indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

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Entlassung Kurt Jaras

schwere Kritik an der HSV-Führung wegen der Art und Weise der Entlassung Kurt Jaras

of DieJournalisten tadeln die Verantwortlichen des Hamburger SV, die Trainer Kurt Jara entlassen haben, nachdem sie ihm kurz zuvor Treue versprachen: „Absicherungsrhetorik und Sozialfolklore“, schreibt die FAZ der HSV-Führung ins Stammbuch. Auf Jaras Nachfolger Klaus Toppmöller sieht die FR eine schwere Aufgabe lauern: „ein überforderter Vorstand, eine überschätzte Mannschaft, mieses Binnenklima, schlechte Berufsauffassung – es gibt einfachere Voraussetzungen für einen neuen Trainer.“

Roland Zorn (FAZ 24.10.) liest den Entscheidern aus Hamburg und Berlin die Leviten: „Am liebsten hätte sich der gebürtige Leverkusener Bernd Hoffmann von seinem österreichischen Trainer Kurt Jara formvollendet, also hanseatisch, getrennt. Doch tatsächlich haftete dem Ende einer Arbeitsbeziehung eher das übliche Rausschmißaroma denn ein Hauch von feiner Manier an. Der Vorstandschef des Hamburger SV ließ seinen Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer – der in den Tagen zuvor die Kunst der rein rhetorisch gemeinten Treuebekundungen ohne jede Halbwertszeit erlernt hatte – die schlechte Kunde für den Cheftrainer überbringen. Und so war denn schon am Mittwoch Schluß mit einer Zusammenarbeit, die sich den zuvor hochoffiziellen Bekundungen gemäß mindestens noch bis zum nächsten Spiel am Samstag hätte hinziehen sollen. Selbst wenn die nachgereichte Entschuldigung an Jara ehrlich gemeint war: Die Entlassung des Vorgängers von Klaus Toppmöller war stillos wie Hunderte andere Trainerkündigungen in der Bundesliga zuvor. Überhaupt wirken die Ultimaten oder vermeintlich letzten Gelegenheiten dieser Wochen beinahe herzloser als ein holterdiepolter vollzogener Schlußstrich (…) In Berlin ist der Bruch zwischen den Anhängern von Hertha BSC und Trainer Huub Stevens längst vollzogen. Doch Manager Dieter Hoeneß hält noch an dem kantigen Niederländer fest, mag auch die lange symbiotisch erscheinende Verbindung mit dem Trainer inzwischen nur noch lose sein. Zwei Siege in den bevorstehenden Punkt- und Pokalspielen gegen Hansa Rostock hat Hoeneß seinem Kumpan zur vorläufigen Arbeitsplatzsicherung abverlangt – und damit den Druck auf den sowieso schon angegriffen ausschauenden Trainer weiter erhöht. Showdown in Rostock – eine schlichte Trennung kann manchmal menschenfreundlicher sein. Denn tatsächlich dürfte Hoeneß längst auf der Suche nach einem neuen Trainer für den Tabellenletzten sein.“

Gipfel der Unglaubwürdigkeit

Jörg Marwedel (SZ 24.10.) schimpft auf die Führung des Hamburger SV: „Der Abschied Kurt Jaras markiert eine neue Dimension in der 40-jährigen Bundesliga-Historie. Es mag einem kein Beispiel einfallen, in dem von einer Klubführung so eiskalt gelogen wurde wie in diesem Fall. Selbst als HSV-Chef Bernd Hoffmann und sein Sportchef Dietmar Beiersdorfer am Montag längst Kontakt zu Jaras Nachfolger Klaus Toppmöller aufgenommen hatten, verbreiteten sie öffentlich noch ein weiteres „Vertrauensbekenntnis“ zu dem Tiroler, dessen Ablösung längst beschlossen war. Das ist nicht nur unwürdig, es ist der Gipfel der Unglaubwürdigkeit. Den Schaden wird das verantwortliche Duo Hoffmann und Beiersdorfer noch zu spüren bekommen. Deren ohnehin durch die Prämienkürzungen belastetes Verhältnis zur Mannschaft wird nur schwer zu reparieren sein. Was sollen die Spieler einer Vereinsführung noch abnehmen, die so ungeniert die Unwahrheit sagt? Und was soll die Öffentlichkeit von einem Vorstandsvorsitzenden halten, der in Interviews jeden Halbsatz umschreiben lässt, damit seine Ansichten auch schön chemisch gereinigt in die Druckpresse gelangen, und dies dann durch sein Handeln ad absurdum führt? Mag sein, dass dies der neue Führungsstil ist; er passt ja in die Zeit, in der neoliberale Jung-Manager mit ihren Angestellten spielen wie mit Zahlen.“

Oke Göttlich (taz 24.10.) stellt die Köpfe der Hamburger Führung vor: „Gut oder böse? Die Frage vergisst, den Scheinwerfer auf die wirklichen Probleme des mit großen Zielen angetretenen Vereins zu richten. Nicht die Etat-Unterdeckung von 14 Millionen Euro, die sich mit Abfindungen für Jara und gleich drei Co-Trainern noch verschlimmern dürfte, und auch nicht die desolate Defensive des HSV in dieser Saison bereiten Kopfschmerzen – warum sonst hätte man einen erklärtermaßen offensiv ausgerichteten Trainer verpflichten sollen? Die Probleme sind haarigerer Natur und müssen an der Wurzel gepackt werden – an der Haarwurzel. Anders als in Berlin wurde in Hamburg trotz ähnlich desolater Medienlandschaft keine Hetzjagd auf den Trainer betrieben. Stattdessen hält den Boulevard die Frisur von Dietmar Beiersdorfer in Atem. Dort wird die gekürzte Frisur des Sportdirektors als Indikator der Krise ausgemacht. Angetreten als langbematteter Andersdenker, brachte Beiersdorfer frischen Wind in die mit hanseatischem Filz belegten HSV-Hallen. Seine Innovationsfreudigkeit stellte er aber nicht nur durch Eindruck schindende PowerPoint-Präsentationen unter Beweis, sondern auch dadurch, dass er sein Haar auf freche New-Economy-trifft-Sternschanzen-Länge kürzte. Ein Image, welches sich mit dem hanseatisch aufrichtigen Geschäftsgebaren des pfeffersäckigen Aufsichtsrats biss. Mit dem vor knapp einem Jahr hinzugestoßenen Vermarktungsprofi Bernd Hoffmann, der als gut bezahlter Präsident nun die Geschicke des Clubs leitet, wurde kräftig weiterrenoviert. Erst Uefa Cup und dann die ganze Welt, lautet ein etwas mittelgescheiteltes Motto des Chefs. Die Rangliste, die den HSV in den vergangenen Jahren nur als neuntbeste Kraft im deutschen Fußball ausweist, hängt zum Ansporn in seinem Büro. Wie viel Geld Manchester United verdient, hängt daneben. Die durch Kurt Jara eher im Beamtenlook zugeschnittene Mannschaft ergab im Zusammenspiel nach außen tatsächlich ein Stylingproblem. Jetzt soll es der Minipli richten. Klaus Toppmöller trägt die Krausheit des Vereins auf dem Kopf.“

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Kritische Situation in Leverkusen – Hleb, der Stuttgarter Jung-Star

Volksaufstände ist man bei Bayer Leverkusen nicht gewohnt

Zur kritischen Situation in Leverkusen heißt es von Martin Hägele (NZZ 15.4.). „Volksaufstände ist man bei Bayer Leverkusen nicht gewohnt. Historisch betrachtet ist das auch kaum möglich, die Betriebsmannschaft eines Weltkonzerns hat ihre Anhänger ja nicht auf jener emotionalen Schiene rekrutiert, wie das mit den konkurrierenden Klubs in der Bundesliga im Laufe der Jahre geschehen ist. Deshalb waren die Chefs des Fussballbetriebs schon im Winter ziemlich pikiert, als die Professionals für ihre schwachen Darbietungen ausgepfiffen und von den VIP-Rängen der BayArena mit Brötchen beworfen wurden. Der Protest der Kundschaft hat sich am Sonntag nun gesteigert zur Sitzblockade. Etwa 70 Fans wollten verhindern, dass die Professionals nach dem Training mit ihren Autos vom Stadiongelände fahren konnten. Jürgen Kohler hatte sich wohl andere Aufgaben vorgestellt, als mit aufgebrachten Bayer-Freunden zu diskutieren und dabei auch noch kaum Argumente zu haben (…) Die Einstellung der Spieler liesse sich vor den sechs Endspielen gegen den Abstieg allenfalls von einem Trainer Kohler ändern. Wenn das alte Idol direkt auf diese modernen Legionäre los ginge, wenn er sie von morgens bis abends mit seiner Härte, seinem Willen und seiner Disziplin infizieren könnte. Nur dieser Ganzkörper-Kontakt mit dem Weltmeister der Vorstopper könnte helfen. Den dritten Trainerwechsel hat sich Calmund als letzte Option offen gehalten. Wahrscheinlich hat er es sogar so geplant – und der Fünfjahresvertrag als Sportdirektor im Stil Rudi Völlers war nur ein Täuschungsmanöver. Denn Kohler gilt als exzellenter Ausbilder, er kam beim DFB-Nachwuchs glänzend an. Die Frage heisst nur, ob er (nach dem offerierten Rücktritt Hörsters allenfalls zusammen mit Altmeister Udo Lattek?) einem Haufen abgezockter und verwöhnter Stars und Pseudostars noch einmal die verlorene Berufsmentalität beibringen kann. Andernfalls gibt es nach dem Sitzstreik schon bald Tränen in der BayArena.“

Der überragende VfB-Spieler

Oliver Trust (FR 15.4.) porträtiert den Stuttgarter Jungs-Star. “Der Junge spielt genial und braucht trotzdem Beistand. Ein bisschen Lebenshilfe dann und wann. Ein wenig Rat auf dem Spielfeld von Zeit zu Zeit. Irgendwann will ich in einer ganz starken Mannschaft spielen, Real Madrid oder Milan, sagt Aliaksandr Hleb. Es sind die wilden Träume eines 21 Jahre alten Burschen aus Weißrussland. Die Bundesliga scheint ihm schön und gut. Die verzaubernde Anziehungskraft der großen Klubs aus Italien und Spanien lässt ihn nicht mehr los, seit er auf den Straßen von Minsk und acht Jahre auf einem Aschenplatz mit Löchern trainiert hat. Die harte Schule hat aus ihm einen der besten Techniker gemacht, die in der Bundesliga spielen. Dass Hleb trotz der Liebe zum Fußballsüden in Deutschland spielt, hat mit den eigenwilligen Vorlieben seines Vaters Pawel zu tun. Er hat immer von der Bundesliga geschwärmt. Seine Lieblingsmannschaft war die deutsche Nationalelf, erzählt Hleb. Heute schwärmt selbst Deutschlands Teamchef Rudi Völler vom Mann mit der Nummer 15 auf dem Trikot des VfB Stuttgart. Sensationell dieser Junge. Für mich der überragende VfB-Spieler, sagt Völler. Nicht nur er ist hin und weg, wenn der Schmächtige seine Pässe in die Tiefe des Raumes spielt, einfach so aus den Fußgelenk, mit einer Leichtigkeit, die verblüfft. Etwa jenen Geniestreich am Samstag, als Hleb seinem Kollegen Ioannis Amanatidis die Kugel so fein servierte, dass der keine Mühe hatte, ins Tor zu schießen. Auch Kevin Kuranyi, der Treffsichere, darf oft und gerne vollenden, was ein Hleb filigran vorbereitet. Es war ein glücklicher Umstand für die Stuttgarter und Hleb, dass seine Eltern entschieden haben, dass ich einen vernünftigen Sport ausüben soll. Fußball eben. Zuvor übte sich der Sechsjährige im Wasserspringen vom Dreimeterbrett und in der Sportgymnastik. Kaum vorstellbar eigentlich, wenn man heute den dynamischen Antritt und die atemberaubenden Dribbelkünste von Hleb sieht.“ (Wieso? Wo ist der Widerspruch?)

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Pressestimmen zu den einzelnen Spielen

Was macht eigentlich Reiner Calmund? Lange nichts gehört vom Geschäftsführer Bayer Leverkusens. „In Leverkusen wird wieder Fußball zelebriert“, jubelt die FAZ dem Tabellenführer nach dem 4:0 über Hannover 96 zu; und was macht Calmund, der Mikrofone aufspüren und Notizblöcke wittern kann? Calmund schweigt. Die Sache ist zu erklären: Erstens steht Calmunds Verstummen für den neuen Realitätssinn bei Bayer. In der Vorsaison spielten sie dort zum einem schlecht Fußball. Zum andern schwätzten und plapperten zu viele zu oft zu großen Unsinn: in der Summe ergab das Rang 15. Aus den Fehlern ihrer Außendarstellung und ihres Krisenmanagements haben sie gelernt in Leverkusen. Zweitens belegt die allgemeine Lautlosigkeit die derzeitige Dominanz Klaus Augenthalers im Klub, an dessen Seite Sportdirektor Kohler wie ein Lehrling aussieht. Dem Trainer bestätigen die Redakteure, dass er beruhigenden Einfluss auf Führungsriege und Mannschaft ausübt und mit seinem Understatement einen neuen Stil unterm Bayer-Kreuz prägt.

Anhänger Bayern Münchens sowie Berichterstatter haben den Einstand von Roy Makaay zwei Wochen lang herbeigesehnt und ihm Vorschusslorbeeren geflochten. Jede Wette: Viele, von denen, die den Holländer nun als „besten Torjäger Europas“ (ARD-Sportschau) begrüßen, kannten ihn vor einem Jahr noch gar nicht. Doch „das Makaay-Debüt wurde zum Nicht-Ereignis“, wie die SZ ermattet feststellt. Bayern führt nach 20 Minuten mit 2:0 gegen Bochum und stellt weitere Bemühungen ein. Die FR gähnt: „Millionen-Stürmer Makaay fügt sich gut ein in die neue Langeweile des FC Bayern.“

Was fällt noch auf? Ein Detail: Letzte Woche klagte Meistertrainer Hitzfeld zurecht über eine Schiedsrichterentscheidung zu Ungunsten der Bayern. Funk und Fernsehen reagierten mit Zustimmung und Verständnis. Dieses Wochenende litt Gegner Bochum unter einer vergleichbaren Situation: einer falschen Abseitsentscheidung. Trainer Neururers Beschwerde jedoch deuten die Journalisten als Jammern: die FAS bescheinigt ihm „Larmoyanz“, die SZ nennt ihn den „kleinlichen Kommissar Neururer“. Wenn zwei das selbe tun, ist es noch lange nicht das gleiche.

Bayern-Schule: Oben ist, wo man Tore unabhängig von Stimmungen macht

Christian Eichler (FAZ 18.8.) versetzt sich in die Lage eines Stürmers. „Torjäger – der Tod von zwei der größten, Helmut Rahn und Lothar Emmerich, machte diese Woche im Rückblick deutlich, wie selten dieser faszinierende Fußballtypus bleibt. Gerade früh in der Saison wirkt er noch kostbarer als sonst. Lieferanten gesucht. Doch ist der Nachschub ungerecht verteilt. Die einen treffen nicht, weil sie die Null im Kopf haben. Die anderen treffen, weil es so schön ist. Ein Tor kommt selten allein, es macht locker fürs nächste. Erfolgreiche Torjäger sind Wiederholungstäter. Der Rostocker Martin Max lieferte drei am Stück (…) Der Torjäger ist dem Formel-1-Piloten ähnlich. Beide sind abhängig davon, was das Team serviert. Oft sind es kleinste Variationen, die Gewinner zu Verlierern machen und umgekehrt. Beim einen sind es Gewichtsverlagerung, Reifenverläßlichkeit, Flügelprofil; beim anderen Spielverlagerung, Paßgenauigkeit, Flügelspiel. Und plötzlich paßt alles, wie jetzt bei BMW und Bayer. Piloten wie Stürmer brauchen das Stimmungshoch, Bolide und Ball über die Linie zu bringen. Aber ebenso brauchen sie nüchterne Hintermänner, die sich im Wechsel von Torrausch und Torflaute nie blenden lassen – so wie es wohl Klaus Toppmöller tat, weil er sich als Teil der Mannschaft sah. Man braucht Nachfolger Klaus Augenthaler nur auf den vorgeschobenen Unterkiefer zu schauen, der selbst dann bissig wirkt, wenn er lächelt: Schon weiß man, daß hier einer den Stimmungstöter gibt, wenn es nützlich ist. Zum Beispiel jetzt, da schon wieder alles schwärmt. Für einen ewig Zweiten und beinahe Zweitligisten sieht der deutsche Rekordmeister (sechs Schalen) wie die Idealbesetzung aus. In Auge steckt Bayern-Schule: Oben ist, wo man Tore unabhängig von Stimmungen macht.“

Die Nummer 1 zwischen den Pfosten steht seit jeher für die hohe Psychologie des Fußballs

Michael Ashelm (FAS 17.8.) versetzt sich in die Lage eines Tormanns. „Torwart sein ist doch so schwer. Tag für Tag die Aufgabe zwischen den Pfosten alleinverantwortlich als letzte Deckung erfüllen zu müssen. Das macht manchmal überempfindsam gegen die Reaktionen eines Umfelds, das es mal gut mit einem meint, aber viel öfter Fehl und Tadel an der Leistung erkennt. Ein Fußballtorwart hat es wirklich nicht leicht, denn er muß nicht nur zupacken und immer reaktionsschnell durch die Gegend hechten, sondern vor allem auch mit der Last des Einzelkämpfers leben lernen. Die Nummer 1 zwischen den Pfosten steht seit jeher für die hohe Psychologie des Fußballs, denn eigentlich nimmt man die Schlußleute nur wahr, wenn mal wieder der Ball unglücklich über die Torlinie gekullert ist. Den einen oder anderen reißt es daher regelmäßig ins mentale Tief.Torhüter kämpfen vor allem mit ihrer Persönlichkeit, die, von außen betrachtet, manchmal sehr eigene Züge trägt. Schnell macht der Job dann sehr, sehr einsam, wie man dieser Tage im Fall des Robert Enke betrachten kann. Der will aus eigenem Antrieb gar nicht mehr auf dem Platz stehen und quittierte seine gutdotierte Anstellung bei Fenerbahce Istanbul, wo doch die Leihgabe des FC Barcelona vorher bei den Katalanen nur noch als Banksitzer zuschauen durfte. Aber jetzt, einfach Schluß, aus und weg – nach 19 Tagen und nur 90 Spielminuten für den mehrmaligen türkischen Meister zog der 25 Jahre alte frühere Gladbacher die Konsequenzen aus der starken Kritik an seiner schwachen Leistung in der ersten Ligapartie (0:3). Das ist nicht meine Welt, sagte der empfindlich getroffene Torwart und zog sich verbittert ins Schneckenhaus zurück. Kein weiterer Kommentar. Bei allen unschönen Dingen hinter den Kulissen, die womöglich bei Enkes spektakulärem Rückzieher noch eine Rolle gespielt haben mögen, zeigt das Verhalten die besonderen psychischen Momente, mit denen die Torhüter dieser Welt zurechtkommen müssen. Die einen wie Oliver Kahn oder früher Harald Schumacher schnauzen zurück und begegnen den Zweifeln mit noch mehr Härte oder Ruppigkeit. Andere, wie eben der Extremfall Enke, werden still, packen ihre Siebensachen zusammen und flüchten vor den Problemen.“

Rainer Moritz (FTD 18.8.) singt dazu. „„Der Theodor, der Theodor, / der steht bei uns im Fußballtor, / wie der Ball auch kommt, / wie der Schuss auch fällt, / der Theodor, der hält“, heißt es in Theo Lingens Nachkriegsschlager, ein Lied, das an die Ära unverwundbarer Goalies erinnert. Tilkowski, Maier, Schumacher, Illgner, Köpke, Kahn – selbst in düstersten (Derwall-)Zeiten verfügte Deutschland stets über brillante Keeper, die es mit der internationalen Spitze aufnehmen konnten. Nun aber hat Oliver Kahn wohl seinen Zenit überschritten, und kaum einer scheint (nervlich) stark genug, diesen elitären Posten einzunehmen. Mittelmaß steht zumeist im deutschen Tor – bei den Münchner Löwen, bei Köln, Frankfurt oder Hannover zum Beispiel. Und die Hoffnungsträger wie Roman Weidenfeller lassen harmlose Schüsse abprallen oder packen wie Robert Enke schon nach einer Woche Türkei entnervt die Koffer. So kommt Deutschland nie voran… Dabei könnte alles so einfach sein, wie früher eben: „Meine Maxime heißt: den Ball halten“ (Toni Schumacher).“

Das argentinische Modell

Frank Heike (FAS 17.8.) analysiert die Ursachen der „argentinischen Welle“ in der Budnesliga. „D‘Alessandros Berater wußten, daß in Deutschland gut ge- und pünktlich bezahlt wird. Ein weiteres Argument, das für den VfL sprach, waren die beiden Argentinier Diego Klimowicz und Pablo Quattrocchi in seinen Reihen. Ein wenig Heimat in der Fremde soll den Einstieg erleichtern. Die Wolfsburger sind mit ihren Südamerikanern wahre Argentinien-Fans; am Freitag ist nun der vierte Gaucho dazugekommen. Der heißt Juan Menzegez, ist 19 Jahre alt, ein schneller Offensivspieler und kommt auf Leihbasis (ein Jahr) ebenfalls von River Plate Buenos Aires. Sie sind ganz andere Typen als beispielsweise Brasilianer, sagt Trainer Jürgen Röber, der im Fall von D‘Alessandro seinen Wunschspieler bekommen hat. Die Brasilianer kommen mal rechtzeitig aus dem Urlaub, dann wieder nicht. Da sind die Argentinier disziplinierter. Und genauso gut ausgebildet, sagt Röber. Als Dietmar Beiersdorfer, Sportchef des Hamburger SV, jüngst den Markt in Argentinien beobachtete, kam er zu folgendem Schluß: Viele Klubs stehen vor der Insolvenz. Sie müssen verkaufen. Auch der HSV schaut verstärkt nach Argentinien, seit er Bernardo Romeo im Januar 2002 für 5,65 Millionen Euro von San Lorenzo holte. Romeo schoß in 42 Bundesliga-Spielen 22 Tore. Zu Romeo gesellt sich beim HSV als Integrationsfigur der längst in Deutschland heimisch gewordene Rodolfo Cardoso. Er kam Ende der achtziger Jahre vom größten Konkurrenten River Plates, dem Maradona-Klub Boca Juniors, nach Deutschland. Beiersdorfer ist ein Freund des argentinischen Modells: Die Argentinier haben eine ähnliche Mentalität wie Europäer. Sie sind pflegeleicht und schneller zu integrieren. (…) Südamerikanische Balltechnik, gepaart mit europäischer Zweikampfstärke, das versprechen sich die meisten Trainer von ihren Argentiniern. Ein Paradebeispiel dafür ist Diego Placente von Bayer 04 Leverkusen. Sein letzter Verein in Argentinien hieß ebenfalls River Plate Buenos Aires.Neben den leeren Kassen der Klubs, die durch den Spielerexport nach Deutschland gefüllt werden können, und der intakten Zahlungsmoral deutscher Vereine werde der neue Markt schlicht dadurch interessant, daß immer mehr Argentinier hier spielten. Das sagt der Berater Adrian de Vicente. Er hat den Wechsel des 22 Jahre alten Verteidigers Martin Demichelis von River Plate zum FC Bayern begleitet.Demichelis und D‘Alessandro könnten die Türöffner für andere junge Spieler aus Argentinien sein. Bislang seien Klubs in Italien und Spanien die Topadresse für Argentinier gewesen, sagt de Vicente. Namen wie Diego Maradona, Gabriel Batistuta oder Javier Saviola verbreiteten und verbreiten Glanz und machten in Argentinien Werbung für die Serie A und die Primera Division. Aber die Profis kosteten auch viel Geld. Geld, das in den südeuropäischen Ligen jetzt nicht mehr ohne weiteres vorhanden ist. Schon gar nicht für relativ unbekannte, wenn auch talentierte junge Akteure wie Andres D‘Alessandro: Auch deshalb haben River Plate und D‘Alessandros Berater irgendwann ja zum Wolfsburger Spitzenangebot gesagt – obwohl es doch nur der VfL war.“

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Bundesliga

Sonntagsspiele in Stuttgart und Bochum: Felix Magath will plötzlich Meister werden – „Peter, der Glückliche“ u.a.

VfB Stuttgart – 1860 München 2:0

Das radikale Ende der schwäbischen Bescheidenheit

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 16.3.): „Felix Magath ist tollkühn geworden! Oder war es blanke Ironie, als er via Premiere schon vor dem Anpfiff der Partie des VfB Stuttgart gegen den TSV München 1860 verbreitete: Wir wollen Meister werden! War das der gleiche Mann, der sich monatelang gesperrt hatte, von Titelambitionen für seine junge, unerfahrene Mannschaft zu sprechen? Nach dem 2:0 breitete Magath genüßlich das Szenario aus, wie Stuttgart die Meisterschale hole. Ihm, meinte der Teammanager listig, würde es auch reichen, wenn am Ende bei Punktgleichstand die Tordifferenz den Ausschlag gäbe. Pro Stuttgart natürlich. Meister nehmen es, wie es kommt. Immer wieder tauchte Magath den Teebeutel in jene Tasse, auf der Mach mal ’ne Pause steht. Aber er machte keine Pause bei seinem Strategieentwurf. Er malte im Detail aus, wie es denn klappen könnte mit seinem Titelfeldzug. Wir haben noch fast ein Drittel zu spielen. Bremen muß zu uns und nach München. Es ist durchaus realistisch, daß wir noch an die Bremer ranrücken können. Und die Münchner Bayern? Kein Thema für den Fünfzigjährigen, die wollen ja nur Zweiter werden. Der sonst so nüchterne Realist hörte sich plötzlich an wie ein Phantast. Wir sind in einer hervorragenden Position, ließ er nicht locker, seinen Zuhörern seine These plausibel zu machen. Wir gewinnen Samstag in Köln, Bremen verliert in Wolfsburg und in zwei Wochen bei uns. Dann wollen wir mal sehen, wie die Bremer mit nur noch sechs Punkten Vorsprung klarkommen. Die momentane Zwölf-Punkte-Differenz hält Magath für eine Marke ohne Wert. Es kann ja auch mal sein, daß Bremen nicht in der 90. Minute gewinnt, sagte er im Blick zurück auf den vergangenen Monat. Und reguläre Tore wie das von Köln in Bremen werden auch nicht immer abgepfiffen. Die haben ihre Krise noch vor sich, wir haben sie hinter uns. Werder muß demnach noch bangen. Und Platz zwei, der immerhin den Einzug in die Champions League garantierte? Wir wollen nicht Bayern München kopieren, begründete Magath das radikale Ende der schwäbischen Bescheidenheit.“

Christian Zaschke (SZ 16.3.) befasst sich mit den Verlierern: „Im Inneren des TSV 1860 München rumort es wie nie seit dem Bundesligaaufstieg vor zehn Jahren. Als die Mannschaft der Sechziger die Heimreise antreten wollte, blockierten etwa 250 Fans die Ausfahrt. Dabei ging es ihnen weniger um die Schlagzeilen produzierende Krise dieser Tage, den Bestechungsskandal um die Familie Wildmoser. Es ging ihnen um das, was im Schatten der Affäre um den mächtigen Präsidenten seit einiger Zeit zu besichtigen ist: die sportliche Krise der ersten Fußballmannschaft des Vereins. Der Skandal trifft eine Mannschaft, die ohnehin taumelte. ¸Die Situation kann keine Entschuldigung sein, sagte Götz. Sie kann vor allen Dingen keine Erklärung sein, denn seit Wochen werden die sportlichen Probleme des Teams immer offenbarer. Seit mehreren Spieltagen wird erschreckend deutlich, dass dem Spiel der Münchner jegliche Bindung von Abwehr und Angriff verloren gegangen ist. Stürmer zu sein in dieser Mannschaft ist in etwa so dankbar wie Fellmützen in der Wüste verkaufen zu müssen. Es ist eine traurige und einsame Aufgabe, oft vergehen Minuten, in denen Benjamin Lauth nicht in die Nähe des Balles kommt. Der junge Stürmer ist der Mann, von dem es in der Winterpause hieß, er allein sei Garant gegen einen Abstieg der Löwen. Nun nimmt er am Spiel unfreiwillig nicht mehr teil. Das einzige, was den Sechzigern Hoffnung machte, war der Name des Gegners. Immerhin war Stuttgarts Trainer Felix Magath so freundlich zu behaupten: ¸Das war schwieriger, als es ausgesehen hat. Anschließend machte er sich über die Stuttgarter Journalisten lustig, die während der Saison stets von ihm gefordert hatten, er solle offen die Meisterschaft anpeilen. ¸Wir wollen Meister werden, sagte er, es gelang ihm, dabei vollkommen ernst zu bleiben, rhythmisch tunkte er einen Teebeutel in eine Tasse mit heißem Wasser. ¸Ich bin guter Dinge, dass wir in diesem Jahr Deutscher Meister werden, führte Magath weiter aus. Nicht alle begriffen, dass Magath scherzte, schließlich beträgt der Rückstand auf Tabellenführer Bremen zwölf Punkte. Doch Falko Götz begriff, dass Magath gerade Witze machte, und dass er nur dabeisitzen konnte und warten, dass die Pressekonferenz ein Ende findet. Witze, Siege, heißer Tee – Welten lagen zwischen Magath und Götz, der sich in diesem Moment so einsam gefühlt haben mag wie seine Stürmer zuvor auf dem Platz. Götz schaute ein wenig abwesend, als Magath sprach, er hörte nicht mehr richtig zu. Die Worte werden nicht mehr einzeln an sein Ohr gedrungen sein, eher als monotones Geräusch, als ein ruhiger Klang, der von allem kündete, was den Münchnern derzeit fehlt: Gelassenheit, Zuversicht, Perspektive und eine Prise Humor.“

VfL Bochum – Borussia Mönchengladbach 1:0

Das Stadion gehörte uns, das Spiel auch

Richard Leipold (FAZ 16.3.): “Holger Fach und Peter Neururer mögen sich nicht besonders. Auch bei ihrem jüngsten Treffen haben die beiden Fußballtrainer keine Freundschaft geschlossen. Neururer hatte die Art kritisiert, wie Fach seinen Vorgänger Ewald Lienen als Trainer von Borussia Mönchengladbach abgelöst hatte. Ein halbes Jahr später kickte ausgerechnet der Kritiker aus dem Revier Fach und dessen Gefolgschaft noch näher an den sportlichen Abgrund – in einem Spiel, das die Rheinländer zumeist beherrscht, am Ende aber 0:1 verloren hatten. Obwohl Fach derzeit keine guten Argumente und schon gar keine guten Ergebnisse vorweisen kann, schickte er eine kleine Spitze in Richtung seines Bochumer Kollegen. Dieses Partie habe nicht Peter der Große gewonnen, sondern Peter der Glückliche. Der Sieger wollte sich um das richtige Attribut nicht streiten. Solange ich Peter der Glückliche bin, reicht mir das vollkommen. Den Gladbachern hätte eines ihrer besten Auswärtsspiele genügen müssen, um neben Komplimenten auch den Sieg davonzutragen. Sie hatten alle Zutaten beisammen, derer es für einen Erfolg bedarf: viele Chancen, einen schwachen Gegner und fast zehntausend Anhänger, die mit ihrer Stimmgewalt eine Atmosphäre schufen wie am heimischen Bökelberg. Das Stadion gehörte uns, sagte der Mönchengladbacher Kapitän Arie van Lent. Das Spiel gehörte ihnen auch, aber sie schenkten es her, als wären sie auf drei Punkte nicht angewiesen. Kurz vor Schluß drängten die Borussen ihrem Gegner, der für seine Effizienz bei Standardsituationen bekannt ist, einen Freistoß auf. Und schließlich nahmen sie den Bochumern sogar die Vollstreckung ab.“

„Bei Pokal-Halbfinalist Mönchengladbach beginnt fast jeder Satz mit dem Wort „eigentlich – so rückt der Abstieg näher“, schreibt Christoph Biermann (SZ 16.3.): „Es liegt eine gefährliche Unschärfe im Wort „eigentlich, die im Fall von Borussia Mönchengladbach bedrohliche Züge annimmt. Denn eigentlich steht der Klub an diesem Mittwoch vor einem Höhepunkt der Saison. Nur 30 Kilometer von Mönchengladbach entfernt werden die Borussen am Tivoli in Aachen um den Einzug ins Finale des DFB-Pokals kämpfen. Zum ersten Mal seit 1995 können sie das Endspiel in Berlin erreichen, doch schon der Sieg beim Zweitligisten allein könnte für den Klub ungeheuer wichtig werden. Sollte sich nämlich im heutigen Halbfinale der SV Werder Bremen gegen den VfB Lübeck durchsetzen, wäre Mönchengladbach als Finalgegner automatisch für den Uefa-Cup qualifiziert. Das schöne, neue Stadion, das derzeit am Nordpark entsteht, würde also gleich in seiner ersten Saison internationalen Fußball erleben. Eigentlich könnte man sich also auf die Begegnung mit der Alemannia so richtig freuen. „Eigentlich ist unser Tagesgeschäft aber die Bundesliga, sagte Holger Fach, der Trainer der Borussen. Und in diesem „eigentlich liegen alle Probleme der Gladbacher verborgen. „Eigentlich bedeutet laut Wörterbuch: im Grunde genommen, wenn man es recht bedenkt, ursprünglich, genau gesagt oder in Wirklichkeit. Und wenn man es recht bedenkt, ist die Bemerkung von Arie van Lent ganz richtig, der sagte: „Es ist ein schöner Gedanke, im Endspiel zu stehen, aber wir haben nichts davon, wenn wir absteigen sollten. Der Mittelstürmer von Borussia Mönchengladbach geht davon aus, dass seine Mannschaft in der Bundesliga noch 15 Punkte in den verbleibenden sechs Heim- und vier Auswärtsspielen gewinnen muss. Drei davon, aber zumindest einer hätte es jedoch schon am Sonntag im Bochumer Ruhrstadion sein müssen. „Eigentlich hätten wir hier nicht verlieren müssen, sagte Holger Fach, und es war niemand da, der ihm hätte widersprechen mögen.“

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Sonntagsspiele in Bielefeld und Schalke – Kritik am Krisenmanagament in Leverkusen

Arminia Bielefeld – VfL Bochum 1:3

Versetzung ins nächste Bundesligajahr

Peter Penders (FAZ 13.5.) ist begeistert. „Abstiegskampf. Das Wort klingt schon vorab wie eine Entschuldigung für schlechten Fußball. Wer einen Abstiegskampf besucht, kann keine spielerische Glanzleistung erwarten, eher ein wildes Getrete um die letzte Chance, nervös aufeinander und den Ball losgehende Mannschaften. So sieht Abstiegskampf im allgemeinen aus. Käme er immer so daher wie am Sonntag in Bielefeld, würde man sich bereitwillig die ganze Saison über Abstiegskampf wünschen, jedes Jahr wieder. Die Arminen und der VfL Bochum boten ein mitreißendes Stück Fußball, das Jubel auf der einen und noch mehr Entsetzen auf der anderen Seite hinterließ. Nach dem Sieg gab es für keinen Bochumer mehr ein Halten – der vor Wochen noch in größten Nöten abwärts taumelnde VfL hat zwei Spieltage vor Schluß die Versetzung ins nächste Bundesligajahr sicher. Zwischen Hoffen und Bangen schwebt dagegen die Arminia (…) Es war die 72. Minute, als es für die Arminia zur Situation kam, die alles zum Schlechten wendete. Der schon in der ersten Halbzeit für ein dusseliges Foul verwarnte Bogusz hatte sich im Strafraum in einen Schuß von Freier geworfen, und der Ball war ihm für jeden sichtbar an die Hand geprallt. Absicht oder nicht? Beide Sichtweisen wären vertretbar gewesen, und Schiedsrichter Aust entschied sich zum Entsetzen für die Arminia für die erste Variante mit allen Konsequenzen. Elfmeter und gelb-rotes Arbeitsende für Bogusz. Christiansen nutzte seine Chance und zog mit dem führenden Elber in der Torjägerliste gleich. Als die Bochumer Fans schon längst den Klassenverbleib feierten, traf Freier erst die Latte und später Buckley in der Nachspielzeit ins Tor, nachdem er vorher so gespielt hatte, als wolle er umgehend für die Weltauswahl nominiert werden.“

Schalke 04 – Hannover 96 0:2

Favorit des Boulevards

Richard Leipold (FAZ 13.5.) sortiert die Spekulationen um den neuen Schalke-Trainer. „Wenn Assauer die freie Wahl hätte, fiele ihm die Entscheidung leicht. Erik Gerets ist ein Fußball-Lehrer nach seinem Geschmack: kompetent, durchsetzungsstark, erfahren und erfolgreich – zu erfolgreich, wie es scheint. Wenn Gerets den 1. FC Kaiserslautern vor dem Abstieg bewahrt, und das gilt als höchstwahrscheinlich, werden die Pfälzer den vertraglich noch gebundenen Belgier behalten wollen. In diesem Fall könnten die Schalker beim hochverschuldeten FCK, wenn überhaupt, mit einer stattlichen Ablösesumme zum Ziel kommen. Wie es heißt, hat der Vorstand des Revierklubs noch mit keinem Trainer über eine mögliche Zusammenarbeit verhandelt. Da Gerets kaum zu bekommen sein wird, fällt am Schalker Markt von Tag zu Tag häufiger der Name einer der schillerndsten Figuren im kickenden Gewerbe: Christoph Daum. Er ist der Favorit des Boulevards. Eigentlich keine schlechte Voraussetzung, um in Schalke etwas zu werden. Doch die Kampagne pro Daum wird mit derartiger Wucht gefahren, daß Assauer sich in seiner Entscheidungsfreiheit eingeengt sieht. Er lasse sich nicht von außen vorschreiben, welche Entscheidungen er zu treffen habe, sagt er trotzig. Der Manager sieht sich zwar als Mann des Volkes, will aber den Eindruck vermeiden, er sei nicht Herr des Verfahrens und folge den Vorschlägen Außenstehender. Daß er sich, theoretisch, mit dem Gedanken befaßt, Daum zu holen, bestreitet Assauer nicht. Der Manager spricht aber auch über seine vielfältigen Bedenken bei dieser Personalie. Christoph Daum ist sicher ein guter Trainer. Aber paßt seine Persönlichkeit zu Schalke? Genaugenommen müßte die Frage lauten: Paßt Daum zu Assauer? Als Daum in Leverkusen arbeitete, war sein Verhältnis zu Assauer angespannt. Man erinnert sich noch gut an ein heftiges Wortgefecht der beiden im Kabinengang. Am Ende rief Daum dem Widersacher zu: Contenance, Herr Assauer! Contenance? Ob Daum willkommen ist oder nicht: Contenance, Herr Assauer: Dieser Satz ist zeitlos gültig, besonders in den Wirren dieser Tage und Wochen.“

Markus Hesselmann (Tsp 13.5.) berichtet. „Assauer war böse. Er saugte an seiner erkaltenden Zigarre. Er kniff die Augen zusammen. „Drohen Sie mir?“, fragte sein Blick. Wie Robert de Niro in „Kap der Angst“. „Sie verstehen das nicht, weil Ihr Kopf zu klein ist“, herrschte er den Berichterstatter von „Bild“–Gelsenkirchen an. „Manager, dafür entschuldigen Sie sich“, rief der „Bild“-Mann. Assauer zuckte mit den Schultern. Es ging um Andreas Möller. „Bild“ hatte seine Aufstellung ins Gespräch gebracht, Möller hatte nach langer Pause schlecht gespielt. Gut für ihn, dass er ohnehin aufhört. Für andere könnte das Aus unfreiwillig kommen. „Wenn das in den nächsten Tagen nicht zu kitten ist, dann heißt es: Auf Wiedersehen“, sagte Assauer. Das klang zweideutig. „Auf Wiedersehen“, womöglich auch für Assauer selbst? Nach dem Spiel gegen Hannover wirkte der Manager so verbraucht, dass selbst das nicht ausgeschlossen ist.“

Die nackte Verzweiflung

Thomas Kilchenstein (FR 13.5.) kritisiert das Krisenmanagement in Leverkusen. „Am späten Montagnachmittag hat der Sprecher des Noch-Bundesligisten Bayer Leverkusen mitgeteilt, dass es nichts mitzuteilen gibt. Wahrscheinlich war das die gute Nachricht. Eine andere denkbare wäre: Wir haben Thomas Hörster wieder zu den Amateuren geschickt und statt seiner Klaus Augenthaler verpflichtet. Im Ernst ist das gestern diskutiert worden in der BayArena, wo ein Krisengipfel den nächsten ablöst, wo hektisch, panisch und hypernervös das Schlupfloch aus dem blanken Elend gesucht wird. Dabei wissen sie doch auch in Leverkusen: Der Karren ist so heillos verfahren, dass er nur noch mit sehr viel Glück aus dem Schlamassel gezogen werden kann. Wie verwirrt und wie unfassbar hilflos sie sind bei Bayer, zeigt doch, dass zum einen allen Ernstes eine Verpflichtung von Augenthaler als Feuerwehrmann, als Red Adair, in Erwägung gezogen worden ist. Einem Mann, der vor knapp 14 Tagen beim jetzt abgestiegenen 1. FC Nürnberg freigestellt wurde, eben weil er es nicht geschafft hat, den Club in der Liga zu halten. Und der soll Bayer nun retten? Zwei Spieltage vor Ultimo? Das ist die nackte Verzweiflung.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Borussia Mönchengladbach – Bayer Leverkusen 2:2

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 28.4.). „Sie müssen sich vorgekommen sein wie Kartenspieler. Alles sprach an diesem Tag für die Männer mit den Assen und Herzbuben in ihren Reihen. Und dann halten diese Leverkusener plötzlich doch noch den Schwarzen Peter in der Hand. So haben die Fußballprofis von Bayer 04 Leverkusen samt Anhang dieses 2:2 bei der Borussia auf dem Mönchengladbacher Bökelberg empfunden (…) Die Leverkusener haben in den letzten Wochen so viele Rückschläge erlebt, daß sie schon geübt sind im Interpretieren von Schockerlebnissen und der Gabe, die Fehler bei sich zu suchen und zu finden. Sie seien katastrophal in die Begegnung reingekommen, deutete Bayer-Trainer Thomas Hörster den Beginn der Partie, als Igor Demo bereits in der 6. Minute das Führungstor der Gladbacher gelungen war. Aber diese Szene blieb eine Momentaufnahme, denn von da an ergriff Bayer die Initiative. Immer wieder schaltete sich Lucio mit in den Angriff ein, überbrückte die Distanz zwischen den Strafräumen mit Siebenmeilenstiefeln. Auch Kapitän Carsten Ramelow und Yildiray Bastürk erinnerten in ihrer Außendarstellung an die vergangene Saison, als das Ensemble Champions-League-Qualität besaß. Wenn sie doch immer so gekämpft hätten! lautete der öffentlich gemachte Stoßseufzer von Manager Reiner Calmund (…) War das 2:2 nach den letzten drei Auswärtspleiten ohne einen einzigen Bayer-Treffer schon die Trendwende? Es sah so aus. Sportdirektor Jürgen Kohler legte sich auf einen gewonnenen Punkt fest, statt zwei verlorenen Punkten nachzutrauern. Schließlich habe man bei der heimstarken Borussia bestanden. Unter Trainer Ewald Lienen war es gar der erste Punktverlust auf eigenem Terrain. Darauf könnten sich die Leverkusener etwas einbilden, doch sie haderten statt dessen mit dem Rezept, sich zu früh aufs Ergebnishalten verlegt und mit dem Fußballspielen aufgehört zu haben. Trainer Thomas Hörster versuchte sich als strenger Zuchtmeister seiner schwierigen Patienten.“

Bernd Müllender (taz 28.4.). „Zu den tragenden Säulen der Fußballwelt gehört es, dass ein einziger Moment so ziemlich alles über den Haufen werfen kann: Stimmungen, Analysen, Gerechtigkeitsempfinden, Hochrechnungen, Planspiele und eine Banalität wie Tabellenstand sowieso. Ein plötzliches Tor in letzter Minute ist dafür das beste Beispiel. Morten Skoubos 2:2 kurz vor dem Abpfiff rettete den Borussen aus Mönchengladbach die Distanz zu den Abstiegsplätzen und schockte die überraschend stark auftrumpfenden Bayer-Mannen schwer. Leverkusen war eine richtig gute Mannschaft und das spieltechnisch bessere Team gewesen, konnte Gladbachs Trainer Ewald Lienen nachher mühelos zugeben. Tatsächlich: Bayer hatte leidenschaftlich gekämpft, dazu frisch und frech einige beste Chancen herausgekontert. Mit einem Sieg durch Berbatows 2:1 kurz nach der Pause wären beide Teams punktgleich gewesen. Man hätte von Leverkusens beeindruckender Wiederauferstehung berichtet. Vom ersten Schritt zur späten Rettung. Und von einer dürftigen Darbietung der Borussen. Die klitschnassen Massen hätten ausdauernd gepfiffen. So jubelten sie sich ausgelassen den Regen von der Seele (…) Reiner Calmund hatte gefallen, dass der Abstiegskampf in den Köpfen der Spieler heute angekommen ist. Ein ungewöhnlich kurzer Existenzkampf: Die Leverkusener könnten die große Bühne verlassen, bevor sie gemerkt haben, dass sie darauf standen. In der Musik ist das so, als würde sich ein Chor erst zur Zugabe einsingen. Aber, wer weiß, manchmal kommen in der Wohlklangwelt die besten Darbietungen ja auch zum Schluss. Von der Götterdämmerung zu Freude, schöner Götterfunken ist es kaum mehr als eine große Punkte-Terz.“

Christoph Biermann (SZ 28.4.). „Wäre die Partie am Bökelberg 80 Sekunden kürzer gewesen, hätte man dem Drittletzten der Bundesligatabelle ohne großes Zögern eine optimistische Prognose stellen können, dass der Himmel nicht so fern ist. Gut wie lange nicht trat Bayer auf. Die sonst so leicht zu verunsichernde Mannschaft ließ sich von Gladbachs früher Führung in der sechsten Minute durch Demo nicht irritieren, glich durch Bierofka schon elf Minuten später aus und ging kurz nach der Pause durch Berbatov in Führung. „Sie waren das spieltechnisch bessere Team“, gab Gladbachs Trainer Ewald Lienen zu. Bayer kombinierte mehr Torgelegenheiten heraus und ließ kaum welche zu. Vor allem aber war die Mannschaft kämpferisch stärker als die Gastgeber und hielt sich so konsequent wie diszipliniert an ihre Aufgaben. „Der Abstiegskampf ist endlich im Kopf angekommen“, resümierte Calmund. Doch der Abstiegskampf zeigte auch seine Tücken, weil die Leute von Bayer das Spiel nicht gewannen, das sie zu gewinnen verdient gehabt hätten. Den Ausgleich erzielte Morten Skoubo, auch noch einer, dessen persönliches Leiden bislang nicht geringer gewesen sein dürften als das kollektive in Leverkusen. Die Anhänger von Borussia Mönchengladbach maulten schon, als der 22-jährige Däne eine Viertelstunde vor Abpfiff eingewechselt wurde. Nach Saisonbeginn als erfolgreichster Torjäger seines Heimatlandes verpflichtet, hatte Skoubo in 16 Einsätzen noch nicht einen Treffer erzielen können. „Er ist schnell, auch wenn es nicht so aussieht, weil er riesengroß ist und komisch läuft“, sagte Ewald Lienen, „und er behält vor dem Tor die Ruhe.“ In der vorletzten Minute konnte der freundliche junge Mann beides endlich einmal belegen.“

Hans-Joachim Leyendecker (FAZ 28.4.). „Mit Dänen haben die Mönchengladbacher ausschließlich gute Erfahrungen in Mönchengladbach gemacht. Das war schon in Zeiten eines Günter Netzer so, als Allan Simonsen in der Fohlenelf stürmte. Simonsen war am Samstag unter den 34 000, um sich den Luxemburger Jeff Strasser näher anzusehen. Schließlich ist Simonsen Nationaltrainer des Kleinstaates. Er sah Strasser gehen, Morten Skoubo kommen und treffen. Da regte sich dann ein wenig Nationalstolz. Simonsen, die Nielsens, Le Fevre – das sind alles Importe aus Dänemark, mit denen der Norden den Fußball am Niederrhein bereicherte. 171 Tore aus dänischer Produktion für die Borussia hatten Statistiker vor Beginn dieser Saison errechnet. Jetzt sind es 172. Dank eines quasi Last-minute-Treffers eines spät gerufenen Dänen.“

Interview mit Wolfgang Holzhäuser, Bayer Leverkusens Geschäftsführer Tsp

VfB Stuttgart – Hansa Rostock 1:1

Peter Heß (FAZ 28.4.). “Die Jugend wird immer schöner, je länger sie zurückliegt. Die angenehmen Aspekte des Sturm und Drangs bleiben lebendig im Gedächtnis. Daß diese Zeit voller Kraft und Ungestüm von mancher Unsicherheit und manchem Zweifel durchmischt war, verliert sich im Dunkel der Erinnerung. Wenn die jungen Stuttgarter Fußballprofis später einmal auf die Saison 2002/03 zurückblicken werden, werden sie sich daran ergötzen, wie sie das Establishment aufmischten. Einerlei, ob ihre unverhoffte Erfolgstournee durch die 34 Spieltage in der Champions League, im Uefa-Cup oder im UI-Cup enden wird. Im Moment schüttelt sie die Furcht, die Chance auf den optimalen Ertrag ihres Talents zu verspielen. Durch das 1:1 gegen Rostock verteidigten die jungen Schwaben zwar noch einmal ihren zweiten Tabellenplatz. Aber der Zustand der Mannschaft läßt befürchten, daß am Ende weniger herauskommen könnte als die direkte Qualifikation für die Champions League. Trainer Felix Magath reagierte auf das zunächst mäßige und später völlig zerfahrene Spiel seiner Mannschaft wie ein gütiger Vater. Das ist halt so. Mit seinem Bekenntnis zum Jugendfußball in der Bundesliga handelte er sich nicht nur Dynamik, Spielfreude und Wucht ein, sondern auch einen kräftigen Schuß Unreife. Die Spieler denken viel zuviel an die Tabellensituation. Wie stehen wir, wenn wir so und so spielen? Was passiert, wenn die anderen dies oder jenes Ergebnis erzielen? beschrieb Magath, was seine Profis ablenkt. Ich kann nicht in die Köpfe der Spieler schauen, aber ich denke, da liegt das Problem, faßte er zusammen. Und der Kopf steuert die Beine. Was der VfB bis zur 60. Minute bot, war eine schwache Kopie seiner bisherigen Arbeitsproben. Zwar engagiert im Zweikampf und voller Mut zum Dribbling und zu gewagten Direktpässen, aber andererseits von einer Fahrigkeit befallen, die zu einer wirklich störenden Fehlerquote führte.“

Schalke 04 – VfL Bochum 1:2

Richard Leipold (FAZ 28.4.). “Weihnachten und Ostern auf einen Tag? Dieses Zusammentreffen gibt es nicht einmal in der verrückten Welt des kickenden Gewerbes. Aber Geburtstag und ein Fußball-Wunschkonzert als Ständchen, dargebracht von der eigenen Mannschaft: Das kommt vor, wenn auch äußerst selten und noch seltener unter Beteiligung des VfL Bochum. Peter Neururer, der Trainer des Revierklubs, feierte am Samstag seinen 48. Geburtstag, erst im Stadion, später im Golfclub Haus Leithe. Beim 2:1 in Schalke traten die Bochumer Profis als kickendes Festkomitee auf. Da sie einen so durchschlagenden Erfolg nicht erwartet hatten, hatte der Mannschaftsrat ein paar Flaschen Rotwein für den Trainer gekauft. Wer will an so einem Abend schon mit leeren Händen dastehen? Mit Blick auf das Ergebnis hätte Torhüter Rein van Duijnhoven den Wein am liebsten wieder mit nach Hause genommen, drei Punkte reichen eigentlich. So heftig das Glück den Bochumer Trainer geküßt hat: Der Start ins neue Lebensjahr war anstrengend, aufreibend: eine Belastung für Körper und Seele. Wenn es so weitergeht, weiß ich nicht, ob ich den 49. Geburtstag noch bei guter Gesundheit erlebe, sagte Neururer. Es war ein bißchen viel auf einmal – selbst für den streßresistenten Übungsleiter. Schalke ist seine Liebe, der VfL sein Beruf; in Gelsenkirchen wohnt er, in Bochum verrichtet er seine Arbeit. Das Führungstor, der Ausgleich, das Zittern um den einen Punkt, am Ende dieser unverschämt freche Siegtreffer des launischen Delron Buckley. Und überhaupt die ganze Saison: Der VfL hat sie im Steigflug begonnen, ist aus lichten Höhen in den Sumpf des Abstiegskampfes gestürzt und findet nun allmählich wieder Halt. Neururer ist zu emotional veranlagt, um solche Höhen und Tiefen ruck zuck, zu verarbeiten.“

Andreas Morbach (FR 28.4.). “Wenn Fußballer keine Lust haben, über ihr vorangegangenes Treiben auf dem Rasen zu sprechen, greifen sie gerne zu folgender Taktik: Sie schnappen sich einen Mannschaftskameraden und eine von diesen riesigen Aluminiumkoffern mit Schweiß getränkten Trikots und verdreckten Fußballstiefeln und machen sich auf den Weg. Seht her, wie schwer ich hier zu schleppen haben, sagen ihr Mund oder ihre Augen dann, wenn sie an den wartenden Journalisten vorbeikeuchen. Nach dem überraschenden 2:1 des VfL Bochum ist Kofferträger Delron Buckley in Begleitung des niederländischen Kollegen Anton Vriesde wortlos durch den Bauch der Arena gekeucht. Dabei hätte der Mann aus Südafrika doch so schöne Dinge erzählen können über seine wundervolle Bogenlampe aus 20 Metern in der 89. Minute, mit der er den kleinen Höhenflug der Schalker unter ihrem neuen Trainer Marc Wilmots so jäh gestoppt und die eigenen Farben in ein mittleres Delirium gestoßen hatte. Und irgendwo in einer dunklen Ecke gab der Kunstschütze später auch noch zwei Sätze von sich, die darauf hindeuteten, dass er in erster Linie das zu erwartende Freudengelage rund um Geburtstagskind Peter Neururer nicht unnötig trüben wollte. Denn Delron Buckley war sauer auf seinen Trainer, weil der ihn zuletzt zum Einwechselspieler degradiert hatte. Also, erläuterte der Offensivmann die Ursache für den zweiten erstaunlichen Bochumer Sieg binnen sechs Tagen, habe ich mich auf Schalke konzentriert, wollte dort etwas Besonderes machen. Bingo, Mister Buckley.“

1860 München – Borussia Dortmund 0:0

Christian Zaschke (SZ 28.4.). „Was machte der Haufen Kinder da? Etwa eine Stunde nach dem torlosen Spiel standen vor der VIP-Lounge im Inneren des Olympiastadions Kinder. Normalerweise gruppieren sie sich um einen der Spieler, die hier das Stadion verlassen. Aber diese Kinder standen, wie es schien, einfach im Pulk, es war nicht zu erkennen, warum. Dann, nach etwa einer Minute, löste sich Thomas Häßler aus dem Pulk. Er ist ein kleiner Mann, 1,66 Meter, er kann unerkannt zwischen den Kindern stehen und Autogramme schreibenZu diesem Zeitpunkt wusste er nicht, was später 1860-Präsident Karl-Heinz Wildmoser über ihn sagen würde. Es war wieder einmal ein schwieriger Nachmittag für Thomas Häßler. Er saß zunächst auf der Bank. Ab der 30. Minute forderten die Zuschauer seine Einwechslung. In der 81. Minute gab Götz nach: Er schickte Häßler aufs Feld, und im Stadion brandete Jubel auf, lauter als je an diesem Nachmittag. Die Fans verehren Häßler, sie kennen seine Verdienste, er ist 1990 Weltmeister geworden, er hat viele gute Spiele auch für 1860 gemacht. Nun läuft sein Vertrag zum Saisonende aus, die Sechziger geben ihm keinen neuen. „Will er 1,5 Millionen Euro für das, was er heute gezeigt hat?“, polterte Karl- Heinz Wildmoser, als Häßler bereits gegangen war. „Da kann ich auch spielen, denn nichts spielen kann ich auch.“ Hatte sich Wildmoser bloß im Ton vergriffen? „Ich sage das bewusst mit dieser Härte.“ Kurz nach seiner Einwechslung wich Häßler dem Ball aus, so dass dieser gefährlich in den Dortmunder Strafraum flog. Es war eine Körpertäuschung, er hatte so getan, als wolle er den Ball spielen. Indem er sich vom Ball wegbewegte, verlieh Häßler der Partie mehr Esprit als irgendein anderer Spieler zuvor, er kann so etwas (…) Im vergangenen Jahr wollte Häßler von sich aus aufhören, jetzt würde er gern weiterspielen. Im vergangenen Jahr hat Wildmoser ihn angebettelt, er möge doch noch eine Saison dranhängen. Jetzt hört man seinen Worten an, dass er ihn nicht mehr braucht. Vielleicht hat es Wildmoser nicht gefallen, dass er Häßler so bitten musste, er ist nicht der Typ, der gern bittet. Vielleicht ist er jetzt, ein Jahr später, ganz froh, austeilen zu können, statt bitten zu müssen. Häßler habe „nichts zustande gebracht“. Wildmoser wusste, was er da sagte. Er schob hinterher: „Wenn er jetzt beleidigt ist, kann ich das auch nicht ändern.“ Und schließlich, falls es jemand noch begriffen haben sollte, sagte er: „Im Mai wird er 37, da ist die Zeit für Hochleistungssport vorbei.“ Verabschiedet man so einen verdienten Spieler? Den Liebling der Fans? Die im Moment herausragende Indentifikationsfigur des Vereins?“

Hertha Berlin – Hannover 96 2:0

Friedhard Teuffel (FAZ 28.4.). „Einiges scheint sich Hertha BSC Berlin für diese letzten Spiele der Saison aufgehoben zu haben. Souveräne Siege zum Beispiel wie das 2:0 am Samstag gegen Hannover 96. Oder eine kleine Erfolgsserie, denn die Berliner haben nun schon dreimal nacheinander gewonnen. Und auch Luizão holt nun auf einmal nicht mehr für möglich gehaltene Kunststücke hervor. Bisher hatte der Weltmeister aus Brasilien erst ein Tor für die Berliner erzielt, und das war auch noch ein Elfmeter. Doch gegen Hannover gelang ihm ein besonders schöner Treffer, ein Seitfallzieher. Unerwartete Souveränität, unerwartete Stabilität und ein überraschender Torschütze – so sind die Berliner nun einem großen Ziel ganz nahe. Zwei Punkte trennen sie noch vom Tabellenzweiten Stuttgart. Wie sind die Berliner nur dort hingekommen? Gibt es jetzt endlich keine Mißverständnisse mehr zwischen den Spielern und Trainer Huub Stevens? Das ist für Stevens nicht die Antwort: Wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Aber am Beginn der Saison waren die Spieler noch viel weiter entfernt von den taktischen Vorgaben ihres Trainers. Vor allem aber sind die Aufgaben nun viel besser verteilt. Denn bis vor kurzem noch stand und fiel die Leistung der Hertha mit der Form ihres brasilianischen Spielmachers Marcelinho. Hatte er einen guten Tag erwischt, zog er die anderen mit oder entschied das Spiel einfach alleine. Lief es dagegen nicht gut bei ihm, weil er Fieber hatte oder müde war, verließ auch seine Kollegen der Mut.“

Javier Cáceres (SZ28.4.). „Nicht nur verglichen mit den Stuttgartern darf den Herthanern Abgebrühtheit attestiert werden. Im Spiel gegen die Hannoveraner war der Hang zur Effektivität ein Wert an sich. Immerhin wurde die Pragmatik durch Kunst angereichert, vor allem bei den Toren. So war der Führungstreffer zwar in seiner Entstehung schmucklos (Einwurf Marx, Kopfballverlängerung Preetz), nicht aber in seiner Vollendung: Luizão veredelte die Sequenz durch einen Seitfallzieher (10.). Und selbst die immer etwas schnöde Begebenheit namens Elfmeter geriet zum kleinen Spektakel: Marcelinho trat die Kugel mit einer Chuzpe in den Winkel, die Erinnerungen an den Schaufel-Strafstoß des Tschechoslowaken Panenka beim EM-Finale 1976 gegen Deutschland weckte.“

Stefanie Kneer (FR 28.4.). „Ein bisschen erinnerte der schwüle Nachmittag im Berliner Olympiastadion an eine Casting-Veranstaltung. Der begabte Stürmer Fredi Bobic bewarb sich um die Hauptrolle Stürmer bei Hertha, und Hertha bot sich als neuer Arbeitgeber an. Bobics Vorspiel könnte Trainer Huub Stevens und Manager Dieter Hoeneß durchaus überzeugt haben. Listig, wie es seine Art ist, schüttelte er seinen aufmerksamen Bewacher Dick van Burik ab. In Minute 17 beispielsweise schlich er sich vorbei, mit einem kurzen Ballkontakt bewies er seine Torgefährlichkeit – auch wenn der Ball nur im Außennetz landete (…) Wer mit wem in der nächsten Saison auf der Bühne Bundesliga auftritt, darüber schwiegen sich am Wochenende alle Beteiligten aus. Herthas Manager Dieter Hoeneß, der Bobic 1994 beim VfB Stuttgart in die erste Liga geholt hat, bestätigte nur: Ja, es hat Gespräche gegeben. Fredi Bobic seinerseits lobte die Atmosphäre im Olympiastadion (hat mir gut gefallen), Huub Stevens (ein Trainer mit großer Reputation), und Dieter Hoeneß (in Stuttgart bin ich mit ihm immer gut ausgekommen und er ist ein absolut korrekter Manager). Dennoch will er erst verhandeln, wenn der Klassenerhalt von Hannover 96 klar ist. Ich hab die Ruhe weg, sagte der viel Umworbene, der am Mittwoch für die DFB-Elf im Freundschaftsspiel gegen Serbien-Montenegro stürmen wird. Und das Casting geht weiter: Am kommenden Samstag spielt Hannover gegen Stuttgart – der VfB gilt als weiterer Kandidat für die Hauptrolle im Stück Bobic und die Bundesliga 2003/2004.

Michael Jahn (BLZ 28.4.). „Manager Dieter Hoeneß würde sich am liebsten ein großes Schild mit der Aufschrift Bitte fragen Sie mich nicht nach der Champions League um den Hals hängen, und Trainer Huub Stevens würde gern in dessen Gefolge ein Transparent hochhalten mit der Losung: Die Tabelle interessiert mich nicht. Die ist erst nach dem 34. Spieltag wichtig. (…) Derweil bissen sich alle Berliner Spieler auf die Zunge, wenn sie nach der Königsklasse gefragt wurden. Michael Preetz sagte ganz im Stile eines künftigen Management-Vertreters: Wir dürfen uns nicht der Gefahr aussetzen, durch irgendwelches Geblubber über die Champions League am Ende mit leeren Händen dazustehen. Wenigstens Hoeneß ließ sich angesichts der aktuellen Tabelle doch noch zu einer Prognose hinreißen: Wenn wir nächste Woche in Bremen gewinnen, bin ich bereit, über die Champions League zu reden. Der Manager glaubt, dass man mit der bislang praktizierten Defensivtaktik im Umgang mit den Saisonzielen gut gefahren ist. Nach einer missglückten Hinrunde eröffnen sich plötzlich dank eigener Stärken und schwächelnder Konkurrenten neue Perspektiven. In Berlin, so scheint es, hat man aus der jüngsten Vergangenheit gelernt. Man kennt den verklärten Blick auf die Realitäten, die enormen Ansprüche und die schnelle Euphorie im Umfeld und bei den Fans.“

Hamburger SV – 1. FC Nürnberg 4:0

„Für diese Nürnberger ist die Bundesliga eine Nummer zu groß“, teilt Frank Heike (FAZ 28.4.) mit. „Der Zorn der Fans traf den Falschen. Als erster einer Mannschaft, die an diesem Samstag nachmittag nie eine war, machte sich Darius Kampa auf den Weg quer über das Feld zu den Anhängern in Rot und Schwarz. Sie hatten das 0:4 des 1. FC Nürnberg beim Hamburger SV relativ gutgelaunt verfolgt. Kampa hob die Hände zum Applaus, doch die Antwort aus dem Block waren ein Dutzend halbvolle Bierbecher, die auf den Platz flogen. Jeder der nach dieser abermaligen Niederlage nun über die Maßen abstiegsgefährdeten Profis aus Franken wurde so vertrieben – mit diesen Feiglingen im Trikot des Club wollten die treuen Fans nichts zu tun haben. Kampa indes hätten sie ruhig beklatschen dürfen. Er spielte am Ende nämlich fast allein gegen die Hamburger. Als alles schon verloren war, strengte sich wenigstens der bei allen Toren alleingelassene Keeper an, freute sich über seine Parade nach einem Schuß des Hamburgers Takahara und trat den Ball nach einem schmerzhaften Zusammenprall mit Meijer kurz vor Schluß selbst ins Aus, um behandelt zu werden – es war, als traute er seinen 80 Minuten lang völlig überforderten Kollegen nicht einmal das mehr zu.“

Jörg Marwedel (SZ 28.4.). „In Norddeutschland gibt es einen guten Brauch. Zu Beerdigungen wird Schnaps und Streuselkuchen gereicht. Ein solches Gedeck wäre wohl die richtige Stärkung für Klaus Augenthaler gewesen. Hätte der Trainer des 1.FC Nürnberg nicht zum dunklen Anzug eine leuchtend-rote Krawatte getragen, man hätte ihn für einen trauernden Hinterbliebenen gehalten. Jedenfalls verströmte er diese seltsam entrückte Gelassenheit, die viele Menschen überkommt, wenn sie die Gewissheit haben, dem Schicksal nicht mehr entrinnen zu können. Augenthalers Schicksal scheint es zu sein, den Club bei seinem sechsten Abstieg aus der Fußball-Bundesliga begleiten zu müssen. Das 0: 4 beim Hamburger Sport Verein ließ kaum einen anderen Schluss zu als jenen, den Torwart Darius Kampa zog: „Wenn wir so auftreten, haben wir in der Ersten Liga nichts zu suchen. Wir haben uns ja in der zweiten Halbzeit total aufgegeben.“ Und um dem Verdacht der Nestbeschmutzung vorzubeugen, fügte Kampa hinzu: „Das hat ja jeder gesehen.“ Ja, es hatte jeder gesehen.“

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Ballschrank

Schwalbe

if Leser Henk Mees aus Hertogenbosch (Holland) fragt: „Was mich seit Jahren fasziniert, und noch immer unbeantwortet ist: Woher kommt die Wortwahl Schwalbe? Dass hiermit ein Vogel gemeint ist, weiß ich. Wie aber ist sie zum Fußball-Jargon durchgedrungen? Schwalbe braucht in den Niederlanden keine Erklärung mehr, vielleicht auch weil jeder freiwillige Sturz im Strafraum hier als eine typisch deutsche Art betrachtet wird. Sogar gibt es schon eine anerkannte Übersetzung: „Fopduik“, was als „Irrtaucher“ übersetzt werden kann.

Dr. Soccer (heute Christoph Bieber): Zumindest um eine der ersten historisch verbrieften Schwalben zu dokumentieren, verweisen wir gerne auf den Standard-Artikel von Christoph Biermann Being Bernd Hölzenbein (unter Umständen nicht der reine Lesegenuß für unseren holländischen Freund… 😉 Warum die Aktion Schwalbe heißt, wird weder in diesem Artikel, noch in den diversen Fußballlexika hinreichend geklärt (auch nicht von Christian Eichlers ansonsten zuverlässigem Lexikon der Fußballmythen, vgl. s. 189f). Es hängt aber wohl damit zusammen, dass sich Schwalben im Flug charakteristischer Weise vom Wind tragen lassen. Das bestätigen nicht nur Vogelkundler, sondern es kommt auch – wer hätte das gedacht – aus dem Munde eines Heiligen: Wer innig und ausdauernd betet, wird einer Schwalbe ähnlich, die sich vom Winde tragen lässt.”(Hl. Johannes Maria Vianney, auch bekannt als der Pfarrer von Ars). Interessant (und wegen der Eishockey-WM in Finnland gerade sehr aktuell) ist auch die Tatsache, dass Schwalben nicht nur im Fußball bekannt sind, sondern sie auch als Eisvögel zu existieren scheinen: Dive – Tauchen / Schwalbe bezieht sich auf eine Situation, in welcher ein Spieler, der durch einen Gegner gecheckt wird, den Versuch unternimmt, den Check als ein Foul erscheinen zu lassen, mit der Absicht, dass gegen den anderen Spieler eine Strafe verhängt wird. Es spielt dabei keine Rolle ob der Spieler gecheckt wurde oder nicht (Quelle: DEL-Lexikon).

Dr. Christoph Bieber ist umsichtiger Fußballer und Ethymologe des Hauses.

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Ballschrank

Auslandsfußball

AS Roma, arm und schön – FC Barcelona schwingt auf – Austria Wien will wieder Meister werden u.a

Ein Kindergarten unverstandener, eingebildeter Stars

Peter Hartmann (NZZ 2.3.) fasst den Spieltag der Serie A zusammen: „Eine fast schizophrene Situation. Die Roma-Artisten treten ohne Netz auf, ohne feste Bezahlung (ein halbes Jahressalär steht immer noch aus), aber die Schwierigkeiten beflügeln sie. Ihr Spiel wirkt wie eine Endlosschlaufe von Videoclips mit Virtuosennummern: Der kleine Cassano, den der Trainer Fabio Capello erst noch vor vier Wochen im Training massregelte mit dem Ordnungsruf „Du bist nicht Maradona!“ (worauf Cassano beleidigt den Übungsplatz verliess), manchmal ist er doch Maradona, so wie er den französischen Torhüter Frey ausdribbelte, tänzelnd, auf der Fläche eines Biertellers, und das Führungstor von Parma ausglich. Francesco Totti gelingt die beständigste Saison seiner Karriere, er hat bereits 14 Tore geschossen und spielt alle Rollen, den Erfinder des letzten Passes, den Regisseur, Antreiber, Stürmer, den Mann für die stehenden. Einen ähnlichen Charaktertest hatte letztes Jahr schon die Squadra des römischen Lokalrivalen Lazio hingelegt, doch dieser Aufopferungseffekt hat sich abgenützt. Lazio unterlag im Römer Olimpico einer zynischen Milan-Mannschaft, die mit sehr wenig Aufwand ein 1:0 herausholte. Milan ist als Meisterschaftsleader und Titelhalter in der Champions League doppelt belastet, und auch Juventus, der zweite Italo-Vertreter in den Achtelfinals der Königsklasse, spielt zwar wieder erfolgreich (nach drei 1:0-Siegen nun ein beiläufiges 3:0 gegen den Tabellenletzten Ancona), doch die Tropfenzählertaktik von Trainer Marcello Lippi hat sogar dem Ehrenpräsidenten Umberto Agnelli auf den Magen geschlagen, der öffentlich rügte, die Mannschaft sei „zu gut belohnt“ worden für ihre schwachen Leistungen. Der neue Verzweiflungstrend im kranken Calcio, die spektakuläre Flucht nach vorn nach römischer Art, steht in krassem Widerspruch zum neuerlichen Niedergang einer Mannschaft wie Inter, genannt „la pazza Inter“, die wahnsinnige Internazionale, ein Kindergarten unverstandener, eingebildeter Stars wie Vieri und Recoba, mit einem völlig verunsicherten Torhüter Toldo. Jetzt verlor Inter in San Siro gegen Brescia 1:3, und alle erinnerten sich, dass nach dem 2:2 der Vorrunde in Brescia der als „Betontrainer“ geschmähte Hector Cuper gefeuert und durch Alberto Zaccheroni ersetzt wurde. Es gibt keine Schocktherapie, auf die diese identitätslose Zweckgemeinschaft, die immerhin pünktlich bezahlt wird, noch anspricht. Auch der Rücktritt des Präsidenten Massimo Moratti, der seinen verhätschelten Lieblingen immer wieder grossmütig Verzeihung schenkte, erwies sich nicht als Denkanstoss. Der neue Presidente Giacinto Facchetti, der legendäre Verteidiger aus der Zeit des Grande Inter der sechziger Jahre, befahl seine Millionäre wieder in den Mannschaftsbus, der sie in der Abenddämmerung zurückfuhr ins Trainingszentrum von Appiano Gentile. Statt Disco und blauem Montag ein Straflager von unbestimmter Dauer. Es wird sich zeigen, ob sie am nächsten Sonntag im Olimpico-Kolosseum wie ausgehungerte Gladiatoren über die fröhliche Untergangsbande der AS Roma herfallen. Eine mächtige nationale Sympathiewelle hat die römischen Leichtfüsse erfasst. Vielleicht geht das System unter, aber nicht der Fussball, solange Cassano mit dem Ball tanzt.“

Gerog Bucher (NZZ 2.3.) schildert den Aufschwung Barcelonas: „Die gravierende Heimschwäche hatte Barça schon im ersten Drittel des Campeonato zurückgeworfen und Kritik an den Optionen des neuen Trainers Frank Rijkaard ausgelöst. Zumal jene Equipe, die unter Radomir Antics Leitung im Saisonfinish noch einen Uefa-Cup-Platz erreichte, mit Marquez, van Bronckhorst und Ronaldinho deutlich verstärkt worden war. Als der brasilianische Magier Ronaldinho drei Wochen pausieren musste, verlor die Mannschaft den Anschluss. Erinnerungen an den „Albtraum Louis van Gaal“ lebten wieder auf. Der Sportdirektor „Txiki“ Beguiristain liess sich vom nervösen Umfeld nicht anstecken und betonte, langfristig mit Rijkaard arbeiten zu wollen. Diese Saison werde als Übergangsphase betrachtet, um die Grundlagen für einen nachhaltigen Aufschwung zu schaffen, nach vier desaströsen Jahren wieder an die brillanten Zeiten anzuknüpfen, denen Beguiristain als Linksaussen selber angehört hatte. Die Geduld zahlt sich früher aus als erwartet. Sechs Erfolge in Folge liessen Barça aus dem Niemandsland der Tabelle in den vierten Rang vorrücken. Ohne spielerisch zu begeistern, dafür effizient und ungewohnt stabil in der Abwehr, wurde die Wende eingeleitet. Enttäuschung über das Ausscheiden in der Copa del Rey machten Exploits im Uefa-Cup wett.“

Werner Pietsch (NZZ 2.3.) befasst sich mit Austria Wien: „Frank Stronach habe inzwischen eingesehen, dass der sportliche Erfolg nicht erzwungen werden kann. Joachim „Jogi“ Löw, seit neun Monaten Trainer im FK Austria Wien, bringt die Entwicklung der letzten Jahre im Wiener Grossklub auf den Punkt. Von der Geburtsstunde einer neuen grossen Austria, die auch im europäischen Fussball Gewicht hat, sei man noch weit entfernt, aber die Entwicklung ziele in diese Richtung. Zur Vorgeschichte: Der fussballbegeisterte Industrielle Stronach steckte viel Geld in Österreichs Fussball, einen grossen Teil davon in die Austria. In guter Absicht wurde in neue Spieler und Trainer investiert. Der Ertrag stand aber oft nicht im Verhältnis zu den Mitteln. Inzwischen hat man aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und ist im Klub mit Unterstützung Stronachs um Kontinuität bemüht. Wenn ein Trainer, wie sein Vorgänger Christoph Daum, in wenigen Wochen neun neue Spieler in ein gut besetztes Kader integrieren solle, komme es zwangsläufig zu Spannungen, ist Löw überzeugt. In so kurzer Zeit eine Mannschaft zu bilden, gilt für ihn als fast unmöglich. Die Unsicherheit um den eigenen Arbeitsplatz führt unter den Spielern automatisch zu Egoismen. Unter Löws Führung wurde das Kader erstmals reduziert. Im Sommer soll ein weiterer Schritt in diese Richtung folgen.“

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse, Torschützen, Tabellen NZZ

Ballschrank

In Hamburg

In Hamburg erhofften sich die erwartungsfrohen Zuschauer vergebens ein Spitzenspiel gegen den Deutschen Meister aus Dortmund. Die Akteure boten ein „Abbild des aktuellen Bundesliga-Niveaus: zerhackt, manchmal unfair, dafür aber voller Spannung und mit einem Schiedsrichter, der wieder alle Beteiligten in Rage versetzte“ (SZ). Für Zündstoff sorgte ein hässliches und nur mit einer Gelben Karte geahndetes Foul von HSV-Verteidiger Bernd Hollerbach. „Fußball?“, fragt die FAZ enttäuscht: „Darum ging es in diesem sogenannten Spitzenspiel am wenigsten. Für den Hamburger SV schien die für Ästheten eher abschreckende Begegnung ein reines Rechenexempel, für Borussia Dortmund dagegen in erster Linie ein Härtefall gewesen zu sein.“

Stoppt Hollerbach!

Jörg Marwedel (SZ 14.4.) ärgert sich über die Spielweise des mit einer Verwarnung davongekommenen Bernd Hollerbach. „Der stramme Verteidiger des Hamburger SV ist ein Prachtexemplar von einem Fußball-Macho; er ist die Kampfansage an alles, was hier zu Lande als „Spaßgesellschaft“ oder „verweichlichte Generation“ firmiert. Bernd Hollerbach war mal Deutschlands bester Metzgerlehrling. Er fährt mächtige Motorräder, liebt schöne Schauspielerinnen und Models. Und auf dem Fußballplatz ist er ein rechter Haudrauf und bekommt auch noch viel Geld dafür, was beides zusammen in der Welt Darwins als Aphrodisiakum gilt. Am Samstag hat Hollerbach die elfte Gelbe Karte in dieser Saison gezeigt bekommen – eine mehr als das ähnlich rücksichtslose Schalker Raubein Tomasz Hajto. Und als sich sein Opfer, der kleine Dortmunder Fußball-Mozart Tomas Rosicky, über die schmerzhafte Ellenbogen-Attacke beklagte, die ihm das Nasenbein hätte brechen können, da hat Hollerbach gesagt, er sei diese „Heulerei“ Woche für Woche leid. Das ist ein klares Wort, und es mag Typen wie Uwe Klimaschefski gefallen, der in den sechziger Jahren als säbelbeiniger Rambo die Gegner malträtierte und später als Trainer den Platzwart von Homburg zwecks Zielschießen an den Pfosten band. Oder einem wie Franz Beckenbauer, der ohne den rustikalen Putzer Georg „Katsche“ Schwarzenbeck an seiner Seite nie der „Kaiser“ geworden wäre. Anhänger einer zivilen Gesellschaft aber haben in diesen ohnehin kriegerischen Zeiten nur einen Wunsch – stoppt Hollerbach!“

Galligkeit auf dem braunen Rasen

Jörg Hanau (FR 14.4.) fasst Dortmunder Reaktionen zusammen. „Still und bedächtig verabschiedeten sich auch die Borussen aus Hamburg. Keine geharnischte Ansprache des Trainers, keine Brandrede des Präsidenten. Warum auch? Wir haben heute die zehn Prozent mehr abgerufen, die uns zuletzt gefehlt haben, verteidigte sich Verteidiger Christian Wörns. Einen richtigen Schritt in die richtige Richtung wollte er erkannt haben. Bei einigen wollte Sammer die von ihm eingeforderte Leidenschaft erkannt haben, ich weiß aber auch, dass es so am Ende nicht reichen wird. Schon gar nicht, wenn der Marcio-Amoroso-Virus um sich greifen sollte, der Brasilianer seine Kollegen mit seiner öffentlich zur Schau gestellten Lustlosigkeit infiziert. Seine Leistung war, gelinde gesagt, eine bodenlose Frechheit, die Sammer (Ich bin viel zu erregt) nicht kommentieren wollte. Die Drecksau blieb auch hier im Stall. Dafür setzte es für Schiedsrichter Helmut Fleischer einen verbalen Satz roter Ohren. Er war der schlechteste Mann auf dem Platz, ereiferte sich Torsten Frings, den der Unparteiische vorzeitig zu Duschen geschickt hatte. Eine Gelb-Rote-Karte, die zu verhindern gewesen wäre, hätte der Referee die Spieler nicht zu lange an der langen Leine geführt, klare Regelverstöße gar nicht oder falsch bewertet. Hollerbachs Ellbogencheck gegen Tomas Rosicky war rotwürdig. Zumal sich Hollerbach nun schon die dritte Attacke dieser Größenordnung innerhalb weniger Monate geleistet hatte. Fleischer ließ zu viel gewähren – ein falsches Signal. Die Galligkeit auf dem braunen Rasen nahm zu und mit ihr die vielen kleinen Fouls, an deren Ende die Gelb-Rote Karte für Frings stand. Sammer verschaffte sich denn auch Luft, sonst bekomme ich noch ein Magengeschwür und das wollen weder Sie noch ich. Er konnte nicht einverstanden sein mit dieser willkürlichen Pfeiferei, wenn, dann muss ich meine kleinliche oder großzügige Linie durchziehen. Fleischer tat dies nicht.“

Ein typisches 0:0-Spiel

Jörg Marwedel (SZ 14.4.) ist vom Spiel enttäuscht. „Am Ende der westfälischen Polterwoche überkam Matthias Sammer, die selbst ernannte „Drecksau“, so etwas wie Milde. Gerade hatte Borussia Dortmund mit dem 1:1 beim Hamburger SV zwei weitere Punkte im Kampf um den fest eingeplanten Champions-League-Platz verloren, und es war ein schlechtes Spitzenspiel gewesen. Sammer aber sagte plötzlich: „Ich liebe meine Mannschaft, und auf das, was du liebst, kannst du nicht permanent draufhauen.“ Fast schien es, als habe der unerbittliche Fußballlehrer Mitleid mit den Profis, denen in den Tagen zuvor genau dies widerfahren war: Am Montag nach der 1:2-Blamage gegen Werder Bremen hatte ihnen Sportdirektor Michael Zorc mit nie erlebter Schärfe die Leviten gelesen, am Dienstag legte Präsident Gerd Niebaum nach, die restlichen Tage tat es Sammer selbst, weil die Profis ihre gut bezahlte Arbeit zu leicht genommen hätten in den vergangenen Wochen. Im Grunde den vergangenen Monaten. Doch vielleicht hat Sammer geahnt, dass diese Tiraden zwar nachdrücklich geforderte Tugenden wie Kampfeswillen, Galligkeit (Sammers Lieblingswort) oder Hingabe neu beleben, nicht aber die sofortige spielerische Wiedergeburt einleiten würden. Also sprach er nun nachsichtig, es sei „ein Anfang“ gemacht – auf dem „Weg aus dem Schlendrian“ und zu der Erkenntnis, dass man Fußball „erst einmal wieder arbeiten“ müsse. Das Resultat dieses Krisenmanagements war für die 55.529 Zuschauer freilich wenig erbaulich. Sie sahen ein Dortmunder Team, das zwar emsig bemüht war, den Forderungen seiner Chefs nachzukommen, gleichzeitig aber „zu verkrampft“ (Sportdirektor Zorc) zu Werke ging. Sie sahen „ein typisches 0:0-Spiel“ (Dortmunds Nationalspieler Torsten Frings), in dem beide Mannschaften dem Gegner vor allem die Räume für schöne Angriffszüge verstellten und wehmütige Erinnerungen aufkommen ließen an jenen aufregenden Schlagabtausch vom vergangenen Frühjahr, als die Dortmunder mit einem 4:3-Sieg die Grundlage für ihre Meisterschaft legten.“

Sadistischer Antifußball

René Martens (FTD 14.4.) auch. „Die Gäste spielten in der ersten Halbzeit verhalten bemüht und die Hamburger, wie erwartet, bemüht verhalten. Das ergab eine unansehnliche Mixtur, die auch kaum akzeptabel gewesen wäre, wenn sich hier nicht der Vierte und Dritte der Tabelle duelliert hätten – es also formell ein Spitzenspiel gewesen wäre. Aufregung gab es nur in zwei Szenen: In der achten Minute wechselte Marcio Amoroso seine Schuhe, obwohl der Boden bei frühlingshaftem Wetter von keinerlei meteorologischen Widrigkeiten beeinträchtigt war. Danach ward der Brasilianer im Übrigen nicht mehr gesehen. Eine halbe Stunde später deformierte Bernd Hollerbach mit dem Ellenbogen das Gesicht Tomas Rosickys und provozierte damit die erste Rudelbildung. Schiedsrichter Helmut Fleischer bestrafte das ligabekannte Hamburger Raubein allerdings nur mit einer gelben Karte (…) Trainer Jara beherrscht es mittlerweile perfekt, mit maliziösem Lächeln den sadistischen Antifußball seiner Mannschaft schönzureden. Diesmal war er „vollauf zufrieden“, weil die Elf gezeigt habe, dass sie „auch mental gegen einen Gegner bestehen“ könne, der ja in der Champions League „gegen erstklassige Konkurrenten nur knapp gescheitert“ sei. Für HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer war das Ergebnis dagegen „so’n kleiner Dämpfer“. Allerdings seien die noch ausstehenden Gegner „vom Schwierigkeitsgrad her überschaubar“. Im Klartext: Der HSV bestreitet seine letzten sechs Begegnungen fast ausnahmslos gegen Abstiegskandidaten.“

Psychologische Sonderfälle am Spielfeldrand

Oke Göttlich (taz 14.4.). „Nur so viel, ich bin aufgeladen, erklärte Dortmunds Trainer Matthias Sammer nach der Begegnung. Ein aufgebrachter Sammer also, das konnte jeder sehen. Grundsätzlich Neues wollte der gereizte Trainer dennoch nicht nach außen tragen. Die Sorge, dass Sammers Ärger chronische Ausmaße annimmt, wird nicht erst seit Samstag und durch Stürmer Marcio Amorosos Verhalten genährt. Dieser setzte sich nach sieben Minuten erstmal gemütlich an den Rand, um seine Stiefel in aller Ruhe zu wechseln. Als eine halbe Minute später der linke Läufer Dede seine Schnürsenkel nochmals mit einer neuen Schleife zieren musste, wartete man gespannt, wie Sammer sich wohl entladen würde. Sönke Glindemann, vierter Schiedsrichter und damit der Mann für psychologische Sonderfälle am Spielfeldrand, dürfte nach 90 Minuten und zahlreichen kontroversen Gesprächen mit Sammer jedenfalls eine heisere Kehle und zerrüttete Nerven gehabt haben. Gereicht hat seine Intervention nicht, Sammer die Sorge vor einem Magengeschwür zu nehmen. Auch nach Spielende verging keine Minute, die er nicht nutzte, Stresshormone auszuschütten. Er, wie auch HSV-Trainer Kurt Jara betonten gemeinschaftlich, wie ärgerlich sie über die unklaren Regelauslegungen des Schiedsrichters Helmut Fleischer gewesen seien.“

Zu den Ursachen des Dortmunder Abschwungs meint Karsten Doneck (Tsp 14.4.). „Jeder im Stadion erkennt, dass Spieler wie Amoroso, Rosicky oder Dede mit dem Ball durchaus gut Freund sind, aber ihre individuelle technische Klasse fügt sich nicht mehr so nahtlos ein in ein durchschlagskräftiges Gesamtkonzept. In Hamburg ließen sich die Borussen von ein paar körperbetonten Attacken ihrer Gegenspieler viel zu früh einschüchtern. Das Unentschieden beim HSV war für die Dortmunder eher ein Rückschlag auf dem Weg zu den großen Zielen.“

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Wenn nichts mehr geht, kommt Friedhelm Funkel

„Wenn nichts mehr geht, kommt Friedhelm Funkel“ (SZ); „Ende des Leidens – Rangnick darf gehen“ (FAZ); „dem Ultimatum ein Ultimatum“ (FAZ) – „reif für Real“ (FAS); „der FC Bayern erreicht rechtzeitig zum Spiel in Madrid seine beste Form“ (BLZ) – „der VfL Bochum funktioniert noch“ (SZ) – „Dortmund, Stuttgarts Vorspeise – Hauptgericht in London?“ (FAS) – „das kleine Wunder von Rostock“ (FAS) – „Hertha im alten Trott“ (FAS) – „Kaiserslautern: Bolzen als Erfolgskonzept“ (FR) u.v.m. (mehr …)

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Harmoniesucht

Fernsehen, das kritikfreie Medium – sehr lesenswert: ein Völler-Portrait – das Wesen des Fußball-Intellektuellen – CSU will Günther Koch das Mirko wegnehmen – Zeit-Interview mit Uli Hoeneß

Harmoniesucht

„Das Fernsehen besorgt längst, wogegen Völler wütet: Es schafft Krach und derbe Kritik ab“, schreibt Nikolaus von Festenberg (Spiegel 15.9.) über das kritikfreie Medium. „Völlers beleidigende Attacke auf seine Kritiker kostete ihn kein Ansehen. Auch eine NFO-Infratest-Umfrage im Auftrag des Spiegel ergab mehrheitliche Zustimmung für den Wüterich. Nach dem blamablen 0:0 in Reykjavík vollzog sich, so scheint es, eine zornige Revolte gegen die verwaltete Welt der Medien. Der Zuschauer hat die allseitige Gelacktheit satt. Der Kabarettist Bruno Jonas versuchte zu übersetzen, was Völler aufregte: Endlich hat einer sein Herz aufgemacht, endlich redet einer, wie er sich fühlt. Dieser arrogante Klugschiss, den Netzer immer von sich gibt, dieses Gelassenheitsgelaber, dieses Souveränitätsgetue, dieser emotional verkümmerte Analysten-Seim – ich kann’s nimmer hören. Völlers Show traf ins Gemüt des darbenden Zuschauers – paradoxerweise auch deshalb, weil er für jenen Krawall sorgte, der im Fernsehen längst verpönt ist. Friede, Freude, Eierkuchen haben sich in bedenklichem Ausmaß über das Programm gelegt. Ist es frauenfeindlich (und falsch) zu sagen, das liege an der Feminisierung des Moderatorentums in den Talks, wo die Damen von Elke Heidenreich bis Sabine Christiansen am Steuer sitzen? Wahr ist, dass immer mehr Einfühlung, Höflichkeit, verbindliches Lächeln und die Abwesenheit naiver Polemik den Druck im emotionalen Kessel erhöhen. Als einer der Ersten hat Harald Schmidt vor der aufkommenden Harmoniesucht im neuen Fernsehland des Lächelns kapituliert. Den Dirty Harry von früher ließ der geniale Entertainer einfach verschwinden. Kein Kotzen, kein Brüllen, stattdessen verspielte Harmlosigkeit, tägliches Betriebsfest. Früher, als sowieso alles besser war, in den optimistischeren Zeiten gleich nach der Wiedervereinigung, machte das Fernsehen noch Quote mit Krawall, die heute dünnhäutig gewordene Republik hat Angst vor Explosionen. Fast jeden Tag gab’s einst Völlerei. Der heiße Stuhl und Einspruch! hießen die erfolgreichen Teletribunale auf RTL und Sat.1. Der Wahnsinn hatte seinen festen Platz: mit Tintespritzern (Fritz Teufel), mit höherem Gagaismus (Klaus Kinski), mit aggressivem Totalschweigen (Box-Prinz von Homburg Norbert Grupe). Aber diese krachverliebten Zeiten sind längst vorbei. Das Medium hat sich gewissermaßen gezähmt – und bestraft oder therapiert selbst, wo früher zur freien öffentlichen Besichtigung und Beurteilung durch andere geflennt, gekeift, geprotzt wurde. Die große Unterhaltungsmaschine braucht keine Kritiker von außen, die stellt sie, wenn überhaupt, selbst. Kein Wunder, dass das Rezensentengewerbe unbeliebter wird. Nicht wenige Medien haben die Rezension durch eine Art Industrieberichterstattung ersetzt, die lieber von den Heldentaten bei der Produktion eines TV-Erzeugnisses kündet als davon, ob es künstlerisch etwas taugt. Wer wie Völler wider die Netzers dieser Welt ausrastet, tut nur, was das Medium selbst eleganter erledigt. Adornitisch gesagt: Das Fernsehen hat die Kritik seiner selbst inkorporiert. Auf Deutsch: Dieter Bohlen ist der letzte Verdammungskritiker. “

Das Wort Visionen spricht er beinahe verächtlich aus

Sehr lesenswert! Jörg Kramer (Spiegel 15.9.) porträtiert Rudi Völler. „Mit seiner Philippika wider die kommentierenden Altinternationalen hatte der immer schon zu cholerischen Ausbrüchen neigende Teamchef vor allem ein Tabu gebrochen: Er ordnete das Leistungsvermögen der deutschen Kick-Elite schlicht dort ein, wo es sich seit Jahren wirklich aufhält. In der internationalen Zweitklassigkeit. Was er den Ex-Stars, die er unter Mitarbeitern schon mal als Nestbeschmutzer bezeichnete, mit seinen scheinbar wirren Anwürfen (In welcher Welt lebt ihr denn alle?) mitteilen wollte, war nur dies: Die Ansicht, Deutschland dürfe immer noch das Attribut Fußballgroßmacht vor sich hertragen wie ein Gütezeichen, sei von vorgestern. Heute zähle ein 0:0 gegen Island zu den passablen Auswärtsresultaten. Nur ziemte es sich bislang nicht, am Spielvermögen der Nation zu zweifeln. Die Meinungsmacher, wie der Dortmunder Trainer Matthias Sammer die prominenten Kritiker nennt, vertreten schließlich auch geschäftliche Interessen. An dem verbreiteten Irrglauben, in hiesigen Stadien werde erste Qualität geboten, verdienen TV-Sender, WM-Veranstalter und der Bundesligabetrieb gleichermaßen. Zudem vernebelt der Zufallseinzug ins WM-Finale des vergangenen Jahres wohl immer noch die Blicke der Betrachter (…) Zwar nimmt er weiterhin die Huldigungen der Fangemeinde winkend entgegen – leistungsunabhängigen Beifall, wie ihn auch das singende Jugendidol Daniel Küblböck erntet. Seine Position als Kultfigur hat der Teamchef mit dem Rüpel-Auftritt von Island zementiert. Aber hat er auch fußballtechnischen Fortschritt gebracht? Der Dortmunder Sebastian Kehl räumte in Reykjavík ein: Ihm und den Kollegen sei irgendwie nichts Richtiges eingefallen. Weil auch nichts einstudiert wurde? Völler-Assistent Michael Skibbe, von dem es zu Beginn der Liaison hieß, er sei in Sachen Taktik der Souffleur des Teamchefs, taucht in der Öffentlichkeit kaum noch auf und wird auch intern als Urheber von Entscheidungen immer seltener genannt. Völler selbst, als Trainer kein Stratege, vertraut seiner Intuition. Wichtiger als Trainingsform und Taktikschule, tat er zuletzt launig kund, sei das Wissen um den moralischen Zustand: Wie ist der Spieler drauf? Manche Weisheiten erinnern in ihrer Schlichtheit an seinen Lehrmeister zu Bremer Zeiten, Trainer Otto Rehhagel. Auch der war kein Freund großer Entwürfe und wird nicht als Erneuerer der Trainingsgestaltung in die Fußballgeschichte eingehen. Zum Bemühen um raffinierte Einfälle pflegt der frühere Wahl-Römer Völler auf eine italienische Redensart zu verweisen: inventare l‘acqua calda. Man könne das warme Wasser nicht neu erfinden. So wird er immer der Pragmatiker bleiben, der an die Unvorhersehbarkeit des Fußballs glaubt. An ihm ist kein Tüftler verloren gegangen. Das Wort Visionen spricht er beinahe verächtlich aus. Zu dem italienischen Trainer Arrigo Sacchi, der in den späten Achtzigern das Fußballspiel mit seinem offensiven Pressing-System revolutionierte, fällt ihm ein: Nach seiner Blütezeit beim AC Mailand habe der kaum noch nennenswerte Siege errungen. Völler denkt ergebnisorientiert. Und wenn etwas geändert werden muss, dann reformiert er nicht, sondern bessert aus. Der gelernte Bürokaufmann Rudolf Völler ist vor allem gelernter Stürmer. Einer, der die Nase in den Wind hält und schnell handelt. Zu seinen Spezialitäten zählt die Gabe, auch selbst verschuldete Schäden umgehend zu reparieren. Auf diese Weise meisterte der Heilmacher auch die turbulenteste Woche seiner Trainerzeit.“

Fußball ist Fußball

Reflexions- und Selbstdefinitionsversuche von Christoph Biermann (taz 18.9.). „Nun mag es zweifelhaft klingen, sich über den gesellschaftlichen Aufstieg von Fußball zu beklagen, wenn man davon profitiert. Fußballjournalist zu sein, ist schließlich ein ehrenwerter Beruf geworden, und zweifellos habe ich mich früher ausgiebig darüber beklagt, dass Fußball als kulturelles Phänomen nicht ausreichend ernst genommen wurde. Nur gehörte zur Behauptung, dass Fußball die wichtigste Sache der Welt sei, der unausgesprochene Nachsatz, dass es nicht so ist. Inzwischen liefert Fußball nicht nur die gängigste Metaphorik politischer Berichterstattung, wenn sich Sozialdemokraten ins Abseits begeben oder Freidemokraten die rote Karte sehen (gibt es in der PDS eigentlich überlappendes Flügelspiel?). Das mag die Welt anschaulicher machen, aber warum Kicken gleich zum Welterklärungsmittel machen? Der jugoslawische Meistertrainer Vujadin Boskov hat vor vielen Jahren herbergeresk tautologisiert: Fußball ist Fußball. Und das ist eine ganze Menge – aber nicht mehr. Ein randalierender Teamchef ist ein randalierender Teamchef und sagt keineswegs etwas über den Zustand unseres Landes aus. Derzeit aber wird in den Feuilletons auch jenseits von Völler-Tiraden so viel über Fußball geschrieben wie nie. Das hinreißend schnöde Geschehen in den Stadien wird ordentlich mit Bedeutung überhäuft und – so ist der Verdacht – wirklich ernst genommen. Ohne Platon habt ihr keine Chance, möchte man bei diesen Verrenkungen singen, in denen es zumeist um nichts anderes als die Ummantelung kindlicher Freuden geht.“

Hier ist Bayern 2, das Programm für die qualifizierte Minderheit!

Helmut Böttiger (Zeit18.9.) schüttelt den Kopf über das Vorhaben CSU, Günther Koch das Mirko wegzunehmen. „Er hat die Fußballreportage in Deutschland neu erfunden. Er hat sie in eine Kunstform überführt, in ein ästhetisches Konstrukt aus Hörspiel und Rhythmusstück, aus abrupten Szenenwechseln und halsbrecherischen Monologstrecken. Am 24.Mai, dem letzten Spieltag der Saison, war der 1. FC Nürnberg so gut wie abgestiegen. An den kleinen Strohhalm der Hoffnung glaubte niemand mehr – selbst Günther Koch nicht, der sonst aus einem Strohhalm einen Trichter machen kann, einen Trichter aus Nürnberg, wie er vermutlich sagen würde. Nürnberg ist dann auch abgestiegen, und vielleicht war es für Günther Koch das letzte Spiel, das er kommentieren durfte. Er hatte etwas getan, für das ihm die Mikrofone des Bayerischen Rundfunks für immer verwehrt werden könnten: Er kandidiert für die SPD bei den bayerischen Landtagswahlen. Vermutlich hat er unterschätzt, was das heißt. In Bayern ist die SPD etwas ganz anderes als anderswo in Deutschland. In Bayern gelten selbst solche, die ganz bieder und brav sind, aber aus irgendwelchen masochistischen Gründen in der SPD, als Querköpfe, als Anarchisten, als sture Dagegenhalter. Das Verblüffende ist: In Günther Koch haben sie einen, der wirklich so ist. Unvergesslich, wie er reagierte, als Gerd Rubenbauer, die ewig siegesgewisse Stimme Bayern Münchens, einmal aus dem Olympiastadion zum 1.FC Nürnberg und Günther Koch schaltete mit den Worten: „Von Bayern 1 zu Bayern 2“, und Koch, die Programmstruktur des Bayerischen Rundfunks aufnehmend, anhob: „Hier ist Bayern 2, das Programm für die qualifizierte Minderheit!“ Wenn Koch einmal für etwas steht, dann weicht er nicht mehr zurück. Aktive Parteipolitik hat er selten betrieben. Aber irgendwann hat es ihn gefuchst. Er ist einer, der das Publikum braucht. Er ist ein Volksredner, eigentlich ja Realschullehrer mit den Fächern Deutsch und Religion. Koch predigt auch in Kirchen (er ist auch noch evangelisch). Es hat ihm, seit 33 Jahren SPD-Mitglied, Spaß gemacht, die Spitzenkandidatin Renate Schmidt beim Wahlkampf zu unterstützen und ihr mit seiner Popularität zu einem Direktmandat für den Landtag zu verhelfen – was für die SPD in Bayern fast so selten ist wie eine Uefa-Cup-Teilnahme des 1. FC Nürnberg. Und jetzt hat sich der 62-Jährige selbst aufstellen lassen. „Ich kann nicht verstehen, wie gottergeben und ängstlich manche Sozialdemokraten in den Wahlkampf gehen“, sagt er. Markus Söder, Medienexperte der CSU, Direktkandidat in Nürnberg und Mitglied des Aufsichtsrats des 1. FC, schäumte. Aus der CSU forderten sie ein sofortiges Mikrofonverbot für Koch – wenn der Gelegenheit hätte, als Landtagskandidat über die Fußball-Bundesliga zu berichten, dann könnte ja alles zusammenbrechen: der Bayerische Rundfunk, die jahrzehntelange Vorherrschaft der CSU, das Franz-Josef-Strauß-Monopol auf Volkstribunen für die Schwarzen. Wäre Koch in der Staatspartei, würde man wohl eher ein Auge zudrücken. Waldi Hartmann zum Beispiel, der Sportschau-Mann, hat aus seiner inbrünstigen Verehrung für die CSU nie einen Hehl gemacht. Koch ist außerdem beim BR gar nicht fest angestellt, sondern nur freier Mitarbeiter. Man hat jetzt einen Burgfrieden geschlossen: Koch darf in den letzten sechs Wochen vor der Wahl nicht für den BR tätig sein, und die CSU hofft, dass er nicht in den Landtag kommt. Was aber passiert, wenn er es schafft, das wissen nur die Götter. Und die heißen hier: Edmund Stoiber, Ministerpräsident, und Thomas Gruber, Intendant des BR.“

Ich lebe nach christlichen PrinzipienZeit-Interviewmit Uli Hoeneß

Zeit: Wie viel Bayern steckt im FC Bayern?

UH: Bei dieser Frage greift man zu kurz, wenn man sie darauf reduziert, ob einer in Bayern oder in München geboren ist. Nehmen Sie Giovane Elber, unseren langjährigen Brasilianer. Der sagte vor seinem Wechsel nach Lyon, egal, wo es ihn hinverschlägt in der Welt, er will hier, in Bayern, immer ein Standbein haben. Deshalb hat er sich hier auch Immobilien zugelegt. Er fühlt sich hier wohl, sicher, akzeptiert. Das Bayerische am FC Bayern ist ein wichtiger Faktor. Das spüren auch die Spieler…

Zeit: …und posieren, statt in Lederhosen, auf dem Mannschaftsfoto neuerdings mit Fotohandys?

UH: Keine Sorge, das Foto mit Weißbiergläsern und Lederhosen wird gerade produziert. Wenn wir unsere Spieler fragen: „Wollt ihr zum Oktoberfest in Lederhose oder nicht?“, verlangen 80 Prozent nach Lederhosen. Besonders die jungen wie Roque Santa Cruz spüren die Anziehungskraft dieser Tradition. Der kann gar nicht genug davon bekommen und hat bei uns gerade noch mal eine kurze Lederhose nachgeordert.

Zeit: Begreifen Spieler aus Peru, Brasilien oder Paraguay, wenn sie nach München kommen, was bayerisch sein bedeutet? Gibt es Einführungskurse?

UH: Die Spieler begreifen das von selbst. Wir zwingen Sie nicht dazu, sich diese Dinge anzueignen. Da muss jeder seinen Weg finden. In all den Jahren gab es in dieser Hinsicht auch nur einen echten Schock, als mich nämlich der kolumbianische Stürmer Valencia nach einem Vierteljahr fragte, wo denn hier das Meer sei.

Zeit: Wenn Sie Bayern hören, woran denken Sie zuerst? An das Land oder an den Verein?

UH: Da denke ich natürlich zunächst an den Verein. Allerdings ist die Verbindung zwischen den beiden so eng, man könnte sagen, der FC Bayern, die Marke FC Bayern München, ist zu einem Synonym für das Land Bayern geworden. Und trotzdem halte ich nichts von übertriebener Bayerntümelei.

Zeit: Hören wir da die sprichwörtliche bayerische Bescheidenheit heraus?

UH: Wissen Sie, an jedem Trainingstag im Sommer kommen hier etwa 5000 Menschen aufs Gelände, die kommen nur wegen uns hierher, aber die kommen natürlich auch in die Stadt und ins Land. Sie essen und trinken, lassen viel Geld hier. Ich sage: Viele, sehr viele von ihnen würden nicht kommen, gäbe es den FC Bayern nicht. Der FC Bayern tut unendlich viel für dieses Land. Das macht uns selbstbewusst.

Zeit: Zwischen Überheblichkeit und Selbstbewusstsein verläuft ein schmaler Grat.

UH: Richtig. Die Grenze zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz nicht zu überschreiten, das versuchen wir immer wieder auch unseren Spielern zu vermitteln. Alle, auch ich, müssen sich da immer wieder überprüfen. Wer erfolgreich ist, gerät da manchmal in Versuchung.

Zeit: Das verbindet den FC Bayern mit der anderen dominierenden Kraft im Lande, der CSU.

UH: Das Land Bayern steht wirtschaftlich ausgezeichnet da, im Vergleich zu den anderen Bundesländern. Das ist ein Verdienst der CSU. Der deutsche Fußball hat in den letzten Jahren international stark an Einfluss gewonnen. Das ist ein Verdienst – auch – des FC Bayern.

Zeit: Welche Rolle spielt die Kirche, eine zentrale Stütze bayerischen Seins, in Ihrem Leben?

UH: Ich war Messdiener. Heute bin ich kein regelmäßiger Kirchgänger mehr. Ich glaube an Gott, denke aber, dass man seine Gesinnung auch im christlichen Sinne eher dadurch definiert, wie man sich im Kontext seiner Umwelt verhält. Ich lebe also nach christlichen Prinzipien, vor allem nach jenem, die Schwachen und Schwächsten an den eigenen – vor allem den materiellen – Privilegien teilhaben zu lassen. Ich habe das lernen müssen, früher war ich eher einer, der mehr auf sich geachtet hat, sich gerne auch mal mit Ellenbogen durchsetzte. Auch unsere Kinder haben meine Frau und ich christlich erzogen. Ein wichtiger Grundsatz ist dabei: Mute anderen immer nur das zu, was du dir selbst zumutest.

Hallelujah!

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