indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

Themen

Themen: Start heute in eine reduzierten Wettbewerb – „Jahrhundertchance“ (NZZ) für VfB Stuttgart – konservatives Leitbild des VfB Stuttgart – schottische Woche für deutsche Vertreter – FAS-Interview mit KH Rummenigge

Weniger Spiele, weniger Geld, besserer Sport

Roland Zorn (FAZ 16.9.) freut sich auf eine verdichtete, weil reduzierte Champions League. „Weniger Spiele, weniger Geld, besserer Sport: Auf diese Wunschformel reduziert, begrüßen die Urheber der jüngsten Reform in der Champions League den renovierten Modus (…) Daß Deutschland von diesem Dienstag an nur mit zwei Klubs – Bayern München und VfB Stuttgart – zum europäischen Abenteuerspielplatz aufbricht, weist auf den Qualitätsverlust der Bundesliga hin. Borussia Dortmund hätte es als Dritter im Bunde schaffen können, schien aber wie so viele Starter in der sogenannten Königsklasse so sehr auf die immer noch üppigen Einnahmemöglichkeiten fixiert, daß die auf eine Bringschuld verpflichtete Mannschaft in den entscheidenden Momenten der Qualifikation verkrampfte. Würde in Zukunft bei allen Diskussionen über die Champions League wieder mehr über den Sport und weniger über den Reibach geredet, es käme dem Wettbewerb zugute. Wie es ist, mit dem Blick auf die falschen Etiketten in eine richtig spannende Konkurrenz zu starten, weiß auch der FC Bayern so gut wie kaum jemand: Im Vorjahr tänzelten die Münchner als weißes Ballett auf die große Bühne und kippten prompt aus den Latschen. In diesem Jahr will der deutsche Rekordmeister auf traditionelle Weise Fuß fassen.“

Günstiger Zeitpunkt, um einige der Etablierten zu überholen

Martin Hägele (SZ 16.9.) berichtet die Vorfreude in Stuttgart. „Überall in der Stadt sieht man stolze Hinweise auf die neue große Fußball-Welt, für die Gruppenspiele hätte man das Stadion aufstocken können, einen solchen Run auf Karten hat man im Roten Haus des VfB noch nie erlebt. Der Boom um seine junge Mannschaft erinnere ihn an Borussia Mönchengladbach vor dreißig Jahren, sagt Trainer Magath, an jene Epoche, in der Hennes Weisweiler mit seiner Fohlen-Elf um Günter Netzer, Jupp Heynckes und Berti Vogts auf dem Bökelberg die schönste deutsche Fußball-Romanze geschrieben hat. „Wir haben eine Riesenchance“, sagt Magath, „denn diese Konstellation ist äußerst selten: Die Mannschaft ist erfolgreich und kommt zudem sympathisch rüber.“ Das Bild des VfB steht in strengem Kontrast zur höher eingeschätzten Konkurrenz aus Dortmund, Berlin oder von Schalke 04. Es könnte ein günstiger Zeitpunkt gekommen sein, um einige der Etablierten zu überholen und sich aus dem Windschatten heraus für die Rolle der zweiten Kraft hinter dem FC Bayern zu bewerben. Ein solches Manöver aber kann nur gelingen, wenn sich die Stadt Stuttgart mit der Wirtschaftskraft des mittleren Neckarraums hinter dem VfB versammelt – „sonst wird alles nur eine schöne Episode bleiben“, warnt Magath. Er kennt mittlerweile die Stuttgarter Fußball-Geschichte und auch die Mentalität der Kundschaft. Ähnliche Umbruch-Situationen hat der Verein schon mehrmals verschlafen. Dass der VfB 1984 und 1992 den Meistertitel gewonnen hat, ist nur noch den Statistikern erinnerlich (…) Warum konnten die Kicker mit dem roten Brustring nie nachhaltig die Herzen einer außer-schwäbischen Fan-Gemeinde sich erobern? Warum schuf die Sundermann-Wundermann-Zeit (Aufstiegsjahr 1977) nichts Dauerhaftes, und warum verebbte die republikweite Schwärmerei für das Magische Dreieck (Balakov, Elber, Bobic) nach dessen Zerfall so schnell? Wieso ging von einem Klub, der Weltmeister, Europameister und Publikumslieblinge wie Jürgen Klinsmann, Guido Buchwald und Matthias Sammer prägte, nicht eine anhaltende Faszination aus? Erwin Staudt, der neue Vorstandsvorsitzende, war erschüttert, als er jene Tabellen sah, die die Attraktivität der Erstligisten einordnen. VfB Stuttgart: Platz 13, sowohl bei den Dauerkarten als auch bei den Mitgliederzahlen. Im Gottlieb-Daimler-Stadion verkehre vorwiegend ein Operetten-Publikum, behauptet der Sportpsychologe Gunter A. Pilz in seiner Ferndiagnose aus Hannover. In und um Stuttgart aufgewachsene Sportsfreunde führen den Menschenschlag vom Bruddler als Stimmungstöter an, der an allem etwas auszusetzen hat.“

Was Magath derzeit auch anfaßt, es gelingt ihm

Michael Ashelm (FAZ 16.9.) beschreibt die Machtfülle des Stuttgarter Trainers Magath. „Seit Monaten versucht der Fünfzigjährige, der den wirtschaftlich angeschlagenen Klub in kurzer Zeit sportlich an die nationale Spitze heranführte, seine Position als Teammanager zu stärken. Erst übernahm er nach dem Ausscheiden von Rolf Rüßmann den Job des Managers. Als der VfB die Saison überraschend als Ligazweiter abschloß und die Teilnahme an der europäischen Meisterliga in der Tasche hatte, kokettierte der Stratege mit einem Wechsel zu Schalke 04. Alles, um seinen Preis für die Stuttgarter nach oben zu treiben und weitere Befugnisse zu erhalten. Für eine großzügige Prämienregelung legte sich Magath im Namen der ganzen Mannschaft mit dem Finanzdirektor Ulrich Ruf an – am Ende ebenfalls mit durchschlagendem Erfolg. Die Verantwortlichen des Klubs sehen den Multi-Magath derweil mit Gelassenheit. Ich finde es wichtig, daß eine Führungskraft mitdenkt und sich überall einsetzt, sagt Präsident Erwin Staudt. Der Wirtschaftsmanager könnte sich eine noch engere Bindung an den Teammanager vorstellen, der für schöne Fußballträume in Stuttgart sorgt. Wenn sich die Profisparte des VfB demnächst vom e.V. zur Kapitalgesellschaft wandelt, schließt Staudt nicht aus, Magath in den Vorstand der Kommanditgesellschaft auf Aktien zu nehmen. Unterdessen sendet der Präsident auf Magaths jüngste Forderung nach einem Fünfjahresvertrag schon einmal positive Signale aus. Ich bin bereit, darüber nachzudenken, sagte Staudt am Montag dieser Zeitung. Was Magath derzeit auch anfaßt, es gelingt ihm.“

Bürohengst Ruf als grösster Bremser des sportlichen Fortschritts

Die NZZ (16.9.) sieht eine „Jahrhundertchance“ für den VfB. „Nach dem wahrscheinlichsten Grund für die mangelnde Identifikation mit dem VfB aber traut sich keiner zu fragen, weil der Ehrenvorsitzende Mayer-Vorfelder unter „Tabuthema“ läuft. Als „ewige Vergangenheitsbewältigung“ hat Magath den Aspekt „MV“ jetzt in einem Interview umschrieben, über ein Vierteljahrhundert hat der heutige DFB-Präsident den VfB wie kein anderer Klubchef personifiziert. Dessen Bedürfnis nach Zuneigung sowie seine Art, den Sonnenkönig zu spielen, haben Parteigänger, Lakaien und Schleimer angezogen, liberale Zeitgenossen und viele Andersdenkende dagegen abgestossen. Die warten nun ab, welchen Kurs die neue Führungsriege einschlägt. Noch fehlt ein klares Bekenntnis zu einem Stil, etwas, was über die Floskel Champions League hinausgeht. Was zum einen damit zusammenhängt, dass der ehemalige IBM-Vorstand Staudt auf neuem Terrain erst einmal vertraut werden muss. Andererseits verteidigt Finanzchef Ruf, der Prototyp des Vereinskassiers, der mit der Schatulle schläft, sein hart erarbeitetes Herrschaftswissen. Es fällt auf, wie Magath in den vergangenen Monaten und Wochen immer heftiger Rufs konservative Denkweise kritisiert und den Bürohengst als grössten Bremser des sportlichen Fortschritts geoutet hat. Denn die ehrgeizigen Ziele des Teammanagers könnten schnell zur Makulatur werden und sogar als arroganter Spruch auf den Verursacher zurückschlagen, wenn nicht bald etwas passiert in Sachen Vermarktung und neue Sponsoren und Partner erschlossen werden. Das ist zwar nicht Magaths Geschäftsbereich. Er aber mahnt trotzdem. Weil er nicht zusehen will, wie die Chefs der anderen Abteilungen die grösste Expansionschance des VfB in dessen 110-jähriger Geschichte wie eine Serie von Familien-Geburtstagen aussitzen. Und es zum Kapitel Champions League schon bald nur noch heissen könnte: „Weisst du noch, gegen Manchester?““

Wir brauchen international eine starke deutsche Präsenz

FAS-Interview mit Karl-Heinz Rummenigge

FAS: Am Mittwoch startet der FC Bayern München gegen Celtic Glasgow in die Champions League – nach zehnmonatiger internationaler Abstinenz. Hatten Sie Entzugserscheinungen?

KHR: Das war schlimm genug und keine angenehme Zeit.

FAS: Es hat sich in dieser Saison einiges geändert in der Champions League. Zum Beispiel werden die Einnahmen aus den Fernsehgeldern sinken. Statt der 65 Millionen Euro jährlich wie bisher von RTL zahlt Sat.1 nur noch 28 Millionen Euro. Muß der FC Bayern nun besser sparen?

KHR: Natürlich ist mit weniger Einnahmen zu rechnen. Was ich gehört habe, kann man davon ausgehen, daß es 25 bis 30 Prozent weniger sein werden. Aber unser Vorteil ist, daß wir dieses Mal als deutscher Meister in die Champions League sind. Außerdem ist Dortmund ausgeschieden. In der vergangenen Saison haben wir als Meisterschaftsdritter nur 20 Prozent bekommen, jetzt bekommen wir 55 Prozent aus dem Pott. Damit können wir das ganz gut kompensieren. Was den FC Bayern angeht, wird also die absolute Zahl nicht geringer sein als im vergangenen Jahr.

FAS: Dann sind Sie also ganz froh, daß Borussia Dortmund nicht dabei ist und mit Bayern und dem VfB Stuttgart nur noch zwei deutsche Mannschaften in der Champions League vertreten sind?

KHR: Finanziell gesehen ja, aber sportlich gesehen nein. Wir brauchen international eine starke deutsche Präsenz. Und da fehlt so ein Klub wie Dortmund natürlich (…)

FAS: Die finanziellen Schwierigkeiten von Borussia Dortmund sind eine Lappalie im Vergleich zu denen der hochverschuldeten Klubs in Spanien und Italien. Das solide Wirtschaften hat nun offensichtlich die Bundesliga für ausländische Spitzenspieler wieder attraktiver gemacht, trotz geringerer Verdienstmöglichkeiten. Denn man kann sich darauf verlassen, daß in jedem Monat das Geld pünktlich auf dem Konto ist. Rechnen Sie damit, das Gehaltsniveau im Fußball könnte so weit sinken, daß sich der FC Bayern irgendwann auch Spieler wie Raul oder Ronaldo leisten kann und leisten mag?

KHR: Da bin ich ehrlich gesagt skeptisch. Die Topklasse ist weiterhin extrem gefragt. Wir sprechen da von einer anderen Dimension. Im Falle Beckham ist das eine Ablösesumme von 35 Millionen Euro plus ein Gehalt von fünf, sechs, sieben Millionen Euro pro anno. Hochgerechnet auf vier Jahre, ist das ein Investitionsvolumen von insgesamt rund 60 Millionen Euro. Und eines hat dieses Jahr wieder gezeigt: Es gibt immer einen Verrückten, der die Dinge nicht beruhigen läßt. In diesem Jahr war es dieser Russe aus Chelsea. Solange es immer so einen wie Abramowitsch gibt, werden sich zumindest für die Topspieler die Ablösen und Gehälter nicht beruhigen. In der Mittelklasse haben sich die Preise schon beruhigt, gnadenlos sogar. Makaay hätte uns vor ein paar Jahren nicht 18 Millionen Euro gekostet, sondern 50 oder 45, weil es einen anderen Wettbewerb gab, einen irrationalen. Diese Irrationalitäten werden jetzt weniger, aber wir kommen nicht komplett zum Stillstand.

FAS: Es wird ab dem kommenden Jahr ein europaweites Lizenzierungsverfahren geben. Wenn es mit rechten Dingen zuginge, dürften dann kaum mehr italienische und spanische Klubs in der Champions League spielen.

KHR: Die nationalen Verbände sollen ja lizenzieren, und da ist die große Frage, inwieweit sie alles umsetzen, ob der spanische Verband zum Beispiel tatsächlich bereit ist, Klubs aus der Primera Division die Lizenz zu verweigern. Das ist für mich auch eine Nagelprobe für die Uefa, inwieweit sie dafür Sorge tragen kann, daß der Wettbewerb wieder fair gestaltet werden kann. Denn im Moment gibt es eine Wettbewerbsverzerrung höchsten Ranges. Wir spielen in der Champions League mit Klubs, die finanziell machen dürfen, was sie wollen.

Christian Eichler (FAZ 16.9.) warnt die beiden deutschen Vertreter vor der schottischen Woche für. „Die letzte schottische Saison nahm einen typischen Ausklang: der Rest der Liga als Schießbude. Am 38. Spieltag entschied zwischen den in Punkten und Tordifferenz gleichauf liegenden Glasgowern, wem gegen die chancenlose Konkurrenz der höhere Sieg gelang: Celtic gewann 4:0, Rangers 6:1. Dieses eine Tor mehr reichte zum fünfzigsten Meistertitel. Beide lagen 34 Punkte vor dem Dritten, dem FC Dundee. (…) Mehr denn je ist der Europapokal für die großen Gefangenen der schottischen Liga wie ein Freigang in der wärmenden Sonne des großen Fußballs. In der letzten Saison konnte Celtic mit dem Vorstoß ins Uefa-Cup-Endspiel den Schotten einige Anerkennung zurückgewinnen. Die Videos und Aufzeichnungen, die Trainer Martin O‘Neill beim Viertelfinalerfolg gegen den VfB Stuttgart gewonnen hatte, hat er nun seinem Rangers-Kollegen Alex McLeish zur Verfügung gestellt. Die europäische Aufgabe solidarisiert sogar die größten Rivalen. McLeish weiß, wie man Deutsche schlägt. Er gehörte dem FC Aberdeen an, der unter dem legendären Trainer Alex Ferguson als bisher letztes Team in Schottland die Dominanz der Old Firm durchbrach und 1983 den Europapokal der Pokalsieger gewann. Im Viertelfinale gegen Bayern München brach er Dieter Hoeneß die Nase und schoß ein Tor. Letzten Mittwoch saß er in Dortmund auf der Tribüne und stimmte nach der Niederlage der schottischen Nationalelf in das Klagen einiger Spieler über die abstoßende Schauspielerei der Deutschen ein. Im Mittelpunkt der Schauspielkritik stand der Neu-Bayer Tobias Rau, der mit seiner Oscar-Form (so die englische Zeitung Daily Telegraph) den Platzverweis von Maurice Ross provoziert habe. Doch McLeish weiß das Gejammer zu relativieren, indem er die Naivität britischer Teams auf internationaler Bühne beklagt. Kollege O‘Neill bewies diese sympathische Naivität, als er sich über die nicht immer sportliche Spielweise des FC Porto im Uefa-Cup-Finale bitter beklagte – als wäre es dort nicht um einen Pokal, sondern um einen Fairplay-Preis gegangen. Letzteren übrigens gewannen die vorbildlichen Fans des FC Celtic. Schottland mag noch eine Insel der Seligen sein, auf der man auch 36 Jahre nach dem ersten Europapokalsieg von Celtic nicht wissen will, daß im Fußball manchmal auch mit unfeineren Methoden gewonnen wird. Doch geschundene Fouls, weggeschlagene Bälle, vorgetäuschte Verletzungen, das ist einfach nicht schottische Art, und so werden sie wie immer mit offenem Visier ihre Chance suchen.“

Gewinnspiel für Experten

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Souveräner Sieg der „Stuttgarter Cleverle“ (FR) – Lothar Matthäus, Held von Serbien

of Die Fußball-Journalisten reiben sie sich inzwischen nicht mehr ganz so sehr die Augen über Siege des VfB Stuttgart. In der Champions League bezwangen die „Cleverle“ (FR) Panathinaikos Athen ohne Mühe mit 2:0. Stil-Vergleiche mit Primus Bayern München liest und hört man immer häufiger; sie sind als Kompliment gemeint. Gleichzeitig sorgen sich die Autoren um die Zukunft des finanzschwachen Vereins. In keinem Text fehlt der Hinweis auf die Brüchigkeit des Stuttgarter Modells. In keinem Text fehlt – zwischen den Zeilen – der Appell an Kuranyi, Hinkel und Co., sich einen Wechsel nach Schalke, reicher Verein im sportlichen Mittelmaß, drei Mal zu überlegen. Augen, Ohren und Mikrofone richten sich zur Zeit auf Trainer Felix Magath, vor dessen Abschied die Berichterstatter ebenfalls warnen. Der Tagesspiegel adelt und empfiehlt ihn als „den nächsten Ottmar Hitzfeld“.

Gerd Schneider (FAZ 24.10.) bescheinigt dem VfB „international glänzende Perspektiven, auch wenn Coach Felix Magath hinterher kühl konstatierte, der Sieg sei nur ein kleiner Schritt auf dem Weg ins Achtelfinale gewesen. Magaths Reserviertheit wirkte aufgesetzt. In Wirklichkeit konnte der Stuttgarter Erfolgstrainer gerade das Spiel gegen Athen als Beleg für einen Reifeprozeß nehmen, den sein junges Team im Schnelldurchgang zu durchlaufen scheint. Seit Beginn dieser Serie kombinieren die Stuttgarter ihre spektakuläre Verspieltheit aus der vergangenen Saison mit einer unerwarteten Stabilität im Verteidigungsfall. Die allerneueste Entdeckung des VfB-Ensembles ist die Langsamkeit. Nach den beiden Kopfballtoren durch Szabics und den kroatischen Kapitän Soldo schalteten die Stuttgarter so selbstverständlich in den Energiesparmodus um, daß selbst Magath in Staunen geriet. Wir haben uns dem Gegner entsprechend verhalten, sagte der Fußball-Lehrer über den ökonomischen Auftritt seiner Mannschaft vor allem in der zweiten Halbzeit, das haben meine Spieler ganz wunderbar gemacht. Die schwerfälligen und uninspirierten Athener waren an diesem Abend genau der passende Gegner, um diese Spielweise einzustudieren. Die haben gar nicht versucht, das Spiel zu gewinnen, wunderte sich Magath, der den Auftritt seines Teams an der Seite als stiller Genießer verfolgen konnte.Mit halber Kraft erfolgreich über die Runden kommen: Nur wer diese Kunst während der Ochsentour in den kommenden Wochen beherrscht, wird sich im internationalen Geschäft vermutlich für höhere Aufgaben empfehlen. Insofern konnten sie in Stuttgart die unspektakuläre Vorstellung als besonders wertvoll einstufen.“

Oliver Trust (Tsp 24.10.) fragt nach den finanziellen Folgen des Stuttgarter Aufschwungs: „Seit Monaten ringt ein ganzer Verein um Perspektiven und den weiteren Weg. Magath und die Spieler als Schmiede des Aufschwungs gegen die Fraktion der alten Vereinsmeier, die Angst haben vor zu viel Risiko. Seit Tagen hagelt es von Magath und den Spielern Appelle, doch endlich den Schritt zu tun und Vertrauen zu haben. Die Aussicht, das Achtelfinale fest im Visier zu haben, steigert nun die Chancen der Initiatoren der Euphorie. Zu den rund 15 Millionen Euro für die Gruppenphase kämen im Achtelfinale noch einmal 1,7 Millionen Euro hinzu. Selten hat sich ein Verein in solchem Tempo saniert. Im Juli 2004 fallen auch die 24,5 Prozent der an den Vermarkter ISPR abgegebenen Rechte an den Klub zurück. Präsident Erwin Staudt bastelt an einer Kommanditgesellschaft auf Aktienbasis, in die die Lizenzspielerabteilung eingebettet werden soll. Alles zusammen sind dies ermunternde Signale. Jetzt müssen nur noch die Weichen dafür gestellt werden, die beiden Nationalspieler Kevin Kuranyi und Andreas Hinkel längerfristig an den Verein binden zu können. „Die Mannschaft muss zusammenbleiben, und wir müssen uns Jahr für Jahr weiter verstärken, forderte Soldo. Der Kapitän will nun abwarten, wie der interne Kampf im Verein endet, bevor er selbst ein weiteres Jahr verlängert. Damit steht er nicht alleine.“

Heldenstatus für Matthäus

Ralf Itzel (SZ 24.10.) hat den bekannten Lothar Matthäus erlebt: „Er selbst hätte die von ihm trainierte Mannschaft vielleicht noch retten können. Das wäre dann etwa so gewesen: Lothar Matthäus reißt sich wie Superman Sekunden vor dem Ende den adretten Anzug vom Leib, rennt in kurzen Hosen aufs Feld, durchmisst es mit kraftvollen Schritten und jagt den Ball mit hartem Spannstoß in die Maschen. Ja, einen von seinem Schlage hätte es gebraucht, um den Zwergenaufstand Partizan Belgrads gegen den Riesen Real Madrid anzuzetteln. Das zumindest war indirekt seine Botschaft nach dem 0:1 seiner Mannschaft in Madrid . Todernst, die zusammengekniffenen Augen funkelnd, kam der Trainer vor der Presse wie eine Urgewalt auf seine Schützlinge nieder: „Ich bin enttäuscht. Einige hatten so viel Respekt, dass sie ihnen freiwillig den Ball gaben. Ich mache keine Einzelkritik, sonst könnten mehrere morgen nicht in die Zeitung schauen. Ich habe keinen Leader auf dem Platz. Ich bin ein Siegertyp, anders als einige meiner Spieler.“ Die flammende Anklage wirkte etwas auswendig gelernt, war aber trotzdem das Unterhaltsamste am Mittwochabend in Madrid. Die Partie selbst war schaurig. Ohne die Beschallung des unermüdlichen Häufleins serbischer Reisender vom obersten Stadionrand aus wäre das verwöhnte Heimpublikum vermutlich eingenickt. Partizan, schwarz-weiß gekleidet wie Juventus Turin, betrieb Catenaccio und beackerte die übermächtigen Real-Diven Mann gegen Mann wie Matthäus einst Maradona. Die gegnerische Hälfte wurde kaum betreten. Wäre im Bernabeu-Stadion ein Tor umgefallen wie vor fünf Jahren beim Treffen mit Borussia Dortmund, man hätte es bis zur Halbzeit liegen lassen können (…) Mit dem Ergebnis zeigte sich auch Lothar Matthäus anders als mit dem Auftritt ganz zufrieden, schließlich hätten sich seine Männer gegen diese Auswahl auch blamieren können. Partizan ist der erste serbische Teilnehmer seit dem Start der Champions League 1992 und verfügt nur über ein Jahresbudget von knapp fünf Millionen Euro – das ist weniger als einige Madrider Spieler im Jahr verdienen. Das Meistern zweier Qualifikationsrunden war bereits ein Coup, der Matthäus Heldenstatus einbrachte. In Belgrad verzeihen sie ihm sogar, dass er die eine oder andere Partie schwänzt, um bei seiner neuen Liebsten zu weilen.“

(23.10.) Elber vermisst Bayern, Bayern vermisst Elber – ManU, reif und erfahren, siegt im „Battle of Britain“ – Juve, noch stärker durch Lippis Rotation

Elber verband mühelos Samba und Lederhosen

Thomas Klemm (FAZ 23.10.) stellt fest, dass die Trennung beiden Seiten schwer fällt: „Man hat sich getrennt und kommt doch nicht voneinander los. Zwei Monate nach der friedlichen Scheidung merken beiden Seiten, was ihnen fehlt – nämlich jeweils die Stärken des anderen. Richtig angekommen ist Elber in Lyon noch nicht; und das nicht nur, weil er noch im Hotel wohnt und nach seiner vergebenen Torchance in seinem neuen Heimstadion Gerland erklärte, auswärts war immer mein Manko. Der Brasilianer vermißt bei seinen neuen Kollegen Souveränität und Selbstbewußtsein eines europäischen Spitzenteams, wie er sie beim deutschen Rekordmeister selbst erlebt und verinnerlicht hat. Dem FC Bayern hingegen fehlt es in seinem qualitativ hochwertigen Kader an einer Leichtigkeit, Leidenschaft, ja sogar Launenhaftigkeit, mit denen er nicht nur Spiele pflichtgemäß gewinnt, sondern auch Begeisterung für die eigene Sache weckt. Ein kühler Vollstrecker wie Roy Makaay, der das Duell mit seinem Vorgänger am Dienstag durch seinen dritten Treffer in der Champions League statistisch gewann, erwärmt nicht wirklich die Herzen. Auch Beckenbauers neuester Appell von Lyon, daß die Münchner Mannschaft und ihr im Gefüge oft isolierter niederländischer Stürmer aufeinander zugehen sollten, darf ein bißchen als Reminiszenz an das Auftreten von Makaays Vorgänger verstanden werden. War es doch der extrovertierte Elber, der Samba und Lederhosen mühelos mit südamerikanischer Selbstverständlichkeit zu verbinden verstand und der jüngeren Münchner Erfolgsgeschichte das menschlichste Antlitz verlieh.“

In einem anderen Artikel ergänzt Thomas Klemm (FAZ 23.10.): „Ein Siegtreffer des früheren Münchner Angreifers für Lyon, es wäre die falsche Pointe gewesen an diesem Fußballabend. Zwar bestimmten die Franzosen ganz zu Anfang und vor allem am Ende das Geschehen, doch zeigten die Münchner Qualitäten, die ihnen zuletzt in der Bundesliga abgingen: Es war diese Mischung aus kontrollierter Leidenschaft, strikter Selbstdisziplin und einem Schuß Brillanz, mit der sie die spielfreudigen, aber labilen Lyoner über siebzig Minuten einschüchterten. Das war der FC Bayern, auf dem man aufbauen kann, zeigte sich Rummenigge trotz des späten Ausgleichs durch den eingewechselten Peguy Luyindula in der 88. Minute zufrieden. Beim Führungstreffer in der 25. Minute gelang den Münchnern gar ein derart genialer Moment, der die Kritik am gewöhnlich ach so kühlen, glanzlosen Auftreten für einen Augenblick verstummen ließ. Die zauberhaft filigrane Vorarbeit vom überragenden Deisler, Santa Cruz und Ballack, die allesamt den Ball umstandslos und punktgenau zum Nebenmann spielten, landete letztlich bei Roy Makaay, der die Fußball-Billard-Kombination mit dem 1:0-Führungstreffer krönte: ausgerechnet der Niederländer, der noch nicht recht angekommen schien im Bayern-System.“

Mehr solides Fusswerk denn spielerische Substanz bei den Rangers

Felix Reidhaar (NZZ 23.10.) berichtet den 1:0-Sieg Manchester Uniteds in Glasgow: „Rangers versus Manchester United, das war auch ein bisschen Schottland gegen England, ein nie enden wollender Vergleich und Kampf um Eigenständigkeit und Prestige. Nur: Auf dem Rasen des voll besetzten Ibrox Stadiums stand nicht ein einziger Schotte. Das Multikulti-Team der Rangers sah elf Mann aus neun Ländern am Werk, auf der Bank figurierten die Nationalitäten zehn und elf neben drei -Schotten. Das Publikumschien dies nicht im Geringsten zu stören, derart enthusiastisch machte es seiner früh zurückgeworfene Euro-Auswahl Mut, derart geduldig glaubte es bis zuletzt an einen Umschwung, wenigstens an den Teilerfolg der Blues. Allein guter Wille und ungestümes Stürmend reichten allerdings nicht aus, den ersten Teil der auf den Inseln mit Spannung erwarteten Battle of Britain positiv zu gestalten. Manchester United erwies sich als das reifere Team (…) An eine „Festung Ibrox“, wie die Glasgower Arena in den siebziger Jahren genannt wurde, erinnerte in der 5. Minute wenig, als Phil Neville stoisch durch die blauen Abwehrreihen im Strafraum lief und am Standbein des verdutzten Keepers Klos via Pfosten die frühe United-Führung erzielte. Stand da nun jene ausser Form geratene, zuletzt in zwei Meisterschaftsspielen nur zu einem Punkt gelangte Mannschaft auf dem Feld, der deswegen niemand einen Effort gegen den Favoriten zugetraut hatte? War da wirklich nichts mehr übrig geblieben vom Schwung der mit dem Triple-Gewinn geschmückten Vorsaison? Die Rangers stemmten sich fortan mit grosser Energie gegen diesen ungünstigen Trend, aber gleichwohl blieb nicht verborgen, dass in Alex McLeishs Team mehr solides Fusswerk denn spielerische Substanz steckt, dass mehr Absehbares in der Entwicklung geschieht und weniger Geistesblitze den Gang der Dinge begünstigen.“

Motivator und Dompteur

Peter Hartmann (NZZ 23.10.) erläutert die Stärke Juves: „Andere reden davon, besonders gerne in der Ausredeform. Marcello Lippi hingegen, der Trainer des italienischen Meisters und gegenwärtigen Tabellenführers Juventus Turin, hat aus der Schwierigkeit der Personalrotation eine Tugend gemacht: Seine Mannschaft, die in der Champions League die Spanier von Real Sociedad 4:2 besiegte, unterschied sich auf sechs Posten von der Startformation im letzten Meisterschaftsspiel, das die Juve in Ancona 3:2 gewann. Zum taktischen Striptease, diesem Umkleidereigen in der Garderobe, hat er auch das notwendige Personal, obgleich mit Alessandro Del Piero seit Wochen der Publikumsliebling ausfällt. Trézéguet und Di Vaio, der Stellvertreter des verletzten Stars, erzielten je zwei Tore. Eine „Doppietta“ war in Ancona bereits Miccoli gelungen, der diesmal auf der Ersatzbank sitzen blieb. Auch Nedved, den „Antriebsmotor“ (auf den der alte VW-Slogan „Er läuft und läuft und läuft“ so gut passen würde, wenn Juventus nicht zum Fiat-Imperium gehörte), hatte Lippi drei Tage zuvor noch geschont. Der Tscheche hinterlässt auf der ganzen Länge und Breite des Rasens seine Schuhabdrücke, er sprintet schonungslos dorthin, wo es weh tut. Und er lieferte zwei entscheidende letzte Pässe. Das Publikum ist das eigentliche Problem in Turin: Obwohl Juventus zum Entzücken der landesweit 10 Millionen Anhänger siegt und siegt und siegt, zum dritten Mal hintereinander in der Gruppe D, leisteten sich nur 17242 zahlende Zuschauer den langen Abend in der Königsklasse. Die Fahrt aus dem Turiner Zentrum in die Peripherie dauert im Kriechstau eine bis anderthalb Stunden, der Rückweg ebenso (…) Zur Beherrschung des „Turnover“, wie die Personalrotation in Italien genannt wird, dient dem Coach nicht nur der darwinistische Konkurrenzkampf im Training. Marcello Lippi, der lange als zynischer Trainer-Narziss galt (schon weil er aussieht wie ein jüngerer Paul Newman), hat sich in zwei schwierigen Fällen als Motivator und Dompteur erwiesen. Der bereits 26-jährige Di Vaio, eine „Wanderniere“ vom Typ „ewiges Talent“, schnell und hypernervös, vor dem Tor von Versagensängsten eingeholt, ein Hasenfuss auf der Flucht vor seiner grossen Karrierechance, schiesst plötzlich entscheidende Tore. Edgar Davids, der niederländische „Pitbull“, der Juventus unbedingt ein Jahr vor Vertragsende verlassen wollte, geködert von Angeboten der AS Roma und, unvermeidlich, vom Chelsea-Mäzen Abramovich, arbeitet unter Lippi fast handzahm.“

morgen auf indirekter-freistoss: über den Sieg des VfB gegen Athen (2:0) und andere Spiele der CL

weitere Pressestimmen zur die Champions League in dieser Woche

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Sprung in die Moderne dank Olympia

Steffen Haffner (FAZ 12.4.), preisgekrönter Sportchef des Blattes, blickt nach München, wo heute der deutsche Bewerbungskandidat für die Olympiade 2012 gekürt wird. „Das Thema Olympia wirkt wie ein schroffer Kontrast zum Krieg im Irak. Ein Kontrast, der freilich Hoffnung gibt. Denn von den Weltkriegen und den Boykotts gegen Moskau 1980 und Los Angeles 1984 einmal abgesehen, haben Olympische Spiele noch immer dazu beigetragen, den Faden der Gemeinsamkeit über politische, rassische und religiöse Gegensätze hinweg nicht abreißen zu lassen. Doch waren es weniger idealistische Motive, welche die fünf deutschen Städte bewogen haben, sich um die Sommerspiele in neun Jahren zu bemühen. In erster Linie geht es um handfeste wirtschaftliche Aufgaben und Interessen. Schon München 1972 hat gezeigt, wie eine Stadt dank der Schubkraft Olympischer Spiele den Sprung in die Moderne schafft (…) Die olympische Idee ist in Deutschland tief verwurzelt ist. Daran hat nichts geändert, daß die Deutschen an den drei Spielen, die bisher hierzulande stattfanden, nicht ungetrübte Freude haben konnten. Die Winterspiele in Berchtesgaden und vor allem die Sommerspiele in Berlin im Jahre 1936 sind von den Machthabern des Dritten Reichs propagandistisch ausgeschlachtet worden. Und München 1972 wurde überschattet vom Geiseldrama. Bis dahin aber hatte das Ausland über die heiteren Spiele gestaunt, bei denen sich die Bundesrepublik, allen Störversuchen des Ostblocks zum Trotz, als entspanntes, gastfreundliches Land präsentierte. Sich im Jahre 2012 ähnlich in Szene zu setzen und der Welt seine vielfältigen Vorzüge vor Augen zu führen wäre für das vereinte Deutschland eine bestechende Chance. Olympische Spiele eignen sich dafür noch besser als die auf ein Publikumssegment mehr fixierte Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Der Wettkampf um die Olympischen Spiele 2012 könnte zudem Kräfte freisetzen, die dem Mißmut im Lande angesichts von Arbeitslosigkeit, Konjunkturschwäche und Zukunftsangst ein wenig entgegenwirken.“

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Angst, ein neues Wort bei den Bayern

Angst, ein neues Wort bei den Bayern – knapper Sieg gegen RSC Anderlecht – Kritik an der Bild-Zeitung für erneute Deisler-Schlagzeile (mehr …)

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Erfahrungen mit Jürgen Kohler

Christoph Biermann erzählt in der heutigen taz von seinen Erfahrungen mit Jürgen Kohler, dem neuen Sportdirektor von Bayer Leverkusen, wundert sich dabei, warum die Öffentlichkeit und nicht zuletzt die Bayer-Vereinsführung vom kürzlich noch aktiven Fußballer Großes auf die Schnelle erwarten. Gleichzeitig stellt sich wieder einmal die Frage, ob hierzulande eine Fußballerkarriere im Hinblick auf einen Funktionärsposten nicht überschätzt wird.

„Nirgendwo wird geglaubt, dass Menschen etwas ohne Erfahrungen und Lernschritte einfach zufällt. Außer im Fußball, dieser vormodernen Welt. Weshalb auch Sportdirektor Kohler noch eine ganz Zeit brauchen wird, bis er seinen Arbeitsplatz ausfüllen kann.“ Christoph Biermann (taz 3.4.) berichtet von seinen persönlichen Lehrerfahrungen mit Jürgen Kohler, den er einmal in Rhetorik unterrichtete. „Vielleicht lag es an der goldrandigen Brille, dass Jürgen Kohler mir damals wie mein Musterschüler vorkam. Aufmerksam zugehört hatte er, den Kopf dabei leicht zur Seite gelegt und mitgeschrieben, was mitzuschreiben war. Offensichtlich gehörte er zu den besonders lernwilligen Teilnehmern des Rhetorikkurses, der ein Teil des verkürzten Trainerlehrgangs für verdiente Fußballer des Volkes war. Berti Vogts hatte ihn noch als Bundestrainer angeregt und sich damit den Zorn vieler Fußballlehrer zugezogen, die nicht der Ansicht waren, dass eine große Karriere am Ball eine Abkürzung zur Trainerbank verdiente. Ich konnte den Klinsmanns, Sammers oder Kuntz damals nur wenig Neues über den Umgang mit der Presse erzählen, von ein paar grundsätzlichen Hinweisen einmal abgesehen. Auch Kohler wusste längst, wie es geht, das konnte ich dieser Tage wieder sehen, als er in Leverkusen als neuer Sportdirektor vorgestellt wurde. Gut machte er das, in einer ausgewogenen Mischung aus Verbindlichkeit und demonstrativer Entschlusskraft überzeugte er die nölige Meute Reporter. Dass dem lernwilligen Mann in den Zeitungen jedoch umgehend und ziemlich einhellig die Rolle eines Retters zugewiesen wurde, gehört zu den Mysterien des Fußballs. Denn warum soll jemand, der zuvor noch nie als Sportdirektor gearbeitet und gerade neun Monate auf der Trainerbank gesessen hatte, ein Instant-Erfolg in neuer Rolle sein? Warum bekam Kohler neben einem Katzentisch im Büro von Reiner Calmund einen Vertrag über fünf Jahre? Eine logische Erklärung gibt es dafür nicht, sondern nur eine, die in der seltsamsten Branche der Welt gilt. Eines der dort am höchsten gehandelten Güter ist nämlich Aura.“

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Drei Pressestimmen über das Ereignis des Jahres

Gefühl der Leere und so etwas wie Phantomschmerz

Christoph Biermann (SZ 28.1.): „Ruhelos strich Günther Koch über die leeren Ränge des Tivoli. Mal reportierte er neben der kleinen Pressetribüne, mal befragte er die winzige Schar der Offiziellen. Dann wieder redete Koch mit Ordnern, der Bedienung an der einzig offenen Würstchenbude oder tauchte auf dem unbesetzten Würselener Wall hinter einem der beiden Tore auf. Immerfort sprach die Reporterlegende des Bayerischen Rundfunks, zweimal 45 Minuten am Stück, so lange wie die Partie unten auf dem Rasen dauerte. Doch nicht im Auftrag der Sportredaktion war Koch unterwegs, sondern für die Hörspielredaktion sprach er das auf Band, was er selbst ein „Echtzeit-Hörspiel“ nannte. Es war richtig, mit Kunst auf die artifizielle Situation eines Fußballspiels unter Ausschluss des Publikums zu reagieren. Noch unbestimmte Zeit wird verstreichen, bis alle hören können, ob Kochs Kunstversuch gelungen ist; das Experiment eines zuschauerlosen Fußballspiels, das ist jetzt schon klar, ist gescheitert. Eine pädagogische Absicht stand dahinter, die Partie auf diese Weise zu wiederholen. Nie zuvor war im deutschen Fußball so eine Strafe ausgesprochen worden, weshalb das Spiel den Charakter einer Versuchsanordnung bekam. Das Vergnügen von höchster Exklusivität bei den Wenigen, die trotzdem hinein durften, verflog bald. Die „größte Freiluft-Pressekonferenz“, wie Stadionsprecher Robert Moonen witzelte, war nämlich nicht das spektakulär Andere, sondern das eigentlich ganz Normale. An jedem Wochenende werden Tausende von Spielen in den Kreis- oder Bezirksligen vor nicht mehr als einer Hand voll Zuschauern ausgetragen. Dort werden Schüsse, Pässe und Dribblings nicht durch Gefühlsaufwallungen von den Rängen mit Bedeutung aufgeladen. Dort ist Fußball nur Sport. Die Abwesenheit des Publikums löste bei allen Beteiligten in Aachen ein Gefühl der Leere und so etwas wie einen Phantomschmerz aus.“

Bernd Müllender (FR 28.1.): „Die Highlights gab es nachher. Verantwortlich waren zum Beispiel die Ordner. Die hatten sich im Laufe der zweiten Halbzeit zu Grüppchen von Securitooligans zusammengerottet, und feierten von den ansonsten gähnend leeren Tribünen herunter lautstark die Tabellenführung: Spitzenreiter, hey, hey. Oder Aachens Spieler. Die liefen nach dem glücklichen Sieg vor den leeren Fanblock, um demonstrativ ihr Jubelritual zu zelebrieren. Machte ja nichts, dass die Anhänger nur in ihrer Fantasie mitfeierten – alle hatten die schöne Geste verstanden. Nach dem DFB-Urteil, das Spiel zu annullieren und vor leeren Rängen zu wiederholen, war wochenlang diskutiert, gestritten und gegiftet worden. Nachher waren alle froh, dass das erste Geisterspiel in der Geschichte des deutschen Profifußballs ohne Zwischenfälle verlaufen war: 90 bizarre und überaus faire Minuten Fußballsport. So vieles war anders in der merkwürdigen Tristesse der Tiefkühltruhe Tivoli. Man verstand, wie sich die Spieler anbrüllten oder Schiedsrichter Lutz Wagner mahnte Hände weg. Eine Geräuschkulisse wie in der Bezirksliga, durch die Tribünen aber wie aus einem Kaffeekessel widerhallend Zeugen waren pro Team abgezählt 40 Beteiligte (Spieler, Betreuer, Cluboffizielle), je knapp Hundert Pressemenschen und Ordner, ein paar Polizisten, der Platzwart. Die Atmosphäre lähmte. Anfangs vor allem die Aachener Spieler, die orientierungslos herumliefen, als seien sie ihre eigenen Geister. Die Reporter hatten das Presseblöcklein wie paralysiert betreten und trauten sich zunächst kaum zu sprechen, als wäre man bei einer Andacht. Widerstandslos ließen sie sich Alemannia-Shirts reichen ( Wir sind die wahre Nr.1), zogen sie, soweit heimisch, über die dicken Wintermäntel und liefen fortan als groteske Fußballleberwürste herum. Musik fehlte, ebenso Werbedurchsagen. Aber es gab einen Stadionsprecher. Die Zuschauerzahl zu verkünden, verkniff er sich mühsam scherzend: An den Spätkassen wird noch gezählt.“

Gut, Williiii! Toll, Williiii! Komm doch, Williiii!

Ingo Petz (Tsp 28.1.): “Im ersten so genannten Geisterspiel des deutschen Profifußballs ging nichts von der taktisch wichtigen Feld-Kommunikation im sonst lauten Stadion-Singsang unter. Die Spieler riefen: „Hey, hey“ und „Jaaaa, jaaa“, „Komm, spiel, hierher!“. Von den Trainern (zumeist Nürnbergs Wolf, Jörg Berger blieb im Schutz der Bank stumm) war zu hören: „Rückraum!“ und „Pass doch“ und „Oh, nein, oh, Gott!“ Und von der Ehrentribüne, die mit rund 100 Journalisten und einigen Alemannia-Funktionären besetzt war, kamen die wichtigsten Tipps: „Gut, Williiii!“ und „Toll, Williiii!“ oder „Komm doch, Williiii!““

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Ballschrank

Interview mit Hellmut Krug

Auszug aus einem FAS-Interview mit Hellmut Krug, der seine Schiedsrichterkarriere beendet hat: FAS: „Die Fehde mit dem FC Bayern im Jahr 1997 gehört nicht dazu?“ Krug: „Die damals von mir ausgesprochenen Feldverweise waren unumstritten und regeltechnisch völlig in Ordnung. Aber nach Hoeneß‘ Kritik war es schwerer für mich, weil sich alle gefragt haben: Hat Hoeneß ihn jetzt weichgekocht, ist er jetzt pro Bayern eingestellt? Andersherum hätte Hoeneß sagen können: Siehste, der Krug hat was gegen uns.“

Werbeprofi Jean-Remy von Matt erklärt der FAS: „Oliver Kahns Problem für die Werbeindustrie ist sein plötzlicher Imagewandel. Bisher war seine Person gerade wegen seiner deutschen Tugenden wie Einsatz, Fleiß und Zuverlässigkeit geschätzt. Jetzt fährt er Ferrari, betrügt mehr oder weniger öffentlich seine Frau, reagiert gereizt auf Journalistenfragen: alles Dinge, die einen Bruch mit seinen bisherigen Werten darstellen und ihn als Werbeträger unkalkulierbar machen.“ FAS: „Welche Eigenschaften braucht Ihrer Ansicht nach ein werbewirksamer Fußballprofi? Fällt Ihnen spontan ein Name ein?“ Remy: „Die erste Voraussetzung ist Bekanntheit. Dann sollte er sowohl auf dem Platz als auch im Leben eine Persönlichkeit sein. Sicherlich hilft es, wenn er wie Paolo Maldini oder David Beckham aussieht. Und ein weiterer Vorteil ist, wenn er auch für ungewöhnliche Ideen zu haben ist. Wir hatten einem Bundesligaprofi eine Geldsumme angeboten, wenn er nach einem Tor seine Hose runterzieht und fernsehwirksam seinen Mey-Slip zeigt. Leider hat er bisher kein Tor geschossen.“

Die FAS (25.5.) klärt auf. „Wie selbstverständlich wird die monarchische Anrede seit vielen Jahren als Ehrentitel für Deutschlands allgegenwärtiges Fußball-Idol verwendet. Franz Beckenbauer hat als Spieler, Teamchef und auch Funktionär Weltmeisterliches für sein Heimatland geleistet, wie magisch nur die guten Dinge angezogen. Wer also dem deutschen Fußballvolk so viele schöne Momente beschert, dem gebührt Huldigung dieser Art, möchte man meinen. Doch so einfach ist das nicht: Daß der heute Siebenundfünfzigjährige irgendwann zum Kaiser wurde, hatte erst einmal nichts mit seinen Talenten beim Fußball zu tun. Vielmehr spielte ein kleines, unscheinbares Privatspiel des FC Bayern München im Jahr 1967 in Wien Schicksal. Gesponsert wurde der Auftritt des Rekordmeisters von einer Versicherungsgesellschaft, in deren Hauptverwaltung vor der Partie ein großes Mittagessen mit den Stars aus München stattfand. Der Zufall (oder war es damals schon Intuition?) wollte es, daß Beckenbauer im Foyer des Gebäudes an einer Büste des österreichischen Kaisers Franz Joseph vorbeischlenderte und genau in diesem Augenblick von einem der wenigen anwesenden Fotografen abgelichtet wurde. Ich hab‘ mir nichts dabei gedacht, beteuert Beckenbauer. Doch das Bild wanderte in die Zeitungen, und der Fußball-Kaiser war geboren.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Hansa Rostock – Hertha BSC Berlin 0:1

Josef Kelnberger (SZ 27.10.) sieht Manager Dieter Hoeneß, selbstverschuldet, in der Falle: „Die archaischen Umgangformen in der Hertha mögen Boulevard und Anhang ruhig stellen. Und vielleicht muss ein Präsidium Trainer und Mannschaft auch wachrütteln, wenn sich alle wunderbar vertragen, im Training großartige Fortschritte erzielt werden – nur leider die Siege ausbleiben. Fußball, sagt der Philosoph, ist Tagesgeschäft. Allerdings, was wäre passiert, hätte man wegen zweier irregulärer Tore 1:2 verloren? Stevens im Amt belassen, objektiver Gerechtigkeit wegen, oder ihn gefeuert, weil er das Unglück anzieht wie einst Hiob? Und was passiert, wenn Stevens auch am Dienstag gewinnt, dann aber wieder drei Spiele am Stück verliert? Noch ein Ultimatum? Oder die ultimative Androhung eines neuen Ultimatums, ein Ultimatum-Ultimatum? Tatkraft und Entschlossenheit vorzuführen ist eine Sache – sich jenseits aller fachlichen Überlegungen einem einzelnen Ergebnis auszuliefern eine andere. Jetzt versucht Hoeneß zurückzurudern, es entsetzt ihn die Aussicht, dass über das wichtigste sportliche Amt im Verein im Elfmeterschießen entschieden werden könnte. Aber das Tückische an einem öffentlichen Ultimatum – einer letzten, äußersten Aufforderung unter Androhung von Maßnahmen – ist, dass unglaubwürdig wird, wer eine Drohung nicht wahr macht. Autorität geht verloren.“

Die ganze Scheiße geht nun in die zweite Runde

Das Berliner Krisenmanagement nervt Frank Ketterer (taz 27.10.): „Wie alles sich zugetragen hätte, wenn Luizão, der brave Brasilianer, im Rostocker Ostseestadion nicht ins Tor getroffen hätte zum knappen Sieg für Hertha BSC, ist nicht allzu schwer vorstellbar – und geht so: Der seit Abpfiff arbeitslose Fußballlehrer Huub Stevens hätte keinen Jubeltanz zum Vortrag gebracht, sondern wäre ohne auch nur einen weiteren Knurrer von dannen gestampft. Herthas Manager Hoeneß hätte vor laufenden Kameras sein Bedauern über den traurigen Ausgang der Geschichte kundgetan und ein vorletztes Mal, einem Nachruf gleich, die überragenden Qualitäten des gerade Entlassenen gelobt, während Fredi Bobic gleich nebenan scheinheilig beteuert hätte, nicht absichtlich dreimal daneben geschossen zu haben aus aussichtsreichster Position. Nie würde ich gegen meinen Trainer spielen, hätte Bobic zusammenschwäbelt – und dabei wieder so dämlich gegrinst, wie er es immer tut (nur geglaubt hätte man ihm nicht). Außerdem hätte es gestern, spätestens heute eine Pressekonferenz gegeben, auf der Hoeneß ein letztes Mal, und wieder einem Nachruf gleich, Stevens als ganz außergewöhnlichen Trainer gelobt – und danach seinen mindestens ebenso außergewöhnlichen Nachfolger präsentiert hätte, zum Beispiel Asgeir Sigurvinsson oder Kjetil Rekdal. Die Fans hätten den Stevens-Rauswurf gefeiert, die Medien, zumindest die bunten, nicht minder – das Bündnis der Dummheit hätte ja endlich sein Ziel erreicht. Und alles wäre wieder in bester Ordnung gewesen bei Hertha. Nichts ist in Ordnung. Luizão hat schließlich getroffen, Stevens ist immer noch da, und am Dienstag geht die ganze Scheiße nun in die zweite Runde.“

siehe auch : Es werden im deutschen Fußball deutlich zu wenige Ultimaten gestellt

Katrin Weber-Klüver (BLZ 27.10.) erzählt: „Die Idee, in der Hauptstadt eine Partie des ansässigen Vereins Hertha BSC in einer Kneipe zu verfolgen, ist ehrenwert. Und eine Herausforderung, genau wie das Spiel für Bobic und Co: Geschenkt wird einem nichts, man muss sich alles hart erarbeiten. Auf der Kastanienallee ist es einfacher, einen Schuppen zu finden, der Spiele aus der Pfalz überträgt; in Kreuzberg stolpert man eher in einen Pub mit englischem Fußball als in ein Herthaner-Stübchen. Man kann das so interpretieren: Berlin zieht Volk aus der ganzen Republik, ganz Europa, der ganzen Welt an, und die Leute hängen eben an ihren Heimatclubs. Man kann es auch anders auslegen: Berlinern ist Fußball egal. Aber das wäre falsch. Denn da gibt es, eingeklemmt zwischen Imbissen und Beate Uhse, mitten in Charlottenburg, eine unsinkbare Rettungsinsel einheimischen Fußballtums: Hanne am Zoo. Mehr West-Berlin geht nicht. Mehr Hertha auch nicht. Als unlängst in der Sportschau-Zusammenfassung ein Heimspiel und eine tolle Chance des gegnerischen Teams zu sehen war – es stand natürlich 0:0 – erklärte ein schon aus dem Olympiastadion eingetroffener Fan: Das ganze Stadion hat gejubelt – ich auch. Alle waren einverstanden.“

Lethargisch, mutlos, fast ohne Vertrauen in die Zukunft

Dirk Böttcher (Tsp 27.10.) befasst sich mit der Lage Rostocks: „Als alles vorbei war und der FC Hansa Rostock wieder eine Hoffnung weniger hatte, setzte sich Cheftrainer Juri Schlünz vor ein Mikrofon im Rostocker Ostseestadion und sagte mit ausdrucksloser Stimme: „Wir waren heute schlecht. Wir haben verdient verloren. Wir gehen jetzt harten Zeiten entgegen.“ Dann schwieg Schlünz. Und niemand im Raum hatte eine Frage an den Mann, der eigentlich angetreten war, den FC Hansa vor dem Abstieg zu retten. Nach der Niederlage ist der Verein Tabellenletzter. Und er verhält sich auch so: lethargisch, mutlos, fast ohne Vertrauen in die Zukunft.“

VfB Stuttgart – VfL Wolfsburg 1:0

Was passiert, wenn in Magaths Schachspiel eine Figur fehlt, war zu besichtigen

Erneut habe Felix Magath alles richtig gemacht, meint Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 27.10.): „Sich selbst zu korrigieren ist immer noch besser, als korrigiert zu werden. Also handelte Felix Magath. Am Ende hatte der Teammanager mal wieder alles richtig gemacht. Weil seine eine Halbzeit lang akut gefährdete Elf 1:0 gewann; weil er Kapitän Zvonimir Soldo, der in der ersten Halbzeit für den gesperrten Marcelo Bordon zunächst in der Innenverteidigung agierte, auf seinen Stammplatz ins defensive Mittelfeld beorderte; und weil er mit Ioannis Amanatidis den Torschützen des Tages einwechselte.Magath, kein Freund des Rotierens, solange es rund läuft beim VfB, bringt seine Stammformation so regelmäßig an den Start wie andere Bürger ihre Lottozahlen zur Annahmestelle. Was passieren kann, wenn in Magaths Schachspiel eine Figur fehlt, war am Samstag zu besichtigen. Lange sah es so aus, als könnten die Niedersachsen diese Schwaben ohne Bordon schachmatt setzen. Besser als der VfL, so befand VfB-Assistenztrainer Krassimir Balakow, sei in dieser Saison noch kein Gegner im Gottlieb-Daimler-Stadion aufgetreten. Allein Timo Hildebrand hatte die Elf es zu verdanken, als Tabellenführer zu übernachten. Mit tollen Reaktionen bügelte er die Lücken in der Viererkette aus. Diego Klimowicz hätte an diesem Spieltag zu Torschützenkönig Ailton aufschließen können, Hildebrand hatte etwas dagegen. Der Brasilianer Fernando Baiano vertändelte eine gute Gelegenheit im Strafraum, Andres D‘Alessandro wiederum prüfte Hildebrand. Die Südamerikaner veranschaulichten ungewollt, warum Magath einen Argentinier wie Emanuel Centurión auf der Ersatzbank schmoren läßt: weil ihn Zweifel an der Zielstrebigkeit dieses Typus von Spieler plagen. Kollege Jürgen Röber könnte ihm einiges zu diesem Thema erzählen. Sein südamerikanisch geprägtes Ensemble pflegt pro Spiel entweder mindestens drei Treffer zu landen – oder gar keinen. Auswärts kommt der VfL auf keinen grünen Zweig.“

Markenzeichen des VfB

Martin Hägele (SZ 27.10.) berichtet den glückhaften Sieg der Stuttgarter: „Es hätte niemanden gewundert, wenn die neuen Fußball-Lieblinge der Nation zur Halbzeit mit hängenden Köpfen und zwei oder drei Toren Rückstand in die Kabine getrottet wären. Eine Dreiviertelstunde lang stimmte alles bei den Wolfsburgern, eine Dreiviertelstunde lang diktierte der VfL das Geschehen in jenem Stil, der im Verlauf dieser Runde zum Markenzeichen des VfB geworden ist. Mit einem Rückgriff auf die Stuttgarter Erfolgstaktik änderte Magath in der Pause die Verhältnisse. Eine zweite personelle Korrektur sorgte dafür, dass sich die veränderten Kräfteverhältnisse auch im Resultat niederschlugen. Ioannis Amanatidis, im Vorjahr noch fester Sturm-Partner von Kevin Kuranyi, in dieser Spielzeit erst 53 Minuten erste Wahl, kam nach über einer Stunde für Horst Heldt; als Treibsatz ein Gemisch aus Enttäuschung, Wut und verletztem Stolz in den Beinen, nachdem der griechische Nationalspieler gegen Athen nur in der Schlussphase hatte mitmachen dürfen. Dessen Emotionen entluden sich bald, als er nach einem geschickten Pass seines Kumpels Kuranyi dem starken Jentzsch im Kasten keine Chance ließ. Amanatidis’ Jubel war dann „eine Mischung aus Enttäuschung, Genugtuung und Freude“. Weil der Torschütze sein Hemd herunterzog („So, da schaut her, den Amanatidis gibt es auch noch!“) ist er für die PR in eigener Sache mit einer Gelben Karte abgemahnt worden. Der Gefühlsausbruch des 21-Jährigen ist ein Beleg dafür, dass sich die Leute auf der Bank des VfB viel zutrauen. Magath fördert diesen Wettbewerb (…) Nach Magaths Theorie aber entscheidet eine Spitzenmannschaft ein solches Spiel auf Grund der besseren Einzelleistungen für sich. In diesem Fall war es ein überragender Torwart Timo Hildebrand, die Klasse und Ruhe Soldos, die frechen Flügelläufe der Offensivverteidiger Hinkel und Lahm, die Geduld von Torjäger Kuranyi und das Feuer, welches die Ersatzleute Timo Wenzel im eigenen und Amanatidis im gegnerischen Strafraum entfachten.“

Oliver Trust (FR 27.10.) fügt hinzu: “In Zeitungen, Wirtschaftsmagazinen und Managerheften stehen all diese Anzeigen. Es gibt tausende Agenturen und Ausbilder, die den richtigen Weg weisen. Wie einer sein muss, der Erfolg haben will, der schwierige Aufgaben löst und sich im Rennen um Arbeitsplätze im höheren Management durchsetzt. Kühl, berechnend, vorausschauend und selbstbewusst. Dynamisch im richtigen Moment und geduldig. Noch fähig eine Schippe zuzulegen, wenn anderen die Kraft ausgeht. Im Fußball ist dies alles viel schwieriger, und es ist zunehmend schwierig heraus zu filtern, was davon Klischees und hübsche Geschichten sind. Im Augenblick, sagte der Stuttgarter Verteidiger Andreas Hinkel nach dem 1:0, spielen wir wie der große FC Bayern. Auch für Trainer Felix Magath schien der Augenblick gekommen, sich und dem Rest der Welt ohne einen Rest an Zweifeln einzugestehen, wir sind eine Spitzenmannschaft. Eine Spitzenmannschaft gewinnt solche Spiele, sie hat einen Torwart wie Timo Hildebrand, der hält, was nicht alle halten, sie ist ruhig, wartet ab und es kommt einer von der Bank, der ein Tor schießt.“

Hamburger SV – Schalke 04 2:2

Frank Heike (FAZ 27.10.) hofft auf Ruhe in Hamburg: „Die Diskussionen um Lügen, Fehler und heuchlerische Pressekonferenzen rund um die Entlassung von Kurt Jara werden den Hamburger SV noch eine ganze Zeit lang verfolgen. Von den Zeitungen der Hansestadt in allen denkbaren Variationen ausgebreitet und kommentiert, von den Fußballsendungen schon zum neuen, eigentlich uralten Lieblingsthema Der Fußball, das Spiegelbild der Gesellschaft hochgejazzt – es war ein Glück, daß auch Fußball gespielt und zumindest für neunzig Minuten plus Nachspielzeit über das Eigentliche gesprochen wurde. Obwohl für manchen das Geschäftsgebaren der HSV-Vorstandsherren Bernd Hoffmann und Dietmar Beiersdorfer in dieser Gemengelage zwischen Lüge oder Fehler, Eiseskälte oder Verantwortung für den Großverein längst wichtiger geworden ist als ein bloßes Bundesligaspiel. Die große Ausnahme machte Klaus Toppmöller. Ja, es sei eine turbulente Woche gewesen, ja, er freue sich auf die Bundesliga, sagte der neue Hamburger Fußball-Lehrer. Doch im weiteren Verlauf seiner Analyse verlor er kein Wort mehr über die Begleitumstände seiner Verpflichtung nach acht Monaten Arbeitslosigkeit. So verfestigte sich das Bild vom Donnerstag, als Hoffmann und Beiersdorfer um Worte rangen, während der unbeschädigte, ja durchaus freundlich empfangene Toppmöller die beste Figur abgegeben hatte. So war es auch am Tag vor dem 2:2 des HSV gegen den FC Schalke 04: Fußball sei ein brutales Geschäft, hatte Toppmöller noch gesagt, und das ohne aufgesetzte Gefühle für seinen Vorgänger. In den Verhandlungen soll er es gewesen sein, der aufs Tempo gedrückt und mit anderen Angeboten kokettiert habe. Der HSV griff also zur Notlüge, um Zeit und Ruhe für Verhandlungen zu haben.“

Bayern München – 1. FC Kaiserslautern 4:1

Oliver Kahn musste Akkordarbeit leisten wie beim Training mit Sepp Maier

Philipp Selldorf (SZ 27.10.) berichtet den glückhaften Bayern-Sieg: „Es hat nach dem Spiel eine Weile gedauert, bis Ottmar Hitzfeld wieder ein fröhliches Gesicht machen konnte. Was ihn dann lächeln ließ, hatte allerdings nichts mit der Partie seines FC Bayern gegen den 1. FC Kaiserslautern zu tun. Hitzfeld sprach über Verteidiger Samuel Kuffour, der in der Nacht zuvor Vater geworden war. „Sammy junior ist geboren worden!“, gab der Trainer feierlich bekannt. Ansonsten aber brachte Hitzfeld lauter Klagen vor. Auf seinem Podium hielt er mit strenger Miene Gericht, als ob die ganze Klasse durch das Examen gerasselt wäre: „Zu viele Ballverluste“, monierte er; „zu nervös und ängstlich agiert“, kritisierte er, und lokalisierte die Gründe des Problems „in den Köpfen der Spieler“. Tags darauf gelangte Hitzfeld sogar zu der Bewertung, Teile der Vorstellung seien „nicht bayern-würdig“ gewesen. Der Trainer hört, da in diesen hektischen Herbsttagen das Tempo in allen Wettbewerben beschleunigt wird, „die Alarmglocken läuten“. Nach einem 4:1-Sieg mögen so viele Einwände ziemlich übertrieben klingen, aber Hitzfeld hatte gute Gründe zum kollektiven Tadel, denn das Resultat beruhte auf glücklichen Umständen. Das Spiel der Bayern hatte herrliche Momente, vor allem dann, wenn Sebastian Deisler am Ball war. Aber in die Phantasie und Spielfreude mischten sich so viel Lässigkeit und Sorglosigkeit, dass Oliver Kahn in der zweiten Halbzeit Akkordarbeit leisten musste wie beim Training mit Sepp Maier.“

Detlef Dresslein (FAZ 27.10.) freut sich über den Aufstieg Sebastian Deislers: „Es ist ein eigentümliches Ritual, das sich da nach jedem Heimspiel des FC Bayern vor den Kabinen abspielt. Eiserne Absperrrungen verwehren den direkten Kontakt, und so wartet eine große Anzahl von zusammengedrängten Berichterstattern darauf, daß sich ein paar Spieler aus der Geborgenheit der eigenen vier Wände herauslocken lassen, um aus ihrer Sicht über die vergangenen neunzig Minuten zu reden. Ein wenig wie im Zoo geht es dann im Bauch des Olympiastadions zu – diesmal war neben dem oft aggressiven Alphatier Oliver Kahn und dem noch immer neu in München wirkenden Roy Makaay vor allem der eher scheue Deisler so sehr gefragt, daß er gleich zweimal herausgeholt werden mußte aus der Kabine. So etwas kommt bei den Bayern sonst fast nie vor. Es war ein Spiel ohne Abwehrreihen, wie gemacht für die endgültige Wiederkehr des Sebastian Deisler. Die war so eindrucksvoll, daß der sonst eher vorsichtig redende Bayern-Trainer auf Superlative zurückgriff: Er ist die Entdeckung des Spiels und der letzten Woche, schwärmte Ottmar Hitzfeld, er ist wie Phönix aus der Asche aufgestiegen. Nun hatte sich jener sagenhafte Vogel zwar im hohen Alter selbst verbrannt und war verjüngt wieder aufgeflogen, aber vielleicht ist das von Deislers Geschichte gar nicht soweit entfernt, von dem man schon vermutete, er sei im Teenageralter verheizt worden und habe die Verletzungsanfälligkeit eines Sportlers mit weit mehr Dienstjahren. Jetzt spielte er wieder, und die Tatsache, daß er es dreimal nacheinander in nur einer Woche tat, gibt Hoffnung. Die Hoffnung, endlich den seit weit über einem Jahr andauernden Kreislauf aus Verletzung, Hoffnung und Rückschlag zu durchbrechen (…) Am glücklichsten war Ottmar Hitzfeld, wie Deisler aus Lörrach stammend, wie Deisler Sternzeichen Steinbock und wie Deisler ein ruhiger Typ mit stereotypen Sätzen. Er hatte ihn aufgebaut, mal behutsam, zuletzt energisch, ihn immer geschützt, wenn das Umfeld ungeduldig wurde. Und er darf sich nun als zweiter Hauptgewinner sehen.“

SC Freiburg – Werder Bremen 2:4

So leicht und selbstverständlich kann Fußball sein

Christoph Kieslich (Tsp 27.10.) applaudiert den Bremern: „Eine Stunde vor dem Abpfiff hatte man sich in Freiburg schon intensiv der Kunst zugewandt. In den schicken Räumlichkeiten für die Sponsoren stellte Jan Sosein Carl seine Bilder vor. Der Freiburger Künstler malt mit Acryl auf Leinen, beschränkt sich auf das Grün des Rasens und das Weiß der Kalklinien und nennt seine Werke etwa „Mittellinie auf Seitenaus“. Der Rest bleibt der Phantasie überlassen. Gut möglich, dass das Ansinnen, diese Bilder schon wegen der Entsprechung der Farben auch mal im Weserstadion auszustellen, auf hanseatisches Gefallen stößt. Werder hat jedenfalls nur schöne Eindrücke von einem künstlerisch wertvollen Nachmittag mit nach Bremen genommen. Es ist noch nicht sehr oft vorgekommen, dass ein Gästeteam im Dreisamstadion den SC Freiburg so demontiert hat, wie es die Mannschaft von Thomas Schaaf am Samstag gleichermaßen schonungslos wie hinreißend vorgeführt hat. Es kann sich auch niemand daran erinnern, wann der Sport-Club einmal zur Pause mit 0:3 in Rückstand lag – zumal in der Höhe verdient und hoffnungslos. „Sehr beeindruckend, sehr deutlich, sehr klar“, sagte Werders Trainer Schaaf, und Volker Finke wollte nicht die Spur widersprechen. Auch Finkes Mannschaft hatten die Argumente gefehlt gegen den zielstrebigen, direkten Fußball der Werderaner, die eine Woche nach der herben Heimniederlage gegen den VfB Stuttgart von keinerlei Nachwehen geplagt wurden. Getragen wurde die imposante Vorstellung von der Mittelfeldraute Baumann, Ernst, Lisztes sowie dem magistralen Johan Micoud. Als der Franzose den dritten Treffer erst vorbereitete und den Querpass von Ernst vollendete, schlug sich selbst das Heimpublikum auf die Schenkel. So leicht und selbstverständlich kann Fußball sein.“

Power, Spielkunst und Offensivspektakel

Roland Zorn (FAZ 27.10.) auch: „Dieser Pfiff kam den Bremern wie ein störendes Geräusch vor. Dabei hatte Schiedsrichter Edgar Steinborn nur seine Pflicht getan und die Halbzeit signalisiert. Aber doch nicht jetzt, dachten sich Trainer Thomas Schaaf und die Spieler des SV Werder, die hin und weg waren von dem Fußball-Kunstwerk, das sie zuvor auf dem Rasen des mit 25 000 Zuschauern ausverkauften Freiburger Dreisamstadions vollbracht hatten. Eine halbe Stunde verzauberten die von dem magischen Franzosen Johan Micoud angeführten Nordlichter die badischen Wiederaufsteiger in die Fußball-Bundesliga, so daß selbst eingefleischten Anhängern des Sport-Clubs die Spucke weggeblieben war. Wir hätten in der ersten Halbzeit sieben, acht Tore machen müssen, stellte Schaaf nach seinem 150. Bundesligaspiel als Cheftrainer des SV Werder unwidersprochen fest. Es stand aber nur 3:0 durch traumwandlerisch sicher herbeikombinierte Treffer, und das war eindrucksvoll genug. Danach war das, was den Freiburgern wie ein Spuk vorgekommen sein mag, vorbei. In der zweiten Halbzeit herrschte Bundesliga-Normalität, weil Werder zurücksteckte und Freiburg zu Recht für sein nimmermüdes Aufbegehren gegen den übermächtigen Widersacher belohnt wurde. Am Ende eines Spiels, bei dem nicht nur laut Schaaf mächtig was los war, sagte der Bremer Nationalspieler Ernst: Wir wissen jetzt, daß wir das Potential für ganz oben haben. Eine Woche nach dem Ende des Wirbels um die beiden künftig vom FC Schalke 04 hochbezahlten Stammspieler Ailton und Krstajic und der damit vielleicht doch verbundenen 1:3-Niederlage gegen den VfB Stuttgart fand das stürmischste Team der Liga zu seiner Power, seiner Spielkunst und seiner Lust auf Offensivspektakel zurück zu alter Spitzenklasse.“

Eintracht Frankfurt – 1. FC Köln 2:0

Gipfel des Grauens

Tobias Schächter (taz 27.10.) schildert das Geschehen mitleidlos: „Die kläglichen Anstrengungen der Protagonisten kulminierten in der 38. Minute. Zuerst war der Frankfurter Chris an der Reihe. Der Versuch des Brasilianers, einen Einwurf korrekt auszuführen, misslang, weil er seine Aktion mit einem seltsamen Sprüngchen choreografierte. Nur 20 Sekunden später scheiterte Exnationalspieler Jörg Heinrich für seine Kölner an derselben Aufgabe. Der Ball hatte wohl keine Lust, zu seinen Peinigern zurückzukehren. Er entglitt Heinrichs Händen und fiel hinter ihm zu Boden. Es stand 0:0 und diese slapstickartige Einlage führte in der zugigen Ruine des Waldstadion wenigstens zu einem Lacher bei den 25.000, bei denen sich die Spieler und Verantwortlichen beider Mannschaften bedanken müssen, dass sie nach der Halbzeitpause wieder den Weg auf ihre Plätze angetreten haben. Anlass dazu bot sich der frierenden Masse nicht. Frankfurt gegen Köln – es war ein Gipfel des Grauens. Serien von grotesken Fehlpässen und Stafetten grandioser Missverständnisse paarten sich mit minutenlanger Ereignislosigkeit, in denen die Spieler wie gelähmt herumstanden. Dass dieses Treffen zweier Mannschaften aus den Tiefen der Tabelle mit Eintracht Frankfurt dennoch einen 2:0-Sieger fand, scheint auf den ersten Blick unverständlich, denn die zweite Hälfte überstieg das Niveau der ersten in keiner Weise (…) Dass Manager Rettig zugegeben hat, mit einem möglichen Nachfolger (Marcel Koller) verhandelt zu haben, wofür er von einigen Beobachtern wegen Ehrlichkeit gelobt wurde, war in Wahrheit nicht klug. Macht es einen Unterschied, ob man öffentlich mit anderen Trainern verhandelt oder nicht öffentlich? Oder ist es nicht vielmehr so, dass der Umstand an sich das Klima verändert? Die Diskussion über Funkel wird nach jeder Niederlage neu aufkommen, was angesichts des Leistungsvermögens der Mannschaft sinnlos erscheint, denn jeder Coach, ob er nun Funkel oder sonst wie heißt, wird mit diesem Kader bis zum letzten Spieltag um den Klassenerhalt bangen müssen.“

Die Eintracht kann in der Bundesliga nur defensiv bis destruktiv bestehen

Michael Horeni (FAZ 27.10.) führt den Frankfurter Sieg auf die Nüchternheit ihres Trainers zurück: “Die Stimmung in der Kabine der Frankfurter Eintracht war nicht gerade ausgelassen. 45 Minuten voller Tristesse hatte der Aufsteiger im fünften Heimspiel hinter sich gebracht, und wieder war die Mannschaft weit vom ersten Erfolgserlebnis erster Klasse in heimischer Umgebung entfernt. Im Duell der Bundesliga-Rückkehrer stand es noch 0:0, aber der 1. FC Köln war in einem Spiel ohne Verwöhnaroma noch die bessere von zwei sehr schlechten Mannschaften. In die Frankfurter Kabine drangen in der Halbzeitpause die gellenden Pfiffe der enttäuschten Zuschauer, und einigen seiner Profis setzte die Kritik sichtlich zu. Ich mußte sie beruhigen, sagte Trainer Willi Reimann über einige Profis, die so recht an ihre Chance nicht glauben wollten. Aber diese eine Chance, und kein bißchen mehr, bot der Trainer als Muntermacher für die zweite Halbzeit bei seiner Minimalmotivation an. Wenn wir eine Chance bekommen und das erste Tor machen, gewinnen wir das Spiel, sagte Reimann seinen Spielern. Als die Eintracht dann am Ende tatsächlich sogar verdient gewonnen hatte, sprach Reimann mit dem Stolz des Frankfurter Fußball-Realos über das Bundesliga-Sparprogramm der Eintracht für diese Saison: Die kleine Chance, die wir uns in jedem Spiel ausrechnen, haben wir genutzt. Am Ende ist es von uns auch noch ein gutes Spiel geworden, sagte Reimann über die späte Wende, die er nur für möglich hält, wenn auch das Publikum den Sachzwang akzeptiere, daß die Eintracht in der Bundesliga nur defensiv bis destruktiv bestehen könne.“

Hannover 96 – 1860 München 1:1

Achim Lierchert (FAZ 27.10.) gähnt: „Erst passierte gar nichts und dann fast alles auf einmal. Kurz nachdem er den Münchner Remo Meyer vorzeitig vom Feld geschickt hatte, zeigte Schiedsrichter Markus Merk auch dem Hannoveraner Thomas Christiansen die Rote Karte. Zwei Platzverweise, ausgesprochen von jenem Mann, der erst eine Woche zuvor bei der Partie Hertha BSC Berlin gegen Bayer Leverkusen jeweils einen Spieler jedes Teams disqualifiziert hatte. Viermal Rot in acht Tagen. Eine ganze Menge. Das müssen Sie den Spielern sagen, konterte Merk, mir ist das vollkommen unverständlich. Wenn ich so mit meinem Arbeitsplatz umgehen würde… Die beiden Hinausstellungen waren die einzigen Szenen, die für Aufregung sorgten. Diskutiert wurde danach weniger über das Ergebnis, um so mehr aber über die strittigen Entscheidungen von Deutschlands bestem Schiedsrichter. Mit der Hinausstellung Meyers lag Merk daneben. Eigentlich wäre in diesem Moment der Hannoveraner Konstantinidis mit der härtesten persönlichen Strafe zu belegen gewesen, weil er Meyer mit einem Kopfstoß zu dessen Schubser gegen ihn provozierte. Christiansens Platzverweis war jedoch allem Lamentieren des Hannoveraner Trainers Ralf Rangnick zum Trotz berechtigt, da er einen Münchner, obwohl nicht in Ballbesitz, von den Beinen geholt hatte.“

Christian Zaschke (SZ 27.10.) diskutiert die zwei Platzverweise: „Über die Berechtigung beider Karten kann man streiten, vermutlich hätte man beide nicht geben müssen. Meyers Karte: Er rannte Konstantinidis hinterher, rechts in der Hannoveraner Hälfte, er grätschte, er wollte an den Ball und traf auch das Bein von Konstantinidis, der schmerzhaft auf seinen Arm fiel. Der Linienrichter zeigte das Foul an, und Meyer hob ein Geschrei an, als sei sein Haus ab- und seine Frau durchgebrannt und sein Name in schlechter Rede geführt worden. Konstantinidis sprang auf, rannte zu Meyer, („Ich habe ihm gesagt: ‘Was beschwerst du dich?’“), sein Kopf bewegte sich in Richtung Meyers. Meyer schubste ihn weg, eine Abwehrreaktion. Dann dauerte es eine Sekunde, bis Konstantinidis zu Boden sank, eine Leistung, für die er aus dem Ensemble jedes Schultheaters geflogen wäre, er hielt sich die Hände vors Gesicht, vermutlich, um sein Grinsen zu verbergen über die Dummheit Meyers. „Er schubst mich, ich gehe natürlich runter“, erläuterte Konstantinidis später. Er verhehlte gar nicht, dass er sein Fallen als professionell betrachtete. Meyer sah Rot, Tätlichkeit. Selbst 1860-Trainer Falko Götz fand, man könne „dem Schiedsrichter keinen Vorwurf machen“. Im Umgang mit dieser Szene zeigte sich die Zuspitzung des professionellen Umgangs mit dem, was man sportliche Fairness nennen könnte. In England werden schauspielernde Fußballer verachtet. In der Bundesliga ist das Schauspiel mittlerweile ein weitgehend anerkanntes Mittel, um sich Vorteile zu verschaffen. Die ausgleichende Ungerechtigkeit erlebte Thomas Christiansen. Es war nicht genau zu erkennen, was er getan haben soll. Er löste sich im Zweikampf von Rodrigo Costa, traf diesen mit dem linken Fuß am Bein, Costa fiel. Sicherlich ein Foul, doch ein unbedeutendes; so etwas passiert dutzendfach in jedem Spiel. Das Entscheidende: Es war keine böse Absicht von Christiansen zu erkennen.“

Schurke des Monats

Ludger Schulze (SZ 27.10.) zieht Kostas Konstantinidis (Hannover 96) am Ohr, „welcher der Lug- und Trugliga eine neue Dimension der Infamie erschloss. Versetzte seinem Gegenspieler Remo Meyer einen Kopfstoß und ließ sich, als der Münchner ihn in einem Abwehrreflex leicht wegstieß, wie von einer Axt gefällt zu Boden sinken. Meyer wurde des Feldes verwiesen, Konstantinidis befindet sich noch auf freiem Fuß. Sollte sich das Sportgericht mit ihm befassen: Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte wäre etwas zu hart für den 96er-Kapitän, aber den Titel „Schurke des Monats“ hat er sich hart verdient.“

morgen auf indirekter-freistoss: die Sonntags-Spiele der Bundesliga, Auslandsfußball u.v.m.

Fußball in Europa: Ergebnisse – Torschützen – Tabellen NZZ

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Gewinnspiel für Experten

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Wieder oben anklopfen

Matthias Wolf (BLZ 7.4.) fasst Cottbuser Reaktionen zusammen. „Ein wenig paradox ist es schon, dass ausgerechnet jener Profi zum Sündenbock wurde, der vier Angebote haben soll, von 1860 München, Hertha BSC, Hansa Rostock und Hannover 96: Silvio Schröter, ein Senkrechtstarter, der vor zwei Jahren aus der Oberliga kam, von Geyer gefördert wurde, nun ablösefrei ist und von vielen umschmeichelt wird – nur nicht mehr im eigenen Lager. Es lief bereits die Nachspielzeit, da stoppte Schröter ungestüm Horst Heldt – den Elfmeter verwandelte Ganea zum 2:3. Da gibt es bei uns Spieler, die von anderen Vereinen umworben werden – die aber dann nicht das halten, was sie zeigen sollten, schimpfte Geyer über den 23-Jährigen und warf ihm vor, mit dem Kopf nicht mehr in Cottbus zu sein: Bei solcher Ablenkung fehlt dann im Spiel die nötige Konzentration. Auch Krein war erzürnt: Wie Anspruchsdenken und Leistung von einigen Spielern auseinander gehen, das ist grausam. Im selben Atemzug sprach er aber auch vom Plan, im nächsten Jahr sofort den Wiederaufstieg zu schaffen: Wir wollen wieder oben anklopfen – aber mit einer vernünftigen Mannschaft, in der der eine oder andere auch mal den Ball stoppen kann. Das klang arg unfair – aber man musste wohl in diesem Moment Verständnis zeigen für den Frust. Hat doch auch Krein den großen Fußball gebraucht für das eigene Ego – so wie die ganze Region. Nun scheint nach drei Jahren das Märchen von Aschenputtel in der Bundesliga beendet zu sein, und es bedarf keiner langen Suche, um die Fehler zu finden: Zu spät hat die Vereinsführung den Umbruch gewagt.“

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Steffen Freund in London

Raphael Honigstein (FTD 18.3.) besuchte Steffen Freund in London. „Freund ist als Gesprächspartner ähnlich enthusiastisch und unkompliziert wie auf dem Platz; dafür sind die Zukunftsaussichten umso trauriger. Aus dem Nonplusultra wird aller Wahrscheinlichkeit bald „rien ne va plus“ werden, denn der ehemalige deutsche Nationalspieler hat vor kurzem erfahren, dass sein Vertrag im Sommer nicht verlängert wird. Dass Tottenhams Trainer Glenn Hoddle finanzielle Probleme des Vereins als Grund anführte, ihm aber nicht einmal ein Angebot zu schlechteren Konditionen machen wollte, hat den 33-Jährigen gekränkt. Noch vor ein paar Jahren hätten die Spurs mit einem soliden, leistungswilligen Mann wie Freund bestimmt um ein, zwei Jahre verlängert – gleichwertiger Ersatz wäre teurer gekommen. Oder ein anderer, etwas kleinerer Premier-League-Klub hätte sich den Europameister von 1996 mit ins Team geholt, um ein bisschen deutsche Disziplin und Routine ins Spiel zu bekommen. Doch diese Zeiten sind auch in England vorbei. Die klammen Vereine setzen lieber auf den Nachwuchs. Der ist billiger, hungriger – und bei den Fans beliebter als die notorisch teuren und unzuverlässigen Legionäre. Oder aber man holt wie Tottenham Kicker wie Kazuyuki Toda. Der japanische Nationalspieler ist 25, kostengünstig, fotogen und ein Garant für steigende Merchandising-Umsätze in Fernost. Dass Freunds designierter Nachfolger im defensiven Mittelfeld bisher noch nicht ansatzweise beweisen konnte, dass er in der Premier League mithalten kann, spielt keine Rolle – der Deutsche ist, wenn man so will, auch ein Globalisierungsopfer. Freund ist enttäuscht: „Alle waren hier zufrieden mit mir“, sagt er, „die Mannschaft, die Fans, das Präsidium, die Medien – nur der Trainer nicht“. tatsächlich wurde er auch am Sonntag bei der 2:3-Heimniederlage gegen den FC Liverpool gefeiert, als er 22 Minuten vor Schluss den Platz betreten durfte. Die Fans lieben ihn für sein Engagement und die kompromisslosen Grätschen. Und sie rufen „Shoot!“, sobald er mit dem Ball auch nur über die Mittellinie kommt: Freund hat in 121 Spielen noch kein Tor für die Londoner geschossen. „Neulich gegen Fulham hatten wir einen Elfmeter“, lächelt der Ex-Borusse, „ich wäre am liebsten von der Tribüne runtergelaufen. Leider hatte ich weder Schuhe noch Trikot an.““

Blackburn Rovers vs.Arsenal London 2:0

Arsenal London erlitt vergangenes Wochenende eine bittere Niederlage im nord-englischen Blackburn und musste somit als einziges der ersten sieben Teams einen dreifachen Punktverlust verkraften. Arsenal verlor alles in allem verdient und kann sich nunmehr lediglich auf einen zwei Punkte Vorsprung stützen. Verletzungspech kann Arsen Wenger kaum als Ausrede gelten lassen, da Arsenal, trotz sechs Verletzter, immer noch ein absolutes Spitzenteam aufbieten konnte. Die Gunners schienen schlicht weg einen schlechten Tag erwischt zu haben, was ihnen aufgrund der Siegesserie von Verfolger Manchester nicht noch mal passieren sollte, wollen sie ihren zweiten Meistertitel in Folge feiern.

Charlton Athletic vs.Newcastle United 0:2

Treffer Nummer 16 erzielte Alan Shearer in der 33. Minute via Penalty und hält somit seinen Club Newcastle weiter auf Champions-League-Kurs. Shearer tummelte sich zudem unter der Woche in verschiedenen Gazetten, nachdem Spekulationen aufkamen, der treffsichere Striker sollte wieder für England auf Torejagd gehen. Shearer erteilte solchen Überlegungen nach einigen Tagen Bedenkzeit allerdings eine klare und wahrscheinlich endgültige Absage. Den Sieg gegen das Londoner East End Team Charlton machte Solano kurz nach Wiederanpfiff in der 49. Minute perfekt. Durch den Sieg arbeitete sich Newcastle gar bis auf fünf Punkte an Spitzenreiter Arsenal heran, so dass das Titelrennen auf drei Teams erweitert werden muss.

Tottenham Hotspur vs. FC Liverpool 2:3

Einen immens wichtigen Sieg errang an der White Hart Lane der FC Liverpool, der damit auf einen Uefa-Cup Platz zurückkehrte. Das Spiel stand bis zum Schluß auf des Messers Schneide, nachdem der Haudege Teddy Sheringham für die Spurs in der 87. Minute auf 2:3 verkürzte. Schließlich reichten allerdings der 12. Premier League Treffer von Michael Owen und je ein Treffer von Emile Heskey und Steven Gerrard für drei Punkte in Londons Norden. Der Herzattacke nahe dürfte erneut Gerard Houllier gewesen sein, als der inzwischen zum Ersatztorwart degradierte Ersatztorhüter Dudek durch einen erneuten Patzer den Spurs die 1:0 Führung in der psychologisch ungünstigen 49. Minute ermöglichte. Doch der Treffer von Owen in der 51. Minute gab die richtige Antwort, so daß Liverpool im Grunde einen verdienten Sieg nach Anfield bringen konnte.

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ

Martin Pütter (NZZ 18.3.). „Auf die Frage, wer im Moment in England den interessantesten Fussball spiele, ist in den letzten Wochen jeweils eine überraschende Antwort gegeben worden: Der FC Middlesbrough. Dies weil Arsenal die berauschende Form der zweiten Hälfte der letzten Saison und der ersten Hälfte dieser Spielzeit eingebüsst hat, weil Manchester United und noch viel mehr Liverpool sehr berechenbar auftreten, manchmal gar langweilen, und weil für Chelsea, trotz allen Verbesserungen, die fehlende Konstanz immer noch ein Problem ist. Verantwortlich für die Erfolgswelle des FC Middlesbrough sind in erster Linie der Brasilianer Juninho und der Kameruner Geremi. Beide Spieler unterstrichen diesen Trend am Samstag beim 3:2-Auswärtssieg gegen Leeds United, als sie je einen Treffer beisteuerten. Juninhos fulminanter Schuss wurde dabei nur noch übertroffen von Geremis Lobball aus 22 Metern – der Afrikaner hatte gesehen, dass der Leeds-Keeper Robinson zu weit vor seinem Tor postiert war. Besonders der Südamerikaner reisst aber gegenwärtig seine Mitspieler mit.“

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Alpay, in England gemobbter Türke – Boom im Frauen-Fußball? – Doping, der ewige Betrug

Andreas Hunziger (FR 25.10.) kritisiert alle Beteiligten am Rauswurf Alpays (ehemals Aston Villa): „Emotionen sind das Fundament, auf das sich der Mythos Fußball stützt. Rivalitäten sind das Salz in der Suppe – gerne werden sie dazu benutzt, ein Fußballspiel zu einer Angelegenheit von übergeordneter Bedeutung zu stilisieren. Die Gefahr, die darin besteht, wird dabei meist klein geredet. Der Fall des türkischen Abwehrspielers Alpay Öcalan, der von seinem englischen Club Aston Villa auf die Straße gesetzt worden ist, steht allerdings als signifikantes Beispiel dafür, wie schnell wissentlich geschürte Emotionen aus dem Ruder laufen können. Was ist passiert? Alpay hat sich von dem nur zur nationalen Sache hochstilisierten EM-Qualifikationsspiel gegen England und von provokanten Sprüchen seines Nationaltrainers Senol Günes vor der Partie offenbar derart anstacheln lassen, dass er ausgerechnet gegen die englische Fußball-Ikone David Beckham ausfällig geworden ist. In der Folge ist Alpay von der englischen Yellow Press in einem beispiellosen und offenbar von einer unerschütterlichen nationalen Arroganz geprägten Kampagne von der Insel gemobbt worden. Alpay als unschuldiges Opfer zu bedauern, wäre nicht angemessen. Zu oft schon sind dem knorrigen Verteidiger auf dem Fußballfeld die Sicherungen durchgebrannt, von einem international erfahrenen Profi darf man erwarten, dass er trotz höchster Motivation, für sein Land zu spielen, den Verstand eingeschaltet lässt und die Kinderstube nicht vergisst. Allerdings wäre die delikate Angelegenheit anders zu lösen gewesen. Dem türkischen Fußballverband hätte es gut angestanden, nach den Entgleisungen Alpays den Weg der Diplomatie zu beschreiten. Man hätte den Spieler zur Ordnung rufen und den englischen Verband um Entschuldigung bitten können. Alpays bisheriger Arbeitgeber Aston Villa war darum bemüht, den heuchlerischen Gedanken vom sauberen Image des Fußballs und seiner Clubs zu pflegen und hat es versäumt, der Fußball-Welt ein Beispiel dafür zu geben, was es heißt, mit dem nötigen Schneid einer Hetzkampagne zu trotzen.“

Die professionellen Frankfurter Strukturen gelten als Musterbeispiel

Thorsten Karbach (taz 25.10.) hofft auf einen Boom im Frauen-Fußball: „Der erste Bundesliga-Spieltag nach dem magischen Moment in den USA, den 13 Millionen Fernsehzuschauer in der Deutschland live verfolgten, bewies: Überall dort, wo die Heldinnen aufliefen, wurden Sportplätze bevölkert wie nie zuvor. In Brauweiler kalkuliert Schatzmeister Rainer Beckmann normalerweise mit durchschnittlich 150 zahlenden Gästen. Als die Frankfurter mit Birgit Prinz, Nia Künzer, Renate Lingor, Pia Wunderlich und Sandra Minnert aufliefen, waren es 1.300. Auf anderen Sportplätzen herrschte dagegen das gewohnte Bild. Gähnende Leere, kaum mehr Leute als bei einem Kellerkick in der Oberliga. Im Schnitt 400 wären mir lieber. Ich hoffe, es bleiben ein paar von den 1.300 übrig und kommen öfters, meint Beckmann. Doch auf Hoffen allein wollen sich die Fußballerinnen, die in der gestern veröffentlichen Fifa-Weltrangliste erstmals Platz eins vor den USA, Norwegen und Endspielgegener Schweden einnehmen, nicht verlassen. Jetzt sind alle in der Pflicht. Nationalelf und Vereine tragen die Verantwortung dafür, ob wir von diesem Triumph wirklich profitieren können, betont die mittlerweile zurückgetretene Stürmerin Maren Meinert. Und die Vereine haben die Zeichen der Zeit erkannt. Wir werden uns künftig stärker auf Marketing und Öffentlichkeitsarbeit konzentrieren. Die Zeit ist reif, sagt Rainer Beckmann. Großes Vorbild für viele Vereine sind die Meisterinnen aus Frankfurt. Dort lenkt Siegfried Dietrich die Geschicke als Manager. Ein umtriebiger Mann am Puls der Zeit. Sprecher der Frauen-Bundesliga, Inhaber einer Sportmarketing-Agentur und nicht zuletzt persönlicher Berater von Künzer, Lingor oder der verletzten Steffi Jones. Mehr als 120 Presseanfragen gingen in der ersten Woche nach dem Triumph bei ihm ein. Endlich wird für die Mädchen etwas übrig bleiben, sagt er. Die professionellen Frankfurter Strukturen gelten als Musterbeispiel für erfolgreichen Frauenfußball. Die anderen Vereine wollen und müssen aufholen.“

Im Leitartikel auf Seite 1 befasst sich Hans-Joachim Waldbröl (FAZ 25.10.) mit Doping: „Sollen alle, die auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko dopen, doch getrost ihre Gesundheit ruinieren? Wer sich solchem weitverbreiteten Defätismus hingibt, übersieht eines: Eine Kapitulation vor betrügerischen Athleten verbietet sich nicht nur von selbst, sie ist auch gefährlich. Denn daß verführbare Kinder und Jugendliche den falschen Vorbildern nacheifern, muß nicht nur der dafür verantwortliche Sport, sondern auch der verantwortungsbewußte Staat zu verhindern suchen. In der DDR ist das genaue Gegenteil passiert. Dort mißbrauchte ein totalitäres Regime seine gezüchteten Athleten zu außenpolitischen Werbezwecken. Allein deshalb ist ein Vergleich zwischen dem systematischen flächendeckenden Staatsdoping und dem gutorganisierten Sportbetrug einzelner Athletengruppen, so empörend er uns jetzt erscheinen mag, allzu weit hergeholt. Die DDR-Politiker haben Schlimmeres verbrochen: Sie haben minderjährigen Talenten ohne deren Wissen Sexualhormone verabreicht, die in extremen Fällen eine Geschlechtsumwandlung einleiteten. Wer abschreckenden Anschauungsunterricht braucht, der kann ihn im Landgericht Frankfurt bekommen. Dort hat am Freitag der Prozeß von DDR-Dopingopfern, die das Nationale Olympische Komitee auf Schadensersatz verklagen, begonnen.“

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Mit Völler als Teamchef zur WM 2006

Heute beginnt diejenige Turnierphase, in der nach jedem Spiel Teams auf die Heimreise geschickt werden und wodurch sich Teilnehmerfeld und möglicherweise auch Favoritenkreis täglich reduzieren wird. Misserfolge – für manche Teams zählt dazu bereits ein Unentschieden, im Falle Frankreichs gar ein nicht ausreichend deutlicher Sieg – werden nicht mehr wettzumachen sein. Demnach wird uns der dritte Spieltag der Vorrunde Dramatik bieten, wobei sich die Aufmerksamkeit der Beteiligten wie der Zuschauer oftmals nach dem Geschehen beim jeweils anderen Gruppenmatch richten wird. Zur Erinnerung: Seit dem Skandalspiel von Gíjon 1982, als sich Deutschland und Österreich ein für beide ausreichendes Ergebnis (1:0) zurechtlegten und das zuschauende Algerien dadurch ausschied, wird der letzte Akt der Vorrunde zeitgleich ausgetragen.

Auch für Deutschland geht es heute bereits ums Überleben. „Wer die physische Stärke der Kameruner miterlebt hat und deren spielerisches Vermögen Aufblitzen sah, kann nicht allen Ernstes einen Sieg des Afrikameisters ausschließen“, wie Peter Heß (FAZ) vermerkt. Deutschland und ausscheiden? „Sollte dies geschehen, haben ganz bestimmt viele schon lange gewusst, dass diese deutsche Mannschaft nicht das Format hat, sich gegen die Besten der Welt zu behaupten“, verwehrt sich Jan Christian Müller (FR) gegen vermeintliche Besserwisser. Zwei Dinge sind in der Tat sicher: Erstens ist der Ball noch immer rund, und dieser DFB-Auswahl ist alles zuzutrauen: der Finaleinzug sowie ein frühes Scheitern. Zweitens werden sich nach den Turnierende – wann immer es eintritt – Experten finden, die dieses schon immer vorauszusagen wussten.

Außerdem: Oliver Kahn, Fußball und Politik (Argentinien, Frankreich, Kamerun), südländische Stimmung in Japan u.v.m.

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Jan Christian Müller (FR 11.6.) bemerkt vor dem entscheidenden Spiel gegen Kamerun. „Die tiefe emotionale Bindung in Deutschland mit den besten Fußballprofis des Landes lässt es nicht zu, dass eine Niederlage im Land klaglos hingenommen würde. Denn es wäre ja eine historische Niederlage, und auch eine für die Nation an sich. Für ein Land, das der Arbeitslosigkeit nicht Herr wird, dessen Wirtschaft im europäischen Vergleich nur im Zuckeltempo vorankommt, dessen Schulsystem als dringend modernisierungsbedürftig gilt, dessen Bezahlfernsehen vor der Pleite steht und eigentlich Hilfe aus dem Ausland benötigt. Und dann auch noch ein Land, dessen Fußballprofis noch nicht mal mehr gut genug sind für Irland und für Kamerun.“

Peter Heß (FAZ 11.6.) zum selben Thema. „Ein erstmaliges Scheitern in einer WM-Vorrunde bedeutete nicht das Ende des deutschen Fußballs und würde von den meisten auch nicht so aufgefasst werden. Die Kette von bösen Überraschungen bei dieser WM-Endrunde für die traditionellen Fußballmächte wie Frankreich, Italien, Argentinien und für Teams aus der erweiterten Spitze wie Russland und Polen hat die Nachsicht mit der deutschen Mannschaft wachsen lassen. Dass sie nicht mehr zu den ganz Großen gehört, ist eine über mehrere Jahre gewachsene Erkenntnis. Immerhin muss man sich nicht mehr schämen, seit Völler die Mannschaft betreut. Die Reputation des Weltmeisters von 1990 würde auch durch eine Niederlage gegen Kamerun nicht nachhaltig leiden. Zu Völlers Kompetenz kommen hohe Sympathiewerte. Mit ihm als Teamchef will Deutschland die WM 2006 ausrichten.“

Stefan Hermanns (Tsp 11.6.) dazu. „Die offenkundige Gelassenheit von Völler und Co. korrespondiert nicht ganz mit den Sorgen der Heimat. Die Erfahrungen der Turniere von 1994 und 98 sowie die Europameisterschaft 2000 haben das Vertrauen der Deutschen in ihre Nationalmannschaft ein wenig erschüttert. Früher wäre das ja überhaupt keine Frage gewesen: ein Unentschieden gegen Kamerun? Ha! Aber die Zeiten haben sich geändert.“

Pressestimmen zu den Spielen der Gruppe D (KOR-USA, POR-POL)

Pressestimme zum Spiel Tunesien-Belgien (1:1)

über die Stimmung in Japan nach dem historischen Sieg

Ausschreitungen in Russland

Ob der Gelassenheit der kamerunischen Elf ist Ronald Reng (FR 11.6.) skeptisch. „Im Freizeitpark locker zu sein, ist eine Sache; ob sie deswegen auch im entscheidenden Moment heute frei von Nerven sind, eine andere. Und vor allem stellt sich die Frage, ob es tatsächlich Leichtigkeit ist, die Kamerun fehlt. Oder vielleicht doch eher taktische Organisation und ein klein wenig fußballerische Klasse? Im Spiel gegen Deutschland laufen Kameruns Spieler genauso wie ihr deutscher Trainer Gefahr, als größter Bluff dieser WM enttarnt zu werden.“

Der Kapitän der deutschen Elf verweigert sich modischen Kategorisierungen. Michael Horeni (FAZ 11.6.). „Der globalisierte Fußball hat seine Richtung seit den Boom-Neunzigern nicht geändert, im Gegenteil. Er dreht sich weiter, schneller, wie wahnsinnig um die Idee des Investments, das nur dem kühlen Nutzen huldigt, dem operativen Ergebnis, der Reichweite, dem Imagetransfer, den Kontakten, den Klicks. Aber zum Beginn des 21. Jahrhunderts heißt die Leitfigur in Fußball-Deutschland Oliver Kahn. Mit dem Zeitgeist passt das nicht zusammen. Der deutsche Kapitän verkörpert in keiner Sekunde die Leichtigkeit eines Popstars wie David Beckham, der Ikone des modernen Fußballs und der Medien. Kahn ist einem genussfeindlichen Arbeitsethos verhaftet, das im Fußball wie in Deutschland schon lange von der Zeit überholt zu sein scheint (…) Er ist der Kapitän, und das bedeutet, repräsentative Pflichten gegenüber der Öffentlichkeit wahrzunehmen. Aber Kahn macht sich bei der Weltmeisterschaft nahezu unsichtbar. Er spielt und trainiert und sagt nur soviel wie unbedingt sein muss. Kein Vergleich zu Beckham oder anderen Spielführern. Kahn aber ist es gelungen, dass diese öffentliche Verweigerung nicht als Trotz oder Ignoranz wahrgenommen wird. Sie wird ihm zugestanden, als Teil des notwendigen Vorbereitungsprogramms eines sportlichen Asketen.“

Über den Stellenwert des Fußballs in Argentinien heißt es bei Holger Gertz (SZ 11.6.). „Fußball war in Argentinien immer ein Weg, den anderen zu zeigen, wer man ist, genauer gesagt: dass man ist. Als wären die Deutschen ewig in den Fünfzigern hängen geblieben, als ja, wie Fußballphilosophen sagen, mit dem Sieg bei der WM in Bern 1954 die Bundesrepublik eigentlich gegründet wurde. Argentinien gewann daheim bei der WM 1978 mit 3:1 im Finale gegen Holland, und auch das war nicht Fußball, sondern ein langer Werbefilm im Sinne der damals regierenden Junta, gerichtet an die anderen Nationen und an das eigene Volk. Es ging darum, abzulenken von Morden, Folterungen, Verschleppungen. Als sich Argentinien 1982 auf den Falkland-Krieg gegen England vorbereitete, wurden die Fernsehbilder der Truppenübungen gegengeschnitten mit Aufnahmen vom WM-Sieg, und Osvaldo Ardiles, ein berühmter argentinischer Kicker, der damals in England spielte, bei Tottenham, musste Großbritannien vorübergehend verlassen.“

Christoph Keil (SZ 11.6.) glotzt TV. „Faßbender sieht schon lange nicht mehr jedes Foul, und Mohren ist sprachlich in den frühen 80ern hängen geblieben. Rethy wird immer an der eigenen, falschen Einschätzung festhalten, auch nach der dritten Zeitlupe. Und Kerner redet und redet und findet dann so ein Spiel wie das der Engländer gegen die Argentinier mittelmäßig, weil er sich was auch immer davon versprochen habe (…) Vor seiner Verwandlung in JBK war Kerner ein öffentlich-rechtlich sozialisiertes Talent vom Sender Freies Berlin. Wieviele Talente gibt es noch? Wirklich so wenige, dass die ARD ihre Bellheims nach Japan und Südkorea schicken musste?“

Die politische Bedeutung des Fußballs erfährt in Frankreich eine besondere Aufladung. Es geht um die Durchsetzung eines toleranten Gesellschaftsentwurfs; und gegen die fremdenfeindliche Politik von Jean-Marie Le Pen. Jürg Altwegg (FAZ 11.6.) dazu. „Für die Fußballer bleibt die politische Korrektheit, die sie verinnerlicht haben, die beste Taktik. Gegen die ehemalige Kolonie Senegal war die Niederlage ein vornehmes Resultat. Mit Uruguay, dem kleinen Land aus dem aufstrebenden Lateinamerika, dessen demokratische Bemühungen man unterstützen will, teilte man höflicherweise die Punkte. Doch heute kann es keine Rücksichten mehr geben. Ein Sieg muss her, mindestens zwei Tore müssen fallen – gegen den verhinderten Gauleiter (gemeint ist Le Pen, of) zu Hause, den man vor vier Jahren nicht endgültig hatte besiegen können. Und auf dem Spielfeld. Die Rückkehr des antifaschistischen Spielführers Zidane wird die historische Dynamik gegen die nur vordergründig unverdächtigen Dänen neu entfachen. Denn die blonden Hünen aus dem Norden sind ja doch irgendwie Wikinger und diese bekanntlich die Urahnen der Nazis.“

Wie eng Politik und Fußball verknüpft sein können, beleuchtet Thomas Scheen (FAZ 11.6.) am Beispiel Kameruns. „Die „unzähmbaren Löwen“, wie die vom deutschen Übungsleiter Winfried Schäfer betreuten Männer aus Westafrika sich selbst nennen, sind nicht nur eine Fußballnationalmannschaft. Sie sind Identitätsstifter und Blitzableiter in einem regelmäßig von sozialen, wirtschaftlichen und ethnischen Unruhen heimgesuchten Land. Und die Mannschaft ist der beste Wahlhelfer des seit nunmehr 20 Jahren regierenden Präsidenten Paul Biya. Die Zeitungen des Landes hatten den Gewinn der Afrika-Meisterschaft in Mali zu Beginn dieses Jahres erstens der Mannschaft und zweitens der Politik des Sportministers zugeschrieben, was „Tarzan“ (wie Schäfer in Kamerun genannt wird) eigentlich die Zornesröte unter den semmelblonden Schopf hätte treiben müssen. Doch Schäfer ließ sich nichts anmerken, und es traf sich gut, das der Deutsche kein Französisch spricht und vorsorglich verkündete, die Sprache Voltaires auch nicht lernen zu wollen. Wer sich öffentlich nicht zu äußern braucht, muss später auch nichts zurücknehmen. Im Ernstfall nämlich entscheidet in Kamerun nicht der Trainer über die Aufstellung der Mannschaft, sondern der Präsident.“

Über den Zusammenhang zwischen Theater und Fußball sinniert Klaus Dermutz (FR 10.6.). „Das (deutschsprachige) Theater verdankt dem Fußball viel. Wären die Uraufführungen fast aller Bernhard-Stücke solche Triumphe geworden, wenn nicht der beidbeinige Claus Peymann, der Herberger-Freund Bernhard Minetti und der vom russischen Torhüter Lew Jaschin inspirierte Gert Voss sie zum Leben erweckt hätten. Wäre Kick-and-Rush-Peymann überhaupt nach Österreich gegangen, wenn er nicht um seine Qualitäten als Stürmer und Verteidiger gewusst hätte? Das Land war für Peymann ein Strafraum, in dem er auch dann noch gefoult wurde, wenn er gar nicht am Ball war.“

Fußball in den USA

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