieder herzurichten. Denn Victoria weiß, dass David ein besonderes Verhältnis zu Frisuren hat. Wenige Minuten nach der Entbindung des ersten Kindes bat er sie, ihm die Haare zu machen, damit er die Geburt vor der Presse verkünden konnte. Die Geschichte ist ihm ziemlich peinlich.“

„Die Affäre Möllemann erreicht den FC Schalke 04“ Tsp

Aus England

Irlands Ex-Internationaler Tony Cascarino (Times 21.10.) stellt das Buch von Irlands Nationaltrainer Mick McCarty vor und wertet das interne Buch-Duell Keane versus McCarthy klar für Irlands Internationalen Roy Keane (Manchester United): „Keanes Buch war brutal ehrlich, was ihm in Irland viel Sympathie eingebracht hat. McCarthy hingegen liefert keine Überraschungen und lässt Antworten auf Keanes Attacken vermissen. McCarthy läuft nicht Gefahr, für sein Buch kritisiert zu werden, wie es beispielsweise Glenn Hoddle und David O’Leary wurden. Er flüchtet sich in endlose Phrasen, nur um das Richtige zu sagen, was sicherlich nicht dem entspricht, was er wirklich fühlt. Vielleicht fürchtet er Anfeindungen, die ihm seinen Job kosten könnten.“

Oliver Kay (Times 19.10.) beschreibt die Stadt Manchester. Auslöser ist wiederum Roy Keane: „Manchester bleibt eine geteilte Stadt, mit Roy Keane im Brennpunkt. Gerade als Sir Alex Ferguson am Freitag erklärte, sein Kapitän sei vom Disziplinarkommittee zu hart bestraft worden, betonte Manchester City sein Vorhaben erneut, Roy Keane für seine berühmtes Foul, das wahrscheinlich das Karriereende von Alf Inge Haaland verursacht hat, vor ein ordentliches Gericht zu stellen. Die Beziehung der beiden Clubs, die in drei Wochen an der Maine Road aufeinander treffen, war selten so gespannt. City-Boss David Bernstein sagte, sowohl City als auch Haaland würden in diesem Fall weiter Rechtsberatung in Anspruch nehmen.“

Dennis Cambell (Guardian 20.10.) stellt die verlogene Diskussion Englands um die rassistischen Vorkommnisse in Bratislava bloß: „Emile Heskey hat die Beschimpfungen der Fans in Bratislava als die schlimmsten bezeichnet, denen er jemals ausgesetzt gewesen sei. Der Stürmer Liverpools sagte sogar, dass solches Verhalten in englischen Stadien nicht mehr anzutreffen sei. Diese Kommentare verstärken das allgemeine Empfinden, der englische Fußball sei frei von Rassismus. Nur hat Heskey leider nicht recht. Vergangenes Wochenende hat es keine vier Minuten vom Anpfiff an gedauert, bis Fans Heskey als Nigger und „black c***“ beschimpften. Das Rassismus in englischen Stadien so gut wie nicht mehr vorzufinden ist, ist nicht mehr als ein selbstgefälliger Mythos. Rassismus ist immer noch vorhanden und meistens passiert dieser unbestraft. Fragt man Efe Sodje, Verteidiger bei Crewe Alexandra, der für Nigeria gegen England und Argentinien bei der Weltmeisterschaft spielte, so hat er nicht nur von Fans sonder auch auf dem Platz beschimpft. Seine Frau Susannah hat Drohbriefe eines Manchester-City-Fans erhalten, sie habe die weiße Rasse „verraten“, weil sie einen schwarzen Mann geheiratet hat. Der „moderne“ Rassist mag nicht mehr so beleidigend zu schwarzen Spielern sein wie seine Vorgänger. Heutzutage zählt weniger die Hautfarbe als vielmehr der Fakt, überhaupt Ausländer zu sein. David Ginola beispielsweise war Woche für Woche ein „french c***“ für Hunderte von Fans. Sogar Dennis Bergkamp war ein „useless Dutch c***“ für eine unüberhörbare Fangemeinde Arsenals. Woche für Woche machen sich Hunderte, wenn nicht Tausende strafbar und nur vierzehn wurden bisher aus den Stadien verbannt.“

Carsten Germann (Welt 24.10.) schreibt über Rassismus in Europas Fußballstadien. „Auf der Insel, das zeigt eine in den vergangenen Tagen entbrannte Debatte, ist Rassismus im Fußball an der Tagesordnung, wenn auch nicht mehr auf dem Niveau der 70er-, 80er-Jahre. Zwar ging die offiziell registrierte Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten bei Premier-League-Spielen von 82 im vergangenen Jahr auf 46 in diesem Jahr zurück. Doch Rassismus, räumt der Fußball-Soziologe Jon Garland von der Universität Leicester ein, „ist hier ein gravierendes Problem.“ Das sich aber auch in ganz Europa wieder ausbreitet. Nicht einmal die erfolgreiche Integration ausländischer Stars bewahrt die Klubs vor Rassismus der eigenen Fans. In Eindhoven etwa gilt die Meute als besonders gefährlich: Als der PSV gegen Arsenal London in der Champions League verlor, wurde Arsenals Stürmer Thierry Henry bei Eckbällen mit rassistischen Gesängen beleidigt und mit Raketen beschossen, dabei spielen in Eindhoven ebenfalls fünf dunkelhäutige Profis. Liverpools Heskey musste in Valencia üble Schmährufe über sich ergehen lassen, obwohl beim spanischen Meister der gleichfalls dunkelhäutige Norweger John Carew für Tore sorgt. Lazio Rom sieht inzwischen von Verpflichtungen dunkelhäutiger Stars ab. Mit über 100.000 Schweizer Franken Strafe in zwei Jahren liegen die Römer bei Rassismus-Bußgeldern weit vorne (…) Als besonders berüchtigt gelten die Fans von Leeds United, die in ihrer Wortwahl nicht zimperlich sind. Auch die Anhänger von West Ham und Newcastle United fielen zuletzt negativ auf und machten Chelseas Stürmer Jimmy Floyd Hasselbaink zu ihrer Zielscheibe. Der Niederländer revanchierte sich auf seine Art: Er schoss das erste von drei Toren gegen Newcastle und hatte beim Torjubel Tränen der Wut in den Augen.“

Weiteres

Friedhard Teuffel (FAZ 23.10.) rezensiert. „Ob sich am gespannten Verhältnis zwischen Japan und Korea durch die Fußball-Weltmeisterschaft dauerhaft etwas ändert? Wenn sich die WM-Geschichte treu bleibt, dann wird es keinen Wandel durch Annäherung geben. Die Verbandspräsidenten und Marketingstrategen des Fußballs können erzählen, soviel sie wollen: Die WM überwindet keine Grenzen. Sie ist zwar ein globales Ereignis, ihre Auswirkungen sind jedoch immer national (…) Meist schildern die Autoren eher nüchtern, als daß sie farbig erzählen, und gerade die Entstehungsgeschichte des Fußballs in den Austragungsländern ist manchmal langweilig geraten. Auch wirken die Bilder oft lieblos ausgewählt. Aber je jünger die Weltmeisterschaft, desto lebendiger das Buch. Nach dem Turnier in Japan und Korea haben die Autoren ihre WM-Geschichte noch einmal aktualisiert (…) Manchmal waren die Mannschaften jedoch selbst schuld daran, daß nicht jede WM ein Fest wurde. Denn immer wieder kehrt die Defensivtaktik, manchmal gar die Zerstörungstaktik auf die größte Bühne des Fußballs zurück. Der Fußball erlebte beispielsweise 1990 in Italien eine besonders farbenfrohe WM mit kulturellem Rahmenprogramm. Auf dem Rasen fielen jedoch so wenige Tore wie noch nie und das einzige im Finale auch noch per Elfmeter. Auch in taktischer Hinsicht ist die WM kein kontinuierlicher Prozeß hin zum Wahren, Schönen und Guten. Das einzige, was in der Geschichte der Weltmeisterschaften konstant verläuft, sind Globalisierung und Kommerzialisierung.“ Dietrich Schulze-Marmeling, Hubert Dahlkamp: Die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft 1930-2006, Verlag Die Werkstatt Göttingen, 544 Seiten, 24,90 Euro.

Nach dem 2:2-Remis zwischen dem FSV Mainz 05 und dem 1. FC Köln analysiert Uwe Marx (FAZ 23.10.) die Situation beider Vereine. „Beide Trainer wußten nicht so recht, wo ihre Mannschaften nach der Länderspielpause stehen. In alter Robert-Lembke-Manier fragten sie sich: Was bin ich? Für Mainz hieß das: Mitläufer in der zweiten Liga oder abermals, wie in der vergangenen Spielzeit, Aufstiegskandidat? Und für Köln: überschätztes Durchschnittsteam oder unaufhaltsamer Aufsteiger? Die Mainzer Zweifel nährten zuletzt zwei Spiele ohne Sieg und Tor, in Fürth und zu Hause gegen Freiburg. Die Kölner Hoffnungen wurden beflügelt durch ein 7:0 gegen Union Berlin nach zuvor eher mäßigen Leistungen trotz vieler Punkte. Nach dem 2:2 dürfen beide Parteien von der günstigeren Antwort auf ihre Fragen ausgehen. Sie gehören zu den stärksten Mannschaften der Liga. Köln ist jetzt Tabellenerster vor Freiburg, Mainz weiterhin Siebter, fünf Punkte dahinter. Bewahrt sich Köln seine Wucht und Effektivität, müßte der Aufstieg gelingen. Setzt Mainz weiter auf seine spielerische und läuferische Stärke, könnte der Aufstieg gelingen – auch wenn die Mannschaft jetzt im dritten Spiel nacheinander ohne Sieg blieb. Die Mainzer Vorzüge brachten den hoch gehandelten Gegner anfangs sogar in arge Verlegenheit. Wenn Klopps Elf ihr Offensivpressing ansetzte, stolperten Funkels Spieler (…) Im Systemvergleich beider Mannschaften – hier spielerische Finesse, dort routinierter Kraftfußball – gab sich Köln unbeirrt.“

Eintracht Braunschweigs Entwicklung stagniert, findet Jörg Marwedel (SZ 24.10.). „Der Traditionsklub, der 1967 sogar Deutscher Meister war, ist nach gerade beendeter neunjähriger Abstinenz vom Profifußball schon wieder ziemlich weit unten: Zweite Liga, letzter Tabellenplatz (…) Das Ziel, die Eintracht wieder zum Rivalen des stolzen Bundesliga-Aufsteigers Hannover 96 zu machen, ist ziemlich in die Ferne gerückt.“

Wettbewerbsverzerrung in der Regionalliga SZ

Die Zeit (24.10.) charakterisiert den nun wohl mächtigsten Mann im deutschen Fußball: Günter Netzer. Seine berühmteste Szene? Wie er sich im Pokalfinale 1973, es war in der Verlängerung, langsam erhebt von seinem Platz auf der Ersatzbank. Und wie er dann erstmals in diesem Spiel den Ball berührt und ihn in den linken oberen Torwinkel drosch. Zum 2:1-Siegtor der Borussia aus Mönchengladbach im Pokalfinale über den 1. FC Köln. Bemerkenswert war auch seine ritualisierte Freistoßpflege. Diese Standfotos der Bedächtigkeit, wenn er sich den Ball zurechtlegte vor dem Freistoß. Wenn er hier noch ein Krümelchen fand, das die perfekte Rundung des Balles störte, dort noch die Reste eines Grashalmes wegzupfte, als ob dieser Grashalm die gleiche verheerende Wirkung habe wie die letzte Schneeflocke, die den überladenen Ast zum Abbruch bringt. Minuten vergingen. Wenn man das Prinzip der Langsamkeit als Netzersches Charakteristikum begreifen will, dann wird auch stimmig, dass er erst jetzt, in seinem 58. Lebensjahr, zur Macht gelangt ist und nun über die Vermarktungsrechte des Fußballs gebietet.

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Sonntags-Spiele in Schalke und Berlin – Simak wolle Karriere beenden, meldet die SZ

Hertha Berlin – Hamburger SV 1:1

Javier Cáceres (SZ 30.9.) berichtet Berliner Enttäuschung: „Nach der Uefa-Cup Blamage vom Mittwoch gegen Grodzisk/Polen hatte Trainer Huub Stevens seine Mannschaft derb und öffentlich ermahnt, und immerhin einen, von Hoeneß, Stevens und dem zur Halbzeit applaudierenden Publikum bejahten Effekt hatte dies: Eine Stunde lang brauchten sich die Herthaner in Sachen Einsatz, Konzentration und Disziplin nichts vorwerfen zu lassen. Heraus kam zwar ein Fußball, der so inspirierend und schwungvoll war wie Türme aus Bauklötzchen, andererseits aber zur Führung reichte, weil der gleichfalls kriselnde HSV ein noch profilloseres Spiel bot. Dann aber zwickte es Neuendorf im Oberschenkel, und am Spielfeldrand bereitete sich der Mann auf seinen Einsatz vor, an dem alles zerbrach wie das Licht in einem Prisma, die Stimmung im Stadion, die Ordnung, das Spiel: Niko Kovac, im Sommer heimgekehrter Mittelfeldspieler. Er wurde mit Pfiffen begrüßt, vergaloppierte sich im Mittelfeld und trug das Seinige dazu bei, dass der HSV eine Übermacht erlangte, die alles andere als absehbar war. Vermutlich kann Hertha sogar von Glück sprechen, dass der Ausgleich erst in der 91. Minute fiel. Aufgrund der zweiten Halbzeit, sagte Schlicke, „haben wir hier zwei Punkte verschenkt“. Quittiert wurde der Ausgang vom Berliner Anhang mit Pfiffen; die Lage wird für Stevens mit jedem Tag komplizierter.“

Zwischen Euphorie und Depression

Christian Ewers (FTD 30.9.) berichtet Hamburger Jubel: „Die Trikots der Gegenspieler hatten sie sich wie erbeutete Felle um den Hals gelegt, und manch einer der Hamburger Fußballprofis war so stolz, dass er mit durchgedrücktem Kreuz in die Umkleidekabine marschierte. Irgendwie konnten sie sich ja auch als Sieger fühlen. Die HSV-Fans feierten selbst Mannschaftsbetreuer Hermann Rieger, als habe der gerade das entscheidende Tor zur Meisterschaft geschossen. Auf dem Weg in die Kabine trafen die HSV-Spieler dann ihre Berliner Kollegen. Die hatten ein Stahlbad hinter sich. Sie wurden von den eigenen Fans angepöbelt und ausgepfiffen; mit hängenden Schultern schlichen sie über die Tartanbahn. Was war passiert? Hatte der HSV 5:0 gewonnen in Berlin? War Hertha abgestiegen? Nichts davon. Auf der Videowand leuchtete ein unspektakuläres Ergebnis auf. 1:1 – Punkteteilung. Die heftigen Publikumsreaktionen angesichts eines solch bescheidenen Resultats sagen viel aus über den Zustand der beiden Klubs. Sie oszillieren selbst zwischen Euphorie und Depression.“

Schalke 04 – Eintracht Frankfurt 1:1

Limitierte Fähigkeiten

Richard Leipold (FAZ 30.9.) beobachtet Heynckes und Assauer in Argumentationsnot: “Die beiden Koalitionspartner vollführen einen verbalen Parallelschwung, der so wenig überzeugt wie das rätselhafte Gekicke vorher auf dem Rasen. Die aktuelle Hochrechnung verheißt nichts Gutes. Sieben Punkte aus sieben Spielen: Bliebe dieser Trend bis zum Saisonende gültig, wäre der Abstieg nur schwer zu verhindern. Vor einem Jahr hatten die Schalker nach sieben Runden zwölf Punkte. Zufrieden waren sie auch damit nicht gewesen, weil die Mannschaft nicht sonderlich attraktiv Fußball gespielt hatte. Der Jahrgang 2003 indes weiß seine limitierten Fähigkeiten bisher nicht mit akzeptablen Ergebnissen zu kaschieren. Natürlich hat Heynckes Erklärungen dafür, und zwar immer die gleichen: zu viele Verletzte, zu viele junge Profis, zu wenig automatisierte Spielzüge. Uns fehlen Eckpfeiler, die auf dem Platz das Zepter übernehmen können. So dümpelt eine Ansammlung durchaus williger Fußballspieler nahezu führungslos über den Rasen. Die Partie gegen Frankfurt war exemplarisch für die Schwächen, die sich laut Heynckes nur in einem langwierigen Trainingsprozeß ausmerzen lassen. Selbst wenn Schalke in Führung geht wie gegen die Eintracht, stellt sich kein Gefühl von Sicherheit ein – als suggerierte das Unterbewußtsein den Spielern, daß sie den Ansprüchen nicht gewachsen seien. Wenn die Zeit vergeht wie im Fluge und das zweite Tor nicht fällt, würden die Gegner immer mutiger vor lauter Freude, in dieser Arena spielen zu dürfen, sagt Assauer. Bei uns dagegen werden die Beine unruhig. Mittelfristig müsse Schalke wieder mehr in Beine investieren. Bis dahin muß Heynckes den Mangel verwalten (…) So hat die Koalition zwischen Trainer und Manager die ersten sieben mageren Wochen überstanden. Und was machen die Fans? Ihnen hatte besonders Assauer eine Zeitlang vorgeworfen, sie würden die Mannschaft mit ihrer Ungeduld verunsichern. Gegen Frankfurt störte das Publikum nicht ein einziges Mal; erst nach dem Spiel pfiffen die Anhänger auf ihre ungeliebten Lieblinge. Sonst war Ruhe. Die Ruhe vor dem Sturm?“

In der Fußballbranche sind psychische Schwächen ein Tabu

„Jan Simak, 24, will aussteigen und nicht mehr Profi sein. Sofort!“, meldet Jörg Marwedel (SZ 30.9.): „Er wolle nur noch nach Hause; selbst das Geld, das er bis 2007 verdienen könnte – so lange läuft der Vertrag mit seinem „Besitzer“ Bayer Leverkusen – sei ihm derzeit völlig egal. Die Äußerungen würden zu der von Berater Christoph Leutrum vergangene Woche in Umlauf gebrachten Diagnose passen, Simak leide unter depressiven Schüben. Bei Hannover 96 dagegen hatten die Verantwortlichen dieser These zuletzt massiv widersprochen. Gestern drohten sie dem Profi erneut mit Regressforderungen. Auch Rangnick, der zunächst gesagt hatte, Simak brauche Hilfe, ist auf diesen Kurs eingeschwenkt. Sportdirektor Ricardo Moar wiederum unterstellte Leutrum, er selbst habe wohl psychische Probleme, wenn er solche Dinge verbreite. Niemals, so Moar, habe es Anzeichen für eine Depression gegeben: „Jan hat doch jeden Tag Witze gemacht.“ Eine Äußerung, die auf wenig Wissen über depressive Erkrankungen schließen lässt, aber zur Fußballbranche passt, in der psychische Schwächen ein Tabu sind. Der Berater jedenfalls wundert sich über das Verhalten der 96-Führung. Schließlich habe man nach Simaks erstem Aussetzer zu Saisonbeginn, als er zwei Tage verschwunden war und ein Fotoshooting für das offizielle Mannschaftsfoto verpasste, gemeinsam mit Rangnick am Tisch gesessen und einen Therapeuten gesucht. Das Problem: Der Profi habe die vereinbarten Termine nicht wahrgenommen.“

„Fatalerweise hängt das sportliche Wohl des Traditionsklubs sehr eng mit der Laune und. dem psychischen Befinden des tschechischen Professionals zusammen“, ergänzt Martin Hägele (NZZ 30.9.): „Eine Viertelstunde lang passte auf dem Betzenberg von Kaiserslautern alles zu den jüngsten Elogen über Hannover 96. Als „hochgerüstete Topmannschaft“ hat der DSF-Kritiker Udo Lattek die Mannschaft von Ralf Rangnick neulich eingestuft. Die Altmeister Otto Rehhagel und Ottmar Hitzfeld schwärmten in seltener Einigkeit vom Offensivfussball à la Hannover. Und aus den Worten von Goalgetter Fredi Bobic, der aus der Kanzlerstadt in den Verein der Hauptstadt weitergezogen war, konnte man fast Wehmut heraushören, als er das Spiel seiner alten Kameraden mit dem „Tanz auf der Rasierklinge“ verglich, so aufregend und riskant sei es. An diesem Samstag in der Pfalz schien sich Hannover für längere Zeit als neues Mitglied in den Top Five der Bundesliga zu etablieren. Das Publikum im Fritz-Walter-Stadion hatte schon den Daumen gesenkt über seine sonstigen Lieblinge. In diesem Moment aber liessen sich die Besucher aus der norddeutschen Tiefebene einschläfern vom simplen Kick and Rush der Pfälzer, „herunterziehen auf deren Niveau“, wie es der Coach ausdrückte. Für Rangnick war klar, dass dies normalerweise nicht passiert wäre, „mit Jan Simak hätten wir die abgeschossen“. Leider aber war der Spielmacher und Goalgetter der Niedersachsen zu diesem Zeitpunkt noch immer verschollen; irgendwo in Tschechien. Offensichtlich befand sich das komplette Team der 96er in Gedanken mit dem Arbeitskollegen auf der Flucht. Seit Dienstag habe man gerade mal vier Minuten über Fussball geredet, berichtete Rangnick, ansonsten ging es nur noch ums Schicksal des vermissten Stars. Leidet er unter Depressionen? Wo in seiner Heimat hält er sich versteckt? Und macht er wirklich in Prag ein Bistro auf, wie es ein paar Boulevard-Reporter vermuteten, die dem Richard Kimble der Bundesliga ziemlich nahegekommen waren?“

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Bundesligahintergründe, Fußball in Italien, England, Schottland, Österreich

Bundesligahintergründe aus München, Bremen, Hamburg, Berlin und Bochum – Auslandsfußball aus Italien, England, Schottland und Österreich – Zweite Liga, diplomatische Differenzen zwischen Dortmund und London? (mehr …)

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Lauterer Führungsetage

„Nun haben Statements aus der Lauterer Führungsetage, auch wenn sie forsch und prägnant formuliert sind, keinesfalls die Aussagekraft von Gesetzestafeln. Im Fall Brehme/Stumpf scheinen nicht einmal die Beteiligten der Wende ihres Vorstands folgen zu können. Es gab auch keinerlei Anzeichen, dass sich innerhalb der Mannschaft etwas gebessert haben könnte. Basler und Co. entdeckten erst in den letzten Minuten der Saison, dass für ihre Firma ein paar Millionen Euro auf dem Spiel standen; zuvor waren sie ihren letzten Bundesliga-Auftritt gegen die ersatzgeschwächten Schwaben (ohne Regisseur Balakov und Abwehrchef Bordon) so locker wie ein Freundschaftsspiel angegangen.“ (Volltext)

Oliver Trust (FR 06.05.02) zum selben Thema:

„Nun wird erwartet, dass Robert Wischemann auf den Tisch haut. Der Aufsichtsratsvorsitzende und Brehme sind nicht die besten Freunde, seit Wischemann vor Tagen das Ergebnis der Trainerarbeit als unbefriedigend einstufte und Brehme beleidigt konterte: Den Wischemann nehme ich nicht für voll. Vielleicht war es gut für Andreas Brehme und seine Familie, dass Wischemann das Bundesligafinale lieber in seiner Jagdhütte im Pfälzer Wald anschaute. Dort, so vermuteten die Pfälzer Fans, hat sich Wischemann auf seinen Traktor gesetzt und ein Feld umgepflügt, wie er es bei Niederlagen oft tut, um Dampf abzulassen. Den Rest, der übrig bleibt, werden wohl Andreas Brehme und Reinhard Stumpf zu spüren bekommen.“

Claus Dieterle (FAZ 06.05.02) über die vergebene Chance des FCK, sich für den Uefa-Cup zu qualifizieren:

„Wer gesehen hat, mit welcher Naivität und Schusseligkeit sich die Mannschaft in Stuttgart um ein versöhnliches Saisonende brachte, muss sich schon wundern. Wer tapfer dreimal einen Rückstand auf des Gegners Platz aufholt und am Ende dennoch mit leeren Händen dasteht, kann sich zwar einer intakten Moral rühmen, aber sicher nicht der nötigen Cleverness.“

Martin Hägele (NZZ 30.04.02) über einen möglichen Trainerwechsel beim 1. FC Kaiserslautern.

„Selbst wenn das Team vom 1. FC Kaiserslautern am Samstag im Gottlieb-Daimler-Stadion obsiegen würde und im Rennen um den letzten Uefa-Cup-Platz den Konkurrenten Werder Bremen abfangen könnte, wäre das keinesfalls eine Arbeitsplatzgarantie für das Trainer-Duo. Das ursprüngliche Saisonziel – die Teilnahme an einem internationalem Wettbewerb – gilt seit einigen Tagen nicht mehr länger als einziges Kriterium für den Leistungsnachweis des Gespanns (…) Dass in Kaiserslautern ganz besonders gern die Trainer zu Sündenböcken gestempelt werden, hängt auch mit dem Charakter der Klub-Chefs zusammen. Sowohl der nun Sechzigjährige und inzwischen amtsmüde Friedrich als auch sein Vorgänger, der hausbackene Hubert Kessler, haben die Verantwortung gern abgegeben an vermeintliche Koryphäen und persönliche Freunde. So kam es, dass jahrelang keine Entscheidung im Klub ohne das Plazet der Trainer-Familie Rehhagel gefällt wurde.“ (Volltext)

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Der Fußball, nur der Fußball gewann das dramatische Finale in Italien

„Der Fußball, nur der Fußball gewann das dramatische Finale in Italien, nach einer durchwachsenen Saison voller Langeweile und ohne echte Höhenflüge, nach einem Endspurt der Intrigen, Verdächtigungen und Verschwörungstheorien. Dass Rekordmeister Juventus Turin am Ende den 26. Titel mit einem 2:0 in Udine holte, während sich die Favoritin Inter nach der 2:4-Niederlage gegen Lazio als Drittplatzierte hinter dem AS Rom nun auch noch für die Champions League qualifizieren muss, ist das Resultat einer Meisterschaft, in der außer dem Stadtteilklub Chievo Verona (der sich einen Platz im Uefa-Cup sicherte) keine Mannschaft wirklich begeisterte. Längst schreiben in der Milliardenliga Pleiten und absurde Transfers, Dopingskandale und Ranküne in der Führungsspitze größere Schlagzeilen als das Geschehen auf dem Platz.“ (Volltext)

Dirk Schümer (FAZ 07.05.02) schreibt über die Prioritäten des italienischen Vereinsfußballs:

„Wie wertvoll der nationale „Scudetto“ für die Vereine der Serie A ist, zeigte sich daran, wie leichtfertig, ja nahezu wehr- und emotionslos alle drei im titelkampf verbliebenen Klubs in den europäischen Wettbewerben ausschieden.“

Peter Hartmann (NZZ 07.05.02) beschreibt italienische Tugenden:

„Man kann den italienischen Fußball zynisch und publikumsverachtend finden. Man kann seine taktische Inzucht bedauern, die megalomanische Überheblichkeit und Verschwendungssucht der Bosse anklagen, die längst auf der „Titanic“ tanzen, ohne es zu merken. Aber dieser Fußball überlebt dank einer „unité de doctrine“, einer Schule der Schlauheit: jeder Spieler, jeder Trainer erkennt instinktiv die Schwächen des andern, aber auch die eigenen. Das schafft diese Pattsituationen in den italienischen Arenen, den Kult des Null-zu-null, dieses schwierigsten aller Resultate. Weil immer alle elf gleich denken, wenn Italiener Fußball spielen, könnte die Squadra Azzurra an der kommenden WM in Asien sehr weit vorstoßen. Berti Vogts sprach einmal von den nationalen Tugenden. An die Schlauheit hat er vermutlich nicht gedacht.“ (Volltext)

Vincenzo Delle Donne (Tsp 07.05.02) berichtet von den „Sicherheitsvorkehrungen“ vor dem letzten Spieltag:

„Inter Mailand hatte es unter Trainer Hector Cuper nicht geschafft, am letzten Spieltag die Tabellenführung der Serie A über die letzten 90 Minuten zu retten. Im siebenten Jahr seiner Präsidentschaft und nach Investitionen von über 500 Millionen Euro steht Präsident Massimo Moratti erneut mit leeren Händen da. Dabei waren die Vorzeichen für die Mailänder günstig wie nie. Selbst die Fans vom Gegner Lazio Rom schwenkten um, unterstützten in einer „surrealen Komödie“ (Gazzetta dello Sport) die Spieler von Inter (…) Aus Angst vor möglichen Schiebereien hatte der Verband drei Inspektoren auf die Plätze geschickt, in denen die Meisterschaft entschieden wurde. In ihrem Bericht sollen aber keine besonderen Vorkommnisse vermerkt worden sein.“ (Volltext)

Peter Hartmann (NZZ 30.04.02) über einen unverhofften Frühling in der Serie A:

„Die italienische Serie A scheint entfesselt. Im Entscheidungskampf um den Titel verdrängen die Meister des Spieleinfrierens ihre Sicherheitsbedenken, fordern volles Tempo über 90 Minuten. Das Ziel ist das Toreschießen, nicht die Gesichtswahrung. Das Ergebnis dieses Mentalitätswandels, der von der Alles-oder-nichts-Konstellation im Meisterschaftsfinale provoziert wird, lässt das Land in neue Begeisterung ausbrechen: Der Fußball kehrt zurück in die Arenen, die monatelang mit taktischen Fallen vermint waren.“ (Volltext)

Birgit Schönau (SZ 25.04.02) über Roberto Baggio, Italiens beliebtesten Fußballer, der allerdings ob seiner 35 Jahre die WM vor dem TV verbringen werden muss:

„Es gibt viele, sehr viele durchschnittliche Fußballspieler in Italien und eine Menge Stars. Einer ist ein Mythos, Roberto Baggio. Er wird verehrt, vor allem aber wird er geliebt. Bei Tifosi aller Klubs ist er populär, aber auch bei Menschen, die (gibt es, in Italien) nie in ihrem Leben ein Fußballstadion betreten haben. Er gefällt den Intellektuellen, den Dichtern und den Sängern, sie schreiben Leitartikel über ihn, Songs und Gedichte, sie huldigen seinem Genie. Vor der Klinik in Bologna, in der er seine Knieverletzung auskurierte, warteten jeden Morgen Dutzende von Fans auf ein Autogramm. Sie waren aus Turin gekommen, aus Rom und aus Neapel – und manche hatten eine Nacht im Auto verbracht, um einen Blick von ihrem Idol zu erhaschen. Baggio ist eine Projektion, auf dem besten Weg, ein Monument zu werden, für einen calcio, von dem alle träumen, und den es unwiderruflich nicht mehr gibt. Ein Fußball, der von Visionen geprägt ist und von Spielfreude, von echter Leidenschaft und durchlittenen Triumphen. Listig und fintenreich, schnell und unberechenbar ist Baggio auf dem Platz, körperliche Schwächen mit Willenskraft und Phantasie ausgleichend, ein moderner Odysseus. “ (Volltext)

Peter Hartmann (NZZ 23.04.02) weiß, welchen beiden Stars die Serie A die wiederentdeckte Attraktivität und Spannung zu verdanken hat:

„Die Serie A drohte – mit Inter, Juve und Roma innerhalb von zwei Punkten in noch zwei Runden vor Schluss – in den üblichen Schiedsrichter-Polemiken zu enden, und jetzt wird diese unerhört spannende Situation vielleicht durch zwei magische Unterhalter wie Baggio und Ronaldo entschieden. Talent und Poesie kommen wieder an den Ball. Hoffentlich auch an die Macht (…) Zehn Jahre Altersunterschied trennen sie, fast ein Generationenschnitt, aber beide haben eine eigentümlich verwandte Laufbahn durchlitten bis heute. Das Genie und das Knie. Baggio zerriss sich erstmals mit 17 Jahren die Bänder, noch ehe seine Karriere begann. Ronaldo wurde vor drei Jahren durch einen Sehnenriss aus seinen fabelhaft schnellen Dribblings geworfen, und er schien nie mehr auf die Beine zu kommen.“ Aber „Il Codino“, das mittlerweile leicht ergraute Pferdeschwänzchen, und „Il Fenomeno“, der unwiderstehlich Phänomenale, sie sind wieder da, und sie haben einen Funken entzündet. Nach allen hausgemachten Krisen, Katastrophen und Intrigen der Serie A und ihrem abstumpfenden Gewohnheitsgemisch aus „Muskelkraft, Pressing, taktischen Fouls und Langeweile“ (Corriere della Sera) schauen die Italiener plötzlich erstaunt weg von den scheindramatischen Schiedsrichtertribunalen am Fernsehen und den kindischen Hahnenkämpfen der Präsidenten- und Managerkaste – gemessen an den begeisterten Kommentaren haben sie soeben den Fußball neu entdeckt.“ (Volltext)

Birgit Schönau (SZ 22.04.02) über den Einfluss des italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi auf den Fußball:

„Jetzt aber ist er Regierungschef, verbreitet ungeniert, dass 70 Prozent der Italiener so dächten wie er, und deshalb denken 99 Prozent der Italiener, nur böse Mächte könnten der Squadra Azzurra noch den Weltmeistertitel streitig machen (das verbleibende Prozent interessiert sich nicht für Fußball). Wovon sich dieser Optimismus nährt, ist rätselhaft, zumal zuletzt das 1:1 gegen eine Mitleid erregend schlecht spielende Auswahl aus Uruguay (siehe

Peter Hartmann (NZZ 16.04.02) berichtet von der Finanzkrise im italienischen Fußball. Mehrere Klubs – darunter Lazio Rom und AC Fiorentina – sind derzeit nicht in der Lage, Spielern- und Trainerlöhne zu zahlen:

„Geld ist im italienischen Fussball immer ein Thema, und Zahlen, fabulöse Wolkengebirge aus Lire-Milliarden, untermauerten bisher die Selbsteinschätzung von der „schönsten Meisterschaft der Welt“ (…) Aber es gab ein Tabu, das alle eisern respektierten: Nie hat ein Spieler (oder ein Trainer) öffentlich aufbegehrt, wenn er das Salär seines Arbeitgebers nicht auf dem Konto vorfand. Eher gibt einer zu, dass seine Frau fremdgeht. Das ist anders in dieser Saison. Die Fronarbeiter von Fiorentina, die jetzt unausweichlich den Abstieg in die Serie B anzutreten haben, setzten ihrem Präsidenten Vittorio Cecchi Gori schon bei Meisterschaftshalbzeit öffentlich die Daumenschrauben eines Verfahrens an, das ihnen ermöglicht, ihre Verträge zu zerreißen und ohne Ablösesumme in einem neuen Klub ihrer Wahl anzuheuern. Mit der Einführung des Euro sind im Fussballzirkus nicht nur sehr viele Nullen verschwunden, sondern auch die Illusionen von der Überlegenheit des italienischen Systems, das auf dem Wunderglauben an immer höhere TV-Einkünfte und deren spekulativen, vorweggenommenen Verschleuderung beruhte. Ein bisher unter Verschluss gehaltenes Gutachten der Wirtschaftsprüfer Deloitte Touche enthüllt die fatale Schuldenentwicklung und, das erst weckte die Öffentlichkeit auf, die lasche Zahlungsmoral mancher Klubs gegenüber ihrem spielenden Personal.“ (Volltext)

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Pokalsieg Arsenal

Martin Pütter (NZZ 19.5.) teilt mit, dass der Pokalsieg Arsenal ein schwacher Trost für entgangene Erfolge ist. „Die wahre Freude fehlte bei den Arsenal-Spielern. Zwar jubelten sie nach dem Schlusspfiff über ihren 1:0-Sieg gegen Southampton im 122. Endspiel um den FA-Cup; auch bei der Pokalübergabe in Cardiffs Millennium-Stadion strahlten ihre Gesichter noch, doch bei der Ehrenrunde mit der Trophäe zeigten sie, wie etwa Robert Pires, der den entscheidenden Treffer erzielt hatte (38.), eher ernste Züge. Was der zweite Cup-Erfolg hintereinander und der insgesamt neunte in der Vereinsgeschichte für die Londoner bedeutete, hatte Mittelfeldspieler Freddie Ljungberg schon vor dem Spiel erklärt: “Auch wenn wir den Cup gewinnen wollen, es kann keine Entschädigung sein”, sagte der Schwede, der sich wie seine Mitspieler und Trainer Arsène Wenger immer noch darüber ärgert, den Gewinn der Meisterschaft verpasst zu haben. Dass der FA-Cup nicht mehr als ein Trost für das Verpassen des grossen Zieles ist, deutet aber auch an, wie sehr der älteste Fussballwettbewerb an Bedeutung verloren hat. Das bekommen auch die Fans von Arsenal zu spüren. Der Klub verzichtet auf die sonst traditionelle Triumphfahrt, welche der Sieger bisher immer mit dem Pokal unternommen hat – die Strassen in den Nordlondoner Stadtteilen Highbury und Islington werden damit am Sonntag ruhig bleiben. Auch das Preisgeld von einer Million Pfund für den Sieg verblasst im Vergleich zu den 9,5 Millionen Pfund, welche die “Gunners” für den zweiten Platz in der Meisterschaft erhalten haben. Unter diesen Umständen erstaunt es nicht, dass der Erfolg auf wenig überzeugende Weise zustande kam – er war tatsächlich ein schwacher Trost im mehrfachen Sinn.“

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Zu Großem berufen

Raimund Witkop (FAZ 22.4.) ist von Bremens französischem Spielmacher enttäuscht. „Vielleicht bedarf es zur Inspiration dieses Künstlers der großen Bühne. Daß Johan Micoud den Bremer Rahmen beim Spiel seines SV Werder gegen den VfL Wolfsburg nicht zureichend fand, war am Karsamstag nur allzu rasch zu sehen: ein paar Kabinettstückchen ohne Ertrag, ein paar Ideen ohne Nutzwert, und dahin war es mit der Laune des Franzosen, der Werder an guten Tagen über den Durchschnitt hinausheben kann. In der manchmal genialischen, manchmal ärgerlichen Attitüde des Johan Micoud scheinen sich alle Probleme der Bremer in der zweiten Saisonhälfte zu spiegeln. Zuerst auf einer symbolischen Ebene: Micoud fühlt sich zu Großem berufen, wie Werder im Grunde auch. Geht es gut, hat die Mannschaft Erfolg und sogar Ausstrahlung, wie bei den voraufgegangenen Auswärtssiegen bei Borussia Dortmund und Bayern München. Wenn nicht, hat Micoud keine rechte Lust und Werder keine Substanz mehr – wie in so vielen Partien der mißratenen Rückrunde. Am Samstag war diese Wandlung innerhalb von Minuten zu beobachten: Einer schwungvollen Anfangsphase mit hübschen Kombinationen folgte ein rasches Ermatten; jedenfalls kein Versuch mehr, dem Gegner das eigene Spiel aufzuzwingen. Wenn man beobachtet, mit welcher Energie sich etwa der norddeutsche Rivale Hamburger SV durch vergleichbare Spiele beißt, dann ist klar, woran es in Bremen mangelt. Kopfschüttelnd oder verächtlich winkend über den Platz zu schreiten, wie es Micoud manchmal tat, hebt nicht gerade die Moral der Gruppe und ist entschieden das falsche Signal. In besseren Spielen hat er sich als Antreiber hervorgetan. Nur so ist die ungewöhnliche Schwankungsbreite zu erklären, in der Werder mal glanzvoll, mal peinlich durch die Liga schlingert (…) Vergleichbare Probleme mit einer Führungsfigur haben sich die Wolfsburger mit der Trennung von Stefan Effenberg erfolgreich vom Hals geschaffen. Wie es scheint, geht es manchmal auch ohne Häuptling: In Bremen versuchte sich Jungnationalspieler Tobias Rau in der zentralen Rolle; ohne das gestische Repertoire eines Fußball-Regisseurs, aber durchaus effektiv. Der Wandel im Team ist eher eine Sache jedes einzelnen, wie Trainer Jürgen Röber festgestellt hat.“

Das ist eine absolute Sauerei

Jan Christian Müller (FR 22.4.) kommentiert diese Personalie. “Bei Werder Bremen ist es wie beim Osterhasen: Alle Jahre wieder die gleiche Chose. 2001 ging Claudio Pizarro zum FC Bayern. Keine Chance, den Peruaner zu halten. 2002 zog es Torwart Frank Rost zu Schalke 04 und Torsten Frings zu Borussia Dortmund. Die Bremer kassierten jeweils kräftig und nannten die etwa achteinhalb Millionen Euro aus Dortmund Schmerzensgeld. Im vergangenen Jahr, gleich nach Silvester, hatte sich Manager Klaus Allofs im FR-Gespräch noch so angehört: Wir wussten doch gar nicht mehr: ,Wer sind wir eigentlich und wohin wollen wir? Sind wir der SV Werder von vor ein paar Jahren, der sich dem Schicksal fügt, nicht mithalten zu können, oder gehen wir bewusst auch mal ins Risiko?‘ Allofs hatte erreichen wollen, dass Frings bleibt. Vergeblich. Jetzt, in den Tagen vor und in den Stunden nach dem ernüchternden 0:1, heißt Frings Micoud. Die Namen ändern sich, das Thema bleibt identisch: Ein finanzstärkerer Klub, hier: Schalke 04, frisch versorgt mit 75 Millionen Euro aus US-amerikanischen Pensionsfonds, buhlt um die Gunst eines vertraglich noch an Werder Bremen gebundenen Profis, hier: Johan Micoud. Der ebenso launische wie geniale Franzose spielte am Ostersamstag so, als wolle er seinen Beitrag dazu leisten, dass sein derzeitiger Arbeitgeber zum Saisonende wieder eine fette Überweisung auf dem Girokonto mehr und dafür einen wichtigen Spieler auf dem Trainingsplatz weniger vorfindet. Denn wenn Werder den Uefa-Cup verpasst, was passieren wird, wenn der wichtigste Mann Micoud sich nicht anstrengt, wird mit spitzem Bleistift gerechnet werden müssen. Auch wenn Trainer Thomas Schaaf sagt: Johan hat einen Vertrag bis 2005. Aus und Basta. Schaaf passt es überhaupt nicht, dass die Schalker via Co-Manager Andreas Müller im kicker ihr Interesse kund getan hatten. Das ist eine absolute Sauerei, sagte Schaaf im DSF. Ein Zeichen, dass sie unruhig werden an der Weser, auch weil Micoud nicht der Mann ist, der ein glasklares Treuebekenntnis zu jenem Klub ausgibt, der ihn vom Abstellgleis aus Parma auf die Überholspur nach Bremen geholt hat.“

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Wenigstens die Stuttgarter Fans siegen – Bayern siegt knapp

Manchester United – VfB Stuttgart 4:2

Unsere Leute haben den Laden hier ja richtig okkupiert!

Raphael Honigstein (taz 11.12.) stellt fest, dass die Sieger des Abends im Stuttgarter Fanblock stehen – und singen und feiern: „Dem armen Thomas Strunz sausten als Erstem die Ohren: 15 Minuten vor Spielbeginn bekam der Co-Moderator von Premiere in der VfB-Ecke ein herzhaftes Wir wollen keine Bayernschweine! zur Begrüßung entgegengeschleudert. Selbigen wurde mit Hinblick auf das Bundesligaspiel am Samstag in München gleich im Anschluss verbal die traditionelle Beinbekleidung ausgezogen. Und weil von der verdutzten Gegenseite der ManU-Fans überhaupt nichts zurückkam, sangen die 3.000 putzmunteren Schwaben einfach weiter freche Lieder über Engländer im Allgemeinen und den Holländer Ruud van Nistelrooy im Speziellen, provozierten kräftig mit der Liverpool-Hymne You’ll never walk alone und ließen eine seltene Welle durch Old Trafford schwappen. Und auf dem Platz? Da spielten die einen schwungvoll, aber letztlich ineffektiv nach vorne, während die anderen tief und unerbittlich verteidigten und, genau wie in der heimischen Liga, ihre mickrigen Chancen in einen unterkühlten Sieg verwandelten. Immerhin: Felix Magaths Männer durften sich hinterher mit der hauptsächlich vom eigenen Anhang geschaffenen Atmosphäre im Stadion trösten – unsere Leute haben den Laden hier ja richtig okkupiert!, freute sich Präsident Erwin Staudt noch drei Stunden später.“

Bayern München – RSC Anderlecht 1:0

Die NZZ (11.12.) berichtet den Sieg Bayer nMünchens: „Was hatten sie nicht alles vorgekehrt, die Münchner: im Trainingslager den Geist vom Tegernsee beschworen, den Fernsehreporter Marcel Reif als bösen Kritiker gescholten und die Reinheit der oberbayrischen Luft gelobt. Und alles nur, damit das Undenkbare den Bayern nicht erneut widerfahren möge – Ausscheiden in der Vorrunde der Champions League, wie in jenem tristen Herbst des vergangenen Jahres. Die Ausgangslage war dabei ebenso einleuchtend wie simpel: Der FC Bayern musste gegen den RSC Anderlecht gewinnen, wollte er die Achtelfinals erreichen. Was die Sache allerdings komplizierte, waren die Resultate der vergangenen Monate auf internationalem Rasen, als dem deutschen Meister nur ein Sieg aus zwölf Champions-League- Partien gelingen wollte. Alles Schnee von gestern. In München werden die existenziellen Fragen zwar häufiger als anderswo in Fussball-Deutschland gestellt, in der Regel aber auch rascher im Sinne der Gescholtenen beantwortet: Der FC Bayern hat mit spitzem Kalkül gerechnet und ist gegen Anderlecht um den millionenteuren und imageschädigenden Betriebsunfall nur dank einem Penaltytor Makaays herumgekommen (…) Die Münchner Zuschauer allerdings schätzten das Nachlassen ihrer Mannschaft überhaupt nicht. Eine Viertelstunde vor Schluss gellten trotz dem positiven Resultat Pfiffe durch die Arena. In der Nachspielzeit musste Oliver Kahn einen Distanzschuss in extremis abwehren. Die glanzvolle Parade wird die Kritiker allerdings kaum zum Verstummen bringen. Minimalistisch und uninspiriert werden sie den Auftritt des deutschen Meisters nennen – zu Recht.“

morgen auf indirekter-freistoss: Stimmen zum Spiel Bayern München – RSC Anderlecht (1:0)

NZZ-BerichtReal Sociedad – Galatasaray (1:1)

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Eigentor-Geschichten

David Kluge aus Münster gefallen die Eigentor-Geschichten des if-Lesers Henning Nolte; Kluge schreibt uns, die korrekte Anredeform wählend:

„Hallo Freistoß-Götter! Die tolle Eigentor-Story von Henning Nolte habe ich gleich mehreren Freunden weitergeleitet, einer davon, Alexander Kaltmeyer, schreibt zurück: `Die Karibik-Geschichte ist köstlich! Mir hat 1998 zu Beginn meines Russland-Aufenthalts ein dortiger Bekannter eine interessante Geschichte erzählt: Zu der Zeit waren meine Russisch-Kenntnisse ausbaufähig, aber ich denke, ich habe das Wichtigste verstanden: Es soll während der Saison 76/77 oder 77/78 gewesen sein. In einer tiefklassigen jugoslawischen Liga lagen nach dem vorletzten Spieltag zwei Mannschaften tor- und punktgleich an der Tabellenspitze. Es war also klar: Wer am letzten Spieltag höher gewinnt, steigt auf. Die eine Mannschaft, so Slava, der russische Fußballbekloppte, hat 89:0 gewonnen, die andere 92:1. Aufgestiegen ist keine Mannschaft, denn alle vier Teams sollen für Jahre aus dem Verkehr gezogen worden sein. Angeblich soll sich das auch auf die erfolglose Qualifikation der Jugoslawen für die WM in Argentinien ausgewirkt haben. Aber für diesen Zusammenhang reichte leider mein Russisch nicht aus. Ich wollte diese Geschichte immer mal recherchieren, vielleicht mag ja einer der Leser?´“

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Hohn und Häme, Sarkasmus und Zynismus

Philipp Selldorf (SZ 9.9.) kommentiert die Debatte um Völlers Wutausbruch. „Was wollte Rudi Völler eigentlich sagen, als er sich über das Treiben der Gurus und Ex-Gurus beklagte? Selbstverständlich kann er sich nicht ernsthaft Kritik an seiner Mannschaft verbitten, nachdem sie – wie am Samstag – ein trostloses Spiel geboten hat. Das macht er auch nicht. „Kritik muss sein“, sagt er. Aber ihn stört „die Art der Kritik“, der Hohn und die Häme, der Sarkasmus und Zynismus. Hier teilt der Fußballer Rudi Völler das Schicksal der Künstler, Schauspieler, Musiker und Architekten, deren natürliche Feinde die Rezensenten in den Feuilletons sind. Es ist die Ohnmacht des Kritisierten vor der Allmacht des Kritikers, der sich aus der Distanz und seiner sicheren Stellung aller kränkenden Stilmittel bedienen kann. So ist es nur logisch, dass Völler nicht wegen eines fachlichen Urteils über schwaches Kombinationsspiel oder die harmlosen Stürmer in die Luft ging, sondern wegen der süffisanten Bemerkung des ARD-Kommentators Gerhard Delling, das Islandmatch reihe sich in die „Krise der Abendunterhaltung im Fernsehen“ ein. Spott kann furchtbar weh tun. Franz Beckenbauer, der mit seinen leicht dahingesagten Urteilen am Boulevard oft den Ton der Debatte angibt und deshalb ein besonders berüchtigter Guru der Szene ist, hat sich gestern effektvoll verteidigt: „Ich kann nichts dafür, dass die nicht besser Fußball spielen.“ Ist das nun ein weiterer subversiver Beitrag? Oder einfach nur zutreffend?“

Thomas Kilchenstein (FR 9.9.) warnt Völler vor Beifall von der falschen Seite. „Wer auf Nummer Sicher gehen will, wenn er öffentlich beschimpft, sollte sich auf zwei Themen beschränken: Erstens, Fußballer verdienen zu viel und laufen zu wenig, zweitens, die Medien kritisieren zu unsachlich und sind an allem schuld. Dafür gibt’s vom Mann auf der Straße garantiert Applaus, da ist man als Populist ohne großen Einsatz auf der sicheren Seite. Insofern verwundert es nicht, dass Rudi Völler aus der Branche verbal mächtig auf die Schulter geklopft bekommt für einen Ausbruch, der, wenn überhaupt, in dieser Form allemal eher was für den Kabinengang war als für die Öffentlichkeit. Weltklasse, wie Uli Hoeneß diese Kritikerbeschimpfung allen Ernstes genannt hat, war sie nun definitiv nicht. Und ob sich Rudi Völler damit einen Gefallen getan hat, wird sich auch noch weisen. Die Nationalmannschaft jedenfalls spielt nicht im luftleeren Raum ihren (mäßigen) Fußball, und Rudi Völler wird, spätestens am Mittwochabend, wieder in ein Studio zum Interview müssen, just zu jenen Leuten, die – O-Ton-Völler – nur Scheiße labern. Dass Völler relativ ungeschoren aus dieser spontanen Pöbelnummer heraus zu kommen scheint, hat er allein seiner Popularität zu verdanken.“

Philipp Selldorf (SZ 9.9.) berichtet Reaktionen. „Rudi Völler konnte in allen Ressorts der Zeitungen von sich lesen, in Kommentaren, Protokollen, Essays und Berichten. Bis in die Feuilletons war sein energischer Vorstoß gegen die deutsche „Kultur der Kritik“ gedrungen – so hat er sein Thema skizziert. „Ich bin ein bisschen überrascht, wie groß die Resonanz war“, meinte Völler. Die letzte Meinungsbildung zu seiner Tirade gegen die Gurus und Ex-Gurus erreichte ihn im Presseraum des Westfalenstadions. Führende Gurus der Bundesliga hatten sich am Montagvormittag telefonisch verständigt über ihre Stellungnahme zum großen Vorfall von Reykjavik, und wie die Eilmeldung über einen Geisterfahrer wurde das Kommuniqué von einem Boten in das laufende Programm getragen. DFB-Pressechef Harald Stenger teilte dann mit, dass der Arbeitskreis Nationalmannschaft, namentlich die Klubmanager Rudi Assauer, Reiner Calmund, Dieter und Uli Hoeneß sowie Michael Meier sich verständigt hätten, sie stünden „zu 100 Prozent hinter Rudi Völler“. Es hätte niemanden im Saal gewundert, wenn er bei der Gelegenheit auch telegrafische Botschaften des Bundeskanzlers und der Oppositionschefin verlesen hätte. Im Nachhinein mag es Völler zwar ein bisschen peinlich sein, welchen Wirbel er verursacht hat mit seinem jähzornigen Aufbegehren gegen die Kaste der üblichen Fußballkritiker, für die er den Sammelbegriff Gurus prägte, und für die Wortwahl hat er sich auch entschuldigt: „Das war ein bisschen zu derb und zu scharf.“ Aber außer einigen überflüssigen Flüchen bereut er nichts. „Das Grundsätzliche bleibt, da gehe ich auch keinen Millimeter von ab“, versichert er. Was aber ist das Grundsätzliche und worin äußert es sich? In diesen Diskurs konnte Völler leider nicht tiefer einsteigen. „Die Kultur der Kritik“, sagte er allgemein, „hat Formen angenommen, die einfach nicht mehr angebracht und zu ertragen ist.“ Dafür gab es zwar nicht von den Kritikern, aber von denen, die oft kritisiert werden, Beifall. Uli Hoeneß brach beim Fernsehen daheim in Ottobrunn in Begeisterung aus und lobte: „Weltklasse – ich habe mir auf die Schenkel geschlagen.““

Die „Gurus“ sind längst frei von den Unwägbarkeiten des Fußballalltags

Michael Horeni (FAZ 9.9.) analysiert die Machtverhältnisse am Fußball-Stammtisch der Nation. “Das Verhältnis zwischen dem Torjäger und dem Teamchef der Weltmeister 1990 jedenfalls ist ausgezeichnet – und auch durch eine Attacke wie in Reykjavík nicht zu trüben. Völler erwähnte bei seinen Angriffen daher auch ganz bewußt, daß er Beckenbauer mag – und die Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruhe: Der Franz war mein Trainer, der wird mich nie kritisieren. Beckenbauer bestätigte Völlers Erwartung zwei Tage später in seiner Kolumne öffentlich. Den Zusatz der gegenseitigen Sympathie ersparte sich Völler, als er auf seine ehemaligen Kollegen Netzer und Breitner zu sprechen kam. Unter dem Münchner Weltmeister von 1974, der in Bild am Sonntag Meinung macht und im Deutschen Sportfernsehen (in der vergangenen Saison für Sat.1), hatte Völler als Spieler noch zu leiden. Breitner forderte vor der Europameisterschaft 1988 öffentlichkeitswirksam, Völler aus der Nationalmannschaft zu werfen. Breitner glaubte, der damals in einem Tief steckende Stürmer bringt es nicht mehr. Beckenbauer hielt dem Druck jedoch stand, Völler spielte eine starke EM und hatte zwei Jahre später großen Anteil am WM-Titelgewinn. Freunde sind Völler und Breitner nie mehr geworden. Auch Völlers Haltung gegenüber Netzer ist eher reserviert. Der Teamchef schätzt ihn zwar als Fachmann, läßt aber durchblicken, daß er die Kompetenz des ARD-Experten und Sport-Bild-Kolumnisten in Sachen Nationalmannschaft für ein bißchen anmaßend hält – weil Netzer sich in der Nationalelf selbst nicht entscheidend durchsetzen konnte, dort unter seinen Möglichkeiten blieb und auch nicht zu einer Weltmeister-Elf gehörte (…) Völler spürt in der streitbaren Fußballfamilie der Ehemaligen derzeit alleine die Last, beruflich noch vom Potential der deutschen Spieler abhängig zu sein. Die früheren Kollegen indes sind längst frei von den Unwägbarkeiten des Fußballalltags. Sie steigern sogar noch ihre Popularität, je schlechter sich der deutsche Fußball darstellt – ihre Meinung und ihr Rat sind dann gefragter und teurer denn je, was auch noch das Interesse von Werbepartnern steigert. Diese lukrativen Rollen wollen sich Beckenbauer, Netzer und Breitner nicht nehmen lassen. Netzer kündigte an, seine Linie beim Spiel gegen Schottland nicht zu verlassen. Er würde sich sonst als Betrüger fühlen. Daß auch Völler irgendwann einmal in die deutsche Fußballkritikerfamilie aufgenommen wird, kann sich der Teamchef derzeit nicht vorstellen. Ein Anfang wäre mit seinem Auftritt von Island allerdings gemacht.“

Christof Kneer (FTD 9.9.) sieht Völler fest im Sattel. “Ungeachtet seines Ausbruchs vom Sonnabend gilt Völler immer noch als bestmögliche Besetzung. Spätestens seit gestern ist klar, dass die große Fußball-Familie ihren Rudi auf keinen Fall verlieren möchte. Franz Beckenbauer, von Völler bei seinem Rundumschlag gegen die „Gurus“ mit gemeint und mit getroffen, hat dem Wüterich in seiner Hauspostille „Bild“ sicherheitshalber Absolution erteilt. „Ich kann das nachempfinden“, schreibt er, „du reagierst wie eine Glucke, die ihre Jungen beschützen muss.“ Für den Fall, dass der Leser noch nicht verstanden haben sollte: „Die Diskussion um seine angebliche Amtsmüdigkeit halte ich für Schmarrn. Er soll und wird weitermachen. Da habe ich gar keine Zweifel.“ Das Lustige am deutschen Fußball ist ja, dass es wirklich keine Zweifel mehr gibt, wenn der Franz keine hat. Und was der Franz für Schmarrn hält, ist Schmarrn. Noch lustiger ist, dass der Kolumnist Beckenbauer gleichzeitig Organisationschef der WM 2006 ist, und keiner muss meinen, dass er bei seinem Turnier einen Trainer auf der deutschen Bank dulden würde, der ihm nicht passt. Der Rudi passt ihm.“

Der Schriftsteller Georg Klein (SZ 9.9.) bezweifelt die Substanz des Fußball-Diskurses. „Es ist ein offenes Geheimnis: Nicht die Literatur, nicht der gute Film, sondern das aktuelle Fußballgeschehen ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich ein Gespräch unter männlichen Intellektuellen bringen lässt. Der deutsche Intellektuelle ist in seinem Alltag Sportintellektueller. Und in dieser Zeitung liest er natürlich zuerst den Sportteil, bevor er sich ins Feuilleton aufmacht (…) Gibt es ein Milieu, das blinder für den eigenen Habitus, bornierter und aggressiver gegen die Sportler ist als das der bundesdeutschen Sport-Intelligenzia? Dem privaten wie dem professionellen Sportintellektuellen wird das Raisonnement über Fußball schnell zur Allzweckrede, in der er alles, was ihm zu Gott und der Welt einfällt, und alles, was ihm Gott und die Welt anderenorts versagt haben, auf die projiziert, die versuchen, allein mit ihren Körpern ein sehr komplexes Spiel zu erzählen. Vergeblich hat Rudi Völler für dieses subtile Verhältnis Respekt eingeklagt. Soll sich Rudi Völler in Zukunft ausgerechnet an jenen Sportsmännern orientieren, die in der Überdruckkammer des Fernsehens zu Phrasendreschmaschinen, zu verkrampften Karikaturen des Sport-Intellektuellen, mutiert sind? Vor lauter Scham, selbst Sport-Intellektueller zu sein, könnte mir zur Zeit Hören und Sehen vergehen. Aber es hilft nichts, mindestens bis zum Länderspiel sollte jeder, dem öffentliches Sprechen wichtig ist, unseren medialen Sport-Intellektuellen genau aufs Maul schauen.“

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Leserbriefe zur Sache an die FR-Sportredaktion

Martin Pütter (NZZ 9.9.) schreibt über englische Sorgen. „Rund 250 englische Anhänger waren nach Mazedonien gereist und hatten Karten auf dem Schwarzmarkt gekauft: Tickets für bis zu 70 Pfund waren ein Klacks im Vergleich mit den sonst branchenüblichen Preisen. Im Stadion bekamen sie dann die Feindlichkeit des heimischen Publikums zu spüren: Provokationen, verbale Beschimpfungen, dazu wurde eine England-Fahne verbrannt. Selbst die englischen Spieler waren darüber schockiert, mehr noch als über die rassistischen Beschimpfungen etwa gegen Sol Campbell oder Emile Heskey. Die mazedonischen Spieler schienen sich nicht besser zu verhalten. Da soll gespuckt und gedroht worden sein, so erzählte David Beckham. Er sei sogar davor gewarnt worden, dass er das Stadion nicht lebend verlassen werde. Das alles sei jedoch harmlos im Vergleich zu dem, was die englischen Fans und Spieler in der Türkei erwarte, glaubten die englischen Medien in den letzten Tagen (…) Zwischen türkischen und englischen Fans herrscht seit einigen Jahren eine besondere Animosität, die vor über drei Jahren ihren negativen Höhepunkt hatte. Damals waren zwei Anhänger von Leeds United vor dem Uefa-Cup-Spiel ihrer Mannschaft gegen Galatasaray Istanbul erstochen worden. Auch deswegen war es im Februar in Sunderland zu Ausschreitungen gekommen, und darum hat Eriksson die englischen Fans nun gebeten, nicht nach Istanbul zu reisen – eine Empfehlung, die zuvor schon das Innenministerium der britischen Regierung abgegeben hatte.“

zur Lage der Schweizer Nationalauswahl NZZ

der Start zur WM-Qualifikation in Südamerika NZZ

Georg Bucher (NZZ 9.9.) berichtet das Freundschaftsspiel zwischen Portugal und Spanien. „Abgesehen von einem Intervall zu Beginn der zweiten Halbzeit war Spanien den Lusitanern in allen Belangen überlegen und gewann nach 45 Jahren wieder eine iberische Classique. Das Ergebnis (3:0) schmeichelt dem Verlierer; sensationell ist es auch insofern, als Portugal unter Luis Felipe Scolari, dem Coach des brasilianischen Weltmeisterteams, im taktischen Bereich Fortschritte machte und nur Italien (1:0 in Genua) unterlegen war. „Desaster“ und „Schande“ stand am Sonntag auf den Titelseiten der Sportzeitungen. Ausgerechnet vom Erzrivalen, dazu noch in Guimarães, der „Wiege Portugals“, waren die Ausrichter der EM 2004 vorgeführt worden. Hätte Scolari einen portugiesischen Pass, man würde ihn nach dieser Blamage absetzen, hiess es maliziös in einem Kommentar. Seine Spieler zweifelten nicht mehr an ihren Fähigkeiten, sie könnten den kapitalen Match am Mittwoch gegen die Ukraine selbstbewusst angehen, resümierte Saez die Generalprobe. Baraja hatte das Spiel magistral gelenkt, in den Korridoren brillierten Michel Salgado und Etxeberria, Puyol und Vicente zeigten defensiv wie offensiv Wirkung. Torres liess Meira und Fernando Couto in den Zweikämpfen schlecht aussehen, musste allerdings nach einer üblen Attacke des von allen guten Geistern verlassenen ehemaligen Barça- Verteidigers Couto den Platz verlassen. Die eingetretenen Joaquin und Tristan vollendeten Gegenstösse zu sehenswerten Toren und überzeugten ebenso wie Valeron und der schnelle Sevillano Reyes. Es fällt schwer, einen Spieler herauszuheben.“

Gewinnspiel für Experten

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„Gedulds- und Zermürbungsspiel“

Nach einem erfolgreichen „Gedulds- und Zermürbungsspiel“ bemerkt Roland Zorn (FAZ 17.6.). „Niemand sonst, allenfalls noch die Italiener, übersteht bei den großen Turnieren des Planeten Schwächeanfälle so kerngesund wie der deutsche Fußball (…) Gerade solche K.-o.-Treffer in der letzten Runde, in diesem Fall dank Neuvilles Tor in der 88. Minute, haben den Mythos von den unerschütterlichen Deutschen in der Fußballwelt begründet. Spielte die Mannschaft dagegen zur Abwechslung mal richtig schön und gut, mochten es die Beobachter aus anderen Ländern meist gar nicht glauben. Trotz eines Beckenbauer, trotz eines Netzer, trotz eines Overath – der deutsche Fußball stand immer unter dem manchmal beckmesserischen Vorbehalt der Ästheten.“

Ludger Schulze (SZ 17.6.) zum Spiel der Deutschen. „Mit Schmackes hatte man den Ball in die entlegensten Ecken des Platzes gedroschen, als wäre es unter Androhung einer Zuchthausstrafe untersagt, ihn zu einem eigenen Mitspieler zu befördern. Und auf den Tribünen rätselten Beobachter, wie edle Fußballer, die schon die wertvollsten Pokale erobert haben, derart scheußliche Gewalttaten an einer unschuldigen Plastikblase verüben konnten. Englands Presse verlieh dem Achtelfinale Deutschland – Paraguay großzügig den Hässlichkeitspreis und stufte sie in der Kategorie der Partie England vs. Nigeria (0:0) ein – eines Kicks, der bei Zuschauern Schlafstörungen, Übelkeit und Migräneanfälle hervorgerufen haben soll. Haben die Menschen auf der südkoreanischem Insel Jeju geahnt, was auf sie zukommen würde? Nur 25.176 Zuschauer hatten für den bisher schlechtesten WM-Besuch gesorgt und dabei eine Atmosphäre wie beim Tanztee auf einem Unterhaltungsdampfer geschaffen.“

Zum „mühsamen“ 1:0-Sieg meint Frank Ketterer (taz 17.6.). „Vorerst vom Tisch dürfte die Partie gegen Paraguay übrigens auch die für Völler leidige Diskussion über die richtige Abwehrformation gewischt haben. Zwar hatte der Teamchef, dem Wunsch seiner Spieler entsprechend, zunächst eine Viererkette mit Frings, Rehmer, Linke und Metzelder ins Rennen geschickt, vor allem auf das Spiel nach vorne aber wirkte sich das eher hemmend aus. Erst als der Teamchef nach der Pause den agilen Sebastian Kehl für den schwachen Marko Rehmer brachte und wieder auf Dreierreihe umstellte, kam mehr Bewegung und Drang ins deutsche Spiel; in der Partie gegen Kamerun war es genau umgekehrt, was die ganze Diskussion ja erst angezettelt und Völler den Vorwurf eingebracht hatte, er würde mit dem falschen System spielen lassen.“

Ludger Schulze (SZ 17.6.) portraitiert Kapitän Kahn. „Ihn als die Seele des Teams zu bezeichnen, wäre zu kurz gegriffen. Er ist weit mehr. Behutsam hat er seinen Mitspielern den Glauben an sich selbst eingeflößt, ihnen wie ein Schamane Kräfte zugesprochen, die eigentlich nicht vorhanden waren (…) Noch nie, nicht einmal zu Franz Beckenbauers Zeiten, hat die deutscheNationalmannschaft einen so einflussreichen Kapitän gehabt. Und anders als starke Charaktere wie früher Toni Schumacher oder Paul Breitner zieht Kahn keinerlei Antipathie aus dem Kollegenkreis auf sich. Niemals zuvor hat sich eine derartige Machtfülle so wohltuend für das Ganze ausgewirkt. Weil Kahn, der Solist zwischen den Pfosten, ein großartiger Mannschaftsspieler ist. Das deutsche Team hat nicht nur den besten Schlussmann, es stützt sich auf die größte Persönlichkeit des aktuellen Weltfußballs.“

Aus dem Spiel zieht Jan Christian Müller (FR 17.6.) Lehren. „Das verdient ehrlichen Respekt, auch wenn es derzeit noch schwer fällt, deshalb in überschwängliche Begeisterung zu verfallen. Bei aller Freude über den Sieg bleibt nämlich auch die Gewissheit, dass der deutsche Fußball im Ausland längst kein gängiger Markenartikel mehr ist. In Sapporo und Seogwipo waren die Stadien jeweils nur zu knapp zwei Dritteln gefüllt, wenn die DFB-Auswahl Flanken schlug. In Japan und Südkorea kennen die jungen Fans Beckham und Figo und del Piero und Zidane und jetzt auch neuerdings ihre eigenen Stars. Kahn immerhin ist allerorten ein Begriff. Ballack, Klose? Schulterzucken. Vielleicht schon mal gehört. Der aktuelle Stellenwert der deutschen Spieler ist also nicht sonderlich beeindruckend.“

Felix Reidhaar (NZZaS 16.6. ) sieht den 1:0-Sieg gegen Paraguay im allgemeinen Trend. „Unter Rudi Völler wurde nicht nur, wie Günter Netzer dies kürzlich dem Selfmade-Coach bescheinigte, eine Abwärtsentwicklung gebremst. Sein Kader, das er in der Vorrunde schon beinahe ausschöpfen musste, scheint vielmehr im Begriff, in diesen Tagen in Asien wieder zu dem zusammenzuwachsen, was man eine Turniermannschaft nennt. Die Rückkehr auf den Pfad der früher so oft beschworenen „deutschen Tugenden“ ist die wesentlichste Erkenntnis des ersten Achtelfinals dieser Endrunde, der die typischen Attribute eines Ausscheidungsspiels trug (…) Siegeswillen, Kampfbereitschaft und das Erzwingen des Glücks haben sich unter den weiß gewandeten Internationalen mit dem schwarzen Adler auf der Brust jedenfalls wieder harmonisch vereint (…) Nach vorne geschah auch im deutschen Team mäßig Originelles in diesem an Torsituationen armen Match. Aber Völler trat für einmal der Kritik an seinen schlichten Konzepten beziehungsweise taktischen Mängeln entgegen, indem er nach der Pause den „Handwerker“ Rehmer durch den Konstrukteur Kehl ersetzte. Dadurch und auch dank der Steigerung des Ideengebers und Läufers Schneider kamen mehr Konturen ins Spiel, nahm zuweilen so etwas wie Druck zu und bestimmte fortan ein Team das Geschehen.“

Es war wahrlich kein schönes Spiel. Roland Zorn (FAS 16.6.) über diesbezügliche Ursachen. „Dass dabei die Paraguayer nicht mitmachten, hatte mit einer eingebauten Verweigerungshaltung zu tun: Die Mannschaft ist ein gefürchteter Partykiller des internationalen Fußballs (…) Der bald abgelöste Weltmeister Frankreich – sollte das ein gutes Omen sein? – bekam es vor vier Jahren gleichfalls im Achtelfinale mit Paraguay zu tun, siegte durch ein Golden Goal von Laurent Blanc 1:0 und „würgte sich auch einen ab“, wie Völler, der damals in Lens zugeschaut hatte, genau weiß.“

Die Perspektiven der deutschen Elf analysiert Uwe Marx (FAS 16.6.). „Natürlich gibt es keine Fußballgleichung, die besagt, dass den Titel holt, wer Paraguay im Achtelfinale schlägt. Es gibt aber auch keine Regel, die festschreibt: Wer so spielt wie Deutschland, der wird bei dieser WM nicht weit kommen. Zwar scheint Rudi Völlers Mannschaft tatsächlich spielerisch zu berechenbar zu sein. Aber es gibt ja schon seit langem die Gewissheit, dass auch schmuckloser Fußball erfolgreicher Fußball sein kann (…) Insofern befindet sich Deutschland in guter Gesellschaft: unter lauter Mannschaften nämlich, die wacker ihr Bestes geben, die zwar nicht dauerhaft glänzen, aber zumindest punktuell für etwas Licht bei dieser WM sorgen. Mit mehr ist nicht zu rechnen.“

Gewinnspiel für Experten

Pressestimmen aus Frankreich, Italien und Kroatien zum deutschen Spiel

weitere internationale Pressestimmen zum Spiel FR Tsp

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emotionale Pegelausschläge

„Hohe emotionale Pegelausschläge bis tief hinein in den roten Bereich der Seele“ hat die FAZ bei vielen Beteiligten gemessen. In der Tat hat es wohl lange keinen Bundesliga-Spieltag mehr gegeben, an dem so viel Außergewöhnliches geschehen ist wie an dem vergangenen.

Der größte Anteil der Druckerschwärze wird dabei für das gewohnt hitzige Spitzenspiel zwischen München und Dortmund ver(sch)wendet, wobei weniger gezeigte Leistungen im Brennpunkt stehen, sondern bedauerlicherweise Schiedsrichterentscheidungen und soziale Spielregeln. Insbesondere Jens Lehmann, zunächst von Bayern-Stürmer Elber rücksichtslos gefoult, später dann wegen Meckerns des Feldes verwiesen, fühlte sich ungerecht behandelt und machte diesem Gefühl auch in sehr deutlicher Form Luft. Rückendeckung bekam der BVB-Torhüter dabei von den Mitgliedern aus der Führungsetage des deutschen Meisters. Die in der Vergangenheit von zahlreichen Elfmeterpfiffen scheinbar verwöhnten Dortmunder mussten erkennen, dass sie derzeit nur die Nummer Zwei auf nationalem Terrain sind; sowohl in sportlicher Hinsicht als auch in der Gunst der Schiedsrichter und sahen sich folglich in der „Rolle als Opfer der Obrigkeit“, wie die FAZ bemerkt – und weiter: „Die wieder selbstzufriedenen Bayern äußerten sich nicht weiter zum Schiedsrichter, aber man kann sich lebhaft vorstellen, wie sie reagiert hätten, wenn ihnen und Oliver Kahn ähnliches widerfahren wäre“ (siehe auch ). Wie erwartet ging der Hahnenkampf um die „Vorherrschaft im deutschen Fußball“ (Bayern-Manager Hoeneß) nach dem Abpfiff nämlich weiter. Beteiligte vor den TV-Kameras: die beiden Trainer und ehemaligen Weggefährten. Während der siegreiche Hitzfeld (München) bei der Spiel- und Schiedsrichteranalyse exklusive Wahrheiten in ein seriöses Gewand zu kleiden versuchte, war Borussen-Coach Sammer vergeblich dem richtigen Tonfall und den richtigen Worten auf der Spur. Seine Wut, erneut gegen seinen Lehrmeister unterlegen gewesen zu sein konnte er nicht verbergen.

„Deutliche Parallelen zum Münchner Spitzenspiel“ erkannte die NZZ beim 1:0-Sieg der Leverkusener in Gelsenkirchen. „Auch in der Arena „Auf Schalke“ drehte ein Nationalkeeper durch, auch hier rangelten nach der roten Karte und dem Elfmeter gegen Rost Internationale wie Halbstarke miteinander; auch hier ersetzten Emotionen die Qualität, die man von den Namen der Darsteller eigentlich erwartet hätte.“ Die aus Bayer-Sicht gelungene Revanche für das verlorene Pokal-Finale im Mai zementierte eine mittlerweile gereifte Feindschaft zwischen beiden Klubs „Irgendwie scheinen sich die Profis aus dem Ruhrpott und unter dem Bayer-Kreuz nicht zu mögen“ resümiert die FAZ das emotionsgeladene Duell.

Jedoch hatte das Fußball-Wochenende auch ein schöne Geschichte zu erzählen. „Schon wieder spricht ganz Fußball-Deutschland von Viorel Ganea“, ist in der SZ über den Stuttgarter Torjäger zu lesen, welcher noch vor Wochenfrist ein- und nach einer Handvoll ungenutzter Torchancen wieder ausgewechselt wurde. Dieses Mal traf er ohne zu lamentieren drei Mal – „ein echter Held, kein Maulheld“ (FAZ) – und schoss den zwischenzeitlich zu einer „grauen Maus“ mutierten Traditionsklub aus Stuttgart nahezu von der Öffentlichkeit unbemerkt auf Rang Drei.

Jan Christian Müller (FR 11.11.) kritisiert. „Das unsägliche Genöle ausgewählter Fußball-Profis gegen wahlweise überforderte Schiedsrichter hat die Grenzen des Erträglichen an diesem Wochenende überschritten. Mit dummem Geschwätz, kindischem Gebärden oder rücksichtslosen Attacken auf die Gesundheit des Gegners haben Tomasz Hajto, Frank Rost (Schalke), Giovane Elber (München) und Jens Lehmann (Dortmund) für unnachahmenswerte Aufmerksamkeit gesorgt. Professionelles Verhalten sieht anders aus und hört sich anders an. Man wird nicht erwarten dürfen, dass die Langzeitfolgen dieses immer wiederkehrenden Genörgels von den Verursachern überschaut werden: Immer weniger Nachwuchs-Schiedsrichter sind bereit, sich das anzutun, was ihren Kollegen in der höchsten Spielklasse immerhin entsprechend, gleichsam als Schmerzensgeld, bezahlt wird. Die Zahl der „Aussteiger“ aus der Schiedsrichter-Gilde ist steigend. Wochenenden wie diese tragen ihren Teil dazu bei. Zumal sich der Kreisklassen-Kicker seinen Anschauungsunterricht im Fernsehsessel holt.“

Bayern München – Borussia Dortmund 2:1

Michael Ashelm (FAZ 11.11.). „Was da zwischen dem Rekordmeister und dem aktuellen deutschen Meister in München passierte, so hat man jedenfalls den Eindruck, ist eine eingefahrene (oder besser verfahrene?) Geschichte mit immer gleichem Skript. Vor dem Spiel die Spitzen der Funktionäre, während des Spiels die Provokationen der Profis, nach dem Spiel die Schimpfe der Verlierer auf das – natürlich – unfähige Schiedsrichtergespann. Wie langweilig! Immer das gleiche Theater, Akt eins und zwei immer nach demselben Schema (…) Leicht wird den Unparteiischen die Arbeit nicht gemacht. Und gepflegten Fußball hat man unterdessen von diesen beiden Spitzenmannschaften im direkten Vergleich schon lange nicht mehr gesehen. Etwas einbilden können sich die Bayern auf diesen Sieg gegen neun Dortmunder schon gar nichts: zu mittelmäßig ihre Leistungen auf dem Spielfeld, echte Krisenbewältigung sieht anders aus. An eine schnelle Klärung der verzwackten Verhältnisse bei den Münchnern ist deshalb wohl nicht zu denken. Und die Dortmunder? Die schießen gegen den „blinden Schiedsrichter“ Michael Weiner, ohne freilich erst einmal die eigenen Versäumnisse zu reflektieren.“

Michael Horeni (FAZ 11.11.). „Den Beginn der Dienstbeschwerden über einen der „schlechtesten Schiedsrichter“, die er je erlebt habe, datierte Lehmann auf Beginn der zweiten Halbzeit. Da führte die Borussia noch 1:0. Sie hatten aber mit Frings schon einen Spieler durch eine Gelb-Rote Karte verloren, die zu zeigen nicht notwendig, jedoch möglich war. Lehmann machte sich kurz nach dem Wechsel, als Dortmund den Vorsprung viel zu passiv über die Zeit bringen wollte, sehr geduldig daran, einen Abschlag auszuführen. Dann ließ er sich beim Anlauf von einem Betreuer auch noch eine Wasserflasche reichen. „Um eine Aspirin runterzuschlucken“, wie er sagte. Der Schluck aus der Pulle kostete zwar keine Zeit, aber „das hat ihn provoziert“, glaubte Lehmann. Mit einer Verwarnung war er da schon belastet, weil er den 33 Jahre alten Beamten zuvor schon gefragt hatte, „ob nur wir hier die Gelben Karten kriegen“. Nach rund einer Stunde verdichtete sich in knapp zehn Minuten die Dramaturgie dieses Spitzenspiels, die mit einer Glanztat Lehmanns begonnen hatte und mit dessen Platzverweis endete. Als der erstklassige Rückhalt den Ball mit einer Hand abwehrte und im Nachfassen unter Kontrolle brachte, rauschte ihm Giovane Elber ungebremst in die Parade. Der heftige Schlag gegen den Kopf in der Torwartschutzzone bedeutete das gesundheitsgefährdendste Foul des Tages. Mit der Gelben Karte gegen den Brasilianer blieb der Schiedsrichter am unteren Ende des möglichen Strafmaßes. Nachdem sich Lehmann einigermaßen erholt hatte, erzielte Santa Cruz den verdienten Ausgleich, und nur zwei Minuten später hatten die Münchner das Spiel und die Stimmung im und um den FC Bayern endgültig gewendet. Sagnol hatte sich gegen träumende Dortmunder zweimal durchgesetzt, und sein Zuspiel nutzte Pizarro zum 2:1 – allerdings aus auf den ersten Blick abseitsverdächtiger Position. Lehmann protestierte lautstark und petzte auch noch, daß der Torschütze den Ball weggeschlagen hatte. Die Klage des Torwarts war – im nachhinein betrachtet – dann doch dümmer, als die Polizei erlaubte: Lehmann mußte gehen, Dortmund hatte ausgespielt. Wenn man kurz vorher „den Schädel durchgetreten kriegt“, sagte Sammer, hätte er vom Schiedsrichter Fingerspitzengefühl mit dem Torwart erwartet. Die wieder selbstzufriedenen Bayern äußerten sich nicht weiter zum Schiedsrichter, aber man kann sich lebhaft vorstellen, wie sie reagiert hätten, wenn ihnen und Oliver Kahn ähnliches widerfahren wäre.“

Martin Hägele (NZZaS 10.11.). „Wenn die Dortmunder nun mit dem Schiedsrichter hadern, so verdrängt das nur vordergründig ihr Handicap. Sie haben diese Partie im Kopf verloren, der psychisch schwer angeknockte Gegner aber konnte jene mentalen Kräfte abrufen, die immer zur Grundausstattung eines Bayern-Kaders gehören. Auch Coach Matthias Sammer, der noch nie ein direktes Duell mit seinem einstigen Ausbilder Hitzfeld gewonnen hatte, liess sich von jener Nervosität anstecken. Er fand nicht die richtigen Worte in der Debatte hinterher, und wie durcheinander er war, zeigt die Anrede. Sammer nannte Hitzfeld ständig „Trainer“, obwohl die beiden seit zwei Jahren per du miteinander verkehren.“

Ludger Schulze (SZ 11.11.) erinnert an sportliche Kriterien. „Für beinahe jede der von den Schwarz- Gelben vorgetragenen Anschuldigungen, die Schiedsrichter Michael Weiner zum alleinigen Sündenbock machten, gab es ein stichhaltiges Gegenargument. Das treffendste: Der FC Bayern hat verdient gewonnen. Das lässt sich mit ein paar Fakten belegen. Die Münchner schossen siebenmal so oft auf das gegnerische Tor (21:3), sie erarbeiteten sich 10:1 Ecken, hatten 61 Prozent Ballkontakte und entschieden 58 Prozent der Zweikämpfe für sich. Ist zwar nur Statistik, spiegelt aber die Kräfteverhältnisse wider. „Phasenweise hat die Mannschaft klasse gespielt“, hatte Karl-Heinz Rummenigge mit wachsender Erleichterung beobachtet, was nur nachzuvollziehen ist, wenn man die vergangenen Wochen mit den ernüchternden Leistungen zu Grunde legt. Bei der wohlwollende Bewertung unterschlug der Vorstandschef, dass sein Team vor allem deshalb zum 14. Mal hintereinander ungerupft aus dem Spitzenduell hervorging, weil die Dortmunder die Partie herschenkten. Anfangs traten die auf, als wären sie und nicht die Münchner Hausherren. Flüssig ließen sie den Ball durch die Reihen wandern, und man musste ein in totale Hoffnungslosigkeit führendes Desaster für die Bayern befürchten. Nach dem angemessenen 0:1 durch einen von Jan Koller abgefälschten Amoroso-Schuss und einer weiteren, von Ewerthon vergebenen Großchance begann aber ein sportlicherErosionsprozess, der seinen Ausgang von der Dortmunder Bank nahm. Matthias Sammer, im Herzen immer noch mehr Spieler als Trainer, rückte im verständlichen Wunsch, den Seinen zu helfen, auch räumlich nah und näher ans Spielfeld heran und übertrug seine Hektik und Verkrampfung auf die eigenen Leute.“

Jörg Hanau (FR 11.11.). „Ein Handwerker wie Jens Lehmann versteht es perfekt, auf der Klaviatur der Medien zu spielen. Mit treuem Dackelblick und sanftmütiger Stimme flötet er immer dann in die Mikrofone, wenn Unbill sein Berufsleben im Tor von Borussia Dortmund zu beeinträchtigen droht. Die Botschaft ist eindeutig: Seht her, ich bin doch ein ganz Lieber. Einer, der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann. Einer, der stets den richtigen Ton trifft. Einer, der Ungerechtigkeiten hasst. Und deshalb nun überhaupt nicht verstehen kann, warum ihn ein als Schiedsrichter getarnter Polizist aus Hildesheim namens Michael Weiner (33) beim Gipfeltreffen des Meisters beim Tabellenführer in München binnen einer Viertelstunde zwei Mal den gelben Karton vors Gesicht hob. „Ich habe ihn doch gar nicht beleidigt, nur meine Meinung gesagt“, formuliert Lehmann treuherzig und fährt dann bald fort, in einem solch sanftem Ton, dass man ihm am liebsten in den Arm nehmen würde, um ihn zu knuddeln. Und was sagt das Knuddeltier? Es sagt zum Beispiel: „Katastrophal, das war einer der schlechtesten Schiedsrichter, die ich je hatte“ – oder: „Das war der unfähigste, der blindeste Schiedsrichter, den ich je hatte“ – oder: „Das war ein Schiedsrichter, der meiner Meinung nach parteiisch war“.“

Claudio Catuogno (taz 11.11.) kommentiert Münchner Reaktionen. „Da stehen sie dann, Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG, und Uli Hoeneß, Manager des gleichnamigen Fußballvereins. Stehen damit der Wichtigkeit eines wiedererweckten Orakels – und geben doch nur Phrasen zum Besten. Vom Glück des Tüchtigen, vom schrittweisen Vorwärtskommen, vom totalen Schulterschluss. Fußball-Blabla. Hätten sie doch lieber weiter geschwiegen. Der FC Bayern hat am Samstag mit 2:1 Toren gegen Borussia Dortmund gewonnen. Es war ein turbulentes, ein verrücktes Fußballspiel – zum Schluss stand sogar der Stürmer Jan Koller als Aushilfstorwart zwischen den Dortmunder Pfosten. Doch vor allem war es auch ein schlechtes Fußballspiel, keines, das die Lage des FC Bayern grundlegend verändert hätte. Deshalb war die Einschätzung, dass nach dem Sieg „absolut kein Handlungsbedarf“ mehr bestünde (Hoeneß), reine Schönfärberei – und damit genauso übertrieben wie die Friedhofsmetaphorik der vergangenen Wochen, als etwa Franz Beckenbauer die Mannschaft für tot erklärt hatte. Dem FC Bayern fehlt in seinen Posen das, was er zurzeit doch selbst verkörpert: Mittelmaß.“

Jan Christian Müller (FR 11.11.) fordert. „Wieso meint Jens Lehmann, sich nach der Niederlage in München in abfälliger, niveauloser Art über den jungen Schiedsrichter Michael Weiner äußern zu können? Als Angestellter einer börsennotierten Fußball-Aktiengesellschaft hätte der offenbar unbelehrbare Torwart eine spürbare Strafe wegen firmenschädigenden Verhaltens verdient. Davon unbenommen ist Kontrollausschuss-Chef Hilpert gefordert, dass es angesichts derartiger verbaler Attacken nicht bei der üblichen Ein-Spiel-Sperre nach Gelb-Roter Karte bleibt. Wie viel fehlender Respekt gegenüber dem gegnerischen Torwart gehört dazu, dass ein technisch so gut ausgebildeter Spieler wie Giovane Elber sich herausnimmt, derart mit Vollspann in Mann und Ball zu gehen wie am Samstag gegen Lehmann? Der Betroffene kann letztlich froh sein, muskulär im Nackenbereich so gut ausgebildet zu sein, dass er keine schwerwiegende Verletzung erlitt. Da der Schiedsrichter die Szene beobachtete und als Tatsachenentscheidung Gelb gegen Elber für ausreichend erachtete, muss Horst Hilpert tatenlos zusehen. Rot und eine mehrwöchige Sperre wären verdient gewesen.”

Zum Verhältnis zwischen Sammer und Hitzfeld bemerkt Roland Zorn (FAZ 9.11.). „Sammer legt in den Stunden vor dem Wiedersehen mit seinem alten Chef Ottmar Hitzfeld sowieso Wert darauf, erdverwurzelt wahrgenommen und bloß nicht in die Münchner Ecke abgedrängt zu werden. Die ihn jetzt schon zum Nachfolger des inzwischen heiß umstrittenen Championstrainers Hitzfeld ausrufen wollen, weist der 35 Jahre alte Sachse entschieden in die Schranken. „Ich bin gern bei Borussia Dortmund. Wenn man mich nicht vorher rausschmeißt, würde ich gern ewig hier arbeiten.“ Ein Satz wie in Stein gemeißelt und ein eindeutiges Bekenntnis zu dem Klub, dem sich Sammer seit Januar 1993 zusehends fester verbunden weiß. Wer mit dem BVB als Spieler und Trainer drei deutsche Meisterschaften gewonnen und dazu, 1997, die Champions League erobert hat, der muß nicht mehr aus Karrieregründen gen Süden schielen. Außerdem imponiert Sammer die Anhänglichkeit der Fans genauso wie die Seriosität des von Präsident Gerd Niebaum geleiteten Dortmunder Führungsteams. Wie sich der Verein um ihn bemüht und gesorgt hat, als er sich im Herbst 1997 so schwer verletzte, daß er seine Profilaufbahn nicht mehr fortsetzen konnte, das hat den früheren Nationalspieler beeindruckt (…) Der Trainer des Meisters wird in diesen Tagen immer wieder mit seinem früheren Vorgesetzten Hitzfeld konfrontiert, der in München derzeit schwere Zeiten erlebt, weil er erstmals mit der Mission Champions League eine Bruchlandung erlebt hat. Sammer, der als seinerzeit dominanter Abwehrchef oder Mittelfeldantreiber des BVB mit Hitzfeld so manchen Strauß ausfocht, hat längst seinen Frieden mit dem 53 Jahre alten Badener gemacht. „Wir haben lange zusammen gekämpft, gestritten und uns zusammen gefreut“, erinnert sich Sammer an viereinhalb gemeinsame Jahre im Dunstkreis des Westfalenstadions, und deshalb seien Begegnungen mit Hitzfeld für ihn immer etwas ganz Besonderes. Zumal der Trainer Sammer längst nachempfinden kann, was der Trainer Hitzfeld mit dem Spieler Sammer auszuhalten hatte. „Jetzt weiß ich, wie schwer es ein Trainer mit einem Spieler haben kann. So wie er über den Dingen steht, habe ich hinzugelernt.“ Sammer, auch als Coach immer noch bei Gelegenheit ein „roter Vulkan“, fordert ein wenig mehr Würde im Umgang mit dem in München harsch kritisierten Hitzfeld. „Da steht keine Holzfigur, sondern ein Mensch mit Gefühlen“, sagt Sammer.“

Wer hat die Vorherrschaft im deutschen Fußball? Freddie Röckenhaus (SZ 9.11.) meint dazu. „Die Zeiten, in denen der FC Bayern den Spitzenkräften des Gewerbes nur einen Wink geben musste, um ihnen den Kopf zu verdrehen, neigen sich wohl dem Ende zu. Der frühe Sportinvalide Sammer, der rasend schnell Erkenntnisse aufsaugt, genießt die Vorzüge der Provinz. Das Medien-Walhalla in München würde einen auf die inhaltliche Arbeit fixierten Typ wie Sammer zum Wahnsinn treiben (…) Schon in den Transfer-Fällen Christian Wörns, Tomas Rosicky und Sebastian Kehl hatte der FC Bayern das Rennen gegen den BVB verloren. Für die Dortmunder speist sich aus dieser allmählichen kulturellen Ebenbürtigkeit ein gehobenes Selbstbewusstsein im Duell mit den Bayern. Alle drei Spieler waren nach ihren Absagen in München mit den üblichen Vorwürfe konfrontiert worden, dass Dortmund viel mehr bezahlt habe. Alle drei hatten allerdings, sehr im Geiste von Sammer offenbar, bei ähnlicher Bezahlung den geringeren Theaterfaktor in Dortmund gewählt.“

VfB Stuttgart – VfL Bochum 3:2

Christoph Kieslich (FAZ 11.11.). „Im Gegensatz zum wichtigsten Drehort des Wochenendes in München oder dem Nebenschauplatz Gelsenkirchen bot das Daimler-Stadion in Stuttgart am Samstag mit einer Kulisse von knapp 20.000 Zuschauern eine äußerlich eher triste Atmosphäre. Und mehr als eine Stunde lang machten der VfB und der VfL Bochum auch nicht den Anschein, als ob sie auf Biegen und Brechen ins Rampenlicht des zwölften Spieltages drängen wollten. Doch die letzten zwanzig Minuten sorgten dann für mindestens so viel Gesprächsstoff wie andernorts, und die Stuttgarter katapultierten sich mit dem 3:2-Erfolg auf den dritten Tabellenplatz. Wenn das kein Spektakel gewesen sei, sagte Felix Magath nach dem aufwühlenden Finish. Der Trainer des VfB beklagt seit Wochen und Monaten, daß seine Mannschaft im Schwäbischen keine Zugkraft mehr habe. Dabei gäbe es ausreichend Werbung wie redlichen Fußball, Leidenschaft und eine Heimserie, die seit März dieses Jahres anhält. Doch diesmal kamen sogar weniger Schaulustige als zuletzt gegen den Tabellenletzten Energie Cottbus.“

Christoph Kieslich (FAZ 11.11.) über den Spieler des Spiels. „Ganeas Beobachter erkannten in Leverkusen den Vorstoß in eine neue Dimension des Versagens beim Torschuß, sparten nicht mit Spott. Die Stuttgarter Zeitung wollte aber auch nicht ausschließen, daß Ganea das nächste Mal dreimal trifft. Wie ahnungsvoll. Am Samstag erzielte er tatsächlich drei Treffer, er benötigte dafür nicht einmal 17 Minuten. Magath, sein Chef, hatte ihn kurz zuvor mit der schlichten Anweisung „Mach ein Tor!“ aufs Feld geschickt – mit dreien kam der Rumäne zurück. „Er sollte eigentlich auf seinen Trainer hören“, sagte Magath hinterher, „aber heute werde ich ein Auge zudrücken.“ Erst einmal auf der Sonnenseite angekommen, läßt sich Fußballers Freud und Leid mit Leichtigkeit ertragen. Nach dem Schlußpfiff wollten die Fans, die Betreuer und die Mitspieler Ganea gar nicht mehr loslassen. Ein bißchen aufgeregt sagte er vor der Fernsehkamera: „Immer bis zum Ende weiterkämpfen – so sagt der deutsche Mann das doch, oder?““

VfL Wolfsburg – Werder Bremen 3:1

Jörg Marwedel (SZ 11.11.). „Der fünfte Sieg im sechsten Spiel war das Resultat couragierten Offensiv- Spiels. Und er ließ bei einigen VfL-Profis sogar Wehmut aufkommen, die man nicht vermutet hätte angesichts des anstehenden Umzugs vom baufälligen VfL- Stadion in die supermoderne Volkswagen Arena, die ja Symbol für den nächsten Entwicklungsschritt sein soll (…) Über die Bremer ist nicht viel zu sagen. Sie haben zwar ihren gefährlichsten Stürmer Ailton gezähmt – er fabuliert nicht mehr von Vereinswechseln, wenn er auf der Bank sitzen muss. Dafür fehlte er gut 60 Minuten auf dem Feld, wo an seiner Stelle Charisteas die Nerven verlor und Rot sah. Charisteas hatte Franz umgeschubst, nachdem ihm der auf den Fuß getreten hatte – und somit mehr Temperament gezeigt als die beiden sonstigen Motoren des Bremer Spiels, Lisztes und Micoud. Beide spielten weit unter Form, worüber auch Micouds trockener Schuss zum 2:1 nicht hinweg täuschen konnte. Das waren die Gründe für die Niederlage und nicht „die vielen Ungerechtigkeiten, mit denen wir leben mussten“, wie Bremens Sportdirektor Klaus Allofs Richtung Schiedsrichter Keßler klagte.“

Raimund Witkop (FAZ 11.11.). „Mag sein, daß sich eine kultivierte Mannschaft wie Werder einfach unwohl und gehemmt fühlt, wenn sie in die Löcher und Krater des Wolfsburger Rasens tappt. Die Niederlage am Samstag entsprach nämlich dem gewohnten Bild: Wolfsburg ist auswärts oft genug ein leichtes Opfer, daheim jedoch auch für gute Mannschaften kaum zu schlagen. „Das ist eine Sache der Einstellung und der Zweikämpfe“, erklärte Effenberg, der selbst zahlreiche Bälle erobert hatte. Die Beobachtung schließt ihn selbst ein: Eine Woche zuvor in Hannover hatte Effenberg dergleichen ebenso vermissen lassen wie seine Nebenleute. So müssen sie weiter rätseln über die zwei Gesichter des VfL, die Bilanz sieht aber ordentlich aus.“

Schalke 04 – Bayer Leverkusen 0:1

Felix Meininghaus (SZ 11.11.). „Es ist immer wieder faszinierend, wie Fußballspiele, die eigentlich nichts Großartiges bieten, durch eine Szene zu einem Spektakel mit erhöhtem Gesprächsbedarf mutieren. Bei der Begegnung zwischen dem FC Schalke 04 und Bayer Leverkusen war es in der 87. Minute so weit. Bis dahin war das Spiel hin- und her geschwappt, hatten beide Kontrahenten ein paar erstklassige Chancen stümperhaft ausgelassen, doch im Grunde war längst klar, dass es auf ein torloses Remis mit bescheidenem Erinnerungswert hinauslaufen würde. Doch dann ereignete sich jene Situation, die alle Beteiligten und die 60.600 Augenzeugen in der Arena AufSchalke in höchste Aufregung versetzte: Leverkusens eingewechselter Thomas Brdaric strebte bei einem Konter allein auf Schalkes Torwart Frank Rost zu, legte den Ball vorbei und ging – wie so oft – zu Boden. Schiedsrichter Wack entschied auf Elfmeter, den Nationalspieler Bernd Schneider zum einzigen Tor des Tages nutzte, und zeigte Rost nach Rücksprache mit seinem Assistenten die Rote Karte. Eine knifflige Entscheidung war das, die die ohnehin aufgeheizte Atmosphäre zum Kochen brachte. Rost war nach seinem Feldverweis außer sich vor Wut und nur mit großem Aufwand davon abzubringen, Dummheiten zu begehen, die seinen Arbeitgeber und ihm noch größeren Ärger eingebracht hätten (…) Und so entschieden die Gäste aus dem Rheinland eine Partie für sich, bei der sie sich entschieden hatten, ihrer Krise mit rustikaler Gangart zu begegnen. Dagegen versäumten es die Schalker durch fahrlässigen Umgang mit Großchancen, auf Rang zwei in der Tabelle vorzurücken und – was im Revier fast noch wichtiger ist – am Rivalen aus Dortmund vorbei zu ziehen. Dass die Dinge nach dem Schlusspfiff dermaßen eskalierten, lag indes nicht in erster Linie am verschenkten Sieg, sondern an einer wahrhaft unschönen Szene wenige Augenblicke nach Schneiders Elfmetertreffer: Um ein paar Augenblicke Zeit zu schinden, sank Brdaric 30 Meter vor dem Schalker Tor bei einem Laufduell erneut – aber diesmal eindeutig ohne gegnerische Berührung – zu Boden, als müsse er seine Karriere auf der Stelle als Sportinvalide beenden. Gerade angesichts der Stimmungslage erwies sich Brdaric durch sein Verhalten als Provokateur der schlimmsten Sorte. Nach dem Schlusspfiff hätten ihn die aufgebrachten Schalker am liebsten einen Kopf kürzer gemacht, Manager Rudi Assauer musste auf dem Rasen Schwerstarbeit verrichten, um seine Spieler zu beruhigen. „Es sind Dinge passiert“, beschwerte sich der fallsüchtige Brdaric später, „die gehören einfach nicht auf den Fußballplatz.“ Darüber, ob sein eigenes Verhalten einem aufrichtigen Sportsmann zur Ehre gereicht, referierte der Stürmer indes nicht.“

Erik Eggers (Tsp 11.11.) beleuchtet die Bedeutung des Auswärtssiegs für Bayer Leverkusen. „Ob dieser Auswärtserfolg bei Schalke aber tatsächlich, wie Trainer Klaus Toppmöller hinterher meinte, im Saisonrückblick als „großer Befreiungsschlag für uns“ zu werten ist, wird dann wohl doch davon abhängen, ob Leverkusen seine unerklärliche Schwäche gegen spielerisch an sich unterlegene Gegner wird ablegen können. Gegen höher einzustufende Gegner wie Dortmund oder Bayern hat sich Bayer Leverkusen schließlich bislang behauptet. Nicht unbedingt mit spielerischer Rafinesse, aber mit ungeahnter Kampfkraft.“

Jan Christian Müller (FR 11.11.) fordert. „Was also treibt einen wie Frank Rost, nach einer – nach geltendem Regelwerk ja nicht völlig abwegigen – Roten Karte wie ein tollwütiger Fuchs im Zick-Zack-Kurs über den Platz zu irren und das wut-verzerrte Antlitz einem Millionenpublikum zu präsentieren? Ein derart uneinsichtiges Verhalten sollte im Strafmaß berücksichtigt werden. Herr Fußball-Staatsanwalt Hilpert, seien Sie nicht zu gnädig. Was denkt sich Tomas Hajto dabei, dem just von Rost zu Fall gebrachten Stürmer Brdaric das Knie in die Seite zu rammen, dafür gnädigerweise nur mit der Gelben Karte bestraft zu werden, ehe er, ohnehin einer der bösesten Treter der Liga, nach dem Schlusspfiff geradezu Amok läuft und nur mühevoll aus den eigenen Reihen gebremst werden kann? Kontrollausschuss, übernehmen Sie! ”

Martin Hägele (SZ 11.11.). „Als sich die Menschenmassen über die unzähligen Treppen des Betzenbergs vom Stadion hinunter in die Stadt schoben, glichen sie einer Schlange, die ihre Lebensenergie verbraucht hat: zu müde, um noch Beute zu schlagen, legt sie sich auf ein stilles Plätzchen ins Laub. Irgendwann wird sie für immer einschlafen. Es hatte auch auf den Rängen keinen Aufstand gegeben, nachdem die Partie mit 0:1 gegen Hannover 96 abgegeben war; nur einige Pfiffe und hilflose Gesten gegen die drei Spielleiter um Schiedsrichter Fleischer. Es war sozusagen der letzte Reflex der Ostkurve, die Roten Teufel draußen hatten sich ähnlich dem Schicksal ergeben wie ihre Profis auf dem Platz. „Das ist nicht der 1. FC Kaiserslautern, den ich kenne“, sagte Trainer Eric Gerets hinterher, „das erste Mal seit ich hier bin, habe ich eine Mannschaft ohne Seele gesehen“. Ein schlimmeres Urteil kann ein Fußball-Lehrer nicht fällen. Schon gar nicht bei einem Klub wie dem Pfälzer Traditionsverein, der sich und seine Spieler stets als furchtlose Kämpfer gegen den Rest der Welt definiert hat. Von dieser Idee haben sich die modernen Legionäre weit entfernt, der FCK stellt nur noch pro forma eine Elf dar, aber längst keine Mannschaft. Viel hat sich noch nicht verbessert in jenem chaotischen Haufen, den der Trainer-Novize Andreas Brehme hinterlassen hat – auch unter der belgischen Fachkraft Gerets ist kein Ordnungsprinzip erkennbar: Höchstens das der Verwirrung (…) Rangnicks Leute sind dort angekommen, wo sie ihr Zeichen setzen wollten in der Bundesliga. Seine Elf besitze nun das Bewusstsein, gut nach vorne spielen zu können, so der Trainer, „und der Gegner weiß, dass es nicht einfach ist, gegen uns Tore zu schießen“. Vor dem Hintergrund des Fehlstarts, der sich optisch in 26 Gegentoren niederschlug, war Rangnick vom ersten Zu-Null-Spiel der Runde besonders angetan. Wieder ein Entwicklungsschritt, wieder ein Signal gesetzt. Dazu noch eine spektakuläre Note beim Siegtreffer. Der achte Treffer Bobics im achten Spiel erinnerte an die besten Zeiten des schwäbischen Torjägers.“

Günter Rohrbacher-List (taz 11.11.). „Zumindest nach der Pause bemühte sich der FCK, wenn auch mit der Brechstange, um den Ausgleich. Doch was in früheren Jahren Stürmern wie Stefan Kuntz, Bruno Labbadia, Pavel Kuka oder Olaf Marschall immer wieder gelungen war, blieb dem biederen Miroslav Klose sowie dem ungestümen Mifsud gegen Hannover verwehrt. Und mit jeder vergebenen Chance schwanden die Hoffnungen der Spieler in Rot und auch die ihrer immer spärlicher auf den höchsten Pfälzer Berg pilgernden Fans. Vor allem in der Schlussviertelstunde, in der die Lauterer noch vor drei, vier Jahren das Gästetor ohne Unterbrechung berannt hatten, wirkten die Roten Teufel diesmal wie gelähmt und ergaben sich ideenlos in ihr Schicksal. Georg Koch fehlten hinterher fast die Worte. Wahrscheinlich ist er einer der wenigen Spieler, die sich Gedanken um ihren Arbeitsplatz machen und genau wissen, was auf den 1. FCK im Falle eines erneuten Abstiegs aus der Bundesliga zukäme: Nicht nur, dass der WM-Standort Kaiserslautern in Frage stünde, weil der Verein seinen finanziellen Anteil am Ausbau des Stadions aus den spärlichen Fernsehgeldern der 2. Liga schon gleich gar nicht mehr bezahlen könnte. Schlimmer noch: Ein Absturz in die Regional- oder gar die Oberliga könnte drohen, dann nämlich, wenn dem Verein aus wirtschaftlichen Gründen die Lizenz verweigert würde. Am Allerschlimmsten: Ein Abstieg des FCK bei gleichzeitigem Aufstieg von Mainz 05 oder Eintracht Trier käme einer revolutionsartigen Wachablösung in Rheinland-Pfalz gleich.“

Oliver Trust (Tsp 11.11.). „Im Lauterer Team zeichnen sich erste Risse ab, und der Zoff wird sich verstärken, wenn Gerets auf die Schuldigen mit dem Finger zeigt. Mario Basler fing mit dem Gezänk an. Der Trainer habe doch Recht, wenn er sage, es müsse aussortiert werden, wer nicht mitziehe. „Der Idrissou von Hannover gewinnt jeden Kopfball. Davon können sich unsere Stürmer eine Scheibe abschneiden. Ich habe mir wochenlang anhören müssen, es kämen keine Flanken. Da darf ich auch mal was sagen“, sagte Basler. Dass er selbst weit hinter den Ansprüchen zurückblieb, sagte er nicht. Egal, was Gerets an personellen Umstellungen probierte, besser wurde es nicht. Ciriaco Sforza blieb als Abwehrchef und als Lenker im Mittelfeld eine herbe Enttäuschung, Basler zu langsam, Spielmacher Lincoln ohne Wirkung, Thomas Hengen ein Schatten seiner selbst. Und im Sturm wurde Nationalspieler Miroslav Klose vom Strudel der Verunsicherung mit ins schwarze Loch gezogen. Dass es vor allem Schlüsselspieler sind, die nicht funktionieren, schränkt den Handlungsspielraum von Gerets extrem ein.“

Peter Heß (FAZ 11.11.). „Wären die Fußballprofis des 1. FC Kaiserslautern am Samstag den Verpflichtungen gegenüber ihrem Verein so nachgekommen wie die disziplinierten Mitglieder am vergangenen Dienstag auf der Jahreshauptversammlung, sie hätten das Bundesligaspiel gegen Hannover 96 3:0 gewonnen und damit die Hoffnungen auf eine bessere Fußballzukunft gestärkt. Aber statt die Aufbruchstimmung im von neuen Kräften geführten Traditionsklub mit einem Sieg zu unterstützen, stellte die Mannschaft dem FCK sportlich ein noch schlimmeres Armutszeugnis aus, als es der Wirtschaftsprüfer für die Finanzen tat. Die 0:1-Heimniederlage gegen den Aufsteiger Hannover 96 gefährdet die Sanierung des Vereins hochgradig (…) Bis zum Schluß probierten es die Pfälzer mit der schlichten Taktik „hoch und weit“, womit die Flugbahn des Balles umschrieben ist. Lokvencs Kopfballstärke und Mifsuds Quirligkeit führten dabei zu zwei, drei Torchancen, die der Aufsteiger aber mit Glück und Geschick überstand. Für die Abteilung Fußball mit Verstand fühlte sich an diesem Nachmittag nur Hannover 96 zuständig. Die Lust und Fähigkeit am Kombinieren gipfelten in der 40. Minute und wurden mit dem Siegtreffer belohnt.“

Hamburger SV – 1860 München 1:0

Frank Heike (FAZ 11.11.) beschreibt ein Comeback. „Die Hamburger Hoffnung auf eine vielleicht doch noch erfolgreiche Saison heißt Cardoso. Ein wenig magischer Realismus im Spiel des HSV ist zurück. Der zarte Argentinier verteilte die Bälle, er kämpfte, er gab die Vorlage zum Tor des Tages durch seinen Landsmann Romeo. Wie die Kindergärtnerin beim Zoo-Ausflug nahm er seine Mitspieler an die Hand, bot sich in engen Situationen zum Anspiel an, versuchte schwierige, riskante Pässe und hätte mit einem Fallrückzieher kurz vor Schluß fast selbst noch getroffen. Und das, obwohl er mit seinen Kräften schon Mitte der zweiten Halbzeit am Ende war. Kurt Jara hatte an diesem grauen Samstag alles richtig gemacht. Er stellte seinem Regisseur zwei Komparsen zur Seite, Ledesma und Maltritz. Cardoso durfte sich auf die Regiearbeit beschränken (…) Bei aller Freude über die Rückkehr des Argentiniers ist es ein Armutszeugnis für den HSV, so sehr von den Fähigkeiten eines einzelnen Akteurs abhängig zu sein. So schwillt alle paar Monate der Bocksgesang der Hamburger Boulevardmedien an: Wo nur ist Cardoso? Sobald einer ihrer Reporter ausgespäht hat, daß er ansatzweise wieder fit ist, wird sein Einsatz gefordert. Es ist die Sehnsucht einer ganzen Stadt nach ein bißchen Spielkultur. Einem mit der Sohle zurückgezogenen Ball. Einem Paß über 40 Meter mit dem linken Außenrist. Doch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist eine vage Hoffnung. Das weiß keiner besser als Cardoso. Leider kann man auf Cardoso nicht bauen, nur hoffen.“

Arminia Bielefeld – 1. FC Nürnberg 0:1

Dirk Graalmann (SZ 11.11.). „Nach dem zweiten Auswärtssieg der Saison bei bemitleidenswerten Westfalen aber ist die Zeitrechnung in Franken auf eine neue Basis gestellt. „Einen erstaunlichen Reifeprozess“, beobachtete Augenthaler. „Vor wenigen Monaten hätten wir so ein Spiel noch verloren.“ Dass sie es gewannen, lag aber nur zur Hälfte am spielentscheidenden Kopfball- Treffer von Driller, der nach dreieinhalb Jahren mal wieder ein Bundesliga-Tor erzielte. Mindestens ebenso großen Anteil am Gefühl neuer Stärke hatte das Kollektivverhalten während der Schlussphase (…) Während sich die Bielefelder – vor der Partie tabellarisch noch vor den Nürnbergern notiert – nun mit ernsten Abstiegssorgen plagen, haben sich die Nürnberger schon mit Fragen nach dem Endstadium der Reife auseinander zu setzen. Augenthaler sah sich ob des abgeklärten Defensiv-Verhaltens der Viererkette mit dem glänzend disponierten Popovic, dem bedingungslosen Petkovic sowie Kos und Nikl gar mit Vergleichen zum FC Bayern früherer Prägung konfrontiert. Er hat auf die Frage hin nur gelächelt. Denn schließlich müsse er immer noch zittern, wenn der Schiedsrichter die Nachspielzeit ankündigt.“

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