Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
Bayers Zukunft
Lesen Sie die Prognosen und Aussichten Deutschlands Fußballexperten für Bayers Zukunft nach deren erneutem heroischen (FR) – jedoch erneut erfolglosen – Auftritt.
Die spanische Presse reagiert weit gehend begeistert. Während El País seine Helden auf der Titelseite feiert, hat Marca beobachtet, wie Bayer Real das Leben schenkte. Das Ergebnis ist nicht gerecht, aber niemand hat behauptet, dass Fußball gerecht sein muss. Lesen Sie außerdem die Ansichten eines prominenten Real-Fans: Javier Marías äußert sich zur Haltung eines madridista.
Außerdem: Welche Folgen mag der dreifach deprimierte Titeltraum für den deutschen WM-Auftritt haben? Nun stoßen zu den Verlierern und Verletzten von Wales allein die bitter Enttäuschten vom Werk hinzu, gibt uns Michael Horeni (FAZ) wenig Anlass zu Hoffnung. Andererseits haben die Vier Musketiere (FR) – Ballack, Ramelow, Schneider und Neuville – nunmehr reichlich Erfahrung auf höchstem inernationalen Niveau gesammelt. Des Weiteren: Rudi Renaissance des italienischen Fußballs Michel (TV-Kommentator u.a. der WM-Finals von 1966 u. 1982) berichtet von der WM 66 und sah dort ebenfalls aufrechte Verlierer. Und: Willi Reimann wird neuer Trainer in Frankfurt.
Mit der Analyse des Spielgeschehens in Glasgow befasst sich Roland Zorn (FAZ 17.5.):
Wer in der ersten Halbzeit eines zu dieser Zeit erstklassigen Fußballspiels den Koryphäen von Real derart kunstvoll und druckvoll zusetzen kann und im atemraubenden Schlußspurt wieder und wieder am Torwartheros des Abends, dem für den verletzten César eingewechselten Iker Casillas, nicht vorbeikommt, muss seinen Stolz nicht schamhaft verbergen. Dennoch grämte sich Toppmöller verständlicherweise über die unforced errors seines Teams, das noch einmal die ganze Palette seiner Möglichkeiten ausgespielt und dennoch deutlich zu erkennen gegeben hatte, warum Bayer 04 Leverkusen letztlich keines seiner drei Saisonziele erreichte. Es ist ärgerlich, dass sich die Mannschaft immer wieder selbst bestraft, kritisierte der Trainer die taktischen Leichtsinnsfehler und Konzentrationsschwächen seiner Profis (…) Dabei war von der Dominanz des Favoriten im Duell mit den unermüdlichen Deutschen (Calmund: Ich weiß gar nicht, wo die noch den Sprit hergeholt haben) nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die Mannschaft, konditionell unterlegen, rettete sich über die Runden wie ein Boxer, der kurz vor dem eigenen K.o. verzweifelt einen Punktvorsprung über die Zeit zu bringen versucht.
Philipp Thommen (NZZ 17.5.) registriert einen nicht vorhersehebaren Spielablauf:
„Eher überraschend waren es die Deutschen, die Pace und Ball mehrheitlich bestimmten, die Real-Stars zurückdrängten, zu viel Laufarbeit zwangen – und folgerichtig auch ein Übergewicht an Chancen erspielten (…) Madrid dagegen schmeckte die aufsässige Spielweise des Underdogs überhaupt nicht. Dies lässt sich an der Leistung Makeleles, der ungewohnt viele Fehler beging, oder Figos aufzeigen, der, von Verletzungsproblemen geplagt, irgendwie gehemmt wirkte.
Ronald Reng (FR 17.5.) sah tragische und große Verlierer:
Es blieb der Eindruck im Hampden Park zurück, dass Bayer hier gerade eine brutale Niederlage erlitten hatte; dass sie, und dies machte die Niederlage nur schlimmer, gar nicht begriffen, was sie im Glasgower Nieselregen verspielt haben. Eine einmalige Chance. Bayer spielte gegen die derzeit anerkannt weltbeste Mannschaft; und Bayer war besser. Bayer spielte gegen die teuersten Fußballer der Welt, Zinedine Zidane und Luís Figo; und die besten Kreativspieler auf dem Platz waren Yildiray Bastürk und Bernd Schneider (…) Die Leverkusener, die geschlagenen, die abgekämpft, mit hängenden Trikots und Köpfen in der Ecke standen und nur hinterher sehen konnten, wie ihnen der Pokal davonlief, applaudierten. Es war eine bewegende Geste, ein fantastisches Bild. Verlierer mit mehr Größe hat es in einem Champions-League-Finale nicht gegeben.
Bei Andreas Burkert (SZ 17.5.) lesen wir zum Spiel sowie zu einem vermutlich bevorstehenden Neuaufbau:
Wahrhaftig spitzte sich im letzten Showdown noch einmal alles dramatisch zu, Zentimeter fehlten in der Nachspielzeit bei den Chancen von Bastürk, zweimal Berbatov und Torhüter Butt, dessen verzweifelter Vorwärtsdrang in der 90. Minute fast im 2:2-Ausgleich gegipfelt hätte. So wird Butt als trauriger Held in Erinnerung bleiben, der bei Raúls 1:0 den Einsatz seltsam verweigerte und sich sogar von einem streaker, einem schottischen Landburschen ohne Kleidung, ziemlich einfach ausdribbeln ließ. Butt hat später kaum jemand reden gehört (…) Bei Bayer machen sie sich da nichts vor, sie wissen, dass dieses Team am Ende seines Weges angelangt ist. Jetzt beginnt es wieder von vorn. Ohne Ballack und auch ohne Zé Roberto.
Allzu düsteren Zukunfstaussichten teilt Roland Zorn (FAZ 17.5.) jedoch eine Absage:
Alle, die nun glauben, Leverkusen, in England schon Neverkusen genannt, werde auf Jahre hinaus nicht mehr an Ziele kommen, die Bayer in diesem Jahr fast erreicht hätte, seien gewarnt. Die wirtschaftliche Kraft des Chemieriesen ist gewaltig und die innovative Power der Calmunds, Toppmöllers und Holzhäusers sowieso nicht zu unterschätzen. À la longue mag Bayer auf den Geschmack nach noch mehr gekommen sein.
Markus Hesselmann (Tsp17.5.) ist pessimistischer:
Ballack weg, Zé Roberto und Lucio auf dem Sprung – von Deutschlands bestem Team ohne Titel bleibt nicht viel übrig. Ein Ausgleich für die Verluste ist fraglich. „Bayern und Dortmund halten ihre Stars und verstärken sich noch“, sagte Toppmöller. Bayer aber werde sich nach dem jetzigen Stand keinen Ersatz von ähnlicher Güte leisten können.
Ungeachtet dessen, was die Zukunft bringen kann, wird Bayer Leverkusens Mannschaft Andreas Burkert (SZ 17.5.) ob ihrer spielerischen Standards in guter Erinnerung bleiben:
Sie könnte außerdem von nun als das schlechte Gewissen einer Szene dienen, in der oftmals ohne Esprit und Inspiration zweistellige Millionenbeträge verschoben werden. Und sie müsste, auch wenn das zurzeit ein wenig vermessen und ungerecht erscheinen mag, als Leitbild dienen für das, was die Nationalelf bei den Weltspielen in Asien anzubieten hat, unbedingt aber für luxuriös angereicherte Spielersammlungen wie etwa jene des FC Bayern. Auch so könnte man das sehen, und setzte sich diese Ansicht durch, würde das Leverkusener Gesamtkunstwerk mit seinem kleinen Makel sogar einen wunderbaren Sieger produzieren: das Spiel.
Mit den siegreichen Spaniern beschäftigt sich Ronald Reng (SZ 17.5.):
Nachdem sie in der spanischen Meisterschaft nur Dritter geworden waren und das nationale Pokalfinale verloren hatten, ging es für Real Madrid gegen Leverkusen nicht darum, den Europapokal zum neunten Mal zu gewinnen. Es ging darum, nicht alles zu verlieren in dieser Saison, die durch den 100. Geburtstag des Klubs pathetisch überhöht wurde. Das ist ein gehöriger Unterschied: Nicht die Hoffnung zu siegen, sondern die Angst zu verlieren trieb den erfolgreichsten Fußballklub der Welt an. Und so spielten sie auch. Es war nicht der Abend eleganter Eroberer, sondern die Nacht heroischer Retter.
In Spaniens Sportmagazin Marca (16.5.) lesen wir zum Spiel:
Real Madrid spielte weit entfernt von seiner Bestform nur im dritten Gang und setzte den Sieg leichtfertig aufs Spiel. Bayer hatte alle Möglichkeiten, das Spiel für sich zu entscheiden, aber sie machten den Sack nicht zu. Das Ergebnis ist nicht gerecht, aber niemand hat behauptet, dass Fußball gerecht sein muss. Fazit: Mit ein bisschen Glück, einer sicheren Verteidigung und zwei genialen Momenten gewinnt Real die Champions League.
El País (16.5.) feiert die beste Mannschaft aller Zeiten – womit Real Madrid gemeint ist:
Real bestätigte seine Dominanz im europäischen Fußball mit nunmehr neun Titeln in zwölf Finals. In nationalen Wettbewerben blieb es zwar mit leeren Händen, hatte es im Jahr des hundertjährigen Jubiläums schließlich alle Kraft und Konzentration auf die Eroberung des neunten Titels wirken lassen. Doch Real Madrid beschließt das Fußballjahr auf dem europäischen Thron (…) Bayer bestätigte, dass sie eine der interessantesten Mannschaften Europas sind – mit nur einem Mangel: Ihnen fehlt die Tradition. Das führte dazu, dass sie von den Medien nicht wahrgenommen wurden. Die Rolle von Lúcio und Bastürk wird hervorgehoben. Vom ersten heißt es, dass er sicherlich in einem Schaufenster zu betrachten sein wird. Vom letzten heißt es, dass er wie eine Metapher Bayers funktioniert: Bayer spielt sehr gut, aber hat nicht die Anerkennung, die ihm zusteht.
Mit der Frage nach den Auswirkungen der Geschehnisse auf den mentalen Zustand der deutschen Nationalmannschaft befasst sich Michael Horeni (FAZ 17.5.):
Ob es so einfach sein wird, wie es sich die Nationalmannschaft wünscht, die Leverkusener von den Enttäuschungen zu befreien, ist fraglich. Selbst Trainer Klaus Toppmöller sorgt sich um mögliche Langzeitwirkungen bis zum WM-Start am 31. Mai gegen Saudi-Arabien: Das kann in der Tat ein Problem werden. Aber ich traue Rudi mit seiner ruhigen und sachlichen Art zu, daß er die Jungs aus dem Loch zieht. Auch Ballack denkt besorgt an psychologische Folgewirkungen nach verlorener Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League: Das wird immer wieder hochkommen. Allerdings, so hoffen die Leverkusener, könne nichts besser als eine Weltmeisterschaft die traurigen Erlebnisse der vergangenen Wochen schnell zur abgeschlossenen Vergangenheit werden lassen.
Jan Christian Müller (FR 17.5.) macht uns diesbezüglich Mut:
Es könnte für die WM vielmehr ein psychologischer Vorteil sein, dass die Schneider, Ballack und Kollegen nun wissen, wie man gegen die Weltelite bestehen kann. Das Selbstbewusstsein der vier Musketiere, nicht schlechter zu sein als die beste Vereinsmannschaft der Welt, könnte in Japan und Korea hilfreich sein.
Das Streiflicht (SZ 17.5.) auch:
Wir wissen nicht, ob der Mittelfeldspieler Ballack in den letzten Stunden schon mit seinen Eltern gesprochen hat, der Stürmer Neuville mit Mama Neuville, der Torwart Butt mit Mutter Butt. Wir können es aber mal annehmen; in Tagen wie diesen reden Fußballspieler bestimmt weniger mit Managern oder Reportern, sondern mit denen, die sie am längsten kennen. Mütter sagen, in Tagen wie diesen, zu ihren Söhnen immer Sachen, die nach Trost klingen sollen. Es kommen bessere Zeiten, sagen sie. Das kann jedem passieren, sagen sie. Manchmal weinen die Jungs dann – auch richtig große Fußballjungs – und kriegen vielleicht gar nicht mehr mit, wenn ihre Mütter flüstern: Kopf hoch, Niederlagen machen dich stärker.
Der spanische Schriftsteller Javier Marías (FAZ 15.5.) beschreibt die Mentalität eines Real-Anhängers:
Diese unerbittliche ewige Realität zwischen Real Madird und Atlético Madrid oder dem CF Barcelona schmeckt für uns nur nach Bier, verglichen mit dem kräftigen Wein, den wir trinken – und in diesem Jahr haben wir uns dann berauscht –, wenn wir es mit Bayern München zu tun bekommen, einem Verein, der uns etwas anhaben kann. Oder mit dem Wein, den wir trinken werden, wenn wir wieder auf den AC Milan trefefn, den einzigen Verein, der uns in den letzten zehn Jahren wirklich auseinandergenommen hat.
Christoph Biermann (SZ 17.5.) portraitiert Klaus Toppmöller, Trainer von Bayer Leverkusen, im Vergleich mit Kollegen:
Die Hitzfelds oder Wengers, Lippis oder Erikssons präsentieren sich als kühle Manager, deren Auftritt nach dem Vorbild von Vorstandsmitgliedern multinationaler Konzerne modelliert zu sein scheint. Freundlich, aber kühl, höflich, aber distanziert erfüllen sie ihren Job als leitende Angestellte großer Fußballunternehmen. Sie verkörpern Fachwissen, Führungsqualitäten und vermitteln diesen Eindruck bei Bedarf auch mehrsprachig. Klaus Toppmöller erfüllt dieses Image nicht, und genau das hat ihm inzwischen europaweite Popularität verschafft. Besonders in Großbritannien sind die launigen Schwänke über die Skatrunden in der Salmtalschänke zu Rivenich und die Fußbälle in seiner Blutbahn besonders gut angekommen.
Dass El País (16.5.) ebenfalls am Tag von Reals Triumph seine Aufmerksamkeit auf Toppmöller richtet, ist ein Indiz dafür, dass dieser in der Beletage des europäischen Fußballs angekommen ist:
Klaus Toppmöller ist ein extravaganter Charakter des deutschen Fußballs, welcher eigentlich von Strenge und Disziplin beherrscht ist und normalerweise Flexibilität und Individualität meidet. In dieser Saison hat er der Mannschaft und dem deutschen Fußball auf europäischer Bühne seinen Stempel aufgedrückt. Er ist ein einfacher Mensch, der keinen Sinn für Luxus hat. Er konsumiert ausschließlich Fußball. Er konnte nicht die Champions League gewinnen, aber seine kreativen Ideen von Fußball durchsetzen.
Der unvergessene Rudi Michel (FR 17.5.) erinnert sich an faire Verlierer bei der WM 66 – und das nach dem Wembley-Tor:
Noch nie wurde ein Verlierer in Deutschland so gefeiert wie diese WM-Elf von Helmut Schön, der Sepp Herberger als Trainer abgelöst hatte. Die vorbildliche Haltung der Mannschaft ließ die Massen nach dem Jammer zu riesigem Jubel umschwenken.
Eintracht Frankfurt hat einen neuen Trainer: Willi Reimann. Jürgen Heide (FR 17.5.) dazu:
Mit dem Ex-Profi des Hamburger SV und von Hannover 96 steht Woodcock schon seit Wochen in Kontakt. Willi ist gut über die Eintracht informiert. Dass Reimann seit über zwei Jahren aus dem Geschäft ist, sieht der Brite nicht als Nachteil an. Willi ist frisch und ausgeruht. Er hat Lust, wieder anzupacken, dass habe ich nach unseren Gesprächen gemerkt. Auch Reimann sieht die Pause, die er nach seiner Entlassung in St. Pauli eingelegt hat, eher als Vorteil an. Die Zeit hat mir gut getan. Ich bin dadurch gelassener und ruhiger geworden. Durch Besuche der Spiele des HSV und von St. Pauli hat sich der in Hamburg lebende Coach auf dem Laufenden gehalten. Ich bin gut informiert. Mir macht keiner was vor, demonstriert Reimann, der auch schon beim HSV, beim VfL Wolfsburg und beim 1. FC Nürnberg tätig war, Selbstbewusstsein.
Gewinnspiel für Experten
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Schwierige Lage in Dortmund – Austria Wien wäre gerne größer, so wie früher
Richard Leipold (FAZ 24.9.) schildert die Lage in Dortmund: “Borussia Dortmund bewegt sich am Kreditlimit. Nicht daß es dem Klub schwerfiele, seine finanziellen Verpflichtungen weiter pünktlich zu erfüllen. Seit die Fußballspieler des BVB einem vorläufigen Verzicht auf zwanzig Prozent ihres Gehalts zugestimmt haben, machen der westfälischen Fußballfirma überzogene Konten zu schaffen, deren Stand nicht in Geld angegeben wird: die Kreditlinie definiert sich über den Vertrauensvorschuß der Fans. Deren Hingabe scheint grenzenlos – ablesbar an der Zahl verkaufter Eintrittskarten. Zuletzt besuchten mehr als achtzigtausend Zuschauer das Westfalenstadion. Doch die Menschen, die Zeit, Geld und Gefühl in ihren gelb-schwarzen Traum investieren, vermissen die Rendite – genau wie die Anteilseigner, die neben dem Kursverfall der Aktie das Fehlen jeglicher Dividende beklagen. Während die Mannschaft einen Spieler nach dem anderen infolge Verletzung oder Krankheit verliert, kommt der Basis allmählich die Geduld abhanden. Sie rebelliert gegen die Profis und deren fehlendes Ethos. Nach dem verlorenen Bundesligaspiel in Stuttgart machte das Schimpfwort von den Scheiß-Millionären wieder die Runde – auf den Stehrängen, beim Sitzstreik und schließlich auf dem Boulevard. Aber seit Wochenanfang kann das schwarz-gelb eingefärbte Proletariat nicht mehr gar so heftig krakeelen wie in den 48 Stunden nach dem Auftritt im Gottlieb-Daimler-Stadion, wo etwa zweihundert Fans mit einer Sitzblockade neunzig Minuten lang die Abfahrt der Dortmunder Mannschaft verhinderten. Die Stars zahlen für ihr Versagen, das den Klub wirtschaftlich und sportlich hart getroffen hat.“
Felix Meininghaus (FTD 24.9.) fügt hinzu: „Längst hat das Bild einer Mannschaft, die nach der unverhofften Meisterschaft 2001 glänzende Perspektiven zu haben schien, arge Kratzer erhalten. Das Dilemma gipfelte nach dem Champions-League-Aus in der Gehaltsdiskussion, einer Folge gravierender Managementfehler: Es hat sich als fahrlässig erwiesen, Profis, denen man ein „Mentalitätsproblem“ (Manager Michael Meier) attestiert, mit Verträgen auszustatten, die Verweigerungsfußball Vorschub leisten. Das Manko wurde zu Wochenbeginn korrigiert, indem in Absprache mit den Spielern 20 Prozent der Bezüge in Prämien umgewandelt wurden, die bei Erfolg ausbezahlt werden. Dieser Schritt garantiert nicht, dass die Profis künftig auswärts alles in Grund und Boden rennen. Wer mit Niebaum über die seit neun Monaten anhaltende Misere spricht, bekommt viel Beschwichtigendes zu hören, Zuallererst der Krankenstand, schließlich fällt derzeit fast ein gesamtes Team aus. „Wenn Sie einen Ferrari haben“, sagt Niebaum, „und man baut Ihnen sechs Zylinder raus, werden Sie keine Rennen gewinnen.“ Zudem sei da ja auch noch die Heimstärke, „bei uns spielen wir attraktiven Fußball und schießen Tore – das ist die andere Seite der Medaille“. Und wenn über 80 000 Fans im Westfalenstadion für die größte Bundesligakulisse sorgen, sei das eine „Abstimmung mit Füßen, die man bei der Beurteilung nicht einfach außen vor lassen darf“. Nur haben die Treuesten in Stuttgart erstmals auch mit dem Hintern abgestimmt und die Mannschaft mit einer Sitzblockade gezwungen, sich für ihre Leistung zu rechtfertigen.“
In Dortmund ist die Identifikation mit dem Verein sehr groß
WamS-Interviewmit Christoph Metzelder
WamS: Sie stellen die Mannschaft so in den Vordergrund. Den Profis wird oft vorgeworfen, ihnen sei es völlig egal, in welchem Trikot sie auflaufen. Hauptsache das Geld stimme.
CM: Das ist doch viel differenzierter. Jeder wirkliche Profi möchte sich stets weiterentwickeln, ist dafür aber selbst verantwortlich. Es geht im Fußball aber nur über eine gute Mannschaft und ein tolles Umfeld. Es muss optimalerweise alles stimmen, um erfolgreich sein zu können. Andererseits, und das haben die Tage nach dem Brügge-Spiel gezeigt, ist jeder Spieler verständlicherweise auch sein eigener Herr. Die Interessen dann unter einen Hut zu bekommen ist nicht einfach.
WamS: Also doch elf Ich-AGs auf dem Platz?
CM: Das ist auch vom Verein abhängig. Ich glaube, bei Dortmund ist die Identifikation mit dem Verein sehr groß.
WamS: Weil der Verein auch alle Steuertricks nutzt, um den Spielern die Millionen-Gagen zu zahlen.
CM: Sie sind doch Wirtschaftsredakteur. Borussia Dortmund ist eine Aktiengesellschaft. Und jedes Unternehmen hat das Recht, alle legalen Möglichkeiten zu nutzen, um das Unternehmen optimal voran zu bringen.
WamS: …
CM: Zudem geht es hier nicht um zusätzliche Einnahmen der Fußballprofis, sondern um das mittelständische Unternehmen Borussia Dortmund, das übrigens sehr viel an Steuern zahlt. Das ist lediglich betriebswirtschaftlich im Sinne des Vereins gedacht.
WamS: Haben Sie den Eindruck, dass die Vereine professionell geführt werden? Vom Umsatz sind Bundesligavereine Mittelständler. Von ihrer Bedeutung eher Großkonzerne?
CM: Ich kann da nur für Dortmund sprechen und glaube, dass dieser Verein sehr professionell geführt wird: Ticketing, Marketing, Merchandising, Internet – da wird alles getan, um Werte zu schaffen. Man darf ja nicht vergessen, dass der Gesamtumsatz der Branche nicht mehr ewig steigen wird. In vielen Bereichen haben wir den Peak erreicht. Wir werden in den kommenden Jahren sicher noch einiges erleben, was ein Novum ist. Dazu kommt die Konjunkturkrise.
„Seit August 1998 hat der Gründer des austrokanadischen Autozulieferers Magna Stronach als Mäzen das Sagen. Noch immer träumt er von der Champions League“, schreibt Michaela Seiser (FAZ 24.9.) über Austria Wien – den heutigen Gegner Dortmunds: „Nach dem Abgang von Christoph Daum hat Austrias Mäzen Frank Stronach Anfang Juni den früheren Stuttgarter Joachim Löw als neuen Trainer inthronisiert. Der Deutsche, der als 19. Trainer seit 1990 auf dem violetten Schleuderstuhl Platz nahm, erhielt einen Zweijahresvertrag. Auf dem Trainerfriedhof wolle er nicht landen, dazu fühle er sich noch zu jung, bemerkte Löw zum Schicksal einiger seiner Vorgänger scherzhaft. Doch mit dem Double hat Daum für seinen Landsmann, der den FC Tirol 2002 zum Meistertitel geführt hatte, die Latte hochgelegt. Man gehe als Favorit in die Bundesligasaison und wolle den Titel bestätigen, sagte Löw bei seinem Start. Sein Ziel Nummer eins laute jedoch: Verbesserung des Fußballs. Denn ohne Spielkultur gebe es keinen Erfolg. Der Austrokanadier Stronach hofft, daß mit der neuen sportlichen Führung endlich Ruhe und Harmonie im Traditionsklub einkehrt. Stronach war mit der Leistung der Mannschaft im Frühjahr trotz der Erfolge in Österreich nicht zufrieden, weil er den Ehrgeiz vermißt, der die Spieler in Europa voranbringen sollte. Austria sicherte sich im Mai nach zehn Jahren den 22. Meistertitel der Vereinsgeschichte, die seit der Gründung 1911 viele Höhen und Tiefen durchlief. Eigentlich entstand der Verein schon früher als amtlich festgehalten. 1892 hatte es einen Vienna Cricket Club, einen Allround-Verein gegeben, der 1894 auch eine Fußballsektion aufnahm. Diese war gemeinsam mit der Vienna eineinhalb Jahrzehnte tonangebend, als Vorläuferin der berühmten Wiener Fußballschule. Nachdem es im Klub zu kriseln begonnen hatte, gründeten die Kicker am 29. Oktober die Wiener Cricketer, die sich nach Zwistigkeiten über die Namensgleichheit 1911 in Wiener Amateur Sportverein umtauften und violett als Klubfarbe wählten. Doch man kam nur schwer aus den Startlöchern. Bevor 1921 der erste Pokalsieg und 1924 die erste Meisterschaft und das erste Double gewonnen wurden, wurde den Veilchen zwar oft ein schönes Spiel bescheinigt, aber zugleich das Kämpferherz abgesprochen. Das Mißverhältnis scheint bis zur Gegenwart nicht verflogen, das Image haftet manchmal heute noch an. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Mannschaft wieder zu einem Spitzenklub von europäischem Format. Mehr als zehn Jahre beherrschten die Violetten gemeinsam mit Rapid die österreichische Fußballszene und waren auch im Ausland eine gefragte Mannschaft.“
„Hertha-Gegner Grodzisk gehört zu den wenigen polnischen Clubs mit gesunden Finanzen“ FR
Dario Venutti (NZZ 24.9.) bereitet seine Leser auf den Gegner von Grasshoppers Zürich vor: “Hajduk Split zählte im ehemaligen Jugoslawien zusammen mit Dinamo Zagreb, Roter Stern und Partizan Belgrad zu den „grossen vier“, die den Titel in der Regel unter sich ausmachten. An diese Tradition vermochte Hajduk auch im 1991 entstandenen kroatischen Staat anzuknüpfen, wo es zusammen mit Dinamo die Meisterschaft seither dominiert. Hajduk wurde in dieser Zeit viermal Meister, zuletzt vor zwei Jahren. Der grösste Erfolg fällt in die Saison 1993/94, in der Hajduk in der Champions League erst in den Viertelfinals am nachmaligen Sieger Ajax Amsterdam scheiterte. Seither blieb dem Verein der internationale Erfolg allerdings verwehrt, denn er schaffte es nicht mehr, die Champions League oder nur schon die zweite Runde des Uefa-Cups zu erreichen.“
Gewinnspiel für Experten
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Favoritenstürze in der ersten Runde
„Fad, ein bisschen wässrig schmeckt sie heuer“ urteilt die FR über die “Pokalsuppe” vom Wochenende. „Keine Chance den Amateuren“ titelt FAZ und deren Schwester FAS: „Ruhe in der Provinz.“ Einerseits vermissen die Fußball-Experten die Favoritenstürze in der ersten Runde, bei der lediglich der Hauptstadtklub Hertha als einziger Bundesligaverein die Segel streichen musste. Andererseits begrüßen die Kommentatoren die gestiegene Bedeutung des K.O.-Wettbewerbs, den die Profivereine mittlerweile wieder wertzuschätzen scheinen. „Ist aus dem Anhängsel DFB-Pokal etwa ein ernst zu nehmender Wettbewerb geworden? Selbst die Bayern aus München, deren Präsident Franz Beckenbauer stets arrogant-despektierlich wider den Pokal redet, haben sich keine Blöße gegeben.“ Es ist noch nicht lange her, da hatten insbesondere die Ligaprotagonisten den Cup als lästige Pflichtaufgabe wahrgenommen und dargestellt. Als Ursache für die Aufwertung wird hauptsächlich die allgemeine Finanzlage angeführt. Schließlich lassen sich in der Pokalrunde mit geringstem Aufwand die größten Erträge erzielen.
Weitere Themen: politische Intervention auf dem Betzenberg, Wechseldementis aus München und Roy Keane, der Racheengel.
Jörg Hanau (FR 2.9.) fasst zusammen. „Der Pokal heißt es plötzlich, erlebe eine Renaissance. In Zeiten, da Fernsehgelder knapper berechnet werden und mancher Sponsor – wie in Stuttgart der Fall – den Geldhahn zudreht, wird aus einem verpönten Zuschussbewerb plötzlich eine zusätzlichen Einnahmequelle. Mögen die Summen auch noch so klein sein, die über den Tisch gehen, das Gros der Bundesligisten muss mittlerweile mit jedem Euro kalkulieren. Wer nicht der Kaste der großen Bundesliga-Fünf angehört, kann froh sein, nach jeder gespielten Saison in den Büchern eine schwarze Null zu schreiben und muss im Pokal die einzige Chance sehen, ins internationalen Geschäft einzuziehen. Mit etwas Losglück und hundertprozentigem Engagement eröffnet sich auch für die kleinen Klubs im Fußball-Oberhaus die Chance auf eine Teilnahme am Uefa-Pokal.“
Über die Gründe für die gestiegene Wertschätzung des DFB-Pokals lesen wir bei Rainer Franzke (FAZ 2.9.). „In der Not machen die Profis Ernst. Der Pokal bietet den Spielern die Chance für zusätzliche Einnahmen. Siegprämien sind wieder gefragt, da der Rotstift regiert. Und die Mehrzahl der Spieler steht unter einem neuen Druck, weil die Kader reduziert wurden und eine Hundertschaft an Berufskollegen in diesem Sommer keinen neuen Arbeitgeber gefunden hat. Bei dieser Marktsituation ist fast jeder Spieler umgehend austauschbar. Auch deshalb wird der Pokal plötzlich so wichtig genommen wie die Bundesliga. Trainer Matthias Sammer hat die Spieler des deutschen Meisters Borussia Dortmund auf das Pokalspiel beim SV Ihrhove vorbereitet wie auf ein Spiel in der Champions League und den Oberligaklub gleich dreimal beobachten lassen.“
Thomas Klemm (FAS 1.9.) kommentiert die Intervention des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten beim 1. FC Kaiserslautern. „Es herrscht erstmal wieder Ruhe in der Pfalz, und dass gerade Bundestagswahlkampf ist und der Kanzler am selben Tag auf der anderen Rheinseite in Wiesbaden um Stimmen warb – das passte. Aber musste es ein Politiker sein, der seinen Einfluss auf einen Klub geltend macht? (…) Natürlich hatte Beck ein Interesse daran, dass der Vorhang beim Kaiserslauterer Provinztheater fällt. Das Fritz-Walter-Stadion, an dessen Ausbau sich das Land finanziell maßgeblich beteiligt, ist Austragungsstätte bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, der FCK ist Imageträger und Wirtschaftsfaktor in der Region und dient Abertausenden zur Identifikation. Dennoch: Obwohl sich alle Streitgruppen nach der gemeinsamen Erklärungen als Sieger wähnten – verloren hat die Vereinsführung, die ihre Krise nicht allein bewältigen konnte, ein gutes Stück Autonomie, das Gesetz des Handelns.“
Jörg Marwedel (SZ 2.9.) sah den 3:0-Sieg der Bayern bei den Amateuren von Werder Bremen. „Weil also die Münchner Profis einerseits ihr Pensum so sparsam wie möglich abspulen wollten, andererseits aber die Gefahr einer drohenden Blamage stets im Hinterkopf hatten, kam bei ihnen ein Spiel heraus, das so humorlos war wie die Mannschaftsaufstellung: Bis auf die Verletzten Zé Roberto, Robert Kovac und Mehmet Scholl hatte Hitzfeld die komplette erste Garde nominiert und signalisiert, dass selbst im DFB-Pokal keine Niederlage erlaubt ist und nichts am Image der aktuellen Nummer zwei der Uefa-Rangliste kratzen darf, über der in Europa nur Real Madrid thront. Dabei hätte man durchaus ein bisschen Spaß haben können, weil es gegen gut ausgebildete Regionalliga-Talente ging und nicht gegen irgendwelche Eisenbieger aus der 5. Liga.“
Zu den Wechseldementis um Miroslav Klose heißt es bei Jörg Marwedel (SZ 2.9.). „Manchmal wäre Uli Hoeneß womöglich lieber Manager seiner Nürnberger Würstelfabrik und nicht des FC Bayern – es würde niemanden jucken, welche Arbeitskraft er als nächstes anstellen möchte. Karl- Heinz Rummenigge könnte sich, wäre er nicht Vorstandsvorsitzender des FC Bayern, sondern Filialleiter bei der Kreissparkasse Lippstadt, auf das Bankgeheimnis berufen – falls überhaupt jemand etwas von ihm wissen wollte. Weil aber nahezu jeder in diesem Land Anteil am Treiben des deutschen Fußball- Rekordmeisters aus München nimmt, sahen sich die beiden mal wieder zur Notlüge gezwungen (…) Die Dementis sind verständlich. Transfers des FC Bayern gelten hier zu Lande als Politikum, was äußerste Sensibilität erfordert. Die schwere Führungskrise beim 1.FC Kaiserslautern lässt den Zeitpunkt der Veröffentlichung aus Vereinssicht noch ungelegener erscheinen als ohnehin. Man möchte ja nicht als Leichenfledderer der Pfälzer dastehen.“
Christian Eichler (FAZ 2.9.) porträtiert den Iren Roy Keane (Manchester United). „Ist er nur ein unerbittlicher Perfektionist? Ein schüchterner Desperado? Ein Wilder, den es in die Zivilisation verschlagen hat? Ein missverstandener Krieger auf der falschen Bühne? Keane begann als Boxer. Wäre er es geblieben, der Fall läge einfacher: Man könnte die Deformationen seines Verhaltens auf die seines Hirns zurückführen. Zehn Jahren, in denen Keane den Ruf des besten Spielers der härtesten Liga erhielt, folgte ein Vierteljahr, nach dem er vielen nicht mehr resozialisierbar erscheint in die Luxusgesellschaft von Beckham Co. Nur Trainer Alex Ferguson hält wie eh und je zu seinem Kapitän. Er weiß, dass Keanes wilder Siegeswille unersetzlich ist für das zur Bequemlichkeit neigende Kollektiv überversorgter Stars. Fürs Binnenklima braucht er Keane, trotz Risiken und Nebenwirkungen.“
Direkter Freistoß
Europäischer Fußball mit Torschützen NZZ
Gewinnspiel für Experten
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Einen Fluss von Scheiße hat Ferlaino über Neapel ausgegossen
Enthüllungen über Maradona sind in Neapel Blasphemie – Zeit beanstandet Netzers „spekulative Ideologie“
Einen Fluss von Scheiße hat Ferlaino über Neapel ausgegossen
Aus Neapel meldet Birgit Schönau (SZ 25.9.) eine Art Gotteslästerung: „Napolis Übervater Corrado Ferlaino, packt aus, und seine Erinnerungen sind wenig idyllisch. Über 30 Jahre lang hatte Ferlaino den Verein geführt, nun gab er der neapolitanischen Tageszeitung Il Mattino ein langes Interview. Natürlich ging es um Diego Armando Maradona, „meine bittere Liebe“, vom Patron nach Neapel geholt, als Fußballgott gefeiert und verehrt, als Dopingsünder aus der Stadt vertrieben. Bis heute hat Maradona in Neapel eine treue Anhängerschaft von Nostalgikern. Die Taxifahrer tragen sein Bild neben der Familie in der Geldbörse, Universitätsprofessoren vom Fanklub „Te Diegum“ arbeiten an seiner Ehrendoktorwürde. Ferlaino kratzte am Mythos: „Maradona habe ich einige dutzend Male gerettet. Vor allem vor den Dopingkontrollen.“ Unter den Spielern des SSC Neapel sei Ende der 80er Jahre der Konsum von Kokain gang und gäbe gewesen, berichtete der frühere Präsident, „es war eine Mode“. Einige junge Spieler hätten „nur Montags geschnupft und basta“. Andere, wie Maradona, seien süchtig gewesen. „Ich hatte Anweisung an alle gegeben: Von Montag bis Mittwoch könnt ihr tun, was euch passt, aber ab Donnerstag müsst ihr sauber sein. Es reichte ja, für ein paar Tage kein Kokain zu nehmen, damit es nach dem Spiel am Sonntag nicht mehr nachgewiesen werden konnte.“ Für den Ernstfall hatte man allerdings Vorsorge getroffen. „Bevor jemand was riskierte, gaben wir ihm ein Reagenzglas mit dem Urin eines Mitspielers mit auf den Weg.“ Der Kandidat konnte die Probe im Trainingsanzug verstecken und bei der Pinkelprobe unbemerkt das saubere Urin in den Behälter der Dopingkommission abfüllen. „Heute geht das nicht mehr, die Spieler müssen ja nackt sein“, gab Ferlaino zu bedenken, „aber es ist nicht besonders schwierig, Freunde unter den Ärzten zu finden.“ Und unter den Schiedsrichtern wohl auch nicht. Bei der zweiten Meisterschaft seines Klubs sei ein wenig nachgeholfen worden, deutete Ferlaino an. Worte, wuchtiger als ein Wolkenbruch. Einen „Fluss von Scheiße“ habe Ferlaino über Neapel ausgegossen, schnaubte in der populären Fußballshow Biscardivenerdi der Regisseur Pasquale Squitieri. Der Abgeordnete der postfaschistischen Nationalen Allianz ist mit der Schauspielerin Claudia Cardinale verheiratet und deswegen prominent in Italien. Und dann sprach der Meister selbst. Seit Maradona, der mit dem SSC Neapel zwei Meisterschaften und einen Uefa-Cup gewann, im März 1991 mit Kokainspuren im Urin erwischt wurde, hatte er sich in Neapel nicht mehr blicken lassen. Als Stargast bei Biscardivenerdi kommentiert er nun die Serie A. Er nutzte das Forum, um zu verkünden, er werde Ferlaino verklagen. 74 Prozent der Zuschauer unterstützen ihn darin.“
„Fußball-Regionalligist Kickers Offenbach wollte mit Ex-Profis den Aufstieg erzwingen – die Zwischenbilanz ist ernüchternd“ FR
Die Kritik wird zur spekulativen Ideologie
Wolfram Eilenberger (Zeit 25.9.) schilt Günter Netzer: „Netzer steht mit seinem ingeniösen Totalausfall nicht allein auf Deutschlands Fluren. Die ungut angesetzte Paarung zwischen lokalem Geniekult und Führersehnsucht hat bewährte Tradition und bildet seit mehr als 250 Jahren einen roten Faden deutschzüngelnder Geistesgeschichte. Fing es bei Ostgenius Immanuel Kant (Chinese aus Königsberg) noch unschuldig ästhetisch an, so nahm der Geniebegriff bereits in der deutschen Romantik ein distinkt nationales Geschmäckle an, wurde von Über-Spieler Friedrich Nietzsche (Ossi!) in neue, gemeinschaftsgefährdende Sehnsuchtshöhen geführt, bis die Geniereligion schließlich zum kollektiven Glaubensbekenntnis des freien Westens aufstieg: Sind wir nicht alle potenzielle Führungsspieler? Hätte Netzer gewohnt präzis festgehalten, jede erfolgreiche Mannschaft bedürfe auf dem Platz zweier oder besser gleich dreier besessener Asozialer, die in ihrem unbedingten Siegeswillen selbst die Minimalregeln des spielerischen Miteinanders unterlaufen, wir hätten ihm einmal mehr schweigend zunicken müssen. Oliver Kahn aus Stutensee, Nordbaden, ist auf dem Platz solch ein Grenzwertcharakter, der talentierte Herr Ballack hingegen nicht – Ende der kritischen Durchsage. Mit Ballacks Herkunft aus dem Osten hat dessen moderateres Wesen gewiss nicht mehr zu tun als etwa mit seiner schwarzen Haarfarbe. Wobei, denkt man einmal darüber nach, ja auch der willensstarke Führungsmotzki Matthias Sammer so blond beschopft ist wie Kahn, wie Stefan Effenberg, Boris Becker, Jan Ullrich, Dieter Bohlen, wie einst Netzer. Ecce, Günter! Hat man sich erst einmal dem Führungspielerfahndungswahn verschrieben, kennt der Thesenunfug keine Grenzen mehr. Die Kritik wird zur spekulativen Ideologie. Auf diese Weise verdirbt gar die Freude am letzten wahren Gesamtkunstwerk unserer Zivilisation, dem Fußball. Ähnliche Befürchtungen mag schon das Genie Richard Wagner in seiner urdeutschen Oper von der sagenhaft blonden Führungskraft Lohengrin gehegt haben. „Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam’ und Art“, dröhnt Lohengrin seiner bedrängten Elsa aus Brabant entgegen; ein weiser Rat, ganz gleich welcher Heilsbringer gerade auf dem Boulevard angefahren wird. Ob Olli im Ferrari, Ballack im Opel oder Angie im Trabant.“
Die Zeit (25.9.) fragt: Wo waren Sie, als Kennedy ermordet wurde? Als der erste Mensch den Mond betrat? Als die Mauer fiel? Mitunter fährt die Weltgeschichte in das eigene Leben wie ein Blitz, auch wenn sie sich ganz woanders entladen hat, in fremden Ländern, auf anderen Kontinenten oder im Weltall. Dann ist auch das vermeintlich unscheinbare Eigene grell erleuchtet, es schmilzt auf ewig zusammen mit dem historischen Moment und wird selbst bedeutend. Nach Jahrzehnten weiß man noch genau, mit wem man zusammensaß, welche Musik lief oder wie das Wetter war. Nebensachen, die unter dem Mikroskop der Erinnerung zu Hauptsachen werden. In der deutschen Nachkriegsgeschichte gibt es nicht viele dieser Daten, doch der 4. Juli 1954 ist eines davon. Damals, an einem verregneten Sonntagnachmittag, gewann die deutsche Fußballnationalmannschaft im Berner Wankdorfstadion das Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft. Als das „Wunder von Bern“ ging der 3:2-Sieg über die seit Jahren ungeschlagenen Ungarn in das kollektive Gedächtnis der Nation ein. Dort ist es zurzeit so präsent wie selten zuvor. Weil sich der 50. Jahrestag dieses bundesrepublikanischen Mythos nähert. Weil der größte Held jenes Spiels, Helmut Rahn, kürzlich gestorben ist. Weil am 16.Oktober Sönke Wortmanns Film Das Wunder von Bern ins Kino kommt. Christof Siemes, der Kulturreporter der Zeit, hat das Buch zum Film geschrieben und dafür prominente Zeitzeugen gefragt: Wo waren Sie, als Deutschland zum ersten Mal Weltmeister wurde?
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Wenn die „Richtigen“ den Pokal gewinnen
Der DFB-Pokal bekommt seine Bedeutung wieder zurück
Warum gewannen die Beobachter der hiesigen Fußballszene in den letzten beiden Jahren den Eindruck, dass der über lange Zeit hinweg marginalisierte DFB-Pokalwettbewerb wieder an Bedeutung gewann? Weil die „Richtigen“ ihn gewannen, was an dieser Stelle so viel heißt wie: diejenigen, die diese traditionsreiche Trophäe angemessen zu schätzen wussten (wenn auch nicht fürsorglich zu behandeln: sie ging aus dem Leim). Nach den Schalker Triumphen 2001 und 2002 markierten bis zu über hunderttausend freudetrunkene Anhänger sowohl den Endspielort Berlin als auch die Gelsenkirchener Innenstadt tagelang in königsblaue Vereinsfarbe.
Die atmosphärelosen Halbfinals dieser Saison – man muss es sagen – werden diese Aufwertung wieder deutlich relativieren. Schließlich trat Vorjahresfinalist Bayer Leverkusen beim Ligaprimus aus München tatsächlich mit dem Ziel an, die Niederlage in Grenzen zu halten. „Das ist schon ein seltsamer Abend gewesen. Ein Abend, an dem die so genannten Werksprofis von Bayer Leverkusen, nach dem verpassten Einzug ins DFB-Pokalfinale mit ihrer Zufriedenheit verblüfften“, verurteilt die SZ den Auftritt der Verlierer und schreibt über ein „dramatisch spannungsarmes Duell“ im „trostlosesten Halbfinale der Neuzeit“. Allein 16.000 Zuschauer wollten das Spiel im Olympiastadion sehen, wobei Bayern-Manager Uli Hoeneß nachher bedenkenlos zugab, dass sein Verein Schönwetterfans hat. „Zumindest in der Anfangsphase konnte man nur jedem gratulieren, der sich für diesen Abend etwas besseres vorgenommen hatte“, liest man in der FTD. So bleibt für diesen letztendlich einseitigen 3:1-Sieg allein das traurige Fazit: „Der FC Bayern rückt dem Double nahe, doch keiner schaut hin – nur Oliver Kahns Seitensprung interessiert“ (Tsp).
In der anderen Partie standen sich zwei Teams gegenüber, die sich „auf diametral entgegen gesetzten Reisewegen“ (SZ) annähern. Dabei bezwang der abstiegsbedrohte aber im Aufwind befindliche 1. FC Kaiserslautern die zweitbeste Mannschaft der Hinrunde aus Bremen mit 3:0, die die sechste Niederlage in Folge „widerstandslos in Kauf genommen hat“(FAZ). Die SZ hält zudem folgende Erkenntnis fest: „Wenn es Zweifel gab, dass Werder über die beiden schwächsten Torhüter der Bundesliga verfügt – sie sind zerstreut.“
Bayern München – Bayer Leverkusen 3:1
Philipp Selldorf (SZ 7.3.) ist von der Leverkusener Spielweise und ihren Reaktionen nach der Niederlage erschrocken. „Gegen Ende des Spiels schickte Reiner Calmund ein Gebet in den schwarzen Himmel über München. „Lieber Gott, lass es Schluss sein“, flehte der Manager. Und siehe: Der Herr erhörte ihn und befahl seinem Diener Edgar Steinborn den Schlusspfiff. Calmund registrierte ihn mit Erleichterung. Die 1:3-Niederlage beim FC Bayern empfand er als Gnade einer gütigen Fügung; das ruhmlose Ausscheiden aus dem DFB-Pokal, der Verlust der letzten Gelegenheit zur Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb – für Bayer 04 sind das unbedeutende Phänomene am Rande. Calmund setzt andere Prioritäten: „Wir müssen an die Psyche denken“, sagt er. Diese therapeutische Dringlichkeit lässt sich selbst ohne medizinische Ausbildung mit der Herrschaft von Angst begründen. Es galt, acht Gegentreffer zu vermeiden, wie sie der 1.FC Köln kürzlich beim Pokaltreff am selben Ort hatte hinnehmen müssen. „Diese Blöße wollten wir uns nicht geben“, erzählte Mittelfeldspieler Hanno Balitsch später, und allein an diesem traurigen Geständnis lässt sich ablesen, wie tief die Leverkusener Ambitionen gesunken sind. So haben sie dann auch gekickt. Die Bayer-Elf fürchtete weniger das Ausscheiden als die Höhe der Niederlage und deren womöglich verstörende Folgen. Daher gratulierte Calmund den Spielern (…) So drängte sich das Gefühl auf, dass nicht der Beinahe-Meister und Champions-League-Gewinner Bayer 04 Leverkusen sein Bestes gegeben hatte, sondern Borussia Neunkirchen oder der SC Verl zur Visite erschienen waren. Hörster gibt dazu den passenden Trainer ab. Ständige Besucher der Spiele des FC Bayern konnten sich ein Kichern nicht verkneifen, als der Leverkusener Coach mit entwaffnender Unbefangenheit berichtete, er wüsste gar nicht, was er von dem Spiel halten solle, „ich muss mich erst mal sammeln und in Klausur gehen“. Sein Auftritt an der Seite des ultraroutinierten Bayern-Fachmanns Ottmar Hitzfeld und seine Analyse („Wie der Herr Hitzfeld richtig sagt. ..“) erweckte den Eindruck, als habe er den Logenplatz auf der Trainerbank im Fernsehquiz gewonnen.“
Thomas Becker (taz 7.3.) meint dazu. „Was der neue Trainer sagt, klingt schlimm: Ja, und am Samstag müssen wir schon den Blick auf Barcelona richten. Heißt das: Die Besseren von den vielen Schlechten im Abstiegskampf schonen für die Champions League? Damit es in Barcelona nicht ganz so schlimm wird? Gehts dort um irgendwas, Herr Hörster? Ich weiß noch nicht, wie ich mit diesem 1:3 umgehen muss. Ich muss mich erst mal sammeln. Morgen mehr. Das personifizierte Achselzucken, ein Bild des Jammers. Das war selbst Uli Hoeneß vor seiner Tiefschlafphase aufgefallen: Der neue Trainer scheint sein Heil in der Defensive zu suchen.““
Oliver Trust (Tsp 6.3.). “Vielleicht legt Bayer Leverkusen Protest ein. Michael Ballack, der Torschütze zum 1:0 im DFB-Pokal-Halbfinale zwischen Bayern München und Bayer Leverkusen, hatte vor seinem Kopfballtreffer gegen das Regelwerk verstoßen, ob fahrlässig oder vorsätzlich, das weiß wohl niemand. Ballack hatte sich eine weiße Radlerlegging unter seine blaue Sporthose gezogen; derartige Geschmacklosigkeiten verbieten die Gesetze des Deutschen Fußball-Bundes. „Werden Thermohosen getragen, muss ihre Farbe mit der Hauptfarbe der Hosen übereinstimmen“, heißt es da in Regel 4, Ausrüstung der Spieler. Vermutlich aber verzichtet der abstiegsbedrohte Verein auf ein Veto – zum einen, weil es wohl recht peinlich wirken würde nach dem 3:1 (1:0)-Sieg der Münchner, zum anderen, weil die Rheinländer nach dem Ausscheiden aus dem DFB-Pokal nun alle Kräfte für den Klassenverbleib bündeln wollen. Es war schnell so wie immer in den vergangenen Jahren im Olympiastadion, wenn diese beiden Vereine aufeinander trafen. „Unsere Spieler scheißen sich schon bei der Fahrt ins Stadion in die Hose“, hatte Manager Reiner Calmund einmal eine derbe, aber treffende Bezeichnung für die übertrieben respektvolle Spielweise der Leverkusener in München gefunden. Genauso agierten sie auch am Mittwoch. Nach einer recht forschen Anfangsphase überließen sie den Hausherren die Initiative, die prompt zu einigen Chancen kamen.“
1. FC Kaiserslautern – Werder Bremen 3:0
„Nichts klappt mehr bei Werder, der zweitbesten Mannschaft der Hinrunde, vieles plötzlich beim FCK, dem Tabellenletzten mit direktem Anschluss nach oben“, schreibt Ralf Wiegand (SZ 6.3.). „Die Entwicklungen beider Mannschaften sind so kurios wie einfach zu erklären. Die FCK-Profis schweißt die nackte Existenz-Angst zusammen. Die gut bezahlten Arbeitsplätze am Betzenberg – Sport-Bild legte soeben die komplette Liste der Gehälter von bis zu 185458 Euro monatlich offen – sind nur über den Klassenerhalt, besser noch: Klassenerhalt und Pokalsieg, zu retten. Neue Jobs sind in der vorsichtiger werdenden Branche rar. Der FCK ist eine Schicksalsgemeinschaft, in der sogar Plaudertasche Mario Basler sich seit Wochen so folg- wie schweigsam auf der Ersatzbank einfindet. Auf dieser Basis konnte Trainer Gerets aus einem Kader, der, klagt FCK-Boss Jäggi, von seinen Vorgängern „ohne jede Strategie“ zusammengekauft wurde, eine halbwegs funktionierende Mannschaft formen (…) Während die Kaiserslauterer nun die Tage bis zum Endspiel in Berlin zählen und „mit einer großen Euphorie“ (Christian Timm) ins nächste Abstiegs-Endspiel gegen den 1.FC Nürnberg gehen, regiert bei den Bremern die nackte Angst: Was sollen sie denn noch tun, um den Absturz aufzuhalten? „Wir müssen uns selbst den Kampf ansagen“, schlägt Trainer Thomas Schaaf vor, der erkennen muss, dass seine Elf nicht beißen kann. Wo Schaaf für solche Spiele „das Messer zwischen den Zähnen“ fordert, kauten seine Spieler auf Gänseblümchen herum. Die in der Hinrunde von der Muse geküssten Fußball- Künstler finden gegen die rauen Mittel der Überlebenskämpfer der Branche kein Mittel mehr, was die Zahlen belegen. Von den inklusive der Pokalniederlage sechs Niederlagen seit der Winterpause setzte es vier gegen Abstiegskandidaten.“
Jan Christian Müller (FR 6.3.) wundert sich über den Bremer Niedergang. “Vermutlich gehört es zum auf ewige Zeiten Unerklärbaren im Fußball, dass eine zuvor zerzauste Truppe wie die aus der Pfalz nach der Winterpause die Kurve kriegt, derweil ein bis Weihnachten vor Selbstvertrauen nur so strotzendes Team wie Werder ihre schöne, neue Welt unplanmäßig selbst zerstört. Vielleicht aber lassen sich die sonderbaren Entwicklungen schlicht damit erklären, dass der Mensch zur Selbstzufriedenheit neigt (Bremen), aber in bedrohlicher Situation ungeahnte Kräfte freizusetzen in der Lage ist (Kaiserslautern). Zumal, wenn einem plötzlich gewahr wird, dass der Arbeitsplatz aufgrund drohender Insolvenz im Abstiegsfall verloren ginge. Angesichts derart düsterer Aussichten tragen einen die Beine schon mal etwas schneller. Zudem hat Trainer Erik Gerets zweierlei erreicht: Dank seines einnehmenden, sympathischen Wesens haben sich die zwischenzeitlich geradezu angewidert abwendenden Fans wieder in alter Liebe mit dem FCK vereinigt. Und: Er hat es geschafft, seine Idee von Fußball auf die Mannschaft zu übertragen. Monatelang stellte der 1. FC Kaiserslautern unter dem Belgier Gerets auf dem Fußballplatz gelebte geballte Ratlosigkeit dar, die mit fußballspezifischer Taktik ja schon in den späten Tagen unter Andreas Brehme so rein gar nichts mehr zu tun hatte. Das ist nun vorbei. Weiter gereicht an den SV Werder Bremen.“
Roland Zorn (FAZ 6.3.) analysiert Bremer Reaktionen. „Ich bin stinksauer. Wir haben uns vorgenommen, vollen Einsatz zu zeigen. Aber es sind immer nur fünf, sechs Mann, die halten, was vorher groß angekündigt wird. (Bremens Stürmer) Markus Daun jedenfalls schlich nicht wie die anderen Bremer mut-, kraft- und lustlos zur Arbeit. Fußball ist doch unser Beruf, sagte der noch kerngesund argumentierende junge Mann, der muß uns doch Spaß machen. Von wegen. Nur Bremer Zyniker mochten sich daran ergötzen, wie Jakub Wierzchowski in seinem Tor herumhampelte und seinen Job zu persiflieren schien; und nur mit grimmigem Humor ließ sich auf Seiten Werders ertragen, wie die eigenen Spieler bei den Lauterer Treffern den Weg durch lähmende Passivität oder alarmierende Fehlpässe frei machten. Wir haben dreimal bitte gerufen, und der Gegner hat dreimal danke gesagt, faßte Trainer Thomas Schaaf die wieder einmal restlos verunglückte Vorstellung des SV Werder Bremen zusammen. Fortsetzung folgt? Zumindest nicht in der Aufstellung vom Dienstag. Am Samstag, im Heimspiel gegen den VfL Bochum, darf wieder einmal der zuletzt ähnlich wie Wierzchowski geschmähte Pascal Borel sein Glück im Tor versuchen. Werder haltlos – die Bremer Fußballfans erleben in diesen Wochen ihren ganz alltäglichen Albtraum in einer grün-weißen Horrorserie.“
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Vor dem DFB-Pokal-Halbfinale
Michael Ashelm (FAZ 4.3.) sorgt sich ein wenig um den Lauterer Torjäger. „Miroslav Klose redet nicht gern. Das war immer so und muß einem keine Sorgen machen. Der junge Stürmer ist kein Mann vieler, schon gar nicht großer Worte. Die einzige Extravaganz gönnt sich der Lauterer auf dem Platz, wenn es gut läuft für ihn, dann springt er nach einem Treffer diesen wunderbar erlösenden Salto. Ganz Deutschland kennt Kloses Dreher. Doch aus dem Senkrechtstarter, der sich in vier Jahren vom Bezirksligakicker zum umschwärmten WM-Torschützen katapultierte, ist ein einsamer Kämpfer geworden. Ein Kämpfer gegen die eigene Erfolglosigkeit, auch wenn es nach vielen Monaten des größten Pechs nun wieder ein wenig besser läuft. Gemessen wird der 24 Jahre alte Angreifer am puren Ergebnis. Tore können ein Fluch sein. Rudi Völler hat es erlebt, Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff. Keiner weiß so recht, weshalb es plötzlich nicht mehr funktioniert. Oft langt für das Lösen der Blockade ein spektakuläres Erfolgserlebnis, ein richtiges Knallerspiel. An diesem Dienstag könnten Klose und der 1. FC Kaiserslautern gemeinsam dem traurigen Alltag etwas entgegensetzen (…) Schien es im Sommer so, als habe Klose auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber die freie Auswahl, sieht es nun aus, als sei er ein schwacher Bittsteller. Der Druck auf seine Person wächst, ein nervenaufreibendes Poker im Wechselspiel könnte in den nächsten Wochen noch folgen, wenn der gebürtige Pole nicht längst schon irgendwo beim FC Bayern München, bei Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen oder Hertha BSC Berlin einen Vorvertrag unterschrieben hat.“
Zur schwierigen Lage in Bremen lesen wir von Olaf Dorow (FR 4.3.). “Fanproteste, dazu ein Interview-Verbot für die Spieler und unter der Woche versteckte Trainer-Kritik sowie eine Ohrfeige für einen Journalisten: Welch‘ eine schnelle Metamorphose vom Bayern-Jäger zum Gespött der Liga. Werder, das unbekannte Wesen. Im Großen wie im Kleinen passieren unerklärlichen Sachen. Bei der Mitgliederversammlung im November wurde ein Jahres-Minus von 3,6 Millionen Euro ausgewiesen, obwohl der Verein auf dem Transfermarkt für Pizarro, Rost und Frings rund 25 Millionen Euro einstreichen konnte. Das ist mit gedrosselten Fernseheinnahmen kaum noch zu erklären. Am Samstag trug in Leverkusen Torwart Jakub Wierzchowski eine Halbzeit lang ein falsches Trikot. Die Sponsor-Beflockung fehlte. Dies wiederfährt nun ausgerechnet einem Klub, der mehr als ein Jahr ohne Trikotwerbung auskommen musste. Das größte Rätsel jedoch bleibt die Verfassung der Mannschaft. Der anstelle des überforderten Pascal Borel zwischen den Pfosten postierte Wierzchowski hält in Leverkusen einen Elfmeter. Es hat schon Fälle gegeben, in denen ein Torwart dadurch Selbstvertrauen gewinnt. Was aber folgt? Eine Krise. Wierzchowski patzt gleich zweimal und Werder hat wieder ein Torwart-Problem. Und die Kundschaft seufzt: Wie schön waren die Zeiten, als wir nur ein Torwart-Problem hatten. Nun gesellt sich noch ein Feldspieler-Problem dazu.“
Ralf Wiegand (SZ 4.3.) schreibt dazu. „Als es noch gut lief beim SV Werder, vor ein paar Monaten, war Johan Micoud die Personifikation des Bremer Spiels. Ein intelligenter, zurückhaltender Mann, ein Schöngeist schon fast, interessiert an den Menschen, der Stadt, der neuen Kultur. Einer, der den Ball behandelt wie eine gute Flasche Wein, sanft und mit dem Gefühl für die inneren Werte. Der Franzose, hieß es, sei nicht viel schlechter als Zinedine Zidane, der berühmteste seiner kickenden Landsleute. Johan Micoud, der Weser-Zidane, brachte Spielkultur ins biedere Ensemble und auch ein bisschen Glanz. Jetzt, da es schlecht läuft bei den Bremern seit vielen Wochen, ist derselbe Johan Micoud das Sinnbild der Krise. Aus dem filigranen Franzosen scheint ein Rüpel geworden zu sein; er stänkerte öffentlich gegen seinen Trainer und rangelte nach dem Training mit einem Reporter von Bild. Auf dem Platz investiert er weniger Kraft. Dem Bremer Spiel kann er nichts mehr geben, weil nun andere Werte gefragt sind. Die Leichtigkeit, die Micouds Spiel eigen ist, lief gegen kämpferische Krisenklubs aus Nürnberg, Cottbus, Leverkusen, gegen die ambitionierten Löwen vom TSV 1860 und gegen routinierte Hamburger ins Leere – fünf Niederlagen in sechs Spielen der Rückrunde, und gegen Bielefeld gab es auch nur ein Unentschieden. „Wir haben mit dem Hammer in die Porzellankiste gehauen“, sagt Jürgen Born, der Vorsitzende des Vereins, „sogar mit der Abrissbirne.“ Nun liegt nicht nur die Saison in Scherben, auch die zart modellierte Büste des Künstlers Micoud ging zu Bruch.“
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Sanierungskonzept des 1. FC Kaiserslautern
Zu dem zwischen Land, Stadt, Banken und Verein vereinbarten Sanierungskonzept des 1. FC Kaiserslautern bemerkt Michael Ashelm (FAZ 28.2.). „Klappt also bei allen Schwierigkeiten doch noch das unmöglich Erscheinende, werden sich die Protagonisten jubelnd in den Armen liegen. Ein Pyrrhussieg: Denn am Ende sind wieder irgendwo Millionen Euro an Steuergeldern für den Erhalt einer fehlgeleiteten Unternehmung verpraßt worden, was Politiker vor einigen Wochen noch so vehement ausgeschlossen hatten. Der Fall Kaiserslautern bleibt auch jetzt ein trauriges Kapitel.“
„Cottbus’ Trainer Eduard Geyer gönnt seinen Spielern mehr Freiheit und hat damit unerwarteten Erfolg“, schreibt Christian Ewers (FTD 28.2.). „Am Samstag gastiert der Tabellenführer in Cottbus – für den ärmsten Verein der ersten Bundesliga ist es das Spiel des Jahres. Das Stadion wurde eigens um eine zusätzliche Stehtribüne erweitert; jetzt finden mehr als 18.000 Zuschauer Platz. Krein sagt: „Hauptsache, es wird ein schönes Spiel für die Fans. Wir müssen gegen den FC Bayern nicht gewinnen. Ich hoffe nur, dass wir weiterhin das spielen, was wir auch können.“ Darin hatte das große Problem der Hinrunde bestanden. Die Mannschaft wusste nicht, wie sie spielen sollte. Die Ratlosigkeit begann schon in der Abwehr, bei den Manndeckern: Wohin bloß mit dem Ball? Meist wurde er aus purer Angst vor einem Gegentor nach vorn gedroschen – eine Idee vom Spiel, ein geordneter Aufbau war selten zu erkennen gewesen. So konfus sich die Situation auf dem Rasen darstellte, so wirr war sie auch auf der Ersatzbank. Zwischenzeitlich standen 32 Spieler im Kader. Der Frust der Reservisten war groß; es wurden Intrigen gesponnen und Cliquen gebildet. Erst in der Winterpause räumte Manager Klaus Stabach auf und trennte sich von sieben Spielern. „Es war höchste Zeit für einen Reinigungsprozess gewesen“, sagt Stabach. „Heute gibt uns der Erfolg Recht: Wenn man die Leistung eines Teams steigern will, muss man Erbhöfe auflösen. Ein bisschen Anarchie tut gut“, sagt der Manager. Tatsächlich ist die neue Freiheit der von Trainer Eduard Geyer mitunter autoritär geführten Mannschaft gut bekommen. Das Machtvakuum füllte sich schnell. Junge Spieler wie Silvio Schröter und Timo Rost übernahmen Verantwortung; Reservisten wie der US-Amerikaner Gregg Berhalter und Torwart André Lenz wurden zu Leistungsträgern. Vor allem André Lenz machte binnen weniger Wochen eine erstaunliche Entwicklung durch. Er stieg zum Kapitän auf und ist der neue Wortführer der Mannschaft. Sein Wort hat großes Gewicht – auch beim Trainer.“
Markus Schäflein (SZ 26.2.) schreibt über die Geldstrafe für Michael Ballack. „Ottmar Hitzfeld stand in den Strahlen der ersten Frühlingssonne, blickte auf den Rasen und fixierte den Ball. Es schien, als wolle sich der Trainer überzeugen, ob das Spielgerät noch rund sei. Schließlich hat sich in seiner Wahrnehmung vieles im Fußballgeschäft verändert, und das meiste davon gefällt ihm nicht. „Es ist anscheinend Mode geworden, dass die Spieler öffentlich jammern“, jammerte der Trainer unlängst. So gesehen lag Michael Ballack voll im Trend, als er sich nach dem Spiel gegen Nürnberg über seine defensive Rolle beim FC Bayern beklagte. „Man kann natürlich nicht dulden, dass Spieler öffentlich eine Position fordern“, sagte Hitzfeld nach dem Training am Dienstag, „und deswegen hat Ballack auch eine Strafe zu bezahlen, die höher ist als die von Pizarro.“ Es ist mittlerweile schwer, in der Geldstrafen-Historie des FC Bayern den Überblick zu behalten. Denn Hitzfeld hat auf den Trend zum Jammern mit dem Trend zur Geldstrafe reagiert. Zur Erinnerung: Während des Trainingslagers im Winter hatte Stürmer Claudio Pizarro in einem Interview die Taktik kritisiert und einen Stammplatz gefordert. Das kostete ihn 10.000 Euro. Ballack muss jetzt für ein eher leichtes Vergehen mehr bezahlen, schätzungsweise rund 20.000 Euro. „Ich möchte nämlich nicht berechenbar sein. Sonst weiß jeder vorher schon, welchen Betrag man bezahlen muss, wenn man Kritik übt“, sagt Hitzfeld. Man stelle sich vor: Ein Bayern-Profi sitzt in der Küche, berechnet sein Haushaltsgeld und überlegt, ob es für ein kritisches Interview reicht, wenn er diesen Monat mal bei Aldi einkauft.“
Zur Situation in Wolfsburg liest man von Jörg Marwedel (SZ 26.2.). „ausgerechnet in jener Phase, da der VfL zum Sprung in internationale Sphären ansetzen wollte und einen Fußballlehrer entsprechender Reputation sucht, geben die Wolfsburger nicht nur auf dem Rasen ein Bild ab, das so gar nicht zu den Ambitionen des Klubs passt, den Volkswagen zum europäischen Werbeträger ausbauen will. Zuletzt hat der zunehmend heftig in die Kritik geratene Trainer Wolf dem Vorstand „amateurhaftes Verhalten“ vorgeworfen. Der Aufsichtsrats-Vize Wolfgang Heitmann sorgte sich wiederum, die desolaten Auftritte des Teams könnten „zehn Jahre Aufbauarbeit vernichten“. Und weil diese und andere Scharmützel offen auf dem Marktplatz ausgetragen werden, ist vor allem ein Mann fas-sungslos: Kurt Rippholz, 49. Bis vor kurzem war der Diplom-Volkswirt Leiter der Konzernkommunikation bei VW und es gewohnt, das öffentliche Bild des Unternehmens mit offiziellen Verlautbarungen zu steuern. Interna und Personaldebatten drangen kaum nach draußen. Jetzt ist er Pressechef beim VfL und lernt gerade, dass die Uhren im Fußballgeschäft ganz anders ticken. Einem Don Quichotte gleich müht sich Rippholz etwa, Spekulationen über eine vorzeitige Demission des Trainers Wolf zu ersticken oder internen Zwist per Pressedekret für nicht existent zu erklären. Wie unlängst jene handfeste Auseinandersetzung zwischen dem inzwischen abgesetzten Kapitän Miroslav Karhan und dessen Nachfolger Stefan Effenberg. Doch leider fand auch dieses Duell nicht hinter verschlossenen Türen statt, sondern auf dem Trainingsplatz. Dort lässt sich nicht verheimlichen, was die Fans im Stadion ohnehin sehen können – dass der Teamgeist nachhaltig gestört ist. Der Frust unter den VfL-Profis zeigte sich nicht nur in der schwachen Punkteausbeute, sondern zuletzt auch in vier Platzverweisen binnen einer Woche – Rekord in 40 Jahren Bundesliga. Man landet auch bei jenem Mann, der den Aufbruch ins gehobene Fußball-Showbiz anführen sollte – eben Effenberg, 34. Statt sich hinter dem machtbewussten Anführer zu scharen, hat sich das Team inzwischen in mindestens zwei Lager gespalten – in Effenberg-Jünger wie Stefan Schnoor und in Karhan- Anhänger wie Dorinel Munteanu. Seitdem der einstige Bayern-Star nach gutem Start auf dem Rasen rapide nachlässt, wächst der heimliche Groll auf den Chef des „Aquariums“, wie ein Spötter die ziemlich stumme Ansammlung der VfL-Profis nennt. Plötzlich werden Effenbergs diverse Sonderrechte zum Thema – sein Schuhvertrag mit adidas, seine Tätigkeit als Kommentator der Champions League bei RTL, sein längerer Winterurlaub oder die Heimfahrten von Auswärtsspielen im Privat-Pkw mit Freundin Claudia Strunz.“
Moritz Küpper (FR 27.2.) vermeldet die Insolvenz von Fortuna Köln. „Noch wichtiger als die Geschichte ist aber der soziale Auftrag des Vereins. Über 500 Jugendliche aus 28 Nationen spielen bei Fortuna Köln. Der Verein hat damit die größte Jugendabteilung in Deutschland. Es ist wichtig, dass die Jungs dreimal in der Woche von der Straße kommen, sagt Vorstandssprecher Johannes Böhne. Die Umgebung um den Verein gilt als sozialer Brennpunkt. Mit dem Untergang des Vereins wäre auch die Zukunft der Fortuna-Jugend ungewiss. Mit dem Abstieg aus der zweiten Liga 2001 begannen die Probleme. Dabei hatte Fortuna vorher noch groß rauskommen wollen. Die damalige Führungsmannschaft um Trainer Toni Schumacher wollte Fortuna in die Bundesliga führen. Die Ursachen für die heutige Krise kommen noch aus dieser Zeit, sagt Krapp, damals ist viel kaputt gemacht worden. Das sah schließlich auch Fortunas Mäzen Jean Löring ein und schmiss Schumacher medienwirksam in der Halbzeit eines Zweitligaspiels raus. Kurze Zeit später war auch für Löring nach 35 Jahren Fortuna Köln Schluss. Nach dem Abstieg und dem ersten Insolvenzverfahren konnte er die finanziellen Verluste von minge Vereinche nicht mehr auffangen. Er zog sich in die Eifel zurück, hängt aber noch immer an der Fortuna. Löring lässt sich detailliert von den Spielen berichten, berichtet Böhne. Selbst greift er aber nicht ein. Und so erfuhr der ehemalige Mäzen auch nur per Telefon von den Aktionen, die sein Verein nun zur Rettung ergriffen hat. 360.000 Euro müssen aufgebracht werden, um den Spielbetrieb bis zum Saisonende zu garantieren. Die Fortuna-Verantwortlichen haben deswegen mit Fans und Freunden des Vereins einen Spendenmarathon ins Leben gerufen. Zahlreiche Aktionen sollen das nötige Geld zusammenbringen: Neben Benefizkonzerten, einem Golfturnier und Talkrunden gibt es auch zahlreiche Sammelaktionen. Ein Frisör führt von jedem Haarschnitt zwei Euro an den Club ab. Ein Teilziel ist erreicht, der erste Stichtag, Karnevalsfreitag, kann um einen Monat verschoben werden, wenn Fortuna bis dahin 60.000 Euro auf das Konto des Insolvenzverwalters überweist.“
Christian Eichler (FAZ 26.2.) verfolgt die Gewaltdiskussion in Italien. „Neu ist vor allem, daß die Schuldigen nicht mehr allein im Block der maskierten Schläger gesucht werden. Clarence Seedorf, der vor dem Spielabbruch zwei Tore für Mailand schoß, macht Spieler, Funktionäre, vor allem aber die Polemik der Sportpresse mitverantwortlich für die Brutalisierung. Der Niederländer sieht einen Zusammenhang der radikalen Veränderungen von Fans und Medien: Wenn ein Blatt früher glaubhaft war, besteht es heute zu 90 Prozent aus Lügen. Die ganze Woche lese man nur von Streit und Verschwörungen, ein endloses Anheizen von Kontroversen, und das setzt sich ins Stadion fort. Wahrscheinlich bezahlen wir für unsere Sünden, räumt Liga-Präsident Adriano Galliani ein. Er meint vor allem die wochenlangen, bitterbösen Auseinandersetzungen über Elfmeter oder angebliche Benachteiligungen, die zum Haß in den Stadien beitrügen. Selbstkritisch zeigt sich auch Attilio Romero, der Präsident des AC Turin, und beklagt den Kult der Verschwörungen. Eine typische Verschwörungstheorie hatte kurz vor Weihnachten Enrico Preziosi, der Präsident des Tabellenletzten Como, entwickelt, als er Schiedsrichter als mafiose Bande hinstellte. Anschließend verwüsteten Como-Fans das Stadion nach einem Elfmeter für Udine. Neben dem finanziellen Ruin droht Italiens Fußball ein Totentanz der Gewalt – besonders dort, wo den Geldproblemen der finanzielle Abstieg folgt. In den unteren Ligen ist die Eskalation weit fortgeschritten. Anfang Dezember wurde der Kapitän des Zweitligaklubs SSC Neapel, Francesco Baldini, in seinem Auto attackiert. Im Januar lief ein Anhänger Cagliaris aufs Feld und verletzte den Torwart von AC Messina, Emanuele Manitta. Im Spitzenspiel der Serie B letztes Wochenende zwischen Ancona und Vicenza wurde ein Sprengkörper, dessen Bauanleitung, wie die Neue Zürcher Zeitung berichtete, im Internet von Ultras verbreitet wurde, aufs Spielfeld geschleudert. Zwei Spieler und ein Linienrichter blieben nur unverletzt, weil sie sich rechtzeitig zu Boden warfen. Die Zahl der verletzten Zuschauer (bisher 214) und Polizisten (562) in Serie A und B hat sich gegenüber der letzten Saison verdoppelt und verdreifacht. Auch in Amateur- und Jugendligen werden mitunter Hunderte Partien wegen Gewalt auf Spielfeld und Rängen abgesagt oder abgebrochen. All das klingt nach Berichten von einem Bürgerkrieg – einem, der nur in Italien stattfindet. Der Rest Europas hat spätestens seit der glimpflichen EM 2000 das Interesse an den Hooligans verloren, die nur noch als beherrschbare Aufgabe der polizeilichen Überwachung gelten. In Italien aber sitzt das Problem offenbar tiefer: Es kommt nicht aus der sozialen Schmuddelecke des Fußballs, sondern aus der satten Mitte einer Gesellschaft, die den Sieg vergöttert und das Spiel vergißt.“
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Laufverhalten von Referees
Andreas Platthaus (FAS 26.5.) über Laufverhalten von Referees. „In der Bezirksliga marschiert der Schiedsrichter während 55 Prozent der Spielzeit, ohne zu laufen; der Bundesliga-Referee hingegen bewegt sich gerade mal 23 Prozent schreitend. Er läuft und läuft – zehn Minuten sogar rückwärts. Bezirksliga-Schiedsrichter verwenden darauf gerade einmal fünfzig Sekunden.“
Das britische Wissenschaftsmagazin New Scientist (2343) hat festgestellt, dass das Gebrüll von Fußballfans die Entscheidungen des Schiedsrichters beeinflussen kann. Wie die FAZ (10.5.) berichtet hat der Brite Alan Nevill Schiedsrichterprobanden ein Video mit Fouls vorgespielt. „Die Hälfte der Probanden hörte dabei die Stadiongeräusche, die andere Hälfte sah das Bild ohne Ton. Das Ergebnis: War der Ton zu hören, hielten die Schiedsrichter von den Attacken der Heimmannschaft fünfzehn Prozent weniger für illegal, als es die Probanden der Gruppe ohne Geräuschkulisse taten.“
Jan Schweitzer (FAS 26.5.) über den Einfluss von Kopfbällen auf die geistige Fähigkeit. „Niederländische Forscher zeigten in einer Studie einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Kopfbälle von Erstligaspielern und ihrer Gedächtnisleistung. Kurz gefasst lautet das Ergebnis: Je öfter, desto schlechter. Aber das können Fußballer schnell wieder vergessen. Denn Untersuchungen aus den Vereinigten Staaten konnten bisher keinen schädlichen Einfluss von Kopfbällen nachweisen. Wofür aber auch der Balltyp verantwortlich ist, mit dem die Amerikaner spielen. Je weicher und leichter der Ball, desto unwahrscheinlicher sind Schäden.“
Eva von Schaper (FAS 26.5.) über Motivation. „Eine Niederlage kann eine Mannschaft im nächsten Spiel zu einem Sieg anspornen. Die Psychologie hat einen eigenen Namen dafür: Reaktanzkonzept oder „Jetzt erst Recht“. „Das motiviert die Spieler ungeheuer“, sagt der Kieler Sportpsychologe Manfred Wegner.“
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Das Glück war ein Fohlen
Borussia Mönchengladbach – 1. FC Köln 1:0
Bernd Müllender (FR 5.8.) sah ein ausgeglichenes Spiel. „Oft schon ist es in diesem komischen Fußballsport vorgekommen, dass die einen sich umständlich mühen, viele Fehler machen und auch noch dafür belohnt werden. Und die anderen flotter, spielstärker, gefährlicher sind, zudem defensiv wohlgeordnet, um am Ende doch wort- und erfolglos den Bus zu besteigen. Insofern war Borussias 1:0 gegen den Nachbarschaftsrivalen 1. FC Köln ein ganz normales Spiel. Selten war es berechtigter, den großen Denker Jürgen Wegmann aus Essen-Katernberg zu zitieren, dessen Erkenntnis fälschlicherweise immer als dümmliche Sottise unterschätzt wurde: Erst fehlte das Glück und dann kam auch noch Pech hinzu. Und das sogar doppelt für den FC, denn das einzige Tor war von besonders perfider Gemeinheit. In Minute 62, als schon die ersten Gedanken auftauchten, dass beide bald hitzebedingt auf doppelte Doppelnullsicherung umschalten könnten, kam der überragende Moses Sichone einen Moment zu spät gegen den durchstartenden Marcel Ketelaer: Rot. Fürs Tor zum anschließenden indirekten Freistoß brauchten die Borussen eine eigene Ballberührung; die Flanke von Korzynietz köpfte der Kölner Matthias Scherz ins eigene Tor. Ewald Lienen muss einen Papst in der Tasche gehabt haben, witzelte gestern in der ersten Schnellanalyse die Aachener Zeitung, auch wenn das bei seiner politischen Vergangenheit schwer vorstellbar ist. Die wahren Gründe sind weltlicher: Das Glück war ein Fohlen. Außenbahnwirbler Ketelaer: Ein bisschen glücklich, nicht berühmt gewonnen. Marcelo Pletsch, der robuste Defensiv-Brasilianer: Einfach Glück. Der filigranfreie Pletsch hatte sich im Übrigen für das angebliche und in Gladbach viel beschmunzelte Interesse des FC Barcelona mit einer umjubelten Fallrückzieher-Rückgabe zum eigenen Torwart bedankt, womit der einzige Brasilianer, der nicht Fußball spielen kann (ExTrainer Hans Meyer) bewies, dass an der Vererbungslehre doch was dran sein muss.“
Rezeptkicken
In der taz (5.8.) liest man. „Lienens Elf spielt nach dem Motto: Fehler sind dazu da, wieder gutgemacht zu werden. Ansehnlicher Fußball ist von dieser Borussia allerdings kaum zu erwarten. Leute wie Strasser, Pletsch, auch Neuerwerbung Pascal Ojigwe (Lienens Lieblingsspieler) und vor allem Asanin, also Borussias gesamter Defensivbereich, werden in ihrer Karriere nicht mehr lernen, ein Spiel zu eröffnen und nach vorn Akzente zu setzen. Sie sind froh, gröbste Stolpereinlagen zu vermeiden. Herauskommt das Gegenteil des Gladbacher Vergangenheitsfußballs. Statt flitzigem Konterspiel und Kombinationen zum Zungeschnalzen gibt es Rezeptkicken. Wenn diese Mannschaft allerdings erst mal in Rückstand gerät, ist es vermutlich schnell mit der Heimstärke vorbei. Und dann gibt es womöglich, mit diesem ziemlich ungeduldigen Publikum, einiges an Problemen in dieser Saison (…) Es war das letzte Derby im alten Stadion. Nächstes Mal geht es in den Sportpark im Nordpark. Bye bye Bökelberg, steht an der Anzeigetafel spielbegleitend, noch 17 Mal mitfiebern. Allerdings ohne die Bild-Zeitung als Sponsor. Borussias Mitgliederversammlung hatte im Sommer nach hitziger Debatte beantragt, das Blatt nach der Schmutzkampagne gegen Extrainer Hans Maier von der Anzeigetafel zu verbannen und den Vertrag fristlos zu kündigen. Der Club handelte entsprechend. In aller Sinne: Vor dem Boulevard hat auch Ewald Lienen wenig Respekt.“
Richard Leipold (FAZ 5.8.) beschreibt die Defizite beim Sieger-Team. “Dank des kuriosen Eigentores beeinflußten die teils gravierenden Mängel im Gladbacher Spielaufbau den Ausgang der Partie letztlich nicht, auch wenn mancher Borussen-Fan mit einem deutlicheren Ergebnis gerechnet hatte. In der ersten Sonntagsfrage der neuen Saison sei es ja nur noch um die Höhe des Sieges gegangen, sagte Ketelaer. Diese Art der spekulativen Vorfreude ist nicht ungewöhnlich vor einem Treffen dieser beiden rheinischen Rivalen. So tief die meisten Borussen den Nachbarn verabscheuen mögen: Sie begrüßen die Rückkunft der Kölner in der ersten Liga ausdrücklich – schon aus statistischen Gründen. Gladbacher Siege haben Tradition; unter Fans wird die Kölner Ligazugehörigkeit im Überschwang mit sechs sicheren Punkten gleichgesetzt. Aus 69 Derbys gingen die Kölner nur achtzehnmal als Gewinner hervor. Mit dieser Tradition wollten die Gladbacher gerade in diesem Spiel nicht brechen, nicht im letzten Derby auf dem alten Bökelberg, der nach dieser Saison als Heimstatt der Borussia ausgedient hat. Zum Abschied schlugen die Kölner sich selbst an diesem geschichtsträchtigen Ort in einem unspektakulären Spiel; aus eigener Kraft wäre die Heimmannschaft nicht in der Lage gewesen, den FC zum fünftenmal nacheinander zu Hause zu bezwingen.“
Hansa Rostock – VfB Stuttgart 0:2
Thomas Kilchenstein (FR 5.8.) versetzt sich in den Mann des Tages: Imre Szabics, zweifacher Torschüze. „Das ist jetzt wieder eine der Geschichten, von denen Jungs ab der fünften Schulstunde träumen, wenn draußen die Sonne von Himmel brennt und der doofe Pauker mit binomischen Formeln langweilt: Beim Lieblingsverein auf der Ersatzbank sitzen, dann vom Trainer das Vertrauen erhalten, eingewechselt werden und gleich zwei entscheidende Tore schießen. Und das alles binnen 60 Sekunden. Imre Szabics ist das gelungen. Es ist jetzt nicht bekannt, ob der kleine Imre, damals in der Penne in Szeged, einer 177 000-Einwohner-Stadt tief im Süden Ungarns, zudem verschwistert mit Darmstadt, davon geträumt hat. Wahrscheinlich, denn alle Fußball spielenden Jungs haben diesen Traum: reinkommen, Tore schießen (…) Beide Male hat an diesem heißen Sonntag im Ostseestadion übrigens der Ex-Frankfurter Horst Heldt die Vorarbeit geleistet. Ohnehin war Heldt überragender Mann beim VfB, der – ein wenig überraschend – anstelle von Aliaksandr Hleb für die Rolle des Balakow-Nachfolgers nominiert worden war. Hintergrund für Hlebs Zwangspause ist möglicherweise dessen Eigensinn während der Vorbereitung. Magath war negativ aufgefallen, dass sich manche mit übertriebenen Einzelaktionen in den Vordergrund spielen wollten und hatte fehlende mannschaftliche Geschlossenheit moniert. Heldt indes gilt als Teamplayer. Und er hat noch einen Vorteil: Er spielte lange gemeinsam mit Imre Szabics bei Sturm Graz.“
Wir sind dafür da, die Nation mit gutem Fußball zu unterhalten
Javier Cáceres (SZ 5.8.) teilt dazu mit. „Binnen 120 Sekunden traf er zweimal: In der 75. per Kopf, in der 76. schloss er einen Konter mit einem Schuss ins leere Tor ab, nachdem er den von der eigenen Abwehr verratenen Hansa-Torwart Schober am Strafraum ausgespielt hatte. Ein vor allem in der ersten Halbzeit kurzweiliges und auch lange Zeit „ausgeglichenes Spiel“ (Hansa-Trainer Veh) war damit entschieden. Dass Veh seine Abwehr der Kollaboration zieh, war durch die Faktenlage gedeckt. Dass er namentlich die Zentralverteidiger Hill und Kientz erwähnte erzürnte vor allem Kientz – hängt aber wohl auch damit zusammen, dass Veh es für „nötig“ erachtet, „personell nachzulegen“. Als „Grüße nach Graz“ empfand gestern die dort ansässige Kleine Zeitung den „Doppelpack“ des Ungarn Szabics, der Stuttgart wieder dort anknüpfen ließ, wo man vergangene Saison aufgehört hatte (Magath: „Wir sind dafür da, die Nation mit gutem Fußball zu unterhalten“). Vier Jahre lang hatte Szabics dem SK Sturm Graz angehört, zuvor hatte er in seiner ersten Erstligasaison für Ferencvaros Budapest zwölf Treffer in 24 Spielen erzielt – als 17-Jähriger. In der vergangenen Spielzeit erzielte er für Graz elf Treffer in der österreichischen Liga und vier weitere im Uefa-Cup; in der ungarischen A-Elf stehen drei Einsätze und fünf Tore zu Buche. „Er ist für sein Alter vor dem Tor unglaublich abgeklärt“, sagte gestern der frühere deutsche Nationalspieler Franco Foda, in der vergangenen Saison Trainer beim SK Sturm (und nun Koordinator der Nachwuchsabteilung). „Er ist schnell und geht gut in die Tiefe – in die Zone, wo es weh tut“, nur im Defensivverhalten und im Kopfballspiel sei noch Steigerungspotenzial. „Das wird ihm der Magath schon noch beibringen“, sagte Foda. Zumal er Szabics als einen „sehr umgänglichen und netten Typen“ einschätzt, „der sachlich analysiert, gut zuhören kann – und vor allem lernen will“. Am 6.Mai dieses Jahres wurde Szabics in Graz dennoch suspendiert (Foda: „Nicht von mir!“). Sturms schillernder Kluboberst Hannes Kartning hatte den Ungarn dafür abgestraft, dass er nach einer Verletzungspause ein Länderspiel bestritten hatte. „Danach wollten sie meinen Vertrag verlängern. Ich hab’ nein gesagt. Und dann haben sie mich entlassen“, sagte Szabics. Eigentlich sollte er im Sommer nach Nürnberg wechseln, die Abendzeitung hatte ihn schon „Dr. Tor“ getauft, weil er an der Fern-Uni Jura studiert und promovieren möchte. Doch der bereits unterzeichnete Vertrag mit den Franken galt nur für die Erste Liga. Nürnberg stieg ab, und Magath, der zurzeit wohl kenntnisreichste Wühltisch-Experte des Fußball-Marktes, trug dem ablösefreien Ungarn neuerlich ein Angebot vor.“
Rückblick aufs Revierderby
Martin Hägele (NZZ 5.8.) lässt das Spitzenspiel vom vergangenen Wochenende Revue passieren. „Früher war es das wichtigste Bundesligaspiel des Jahres gewesen. Und wenn Borussia Dortmund diese Derbys gegen Schalke 04 jeweils verlor, ging es darum, die Schmach in derselben Saison mit dem Meistertitel halbwegs vergessen zu machen. Eine Niederlage von Schwarz-Gelb gegen Königsblau wurde rund um das Westfalenstadion als unerträglich empfunden. Die ungeschriebenen Gesetze im Revier, wie das ehemalige Kohleviertel immer noch heisst, waren auch dem neuen Trainer von Schalke 04 bekannt – obwohl Jupp Heynckes über acht Jahre aus der Bundesliga in die Primera División verschwunden war. „In Spanien hätte man die Partie Real Madrid gegen den FC Barcelona frühestens am siebenten oder achten Spieltag angesetzt“, monierte Heynckes vor dem Ruhrpott-Schlager, „nirgendwo in der Welt gibt es das Saison-Highlight gleich zur Premiere.“ Hier denkt der international versierte Trainer etwas gar stark in lokalen Dimensionen. Nach dem jüngsten Lokalkampf zwischen den zwei grössten Klubs entlang der Bundesstrasse 1 muss man allerdings sagen, dass es vielleicht ganz gut war, dass der erste Saisonhöhepunkt nun schon Geschichte ist. Mit dem 2:2 können nämlich beide Teams sehr gut leben. Ein Unentschieden hält Emotionen tiefer, als wenn nun die Schalker dem vermeintlich reicheren Nachbarn über Wochen und Monate hinweg ein schadenfrohes „Verlierer“ nachgebrüllt hätten (…) In der „Arena Auf Schalke“ ist zur Saisonpremiere ein neuer Held auf die Welt gekommen: einer, der rennen kann wie Andreas Möller und „der schiesst wie der junge Lothar Matthäus“. So jedenfalls hat sich Heynckes, der den deutschen Rekordinternationalen einst entdeckt hatte, fast ein Vierteljahrhundert zurückerinnert. Anders aber als Matthäus und Möller wird der neue Liebling von S04 noch nicht von einem Agenten mit dem Beinamen „schwarzer Abt“ gemanagt, und er jagt nach Dienstschluss auch nicht mit Trinkkumpanen und Groupies durch die Szene. Hamit Altintop, der vom Drittligaklub Wattenscheid gekommen war – sein Zwillingsbruder Halil schloss sich dem 1.FC Kaiserslautern an –, hat den Abend nach seinem grossen Auftritt mit seiner Mutter verbracht, in deren Mietwohnung nicht weit weg vom Gelsenkirchener Hauptbahnhof, wo die beiden Talente auch geboren und aufgewachsen sind. Nur den Scouts des türkischen Verbandes sind die Altintop-Brüder nicht entgangen – sie hatten den Nachwuchs rechtzeitig entdeckt und schon in ihrer U-21-Auswahl integriert. Dass sich Hamit Altintop auch noch gleich zum Land seiner Väter bekannt hat („die Emotionen im Fussball schlagen dort höher als in Deutschland“), war ein sehr weiser Entscheid. Womöglich hätten die Boulevardblätter sonst einen Kulturkrieg angezettelt beim Versuch, den Distanzschützen für das Kader von Teamchef Völler zu akquirieren.“
Im gestrigen Newsletter zitierten wir Wolfgang Hettfleisch (FR), der wiederum Waldemar Hartmann (ARD) zitierte: “Mutter aller Fragen an Jupp Heynckes: ‘Wann soll’s denn richtig jucken auf Schalke?’”
Freistößler David Kluge korrigiert zu recht: “Ich meine, statt jucken JUPPEN verstanden zu haben!”
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Auftritt Christoph Daums im ZDF
Über den Auftritt Christoph Daums im ZDF schreibt Christoph Biermann (SZ 20.5.). „Es muss der Moment gewesen sein, nach dem sich Christoph Daum, 49, lange gesehnt hatte. Ovationen bekam der Trainer am Samstag bei seinem Auftritt im Sportstudio und fühlte sich gleich zu knalligen Populismen inspiriert. „Ich bin einer aus dem Volk für das Volk“, sagte Daum, und das Studio-Volk raste erneut. Knapp drei Jahre nach seinem positiven Kokain-Test scheint das deutsche Fußballpublikum den ehemaligen Trainer von Bayer Leverkusen wieder aufgenommen zu haben. Das zeigten schon in der Vorwoche die hohen Zustimmungswerte bei den Fans von Schalke 04, deren Favorit Daum für den Trainerjob ist. Auch Franz Beckenbauer erteilte ihm Absolution, als er davon sprach, dass Daums Rückkehr „fantastisch für die Bundesliga“ wäre. Dieser Meinung ist auch Beckenbauers Wegbegleiter Bild – die größte Boulevardzeitung arbeitet seit Tagen entschlossen in dieser Sache. Wurde zunächst vor allem Schalkes Manager Rudi Assauer unter Druck gesetzt, ist die Option nun erweitert worden. „Schalke und Hertha: Die blau-weißen Trottel – Wer holt Daum?“, hieß es gestern. „Daum ist ohne Zweifel einer der besten Trainer in Europa“, sagte Reiner Calmund gestern, „doch ob die Zeit schon reif ist, nach Deutschland zurückzukehren, muss er selbst entscheiden.“ Da kann man beim Leverkusener Manager unschwer durchhören, dass die Zeit aus seiner Sicht noch nicht reif ist. Das scheint auch Daum zu ahnen, der dem Klatschmarsch des Studiopublikums allein nicht traut. Eifrig hat er sich in den letzten Tagen bei einigen Großen des Geschäfts erkundigt, doch ein einhelliges Meinungsbild hat das nicht ergeben.“
Mit Hinblick auf mangelnde Attraktivität der Liga begrüßt Thomas Kistner (SZ 20.5.) die Reformvorschläge seitens der DFL. „Vernünftig ist es, überdies höchste Zeit, wenn nun die Verwaltung des deutschen Fußballs ein paar Gedanken anstellt zur Werterhaltung der Produktpalette. Immerhin befindet sich das Gewerbe im freien Fall, die Zukunft sieht zappenduster aus. Die laufenden Verhandlungen über die Bundesliga-Fernsehrechte für die kommende Saison sind meilenweit davon entfernt, dem Profifußball die bisher gewohnten Erträge einzuspielen, womit das Undenkbare eingetreten ist: Der Goldesel hat Verstopfung. Weil das Krankheitsbild chronisch ist, muss man sich nun selbst was einfallen lassen. Es hat auch schon einigen Aktionismus gegeben im Angesicht der neuen Notlage. Doch nach allerlei angestaubten Überlegungen zur Wiedereinführung von Relegationsspielen oder sogar zu Endspielen um die Deutsche Meisterschaft liegt nun ein Vorschlag auf dem Tisch, der des Nachdenkens wert erscheint. Den Liga-Cup in einen flotten Pokalbewerb zur Saisoneröffnung umzumodeln, ließe sich relativ schnell und unbürokratisch machen. Alle dürften teilnehmen, alle profitieren – ein bislang unansehnlicher Nebenerwerbsquell für ein paar Spitzenteams der Branche könnte so in ein kleines Solidarstück verwandelt werden. Das brächte einige Millionen zusätzlich vom Fernsehen, und zeigt vor allem: Sie wollen künftig mehr tun als die Hand aufhalten. Fatal wäre nur, wenn mit all dem gewisse Zeitsignale übertönt und die Krisenlage verschleiert werden soll: Grundübel sind (und bleiben vorerst) die Spielergehälter.“
Friedhard Teuffel (FAZ 20.5.). „Endspielzeit in der Bundesliga ist auch Prämienzeit, und dabei ist noch längst nicht alles ausgereizt. Auf jeden Fall müßten in der nächsten Woche wieder einige Speditionen Anrufe entgegennehmen für ganze Lkw-Ladungen voll Bier, Sekt oder sogar Champagner. Alkohol ist immer noch die häufigste Form, mit der sich Fußballvereine bei anderen dafür bedanken, daß sie nicht schon vorzeitig in Urlaub gegangen sind. Es ist jedoch in letzter Zeit der Verdacht entstanden, daß der viele Alkohol nicht nur als Belohnung gedacht ist, sondern zugleich den Konkurrenten schwächen soll für die ersten Spiele der nächsten Saison. Außerdem hat der Trick mit der Belohnung etwas an Zauber verloren, weil einige Versprechungen nicht eingehalten worden sind. Gerade Hertha BSC hatte vor einiger Zeit die Teilnahme an der Zwischenrunde der Champions League nur einem Sieg von Galatasaray Istanbul gegen den AC Mailand zu verdanken. Daraufhin lobte Hertha die deutsch-türkische Freundschaft und gelobte, sich erkenntlich zu zeigen. Es kam nur leider nie etwas an. Die Fans der Frankfurter Eintracht befürchteten wohl, daß Nachlässigkeit bei den Prämien bestraft wird, und lieferten die Belohnung schon in der laufenden Saison ab: 250 Liter Ebbelwei für den LR Ahlen, der vor einer Woche den Konkurrenten FSV Mainz 05 in letzter Minute noch besiegt hatte. Zwei Regeln gelten also beim Spiel mit den Belohnungen: Ihre Wirkung steigt mit der Glaubwürdigkeit des Vereins und mit der Originalität der Prämie. In dieser Hinsicht hat Hertha BSC ein altes Versprechen eingelöst. Vor drei Jahren hatte der schon abgestiegene DSC Arminia Bielefeld mit Trainer Hermann Gerland nach 0:3-Rückstand gegen den VfB Stuttgart noch ein 3:3 erkämpft. Der Lohn für Hertha: ein Platz im Uefa-Pokal. Der Lohn von Hertha: eine Wagenladung Heu für Pferdezüchter Gerland.“
Ballschrank
Bei unserem Image lachen die Leute doch nur höhnisch
Wolfgang Brück (FR 9.5.) meldet die Finanznot Waldhof Mannheims. „Vergangene Woche wurde in der Geschäftsstelle des SV Waldhof Mannheim eingebrochen. Offenbar wussten die Täter nichts vom Sprichwort, wonach man einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen kann. Zwei Computer wurden hinterher beim wirtschaftlich stark angeschlagenen Letzten der zweiten Fußball-Bundesliga vermisst, die Fan-Artikel blieben indes unberührt. Wenigstens das erstaunt nicht. In Mannheim interessiert das Schicksal des Traditionsvereins nur noch mäßig. Beim 2:1 am Sonntag gegen Aachen, dem ersten Erfolgserlebnis nach sieben sieglosen Spielen, waren nur noch 3.400 Zuschauer im Carl-Benz-Stadion. Wenn Vizepräsident Gerhard Simeth auf einen Spendenaufruf in der Bevölkerung verzichtet, um die noch fehlenden 700.000 Euro für die Regionalliga-Lizenz zusammenzukratzen, ist das nur realistisch. Bei unserem Image, sagt Simeth, da lachen die Leute doch nur höhnisch.“
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Matthias Sammer
Spiegel-Essay (1990), sehr lesenswert, über Matthias Sammer, den Neu-Stuttgarter
Willi, was hasch‘ du geleischtet? Nix hasch‘ du geleischtet!
Der Spiegel (41/1990) schildert die rasche Assimilation des ostdeutschen Fußballers Matthias Sammer im Schwabenland: „Wertschätzung erfährt Matthias Sammer, 23, mittlerweile bundesweit. Ob nun der neue Bundestrainer Berti Vogts in ihm einen Kandidaten für die Nationalelf erkannt hat oder ob ihm Dieter Hoeneß, der Manager des VfB Stuttgart, Ecken und Kanten und das Zeug zum Führungsspieler attestiert – kein Zweifel, der ehemalige Dresdner hat es, kaum drei Monate nach seinem Transfer von Ost nach West, der Bundesligabranche angetan. Weder Andreas Thom noch Ulf Kirsten – lange als die einzig tauglichen DDR-Kicker gehandelt und deshalb als erste für zusammen sieben Millionen Mark in den Westen transferiert – haben sich eine vergleichbare Reputation erspielt. Während sie beim kühlen Werksklub Bayer Leverkusen das Plansoll erfüllen, gedeiht Sammers Karriere nicht zuletzt dank einer symbiotischen Beziehung, zu der die Schwaben und ihr emsiger Mittelfeldspieler gefunden haben. Schon jetzt fühlt sich der Mann, der angeblich nie gesächselt hat, dafür aber nun in leichter schwäbischer Tonlage daherredet, rundherum zufrieden. Und wenn Trainer Willi Entenmann dann auch noch Sammers erkennbaren Drang nach Leischtung lobt, ist einer schnell der Held in einer Region, in der es immer noch als Auszeichnung gilt, beim Daimler zu schaffen. Gerade so, als sei im Grunde der Sachse der ideale Schwabe (…) Daß Sammer sein Gehalt von rund 500 000 Mark im Jahr bis auf die Leasinggebühren für den neuen Mercedes erst mal sparen will, ist ganz nach dem Geschmack seines Trainers Willi Entenmann. Der beflissene Fußballehrer erkennt in seinem ostdeutschen Star so ganz den schwäbischen Willi der frühen Jahre wieder. Damals, mit 19, berichtet Entenmann, habe er sich beim Porsche die Nas‘ platt‘drückt, von seinem ersten Geld hätte er den Sportwagen locker bezahlen können. Aber da sei sein Schwiegervater (ein Zahnarzt) auf den Plan getreten und habe gemahnt: Willi, was hasch‘ du geleischtet? Nix hasch‘ du geleischtet. Und Willi kaufte sich lieber ein Grundstück fürs Häusle. Kein Wunder, wenn Entenmann nun mit leicht verklärtem Blick beteuert, der Matthias sei ein Profi, wie ihn sich der Trainer wünscht. Denn ganz nebenbei nimmt der gelernte Maschinenanlagenmonteur im Mannschaftskreis offenbar auch noch pädagogische Aufgaben wahr. Durch Gespräche mit Sammer hätten einige Kicker begriffen, daß es uns ja doch nicht so schlecht geht, wie manche immer behaupten, meint der CDU-nahe Coach. Auch um die Psyche seines Schützlings ist Entenmann besorgt. Zwar wolle er einen, der auf‘m Platz ein Löw‘ sei, nicht zu einem zarten Lämmle dressieren. Aber weil Sammer sich leise beklagt hat, der Medienrummel werde ihm zuviel, ist auf Entenmanns Geheiß mit Interviews erst mal Schluß. Örtliche Zeitungsvertreter monieren inzwischen die Unnahbarkeit des Fußballers, der, wie sich einer beklagt, nicht mal stehenbleibt, wenn man ihn anschwätzt.
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„Ultimatum“
Stevens darf in Berlin weitermachen – weiterhin Naserümpfen über das „Ultimatum“ (das außer mir niemand in Anführungszeichen setzt) – Uli Hoeneß nach erneut schwachem Bayern-Spiel vor dem Ausbruch – glückliche Stuttgarter
Hansa Rostock – Hertha BSC Berlin 5:6 n.E.
Wie banal ein aufgeblasenes Ultimatum verpuffen kann
Dirk Böttcher (FR 30.10.) hält die ganze Sache für kindisch: „Wie banal doch so ein aufgeblasenes Ultimatum verpuffen kann. Stevens‘ Arbeitsplatz ausgerechnet an zwei unsäglichen Auftritten beim krisengeschüttelten FC Hansa Rostock festzumachen, war wirklich etwas schwach. Eine bessere Mannschaft ist Hertha BSC nach diesen zwei Siegen jedenfalls nicht, und einen besseren Trainer hat sie schon gar nicht. Die Berliner hatten nur dieses Ultimatum – und eine Menge Glück. Denn das Ultimatum/die Verabredung/die Vereinbarung war im zweiten Teil am Dienstagabend bereits für 15 Minuten abgelaufen. Stevens wäre draußen und Hertha verdient gegen wackere Rostocker ausgeschieden. Und viele hätte es gefreut, hätte diese lauthalse Hertha am Ende mit einem nicht erfüllten Ultimatum dagestanden. Schön knapp nach Möglichkeit, die Elfmeter-Lotterie hätte doch einfach in die andere Richtung ausschlagen können. Es wäre nett gewesen, sich die verbogenen Rücken von Hoeneß, Stevens und den anderen Hauptdarstellern anzuschauen. Was hätten sie dann wohl gesagt und gemacht? Die Betrachter werden es nie erfahren, dürfen sich aber darauf freuen, wenn Berlin das nächste Mal länger nicht gewinnt.“
Nebenwirkungen sind nicht auszuschließen
Christof Kneer (BLZ 30.10.) warnt: „Dieter Hoeneß, der Erfinder dieses speziellen Abkommens, hatte das Glück des Mächtigen. Er hat es mit der beachtlichen Hartnäckigkeit eines Überzeugungstäters geschafft, dem Schicksal seinen Willen aufzuzwingen. Er hat Mannschaft und Trainer mit hineingenommen in einen künstlich errichteten Tunnel, und das Praktische an so einem Tunnel ist, dass in ihm ziemlich einfache Gesetze gelten: Wir sind Hertha BSC und halten zusammen. Die da draußen sind nicht Hertha BSC und im Zweifelsfall schuld. Das Problem an so einem Tunnel ist nur, dass er irgendwann zu Ende ist. Hinter dem Tunnel kommt wieder die Bundesliga, und erst in ihr wird sich erweisen, ob Hertha in dieser Woche wirklich Sieger gewesen ist. In dieser Woche hat Hertha seinen Trainer behalten, aber man kann nicht davon ausgehen, dass sich deshalb die Ursachen der Krise vom Hof gemacht haben. Herthas Kader ist fatal falsch gemischt, und man hat noch nie gehört, dass eine falsche Mischung durch ein Ultimatum wieder weggeht. Man darf gespannt sein, ob es dem vorerst entlasteten Trainer nächstens besser gelingt, die Personalien zu moderieren. Man darf gespannt sein, wie die Fans reagieren, wenn der Trainer, den sie nicht lieben, wieder verliert. Hertha ist ins Risiko gegangen in der letzten Woche, und Hertha hat vorerst bestanden. Nebenwirkungen sind nicht auszuschließen.“
Eines der dramatischsten Spiele der Vereinsgeschichte
Christian Ewers (FAZ 30.10.) erläutert die Bedeutung des Berliner Siegs: “Dieter Hoeneß hatte so seine Schwierigkeiten, diesen Fußballabend zu verarbeiten. Einen Fußballabend, wie er ihn nach eigener Aussage noch nie erlebt hatte. Tatsächlich besitzt das Pokalspiel gegen Hansa Rostock beste Chancen, als eines der dramatischsten in die Vereinsgeschichte von Hertha BSC Berlin einzugehen. 4:3 gewannen die Berliner im Elfmeterschießen – so lautet das nackte Ergebnis. Der Sieg gegen Hansa erzählt auch noch eine anrührende Geschichte: Von einer Mannschaft, die eigentlich schon verloren hatte, und von einem Trainer, der eigentlich schon entlassen war. Und von einem Torwart, der der Mannschaft im letzten Moment den Sieg schenkte und seinem Trainer den Arbeitsplatz rettete. Der Held des Abends hieß Gabor Kiraly. Der ungarische Nationaltorwart blieb einfach stehen, als Gernot Plassnegger seinen Elfmeter geradeaus Richtung Tor schoß. Kiraly kippte nur leicht zur Seite, dann berührte der Ball seine Handschuhe. Das Pokalspiel war entschieden – Hertha BSC zieht in die dritte Runde ein. Und das mit Huub Stevens als Trainer (…) Den Nachweis eines Reifungsprozesses in der Krise sind die Berliner Profis allerdings schuldig geblieben. Das Niveau ihres Spiels war dürftig, allein der kämpferische Einsatz in den Schlußminuten konnte überzeugen. Hoeneß wollte sich nicht feiern lassen für den Sieg. Ihm war keine Genugtuung anzumerken, er nahm das Spiel bescheiden wie ein zu üppig geratenes Geschenk. Neben Stevens, der nun in Berlin weiterarbeiten darf, profitiert besonders Hoeneß von dem gewonnenen Pokalspiel. Die Diskussionen über sein umstrittenes Krisenmanagement werden vorerst verstummen – auch wenn die causa Stevens letztendlich nur durch einen gehaltenen Elfmeter entschieden wurde.“
Javier Cacéres (SZ 30.10.) beobachtet Dieter Hoeneß im entscheidenden Moment: „Da stand er nun, Dieter Hoeneß, in den Katakomben des Rostocker Ostsee-Stadions, vor einer Werbewand mit bunten Logos und harrte einer Live-Schaltung in das abendliche, öffentlich-rechtliche Fußballprogramm. „Noch eine Minute“, gab ihm ein TV-Mann weiter und wachte gleichzeitig darüber, dass nur ja keiner der vielleicht 20 Journalisten, die der Hoeneß’schen Antworten harrten, durchs Bild liefen. „Dreißig Sekunden noch“, hieß es, und Hoeneß war weit davon entfernt, nervös zu werden. Er schmunzelte, wandte sich wippend einem der Reporter zu und sagte: „Manchmal ist’s verrückt. Oder?“ Ja, manchmal ist es das. Als Hoeneß noch in höchster Anspannung am Spielfeldrand stand, noch eine Minute, dann dreißig Sekunden der Verlängerung des Pokalspiels zu absolvieren waren, da lag Hansa Rostock vorne, 2:1, und Trainer Huub Stevens war dem ursprünglichen Wortlaut der skurrilen Erfindung namens „ultimative Vereinbarung“ zufolge seine Beschäftigung los. Ein letzter Eckball flog hinein, von einem Spieler, auf dessen Rücken der Schriftzug Marcelinho stand, und Hansas Abwehr konnte einen letzten, verzweifelten Kopfball von Andreas Schmidt noch abwehren – den Nachschuss des Stürmers Nando Rafael nicht mehr. Der Referee piff ab. Es folgte ein Elfmeterschießen, in dem Hertha obsiegte. Der ultimative Ausgang eines Ultimatums, sozusagen. „Ein Happy-end-Szenario“, urteilte Hoeneß und mutmaßte, dass Hollywood-Regisseur Steven Spielberg „die Hand im Spiel gehabt haben könnte“. Oder eine vergleichbare Kapazität. Zum Beispiel aus dem Horrorgenre oder dem film noire.“
Michael Jahn (BLZ 30.10.) porträtiert Huub Stevens, indem er zurückblickt: „Die Episode liegt schon einige Monate zurück. Stevens hatte ein paar Furchen weniger im Gesicht als in diesen Tagen. Dafür plagten ihn andere Sorgen. Der Niederländer verspürte ausgerechnet vor dem Trainingsauftakt zur neuen Spielzeit heftige Schmerzen im Knie. Herthas Mannschaftsarzt riet zu einer Operation, zwei Tage später. Das gehe überhaupt nicht, monierte Stevens, wir machen das sofort. Ein paar Stunden später lag der 49-Jährige auf dem Operationstisch und konnte bald darauf das Training leiten. Die Ärzte hatten ihn aber dringend um Schonung gebeten und so thronte Stevens einige Male auf einem weißen Plastikstuhl am Rande des Trainingsplatzes. Als in den Boulevardzeitungen Fotos von Stevens auf seinem Stuhl erschienen, war der Übungsleiter sehr verärgert. Was sollten denn die Leute denken? Er, der harte Hund, sitzt bequem auf einem Plastikstuhl? Es passte nicht ins eigene Bild. Stevens pflegt gern sein Image vom Malocher und vom knorrigen Typ. Auch der nervenaufreibenden Krise von Hertha BSC (neun sieglose Spiele in der Bundesliga, Ausscheiden in Runde eins des Uefa-Cups) hielt er dauerhaft seinen Dickkopf entgegen. Ich gehe meinen Weg, sagte Stevens stoisch, wenn er gefragt wurde, wie er die Mannschaft aus der Malaise führen wolle. Sein Weg – das bedeutete vor allem eines: noch mehr arbeiten, noch akribischer jede Übungsstunde planen. Man sagt, Stevens sei im Privatleben ein humorvoller Mann, er soll sogar ein angenehmer Plauderer sein. In den Tagen der Krise war davon nichts zu sehen. Der öffentliche Stevens gab sich hart und unnahbar.“
Ich hoffe, dass Stevens eine faire Chance bekommt
SpOn-Interview mit Dieter Hoeneß
SpOn: Sind Sie mit dem Gefühl ins Bett gegangen, alles richtig gemacht zu haben?
DH: Genugtuung ist nicht meine Denke. Ich bin Überzeugungstäter. Es ging einfach darum, die richtige Entscheidung für den Verein zu treffen. Und danach sieht es jetzt aus. Die einzige Alternative wäre die Trennung gewesen. So war es unsere einzige Möglichkeit, den Bann zu durchbrechen. Ich glaube, dass es gelungen ist.
SpOn: Stevens wäre heute schon nicht mehr Trainer, wenn das Spiel gestern verloren gegangen wäre.
DH: Wir haben eine Vereinbarung getroffen, dass wir zwei Spiele gewinnen wollen, um eine gute Basis zu haben, um mit Stevens weiter zu arbeiten. Aber wir waren uns im Vorstand auch einig, dass die Vereinbarung nicht so rigoros gehandhabt worden wäre. Fakt ist, dass wir gewonnen haben. Jetzt brauchen wir im Nachhinein nicht zu diskutieren.
SpOn: Die Vorgabe von zwei Siegen ist also erfüllt. Kann Stevens jetzt in Ruhe weiterarbeiten?
DH: An mir soll es nicht liegen. Spieler und Fans haben klare Signale gesendet. Wir haben einen sehr unpopulären Weg eingeschlagen. Die Zeichen standen auf Trennung. Ich habe für ihn gekämpft wie ein Löwe. Ich hoffe, dass Stevens eine faire Chance bekommt.
Bayern München – 1. FC Nürnberg 7:6 n.E.
Elisabeth Schlammerl (FAZ 30.10.) hat seismografische Fähigkeiten: „Uli Hoeneß sucht offenbar nur noch den richtigen Moment, um eine seiner berühmten und berüchtigten Attacken zu starten. Der richtige Moment könnte schon nach der Partie beim FC Schalke 04 sein, oder vier Tage später nach dem Champions-League-Spiel gegen Olympique Lyon, spätestens aber nach dem Heimspiel gegen Borussia Dortmund. Siege allein werden wohl nicht genügen, um Hoeneß zu beruhigen, sondern es müssen überzeugende Siege sein. Es erinnert bei FC Bayern alles ein wenig an die Krise im vergangenen Jahr, obwohl diese damals sehr viel ernster und folgenreicher war. Dem Ausscheiden in der Champions League drohte Anfang November auch noch der Verlust der Tabellenführung in der Bundesliga, und was dann passiert wäre, will sich beim FC Bayern heute niemand mehr vorstellen. Das Duell mit Verfolger Dortmund brachte damals die Wende, die Münchner erkannten gerade noch rechtzeitig den Ernst der Lage. Sie fanden zurück zu einer Einheit, die nach dem Formtief zwar zunächst noch nicht spielerisch überzeugte, aber wenigstens leidenschaftlich kämpfte (…) Das ist das Problem der Bayern: Mit Ausnahme vielleicht des Duells mit Leverkusen fehlte in dieser Saison bisher ein Höhepunkt, ein Gegner, der für einen Adrenalinschub sorgte, eine Partie, die die Bayern auch gedanklich herausfordert.“
Philipp Selldorf (SZ 30.10.) fügt hinzu: „Meister? Was für ein Meister? Nicht viel wies darauf hin am Dienstagabend im Olympiastadion, als sich der FC Forever Number One Bayern und der ewig strauchelnde 1. FC Nürnberg zum Pokalspiel trafen. 1:1 nach 120 Minuten, ein 7:6-Duselsieg im Elfmeterschießen – der Dank der Mitspieler an Oliver Kahn, den „Elfmetertöter“ (Ottmar Hitzfeld), fiel recht verhalten aus. Schon im glücklichsten Moment des Pokalabends verdunkelte das schlechte Gewissen die Gemüter. Sie wussten wohl, dass ihnen der Trainer wieder eine Predigt über die richtige Berufsauffassung halten würde, und auch der Blick auf den Spielfeldrand, wo Karl-Heinz Rummenigge vor lauter Wut ganz rot wurde, verhieß ihnen nichts Gutes. Als die Sache überstanden war, machte Rummenigge stracks kehrt und marschierte wortlos in die Katakomben. Einen Appell an Ehre und Gewissen hatte Hitzfeld bereits am Sonntag an die Spieler gerichtet, weil er beim beschönigend hoch ausgefallenen Sieg gegen Kaiserslautern den Trend zur Überheblichkeit in seiner Mannschaft erkannt hatte. Genutzt hatte das nichts.“
Wacker Burghausen – VfB Stuttgart 0:1
Rudolf Neumaier (SZ 30.10.) sieht Felix und seine Stuttgarter im Glück: „Wenn er demnächst im Champions-League-Finale steht, denn wer würde daran zweifeln, wird sich der Über-Schwabe Felix Magath vermutlich nur noch in Bruchstücken an diesen Ort erinnern. Kalt ist es dort, und hinter der Gegentribüne des kleinen Stadions ragen die bizarren Schlote einer Chemie-Fabrik in den Himmel. Und die Fans der Heimmannschaft singen so jugendlich herzhaft, dass sie bei einer Cover-Version von Pink Floyds „The Wall“ den Schülerchor geben könnten. Und Altötting liegt um die Ecke – vielleicht, mag sich Magath denken, hätte man dort vor der Heimfahrt eine Kerze bei der Muttergottes anstecken sollen, man weiß ja nie. Naja, Imre Szabics hat an diesem Abend das Tor geschossen, das einzige und entscheidende. Es war ein Spiel im DFB-Pokal. Aber wo war das? Ach ja, Burghausen. Es hätte anders laufen können. Wenn das Schussglück dem Burghauser Defensivspieler Franz Berger holder gewesen wäre, als es dem Stuttgarter Szabics war, würde Magath diese Stadt als Ort der Schmach wohl niemals vergessen. Bergers Schuss titschte von der Latte ins Aus, Szabics’ von der Latte ins Tor. „Wir hätten uns in ganz Deutschland, sogar in Europa einen Namen machen können. Schade“, sagt Matthias Örüm, der beim Zweitligisten SV Wacker Burghausen in der Innenverteidigung spielt. Ein bisschen schade – das drückt die Stimmung bei Wacker Burghhausen ziemlich exakt aus. Der Trainer, der Manager und die Fans wirken nach dem Aus wie Kandidaten einer Quiz-Sendung, die an der Millionen-Frage gescheitert sind.“
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